I. Städtischer Friedhof Eisackstraße

Begräbnisplatz der Stadtgemeinde Schöneberg

 

Der Begräbnisplatz der Stadtgemeinde Schöneberg an der Max-Straße wurde 1883 als erster Gemeindefriedhof auf einer Fläche von 44.133 m² angelegt und 1920 nach der Bildung von Groß-Berlin in Städtischer Friedhof Schöneberg umbenannt. Mit der Bebauung des Südgeländes sollte aus dem Areal ein Park werden. 1928 beschloss das Bezirksamt die Schließung. Da aber 1932 ein Mangel an Grabstellen bestand, blieb der Begräbnisplatz geöffnet. Für die Welthauptstadt Germania und dem Südbahnhof wurde für die Gleisanlagen eine im nordöstlichen Bereich schräg über den Friedhof Max-Straße verlaufende Fläche benötigt. Am 3. April 1939 wurde die Fläche entwidmet. Ab 19. Juni wurden die Grabsteine abtransportiert, ab 17. Juli erfolgten insgesamt 2778 Umbettungen auf die Stahnsdorfer Friedhöfe – darunter der Sarg des 1935 verstorbenen Malers Hans Baluschek. Das Grab von Oberbürgermeister Rudolph Wilde wurde in den verbleibenden Friedhofsteil verlegt.

 

Von der aus Backsteinen errichteten Kapelle blieben nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch die Außenmauern. Da der kommunale Friedhof von Schöneberg nach den Umbettungen in den nationalsozialistischen Jahren weiter an Substanz verloren hatte und Begräbnisfläche vorhanden war, konnte ein Gräberfeld für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft mit 338 Einzelgräbern eingerichtet werden. Nach dem Bau der Stadtautobahn A100 blieben von der ursprünglichen Fläche nur etwa 18.000 m². Auf dem verbliebenen Areal entstanden ein schlichter Bau am neuen Eingang in der Eisackstraße und ein Blumenladen. Die Skulptur Der Schlaf von Hermann Hosaeus von 1907 wurde auf eine eingeebnete Grabstelle gesetzt. Geblieben sind bis heute die Ehrengrabstätten von Rudolph Wilde, Eduard Bernstein und Friedrich Wegehaupt.

 

 

 

 

Der Landeseigene Friedhof Schöneberg I an der Eisackstraße 40a wurde zum 1. Januar 2006 mit 18.465 m² komplett vollständig geschlossen. Davon wurden 2008 bereits 1.820 m² entwidmet. Ab diesem Termin werden keinerlei Bestattungen mehr angenommen. Die Pflege der Friedhofsflächen wird für eine Frist von 30 Jahren nach der letzten Bestattung gewährleistet – bis 2036. Als Ersatz für Nutzungsrechte an Sondergrabstätten die bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeübt worden sind, werden auf Antrag des jeweiligen Nutzungsberechtigten gleichwertige Nutzungsrechte auf den anderen landeseigenen Friedhöfen im Bezirk eingeräumt. Zum Zeitpunkt der Folgebestattung ist die Umbettung bzw. Umsetzung kostenfrei.

 

 

Grab Rudolph Wilde. Foto Hahn & Stich, 2016

Rudolph Wilde (1857-1910)

 

Es geschah am 1. November 1910. Als Oberbürgermeister Rudolph Wilde am Vormittag seinen Dienst antreten wollte, brach er gegen 10.30 Uhr auf der Treppe zu seinem Amtszimmer lautlos zusammen. Ärzte bemühten sich um den Bewusstlosen, konnten aber nur noch seinen Tod durch Herzschlag feststellen. Noch am Tag zuvor hatte Wilde bei voller Gesundheit in der Stadtverordnetenversammlung das Zustandekommen der Betriebsgemeinschaft zwischen der Schöneberger U-Bahn und der Berliner Hochbahngesellschaft für den Übergangsbahnhof Nollendorfplatz verkündet.

 

Nun konnte in einer außerordentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung nur noch beschlossen werden, dass die Beisetzung auf Kosten der Stadt“ erfolgen und „die Beerdigung am 5. November 1910 auf dem städtischen Friedhof in der Max-Straße stattfinden wird.

 

 

 

 

 

 

 

Der Friedenauer Lokal-Anzeiger war dabei: Nach der Trauerfeier in der Aula der Hohenzollernschule setzte sich der Trauerzug nach dem Schöneberger Friedhof an der Maxstraße zu in Bewegung; er nahm seinen Weg durch die Belziger- und Akazienstraße am Rathause vorbei durch die Haupt- und Max-Straße. Sämtliche Straßen, durch die sich der Zug bewegte, zeigten reichen Trauerschmuck, die elektrischen Lampen der Straßenbeleuchtung, die Straßenbahnmasten und Bäume waren mit Flor umhüllt. Ganz besonders fiel die Trauerdekoration des Rathauses auf. Am Grabe sprach der Geistliche ein kurzes Gebet und unter Gesang eines Chorals wurde der Sarg in die Gruft gesenkt. Die Grabstelle, eine sogenannte Gartenstelle, liegt etwas vom Haupteingang entfernt, rechts von diesem. Die mit einigen Bäumen bestandene Stelle soll in schöner und würdiger Weise durch Anlage von Gängen und Anpflanzungen ausgebaut werden.

 

Das Grab existiert noch immer – seit 1939 aber in der Abteilung 10 Nr. 175. Die Pläne für die Umgestaltung Berlins zur machten auch vor dem Grab von Rudolph Wilde nicht halt. Die Reichsbahn benötigte für die Gleisanlagen des monumentalen Südbahnhofs eine im nordöstlichen Bereich, schräg über den Friedhof verlaufende Fläche für eine Bahntrasse. So wurde das Grab von Rudolph Wilde in den verbleibenden Friedhofsteil verlegt.

 

Rudolph Wilde wurde 54 Jahre alt. 1898 wurde er zum ersten Bürgermeister der selbstständigen Stadt Schöneberg gewählt, vier Jahre später zum ersten Oberbürgermeister. Bereits in seiner Antrittsrede wies er die Stadtverordneten darauf hin, dass der Vorort aus eigener Kraft große Aufgaben zu lösen habe. Dazu holte er sich weitsichtige und intelligente Stadträte ins Rathaus, darunter den Bauingenieur Johann Friedrich Christoph Gerlach (1856-1938) und den Architekten Paul Egeling (1856-1937). Es entstanden das Bayerische Viertel (1900-1914), der Stadtpark Schöneberg (1908-1912) und die erste kommunale elektrische Untergrundbahn (1908-1910). Mit dem Bayerischen Viertel wurden finanzstarke Bevölkerungsschichten nach Schöneberg geholt. Mit dem Bau der U-Bahn wurde eine schnelle Verbindung von der Hauptstraße (Innsbrucker Platz) über die Stationen Am Stadtpark (Rathaus Schöneberg), Bayerischer Platz und Viktoria-Luise-Platz zum Hochbahnhof Nollendorfplatz und damit in die Berliner Stadtmitte geschaffen. Mit dem Plan einer Trasse vom Innsbrucker Platz sollte das damals noch unbebaute Südgelände und schließlich Südende, Lankwitz und Marienfelde verkehrstechnisch erschlossen werden. Mit der Anlage des Stadtparks auf einem bis dahin nicht nutzbaren sumpfigen Fenn entstand eine 7 ha große Grünfläche vom Rathaus Schöneberg bis zum Volkspark Wilmersdorf. Die Eröffnung von U-Bahn und Stadtpark hat Rudolph Wilde nicht mehr erlebt. Seinem Nachfolger hat er die Pläne für den Bau des Schöneberger Rathauses überlassen.

 

Grab Eduard Bernstein. Foto Hahn & Stich, 2016

Eduard Bernstein (1850-1932)

 

Eduard Bernstein war, was man den Briefwechseln mit August Bebel oder Karl Kautsky entnehmen kann, ein aufrechter Sozialdemokrat. Er blieb es immer, obwohl sein Wahrheitsfimmel die Genossen nervte. Er war ein pragmatischer Genosse, für den schon 1921 der Einfluss der Partei hätte viel größer sein können, wenn die Sozialdemokratie den Mut gefunden hätte, sich von einer Phraseologie zu emanzipieren, die tatsächlich überlebt ist. Das ist einhundert Jahre später nicht anders. Die SPD mochte Eduard Bernstein nicht, weil er die Macht der Tatsachen gegen ihre liebgewonnenen Glaubenssätze ins Feld führte – und weil er auch noch recht hatte. Von diesem Verhältnis wurde sogar sein Grab nicht verschont. Zwanzig Jahre nach seinem Tod bewilligte der sozialdemokratisch geführte Senat von Berlin dem Publizisten und Politiker 1952 eine Ehrengrabstätte. 2010 wurde diese vom rot-roten Senat aberkannt, obwohl ihm die Parteibasis zum 75. Todestag im Jahr 2007 einen neuen Grabstein spendiert hatte. 2016 die Kehrtwende: Am 7. Juni nahm der Senat eine Vorlage des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zur Kenntnis, wonach die Grabstätte von Eduard Bernstein auf dem Friedhof Eisackstraße (Grablage Abt. 12-231) wieder zur Ehrengrabstätte erklärt wurde.

 

Grab Friedrich Wegehaupt. Foto Hahn & Stich, 2016

Friedrich Wegehaupt (1904-2000)

 

Am 18. Mai 2000 eröffnete Präsident Reinhard Führer (CDU) um 13.04 Uhr die 10. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Bevor wir mit unseren Beratungen beginnen, möchte ich Sie bitten, eines Mannes zu gedenken, der sich in schwieriger Zeit um Berlin verdient gemacht hat. [Die Anwesenden erheben sich.]

 

Im Alter von 95 Jahren ist am 23. April 2000 der Stadtälteste von Berlin Friedrich Wegehaupt gestorben. Am 10. Mai haben wir im Krematorium Wilmersdorf von ihm Abschied genommen. Friedrich Wegehaupt war von 1963 bis 1967 Mitglied der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin. Zuvor und danach wieder gehörte er der Bezirksverordnetenversammlung von Schöneberg an – mehr als 18 Jahre hindurch. Friedrich Wegehaupt war Kommunalpolitiker aus Überzeugung. Darüber hinaus hat er für viele Jahre ehrenamtlich im Flüchtlings- und Lastenausgleichswesen gedient.

 

 

 

In der Zeit vor dem Mauerbau 1961, als die Probleme politischer Flüchtlinge in unserer Stadt ein zentrales Thema waren und in manchem Monat fast 60.000 Menschen aus der damaligen DDR flüchteten, hat sich Friedrich Wegehaupt in der Flüchtlingskommission des Senats, im Gesamtverband der Sowjetzonen-Flüchtlinge und als Vorsitzender des Landesverbandes Berlin im Bund der Mitteldeutschen große Verdienste erworben. Den Menschen, die – wie er selbst – ihre Heimat verlassen mussten, fühlte er sich besonders verbunden. Sein eigener Lebensweg war vom Schicksal unseres Landes gekennzeichnet: Als überzeugter Demokrat war er mit beiden Diktaturen auf deutschem Boden in Konflikt geraten.

 

Gegen die Nationalsozialisten hatte er sich einer Widerstandsgruppe angeschlossen und war inhaftiert worden. Mit der sowjetischen Besatzungsmacht und dem DDR-Regime geriet er in Konflikt, als er nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Dresden zu den Gründungsmitgliedern der CDU gehörte. Zwei Jahre lang saß er dort in politischer Haft. Dann flüchtete Friedrich Wegehaupt nach Westberlin, und von nun an stand das Schicksal der Flüchtlinge im Mittelpunkt seiner politischen, beruflichen und ehrenamtlichen Arbeit. Er hat viel dazu beigetragen, ihnen den Beginn des Lebens in der Freiheit zu erleichtern.

 

Friedrich Wegehaupt war immer hier in Berlin, an der Nahtstelle zwischen Ost und West, – beruflich u. a. als Leiter des Ministerbüros von Ernst Lemmer – dafür tätig, das Los jener zu erleichtern, die von der deutschen Teilung am meisten betroffen waren. Wie stark ihn die Teilung unseres Landes zeitlebens bewegte, zeigte sich auch daran, dass er zu den Gründern des Museums ‚Haus am Checkpoint Charlie‘ gehörte. Umso größer war später für ihn die Freude, den Fall der Mauer in Berlin und die Einheit Deutschlands noch miterleben zu dürfen. Für seine großen Verdienste wurde Friedrich Wegehaupt 1983 durch das Abgeordnetenhaus und den Senat mit der Würde eines Stadtältesten von Berlin ausgezeichnet. Sein Wirken wird in Berlin unvergessen bleiben. Wir gedenken seiner mit Hochachtung und Dank. Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben haben.

 

Die Ehe von Friedrich Wegehaupt war kinderlos geblieben. Seine Frau Irmgard geb. Oswald starb am 15. November 1991 und wurde auf dem Friedhof Eisackstraße bestattet. In diesem Grab fand auch er seine letzte Ruhe. In der Liste der Ehrengrabstätten des Landes Berlin (Stand: August 2021) ist das Grab als Ehrengrabstätte aufgeführt. Eine Angabe über den Zeitpunkt des Senatsbeschlusses existiert nicht.

 

Auf Anfrage teilte das Bundespräsidialamt am 7. November 2016 mit: Die Verleihung des Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Herrn Wegehaupt datiert vom 17. Juli 1969. Der zu dieser Zeit amtierende Bundespräsident Gustav Heinemann folgte mit dieser Ehrung einem Vorschlag des damaligen Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.

 

Friedhof Eisackstraße, Anlage Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Foto Hahn & Stich, 2016

Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft