Die Geschichte der Bennigsenstraße ist kompliziert. Mit dem Allerhöchsten Erlaß vom 9. November 1874 wurden die Grenzen der Gemeinde Friedenau festgelegt. Nach Norden war das die südliche Seite des Bahndammes der Ringbahn bez. des an derselben entlang führenden Weges (als Straße 43b eingetragen). Nach Westen war es die Grenze zwischen den Gemarkungen Friedenau und Schöneberg, die sogenannte Grenzstraße, die 1875 in Lauterstraße umbenannt wurde. Vorausgegangen war eine (vorläufige) Einigung zwischen dem Friedenauer Landerwerb- und Bauverein auf Actien und den Terrainbesitzern Maurermeister Heinrich Lehmann, Steinsetzmeister August Nitze, Baumeister Ewald Utz sowie dem Berlin-Charlottenburger Bauverein. So kam es, dass bei der Straße 43b die Grundstücke Nr. 1 & 2 und Nr. 26 & 27 zu Friedenau und Nr. 3 bis Nr. 25 zu Schöneberg gehörten. Am 3. Januar 1903 erhielt die Straße 43b den Namen Bennigsenstraße, benannt nach Rudolf von Bennigsen (1824-1902), dem Mitbegründer der Nationalliberalen Partei Deutschlands, der für die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung eintrat. Nach der Annexion des Kurfürstentums Hannover durch Preußen wurde er in den Norddeutschen Reichstag gewählt. Als Vertrauensmann Bismarcks nahm er an den Verhandlungen in Versailles Von 1867 bis 1898 war er Abgeordneter des Norddeutschen Bundes, des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Deutschen Reichstages.

 

Im Adressbuch von 1905 werden für das Friedenauer Terrain die Neubauten Nr. 1 von den Eigentümern Maurermeister E. Haak (Schöneberg) und für Nr. 2 von Architekt H. Kriegel (Berlin) aufgeführt. Nachdem die Kanalisation fertiggestellt war, wurde am 27. Februar 1905 die Sperrung der Lauterstraße von der Hähnelstraße bis zur Ringbahn und der Bennigsenstraße von der Lauterstraße bis zur Schöneberger Grenze aufgehoben. Da 1906 Hähnel-, Lauter- und Bennigsenstraße ein sehr schlechtes Pflaster aufzuweisen hätten, wurde von der  Schöneberger Außerordentliche Verwaltung, Abteilung XIII aus den Überschüssen früherer Rechnungsjahre Mittel für den Straßenbau bereitgestellt. Am 10. Oktober 1907 meldete der Friedenauer Lokal-Anzeiger: Ein neuer Stadtteil ist jetzt an der Friedenauer Straße im Entstehen begriffen. Hier befand sich bisher ein großer Holzplatz und ein freiliegendes Grundstück, das vor einiger Zeit noch Ackerland war, dann aber zur Anlage einer kleinen Laubenstadt und von Spielplätzen verwendet wurde.

 

1903 wurde die Fregestraße als Gemarkungsgrenze zwischen Friedenau und Schöneberg amtlich festgelegt. Ab 1940 zählten zu Friedenau 1 bis 5 und 23 bis 27, zu Schöneberg 6 bis 22. Mitte der 1950er Jahre kam die ganze Straße zum Ortsteil Friedenau.

 

Blick in die Bennigsenstraße vor 1905. Archiv Rüdiger Barasch
Blick in die Bennigsenstraße nach 1910. Archiv Rüdiger Barasch
Friedenau, 1901

Friedenau, 1901

Das Areal zwischen Ringbahntrasse, Lauterstraße und Friedenauer Straße (Hauptstraße) war auf dem Plan von 1901 noch weitgehend unbebaut. Eingezeichnet waren Bennigsenstraße, Hähnelstraße und Stierstraße. Entlang der Gemarkungsgrenze zwischen Friedenau und Schöneberg war an der damaligen Grenzstraße (später Lauterstraße) nur die rechte zu Friedenau gehörende Straßenseite der Lauterstraße teilweise bebaut.

 

 

Friedenau, 1910

Friedenau, 1910

Auf dem von Stadtbaumeister Gerlach veröffentlichten Übersichtsplan der Stadt Schöneberg von 1909 existieren auf der nördlichen Seite der Bennigsenstraße die Häuser Nr. 13 & Nr.14, Nr. 19 sowie Nr. 23 bis 25. Auf der südlichen Seite sind die Häuser Nr. 1 bis Nr. 5 sowie das Haus an der Ecke Bennigsen- und Friedenauer Straße bereits errichtet. Für die grün eingezeichneten Grundstücke lagen seinerzeit offensichtlich noch keine Bauanträge vor.

 

Bennigsenstraße Nr. 4, 1930er Jahre. Archiv Thärichen

Bennigsenstraße Nr. 4

 

1865 Grundstückseigentümer Maurermeister Heinrich Lehmann aus der Hähnelstraße Nr. 16 und Steinmetzmeister August Nitze aus der Friedenauer Straße Nr. 42 (später Hauptstraße). Die heutigen Grundstücke Nr. 3-32 gehörten bis 1906 zur Gemarkung Schöneberg. Baugesellschaft Warthestraße, Sitz Neue Friedrichstraße Nr. 76

 

Am 16. April 2017 erhielten wir aus dem Oberbayerischen folgende E-Mail: Ich arbeite seit einigen Monaten an einer Familienchronik für meine beiden Töchter. Ich habe nun mit großen Freude Ihr Buch „Friedenau - Geschichte & Geschichten“ gelesen und ich bin begeistert, zumal die Bennigsenstraße darin vorkommt. Ich bin Jahrgang 1943 und in der Bennigsenstraße 4 aufgewachsen, in der Albestraße zur Schule gegangen und habe 1962 an der Rheingauschule mein Abitur gemacht. An das in Ihrem Buch erwähnte Fabrikgebäude der Firma Thom kann ich mich noch gut erinnern.

Das Haus Bennigsenstraße Nr. 4 hat mein Großvater, der Böttchermeister Friedrich Hermann Thärichen am 8. September 1906 für 116.000 Mark käuflich erworben. Verkäufer waren Frieda und Gertrud Haack, Töchter des Töpfermeisters Wilhelm Haack. Aus dem Grundbuch gehen als Vorbesitzer oder Erbauer noch ein Maurermeister Heinrich Lehmann, Hähnelstraße Nr. 16, und ein Steinmetzmeister August Nitze, Friedenauer Straße Nr. 42 oder 48 hervor. (Lehmann und Nitze waren bereits seit 1865 Besitzer). Ebenso wird eine Baugesellschaft Wartestraße, Neue Friedrichstraße Nr. 76, erwähnt.

Meine Großmutter Auguste Luise Thärichen hat in der Bennigsenstraße 4 im Erdgeschoss links nach dem Tod ihres Mannes im Oktober 1909 - vielleicht auch schon vorher - eine Vorkosthandlung betrieben, wie lange weiß ich nicht, aber an die Lagerräume unter der Wohnung im Erdgeschoss kann ich mich noch erinnern.

 

Zum Grundstück Bennigsenstraße Nr. 4 stellte uns Herr Thärichen folgende Informationen zur Verfügung: Kauf am 8. September 1906. Durchgeführt beim Notar Sprenkmann. Verkäufer: Frieda Haack. Gertrud Haack, minderjährig, vertreten durch den Vater Töpfermeister Wilhelm Haack. Käufer: Hermann Thärichen, Böttchermeister. Kaufpreis: 116.000,- Mark. Finanzierung: 110.000,- Mark übernommene Hypotheken; 1.000,- Mark Barzahlung; 5.000,- Mark abgetretene Hypothekenforderung auf Grundstück Oranienburg Band II Nr. 845; Im Grundbuch eingetragene Forderungen: 29.000,- Mark Kaufgeld für Maurermeister Heinrich Lehmann undSteinmetzmeister August Nitze zu gleichen Teilen 87.000,- Mark für die Baugesellschaft Warthestraße.

 

 

Tod von Hermann Thärichen am 05.10.1909. Umschreibung auf Louise Thärichen geb. Göhle am 29.11.1915; 14.05.1929 Umstellung der Hypotheken; Als Folge der Inflation von 1923 wurden die Hypotheken neu bewertet: alt 29.000,-/neu 7.250,- Mark; alt 71.000,-/neu 17.750,- Mark = alt 100.000,- /neu 25.000,- Mark. Darlehen eines Mieters (Gustav Heckendorf) am 08.07.1930 über 3000,- Mark. Öffentliches Darlehen der Stadt Berlin am 06.06.1934 über 3000,- Mark. Tod von Louise Thärichen am 20.04.1945. Erbauseinandersetzungsvertrag der fünf Geschwister am 02.03.1948. Verkauf des Anteils von Bernhard Thärichen am 14.05.1953. Er verkauft seinen Anteil von 1/5 für 2.500,- DM an Horst Thärichen, den Sohn von Walter Thärichen. Dieser übernimmt auch die auf dem Anteil liegenden Hypothekenlasten. Verkauf an Installateurmeister Martius am 17.02.1966.

 

ePaper
Kaufvertrag von 1906. Bennigsenstraße 4. Archiv Thärichen

Teilen:

ePaper
Auszug aus dem Grundbuch von 1906. Bennigsenstraße 4. Archiv Thärichen

Teilen:
Bennigsenstraße Nr. 4 am 23.04.2019. Foto Hahn & Stich

HIER ENTSTEHEN EIGENTUMSWOHNUNGEN

… und Mietwohnungen werden vernichtet!

 

Die Firma Irith Nehls Immobilien mit Sitz in der Babelsberger Straße Nr. 6 in 10715 Berlin hätte auf ihre Plakataktion am Haus Bennigsenstraße Nr. 4 lieber verzichten sollen. Das überdimensionierte Transparent vor dem Fenster der inzwischen leergezogenen Erdgeschosswohnung mit der in Versalien gehaltenen Aufschrift HIER ENTSTEHEN EIGENTUMSWOHNUNGEN ist eine Provokation. Nur Tage später wurde der Text handschriftlich ergänzt: … und Mietwohnungen werden vernichtet!

 

Noch ist es in Friedenau nicht so weit wie in Friedrichshain und Kreuzberg, wo Menschen über Mietenwahnsinn, Wohnungsnot und Verdrängung zu einer längst überfälligen Mobilisierung gefunden haben, und Politiker vor dem 1. Mai aus Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen kurz vor der Räumung doch den Immobilien-Investor beispielsweise das Haus Liebigstraße Nr. 34 schnell noch vom Land Berlin kaufen lassen wollen.

 

Das rot-grüne Schöneberg hat noch nicht registriert, dass sich auch in Friedenau ein Unmut der Anwohner auftut. Schon wird diskutiert, ob Friedenau eine neue Bürgerinitiative mit einem Verkehrskonzept, Einbahnstraßen, mehr Spielstraßen, 30-15-KM-Begrenzungen, Durchfahrtsverbote, Umleitungen braucht. Befürchtet wird ein Desaster für alle Anwohner. Werden wir ein Masseneinfallstor für die Friedenauer Höhe? Bereits jetzt gibt es stetig steigende Zahlen von Autos und LKWs, die den Kiez als Abkürzung nutzen (Bundesallee/Wexstraße/Hauptstraße, bereits jetzt ein großes Ärgernis.

 

 

Bezirksbürgermeisterin Schöttler (SPD) bevorzugt derzeit Reisen in Begleitung: Oktober 2018 nach Nahariya mit Kühnemann (SPD), Zander-Rade (GRÜNE), Steuckardt (CDU), März 2019 Charenton-le-Pont mit Böltes (SPD), Heiß (GRÜNE), Lipper (FDP), Sielaff (CDU), Rutsch (DIE LINKE) sowie Fechner und Schuster und April 2019 nach Luckenwalde – oder sie eröffnet ein Nachbarschaftsfest vor dem Rathaus Schöneberg mit tollen Acts und dem Hinweis, dass es eine aktive Nachbarschaft gibt, die vom Engagement der Menschen lebt. Wer hat ihr nur den Text geschrieben?

 

Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung Jörn Oltmann (GRÜNE) liefert derweil Zahlen über die Entwicklung der Baulandpreise (13.03.2019): Zum Siedlungsgebiet um den Friedrich-Wilhelm-Platz (allgemeines Wohngebiet W, Geschossflächenzahl GFZ 2,0) teilt er mit: Der Preisanstieg liegt bei rund 430 % (gegenüber 2018 bei rund 25 %). Die Tabelle der Bodenrichtwerte (BRW) zeigt auf: BRW 2014 = 720 €; BRW 2015 = 850 €; BRW 2016 = 1200 €; BRW 2017 = 2100 €;BRW 2018 = 3000 €; BRW 2019 = 3800 €.

 

Dazu sein Kommentar: Die Entwicklung ist nach wie vor besorgniserregend, weil sich immer weniger Menschen diese hohen Preise leisten können. Deshalb ist unsere Strategie richtig für Neubau zu sorgen und andererseits bezahlbaren Wohnraum durch soziale Erhaltungsgebiete zu schützen. Für ein gemeinwohlorientiertes Wohnungswesen könnte die Bundesregierung wesentlich mehr machen und erreichen. Er schiebt den Schwarzen Peter von sich und lässt von seinen Fachbereichen Stadtplanung, Bauaufsicht, Denkmalschutz, Vermessung, Geoinformation und Quartiersmanagement in der Bennigsenstraße Nr. 4 die Umwandlung von 17 Mietwohnungen in 17 Eigentumswohnungen genehmigen.

 

Irith Nehls Immobilien freut es. Das Geschäft läuft. Aus ihren Referenzen geht hervor, dass über das Büro Begasstr. 6 (Mehrfamilienhaus in zentraler Lage), Bornstr. 10 (Mehrfamilienhaus in attraktivem Kiez), Bundesallee 61 (Wohnen und Gewerbe am Bundesplatz), Görresstr. 30 (Eckhaus in beliebtem Kiez), Hauptstr. 65 (Repräsentatives Bürohochhaus), Homuthstr. 6 & 6A (Mehrfamilienhäuser in Familienkiez), Mainauer Str. 7 (Schönes Eckhaus mit gewerblicher Nutzung), Schwalbacher Str. 2 (Mehrfamilienhaus in ruhiger Lage), Südwestkorso 70 (Wunderschön saniertes großes Eckhaus) und Südwestkorso 77 (Mehrfamilienhaus mit Gewerbeeinheiten) abgewickelt wurden.

 

Das rot-grüne Bezirksamt von Tempelhof-Schöneberg sollte endlich zur Kenntnis nehmen, dass 54,4 Prozent der Deutschen zur Miete leben. Eine aktuelle Analyse stellt fest, dass dies so bleibt, trotz vielfältiger Finanzierungsmöglichkeiten, niedriger Zinsen und einer insgesamt guten wirtschaftlichen Lage der meisten Bürger. Dafür seien deutsche Wohnunterkünfte bei nationalen und internationalen Investoren zunehmend beliebt. Ausschlaggebend seien die positiven ökonomischen Perspektiven in Deutschland im allgemeinen, die günstigen Aussichten für den Wohnungsmarkt und eine zunehmende Konzentration auf die prosperierenden Städte wie Berlin, wo die Preise in einem Jahr um fast um fast zehn Prozent zulegten. Der Quadratmeter kostet dort durchschnittlich 3.510 Euro. In Deutschland braucht es 4,7 Bruttojahresgehälter, um eine neue Wohnung mit 70 Quadratmetern Wohnfläche zu finanzieren.

 

Bennigsenstraße 7. Foto Hahn & Stich, 2022

Bennigsenstraße Nr. 7

 

In den Jahren 1911/12 entstanden die Häuser Bennigsenstraße Nr. 6 bis Nr. 9. Den Bau von Nr. 6 und Nr. 7 besorgte das am Bayerischer Platz Nr. 2 ansässige Baugeschäft von A. Blank. Kaum waren die 15 Mieter eingezogen, wurde in der Bennigsenstraße Nr. 7 in aller Frühe der Bauunternehmer Alfred Milk aus Schöneberg in der Wohnung seiner Geliebten von der Polizei aus dem Bett heraus wegen Bauschwindels verhaftet und nach Moabit gebracht. Im Friedenauer-Lokal-Anzeiger standen Details: Er besaß keinen Pfennig, verstand es aber doch, Bauterrains zu erwerben und auf diese große Summen als Baugeld aufzunehmen. Natürlich hatte er gar nicht die Absicht, die Terrains zu bebauen, ihm kam es nur darauf an, die Baugelder zu erschwindeln. Bei diesen Schwindelmanövern soll er sich auch gefälschter Urkunden bedient haben. Milk soll kostspielige Beziehungen zur weiblichen Lebewelt unterhalten haben und dadurch auf die schiefe Ebene gedrängt worden sein.

 

 

Die Zahl seiner Opfer ist eine sehr große. Die erschwindelte Bausumme beträgt mehr als 100 000 M. Über die Verhaftung erfahren wir noch folgendes: Wilk, ein erst 24 Jahre alter Russe, spielte mit dem erschwindelten Gelde hier den Lebemann, hielt sich ein Rennpferd und war auf allen Rennplätzen ständiger Besucher. Er hatte noble und kostspielige Passionen. Seiner Geliebten hatte er eine Wohnungseinrichtung von 15.000 M. gekauft. Wilk war in letzter Zeit der Boden in Berlin zu heiß geworden, und er entschloss sich zu einer Reise ins Ausland. Seine Gläubiger hatten hiervon aber Wind bekommen und erwirkten einen Haftbefehl. Bei seinen Schiebungen soll er Helfershelfer gehabt haben. Gegen diese dürfte gleichfalls vor gegangen werden.

 

Thomsche Fabrik um 1930

Bennigsenstraße Nr. 23-24

Baudenkmal Fabrikgebäude & Einfriedung

Entwurf Peter Vogler

1904-1905

 

In der Bennigsenstraße 23-24 errichtete der Architekt Peter Vogler 1904-07 in zwei kurz aufeinander folgenden Bauabschnitten das viergeschossige, dreizehnachsige Gebäude der Bauklempnerei Paul Thom. Diese Firma war 1899 in Berlin gegründet worden und übersiedelte 1904 nach Friedenau in den zuerst fertiggestellten westlichen Bauabschnitt des Fabrikgebäudes. 1907 konnte der zweite Bauabschnitt bezogen werden. Im westlichen Bauteil waren die Bauklempnerei und vermietbare Räume untergebracht, im östlichen die Treib- und Montagewerkstatt sowie die Verwaltung. Das Fabrikgebäude mit einer Grundfläche von 46 x 15 Metern ist als Mischkonstruktion ausgeführt: Die Außenmauern und eine Mittelstützenreihe tragen die Decken (Kappen- und Betondecken).

 

 

 

 

 

Die beiden Bauabschnitte unterscheiden sich in der Straßenfassade auch äußerlich voneinander: Der erste Bauabschnitt mit sechs Achsen zeigt eine strenge, gleichmäßig durch Pfeiler und Fenster gegliederte Fassade, aus der nur die Treppenhausachse am Westgiebel etwas vortritt; der zweite Bauabschnitt mit sieben Achsen ist durch zwei Standerker und eine ungleichmäßigere Befensterung sehr viel unruhiger und malerischer gegliedert. Der eine Erker nimmt die Hofdurchfahrt auf, der andere das zweite Treppenhaus. Hinzu kommt noch die überlebensgroße Skulptur eines Schmieds auf einer Konsole am ersten Obergeschoß vor einem Pfeiler zwischen zwei Fenstern. Die bronzene Skulptur, die die Züge des Firmengründers trägt, wurde von der Firma Thom selbst ausgeführt; sie erscheint in der Achse der Stierstraße und weist schon von weitem auf die Bauklempnerei hin. Topographie Friedenau, 2000

 

Mit der Bau-Polizei-Ordnung von 1887 wurde auch für die Vororte der Bau von Häuser mit einer Höhe von 12 bis 22 Meter erlaubt. Nicht gestattet war der Bau von Mietskasernen, Hinterhöfen und Fabriken. Der Architekt Peter Vogler ging beim Neubau der Bauklempnerei Paul Thom kein Risiko ein. Noch heute ist kaum wahrzunehmen, dass sich hinter der vielfältig gegliederten Sichtziegelfassade eigentlich ein Industriebau verbirgt.

 

Die 1899 gegründete Bauklempnerei Paul Thom war im Geschäft. Ihre ornamentalen Arbeiten in Stahl, Kupfer und Zink waren gefragt, für Kirchen, Staatsbauten, Kasernen, Warenhäuser. Referenzen von Siemens und dem Warenhaus Wertheim in der Leipziger Straße gab es ohnehin. Das großzügig angelegte Industriegebäude in der Bennigsenstraße demonstriert den Erfolg. An die metallene Geschichte erinnert die überlebensgroße und in antikischer Pose herabschauende Skulptur eines Schmieds auf einer Konsole am ersten Obergeschoss. Auf den zweiten Blick werden an der Fassade mit der eingearbeiteten Architekturplastik die in Vergessenheit geratenen klassischen Symbole des Schmiedehandwerks in Erinnerung gerufen: Amboss, Hammer, Zange und Biegegabeln.

 

Eigentümer Thom betrieb eine geschickte Firmenstrategie. In der schwierigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg produzierte er den Musterkatalog Metallkonstruktionen mit zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen auf ganzseitigen Tafeln, in dem en détail das gesamte Produktionsangebot präsentiert wurde – inklusive gedruckten Konstruktionsplänen für gezogene Rohrsprosse, kittlose Oberlichte, Rinnen, Dachfenster, Luftschächte, Jalousieklappen, Rauch- und Staub-Absaugeleitungen sowie Turmuhrgehäuse für Kirchen und Wohnhäuser.

 

Schon frühzeitig offerierte er Gewerberäume zur Miete, neben Künstlerateliers für Metallbildhauer gab es Produktionsstätten der Firmen Besser & Kämmerer (Elektrotechnische Bedarfsartikel), R. Rendorf, Medizinische Instrumente, Sommer & Runge, Werkstätten für Mechanik, . Deutsche Hartmetall-Werkzeug-Gesellschaft Friedenau, Pharmazeutische Fabrik R. Morsch & Co sowie die Dr. C. Schleußner AG für Photographische Platten, Filme und Papiere, ein chemisches Laboratorium, in dem sich am 13. November 1913 ein schweres Explosionsunglück ereignete, über das die Lokalpresse berichtete:

 

In feuersicheren, den polizeilichen Vorschriften entsprechenden Räumen bewahrt diese Firma den für ihren Betrieb notwendigen Äther und Alkohol in Ballonen auf. Beim Abfüllen von Aether fiel nun ein Ätherballon zu Boden und die entströmenden Äthergase entzündeten sich an einem entfernten Feuer, so daß eine Explosion erfolgte. Hohe Flammen schossen auf, wodurch auch noch andere Ätherballone zur Explosion kamen. Die Schöneberger Feuerwehr wurde herbeigerufen, die das Feuer schnell löschte. Bei der Explosion sind leider auch einige Personen verletzt worden. Besonders der Zustand eines Chemikers der Firma Schleußner ist bedenklich. Außerdem wurden zwei weitere Angestellte dieser Firma und ein Arbeiter der Firma Paul Thom erheblich verletzt. Sämtliche Verletzte fanden Aufnahme im Schöneberger Krankenhaus. Ferner ist noch ein Pferd und ein Hund durch die Flammen versengt worden.

Nachträglich wird uns über das Explosionsunglück noch folgendes berichtet: Der Ätherbehälter platzte in dem für die Aufbewahrung dieser Flüssigkeit bestimmten Raume, der neben einem Stalle liegt, in welchem sich außer dem Kutscher des Geschäfts ein Pferd und ein Hund befanden. Die Äthergase verbreiteten sich über die ganzen Räume, drangen auch ins Freie und entzündeten sich an einem in einer entgegengesetzten Ecke des Hofes stehenden Koksofen. Im gleichen Augenblick schoss eine riesige Stichflamme über den Hof und in das Stallgebäude. Der mit dem Ätherfüllen beschäftigte Chemiker erlitt so schwere Brandwunden, dass er sofort ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Dem Kutscher wurden Bart, Kopfhaar und Augenbrauen abgesengt, außerdem erlitt er Brandwunden an den Händen. Dem Pferd wurde das Fell und der Schweif fast vollständig versengt. Der Hund wurde weniger verletzt. Durch die Explosion entstanden erhebliche Risse im Mauermerk des Gebäudes und es ist immerhin noch von Glück zu sagen, dass das Unglück nicht noch größeren Umfang angenommen hat.

 

Das Haus in der Bennigsenstraße Nr. 23-24 hat inzwischen einige Nachnutzungen erlebt. 1989 zog nach denkmalgerechter Rekonstruktion die Vereinte Versicherung AG  ein. Um dem Mangel an Parkplätzen in Friedenau abzuhelfen, wurde dem neuen Eigentümer auferlegt, im Kellergeschoss  Parklift Garagen einzurichten. Nachdem die Vereinte 1996 von der Allianz übernommen wurde, betrachtete man die mit der Baugenehmigung getroffene Vereinbarung für Parklift Garagen als hinfällig. Dabei blieb es auch nach der Übernahme des Gebäudes durch die Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH Katharinenhof.

 

Bennigsenstraße 25. Foto Hahn & Stich, 2019

Bennigsenstraße Nr. 25

 

Von den in der Bennigsenstraße einst wirkenden Firmen ist nur das Chemische Laboratorium Dr. Kurt Richter GmbH geblieben. Wohl nicht mehr lange. Im April 2019 verlagerte die Firma ihren kompletten Laborbetrieb an den neuen Standort Sperenberger Straße Nr. 3 in Marienfelde, wodurch die Laboratorien für Chemie, Mikrobiologie und Zellbiologie nun etwa auf die vierfache Größe wuchsen. In diesem Rahmen ergänzte das Unternehmen sein Know-how nicht nur um ein biotechnologisches Labor. Man investierte zudem in neue Geräte für chemisch-analytische, mikrobiologische und zellbiologische Untersuchungen.

 

Das Haus ist um 1910 als Fabrikgebäude entstanden. Als Eigentümer ist C. Otto Nachfolger, Fabrik für Heizkörperverkleidungen, und als Mieter Dr. Statius & Co GmbH, Photographische Papiere, eingetragen. 1930 sind es als Eigentümer Graphika GmbH, Buchdruckmaschinen, und als Mieter Gesellschaft für elektrische Schreibmaschinen GmbH, Karder System GmbH Kartothekeinrichtungen sowie Polygraphika GmbH, Graphische Maschinen. 1943 ist das Gebäude im Besitz von Ww. J. Risch Zehlendorf, Schemmstraße Nr. 18, Mieter sind Deutsche Teer- und Asphalt Schotterwerke GmbH Niederlassung Berlin, Deutscher Acetylenverein e. V., Opitz & Loppe Buchhandlung, Straßenbau AG Niederlassung Berlin und Verband für autogene Metallbearbeitung. Als Hauswarte sind L. Hoffmann und A. Schöne tätig. 1955 hat die Chemische Laboratorium Dr. Kurt Richter GmbH ihren Sitz in W 35, Bendlerstraße. 1965 erscheint die Firma erstmals in der Bennigsenstraße Nr. 25.

 

Das unabhängige, privat geführte Unternehmen wurde 1926 in Berlin gegründet. Nach eigenen Angaben hat die Firma eine lange Tradition in der Herstellung und weltweiten Vermarktung biologisch aktiver kosmetischer Wirkstoffe aus natürlichen Rohstoffen zur Haut- und Haarpflege. Von der Forschung, gestützt durch Wirksamkeitsstudien über die Umsetzung der Daten in innovative Konzepte bis hin zur Produktion, werden Produkte mit hohem Qualitäts- und Sicherheitsstandard entwickelt. Ausgehend von unserer Erfahrung bedienen wir uns gleichwohl der neuesten Methoden und Technologien und erarbeiten zusammen mit unseren Kunden maßgeschneiderte Konzepte für ihre speziellen Anforderungen. Das Ergebnis unserer Arbeit: kosmetische Wirkstoffe, die wirksam, relevant, sicher und natürlich sind. Wohl auch deshalb firmiert die Chemische Laboratorium Dr. Kurt Richter GmbH heute ohne den Begriff Chemie kurz als CLR.

 

Zu erwarten ist, dass das Grundstück demnächst verkauft wird und die fünf Etagen plus Dachgeschoss in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Zu hoffen ist, dass auf dem über die Toreinfahrt erreichbaren geräumigen Hof ausreichend Parkplätze für die neuen Friedenauer geschaffen werden. In absehbarer Zeit wird dann auch das für die LKW-Anlieferung vorgesehene Parkverbotsschild verschwinden.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 1909

Bennigsenstraße Nr. 26

 

Vor kurzem sind die Eigentümer von Bennigsenstraße Nr. 26 in ihrem Grundbuch über eine Merkwürdigkeit gestolpert. Demnach sind unsere Vorgärten zu irgendeinem unbestimmten Zeitpunkt des Verkaufes nicht übertragen worden und so stehen diese Flächen im Grundbuch eingetragen unter dem Namen ‚Gutsche, Dachdeckermeister‘. Die Nachricht hat uns überrascht und veranlasst, unser Material zu durchforsten.

 

 

 

 

 

Der Dachdeckermeister Rudolf Gutsche taucht in Friedenau 1901 erstmals als Eigentümer des Grundstücks Lauterstraße Nr. 28 (später Nr. 35) auf. Am 21. September 1906 berichtet der Friedenauer Lokal-Anzeiger:

 

Ausschreitungen bei einer Arbeitseinstellung waren den Arbeitern Louis Deutscher, Mohre und Przybylla zur Last gelegt. Wegen Bedrohung von Arbeitswilligen mußten sich die drei Genannten vor dem Schöffengericht Berlin-Schöneberg verantworten. Auf einem hiesigen Neubau arbeiteten die Angeklagten bei dem Dachdeckermeister Gutsche. Sie wollten bei der Lohn-Abrechnung den Arbeitstag mit 11 Stunden berechnen, während ihnen G. nur 9 Stunden pro Tag berechnete, weil er ihnen Mittags- und Frühstückspausen nicht mitbezahlen wollte. Infolge der Weigerung des G. legten sie die Arbeit nieder. Dem G. gelang die Einstellung anderer Arbeiter. Diese wurden nun von den Arbeitsverweigerern belästigt bei der Fortführung der Arbeiten, Gutsche erbat vom Friedenauer Amt polizeiliche Hilfe, die ihm auch gewährt wurde. Polizei-Wachtmeister Meier, von mehreren Polizeibeamten unterstützt, brachte die Arbeitsverweigerer und Störenfriede zunächst vom Bau fort. Sie gingen in ein nahebei belegenes Schanklokal und hielten Kriegsrat. Nach einer Kunstpause erschienen sie vereint wieder auf der Straße und begannen die Belästigungen der Arbeitenden unter Bedrohung von Neuem. Darauf hatte der gesetzesschützende Polizeiwachtmeister mit seinen Mannschaften nur gewartet. Die Störenfriede wurden nun festgenommen, zur Feststellung ihrer Persönlichkeiten zur Friedenauer Polizeiwache gebracht, und dort vorläufig kaltgestellt. — In der Verhandlung vor dem Schöffengericht erklärte Amtsanwalt Puppe, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht Bedrohung, sondern versuchte Nötigung der Arbeitswilligen vorliege und daß daher nicht das Schöffengericht, sondern die Strafkammer die zuständige Instanz für die Entscheidung der Sache sei. Dem Antrage des Amtsanwalts gemäß erklärte sich das Schöffengericht für unzuständig und verwies die Sache an die Strafkammer des Landgerichts ll.

 

1909 war der Neubau Bennigsenstraße Nr. 26 bezogen. Eigentümer Rudolf Gutsche, inzwischen Rentier und nach Lichterfelde gezogen. Am 20. Oktober 1909 berichtet der Friedenauer Lokal-Anzeiger von der Erteilung einer Vollmacht zur Auflassung von Straßenland. Die nördliche Hälfte des Straßenlandes zur Bennigsenstraße ist noch nicht an die Gemeinde aufgelassen worden. Der jetzige Eigentümer, Herr Dachdeckermeister Gutsche, hat sich mit der Übereignung einverstanden erklärt. Wir ersuchen daher die Gemeindevertretung, dem Obersekretär Borck Vollmacht zur Entgegennahme der Auflassung erteilen zu wollen. Das Straßenland trägt die Grundbuchzeichnung Band XXVIII Blatt 1301 Parzelle Nr. 2942/50, Größe 398 Quadratmeter.

 

Rudolf Gutsche verstarb im April 1915. Bis 1927 blieb das Anwesen Bennigsenstraße Nr. 26 zuerst im Besitz von Witwe Henriette Gutsche, später der Gutsche’schen Erben. Als Eigentümer folgten die Feinbau Maschinen AG (1923) und ab 1929 Rechtsanwalt Dr. K. Magnus aus Berlin. Erstaunlich, dass die Vorgärten bis heute nicht übertragen wurden.