Er war 42 Jahre ev. Pfarrer davon 28 Jahre in Friedenau


Anlässlich des 150. Geburtstags von Pfarrer Paul Vetter am 16. Oktober lädt die Ev. Kirchengemeinde Zum Guten Hirten zu zwei Veranstaltungen herzlich ein: Montag 14. Oktober 2019 19.30 Uhr in der Kirche Zum Guten Hirten, Friedrich-Wilhlem-Platz, 12161 Berlin
Vortrag von Dr. Hansjörg Buss, Historiker: Der Friedenauer Bekenntnispfarrer Paul Vetter (1869-1938)
anschließende Eröffnung der Ausstellung Erinnern Gedenken Bewahren Befragen

 

Mittwoch 16. Oktober 2019 17 Uhr, Friedhof Stubenrauchstraße, Kapelle, Stubenrauchstraße 34–45, 12161 Berlin

Gedenkfeier zum 150. Geburtstag von Pfarrer Paul Vetter
Mitwirkende: Claudia Bühler, Vorsitzende des Gemeindekirchenrats; Superintendent Michael Raddatz, (Ev. Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg);
Pfarrer Peter Martins und Pfarrer Michael Wenzel; Friedenauer Posaunenchor, Leitung: Michael Knake

 

Viele Jahre war das Grab von Pfarrer Paul Vetter in einem unwürdigen Zustand. Schließlich wurde auch noch das Grabkreuz gestohlen. Vor dem 150. Geburtstag des lange vergessenen Pfarrers fanden sich Friedenauer, sammelten Geld und sorgten dafür, dass das schwarze Granit-Kreuz mit der Inschrift Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn von Steinmetzmeister Andreas Knurbien wieder hergestellt wird.

 

Bilder zu den Stationen des Grabes vom 5. Oktober 2006 bis zum 23. September 2019:

 

14. und 16. Oktober 2019

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Foto-Dokumentation vom Grab des Pfarrers Paul Vetter

 

 

Hier ruht Pfarrer Paul Vetter. Er war 42 Jahre ev. Pfarrer, davon 28 Jahre in Friedenau.

 

Über den schlimmen Zustand des Grabes von Pfarrer Paul Vetter (1869-1938) auf dem Friedhof Stubenrauchstraße haben sich viele gewundert – auch die Kirchengemeinde Zum Guten Hirten, der mehr oder weniger vorgehalten wurde, sich nicht um die Grabstelle zu kümmern.

 

Paul Vetter wirkte 28 Jahre in Friedenau. Nicht zu bestreiten ist, dass Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Kirchengemeinde den Seelsorger vergessen hatten. Erst am 26. Oktober 2018 machte der Historiker Hansjörg Buss deutlich, welchen Anfeindungen Paul Vetter im Kirchenkampf während der nationalsozialistischen Zeit zwischen Deutschen Christen und Bekennenden Christen ausgesetzt war. Er wurde von den drei der NSDAP nahestehenden Friedenauer Pfarrern denunziert und an den Pranger gestellt. Am Grab von Paul Vetter konnte auf Grund der neu hinzugekommenen Inschriften davon ausgegangen werden, dass für die vernachlässigte Anlage ein Nutzungsrecht besteht.

 

Gemeindepfarrer Peter Martins ist es nun gelungen, etwas Licht in die leidige Angelegenheit zu bringen. Offensichtlich ist das Nutzungsrecht für das Grab von Paul Vetter in den 1970er Jahren abgelaufen. Danach wurde es von den Familien Gurgas bzw. Hoffmann für eine Neubelegung erworben. Der Grabstein von 1938 mit dem Namen Paul Vetter, dem Kreuz-Spruch Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn sowie dem Hinweis auf Psalm 73, 23 und 24 wurde nicht abgeräumt. Die Hinterbliebenen begnügten sich für die Erinnerung an ihre Verstorbenen mit einer schlichten Schrifttafel am Grabsockel. Das allein verdient Respekt!

 

Über die dort bestatteten Toten ist nun bekannt: Susanne Gurgas geb. Hoffmann wurde um 1880 im Lothringisch-Saarländischen geboren. Die konfessionell römisch-katholisch geprägte Frau kam in den 1920er Jahren nach Berlin. Die Familien Gurgas und Hoffmann sollen irgendwie mit dem Bäckerhandwerk verbunden gewesen sein und im Westen Berlins 1948 wieder einen gut gehenden Bäckerei-und Konditoreibetrieb eröffnet haben.

 

Dabei könnte es sich nach unseren Recherchen um die Bäckerei und Konditorei Leo Gurgas in der Joachim-Friedrich-Straße Nr. 6 in Halensee gehandelt haben. Demnach könnte davon ausgegangen werden, dass Susanne Hoffmann mit Leo Gurgas verheiratet war, der in den 1970er Jahren verstorben ist und dort bestattet worden sein soll. Sein Name taucht auf der Grabtafel nicht auf. Seine Ehefrau Susanne starb Anfang der 1990er Jahre. Mehr ist nicht bekannt.

 

Joseph Hoffmann, geboren am 13.12.1910, war der Bruder von Susanne. Er soll in den 1930er Jahren nach Berlin gekommen sein. Er heiratete Lieselotte (geborene N.N.) und wurde damit der Stiefvater des heutigen Nutzungsberechtigten, dessen leiblicher Vater schon früh im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Der Ehemann von Lieselotte Hoffmann soll erst Anfang der 1950er Jahre aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden und dann in das gemeinsame Geschäft zurückgekehrt sein. Joseph Hoffmann starb 2004 und wurde durch das Bestattungshaus Otto Berg mit einer Sargbestattung beigesetzt. Lieselotte Hoffmann, geboren am 17.4.1917 in Berlin, ist 2009 im Alter von 91 Jahren verstorben und in einer Urnenbestattung beigesetzt worden.

 

Danach hatte der heutige Nutzungsberechtigte die Tafel mit der Inschrift anbringen sowie Grabstein und Kreuz restaurieren lassen. Ob beim Ausheben des Grabes für die Neubelegung noch Gebeine gefunden wurden, ist nicht bekannt. Sollten diese noch vorhanden gewesen sein, dann wurden diese entsprechend dem Friedhofsgesetz unter der Sohle des neu aufgeworfenen Grabes versenkt. Acht Jahrzehnte nach dem Tod von Paul Vetter ist damit die neuere Grabgeschichte einigermaßen geklärt.

 

Offen bleibt die Frage, was die Kirchengemeinde Zum Guten Hirten tun wird, wenn am 16. Oktober 2019 der 150. Geburtstag von dem lange vergessenen Pfarrer Paul Vetter ansteht. Angemessen wäre, das schwarze Granit-Kreuz mit der Inschrift Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn wieder zu ersetzen und mit Psalm 73, 23 und 24 auch an das Schicksal dieses Seelsorgers in dunkler Kirchenzeit zu erinnern:

 

Ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Frevlern so gut ging. Sie brüsten sich wie ein fetter Wanst, sie tun, was ihnen einfällt. Sie höhnen und reden böse, sie reden und lästern hoch her. Was sie reden, das soll vom Himmel herab geredet sein; was sie sagen, das soll gelten auf Erden. Darum läuft ihnen der Pöbel zu und schlürft ihr Wasser in vollen Zügen. Hätte ich gedacht: Ich will reden wie sie, siehe, dann hätte ich das Geschlecht deiner Kinder verraten.

 

Pfarrer Paul Vetter

Paul Vetter (1869-1938)

 

Paul Vetter wurde am 16. Oktober 1869 in Berlin geboren. Er besuchte das Friedrich Wilhelm-Gymnasium, studierte Theologie an den Universitäten Tübingen, Halle und Berlin, wo er seine theologischen Prüfungen ablegte. Er genügte seiner Militärpflicht beim Inf.-Regiment Nr. 35 in Brandenburg. Von 1893 bis 1895 war er ordentliches Mitglied des Königlichen Predigerseminars in Wittenberg. Danach ging er als Vikar nach Frankfurt an der Oder. Dort lernte er die Tochter von Superintendent Alexander Röhricht kennen. Es wurde geheiratet. Der Ehe sind ein Sohn und drei Töchter entsprossen. Zu ergänzen ist, dass Vetters Eltern von 1895 bis 1907 in der „Rheinstraße 19, I. Etage“ wohnten und nach ihrem Tod „auf dem hiesigen Friedhofe beigesetzt wurden“.

 

Nach einer Station als Vikar an der Berliner Lutherkirche wurde Vetter am 1. Januar 1898 zum Pfarrer in Velten ernannt. Über 12 Jahre hat er dort gewirkt. Vor seinem Weggang bereitete die 7000 Seelen umfassende „Ofenstadt“ ihm und seiner Frau einen „ehrenden Abschied“. Er wäre „gerne geblieben, wenn ihn nicht die Ausbildung seiner Kinder veranlasst hätte, von hier fortzugehen, da hier höhere Schulen noch fehlen“.

 

Am 12. Juni 1910 wurde Paul Vetter zu den Pfarrern Görnandt und Kleine als dritter Geistlicher der Kirchengemeinde „Zum Guten Hirten“ in sein Amt eingeführt. Zugegen war alles, was Kirche und Ort an Personal aufzubieten hatte: Aus Teltow war Superintendent Konsistorialrat Schaper erschienen, umrahmt von Gemeindekirchenrat, Parochialverein und Ev. Arbeiterverein. Das „politische“ Friedenau war mit Bürgermeister Walger nebst Gemahlin, den Schöffen Bache und Lichtheim, den Gemeindevertretern Hendrich, Kunow und Matthies sowie den Schuldirektoren Busch, Hannemann und Lorenz vertreten.

 

Konsistorialrat Schaper nahm sich die Apostelgeschichte 18, 9-10 vor: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit Dir, und niemand soll sich unterstehen, Dir zu schaden, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt." Derart aufgemuntert, war Pastor Vetter gewillt, „dieses Amt getreu dem Gelübde und im Namen Jesu Christi zu verwalten“. Vetter konzentrierte sich in seiner Antrittspredigt auf den Apostel und seinen Dienst an der Gemeinde. Er wolle nicht den Buchstaben, sondern den Geist predigen: „Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“

 

Auf das Kaiserreich folgten Weimarer Republik und NS-Regime, das mit der Einführung des „Arierparagraphen“ in die Kirchenverfassung den Ausschluss von Christen jüdischer Herkunft in der Evangelischen Kirche besiegelte. Gegen die Übernahme politischer Ideologien und staatlicher Totalitätsansprüche wehrte sich die „Bekennende Kirche“. In der Kirchengemeinde „Zum Guten Hirten“ aber bildete die am „Führerprinzip“ orientierte rassistische Gruppierung der „Deutschen Christen“, die den Protestantismus an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte, die Mehrheit.

 

Ob Paul Vetter – wie Friedrich Weißler (1891-1937) oder Friedrich Justus Perels (1910-1945) – eine engere Bindung zur „Bekennenden Kirche“ hatte, ist nicht nachweisbar, auch nicht, ob er von den Nationalsozialisten mit einem Predigtverbot belegt wurde. In der am 22. Juli 1937 von der „Bekennenden Kirche“ veröffentlichten „Fürbittenliste“ für „suspendierte Pfarrer“ bzw. „mit Schreib-, Predigt- und Redeverbot (auch für kirchliche Räume) belegte Geistliche“ ist er nicht aufgeführt. Die Dominanz der „Deutschen Christen“ in der Kirchengemeinde „Zum Guten Hirten“ war für Pfarrer Vetter sicher nicht einfach. Es ist davon auszugehen, dass Paul Vetter weiterhin Bediensteter der Landeskirche blieb. Bis zu seinem Tod im Jahr 1938 wohnte er im Gemeindehaus Kaiserallee 76/76a. Es wäre an der Zeit, das Wirken von Paul Vetter in Friedenau näher zu beleuchten.

 

Der Fall Paul Vetter

 

Im Rahmen der Festivitäten zum 125. Kirchweihjubiläum Zum Guten Hirten hielt der Historiker Dr. Hansjörg Buss am 26. Oktober 2018 einen Vortrag zum Thema „Getrennte Wege - Die Kirchengemeinde Zum Guten Hirten" zur Zeit des Nationalsozialismus“. Die anschließende Diskussion mit dem doch recht zahlreich erschienenen Publikum machte deutlich, dass über die Rolle der Kirchengemeinde in dieser dunklen Zeit ein erheblicher Bedarf an Aufklärung besteht. Herr Dr. Buss hat den Vortrag überarbeitet und zur Veröffentlichung auf dieser Website zur Verfügung gestellt. Danke!

 

Sie finden den Vortrag auf nachfolgender PDF.

 

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Der Friedenauer Lokal-Anzeiger veröffentlichte am 13. Juni 1910 einen Bericht zur Einführung des Herrn Pfarrers Vetter. Sie finden das Original auf der angefügten PDF.

 

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