Grabstätte Draeger. Foto Hahn & Stich, 2007

Richard Draeger (1857-1923)

 

An die Friedenauer Baumeister erinnern auf dem Friedhof Stubenrauchstraße nur noch die Grabstätten der Architekten Richard Draeger und Paul Kunow (1848-1936). Warum Kunow mit einem Berliner Ehrengrab bedacht ist und Draeger nicht, bleibt ein Geheimnis des Senats. Richard Draeger hat bemerkenswerte Mietwohnhäuser geschaffen. Sein Name erscheint 1888 erstmals als Mieter im Haus Handjerystraße Nr. 7. Drei Jahre später ist er Eigentümer des Grundstücks Albestraße Nr. 30. Nach seinem Entwurf entsteht als Backsteinbau ein mehrgeschossiges Wohnhaus mit Souterrain, Beletage und zwei Stockwerken darüber. 1893 zieht er mit Ehefrau Martha geb. Heider (1870-1938) ein: Parterre, 5 Zimmer, heizbare Loggia, Bad. Der Zusatz 9-11 deutet daraufhin, dass Draeger bereits zum Gemeindeschöffen gewählt worden  war, der, wie Kanzleirat Bache, Lotterieeinnehmer Lichtheim, Rechnungsrat Wossidlo, Apothekenbesitzer Sadée und Chemiker von Wrochem, seine Sprechstunden in seinem Privathaus abhielt. Die Vermietung seiner herrschaftlichen Wohnungen in den oberen Etagen, Preis 1250 Mark, gestaltete sich offenbar schwierig, da immer wieder andere Mieternamen auftauchen.

 

Bei der Lektüre des Friedenauer Lokal-Anzeiger stellt sich die Frage, war er nun Architekt oder als Dezernent im Tiefbauamt, Vorsitzender des Bau- und Kanalisations-Ausschusses, Mitglied des Ausschusses für Bauwesen und Straßenbauten, Kreistagsabgeordneter und Mitbegründer des Liberalen Vereins für Friedenau doch mehr Kommunalpolitiker.

 

In den Sitzungen überzeugte er mit Argumenten. Als es 1900 um die Baufluchtlinie zwischen der Friedenauer Hähnelstraße und der Schöneberger Sponholzstraße ging, referierte er: Die Fahrbahnbreite soll 11,50 m breit, die Bürgersteige je 3,75 m und die Vorgärten je 4 m breit projektiert werden. Schöneberg hat in allen seinen Friedenauer Straßen 4 m breite Vorgärten, während die Vorgärten der Gemeinde Friedenau die Breite vom 6 m ausweisen. Draeger setzte sich mit 6 m durch.

 

Heftige Debatten gab es 1912 um den Bebauungsplan zwischen Wilhelmstraße und Mainauer Straße, wo für die neue Bachestraße (vorher Straße Nr. 12) eine viergeschossige Bebauung vorgesehen wurde. Übersehen hatte das Bauamt, dass Bildhauer Valentino Casal 1899 das Grundstück Wilhelmstraße Nr. 7 mit einem Areal erworben hatte, dessen Atelierbauten bis 6,40 m in die Mitte der Bachestraße hineinreichten. Dieser Engpass sollte nun beseitigt werden. Casal war bereit, mit seinem Grundstück bis zur Vorgartengrenze zurücktreten, verlangte aber, dass ihm die Gemeinde neue Ateliers errichtet, ihn von jeglichen Anliegerbeiträgen freistellt, die Kosten für Kanalisation und Gericht trägt und der Streifen, den er abtrete, als bebauungsfähige Fläche angerechnet werde. Gemeindevertreter wollten Casal zur Abtretung des Geländes zwingen. Draeger wies darauf hin, dass das Enteignungsrecht der Gemeinde selbstverständlich frei stehe, aber man müsse dann das ganze Grundstück erwerben. Die Neuerrichtung des Ateliers könne Herr Casal dann aber verlangen. Mit dem Weltkrieg war die Sache erledigt. Der Italiener wurde enteignet, die Bauten abgerissen und Casal schließlich von der Weimarer Republik entschädigt.

 

Ein großes Problem war die Kanalisation von Friedenau. Die Entwässerungsanlage für eine Villenstadt geschaffen wurde, aber passe nicht für die jetzigen Verhältnisse. Die zweitniedrigsten Punkte Friedenaus liegen am Friedrich-Wilhelm-Platz und am Maybachplatz, nach denen das Wasser bei starken Regengüssen hinströmt. Die Gullys haben nur den Zweck, das Wasser schnell von den Straßen abzuführen.

 

Es fügte sich, dass Friedrich Wilhelm Büsing (1834-1904), der Spezialist für Kanalisation, nach Friedenau gezogen war. Er wies darauf hin, dass in den 20 Jahren seit dem Bestehen von Friedenau die Gemeinde schon vier verschiedene Bauordnungen erlebt hat. Straßennetz, Wasserversorgung und Entwässerung seien seit 1871 an für das nur 140 ha. umfassende Gemeindegebiet geschaffen worden. Inzwischen sei die Bevölkerung des Ortes bis 1895 auf 7500 Seelen angewachsen, und dabei zeige sich, dass Landhäuser überhaupt gar nicht mehr gebaut würden und an deren Stelle größere Mietshäuser entständen.

 

Büsing kommt bei der Lösung der Entwässerungsfrage das Hauptverdienst zu. Die Grundsätze und Vorbedingungen sowie die technischen Grundlagen beruhen vorwiegend auf seinen Vorschlägen, die Reinigung der Abwässer, die Auswahl und der Ankauf der Rieselfelder. Büsing und Draeger sorgten für einen Vertrag zwischen Schöneberg und Friedenau, nach welchem die erstere Gemeinde die Abwässer Friedenaus mit abführt und so ohne eigenen Nachteil dem wirtschaftlich schwächeren und kleineren Nachbar eine Lösung ermöglicht, die technisch günstig ist und deren Lasten erträglich sind. Als es dann auch gelang, dass die Charlottenburger Wasserwerke ihr Rohrnetz über Friedenau ausdehnten, war die Zukunft einigermaßen gesichert. Am 16. Februar 1905 konnte Bürgermeister Schnackenburg mitteilen, dass der Ausbau der Kanalisation mit dem 1. April vollendet sein könnte.

 

Für den 23. Februar 1919 waren nach Vorgabe durch die Weimarer Nationalversammlung Gemeindewahlen in Friedenau angesetzt. Während der vorbereitenden Sitzung am 20. Februar 1919 wurde der Gemeindeschöffe Architekt Draeger plötzlich von einem Unwohlsein befallen. In seiner Nähe sitzende Herren sprangen sofort hinzu und führten ihn aus dem Saal. Gemeindeverordneter Sanitätsrat Dr. Thurmann leistete ihm sofort ärztliche Hilfe und stellte einen Schlaganfall fest, der eine rechtsseitige Lähmung zur Folge hatte. Vermutlich ist diese Erkrankung des Schöffen Draeger durch eine starke Erregung über eine vorherige Aussprache hervorgerufen worden. Fortan konnte Richard Draeger seinen kommunalpolitischen Aufgaben nicht mehr nachkommen. Er starb am 4. Januar 1923 und wurde auf dem Friedhof Stubenrauchstraße im Erbbegräbnis (Abt. Ia 174/175) beigesetzt. Das Anwesen Albestraße Nr. 30 blieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz der Draeger’schen Erben.

 

PS

Über einhundert Jahre mussten Büsings und Draegers Entwässerungsanlagen herhalten. Friedenau aber wuchs weiter. Die Kanalisation reichte nicht mehr aus. Die Abwasserkanäle konnten das Wasser nicht aufnehmen und ableiten. Als es nach Regengüssen mit dem Hochwasser am Friedrich-Wilhelm-Platz und am Maybachplatz zu viel wurde, erinnerten sich die Berliner Wasserwerke 2009 endlich an die Friedenauer Senke. Nach zehn Jahren war ein neuer Mischwasserentlastungskanal gebaut und 14 Kilometer Abwasserkanäle und Trinkwasserleitungen saniert, erneuert bzw. neu gebaut. Friedenau war auf Berliner Standard gebracht worden.

 

Albestraße 30. Foto LDA, 1988

Albestraße Nr. 30

1892

Entwurf & Bauherr Architekt Richard Draeger

 

Das Haus wurde laut Inschrift über dem Hauseingang 1896 von Richard Draeger für „M. R.“ (mit den Freimaurerzeichen Winkel und Zirkel) erbaut, jedoch nach den Bauakten bereits 1891-92. Das dreigeschossige, sechsachsige Mietwohnhaus aus roten Ziegeln auf einem hohen, geböschten Souterrain wird in der Mittelachse durch einen zweiachsigen Standerker gegliedert, der oben einen Altan trägt. An Fenster- und Türgewänden sind Putzbossen in die roten Ziegelmauern eingefügt. Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

 

 

 

 

 

Beckerstraße 8. Foto LDA, 2005

Beckerstraße Nr. 8

1897

Entwurf & Bauherr Architekt Richard Draeger

 

Gotisierender Schmuck in origineller Kombination zeichnet auch die beiden Häuser an der Ecke Becker- und Menzelstraße aus, die Mitte der 1890er Jahre vom Friedenauer Architekten Richard Draeger in eigener Bauherrschaft errichtet wurden. Das Eckgebäude Beckerstraße 8, Menzelstraße 29, mit hohem Souterrain, vier Wohngeschossen und einem steilen schiefergedeckten Berliner Dach wurde 1896-97 ausgeführt. Zwei- und dreiachsige Standerker, die risalitartig vor die Flucht des Hauses treten und von Dacherkern mit Dreiecksgiebeln überfangen sind, gliedern die beiden mit feiner Putzquaderung überzogenen Straßenfronten; seitlich und zwischen den Erkern sind Balkone, zum Teil mit filigranen Eisengittern, angeordnet. Die teils reich mit floralen Motiven, teils mit Spitzbögen, Konsolen und Maßwerk geschmückten Fensterverdachungen, Giebel- und Brüstungsfelder, vor allem aber der spitze Turmhelm auf der Gebäudeecke verleihen dem Haus seine ungewöhnliche Wirkung. Topographie Friedenau, 2000

 

 

Goßlerstraße 8. Foto Wikipedia, 2013

Goßlerstraße Nr. 8

1891

Entwurf Architekt Richard Draeger

 

Das Haus wurde als zweigeschossiger, sechsachsiger, roter Rohziegelbau auf einem hohen Souterrain erbaut. Die nördliche Endachse nimmt das Treppenhaus auf, ein asymmetrischer zweiachsiger Risalit mit Quergiebel vor dem ausgebauten Dachgeschoß bringt etwas Spannung in den strengen, einfachen Bau. Im Souterrain befinden sich Garagen und eine kleine Wohnung. Das Mietwohnhaus - ein Einspänner - das nach seiner äußeren Erscheinung noch den Landhäusern der ersten Bauphase nahesteht, markiert den Übergang zu neuen Wohnungsbauformen in Friedenau nach der Bauordnung von 1887. Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

 

 

 

Menzelstraße 30. Foto LDA

Menzelstraße Nr. 30

1896

Entwurf & Bauherr Richard Draeger

 

Das bereits 1895-96 von Richard Draeger errichtete Mietshaus Menzelstraße Nr. 30, das mit einem kurzen Seitenflügel den gemeinsamen Hof der beiden Nachbarbauten einfasst, ist in Dachform, Geschosshöhen und Fassadengliederung ähnlich aufgebaut, zeigt im Detail aber Unterschiede: Ein zweiachsiger Standerker mit Dreiecksgiebel, Loggien mit schmiedeeisernen Brüstungen in der Außenachse und ein schmaler dreieckiger Erker über dem spitzbogigen Eingangsportal unterteilen hier die Fassade. Die ebenfalls von feiner Putzquaderung bedeckten Wandflächen sind mit zurückhaltendem, vermutlich bei Sanierungsmaßnahmen vereinfachtem, gotisierendem Stuckdekor an Fensterrahmen und Erker belebt. (Topographie Friedenau 2000/2018)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Roennebergstraße 15

Roennebergstraße Nr. 15

 

Der Denkmalbereich Roennebergstraße umfaßt neun Häuser auf der Nord- und der Südseite der Straße, die Nummern 4, 5, 5A, 6 und 12-16, jedoch ist nur das Haus Nr. 4 ein Baudenkmal, die übrigen acht Häuser sind konstituierende Bestandteile des Ensembles. Drei davon stammen von dem Architekten James Ruhemann. Diese Häuser bilden einen zwischen 1895 und 1902 gewachsenen Denkmalbereich, ein geschlossenes Ensemble von Mietwohnhäusern mit weitgehend intakten Fassaden des Historismus und des Jugendstils, die zusammen die hohe gestalterische Qualität des Wohnungsbaus um 1900 in Friedenau dokumentieren.

 

 

 

 

 

 

Das viergeschossige, siebenachsige Mietshaus Roennebergstraße 15 wurde 1902 von dem Friedenauer Architekten Richard Draeger gebaut. Das Baujahr und der Architekt des Hauses sind über dem spitzbogigen Hauseingang inschriftlich bezeichnet: »Erbaut A. D. 1902 - Rich. Draeger Architekt«. Die symmetrische Fassade des Hauses ist trotz des Baujahrs 1902 in den Formen der Neogotik gestaltet. Beiderseits der Mittelachse springen Erker vor, in deren Brüstungsfeldem die Initialen »W D.« und »E. D.« (wohl für die Bauherren) auf Inschriftbändern erscheinen. Seitlich der Erker sind Balkons angeordnet, deren Brüstungen erneuert sind. Über dem zweiten Obergeschoß sind auf beiden Erkern zwei große Reliefs mit zwei sitzenden, nackten Frauenfiguren im Rankenwerk ausgeführt. Die Erker werden von Quergiebeln mit flachen Maßwerkdekorationen im Relief bekrönt. Die historistische Fassade des Hauses wirkt überzeugend, weil sie sich mit ihrer Dekoration den benachbarten Jugendstilfassaden annähert. Topographie Friedenau, 2000