Grab Jeanne Mammen. Foto Hahn & Stich, 30.4.2023

Jeanne Mammen (1890-1976)

 

Die Malerin Jeanne Mammen gehört zu jenen auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße bestatteten Persönlichkeiten, die in der gängigen Künstleraufzählung schon mal vergessen werden. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Es mag zum einen daran liegen, dass ihre Erfolge in der Weimarer Republik liegen, zum anderen, dass sie in den nationalsozialistischen Jahren einen ersten stilistischen Bruch vollzieht, dem in der Zeit nach 1945 wiederum eine weitere künstlerische Neuorientierung folgt. Das macht es dem Publikum nicht leicht.

 

Dazu kommt, dass sich kaum ein Besucher in das vergammelte Tiefgeschoss des Columbariums wagt. Und wenn er sich dann doch traut, dann hat er Mühe, die Nische mit der Urne C 45-97 überhaupt ausfindig zu machen. Versteckter konnten die sterblichen Überreste von Jeanne Mammen nicht untergebracht werden.

 

Vierzig Jahre nach ihrem Tod zeichnet sich eine Wende ab. Jeanne Mammen wird wieder entdeckt. Der Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung hat in Zusammenarbeit mit dem Frankreich-Zentrum der Freien Universität Berlin 2016 im Deutschen Kunstverlag ein Buch über Jeanne Mammen herausgegeben – in deutscher und in englischer Sprache. Für Herbst 2017 plante die „Berlinische Galerie“ in der Alten Jakobstraße eine Retrospektive. Jetzt, da der Senat beschlossen hat, Jeanne Mammen eine Ehrengrabstätte zuzugestehen, ist nur zu hoffen, dass es dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg gelingt, dem Denkmal Columbarium auch im Untergeschoss wieder ein würdevolles Aussehen zu geben – ein Plan, der inzwischen wohl von GRÜN-ROT zu den Akten gelegt wurde.

 

Auf der Webseite https://www.stadtmuseum.de/artikel/jeanne-mammen heißt es: Im Beisein der beiden Großnichten wurde am 26. Januar 2023 die Urne von Jeanne Mammen auf dem Friedhof Stubenrauchstraße in der Grabreihe 34 neu beigesetzt. Seit 2018 ist dies ein Ehrengrab des Landes Berlin. Die Umbettung erfolgte auf Initiative des Stadtmuseums Berlin. Mit Grabreihe 34 ist jenes Gräberfeld gemeint, auf dem sich die Ehrengräber von Marlene Dietrich und Helmut Newton befinden.

 


 

2016                                          2017                               2019                        9.2.2023

Jeanne Mammen (1890-1976)

 

Jeanne (Gertrude Johanna Luise) Mammen wird am 21. November 1890 in Berlin geboren. Sie wächst in Paris auf, wohin ihre Eltern gezogen waren. Französisch wird ihr zur zweiten Muttersprache. 1906 beginnt sie ihre Ausbildung als Malerin an der Académie Julian in Paris – gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Adelina Marie Luise, genannt Mimi. Für die nahezu unzertrennlichen Schwestern folgen Studien für Malerei und Zeichnung an der Académie Royal des Beaux-Arts in Brüssel und an der Scuola Libera Academica in Rom. Die Eltern unterstützen die künstlerischen Ambitionen der Töchter von Anfang an.

 

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss die Familie, inzwischen „feindliche Ausländer“, nach Deutschland fliehen. Sie sammelt sich in Berlin – die Schwestern Jeanne und Mimi stoßen aus Brüssel dazu – und kommt zunächst in der Motzstraße 33 unter. Jeanne und Mimi verdienen ihren Lebensunterhalt mit Zeichnungen und Illustrationen unter anderem für das Kunstgewerbeblatt. Der Vater kann sich als Unternehmer eine neue Existenz aufbauen. Am 1. April 1920 beziehen die Schwestern ein kleines Atelier im 4. Stock des Hinterhauses Kurfürstendamm 29 – in dem Jeanne Mammen bis zu ihrem Tod 1976 leben wird.

 

Jeanne und Mimi müssen Geld verdienen, ziehen herum, skizzieren, malen und verkaufen diese Zeichnungen und Aquarelle an Illustrierte und Zeitschriften. Beide versuchen sich auch mit Modezeichnungen und Plakatentwürfen für Kinofilme – mit einigem Erfolg. In den folgenden Jahren kann sich insbesondere Jeanne Mammen als Zeichnerin und Illustratorin mehr und mehr durchsetzen. Unter der Rubrik Antworten schreibt Kurt Tucholsky am 6. August 1929 in der Weltbühne: Die zarten duftigen Aquarelle, die sie in Magazinen und Witzblättern veröffentlicht, überragen das undisziplinierte Geschmier der meisten ihrer Zunftkollegen derart, dass man ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist. Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und herb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier. In dem Delikatessenladen, den uns ihre Brotherren wöchentlich oder monatlich aufsperren, sind sie so ziemlich die einzige Delikatesse.

 

Noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten entstehen nach den Gedichten von Pierre Louÿs Les Chansons de Bilitis acht zweifarbige Lithographien, eine Hommage an die lesbische Liebe, sowie Tuschezeichnungen von der Tänzerin Valeska Gert (1892-1978) für die Zeitschrift Jugend. Die Flaneurin par excellence verewigt das Milieu, die Licht- und Schattengestalten der Cafés und Clubs, der Cabarets und Travestie-Etablissements. Sie skizziert mit einer gewissen Vorliebe Frauen, die auch Frauen lieben. Ob sie selbst der lesbischen Liebe zuneigt, ist dabei unklar. Ihre Schwester Mimi, die gegen Ende der 1920-er Jahre das Malen nahezu aufgibt und als Sekretärin arbeitet, lebt jedenfalls mit einer Frau, Henriette Goldenberg, zusammen.

 

War es bei Max Herrmann-Neiße (1886-1941) neben seinen Texten auch die auffällige Gestalt, die Maler wie George Grosz (1893-1959) und Otto Dix (1891-1969) faszinierten, interessierte sich Jeanne Mammen ganz allgemein für Frauen, und im speziellen für die exzentrischen Tanzpantomimen der skandalumwitterten Valeska Gert: Ein Tanz über die letzten Atemzüge eines Menschen, eine zum brünstigen Frauengeheul tanzende Salome, eine sadistische Heimleiterin für gefallene Mädchen, die ihre kaum bekleideten Schutzbefohlenen mit Turnübungen zu Ekstase und Orgasmus treibt. Der Kunsthistoriker und Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie Eberhard Roters (1929-1994) konstatierte später: Die künstlerische Haltung der beiden Frauen stimmt überein.

 

Exkurs (Peter Hahn)

 

Mitten in den Vorbereitungen für die Berliner Festwochen 1977 erreichte uns am 22. April 1976 die Nachricht vom Tod von Jeanne Mammen. Diese September-Festwochen sollten ein Spiegel der 20er Jahre“ sein. Es war für uns keine Frage, dass nun erst recht Valeska Gert „dabei“ sein musste. Ein mühsamer Weg, bis es gelungen war, sie aus ihrem Sylter Ziegenstall zu locken. Dabei waren wir eigentlich schon 1927 von Max Herrmann-Neiße vorgewarnt worden: Gert zerstört allen erotischen und sentimentalen Schwindel, ist von ganz überlegener, elementarer Laszivität, vernichtet die Tillerei und die pseudopariser Diseusenallüre in Daumierischen Ausmaßen.

 

Am Abend des 6. September 1977 bekam das Publikum im Renaissance-Theater davon eine Ahnung. Der Aspekte-Chef Walter Schmieding (1928-1980) hatte als Moderator einiges zu tun, um Valeska Gert zu bändigen und die versammelten Zeitgenossen vor ihren Attacken zu schützen. Immer wieder ICH, ICH, ICH, immer wieder, habe ICH zuerst getanzt, habe ICH zuerst kreiert – und alle anderen haben es dann geklaut“. Dabei hatte keiner von ihnen ihre Verdienste bestritten.

 

Nachzuvollziehen ist, dass Jeanne Mammen von dieser Frau fasziniert war. Ihr Gemälde Valeska Gert, entstanden vor 1929, wurde erst kurz nach ihrem Tod 1977 von der Berlinischen Galerie erworben. Dass sich das Werk im Besitz der Künstlerin und in ihrem Atelier Kurfürstendamm 29 befand, so in dem Essay Vom Wedding nach Montmartre der Kunsthistorikerin Camilla Smith, spricht vielleicht für die Wertschätzung, die Mammen Valeska Gert entgegenbrachte. An jenem 6. September gelang unserer Fotografin Erika Rabau die historische Aufnahme der versammelten Zeitzeugen (von links) Wolfgang Stresemann, Gabriele Tergit, Max Colpet, Walther Schmieding, Valeska Gert, Alexa von Porembski, H. H. Stuckenschmidt, Werner Finck, Erwin Bootz, Käte Haack, Mischa Spoliansky, Axel Eggebrecht – mittendrin mit Hut Valeska Gert. Überglücklich beschenkte mich Erika Rabau noch spät in der Nacht mit diesen Fotos. Mach damit, was du willst. Das war immer ihr Spruch. Am 10. April 2016 ist Erika Rabau in Berlin gestorben. Erika, ich danke Dir.

 

 

PS

Die Jeanne-Mammen-Gesellschaft wurde als gemeinnützige Nachlassgesellschaft nach ihrem Tod im Jahr 1976 amtsgerichtlich eingetragen. Zu den Gründern gehörte der Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie Eberhard Roters. Der Nachlass von Jeanne Mammen wurde 2003 als Stiftung in den Bestand des Stadtmuseums Berlin überführt. Das Wohnatelier der Künstlerin am Kurfürstendamm wird derzeit (noch) in seinem Originalzustand unterhalten und ist auf Anfrage zugänglich.