Mit dem Friede von Frankfurt wurden Elsass und Lothringen 1871 dem deutschen Kaiserreich angegliedert. Ein Jahr nach Gründung von Friedenau würdigte der Gemeindevorstand dieses Ereignis am 22. Oktober 1875 mit einer Umbenennung der bisherigen Grenzstraße in Lauterstraße, benannt nach der Lauter, einem Nebenfluss des Rheins. Vorausgegangen war eine (vorläufige) Einigung zwischen dem Friedenauer Landerwerb- und Bauverein und den Schöneberger Terrainbesitzern über den Verlauf der Gemarkungsgrenze. Waren bisher nur 16 Grundstücke im Besitz der Friedenauer Landerwerb- und Bauverein-Actien-Gesellschaft, so hatte die Lauterstraße danach 33 Grundstücke mit diversen Eigentümern. Nachdem 1903 die Fregestraße als Grenze zwischen den Gemarkungen Friedenau und Schöneberg amtlich festgelegt wurde, bestand die Lauterstraße aus 40 Grundstücken. Die 570 Meter lange Lauterstraße beginnt an der Bennigsenstraße am Bahndamm der Ringbahn und führt am Lauterplatz (Breslauer Platz) vorbei bis zur Kreuzung mit der Schmargendorfer Straße. Sie gehört zu den ersten angelegten Straßen von Friedenau und wurde von Anfang bis Ende beidseitig mit Linden bepflanzt.

 

Lauterstraße: Ruinenfotos

 

Von kaum einer anderen als der Lauterstraße sind so viele Ruinenfotos erhalten, die in den Jahren 1950 bis 1956 vom Fotographen Herwarth Staudt gemacht und in der Sammlung Staudt des Museums Schöneberg erhalten sind. Erst vor wenigen Jahren wurden sie durch eine Digitalisierung öffentlich. Wir veröffentlichen diese Aufnahmen mit den vom Museum angegebenen Bildunterschriften. Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir nicht in jedem Fall die Zuordnung von Motiv und Hausnummer überprüfen konnten.

 

Straube's Schutzmarke

Lauterstraße Nr. 5-6

Julius Straube (1832-1913)

 

Julius Straube begann mit 15 Jahren eine kartographische Lehre. Als die ersten Blätter von Reymann’s topographischer Special-Karte von Central-Europa gedruckt waren und das preußische Militär die Detailgenauigkeit lobte, las man in den Einzelblättern der Regierungs-Bezirke Arnsberg und Küstrin – revidirt v. Jul. Straube. Berlin war mit den Eingemeindungen von Wedding, Gesundbrunnen, Moabit und Teilen von Schöneberg und Tempelhof größer geworden. Straube gründete das  Geographisches Institut und Landkartenverlag Julius Straube.

 

1864 veröffentlicht er Straube’s Berliner-Omnibus Fahrplan. Mit Einführung der Berliner Postbezirke erscheint 1873 Straube’s Postplan, der die postalische Gliederung Berlins dokumentierte. 1874 kommt Straube’s Neuester Plan von Berlin mit den Königl. Preuss. Standes- und Amtsbezirks-Superintendentur- und Parochie-Grenzen auf den Markt im Auftrage des Magistrats nach amtlichen Materialien bearbeitet und herausgegeben von Julius Straube. 1876 folgt Straube’s Plan von Berlin mit nächster Umgebung. 1878 erschien Straube’s Neuester Plan und Führer von Berlin, Charlottenburg und Westend nebst einem Verzeichnis der Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude, Bade-Anstalten, Ball-Locale, Concerthäuser und Gärten, Skating-Rink, Consulate, Gasthöfe, Gesandtschaften, Polizei-Revier-Bureaux, Post- und Telegraphen-Aemter, Rohrpostämter, Sehenswürdigkeiten, Theater u. ein gefalteter Plan. Der Plan zeigt das Gebiet von der Jungfernheide (Reh-Berge) im Nordwesten und dem Weissensee im Nordosten, über Wilmersdorf hinaus im Südwesten bis zum Bahnhof Treptow im Südosten und zeigt die einzelnen Straßen mit Hausnummern. Am Kartenrand mit 2 Extrakarten (Charlottenburg von der Spree bis zum Lietzensee und Siedlung Westend). Auf dem hinteren Broschurdeckel der Tarif für die Droschken I. und II. Klasse, resp. Gepäckdroschken etc. sowie der Sehenswürdigkeiten Berlins.

 

Julius Straubes Verlag war der Marktführer unter den Kartographischen Anstalten Berlins. Dann aber kamen Baedeker (1878), Pharus 1902, Kiessling (1913) und Grieben (1927), die ihre Karten preiswert über die Geographische Anstalt von Wagner & Debes Leipzig oder die Lithographische Anstalt von Leopold Kraatz Berlin erwarben.

 

Straube, inzwischen 73, übergab seinem Sohn Benno den Verlag, und zog 1904 in den von der Architektengemeinschaft Klitscher & Afdring erstellten Neubau Lauterstraße Nr. 5 & 6. Benno Straube wusste nicht, wie er der Konkurrenz begegnen sollte. Von nun an erschienen vornehmlich überarbeitete Ausgaben, die nur mit Zuschüssen – wie vom Städtischen Vermessungsamt des Magistrat der Stadt Wilmersdorf erscheinen konnten. 1909 wird für die 25. Auflage von Straube‘s Märkisches Wanderbuch noch einmal der Schriftsteller Dr. phil. Gustav Albrecht (1865-1912) herangezogen, der bereits seit 1879 für Vater Julius immer wieder die100 Nachmittags-Ausflüge in die Umgegend von Berlinbearbeitet hatte. Fast schon verzweifelnd auch die Werbung: Jeder Liebhaber kartographischer Leistungen wird die Karte mit Wohlgefallen betrachten und auch kaufen.

 

Am 18. Oktober 1913 wurde über das Vermögen des Verlagshändlers Benno Straube das Konkursverfahren eröffnet. Wenige Tage später verstarb am 24. Oktober 1913 der Verlagsgründer Julius Straube. Am Nachmittag des 28. Oktober 1913 fand die Beisetzung auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße statt. Sein Grab ist längst eingeebnet. Das Haus in der Lauterstraße Nr. 5-6, in dem Julius Straube seit 1904 wohnte, wurde im Zweiten Weltkrieg zur Ruine und in den 1950er Jahren durch einen Neubau ersetzt.

 

Straubes Publikationen sind, abgesehen von den kartographischen Meisterwerken des Friedrich Wilhelm Karl Graf von Schmettau (1743-1906), auch nach über einhundert Jahren ein Genuss. Google Maps, OpenStreetMap und Navi sind bequem. Eine Karte können sie nicht ersetzen.

 

Turmuhrwerk von 1909 im Gymnasium am Maybachplatz. Foto Hahn & Stich, 2019

Lauterstraße Nr. 12 & 13

Franz Ludwig Löbner (1836-1921)

 

Kaum hatten wir ein Foto vom Uhrwerk der Turmuhr des Gymnasiums am Maybachplatz veröffentlicht, erreichte uns eine interessante Mail: F. L. Löbner war mit Sicherheit nicht der Hersteller dieser Uhr, sondern hat sie von einem Turmuhrenlieferanten erworben und dann eventuell abgeändert. Turmuhrspezialisten vermuten als Hersteller Ed. Korfhage aus Buer bzw. J. W. Weule aus Bockenem. Die Uhr des Gymnasiums wird allerdings sowohl in den Referenzlisten von Löbner als auch von Weule erwähnt. Am einfachsten wäre es, eine der angeschraubten Leisten mit der Signatur von Löbner abzuschrauben und zu schauen, was darunter steht.

 

Das möchten wir den Fachleuten überlassen, die auch schon herausfanden, dass mehr als 90 Prozent der von F. L. Löbner angebotenen Uhren von anderen Herstellern stammten, darunter die hochfeine, seltene Sprungdeckeluhr (Savonnette), Qualität 1A, Werk Nr. 46915, Geh. Nr. 46915, 54 mm, 133 g, die 1901 von A. Lange & Söhne Glashütte als Sonderanfertigung für Löbner gefertigt wurde. Offeriert hatte Löbner auch Sekundenpendeluhren, die mit F. L. Löbner signiert, aber anhand der Nummerierung als Werke der Firma Strasser & Rohde in Glashütte identifiziert wurden.

 

Zu den Löbnerschen Kuriositäten gehörte 1894 auch der Ewigen Kalender im Lesesaal des Reichstags, eine Uhr, die neben Tag, Datum, Monat auch Jahreswechsel und Mondphasen für die nächsten 2000 Jahre anzeigte. Ziemlich optimistisch. Mit dem Reichstagsbrand 1933 wurde der Ewige Kalender zerstört. Löbner kreierte auch eine Musiktaschenuhr mit ewigen Kalender und Mondphasen, die alle Stunden die englische Nationalhymne spielt.

 

Der gelernte Uhrmacher Franz Ludwig Löbner zog 1857 von Torgau nach Berlin und eröffnete in bester Geschäftslage die Uhrenfabrik F. L. Löbner in der Potsdamer Straße. In Annoncen verkündete er später Spezialist für astronomische und elektrische Uhren. Der nächste gute Riecher folgte mit der Wahl seines Wohnortes. Unmittelbar nach Gründung der aufstrebenden Landhauskolonie Friedenau erwarb er 1876 in der Lauterstraße Nr. 7 ein Grundstück, auf dem er sich eine zweigeschossige repräsentative Villa errichten ließ. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte der inzwischen 60 Jährige vom Uhrengeschäft wohl genug. Löbner verkaufte sein Geschäft in der Potsdamer Straße – allerdings als F. L. Löbner, Inhaber Uhrmacher Otto Fritz.

 

Rentier Löbner machte nun in Immobilien. Er kaufte an der Ecke zur Niedstraße die Grundstücke Lauterstraße Nr. 12 & Nr. 13. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger verkündete am 21. April 1899: Ein großer Neubau soll auf dem Grundstück Ecke Nied- und Lauterstraße, dem Herrn Löbner in Friedenau gehörig, ausgeführt werden. Mit dem Abriss der bisherigen Häuser wird schon im Mai begonnen werden.

 

So einfach ging es dann doch nicht voran. Wie aus einem Leserbrief vom 19. November 1909 hervorgeht, wurde die in der Niedstraße Nr. 5 ansässige Firma H. Denecke & Co in einer konzertierten Aktion der benachbarten Hausbesitzer Imme, Seder und Nehrkorn (aus der Niedstraße) mit permanenten Anzeigen wegen Geräuschbelästigung gezwungen, den Betrieb nach Lankwitz zu verlegen. Der Gemeindevorstand, befragt, was unter ortsüblichen Geräuschen zu verstehen ist, erklärte in einem Bescheid: Hierüber könne man sich nicht äußern.

 

1902 war der Neubau Lauterstraße Nr. 12 & 13 von 14 Wohnparteien bezogen. Die Läden im Erdgeschoss waren verpachtet, was die Friedenauer so brauchten, Confitüren, Delikatessen, Uhrmacher, Barbier, Schneider. Anfang März 1906 wurde im Eckbau das Kaufhaus Leo Bry eröffnet.

 

Die Gemeindeverordnetenversammlung konstatierte, dass das Straßenbild Friedenaus entschieden durch mietskasernenähnliche Bauten leide. Fraglich sei es allerdings, ob die bauprüfende Instanz sich herbeilassen werde, ex officio in dieser Richtung Ratschläge zu erteilen. Allgemein war man der Ansicht, dass der Bausachverständige der Gemeinde in dieser Beziehung viel tun könnte. Gedankt wurde Herrn Löbner, dass er an seinem Neubau eine große Uhr angebracht hatte. Es sei zu wünschen, dass an der Uhr schwarze Zeiger angebracht werden und nicht wie an der Kirchturmuhr goldene, die man ebensowenig wie die goldenen Ziffern derselben erkennen könne.

 

1905 verkaufte Löbner das Anwesen Lauterstraße Nr. 7 für 61.000 Mark an seinen Nachfolger Uhrmacher Otto Fritz (1858-1925). Nach seinem Tod übernahm Sohn Johannes Fritz die Firma. Das Grundstück blieb bis in die 1940er Jahre im Besitz der Familie Fritz. 1943 ist Fuhrunternehmer Eschke Eigentümer. Franz Ludwig Löbner zog in die Lauterstraße Nr. 12 & 13, wo er am 16. Juni 1921 verstorben ist. Er wurde auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße beigesetzt. Das Grab existiert nicht mehr. Das Anwesen Ecke Nied- und Lauterstraße ging an die Löbner’schen Erben. In der Niedstraße Nr. 4 wohnte Witwe A. Löbner, in der Lauterstraße Nr. 12 & 13 der Sohn Ingenieur Hans Löbner.

 

Hans Löbner wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wiedergutmachungsantrag Bry gehört: Im Ermittlungsbericht vom 26. September 1955 heißt es u.a.: Herr Löbner kannte den Verfolgten sehr gut, da er ja viele Jahre in seinem Hause das Geschäft hatte und später das Geschäft im gegenüberliegenden Hause weiterführte. Herr Löbner erklärt, dass die Geschäfte des Verfolgten sehr gut gingen. Er führte Wolle, Wäsche, Gardinen, Kurzwaren, Bettfedern. Herr Löbner schätzt, dass dort ca. 80 Angestellte beschäftigt wurden. Herr Löbner bestätigt, dass in der Kristallnacht das Geschäft demoliert und die Waren geplündert wurden. Das Geschäft wurde nach der Kristallnacht nicht mehr geöffnet. Diese Angaben wurden von Frau Löbner bestätigt.

 

 

 

 

Kaufhaus Leo Bry am Lauterplatz, 1908

Lauterstraße Nr. 12-13

Kaufhaus Leo Bry

 

Das Biographische Handbuch des Auswärtigen Amtes enthält mitunter verkürzte Einträge. So auch für Ministerialrat Dr. jur. Walter Stahlecker (1900-1942), Mitglied der NSDAP seit 1. Mai 1932, der nach einer informatorischen Beschäftigung im Büro von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop im Juni 1941 Beauftragter des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes beim Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes Nord und Führer der Einsatzgruppe A (Baltikum) wurde.

 

Nicht erwähnt wird, dass Stahlecker im Herbst 1941 nahe der Bahnstation Skirotava das Konzentrationslager Riga-Jungfernhof einrichten ließ. Auf seinen Befehl hin wurden im November und Dezember 1941 Transportzüge mit 1053 Berliner Juden und weiteren mit 3984 Juden aus Stuttgart, Hamburg, Lübeck, Nürnberg und Wien nach Jungfernhof umgeleitet. Kommandant war SS-Oberscharführer Rudolf Seck (1908-1974). Ihm zur Seite stand SS-Sturmbannführer Dr. jur. Rudolf Lange (1910-1945), der neben Heydrich, Eichmann und Unterstaatssekretär Martin Luther vom Auswärtigen Amt in Vertretung seines Befehlshabers an der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 teilgenommen hatte. Nach Langes Rückkehr fanden im Februar, aber vor allem am 26. März 1942, sowohl in Jungfernhof als auch im Rigaer Ghetto Selektionen statt. Die deportierten Juden wurden in den Wald von Bikernieki transportiert. Nach Recherchen des lettischen Historikers Margers Vestermanis (geboren 1925) wurden im südlichen Teil des Waldes 42 Gruben mit einer Fläche von 2.338 Quadratmetern ausgehoben. Hier erfolgten die Massenerschießungen von 1942 bis 1944 – darunter Leo und Clara Bry.

 

 

Leo und Clara Bry lebten über drei Jahrzehnte in Friedenau, sie waren ganz und gar Friedenauer, obwohl Leo am 20. Januar 1881 in Schrimm (Provinz Posen) und seine Frau Clara geb. Rosendorff am 31. Januar 1887 in Usch (Provinz Pommern) geboren wurden. Es muss im Jahr 1907 gewesen sein, so genau lässt sich das nicht mehr herausfinden, als das frischvermählte Ehepaar die Mietwohnung in der Niedstraße Nr. 7 bezog. Dort wurde am 10. Januar 1908 Sohn Bruno geboren. An der Ecke Lauter- und Niedstraße wurde ein Ladengeschäft angemietet. Kurz zuvor hatte sich Leo Bry in das Handelsregister eintragen lassen: Kaufhaus Leo Bry. Manufaktur- und Modewaren. Lauterstrasse Nr. 12/13. Angeboten wurden Kurz-, Weiß- und Wollwaren, Gardinen, Teppiche, Damen- und Kinder-Konfektion und Herren-Artikel. Anfang März 1908 war die Eröffnung: Für Friedenau ein wahrer Schatz ist Kaufhaus Bry am Lauterplatz. Johannes Löbner von Löbner‘schen Erben, Eigentümer der Anwesen Niedstraße Nr. 4 und Lauterstraße Nr. 12/13 bekundete 1955, dass die Geschäfte sehr gut gingen und ca. 80 Angestellte beschäftigt waren.

 

Den Gewinn legten die Bry‘s in Immobilien an: Gritznerstaße Nr. 37/39 in Steglitz, Cranachstraße Nr. 12 in Friedenau, Jagowstraße Nr. 39 in Moabit sowie ein ca. 1.500 bis 2.000 qm großes Grundstück am See, bebaut mit einem Einfamilienhaus mit großer Terrasse, Bootssteg und Bootshaus in der Uferstraße Nr. 14 in Bad Saarow, das Leo Bry laut Schreiben vom 11. Oktober 1930 an den Gemeindevorstand von Bad Saarow am 14. Januar 1930 von Herrn Alfons Bernstein lt. Vertrag erworben habe, während mir der Besitztitel erst am 28. Mai 1930 vom Amtsgericht Beeskow zuging. Vorab hatte er bereits Grundstückszubehör-, Grunderwerbs- und Gemeindesteuern für ein ganzes Jahr bezahlt. Noch am 23. September 1938 erschien in der Jüdischen Rundschau eine Annonce des Kaufhauses Bry. Geworben wurde für Betten, Wäsche, Aussteuern, Gardinen und die Aufarbeitung für Daunendecken. Zwei Wochen später feierten die Nationalsozialisten die Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938. Hauseigentümer Johannes Löbner und seine Frau bestätigten 1955, dass in der Kristallnacht das Geschäft völlig demoliert wurde und die Waren geplündert wurden. Das Geschäft wurde nach der Kristallnacht nicht mehr geöffnet. Im Handelsregister des Jahres 1939 stehen für das Kaufhaus Bry nur drei Buchstaben Liq.– die Liquidation, das Ende.

 

Mit der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 wurde Juden auch auferlegt, ihren Grundbesitz zu veräußern. Dementsprechend genehmigte der Landrat des Kreises Beeskow-Storkow mit Schreiben vom 3. August 1939 den am 2. Februar 1939 vor dem Notar Dr. Walther Ulrich in Berlin-Friedenau, Rheinstraße Nr. 5, unter Nr. 60 Jahr 1939 der Urkundenrolle zwischen dem Juden Kaufmann Leo Israel Bry in Berlin-Wilmersdorf, Rüdesheimer Platz Nr. 7, und der Ehefrau Martha Schulze geborene Jäger in Berlin-Friedenau, Taunusstraße Nr. 15, abgeschlossenen Grundstückskaufvertrag. Gegenstand des Kaufvertrages ist das in Saarow, an der Uferstraße Nr. 14, belegene, im Grundbuche des Amtsgerichts Beeskow vor Saarow im Band 8 Blatt 199 verzeichnete Grundstück. Die Genehmigung wird mit der Maßgabe erteilt, dass der etwa noch bar zu entrichtende Teil des Kaufpreises auf ein Sperrkonto bei einer Devisenbank einzuzahlen ist, über das nur mit Genehmigung des für den Veräußerer zuständigen Oberfinanzpräsidenten verfügt werden darf.

 

Für den Aufenthalt von Leo und Clara Bry werden zwischen 1939 und 1942 die Anschriften Rüdesheimer Platz Nr. 7, Konstanzer Straße Nr. 7 und eine Pension in der Schlüterstraße genannt. Sohn Bruno Barton Bry (1908-1985) emigrierte 1939 mit seiner Frau Irina geb. Wiebering (1913-1991) in die USA – letzte Adresse 53 West 73 rd Street, New York 23 N. Y. Leo und Clara Bry wurden für den 19. Januar 1942 in die Große Hamburger Straße Nr. 27 bestellt. Im Gebäude der Jüdischen Oberschule erhielten sie das Dokument zur richterlichen Verfügung über den Einzug ihres Vermögens durch den Fiskus. Die Gedenkstätte von Yad Vashem vermerkt: Deported from Berlin on 19.1.1942. Die Initiative Jüdische Spuren in Bad Saarow verlegte am 22. Oktober 2010 vor dem Haus Uferstraße 14 zwei Stolpersteine.

 

Entschädigungssache Bry, 1954

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Ermittlungsbericht Bry, 1955

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Wiedergutmachungsverfahren Bry, Landhaus Bad Saarow

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Lauterstraße 14+15, Ecke Niedstraße 40+41, 19. 903. Archiv Rüdiger Barasch

Lauterstraße Nr. 14-15

Ecke Niedstraße Nr. 40-41

 

Das viergeschossige Eckhaus wurde 1901-02 nach Plänen des Architekten A. Schneider ausgeführt. Es beherbergte von 1902 bis 1918 das Postamt von Friedenau, bis der Neubau am Wilmersdorfer Platz (Renée-Sintenis-Platz) eröffnet wurde. Das historistische Eckhaus hat je einen straßenseitigen Treppenaufgang an den beiden Straßenfronten, die je zwei Wohnungen pro Geschoß erschließen. Die Hausecke wird durch einen auskragenden Erker betont, ist mit einer Attika überhöht und zeigt ein hohes Pavillondach (anstelle des ehemaligen, heute nicht mehr vorhandenen Turmbaus) mit einem vorgesetzten Quergiebel. Die beiden Straßenfronten werden durch asymmetrisch angeordnete Risalite mit hohen Quergiebeln, in die auch die Treppenhäuser einbezogen sind, gegliedert; sie bildeten das optische Gegengewicht zum Eckerker mit dem früheren Turmbau. In den äußeren Achsen der Straßenfassaden sind tiefe Loggien angeordnet. Zwischen den Risaliten und dem Eckerker kragen an beiden Straßenfronten noch je ein Erker und Balkons aus. Die Dekoration der Fassaden an Fenstern, Brüstungen und Attika ist zum großen Teil noch erhalten. Topographie Friedenau, 2000

Lauterstraße Nr. 34 & 33. Foto Hahn & Stich, 2020

Lauterstraße Nr. 33 & 34

Von der Molkerei zum Fuhrgeschäft

 

Es kommt selten vor, dass man in Friedenau ein Haus findet, das sich seit mehr als 125 Jahren ununterbrochen im Besitz von zwei Familien befindet. Angefangen hat es mit Ernst Hewald, Spross von Schöneberger Ackerbauern, die einst Kartoffeln und Getreide anbauten und Molkereien betrieben, und im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre Felder in begehrtes Bauland umwandelten, um mit dem Geld weiter entfernt liegende Grundstücke günstig kauften. Dazu gehörte auch das Anwesen Albestraße Nr. 31.

 

Im Frühjahr 1895 wechselten mehrere Grundstücke ihren Besitzer, darunter das Grundstück der Frau Dr. van Muyden in der Niedstraße Nr. 13 an einen Maler, gemeint war der Marinemaler Hans Bordt, und das Grundstück des Herrn Fuchs in der Niedstraße Nr. 35 an Herrn Molkereibesitzer Hewald. Das stand am 29. Mai 1895 auf der Tagesordnung der Friedenauer Gemeindevertretersitzung: Antrag des Gemeindevorstandes auf Genehmigung des mit dem Molkereibesitzer Hewald abgeschlossenen Kaufvertrages. Es ging um den Ankauf des Grundstücks, um dort den Bau von Schule sowie Amts- und Gemeindeverwaltung zu ermöglichen. Dagegen erhob sich Widerspruch: Das Grundstück sei auch unter Hinzunahme des Hewald‘schen für ein neues Schulhaus zu klein. Auch sei es nicht zweckmäßig, mindestens nicht schön, dass sich das Amtsgefängnis dicht bei den Schulklassen befände. Nicht im Interesse des Ortes sei es, Gemeinde-, Amts- und Schulverwaltung in einem Gebäudekomplex zu vereinigen. Wesentlich aber war, dass der Preis für das Hewald‘sche Grundstück zu hoch erscheine, für das Geld werde man ein unbebautes Grundstück von viel bedeutenderer Größe erhalten. Der Kauf-Vertrag wurde dennoch angenommen.

 

Ende September 1895 verlegte Ernst Hewald seine Molkerei von der Albestraße Nr. 31 nach der Niedstraße Nr. 35. Am 5. Oktober 1895 verkündete der Friedenauer Lokal-Anzeiger: Herr Molkereibesitzer Hewald hat den Bau seiner neuen Molkerei vollendet und sein neues Heim bereits bezogen. Man sieht, dass die Einrichtungen von praktischer Hand ausgeführt sind. Die Ställe für die Kühe sind luftig und gesund gebaut, mit vortrefflichen Ventilationsanlagen und es ist gleichzeitig Sorge getragen, dass das Vieh stets trocken und warm liegen kann. Ein Tierarzt wacht über die Gesundheit der Tiere, und ist es daher begreiflich, dass die zwei besten Kühe täglich bis 35 Liter Milch geben. Namentlich ist dafür gesorgt, dass stets gute Kindermilch zu haben ist, wozu auch viel die Trockenfütterung beiträgt. Jedenfalls hat Herr Hewald alles getan, um mit seiner Molkerei allen Ansprüchen der Neuzeit zu genügen.

 

Der nächste Umzug erfolgt 1903 von der Niedstraße Nr. 35 in das erworbene Anwesen Lauterstraße Nr. 34 – immer noch als Molkerei. Am 26. Mai 1906 heißt es dann: Im Hause Lauterstr. 34 hat Herr Ernst Hewald ein Fuhrgeschäft eröffnet. Wenn also die Friedenauer von hier aus Fuhrwerk gebrauchen, mögen sie sich vertrauensvoll an Genannten wenden. Da in der Zwischenzeit die Abfuhrgelder bedeutend gestiegen sind, Frau Pählchen verlange jetzt statt der 2600 M. 7750 M, hat die Gemeinde von verschiedenen Fuhrunternehmern Offerten eingeholt. Für alle Leistungen hat Herr Ernst Hewald (Fuhrgeschäft Lauterstraße 34) den Mindestpreis von 12760 M. geboten, dem dann auch die Arbeiten übertragen wurden. Herr Hewald gibt das Milchgeschäft auf und wird sich ausschließlich jetzt dem Fuhrwesen widmen, so dass er zu jeder Zeit, wenn nötig, ein Fuhrwerk stellen kann.

 

Am 18. März 1916 verstarb Ernst Hewald. Der seit vielen Jahren in Friedenau ansässige Fuhrunternehmer Ernst Hewald ist am Sonnabendnachmittag plötzlich einem Herzschlage erlegen. Er hatte zu Hause seinen Kaffee getrunken und war gutgelaunt, wie immer, nach seinem Ackerland an der Rubensstraße gefahren. Gegen 6 Uhr wurde er hier zwischen seinen Pferden liegend tot aufgefunden. Der ärztliche Befund stellte fest, dass Herr Hewald einen Herzschlag erlitten hatte, der seinen sofortigen Tod herbeiführte. Der nunmehr Verstorbene erfreute sich in unserer Gemeinde allgemeiner Beliebtheit. Seit vielen Jahren hat Herr Hewald die Gespanne für unsere Gemeinde und die Feuerwehr gestellt. Auch das Beerdigungsfuhrwesen nach unserm Waldfriedhof war ihm übertragen.

 

Nachfolger wurde Paul Hewald. Mitten im Weltkrieg hatte er mehr und mehr Schwierigkeiten, die erforderliche Anzahl von Pferdegespannen für die Beförderung von Leichen zum Waldfriedhof nach Gütergotz bereitzustellen. Am 30. Mai 1917 beantragte er bei der Gemeinde Friedenau die Änderung des Vertrags vom 27. 6. 1914. Er begründete sein Verlangen mit den außerordentlich hohen Löhnen, den Futtermittelpreisen, dem Mangel an Pferden und den im Fuhrwerksgewerbe bestehenden großen mit dem Kriege zusammenhängenden Schwierigkeiten sowie mit der großen Entfernung nach Gütergotz. Das alles mache es ihm unmöglich, mit den Vertragspreisen die Unkosten zu decken. Hinzuträte, dass er bei richtiger wirtschaftlicher Ausnutzung seiner Pferde für andere Zwecke jetzt bedeutend höhere Entschädigungen erhalten könne. Die Gemeinde erkannte die die Berechtigung der Hewaldschen Forderung an und beschloss: Dem Fuhrunternehmer Hewald wird unter Ausschluss aller anderen Unternehmer die Beförderung sämtlicher Leichen und Personen nach dem Waldfriedhof in Gütergotz übertragen. Für die Überführung von Kinderleichen ohne Benutzung des Kinderleichenwagens wird die Gebühr von 5 auf 12 M. einschließlich eines 20prozentigen Kriegszuschlages erhöht. Für alle anderen Vertragsleistungen in der Leichen- und Personenbeförderung einschl. der Verkehrsverbindung zwischen dem Bahnhof Stahnsdorf und dem Waldfriedhof tritt eine Erhöhung des Kriegszuschlages von 20 auf 40 Prozent unter Beibehaltung der Grundpreise ein. Die neuen Vereinbarungen treten am 1. Juni 1917 in Kraft.

 

Nach dem Ende des Kaiserreichs und mit der Weimarer Republik stand es wohl nicht gut um die Firma, obwohl Paul Hewald das Angebot um Braut-Equipagen, Monats- und Beerdigungsfuhrwesen, Fahrgeschäft erweitert hatte. Bereits 1919 wurde in der Lauterstraße Nr. 34 eine Pferdedroschke (mit Berlin Nr.) zum Verkauf angeboten. Irgendwann war Schluss. Es kam Ernst Eschke. Die weiteren Angaben zur Familie Eschke entnehmen wir der Firmenwebseite.

 

1. Generation Ernst Eschke

1910 Ernst Eschke erwirbt das „Lastfuhrwesen“ von Paul Hewald in der Lauterstraße 34 in Berlin-Friedenau. Kurt Eschke wird am 25. Februar geboren. 1928 Kurt Eschke wird als gelernter Bankkaufmann in der Firma angestellt. Das „Luxus-, Braut- und Beerdigungsfuhrwesen“ entsteht. Mitgliedschaft in der Fuhrgewerbeinnung zu Berlin. 1929 Die ersten Kutscher werden beschäftigt. 1940 Kurt Eschke und Erika Kallnbach heiraten am 6. April. 1945 Ein Maybach Bestattungswagen wird aus russischer Kriegsgefangenschaft requiriert. 1948 Helmut Eschke wird am 5. Juni geboren. 1957 Mitgliedschaft in der Bestatterinnung Berlin.

 

2. Generation Erika und Kurt Eschke

1970 Ernst Eschke verstirbt am 5. September. Erika und Kurt führen die Firma gemeinsam weiter. 1975 Robert Stolz (1880-1975) wird von Helmut Eschke nach Wien überführt. (Der Komponist und Dirigent starb im Alter von 94 Jahren bei Plattenaufnahmen in Berlin). 1982 Die „Kurt Eschke KG“ entsteht. 1983 Der Fuhrpark wird auf „Mercedes-Benz“ umgestellt. 1985 Kurt Eschke verstirbt am 13. Dezember. Erika Eschke führt die Geschäfte alleine weiter.

 

3. Generation Marion und Helmut Eschke

1989 Die ersten Überführungen im östlichen Berlin. 1992 Erweiterung der Klimaräume. 1994 Helmut Eschke und Marion Richter heiraten am 14. Juli. Marion Eschke tritt in die Geschäftsführung ein. 1995 Trägerdienste und Grabmachertechnik werden aufgenommen. 1996 Das Grundstück Lauterstraße 33 kann erworben werden. 1997 Erika Eschke verstirbt am 30. September. 1998 Ein Callcenter wird eingerichtet. 1999 Die renovierten „Büro- und Sozialräume“ werden bezogen. 2002 Janina Eschke wird Mitglied im Juniorenkreis der Bestatterinnung. 2004 Einweihung der „Feierhalle Frieden‘au“. 2005 Mitwirkung an der Beisetzung von Harald Juhnke. 2006 Mitwirkung am Staatsakt für den Bundespräsidenten a. D. Dr. Dr. h.c. Johannes Rau. 2007 Mitwirkung an den Beisetzungen von Klaus Jürgen Wussow und Prinz Wilhelm Karl von Preußen. 2008 Grabmachertechnik für das Grab der Familie Rathenau. Der Trägerdienst erhält Kleinbusse. 2009 Mitwirkung an den Beisetzungen von Otto Graf Lambsdorff und Erich Böhme.

 

4. Generation Patrik und Janina Eschke

2010 Jubiläumsfeier 100 Jahre. Janina Eschke tritt in die Geschäftsführung ein. 2011 Mitwirkung an den Beisetzungen von: Dietrich Stobbe, Curth Flatow, Erzbischof Georg Sterzinsky in der Hedwigskathedrale. 2012 Die „Kurt Eschke KG“ wird zu: „Eschke Bestattungsfuhrwesen GmbH & Co. KG“. Janina Eschke und Berthold Scholz heiraten am 5. Mai. Der Empfangsraum wird neu gestaltet. 2013 Der Fuhrpark wird erneuert.

 

Adressbuch von 1905

Lauterstraße Nr. 36

Boonekamp aus Friedenau

 

Das Foto vom Innenhof Lauterstraße Nr. 36 ist am 17. September 1955 von Herwarth Staudt im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg entstanden. Zu erahnen ist, dass die Weltkriegsbombe vom Wohnhaus nicht viel gelassen hatte. Irritierend ist, dass der Neubau in den Nachkriegsjahren anstelle des Hauseingangs eine Durchfahrt zum Hof erhielt – die allerdings auf die Geschichte des Grundstücks hinweisen könnte.

 

Das Haus Lauterstraße Nr. 36 erscheint im Adressbuch erstmals 1878 mit Eigentümer Maurermeiser Vorwiebe und Mieter Xylograph Brockerhoff. 1879 zieht die Lederwarenfabrik Kabelitz, aus der 1882 die Mostrichfabrik Kabelitz wurde. 1900 ging das Anwesen an den Fabrikanten A. Scholz. Als Mieter werden genannt Kanzleirat Grieswaldt, Kaufmann P. Lüttken und stud. jur. A. Scholz. 1903 geht das Anwesen an den Rechtsanwalt Dr. L. Möhring. Aus der Mostrichfabrik wird die Boonekamp Nachfl. F. W. Liebert sen. Tochter.

 

 

 

Boonekamp, ein Bitterlikör aus Genever und Kräutern, wurde um 1780 von einem holländischen Apotheker kreiert. 1846 entwickelte Hubert Underberg aus Rheinberg eine eigene Rezeptur, die unter dem Namen Boonekamp of Maagbitter aus dem Haus Underberg auf den Markt gebracht wurde. Mit dem Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen stellte sich 1894 heraus, dass die Kennzeichnung Boonekamp nicht zu schützen war. Underberg gab die Bezeichnung Boonekamp auf. Geblieben ist die in gelb-braunes Paper gewickelte Flasche, die vom Kaiserlichen Patentamt als Warenzeichen anerkannt und eingetragen wurde.

 

Fortan konkurrierten in Berlin diverse Boonekamp-Fabrikanten. Underberg eröffnete in der Friedrichstraße Nr. 237 Comptoir u. Lager, warb mit Hoflieferant Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. und empfahl seinen Kunden: Man verlange ausdrücklich Unterberg-Boonekamp.

 

Der Berliner Fabrikant des Maag-Bitter of Boonekamp sah das Treiben gelassen und verlegte die Produktion von Südende, Bahnstraße Nr. 17, nach Friedenau, Albestraße Nr. 36. Für die neue Fabrik des holländischen Boonekamp in der Lauterstraße fungierte für F. W. Liebert sen. Tochter als Inhaber Frau Dr. Catharina Möhring. So blieb es im Prinzip bis 1936 – Eigentümer Möhring’sche Erben sowie Boonekamp Nachf. F.W. Liebert sen. Tochter-Fabrik des holländischen Boonekamp. 1943 war mit dem Bitterlikör Schluss. Eigentümer des Grundstücks war die Inhaberin des Groß Berliner Wachdienst Beck & Co, Witwe E. Beck.

 

Blick vom Bahndamm in die Lauterstraße. Foto Hahn & Stich, 2020

Verlängerung der Lauterstraße

 

Die Bürgerinitiative Breslauer Platz hat manchen Schaden angerichtet. Zuerst sorgte sie für die Umwandlung des Bürgerplatzes vor dem Rathaus in einen Aufmarschplatz, dann warben Sprecher Joachim W. Glässel über Lautsprecher Ottmar Fischer (Friedenau bekommt ein Kind) für das Bauprojekt auf dem Bahndamm (Friedenauer Höhe), und schließlich forderte sie eine gestaltete Geländeanlage von der Lauterstraße hinauf zum künftigen westlichen Quartiersplatz, behindertengerecht, aber auch für Kinderwagen, Einkaufswagen und Radfahrer nutzbar, damit die Friedenauer Höhe nicht den Anschluss zu Friedenau verpasst.

 

Von dieser Bürgerinitiative könnte auch die Idee stammen, die neuen Straßen auf dem Bahndamm Lauterplatz und Hannah-Höch-Weg zu nennen. Die BVV von Tempelhof-Schöneberg nahm das auf und genehmigte die Benennungen am 19. September 2018. Sie sind seit 22. April 2020 rechtskräftig.

 

 

 

Auf Nachfrage ließ der Referent des Bezirksstadtrates für Stadtentwicklung am 27. November 2020 wissen, dass eine Bürgerbeteiligung bei Straßenbenennungen nicht vorgesehen ist, die Interessen werden ggf. durch die gewählten Vertreter (Bezirksverordnete) wahrgenommen. Im Übrigen ist für die Benennung Bezirksstadträtin Christiane Heiß zuständig. Diese wiederum tat am 1. Dezember 2020 kund, dass wir bei den (künftigen) öffentlichen Straßen entschieden hatten, diese zu behandeln, als wären sie schon öffentlich gewidmete Straßen, sodass wir die Entscheidung nicht allein dem Eigentümer überließen, sondern dem Bezirksamt nach Erörterung in der BVV bzw. des Kulturausschusses überließen.

 

Da sich die Berliner mit Giffeys Gute-Verwaltung-Gesetz noch gedulden müssen, sei die Ansicht des Bezirksamts mitgeteilt: Bei der Friedenauer Höhe handelt es sich um ein Privatgelände, bei dem der Eigentümer die Entscheidung über Straßennamen fällt. Ein Einspruch ist nicht möglich. Da hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Straßen künftig ins Landesvermögen übertragen und als öffentliches Straßenland gewidmet werden, ist die BVV für die Benennung der künftigen öffentlichen Straßen zuständig. Der Hannah-Höch-Weg nimmt Bezug auf die Dada-Künstlerin Hannah Höch, die von 1917 bis 1933 in der Büsingstraße 16 in Friedenau lebte. Der gewählte Name ‚Lauterplatz‘ hat einen Ortsbezug. Der neu entstehende Platz liegt im nördlichen Anschluss der Lauterstraße.

 

Vergessen ist, dass es den Lauterplatz bis 1964 gab. Nach dem Mauerbau wurde er in Erinnerung an die verlorenen Ostgebiete in Breslauer Platz umbenannt. Günter Grass schreibt vom Lauterplatz, auch Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Christoph Meckel. Und Alfred Bürkner erinnert in seinem vielzitierten Buch daran, dass der Lauterplatz von den Friedenauern nicht vergessen ist und seinen Widerhall in der vom Kabarettisten Wolfgang Neuss kreierten Bezeichnung ‚Breslauter Platz‘ findet.