Die 985 Meter lange Rheinstraße zwischen Breslauer Platz (vorher Lauterplatz) und Walter-Schreiber-Platz (vorher Rheineck) war ursprünglich Teil der „Provinzialchaussee Berlin-Potsdam“ bzw. der Reichsstraße 1 (Bundesstraße 1). Im Bereich der Gemarkung Berlin wurde die Trasse Potsdamer Straße genannt. Im Bereich der Schöneberger Gemarkung hatte der Straßenzug die Namen Dorfstraße, Gartenstraße und Potsdamer Straße, die 1881 auf der gesamten Länge in Hauptstraße umbenannt wurden. Der später zu Friedenau gehörende Straßenteil hieß von 1791 bis 1872 Potsdamer Chaussee und von 1872 bis 1875 Schöneberger Straße. Nach der Gründung von Friedenau wurde der Straßenabschnitt (in Erinnerung an den „Friede von Frankfurt“ von 1871) am 22. Oktober 1875 in Rheinstraße umbenannt. Ihre heutige Nummerierung erhielt die Rheinstraße etwa um 1893. Zu Friedenau zählen die Häuser 1 bis 38 und 43 bis 66. Die Häuser 40 bis 42 gehören zu Steglitz.

 

Die Häuser besaßen entsprechend den Carstennschen Plänen einer Landhaussiedlung ursprünglich Vorgärten. 1890 mussten sie mit der Einrichtung der Straßenbahnlinie von Steglitz zum Alexanderplatz weichen. Am 2. Mai 1963 wurde der Straßenbahnverkehr eingestellt. Es entstand der grüne Mittelstreifen, der teilweise in Parkflächen umgewandelt wurde. Seit 2016 gibt es (auf dem Papier) das „Bündnis Pro Straßenbahn“. Es fordert „den zügigen und umweltschonenden Ausbau des Straßenbahnnetzes für ganz Berlin“. Eine Strecke vom Alexanderplatz über Leipziger Straße, Potsdamer Platz und Innsbrucker Platz zum Rathaus Steglitz soll die Buslinien M48 und M85 ersetzen.

 

Ehemalige Badeanstalt der AOK Rheinstraße Nr. 9. H&S 2015

Rheinstraße Nr. 9

Mietshaus

Entwurf & Bauherr Architekt Oscar Haustein, 1897/99

Anbau im Innenhof

Baudenkmal Bad

Entwurf Architekt Hans Altmann, 1924/25

Bauherr AOK Schöneberg

 

Die Grundstücke 9 & 10 in der damaligen Schöneberger Straße waren seit 1876 im Besitz von Banquier A. Kaempf, Vorsitzender des 1871 gegründeten Landerwerb- und Bauverein auf Actien. In den folgenden Jahren sind diverse Molkereibesitzer als Eigentümer genannt. 1897/98 kam das Grundstück Nr. 9 (nun Rheinstraße) in den Besitz von Architekt Oscar Haustein, der sich am Friedrich-Wilhelm-Platz Nr. 1 ein Baubüro eingerichtet hatte. Er ließ den Vorgängerbau von 1876 abreißen und schuf den Entwurf für das das 1899 fertiggestellte Mietshaus. Einen Laden im Erdgeschoss pachtete Oskar Schieche für eine Posamenten- und Weißwarenhandlung. Später kam die Mehlhandlung Heinrich Grünthal hinzu.

 

1907 zog dort die Friedenauer Ortskrankenkasse ein. Nach 1919 kamen Ambulatorium, Badeanstalt und eine Zahnärztliche Klinik hinzu. Da der Raumbedarf größer wurde, entstand 1924/25 nach Plänen des Architekten Hans Altmann ein zweigeschossiger Anbau an den Ostgiebel des nördlichen Seitenflügels als Sichtziegelbau, dem zum Hof hin ein Souterrain vorgelagert wurde. Der Anbau mit einer Grundfläche von 8,5 x 6,5 Metern besteht im Erdgeschoss aus einem Empfangs- und Warteraum mit weißen Fliesen. Eine Treppe führt ins Obergeschoss und ins Souterrain. Im Obergeschoss ist ein tonnengewölbter, mit grünen Fliesen verkleideter Ruheraum untergebracht. Im Souterrain befindet sich ein ehemaliger Nassraum, der sich in den Hof vorschiebt und mit gelben Fliesen verkleidet ist. Die farbige Keramik ist im Stil des Art déco der Zeit reich ornamentiert. Die aufwendige, gestalterisch herausragende Keramik-Ausstattung der Räume macht diesen bescheidenen Anbau zu einem kleinen Meisterwerk des Architekten Altmann. Die heutige Nutzung des Anbaus ist nicht bekannt. Topographie Friedenau, 2000.

 

Rheinstraße 10. Foto Hahn & STich, 2018

Rheinstraße Nr. 10

Baudenkmal Mietshaus

Ausführung Emil Rösler

1896

 

Das viergeschossige Mietwohnhaus Rheinstraße 10 wurde 1896 nach Plänen von Emil Rösler in rotem Klinkermauerwerk mit ungleich langen Seitenflügeln errichtet. Die Straßenfassade zeigt beiderseits der Mittelachse breite dreiseitige Erker, die von Quergiebeln bekrönt werden, und in den äußeren Achsen Loggien. Zwischen den Quergiebeln sind zwei große Fenster angeordnet. Das Dach ist mit Schiefer gedeckt. Das Erdgeschoss wurde durch Ladenfronten stark überformt. Die Dekoration der Fassade in Formen der deutschen Neorenaissance ist im Lauf der Zeit vereinfacht worden.

Topographie Friedenau, 2000

Rheinstraße 11. Foto Hahn & Stich, 2018

Rheinstraße Nr. 11

 

Das viergeschossige Mietwohnhaus auf dem Grundstück Rheinstraße 11, das rückwärtig an das Grundstück Handjerystraße 72 stößt, wurde 1896 nach Plänen von Emil Rösler erbaut, das Haus auf dem angrenzenden Grundstück 1892-96 nach Plänen von James Ruhemann. Der Bauherr der beiden Wohnhäuser war Rudolf Straus. Die beiden Häuser umschlossen einstmals einen Doppelhof mit Gartenanlagen, seit den dreißiger Jahren sind die Höfe jedoch durch eine Mauer getrennt. Das Haus Rheinstraße 11 wurde - im Gegensatz zur Nr. 10 - in gelblichem Klinkermauerwerk errichtet. Die Straßenfassade ist wie die von Nr. 10 symmetrisch aufgebaut: Beiderseits der Mittelachse zeigt sie breite dreiseitige, von Quergiebeln bekrönte Erker und in den äußeren Achsen Loggien. Zwischen den Erkern sind in der Mitte breite Balkons angelegt, die im ersten und dritten Obergeschoß als Veranden verglast worden sind. Die Loggien zeigen eingestellte Säulen, zwischen denen kleine Rundbalkons vorspringen. Jeder Quergiebel trägt ein Wappen mit einem schräggestellten Balken. Die reiche Fassadendekoration in den Formen der deutschen Neorenaissance ist gut erhalten, ebenso das Vestibül mit einer Wechselpodesttreppe und einer eleganten spätklassizistischen Dekoration. Die Wände bestehen aus gelblichem Stuckmarmor und sind durch Pilaster mit Frauenköpfen gegliedert, die Relieffelder in der Frieszone zeigen Putten mit Girlanden und Füllhörnern oder mit Wappen in den Händen, auf denen Freimaurer-Insignien zu sehen sind. Die Deckenfelder sind ausgemalt mit einem imaginären Himmel mit Zweigen, Blumen, Vögeln. Topographie Friedenau, 2000

 

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 1910

Wohlthat'sche Buchhandlung

 

Wohlthat ist Geschichte: So titelte das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels am 7. September 2012. Keiner wollte die letzten verbliebenen Filialen der Wohlthat'schen Buchhandlung haben. Angefangen hat es 1896 in Friedenau. Da hatte Wilhelm Wohlthat im 1. Stock seiner Wohnung in der Hedwigstraße Nr. 11 die Buch-, Kunst-, Musikalien-, Landkarten- und Schreibwarenhandlung eröffnet. Es fügte sich, dass der Maurermeister Rudolf Straus als Bauherr dabei war, in der Rheinstraße Nr. 11 ein Mietwohnhaus mit Läden im Erdgeschoss hochzuziehen – eine günstige Gelegenheit, neben den Handlungen Loeser & Wolff Cigarren, Porzellan Weinholdt und Putzmacherin Spiegelberg die Buchhandlung Wohlthat nebst einem Verlag zu etablieren, der Bismarck im deutschen Liede und Gedichte von Wilhelm Zauter publizierte.

 

Bereits 1901 gab es eine Übernahme: Wohlthat'sche Buchhandlung, Inhaber Buchhändler Martin Kindler, der in seiner bisherigen Buchhandlung in der Handjerystraße Nr. 85 den Sammlern auch eine reichste Auswahl von 1000 Briefmarken zu 1,50 offerierte. Im neuen Laden in der Rheinstraße Nr. 11 warb Kindler für den Jubiläums-Jahrgang der Gartenlaube, welcher mit dem neuesten, fesselnden Roman von Wilhelmine. Heimburg Sette Oldenroths Liebe und der ergreifenden Novelle von Helene Böhlau Sommerseele. 1925 erfolgt die Übernahme der Buchhandlung durch Kurt u. H. Schild. So blieb es über den Zweiten Weltkrieg hinweg bis 1970. Dann übernahm ab 1970 der Buchhändler Artur Zemisch das Geschäft in der Rheinstraße. 1990 gab es Filialen der Wohlthat'schen Buchhandlung in der Wilmersdorfer 43, Kant 131, Turm 38, Budapester 44, Kurfürsten 126, Kolonnen 26, am Kottbusser Damm 2 und in der Rheinstraße 11. Im Jahr 2005 übernahm die Buchhandelskette Weltbild Anteile der Wohlthat’sche Buchhandlung – bundesweit 53 Buchläden für preiswerte Bücher. 2011 wurden die Berliner Filialen in die neue Gesellschaft Wohlthat Berlin GmbH & Co. KG eingebracht. 2013 wurden die letzten Filialen in Berlin und Potsdam geschlossen. Die Marke Wohlthat´sche Buchhandlung existierte nicht mehr.

Erste Ausgabe des Friedenauer Lokal-Anzeiger, 1. Dezember 1894

Rheinstraße Nr. 15

 

Wer in die Villenkolonie Friedenau zog, arbeitete als Beamter oder Kaufmann in Berlin und las Berliner Tageblatt, Vossische Zeitung, Börsen-Zeitung, manchmal auch das Teltower Kreisblatt. Schon bald konnten diese Redaktionen den Wunsch nach lokalen Berichten nicht mehr erfüllen. So erschien am 1. Dezember 1894 die erste Ausgabe des Friedenauer Lokal-Anzeiger als Amtliches Publikations-Organ des Amts- und Gemeinde-Vorstandes von Friedenau – Redaktion, Druck und Verlag von Leo Schultz.

 

Bekannt ist, dass der Schriftsetzer und Buchdrucker Leo Schultz aus Berlin kam und ab 1894 in der Handjerystraße 29 neben der Expedition des Friedenauer Anschlagwesens Buchdruckerei, Papier- und Buchhandlung betrieb. Am Anfang erschien das Blatt jeden Mittwoch und Sonnabend mit den Gratis-Beilagen ‚Die illustrirten Seifenblasen‘ und ‚Die illustrirten Guten Geister‘, dann dreimal wöchentlich Dienstag, Donnerstag und Sonnabend, und ab 28. Februar 1899 täglich: Wir haben uns zu dieser Ausdehnung des Ortsblattes entschließen müssen, weil es unmöglich ist, den lokalen Stoff auf dem bisher zur Verfügung stehenden Raum unterzubringen. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger wird seinen Charakter als Ortsblatt, der ihm seine bisherigen Erfolge verschafft hat, beibehalten und die allgemeine Politik nicht weiter behandeln, als sie die örtlichen Interessen berührt. Wir hoffen, mit unserem Entschluss Beifall zu finden.

 

Zum 1. April 1899 waren Verlag und Redaktion von der Handjerystraße 29 in die Rheinstraße 15 gezogen, eine attraktive Adresse neben der Apotheke von Albert Hirt. Leo Schultz hatte das Haus erworben und als verantwortlichen Redakteur Oskar Riemer eingestellt, der zugleich für Inserate und Sonntagsblatt zuständig war. Bevor die tägliche Ausgabe starten konnte, gab es eine Auseinandersetzung mit Gemeindevorsteher Major a. D. Albert Roenneberg. Sie beschäftigte die Gemeindevertretersitzung und endete schließlich vor dem Landgericht Berlin.

 

Am 10. Januar 1899 veröffentlichte Verleger Leo Schultz den Beitrag In eigener Sache! Vom Herrn Gemeindevorsteher erhielt ich am Sonnabendabend ein Schreiben folgenden Inhalts, dessen Empfang ich schriftlich bestätigen mußte:

 

An den Zeitungsverleger Herrn Leo Schultz. Friedenau, den 7. Januar 1899. Wir haben beschlossen, die amtlichen Bekanntmachungen in dem Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ vom 10. d. Mts. ab nicht mehr zu veröffentlichen und entziehen Ihrem Blatte damit die Befugnis, sich fernerhin als Amtliches Verkündigungsblatt des Amts- und Gemeinde-Vorstandes von Friedenau zu bezeichnen. Roenneberg.

 

Leo Schultz: Ich hätte das Schreiben des Herrn Amts- und Gemeindevorstehers nicht veröffentlicht, wenn derselbe nicht geglaubt hätte, durch Anschlag und sonstige Bekanntmachungen das Friedenauer Publikum von dem ‚großen Ereignis‘ besonders in Kenntnis setzen zu müssen. Der Herr Gemeindevorsteher wird sicher wissen, daß die Veröffentlichungen im Friedenauer Lokal-Anzeiger nicht rechtsverbindlich waren. Da ich am Sonntag nicht Gelegenheit hatte, dem Herrn Gemeindevorsteher meine Aufwartung zu machen und am Montag einen gerichtlichen Termin wahrnehmen musste, so übernahm es Herr Redakteur Riemer, den Herrn Major Roenneberg nach den Gründen zu fragen, aus denen der ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ in die Ungnade des Gemeindevorstandes gefallen. Ich konnte bei Durchblätterung der letzten Nummern nichts finden, das etwa als Angriff gegen den Gemeindevorstand aufgefasst werden könnte. Der Herr Gemeindevorsteher erklärte, ich solle schriftlich wegen der Gründe einkommen. Er könne so viel sagen, daß der ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ Sachen veröffentlicht hätte, die im Interesse der Gemeinde hätten geheim bleiben müssen.

Es kann sich diese Äußerung nur auf eine Notiz in der Donnerstags-Nummer beziehen, in welcher mitgeteilt wurde, daß der Berliner Magistrat als Bauland für unser Gymnasium das Terrain am Maybachplatz zum Preise von 250 M. für die Rute angeboten habe. Ich bemerke hierzu, daß mir diese Mitteilung ein dem Herrn Gemeindevorsteher gesellschaftlich nahestehender Herr gemacht hat mit dem Bemerken, dieselbe könne getrost veröffentlicht werden, denn die Sache sei allgemein bekannt. Für meinen schwachen Untertanenverstand ist es allerdings nicht begreiflich, wie eine solche Notiz die Interessen der Gemeinde schädigen sollte, da Berlin für diesen Preis das Terrain nur an Friedenau ablässt, und zwar nur zu kommunalen Zwecken.

Die amtlichen auf Friedenau bezüglichen Bekanntmachungen werde ich nach wie vor veröffentlichen, und die Herausnahme der Worte: Amtliches Verkündigungs-Blatt aus dem Kopf des Friedenauer Lokal-Anzeiger erspart mir jährlich 4—500 M. Setzerlohn, denn Anzeigen des Inhalts, es habe in Trebbin eine Sau Rotlauf gehabt, in Schulzendorf finde eine Körung von Rindern statt, oder Steckbriefe aus Düsseldorf, die für Friedenau gar kein Interesse hatten, werden in Zukunft allerdings herausbleiben. Ich habe für die amtlichen Bekanntmachungen keinen Pfennig erhalten, mithin habe ich auch keinen Schaden. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger wird nach wie vor ein unparteiisches, unabhängiges, die kommunalen Interessen Friedenaus förderndes Blatt bleiben und eine sachliche Behandlung aller Fragen beibehalten. Leo Schultz, Verleger des Friedenauer Lokal-Anzeiger‘.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 12.1.1899: Für die uns aus Anlass des jüngsten Ukases unseres Gemeindevorstandes mündlich und schriftlich aus der Friedenauer Bürgerschaft zuteil gewordenen zahlreichen humoristischen Beileidsbezeugungen und die freundschaftlichen Ermunterungen sagen wir hierdurch unseren verbindlichsten Dank.

 

Leserbrief 1: Eine Notiz zum Verkauf des Magistratslandes mit Angabe des Preises hat bereits vor Wochen in der ‚Vossischen Zeitung‘ gestanden.

Leserbrief 2: Ihre Annahme, dass unsere Gemeinde-Vertretung zu dem Ukas des Gemeindevorstandes ihre Zustimmung gegeben hat, ist nicht zutreffend; die Vertretung selbst hat mit der Sache nichts zu tun gehabt. Die Erlaubnis, sich als ‚Amtliches Verkündigungsblatt‘ zu bezeichnen, wurde dem ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ vom Gemeindevorstand (bestehend aus dem Gemeindevorsteher und den Schöffen) erteilt.

 

Sitzung der Gemeindevertretung am 12.1.1899: Gemeindevorsteher Roenneberg erläuterte den Beschluss des Gemeindevorstandes folgendermaßen: Unser eigentliches Verkündigungsorgan ist die Ortstafel am Gemeindebureau, dann haben wir als amtliches Blatt das Teltower Kreisblatt. Nun habe ich, um die Bekanntmachungen möglichst früh zur Kenntnis des Publikums zu bringen, auch dem ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ die Anzeigen zugesandt. Eine Erlaubnis, den Titel ‚Amtliches Verkündigungsblatt‘ zu führen, habe, ich nicht gegeben und daher beiden hiesigen Blättern die Befugnis dazu entzogen. Die Interessen der Gemeinde sind durch darin enthaltene Artikel geschädigt. Es sind da Sachen hineingekommen, die geheim zu halten waren. Ich habe zur Rechtfertigung eine Erwiderung eingesandt, und nun macht die Redaktion Randbemerkungen, die meine Ausführungen auf den Kopf stellen. Als Polizei habe ich deshalb dem Blatt die Bekanntmachungen entzogen, und betreffs der Gemeindebekanntmachungen hat der kollegialische Gemeindevorstand beraten und einstimmig den gleichen Beschluss gefaßt.

 

GV Homuth führt aus, daß die angeführten Gründe nicht ausreichend seien, um zu einer solchen Maßregel zu greifen. Die Geheimniskrämerei wegen des Gymnasialbaues sei nicht angebracht. Er beantrage deshalb im Interesse der Gemeinde, dem ‚FriedenauerLokal-Anzeiger‘, der doch die weiteste Verbreitung habe, auch ferner die Bekanntmachungen zuzuschicken. Manche Sache komme durch Notizen in den Blättern erst in Fluss. Es schade gar nichts, wenn solche Nachrichten auch nicht immer ganz richtig wären.

 

GV Kunow: Wenn das Blatt sich jetzt wehre, so könne er es nachempfinden. Die Berliner Presse habe sich bereits der Sache bemächtigt, im ‚Berliner Tageblatt‘ stehe ein Artikel, der nicht vorteilhaft für unsere Gemeinde sei. Seiner Meinung nach habe der Lokal-Anzeiger sich bemüht, die Interessen der Gemeinde zu vertreten, allerdings nicht im Sinne des Gemeindevorstandes. Opposition sei meist ganz vorteilhaft für ein Gemeinwesen.

 

GV Möller findet es begreiflich, wenn dem ‚Friedenauer Lokal-Anzeige‘ die Publikationsbefugnis entzogen ist. Ein Blatt, das wie dieses nach seinem Gefühl und nach seiner eigenen Auffassung berichte, eigne sich nicht als amtliches Organ. Der Gemeindevorstand sei aber trotzdem zu rasch vorgegangen.

 

GV Schremmer hält die Entziehung des amtlichen Titels für völlig bedeutungslos. Wenn der Gemeindevorstand dies für erforderlich gehalten habe, so liege doch noch keine Veranlassung vor, dem Blatt auch die Bekanntmachungen zu entziehen. Es liege im Interesse des Ortes, wenn die Veröffentlichungen in die Ortszeitungen kommen.

 

GV Hendrich kommt auf die rechtliche Geltung des Titels ‚Amtliches Verkündigungsblatt‘ näher zu. sprechen, der, wie er wisse, dem ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ vom Gemeindevorstand schriftlich zuerteilt sei.

 

Schöffe Fehler Der Gemeindevorstand habe eine derartige Veröffentlichung nicht beschlossen.

 

Beschluss der Gemeinde-Vertretung: Die öffentlichen Bekanntmachungen des Gemeinde-Vorstandes werden den hiesigen Blättern gleichzeitig zum kostenfreien Abdruck übersandt. Dieser Antrag wird mit allen Stimmen gegen diejenige des Gemeindevorstehers angenommen.

 

Acht Monate später

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 25.9.1899: Einbruchsdiebstahl

Im Parterregeschoss des Hauses Albestraße 22 ist in der Nacht zum Sonntag von drei Männern ein großer Einbruchsdiebstahl verübt worden. Es gelang erfreulicherweise den Nachtwächtern Sternbiel und Sobeck, welch letzterer seinen Hund bei sich hatte, zwei der Einbrecher, als sie ihr Raubgut in Sicherheit bringen wollten, festzunehmen, während der dritte auf dem gestohlenen Brennabor-Rad Nr. 105594 entkam. Die beiden Verhafteten sind leider aus dem Arrestlokale wieder ausgebrochen und haben obendrein noch die ihnen abgenommenen Dietriche wieder mitgenommen.

Der Fall hat sich folgendermaßen zugetragen: Zwei Nachtwächter bemerkten gegen 3 Uhr in der Bismarckstraße drei Individuen, von denen zwei umfangreiche Pakete trugen, während. der dritte Mann ein Fahrrad schob. Auf die Frage, woher sie kämen, erwiderten die Leute: Vom Geburtstag aus der Albestraße Nr. 16. Und auf weitere Fragen wegen der Pakete sagte der eine, dass eine enthalte die Sachen seiner Braut, und der andere, er habe auf einer Auktion in der Schönhauser Allee Cigarren gekauft und sei von dort gleich nach Friedenau gekommen. Den Wächtern kam die Sache nicht geheuer vor und sie brachten die beiden Männer mit Hilfe des inzwischen hinzugekommenen Amtswachtmeisters nach dem Arrestlokal. Vorher hatte der das Rad führende Mann sich hinaufgeschwungen und war davon gefahren.

Die beiden Verhafteten wurden im Arrest untersucht, und dabei zwei Dietriche zu Tage gefördert. Diese und die beschlagnahmten Sachen wurden in die Pfandkammer gebracht, letztere abgeschlossen und die beiden Einbrecher in besondere Zellen gesperrt, in deren Türen die Schlüsse! außen steckenblieben. Der eine der Verhafteten muß nun noch einen Dietrich bei sich gehabt und die Zellentür damit geöffnet haben, worauf er seinen Genossen befreite. Beide öffneten dann die Tür zur Pfandkammer, nahmen die auf dem Tische liegenden Dietriche an sich und erreichten durch das Fenster das Freie.

Unsere Sicherheitsbeamten waren natürlich sehr enttäuscht, als sie am Morgen das Nest leer fanden. Es heißt zwar, die Einbrecher wären so gewiefte Burschen gewesen, daß auch eine Fesselung nichts genützt hätte; man sollte jedoch meinen, daß dann für die paar Stunden eine besondere Wache hätte gestellt werden müssen.

Zum Einbruch selbst ist zu berichten, daß die Einbrecher zwischen 11 und 12 Uhr durch die Haustür und die Korridortür eingedrungen sind; sie haben dann vorn im Laden ein Pult erbrochen und daraus Briefmarken und Versicherungsmarken entwendet. Von den dort stehenden drei Fahrrädern, Tandem, Damenrad und Herrenrad, nahmen sie das letztere. Mehrere Stunden haben sie dann in dem hinten gelegenen Komptoirzimmer gehaust, wo mehrere hundert Flaschen Wein und Cigarren lagern. Sie haben sechs Flaschen Wein entkorkt und zum Teil geleert, die Cigarrensorten durchprobiert und umhergeworfen, in die Geschäftsbücher den Firmenstempel gedrückt und eine leere Cigarrenkiste mit Unrat gefüllt. Acht Kisten Cigarren wurden säuberlich in ein Paket geschnürt. Dann durchwühlten die Unholde das neben dem Komptoir befindliche Mädchenzimmer, in welchem das Mädchen seit einigen Tagen nicht mehr schlief, und packten fast die gesamten Effekten des Mädchens zusammen. Erst gegen 3 Uhr verließen die Räuber das Haus, und während zwei die Pakete an sich nahmen, nachdem sie noch vorher zwei Winterüberzieher des Herrn F. angezogen, führte der Dritte das Rad fort, das er vorher mit der Welt-Laterne versehen hatte, während die Acetylen-Laterne mit verpackt war. In der Bismarckstraße spielte sich dann der zu Anfang geschilderte Vorgang ab. Die Legitimationspapiere, welche den Verbrechern abgenommen wurden und die in den Händen der Polizei find, sind zweifellos gefälscht oder gestohlen. Schade um den schönen Fang!

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 26.9.1899

Zum Einbruchsdiebstahl in der Albestraße wird uns geschrieben: Nur zu oft hört man von Einbruchsdiebstählen, die in unserem Ort passieren, aber selten, daß die Diebe und Einbrecher erwischt werden. Die beiden sehr tüchtigen Nachtwächter Sternbiel und Sobeck waren so glücklich, zwei von den jedenfalls sehr gefährlichen Einbrechern, die den Einbruch im Fiebig'schen Hause verübten, zu ergreifen. Umsomehr hat es überrascht, daß die gefährlichen Gauner aus dem Gefängnisse entwischt sind. Es beweist dies, daß die Zustände des Amtsgefängnisses sehr verbesserungsbedürftig sind. Aber der Polizei sind hierbei auch gerechtfertigte Vorwürfe darüber zumachen, daß sie die gefährlichen Einbrecher, nachdem ihnen die Dietriche abgenommen waren, nicht, bester bewacht hat. Es ist doch wirklich eine große Dreistigkeit, daß die Einbrecher, nachdem sie aus den Gefangenenzellen entwichen waren, die Pfandkammer öffneten und sich die dort verwahrten Dietriche wieder herausholten. Jedenfalls war dort nicht der richtige Platz zur Aufbewahrung der Schlüssel. Dieselben hätten von den Beamten mitgenommen werden sollen. Übrigens müssen die Einbrecher nicht gründlich untersucht worden sein, sonst konnten sie nicht Instrumente zur Öffnung der Türen haben, in welchen die Schlüssel steckten. Vielleicht hat auch der mit dem Rad verschwundene Einbrecher seine Kollegen befreit. Man sieht aus dem ganzen Vorgang, daß unsere Polizei nicht auf der Höhe der Zeit steht. Nicht allein eine Änderung des Gefängnisses ist dringend geboten, sondern auch eine weitblickende Persönlichkeit muß vorhanden sein. Verschärfung der Strafparagraphen für friedfertige Bürger macht es nicht. Der Bürger verlangt gegen Räuber und Diebe oder sonstiges Gesindel Sicherheit, und diese fehlt uns.

 

Redaktion: Wir können heute zu der Geschichte der ausgebrochenen Einbrecher noch melden, daß die Zellentüren auch von außen verriegelt waren. Man nimmt jedoch an, daß die Klappen in den Türen, die zum Durchreichen der Speisen dienen, nicht ganz verschlossen waren. Der eine der Einbrecher hat wahrscheinlich die eine Klappe durch Gegenstöße geöffnet und dann mit der Hand die Tür, in welcher der Schlüssel steckte, aufgeschlossen. Sonderbar ist es, daß der Gefängniswärter in der Nacht gar nicht von der Einlieferung der Einbrecher benachrichtigt worden war. Der Beamte erfuhr die ganze Geschichte erst, beim Morgenkaffee. Heute sind, wie wir hören, Schlosser beschäftigt, die Vorrichtungen für die Sicherheit der Gefangenen zu verbessern. Unser Gefängnis ist übrigens massiv und fest; aber was nützt der stärkste Käfig für freiheitliebende Vögel, wenn man die Türe offen läßt.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 27.9.1899

Die entwischten Einbrecher, die in der Sonntagsnacht das hiesige Amtsgefängnis auf so leichte Art verlassen konnten, sind, wie wir erfahren, gefaßt worden. Mit Hilfe des Verbrecheralbums hat man die Einbrecher erkannt und dann festgenommen.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 29.9. 1899: Die Ortspolizei

Wir haben bei der Affäre mit den Einbrechern, die am letzten Ende noch zu Ausbrechern wurden, in der Friedenauer Bürgerschaft viele recht harte Urteile über unsere Ortspolizei gehört. Was würden die Bürger aber erst sagen, wenn sie wüssten, daß die bewussten Dietriche gar nicht verschlossen in der Pfandkammer gewesen, sondern im Korridor offen am Haken gehangen, wo die Spitzbuben sie bequem herab nehmen, die Pfandkammer erbrechen und schließlich entweichen konnten. Die Urteile der Bürgerschaft würden gewiß noch härter werden. Mit Unrecht, denn unsere Polizei kann nicht für dergleichen verantwortlich gemacht werden, verantwortlich ist allein das System, mit dem auch ein großer Teil der Vororte schon gebrochen hat, das System der Unterbeamtenpolizei. Wie kann die Bürgerschaft von einem aus dem Unteroffizierstande — oder vielleicht noch nicht einmal — hervorgegangenen, sonst sehr ehrenwerten, pflichttreuen und in seinem Kreise auch brauchbaren Beamten verlangen, daß er mit allen Schlichen der Verbrecher vertraut ist, daß er die Psychologie der Enterbten und Verworfenen des Menschengeschlechtes kennt. Dazu gehört mehr als die Kapitulantenschule.

Unsere Amtsdiener — Militäranwärter — kommen ohne eine besondere Ahnung von Polizei in den Dienst, sie machen ja wohl eine Vorbereitungszeit durch, diese aber geht auf ganz andere Dinge aus, als auf die Kenntnis, wie man mit Verbrechern zu verfahren habe. Nun die schwerwiegende Frage, wer soll das in Friedenau machen, ohne daß der Gemeindesäckel allzusehr belastet wird. Der Gemeindevorsteher hat Anderes zu tun, er ist auch mit dem einschlägigen Fach nicht genügend vertraut und braucht nicht vertraut sein, der Wachtmeister hat gezeigt, daß er den Stoff nicht beherrscht, sonst wären ihm die Einbrecher nicht entkommen. Also wer soll es machen, etwa einer der Gemeinderäte; sehr gut, wenn er das Fachliche intus hat, sonst kann er mehr verderben, als gut machen.

Uns hat sich ein Herr zur Verfügung gestellt, der vermöge seines Berufes mit allen den notwendigen Fragen vertraut ist. Er hat Universitätsbildung und ist Reserveoffizier, also ganz der Mann, das Polizeiwesen Friedenaus auf den Schwung zu bringen. Der Herr ist bereit, die Leitung vorläufig ehrenamtlich zu übernehmen, bis die Mittel zu einer festen Anstellung bereit stehen. Aber auch dann könnte er, da er in vorzüglichen Verhältnissen lebt, der Gemeinde dienen, ohne ihr mehr Unkosten als ein Wachtmeister zu machen. Die Liebe zu unserem schönen Friedenau und zur Sache selbst lassen ihn das Opfer an Zeit und Geld gerne bringen.

Wir können den maßgebenden Kreisen nur raten, mit dieser Persönlichkeit in Verbindung zu treten; der Herr wird natürlich nur aus seiner Reserve heraustreten, wenn es sich um ernsthafte Absichten handelt. Jedenfalls sind die Zustände auf einem Punkte angekommen, wo eine feste Hand ordnend eingreifen und den Gemeindevorsteher nach dieser Richtung hin entlasten muß.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 2.10.1899: Ortspolizei

Zu dem Artikel bzw. der Erwiderung darauf schreibt unser Gewährsmann: Ich beschränke mich auf die Angriffe gegen Gelehrtentum und Armeeoffiziere nur zu antworten, daß der Herr Verfasser bald spüren würde, wie leicht ich einen Hund hinterm Ofen hervorlocken kann, um seine Ausdrucksweise nachzuahmen. Wenn man — wie der Herr Verfasser scheinbar — von einer Regierung Amt und Brot nimmt, darf man über ihre Offiziere nicht in solcher Weise urteilen. Was der Herr Verfasser über Übersetzungen sagt, trifft doch nur da zu, wo Übersetzungen existieren; er hat natürlich gar nicht beachtet, daß eine Menge Werke gar nicht übersetzt werden. Was der Polizeichef eines so nahe an Berlin liegenden Gemeinwesens braucht und nicht braucht, darüber hat der Herr Verfasser offenbar kein Urteil. Damit schließen wir die Kontroverse ein für allemal. Die Redaktion.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 4.10.1899: Ein Amtsgefängnis

Der Herr Gemeindevorsteher hat, wahrscheinlich mit Rücksicht auf die jüngst passierte, genügend besprochene Einbrechergeschichte, bei der Gemeindevertretung beantragt, die Mittel zum Bau eines Amtsgefängnisses bereitzustellen. Die Gemeindevertretersitzung lehnte den Antrag des Gemeindevorstehers am 5.10.1899 mit allen Stimmen gegen diejenige des Gemeindevorstehers ab.

 

Vier Monate später

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 17.1.1900: In eigener Sache

Beleidigung des Friedenauer Amtsvorstehers und der Friedenauer Ortspolizei-Beamten war in einem Pressprozess, welcher am Dienstag, den 16. Januar 1900, die 1. Strafkammer des Berliner Landgerichts II beschäftigte, dem Redakteur Oskar Riemer und dem Buchdruckereibesitzer und Zeitungsverleger Leo Schultz zur Last gelegt.

 

In der Nr. 201 des Friedenauer Lokal-Anzeiger vom 26. September 1899, dessen verantwortlicher Redakteur der Angeklagte Riemer damals war, erschien eine vom Angeklagten Schultz verfasste Notiz, inhalts deren der gelungene Ausbruch zweier in der Albestraße von Nachtwächtern ausgegriffenen Berliner Einbrecher geschildert wurde. Der Artikel knüpfte an die mitgeteilte wahre Tatsache verschiedene sachliche Bemerkungen und des Weiteren die Schlussfolgerung, daß die Beschaffenheit des Friedenauer Amtsgefängnisses nicht mehr den gegebenen Verhältnissen angepasst sei und daß die Polizei nicht auf der Höhe der Zeit stehe. Der Wortlaut des Artikels gab dem Amtsvorsteher Herrn Roenneberg Gelegenheit, gegen die beiden Beschuldigten den Strafantrag zu stellen. Inkriminiert waren insbesondere die Behauptungen des Artikels, daß die beiden Ausbrecher nicht gehörig visitiert worden seien, so daß sie in der Lage waren, mit ihren Einbrecher-Werkzeugen sich die Gefängnistüren zu öffnen und ferner fühlte sich Herr Roenneberg beleidigt durch die Behauptung, daß ein Mann mit weitem Blick an die Spitze der Polizei berufen werden müsse. Damit war aber nur gemeint, daß an Stelle des Wachtmeisters ein Kommissar angestellt werden müsse.

Im Verhör erklärte der Angeklagte Riemer zunächst, daß ihm Schultz, der Verfasser, den Artikel übergeben habe zur Aufnahme; es sei anzunehmen gewesen, daß der Artikel der Wahrheit entspräche und eine Absicht der Beleidigung sei nicht vorhanden gewesen.

Landgerichtsrat von Haugsdorf, des Gerichtshofes Vorsitzender: Es sind unwahre Tatsachen behauptet worden, daß die Einbrecher nicht gründlich untersucht worden seien, ob sie mit Einbruchswerkzeugen versehen gewesen!

Riemer: Die Dietriche sind zwar auf der Pfandkammer abgeliefert worden, aber bei dem Ausbruch den Gefangenen zugänglich gewesen.

Vorsitzender: Die Diebe haben durch die Essklappe in der Tür hindurch gereicht, haben den Riegel zurückgeschoben, sind herausgegangen und haben dann ihre Dietriche aus der Pfandkammer geholt und sind ausgebrochen! Ist denn ein neues Gefängnis gebaut worden?

Riemer: Nein, das Schloß ist nur repariert worden!

Der Angeklagte Schultz räumt ein, Verfasser des Artikels zu sein; jedoch habe er die viel schärfer geißelnden Mitteilungen seines Gewährsmannes noch sehr bedeutend abgeschwächt, der Ein- und Ausbrecher habe nur nöthig gehabt,— erklärte Herr Schultz des Weiteren — der Tür einen Stoß zu geben, dann war er draußen; am Montag, als die Verhafteten entflohen waren, wurde die Sache untersucht; der Amtswachtmeister Meier mußte versuchen, ob er ausbrechen könne, was ihm bei richtigem Verschluss absolut nicht gelang. Wäre die Sache richtig gemacht worden, so wären auch die Verbrecher nicht herausgekommen; in derselben Nacht sei er, Sch., ebenfalls von einer Diebesvisite auf seinem Grundstück belästigt worden; die Spuren des nächtlichen Besuches seien an einem Spalier sichtbar gewesen.

Vorsitzender L. R. von Haugsdorf: Deshalb waren Sie ängstlich und haben den Artikel geschrieben? Sie wollten eine Polemik üben und sagen: Das und das ist verbesserungsbedürftig, wir wollen Euch unter die Arme greifen!?

Schultz: Jawohl, als Ortseinwohner und Grundeigentümer fühlte ich die Verpflichtung dazu.

Zur Beweisaufnahme waren als Zeugen vorgeladen: der Schlossergeselle Regenstein, der Amtswachtmeister Meier, der Schöffe Dräger und der Amtsvorsteher Roenneberg.

Es wurde indessen nur der Amtswachtmeister Meier vernommen, der die näheren Örtlichkeiten und die Art des Ausbruchs der inhaftiert gewesenen Einbrecher schilderte. Auf die übrigen Zeugen verzichtete der Vertreter der Anklagebehörde, Staatsanwalt Cuny, welcher je 10 Mark Geldstrafe gegen die beiden Angeklagten beantragte.

Der Herr Staatsanwalt führte aus: Die Sache liegt verhältnismäßig zu Gunsten der Angeklagten; insoweit der Artikel behauptet, daß die Ausbrecher nicht visitiert worden seien, muß Freisprechung erfolgen, da diese Behauptung ein Urteil darstellt; man müsse zu Gunsten der beiden unbestraften Angeklagten annehmen, daß sie noch nie die Beschaffenheit eines Gefängnisses aus eigner Wahrnehmung gesehen haben, daß sie nicht wissen, wie ein Gefängnis aussieht; wenn aber der Bürger sich in seinem Recht beschwert fühlt, so muß er auch nicht über die Grenze des Erlaubten hinausgehen; das gemeine Recht der Presse, sich über jede Amtshandlung einer Behörde zum Richter aufzuwerfen, das existiert nicht, wenn also gesagt wird: die Persönlichkeit, die an der Spitze steht, das ist keine weitblickende Persönlichkeit, so heißt dies, das ist eine beschränkte Persönlichkeit; in diesem Falle ist gegen die Form gefehlt und deshalb Bestrafung geboten.

Der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Silberstein beklagt zunächst, daß in diesem Falle überhaupt eine Anklage erhoben worden sei, es sei heutzutage üblich, daß, wenn einer Behörde ein berechtigter Vorwurf gemacht werde, denjenigen mit Strafantrag, zur Verantwortung zu ziehen, der den Übelstand öffentlich kund gibt, anstatt den Übelstand einfach zu beseitigen. Die ganze Einbruchssache, wie sie im Gerichtssaale wieder gegeben, erinnert an die komische Oper „Die Fledermaus", sie gebe überhaupt einen guten Stoff zu einer Posse. Die Angeklagten seien der Beleidigung für nichtschuldig zu erachten, denn sie haben in der Wahrung berechtigter Interessen gehandelt und in der Form des Ausdrucks nicht gefehlt.

Der Angeklagte Schultz verweist zum Schlusse noch auf die neuerdings stattgehabte Reorganisation der Vorortpolizei.

Das Urteil des Gerichtshofes lautete wie folgt: Tatsächlich waren Einbrecher eingeliefert, visitiert, nachher nochmals visitiert und schließlich doch ausgebrochen und zwar indem sie bei dem Ausbrechen Dietriche benutzten; es ist wahrscheinlich, daß durch die kleine Essklappe in der Thür durchgelangt wurde und durch Abbrechen von Holzleisten der Verschluss gelockert ist, so daß Letzterer nicht mehr einfasste und dann hat der eine Einbrecher den andern von außen her befreit; offenbar mangelhaft war daher die Einrichtung des Gefängnisses, von der man nicht sagen könne, sie stehe auf der Höhe der Zeit, zumal in der Nähe von Berlin, wenn also solche Zustände bemängelt worden sind, so ist das kein Vergehen, ob das in Artikeln geschieht oder in Versammlungen oder sonst noch; es sind Sachen zur Sprache gebracht worden, die verbesserungsbedürftig sind; allerdings könnte man der Ansicht sein, daß die Bemerkung ‚an der Spitze der Polizei steht keine weitblickende Persönlichkeit‘ in einem anderen Sinne aufzufassen sei, aber dazu bietet die Form des Artikels keinen Anlass und keine Handhabe zur Verurteilung.

Aus diesen Gründen wurden beide Angeklagte freigesprochen und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt.

 

***

Nachtrag: Gemeindevorsteher Major a. D. Albert Roenneberg trat 1902 aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurück. Bis zum 30. Juli 1920 erschien das Blatt als Friedenauer Lokal-Anzeiger. Ab 1. August 1920 lautete der Titel Schöneberg-Friedenauer Lokal-Anzeiger – Unparteiliche Zeitung für den XI. Berliner Bezirk Schöneberg-Friedenau. Druck und Verlag von Leo Schultz Berlin-Friedenau, Rheinstraße 15. Nach Angaben der Zentral- und Landesbibliothek Berlin vertrieb der Verleger (Leo Schultz) im 11. Verwaltungsbezirk in Konkurrenz zum Schöneberger Tageblatt und dem Friedenauer Tageblatt aus dem Verlag Heinrich in der Hauptstraße seine Zeitung nun unter dem Titel Schöneberg-Friedenauer Lokalanzeiger. Erscheinungsverlauf: 27. Jahrgang, Nr. 172 (1. August 1920)-Jahrgang 27, Nr. 226 (3. Oktober 1920).

 

Rheinstraße Nr. 16

 

Albert Hirt war der Sohn von Julius Franz Hirt (1811-1882), dem höchsten Richter im Fürstentum Reuß-Gera. Aus seiner Ehe mit Louise Francisca geb. Raithel (1814-1881) gingen sieben Kinder hervor, darunter Albert Hirt (1849-1905). Er wird Apotheker, heiratet Marie geb. Bräunlich (1849-1905), erhält 1892 die Lizenz für eine Apotheke in Friedenau und erwirbt das Grundstück Rheinstraße Nr. 16. Dort läßt er sich ein zweigeschossiges Haus mit Wohnungen für die Familie in den beiden Obergeschossen, Garten im Innenhof und ein Ladengeschäft im Erdgeschoss bauen: Friedenaus erste Apotheke, die Adler-Apotheke. In Friedenau werden die Töchter Ruth (1894-1986), Charlotte (1896-1985) und Gabriele (1897-1958) geboren.

 

Der Hausbau ist ungewöhnlich, da Baumeister Hermann Pählchen zeitgleich und entsprechend der neuen Bauverordnung die viergeschossigen Mietshäuser Nr. 17 und Nr. 18 errichten konnte. Alfred Bürkner gibt in seinem Friedenau-Buch (1996) folgende Erklärung ab: Das Apothekenhaus blieb in seiner zweigeschossigen Bauweise bis heute unverändert; das danebengelegene Haus Nr. 15, ursprünglich genauso konzipiert, wurde kurz vor Kriegsende von einer Bombe getroffen und später nur als Flachbau wiederhergerichtet. Seitdem hat sich auf den Grundstücken Rheinstraße 15/16 nichts getan. Der Grund könnte darin liegen, daß für die Bebauung - ähnlich dem Nachbargrundstück mit dem Verbrauchermarkt - ein nicht-gewerblicher Wohnanteil gefordert wird, der den Spekulationsvorstellungen des Bauherrn nicht entsprechen mag.

 

Auffällig ist, dass sich Hirt von Anfang an in seiner Apotheke für Magenleidende einsetzt. Über Jahre hinweg veröffentlicht der Friedenauer Lokal-Anzeiger große Annoncen zu Hubert Ullrich’schen Kräuter-Weinzu haben in Flaschen à M. 1,25 und M. 1,75 in Friedenau in der Apotheke des Herrn Hirt. Das Verdauungs- und Blutreinigungsmittel  stärkt und belebt den ganzen Verdauungsorganismus des Menschen, ohne ein Abführmittel zu sein. Bestandteile des Kräuterweins sind Malagawein, Weinsprit, Glycerin, Rotwein, Ebereschensaft, Kirschsaft, Manna, Fenchel, Anis, Helenen-, Enzian-, Kulmus- und amerikanische Kraftwurzel.

 

Am 22. September 1899 wurde dem Lokalblatt eine Riesenkartoffel überbracht. Der kolossale Erdapfel stammt vom Hewald'schen Felde an der Friedenauer Straße, wo die Kartoffeln in diesem Jahr ganz besonders gut gediehen sind. Das Gewicht von 603 Gramm wurde in der Apotheke des Herrn Hirt festgestellt.

 

Am 30. Mai 1901 wartete der Friedenauer Lokal-Anzeiger mit einer Nachricht zum Apothekerstreit auf: Wie wir von zuverlässiger Seite erfahren, ist die hiesige Adlerapotheke des Herrn A. Hirt nach wie vor an der Lieferung von Arzneien für Rechnung sämtlicher Krankenkassen Berlins und der Vororte beteiligt. Was war geschehen? Landrat Ernst von Stubenrauch hatte sich an den Vorstand der vereinigten Apotheker gewandt, worin er hinsichtlich der ihm unterstellten Ortskrankenkasse für Schöneberg und Friedenau den Vorschlag machte, daß die  Apotheker der Krankenkasse wiederum Kredit gewähren sollen, unter der Voraussetzung, daß alle Apotheken zur Lieferung von Arzneien zugelassen werden und die Kassen auf Rezepturrabatt verzichten: In Anbetracht, daß Kranke solcher Kassen, welche sich an dem Boykott wider die Apotheker nicht beteiligt haben, Arzneien auf Kredit erhalten, würden meines Erachtens auch von allen Apotheken der Vereinigung an Mitglieder der Schöneberger Ortskrankenkasse Arzneien aus Kredit verabfolgt werden können, wenn diese Krankenkasse bei Ihnen einen Antrag stellt. Bedingung würde sein, daß die Schöneberger Kasse keine Sperre gegen einige Apotheken ausübt, daß auch keinen Rezepturrabatt erhält. Der Notbehelf dieser Kasse, Vorschüsse bei ihr oder bei Drogisten zur Bezahlung der Arzneien den Kranken bereit zu stellen, ist eine den Kranken lästige Einrichtung. An Euer Wohlgeboren richte ich daher das ergebene Ersuchen, gefälligst zu vermitteln, daß meinem Vorschlag zugestimmt wird. Ich würde dann die Schöneberger Ortskrankenkasse veranlassen, einen Antrag an die Vereinigten Apotheker Berlins und Umgegend zu richten und darf wohl um bald gefällige Mitteilung ersuchen, ob Sie geneigt sind, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen. Auf dieses Schreiben hin haben sich die Apothekenbesitzer bereit erklärt, daß in allen Apotheken der Schöneberger Ortskrankenkasse wieder Kredit gewährt wird, vorausgesetzt, daß zuvor von der Kasse alle Apotheken zur Arzneilieferung wieder zugelassen werden.

 

Am 20. September 1902 wird bekannt, dass die Adler-Apotheke zum 1. Oktober den Besitzer wechselt. Herr Hirt hat seine Apotheke nebst Grundstück an einen Herrn aus Quedlinburg für den Preis von 450 000 Mk. verkauft und von Witwe G. Hildebrand die 1890 errichtete Landhausvilla in der Wielandstraße Nr. 15 erworben. Rätselhaft bleibt, warum der erst 53-Jährige die Adler-Apotheke nach zehn Jahren aufgab. Albert Hirt verstarb am 26. November 1905 und wurde in einem Erbbegräbnis auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße beigesetzt. Das Grab wurde vom Bildhauer Valentino Casal gestaltet – ein Wandgrab, verkleidet mit Marmor auf einem Granitsockel. In den erhöhten Mittelteil wurde eine flache Rundbogennische eingearbeitet und dazu eine Engelsfigur aus Carrara-Marmor gestellt. Das Grab ist bis heute erhalten.

 

Das Haus in der Wielandstraße Nr. 15 blieb bis 1930 im Besitz von Witwe Marie Hirt. Nach ihrem Tod sind von 1931 bis 1943 die Gymnastiklehrerin Charlotte Hirt und die Kindergärtnerin Gabriele Hirt als Besitzerinnen eingetragen. Die spätere Alleinerbin Gabriele Hirt, die vor dem Weltkrieg in der Wielandstraße einen Kindergarten betrieb, hat das Anwesen Ende der 1950er Jahre verkauft. Ab 1959 lautet ihre Adresse Homburger Straße Nr. 21 in Wilmersdorf, der Wohnung von Fritz und Ruth Heilgendorff geb. Hirt.

 

Nach Übernahme der Adler-Apotheke durch Paul Sadée blieb das Apothekenhaus 70 Jahre im Familienbesitz. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus Rheinstraße Nr. 16 von Bomben getroffen, später abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt.

 

Rheinstraße Nr. 17 um 1932

Rheinstraße Nr. 17

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf & Bauherr Hermann Pählchen

1893

 

Weiteres zu Leben und Bauten von Baumeister Hermann Pählchen (1861-1895) finden Sie unter Görresstraße Exkurs Fuhrhof.

Rheinstraße Nr. 18. H&S 2018

Rheinstraße Nr. 18

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf & Bauherr Baugeschäft Hermqnn Pählchen

1893-1894

 

Das Haus hat zwei Treppenaufgänge, die jeweils als Zweispänner angelegt sind. Das viergeschossige Mietwohnhaus mit 9:10 Achsen weist eine abgeschrägte Ecke mit zwei Achsen auf, die durch einen hohen Zwiebelturm mit Ausguck überhöht wird. Der rote Klinkerbau wird mit weißen Fenstergewänden, Säulchen, Balustraden und im ersten Obergeschoß durch Putzbänderungen belebt. Jede der beiden Straßenfassaden wird in der Mittelachse durch einen zweiachsigen, mit einem Quergiebel bekrönten Risalit mit seitlichen Balkons gegliedert. Topographie Friedenau, 2000

 

Weiteres zu Leben und Bauten von Baumeister Hermann Pählchen (1861-1895) finden Sie unter Görresstraße Exkurs Fuhrhof.

Rheinstraße Nr. 19. Archiv Barasch

Rheinstraße Nr. 19

Schmiljanstraße 16

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf & Bauherr Hermann Pählchen (Baugeschäft)

1891

 

Das zweite große Eckhaus ist fünfgeschossig, was in Friedenau ungewöhnlich ist. Das Mietwohnhaus hat - wie sein Gegenüber - zwei Treppenaufgänge. An der Rheinstraße ist das Haus als Ein-, an der Schmiljanstraße als Zweispänner ausgebildet. Im Vergleich zum gegenüberliegenden Haus hat das Gebäude eine breitere, fünfachsige, abgeschrägte Ecke mit einem dreiachsigen Risalit. Das Haus weist deshalb nur 4:7 Achsen an den beiden Straßen auf. Die Ecke wird durch ein überhöhtes Dach betont, dem ursprünglich - wie beim Gegenüber - ein Turm aufgesetzt war. Das Haus ist als roter Klinkerbau mit Putzbänderung, -gewänden und -verdachungen an den Fenstern ausgeführt worden. Es wird durch flache, von Quergiebeln bekrönte Seitenrisalite mit flankierenden Balkons an den beiden Straßenfronten gegliedert. Das Erdgeschoss wurde durch neuere Ladenfronten stark überformt.

Topographie Friedenau, 2000

 

Weiteres zu Leben und Bauten von Baumeister Hermann Pählchen (1861-1895) finden Sie unter Görresstraße Exkurs Fuhrhof.

 

Rheinstraße Nr. 34

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf Theodor Thöns

1904-1905

Konfektionshaus Ebbinghaus, 1988. Topographie Friedenau

Rheinstraße Nr. 39-39 A

Ecke Bundesallee 104-105

Baudenkmal Kaufhaus

Entwurf Architekt Hans Schaefers

Bauherr Ebbinghaus KG

1961-1962

 

Der Architekt Hans Schaefers (1907-1991) realisierte zwischen 1950 und 1980 in Berlin herausragende Bauten, darunter an der Ecke Bundesallee und Rheinstraße das Konfektionshaus Ebbinghaus. „Es besteht aus einem eingeschossigen Flachbau, einem Luftgeschoss mit Parkdeck und einem aufgeständerten, dreigeschossigen, winkelförmigen Kopfbau, der nach Süden mit hohen Fensterbändern geöffnet und mit weit auskragenden horizontalen Sonnenblenden geschützt ist. Bei dem Bauwerk handelt es sich um einen Stahlbetonskelettbau mit fünfeckigen Stützen, der verglast und mit emaillierten Blechtafeln verkleidet ist.“ Quelle Topographie Schöneberg/Friedenau, 2000.

 

 

 

 

Nach 2006 erfolgte der Umbau zu Ärztehaus und Biomarkt. Obwohl unter Denkmalschutz stehend, wurde der Abriss von Parkdeck und Rampe mit Zustimmung des Bezirksamts Schöneberg genehmigt – eine nicht nachvollziehbare Entscheidung mit einem erheblichen Denkmalverlust. Noch vor seinem Tod stiftete Hans Schaefers einen Preis zur Förderung junger Architekten, der 1992 erstmalig vergeben wurde. 2005 gründete der BDA Berlin die „Hans Schaefers Stiftung“. Das Grab von Hans Schaefers befindet sich auf dem Friedhof Dahlem (Feld 4).

 

Rheinstraße Nr. 44-46, Optische Anstalt C. P. Goerz. Archiv Barasch

Rheinstraße Nr. 44-46

Holsteinische Straße Nr. 39-42

Baudenkmal Fabrik

Entwurf 1897-1901 Waldemar Wendt & Paul Egeling

Entwurf 1904-1910 Emil Schmidt

Entwurf 1912-1919 Albert Paeseler

Bauherr Optische Anstalt C. P. Goerz

 

Die Baugeschichte auf dem Grundstück Rheinstraße Nr. 44-46 und Holsteinische Straße Nr. 39-42 ist kompliziert. In der Rheinstraße Nr. 44 stand an der Straße ein einstöckiges Landhaus aus der Gründerzeit von Friedenau. 1897 setzten die Architekten Waldemar Wendt und Paul Egeling (1856-1937) auf das Grundstück Nr. 46 in erster Baulinie ein viergeschossiges Mietshaus im neogotischen Stil. Dahinter in zweiter Baulinie entstand die viergeschossige Fabrik als Rohziegelbau.

 

Beide Bauten in der ursprünglich als Landhauskolonie gedachten Siedlung waren durch die Bauordnungen von 1887 und 1892 gedeckt, mit denen die Gestaltungsordnungen von Berlin und den Vororten über einen Kamm geschert wurden. Interessant ist, dass zur Bauzeit die Gemarkungsgrenze zwischen Steglitz und Friedenau mitten durch das Grundstück Rheinstraße Nr. 44 bis Nr. 46 führte. Die Peschkestraße (einst Straße 25) gehörte ebenso wie die Holsteinische Straße (einst Straße 22 und Straße 26) zu Steglitz. Erst seit der Neuordnung der Verwaltungsgrenzen für die Reichshauptstadt Berlin von 1938 gehören die Gebäude der Optischen Anstalt C. P. Goerz in der Rheinstraße zu Friedenau.

 

In den Jahren zwischen 1899 und 1915 vervollständigten die Architekten Egeling, Wendt, Schmidt, Paeseler und Mitnacht das Goerzsche Areal in mehreren Bauabschnitten. 1899 kam ein Werkstattflügel quer zum Fabrikgebäude, 1901 ein langgestreckter viergeschossiger Klinkerbau mit reichem Dekor im Stil der Märkischen Backsteingotik und zwischen 1905 und 1908 die Hofrandbebauung hinter dem Erstbau bis zur Holsteinischen Straße. Zwischen 1913 und 1915 entstand der fünfgeschossige Verwaltungsbau mit Tonnendach, dem obendrein ein Observatorium aufgesetzt wurde, zeitgleich auf Nr. 44 eine zweigeschossige Werkstatt (heute Tanzschule). Glanzstück der Goerz-Höfe ist zweifellos der 1915 über dem Fabrikbau errichtete 31 Meter hohe verglaste Stahlskelett-Turmbau mit Kranausleger und auskragenden Terrasse – damals notwendig für den Test von Fernrohren und Entfernungsmessern.

 

Der Aufstieg der Firma C. P. Goerz wäre ohne die Aufträge des Preußischen Kriegsministeriums nicht möglich gewesen. Goerz stellte zwar Kameras her, Westentaschen-Kamera TENAX, Klapp-Kamera ANGO, auch Entfernungsmesser und Linsenfernrohre für Sternwarten, aber auch Periskope und Scherenfernrohre, mit deren Hilfe aus Bunkern, Schützengräben und U-Booten Ausschau gehalten werden konnte. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Versailler Vertrag kam das Geschäft zum Erliegen. 1926 wurde die „Optische Anstalt C. P. Goerz“ von der „Zeiss Ikon AG Dresden“ übernommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann die „Zeiss Ikon AG Stuttgart“ und den „VEB Zeiss Ikon Dresden“, der später mit dem Namen „VEB Pentacon Dresden“ versehen werden musste.

 

Die Immobilie „Goerz-Höfe“ ging 1961 in den Besitz der „Becker & Kries Holding GmbH & Co. KG“ über. Sie wurde restauriert. Heute stehen 161 m² Wohnfläche und 21.009 m² Gewerbefläche von 20 bis 1005 m² zur Verfügung. Die Vermietung bereitet offensichtlich keine Sorgen. 70 Mieter soll es geben, darunter Ingenieure, Architekten, Verlage, Agenturen, Designer, Vertreter und Studios für Sport, Tanz, Theater.

 

Carl Paul Goerz (1854-1923)

 

Kaisereiche, um 1925. LBS

Kaisereiche

 

Über die Kaiser-Eiche in Friedenau kursieren viele Geschichten. Eine davon ist, dass sie 1873 von Gustav Schenck (1830-1905) gepflanzt wurde. Er war Redakteur beim Berliner Fremden- und Anzeigeblatt und hatte in diesem Jahr das Landhaus Ringstraße Nr. 33/34 (Dickhardtstraße) erworben. Geschrieben wurde, dass diese nach wenigen Tagen von ruchloser Hand durchschnitten und ersetzt wurde, die allerdings einging. In der Berliner Baumbestandsliste heißt es, dass die nächste Pflanzung 1879 zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. erfolgte. Auch dieser Eiche war kein langes Leben vergönnt. 1883 musste sie erneuert werden. Ob diese Eiche die Weltkriegsbomben, die an der Kreuzung Rhein-, Saar- und Illstraße niedergegangen waren, überstanden hat, und nach dem Krieg nicht auch neu gepflanzt wurde, darf bezweifelt werden. Jedenfalls scheinen dieser Stiel-Eiche (Quercus robur) auf der Mittelinsel die widrigen Verkehrsbedingungen nichts anzuhaben.

 

 

Der einst halbkreisförmige Platz vor Mosel-, Saar- und Illstraße soll Rondell genannt worden sein. Auf den Plänen von anno dazumal gibt es dafür keinen Hinweis. Eingebürgert hat sich die Bezeichnung Kaisereiche – schon zu Zeiten der Straßenbahn, die hier in Richtung Friedenauer Brücke abbog. Die BVG hat den Begriff für die Bushaltestelle übernommen. Eingebürgert hat sich in der ständig abgeschriebenen Friedenau-Literatur die Schreibweise Schenk, obwohl er sich Schenck schreibt. Lange hat er es in Friedenau nicht ausgehalten: Da mich mein Beruf immer mehr in Anspruch nahm, zog er wieder nach Berlin zurück. Anlass war wohl 1877 der Tod des Verlegers Rudolf Ludwig Decker (1804-1877) und die Aufteilung seiner Königlichen Geheimen Oberhofbuchdruckerei. Das Deutsche Reich kaufte die Druckerei, die spätere Reichs- und Bundesdruckerei. Den Verlag erwarben Redakteur Gustav Schenck und Buchhändler Otto Marquardt. Sie firmierten fortan als R. von Decker, Marquardt & Schenck Berlin.

 

Im Verlag erschienen neben dem Berliner Fremden- und Anzeigeblatt die Allgemeine Preußische Zeitung, der Königlich Preußische Staats-Anzeiger und Werke von Theodor Fontane, darunter die fragwürdigen Titel Der Schleswig-Holsteinische Krieg (1866), Aus den Tagen der Occupation (1871) und Der Krieg gegen Frankreich (1873). Was im Fremdenblatt wiedergegeben wurde, wäre heute aus Datenschutzgründen nicht mehr möglich. Historiker bedauern das, weil Recherchen damit immer schwieriger werden. Die Lektüre ist köstlich. Informiert wurde über Fremde in Berlin, über Angekommene und Abgemeldete nebst Namen, Titeln, Herkunftsort, Unterkunft und Reiseziele. 1890 erwarb Schenck in Werder Seegrundstück und Villa Am Zernsee Nr. 5, wo er 1905 verstarb.

 

Rheinstraße Nr. 60

 

Es begann am 28. Dezember 1895. Da teilte Grundstückseigentümer Oskar Förster im Friedenauer Lokal-Anzeiger mit, dass er hierselbst in der Rheinstraße 60 erbautes Gasthaus unter dem Namen „Rheinschloss“ am ersten Weihnachtsfeiertage eröffnet habe – mit Restaurant und Café, Weinhandlung und Weinstuben, Billard und Kegelbahnen, Festsäle und Vereinszimmer.

 

Am 16. März 1896 folgte die nächste Überraschung: Theater in Friedenau. Unter der Direktion von Hans Hagemann gab es im Rheinschloss die Eröffnungs-Vorstellung Die Anna-Liese mit dem Hinweis: Das Rauchen im großen Theatersaal ist nicht gestattet. Das folgende Jahrzehnt ist geprägt durch häufige Wechsel von Eigentümern und Betreibern.

 

 

Das Rheinschloss blieb, vorrangig genutzt für Versammlungen aller Art. Im Frühjahr 1911 zog der Friedenauer Lokal-Anzeiger Bilanz: In Friedenau bestehen z. Zt. 3 Kinematographen-Theater, von denen das „Biophon-Theater“ (1909-1932) in der Rheinstraße Nr. 14 und die „Friedenauer Lichtbildbühne“ (1911) in der Rheinstraße Nr. 64 am Lauterplatz sich regen Besuches zu erfreuen haben. Am 1. April wird dann im „Rheinschloss“ ein viertes derartiges Theater, das im modernen Stil, ähnlich den Lichtspielen am Nollendorfplatz gehalten sein soll, eröffnet werden.

 

Die Eröffnung der Rheinschloss-Lichtspiele in der Rheinstraße Nr. 60 gab es dann doch erst am 16. April 1911: Dieses modern und vornehm eingerichtete Kinematographen-Theater weist den gleichen Komfort aus, wie die besten und großen Berliner Theater. Es sind über 500 Sitzplätze vorhanden. Die Bühne ist zu Logenplätzen umgewandelt worden und macht den Eindruck einer Fürstenloge. Vor der Projektionswand befindet sich ein schwerer Plüschvorhang, der elektrisch betrieben wird. Die elektrische Beleuchtung mit 5600 Lichtkerzen ist als feenhaft zu bezeichnen. Neu ist ein Lichtregulator, wie er in den neueren Berliner Theatern zu finden ist; dieser bewirkt, dass das Aufflammen und Verlöschen der Beleuchtung ganz allmählich geschieht, so dass das Auge nicht unter der plötzlichen Helle oder der plötzlichen Dunkelheit zu leiden hat. Die Gänge sind mit guten Läufern belegt. Trotz der in diesem Theater vorherrschenden Eleganz sind die Eintrittspreise außerordentlich billige, sie betragen 30 Pf. bis 1,50 M. Von heute Abend ab gelangt zur Vorführung Idas spannende Drama „Das gefährliche Alter“, ausgeführt von ersten Kräften des König!. Schauspielhauses in Kopenhagen, und das Drama aus dem Leben „Großstadt-Versuchungen“; hierzu das übrige Riesenprogramm: Landschaften, Städtebilder, historische Begebenheiten usw. Die Garderobe ist frei; die Damen werden daher freundlichst gebeten, die Hüte abzunehmen. In den Pausen konzertiert ein großes Theater-Orchester.

 

Bis 1918 war das Grundstück Rheinstraße Nr. 60 im Eigentum der Familie Förster. Tochter Charlotte Förster hatte sich am 19. März 1918 mit dem Leutnant der Reserve Dr. phil. Ernst Dibbern vermählt. Nach dem Lotte Förster am 11. April 1918 verstarb, erbten das Haus Charlotte und Ernst Dibbern. Nach Recherchen von Kinowiki übernahm 1917 Felix Borghard das Kino als Betreiber. Als Inhaber fungierten bis 1931 Felix Borghard und Ernst Dibbern. Nach dem Tod von Felix Borghard im Jahr 1947 übernahm Witwe Gertrud Borghard bis 1974 die Geschicke des Kinos. So blieb es bis 1974: Tägliche Vorstellungen, 400 bis 512 Plätze, Bühne Breite 6,5 m, Tiefe 4 m, Höhe 5,5 m, Bild- und Tontechnik nach dem aktuellen Stand, Polstersessel. Ernst und Lotte Dibbern haben sich 1929 nach Goslar zurückgezogen. Im Berliner Adressbuch von 1943 ist Charlotte Dibbern (Hannover) als Eigentümerin des Grundstücks eingetragen.

 

1974 war Schluss mit Kino im Rheinschloss. Für über vier Jahrzehnte zog ALDI ein. Am 1. Juni 2014 war auch damit Schluss. Neuer Interessent war denn's Biomarkt GmbH aus Töpen. Da war sofort auch Evelyn Weißberg vom Verlag edition Friedenauer Brücke mit alten Fotos von der Fassade sowie vom kleinen Restaurant und der Weinstube des Hotels zur Stelle, die in vergrößertem Format in der künftigen Biomarkt-Filiale zu sehen sein werden. Der Unteren Denkmalschutzbehörde von Tempelhof-Schöneberg ist zu Gute zu halten, dass bei Sichtung der denn’schen Umbaupläne auch die Bauzeichnungen von 1895 gefunden und dabei – wie schon beim Umbau vom Gotha-Markt zum LPG-Markt in der Hauptstraße Nr. 78 – ein Stück Friedenauer Baugeschichte wieder entdeckt worden ist. Hinter den eingezogenen Zwischendecken kamen Gesimse, Friese, Kapitelle, Wandsäulen, Pfeiler und zugemauerte Rundbogenfenster zum Vorschein. Das alles ist nun wieder sichtbar.

 

Friedenauer Lichtbild-Bühne, 2. September 1910

Rheinstraße Nr. 64

 

Kaum hatte der Friedenauer Lokal-Anzeiger am 29. August 1910 kundgetan, dass das Biophon-Theater in der Rheinstraße Nr. 14 auf das bessere Friedenauer Publikum eine stetig zunehmende Anziehungskraft ausübt, hielt die Konkurrenz dagegen: Am 3. September 1910 findet im Hause Rheinstraße 64 die Eröffnung eines neuen luxuriös eingerichteten Kinematographen-Theaters unter der Bezeichnung ,,Friedenauer Lichtbild-Bühne" statt. Die Darbietungen werden hochkünstlerisch und durchaus vornehm sein. Der Apparat stellt das Vollkommenste dar, was bisher in dieser Hinsicht geschaffen wurde und ist eine Erfindung und Arbeit unseres Mitbürgers Herrn M. Elsässer. Die ganze Einrichtung des Etablissements deutet daraufhin, dass es angebracht wäre, ihm den Namen „Intimes Theater" zu geben. Von den Bildern seien erwähnt: „Kinderfest in Rom“, ein recht ansprechender Film, „Die letzte Zuflucht“, ein Drama aus dem Leben, „Die Braut des verwünschten Schlosses“ ist gruselig; die ulkigen Darbietungen: „Der verliebte Max“, „Das Urteil des Narren“ und „Die Macht der Gewohnheit“ gefielen sehr.

 

 

Da die Direktion bemüht war, stets das Neueste zu bieten, gab es schon zehn Tage später interessante Bilder: „Experimente mit flüssiger Luft“ ist recht lehrreich und „Wie das Leben spielt“ für empfindsame Gemüter ergreifend. „Quer durch Schottland“ bringt prächtige Reisebilder, während „Amphytrion“ als antike Phantasie wegen seiner Farbenpracht das Auge bezaubert. Allerliebst ist der Film „Kinderträume“ und das Tonbild „Goldfischquartett“. Die neuen französischen „Drachenflieger“ und die halbhistorische Episode „Savelli" aus der Zeit Napoleons III. fesseln in hohem Maße. Sehr ulkig sind die komischen Darbietungen, von denen wir hier nennen: „Die Ordonnanz in Generalsuniform“, „Ein vergnügter Theaterabend“ und „Die Parvenüs“. Vorgestern und gestern war das Theater ausverkauft. Anfang 6 Uhr, sonntags 4 Uhr. Programme an der Kasse. Die in den ersten Vorstellungen bemerkten Mängel sind jetzt vollständig behoben.

 

Kaiser-Wilhelm-Garten. Archiv Rüdiger Barasch

Rheinstraße Nr. 65

 

Die Geschichte des Eckgrundstücks Rheinstraße und Ringstraße (ab 1962 Dickhardtstraße) ist etwas kompliziert. Nach Gründung von Friedenau wurde dort der Kaiser-Wilhelm-Garten eröffnet, eine Lokalität für Versammlungen aller Art. 1898 kamen Ringstraße Nr. 1-3 und Rheinstraße Nr. 65-67 in den Besitz von Schlächtermeister G. Bierhan, der seit 1880 eine Schlächterei betrieben hatte. Als Rentier wollte er 1899 durch einen Neubau eine Verschönerung der Rheinstraße schaffen, und war bereit, von dem Vorgarten vor dem Kaiser Wilhelm-Garten drei Meter abzutreten. Nach Abriss der Schlächterei, eines Teils des Wohnhauses und der Hofmauer ist Raum gewonnen für ein Gebäude von 20 Meter Straßenfront. Das Haus soll im Parterregeschoss kleinere, modern eingerichtete Läden erhalten und drei Stock hoch aufgeführt werden. Ferner wird auch die Schlächterei im hinteren Teile des Grundstücks neu erbaut werden. Dass Herr Bierhan den Saal des Kaiser-Wilhelm-Gartens mit neuem Parquetfußboden versehen lässt, wird bei den Besuchern dieses sehr beliebten ältesten Friedenauer Etablissements mit lebhafter Freude aufgenommen. Der Saal befindet sich entlang der Ringstraße (seit 1962 Dickhardtstraße), der Eingang an der Ecke zur Rheinstraße.

 

 

 

Pächter des Kaiser-Wilhelm-Garten war der Gastwirt Fritz Bartelt – seit über 25 Jahren. Seinen rastlosen Bemühungen ist es gelungen, das Restaurant auf die jetzige Höhe zu bringen. Am 12. Mai 1900 hatte er gegen Mittag in seiner Kegelbahn einen Stuhl bestiegen, derselbe gab jedoch nach und Herr Bartelt stürzte mit voller Wucht auf die Lehne desselben, so dass er einen doppelten Rippenbruch erlitt. Obwohl Rippenbrüche im Allgemeinen nicht lebensgefährlich sind, so ist aber in diesem Falle die Lunge gestreift worden und am 20. Mai 1900 nach kurzem Krankenlager im 63. Lebensjahre der Tod erfolgt.

 

Reform-Kinematographen-Theater, 1. August 1907

1907 Reform-Kinematographen-Theater

 

Hauseigentümer Bierhan fand 1902 mit Gastwirt Hermann Siepert einen neuen Pächter. Alles blieb wie gehabt, Restaurant, Kegelbahnen, Billard, Vereinszimmer. Offeriert wurden Eberl-Bräu München, Saazer Bier und Pilsner Urquell. Die Festsäle konnten mit Versammlungen und Theateraufführungen einigermaßen gefüllt werden. Zufriedenstellend war das nicht. Es fügte sich, dass Hermann Siepert auf Leo Stachow traf, der 1906 in der Rosenthaler Straße Nr. 51 eine Mechanische Werkstatt für die Herstellung von Kinematographen gegründet hatte und einen Aufführungsort für ein Reform-Kinematographen-Theater suchte. Am 2. August 1907 war es so weit. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger war dabei: Gestern fanden nun die ersten Vorstellungen in dem neu gegründeten Reform-Kinematographen-Theater statt, nachdem am Mittwochabend bereits vor geladenen Gästen die Eröffnung dieses neuen Unternehmens erfolgte. Während am Mittwoch vielfach die Bilder nicht recht klappen wollten, ging nun gestern alles ohne Störung vonstatten. Wir greifen zunächst zurück auf den Eröffnungsabend am Mittwoch.

 

Herr Leo Stachow, der Erfinder des AAR-Kinematographen, begrüßte die Gäste und dankte für das liebenswürdige Erscheinen. Er gab das Versprechen ab, dass er die vornehme Tendenz in seinem Unternehmen stets beibehalten wird, so dass es zur Erziehung und Belehrung des Deutschen Volkes beitragen möge. Mit diesem Versprechen eröffne er das erste Reform-Kinematographen-Theater in Deutschland, und hoffe, dass dieses Theater sich recht bald in ganz Deutschland verbreite.

 

 

Die Vorführungen geschehen in einem großen, luftigen Saal, die Begleitung der Bilder geschieht durch einen guten Klavierspieler und nicht, wie in den meisten Kinematographen durch ein Orchestrion, das zuweilen unpassende Melodien zu den Bildern gibt. Ferner wird gefordert, dass jeder Besucher in sauberer Kleidung erscheint, und das Lärmen nicht vorkommt. Auch der Ausschank ist vollständig getrennt von dem Theater. Das Programm bewegte sich ganz in den Grenzen des von der Direktion Versprochenen. Nach einem belehrenden Bilde folgt stets ein heiteres Genre, das aber durchaus wohl anständig und den schärfsten Sittenrichter gut passieren kann. Von den ernsten Bildern erwähnen wir u. a. „Die Fahrt nach Amerika". Wir sehen den Schlepper das Riesenschiff aus dem Hafen bringen, sehen wie die letzten Abschiedsgrüße mit dem Heimatlande gewechselt werden; dann befinden wir uns auf dem Schiff und beobachten dort das Treiben während der Überfahrt. Auch die Meeresströmung, die Brandung des Meeres an dem Schiff, den Sonnenaufgang auf dem Meere, die Vorbeifahrt eines Seglers usw. können wir anstaunen. Weiter kommen kleine Segelboote, die Vorboten, daß Land in der Nähe ist und bald darauf fahren wir ein in den Hafen von New York, vorbei an der Statue der Freiheit, vorbei an unzähligen Dampfern und Schiffen, an riesigen Wolkenkratzern; schöner kann kaum die wirkliche Fahrt sein und hier machen wir sie ungefährlich in wenigen Minuten. Gleichfalls hübsch ist die Aufnahme der Ameisen bei ihrer Arbeit, dann der Riesenbrand in San Francisco, wo wir das Ausrücken der Feuerwehr, den Brand, dann die Trümmer der Stadt, das Niederreißen der Ruinen etc. sehen. Unser Entzücken ruft auch eine Reise durch Palästina hervor und ferner der Walfischfang usw. usw. Von den humoristischen Bildern seien erwähnt, der kurzsichtige Radfahrer, das Radfahren lernende Dienstmädchen. Ganz besonders werden die Lachmuskeln auch da angestrengt, wo wir einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft zuschauen können. Die Braut hat merkwürdig viel Pech. Sie fällt u. a. von einer Schaukel mitten auf den Tisch, an welchem die Hochzeitsgesellschaft sitzt, und zu guter Letzt aus einem Kahn ins Wasser.

 

1916 Kronen-Lichtspiele

 

Am Sonnabend, 22. Januar 1916, wurde in Friedenau im Saal des „Kaiser-Wilhelm-Gartens", Rheinstraße 65, unter dem Namen Kronen-Lichtspiele das vierte Lichtspielhaus eröffnet. Inhaber ist August Röder. Der alte Saal, der bekanntlich nicht zu den Schönheiten Friedenaus gehörte, ist einer vollkommenen, von Grund aus durchgeführten Um-und Neugestaltung unterworfen worden. Nach den Plänen des Architekten Schultz-Heckendorff, unter Beistand des Architekten Schneider, wurde  ein Theaterraum geschaffen, der in seiner praktischen Anlage und in seiner geschmackvollen Ausgestaltung und Farbentonung dem verwöhntesten Ansprüche des Theaterbesuchers gerecht wird. Fort sind die fleckigen, hässlichen Wände, die grässliche kahle Decke, und eine ganz andere Form hat der Saal erhalten. Eine große Galerie in geschwungenen Linien ist gegenüber der Bühne errichtet. Ein vornehmes Klappgestühl bietet einigen hundert Zuschauern bequeme Sitzgelegenheit. Gleich am Eingang befinden sich hübsch ausgestattete Logen, jede mit einer besonderen stilvollen elektrischen Lampe versehen. Auch auf der Galerie sind solche Logen angelegt. Feldgrau ist jetzt die Modefarbe, und diese Farbe beherrscht auch Wände und Decke des Saales, während grüne Platten und Bänder das Farbenbild beleben. Eine große, mit hellgelber Seide überspannte Deckenkrone gibt dem Saale während der Pausen ein angenehmes Licht.

 

 

 

Der Eingang ist in hellen, lichten Farben gehalten. Links befindet sich eine Kleiderablage, während rechts besondere Eingänge zu den Logen und zum Saal führen; geradezu ist die Treppe zur Galerie. Besonders erwähnt sei auch„ daß Zentralheizung eingeführt ist, die die früheren Klagen über Kälte aus der Welt schafft.

 

August Röder bzw. nach seinem Tod Tochter Helga betrieben die Kronen-Lichtspiele von 1916 bis 1966 – fünfzig Jahre, unterbrochen für jeweils ein Jahr von den zeitweiligen Inhabern National-Film-Theater GmbH (1927) und Dr. R. F. Goldschmidt (1949). Sinkende Besucherzahlen führten 1969 zum Ende. ALDI nutzte die Räumlichkeiten bis 2006. Danach zog die Trattoria dell' Arte ein.