Als die ersten Berliner 1874 ihre Landhäuser bezogen, hieß der Weg noch Bahnstraße. Um eine Verwechslung mit der gleichnamigen Straße in Schöneberg zu vermeiden, wurde die Bahnstraße am 22. Oktober 1875 in Saarstraße umbenannt. Die Saarstraße gehörte zu den begehrten Straßen und wurde wohl deshalb 1883 um das Stück zwischen Kaisereiche und Friedrich-Wilhelm-Platz erweitert. 1890 wurde dies rückgängig gemacht. Es entstand die Kirchstraße (ab 1962 Schmiljanstraße), was nach Alfred Bürkner damals ein ziemliches Hausnummern-Durcheinander bedeutete.

 

Nachdem der Gründungsschwindel des David Born aufgeflogen war und sein Landerwerb und Bauverein auf Actien die versprochene Dividende nicht ausschütten konnte, bestand die Colonie Friedenau hauptsächlich aus unvollendeten Baustellen. Als sich die Lage beruhigt hatte, kamen die Bauordnungen von 1887 und 1893. Nun konnten auch in den Vororten Landhäuser aus der Gründerzeit abgebrochen, Grundstücke geteilt und mehrstöckige Mietswohnhäuser errichtet werden.

 

1894 bestand schon Einigkeit darüber, dass eine Brücke über Stammbahn- und Wannseebahntrasse sowohl für jenen im Entstehen begriffenen östlichen Schöneberger Stadtteil als auch für die weitere Entwicklung von Friedenau wünschenswert wäre. Kompliziert, weil dort die Gemarkungen von Friedenau (Saarstraße), Schöneberg (Rembrandtstraße) und Steglitz (Körnerstraße) aufeinandertrafen. Am 16. Februar 1899 wurde die Saarstraßenbrücke eingeweiht und 1906 mit dem Namen Friedenauer Brücke bedacht.

 

Mit der Bekanntmachung vom 17. Juli 1902 brachte der Friedenauer Gemeindevorstand zur öffentlichen Kenntnis, daß wir die Umnummerierung der Saarstraße beschlossen haben. Nach dem aufgestellten Nummerirungplan erhalten die Grundstücke der Saarstraße folgende neuen Nummern, beispielsweise wurde aus Nr. 10 die Nr. 14 und aus Nr. 14 die Nr. 19. Diese Nummerierung ist im Prinzip bis heute gültig.

 

Nachzutragen ist, dass die Häuser Saarstraße Nr. 11 (Ecke Fregestraße Nr. 55) und Nr. 11a (an der Friedenauer Brücke) zu Steglitz und das Grundstück Saarstraße Nr. 12/Fregestraße Nr. 56 zu Schöneberg gehört – letzteres wurde mit dem Ausbau der Saarstraße als Zubringer zur Westtangente abgerissen. Für die Verbreiterung der Saarstraße, auf der bis zur Einstellung am 1. März 1961 noch die Straßenbahnlinie 88 zwischen Steglitz Stadtpark über Knausstraße, Saarstraße, Kaisereiche, Rheinstraße, Lauterplatz, Hauptstraße und Innsbrucker Platz bis zur Potsdamer Straße fuhr, wurden beiderseits der Saarstraße auch die Vorgärten entfernt.

 

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Bebauungsplan Saarstraße 1958

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Aron Bernstein um 1883. Fotografie von Wilhelm Fechner

Saarstraße Nr. 1 (vorher Bahnstraße)

Aaron Bernstein (1812-1884)

 

Aaron Bernstein zog 1877 in das Haus Saarstraße Nr. 1 von Baumeister Hermann Hähnel ein. Zwei Jahre später wohnte er Rheinstr. 43 und 1883 ist er als Mieter in der Villa Born (Haus des Lichterfelder Bauvereins) des Architekten Adolph Born (1855-1924) in der Lichterfelder Wilhelmstraße Nr. 8 gemeldet. In Lichterfelde ist er 1884 gestorben.

 

Aaron Bernstein wuchs in Danzig als Sohn eines Rabbiners auf und bereitete sich zunächst in der Talmudschule auf den Rabbinerstand vor. 1832 ging er nach Berlin, erlernte durch Selbststudium die deutsche Sprache und eignete sich Kenntnisse in Literatur und Naturwissenschaften an. Während einiger Jahre verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Verkäufer von antiquarischen Büchern. 1860 veröffentlichte er (vielfach in Dialekt) Novellen über das jüdische Volksleben in den deutschen Kleinstädten. 1876 verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen wegen besonderer wissenschaftlicher Verdienste den akademischen Grad des Doktors der Philosophie honoris causa (Dr. phil. h.c.) – gemeint waren damit wohl seine ‚Naturwissenschaftlichen Volksbücher‘. Für das illustrierte Familienblatt ‚Die Gartenlaube‘ schrieb er zwischen 1869 und 1893 einige Artikel. Das Blatt stellt den Autor 1861 Vor: Was wir nachstehend von dem Lebensgange Bernstein’s mittheilen, verdanken wir den Notizen einiger seiner Freunde – daß das Material, welches uns zu Gebote steht, ein nur spärliches ist, hat seinen Grund einmal in der Bescheidenheit des Mannes, der es verschmähte, eine Berühmtheit zu werden, und dann in der Thatsache, daß sein Leben bisher kein äußerlich bewegtes, sondern ein tief innerliches war, welches nur er selbst einmal in dem ganzen Reichthum geistiger Kämpfe und Erlebnisse wird darstellen können. So lange seine fruchtbare Wirksamkeit nach außen uns eine solche Selbstschau nicht in Aussicht stellt, müssen wir versuchen, aus der reichen und mannigfachen Thätigkeit des Mannes ein Bild seines eigensten Wesens zu gewinnen.

 

 

Nach seinem Tod veröffentlichte ‚Die Gartenlaube‘ in Heft 9, 1884 folgenden Nachruf: Dr. A. Bernstein †. Einen treuen Freund hat uns der Tod entrissen, den Verlust eines ehrenvollen Mannes müssen wir heute betrauern. Nach schwerem, aber glücklicher Weise kurzem Leiden starb am 11. Februar Dr. Aaron Bernstein, einer der ältesten Mitarbeiter der „Gartenlaube“. Schon im Jahre 1861 haben wir den „alten Bernstein“ unsern Lesern vorgeführt, da er in der Blüthe seines Lebens stand, ein unerschrockener Kämpfer für die Freiheit und die Aufklärung des Volkes. Sein Lebensbild war schon damals so gut wie abgeschlossen, der Ruhm des Pfadfinders für den politischen Leitartikel in Deutschland war ihm ebenso gesichert, wie der Ruf des Begründers eines neuen Literaturzweiges, der Popularisirung der Naturwissenschaften. Was er in den letzten zwanzig Jahren noch geschaffen, das war nur eine Fortsetzung seines früheren ersprießlichen Wirkens, ein unermüdliches Streben, den reichen Schatz der Wissenschaft den breitesten Schichten unseres Volkes zu erschließen. Zu diesem Zwecke trat er in letzter Zeit in engere Beziehungen zur „Gartenlaube“, und bot unseren Lesern das vortreffliche Charakterbild des großen Volksmannes Schulze-Delitzsch und die geistvolle Erinnerung an das helle Doppelgestirn der deutschen Wissenschaft, die „zwei Brüder“ Alexander und Wilhelm von Humboldt. In diesem Jahre beabsichtigte er die Fortschritte der Elektrotechnik in unserem Blatte zu behandeln und trug uns Pläne über neue große literarische Unternehmungen vor, denn sein rüstiger Geist ahnte nicht, daß er abberufen werde von seinem mit seltener Pflichttreue behaupteten Posten. Legen wir den wohlverdienten Lorbeerkranz auf sein frisches Grab nieder und bewahren ihm das liebevolle Andenken, das wir ihm schulden!

 

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Aaron Bernstein - Ein deutscher Zeitungsschreiber. Die Gartenlaube, 1861

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Villa Fröauf in der Saarstraße um 1875. Archiv Rüdiger Barasch

Saarstraße Nr. 3 (vorher Bahnstraße)

 

Das erste Haus dieser Adresse gehörte dem Geheimen Rechnungsrat und Kommunalpolitiker Wilhelm Fröauf (1814-1899), der hier von 1877 bis 1891 lebte. 1883 zog in dieses Haus auch der Philosoph Adolf Lasson (1832-1917), zu dieser Zeit Oberlehrer am Luisenstädtischen Realgymnasium und Dozent an der Berliner Universität. Ab 1897 lehrte er dort als Professor der Philosophie. Lasson, der letzte Hegelianer auf dem Berliner Katheder und anerkannter Aristoteles-Übersetzer, erhob die Freiheit zum Prinzip der Theologie. Zu seinen Hauptwerken zählen System der Rechtsphilosophie (1882), Das Gedächtnis (1894), Der Leib (1896), Über den Zufall (1918). Er ist beigesetzt auf dem Friedhof I der Georgen-Parochial-Gemeinde im Bezirk Prenzlauer Berg, der Grabstein ist 1994 umgestürzt und geborsten.

Alfred Bürkner, 1996

Saarstaße 4, 1951. Sammlung Staudt. Musem Schöneberg

Saarstraße Nr. 4

 

 

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Saarstraße 6, 1950. Sammlung Staudt. Museum Schöneberg

Saarstraße Nr. 6

 

 

 

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Saarstraße 7 Ecke Dickhardtstraße, 1999. Topographie Friedenau, 2000

Saarstraße Nr. 7

 

Das viergeschossige Eckhaus Saarstraße Nr. 7/Dickhardtstraße 42-43 wurde 1909/10 nach Plänen des Architekten Richard Preuß errichtet. Das Haus hat zwei Eingänge: an der Dickhardt- und an der Saarstraße. Die Baumasse und die Straßenfassaden des Doppel-Mietwohnhauses sind asymmetrisch aufgebaut und gegliedert. Beide Fassaden sind durch deutlich unregelmäßig angeordnete breite Erker mit hohen Quergiebeln vor dem Mansarddach akzentuiert. An die Erker sind offene und geschlossene Loggien angefügt. An der Saarstraße verstärkt ein weiterer schmalerer Erker mit kleinem Turmhelm die Asymmetrie. Die beiden Hauseingänge eröffnen kleine holzvertäfelte Vestibüle, die Treppenaufgänge erschließen jeweils zwei Wohnungen pro Geschoss. Das Haus gehört zum Berliner Reformmietshausbau und erinnert an Mietwohnhäuser von Albert Geßner, etwa an die Einküchenhäuser in der Wilhelmshöher Straße. Topographie Friedenau, 2000

 

Saarstraße 8. Topographie Friedenau, 2000

Saarstraße Nr. 8

 

Das viergeschossige Nachbarhaus Saarstraße Nr. 8 auf hohem Souterrain wurde 1908/09 nach den Plänen von Carl Kremser und Albert Weber erbaut. Das Haus ist ein Zweispänner mit Vorderhaus und kurzen Seitenflügeln. Der Grundriss zeigt pro Geschoß eine 4- und eine 6-Zimmer-Wohnung, jedoch können durch die veränderbare Zuordnung des Zimmers in der Mittelachse des Hauses auch zwei 5-Zimmer-Wohnungen mit Küche, Mädchenkammer, Bad und WC entstehen. Diese Variabilität der Wohnungsgröße wird dadurch möglich, dass ein Zimmer von beiden Seiten erschlossen werden kann. Die eigentlich symmetrische Straßenfassade mit Erkern und Loggien beiderseits der Mittelachse wird durch asymmetrische Elemente (ungleich breite Erker, eine kleine zusätzliche Fensterachse in der Mitte, Ausmittigkeit der Mittelachse und so weiter) lebhaft gegliedert. Das Souterrain und das Hochparterre sind verklinkert, das erste und zweite Obergeschoss verputzt und das dritte mit Ziegelbehang und einem Fußwalm versehen. Die Fensterformate wechseln in jedem Geschoss. Die Loggien sind wintergartenartig verglast. Die Fassade des Hauses gehört zu den interessantesten und lebendigsten Fassaden des Reformmietshausbaus in Friedenau.

Topographie Friedenau, 2000

 

Landhaus Saarstraße 14. Quelle Topographie Friedenau, 2000

Saarstraße Nr. 14 (vorher Nr. 10)

Landhaus Homuth

 

Das Landhaus in der Saarstraße Nr. 10 (heute Nr. 14) wurde 1884 vom Architekten Wilhelm Spieß für Johannes Homuth (1839-1922) errichtet. Der Beamte des preußischen Finanzministeriums, der es bis 1871 zum Geheimen Registrator gebracht hatte, war 1882 mit Ehefrau Maria geb. Köhler (1843-1927) in die Steglitzer Körnerstraße Nr. 3 gezogen. 1886 taucht er – inzwischen Kanzlei-Rath – erstmals im Friedenauer Adressbuch als Eigentümer des Grundstücks Saarstraße Nr. 17 auf – das 1893 die Hausnummer 8-10 erhält. Laut Landesdenkmalamt Berlin (LDA) handelt es sich um einen gelben Rohziegelbau auf einem Vierfelder-Grundriss mit spätklassizistischem Putzdekor. Nachbarn waren der Geheime Rechnungs-Rath Wilhelm Fröauf (1814-1899) und der Geheime Kanzlei-Rath Ludwig Blankenberg (1821-1889), die 1871 über den Landerwerb- und Bauverein auf Actien die Landhauskolonie gründeten und als Kommunalpolitiker ab 1874 die Gemeinde Friedenau wesentlich prägten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der jüngere Homuth dazu bewegt wurde, 1894 die Wahl als Gemeindeverordneter anzunehmen. Ein Jahr später verlieh der Kaiser dem Kanzlei-Rath Homuth zu Friedenau bei dessen Uebertritt in den Ruhestand den Charakter als Geheimer Kanzlei-Rath. Am 3. Dezember 1906 erhielt die Straße 8 den Namen Homuthstraße.

 

Den Lebensweg von Johannes Homuth beschrieb Bürgermeister Erich Walger während einer Sitzung der Gemeindevertretung am 17. März 1910: Am 21. März sind 25 Jahre verflossen, seit er Friedenauer Bürger ist. 18 Jahre ist er hier ehrenamtlich tätig gewesen. Wenn wir zurückblicken in die Zeit, da Herr Homuth sein Amt antrat, wo die Einwohnerzahl 2137 betrug, so erkennen wir so recht den Aufschwung, den Friedenau seit jener Zeit genommen hat. Es gab damals 76 Villengrundstücke. Die Einkommensteuer war mit 7150 M angesetzt, die Grundsteuer mit 5893 M Kreissteuern gab's noch gar nicht. Die Hundesteuer, die mit 6 M erhoben wurde, brachte 770 M. Der Etat balanzierte mit 14000 M. Die Schulen kosteten damals 1800 M und der Armenetat betrug 1600 M. Sie gehörten der Schuldeputation, dem Schulkuratorium, dem Gesundheits-, dem Anleiheausschuß, dem Rechnungsprüfungs- und Steuerausschuß an. Nun, ich brauche wohl nicht viele Worte zu machen, Herr Homuth ist der ruhende Punkt in der Erscheinung Flucht gewesen. Besonders an der Etatsberatung hat er sich rege beteiligt, keiner kannte den Etat so genau wie er, man hörte aufmerksam zu, was er sagte und sein Wort galt. Wir haben nun beschlossen, Sie zum Gemeindeältesten zu ernennen. Wir bitten Sie, die Ehre, die Ihnen dadurch zuteilwird, als eine wohl verdiente anzunehmen. Ich hoffe, daß Sie durch diesen Ehrenbürgerbrief an uns gefesselt bleiben.

 

Johannes Homuth hat in Friedenau einiges erlebt, darunter die diversen Berliner Bauordnungen, wonach auch in den Vororten Landhäuser aus der Gründerzeit abgebrochen, Grundstücke geteilt und darauf mehrstöckige Mietswohnhäuser errichtet werden konnten. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger beklagte bereits am 20. Mai 1901, dass die Saarstraße im nächsten Jahr ihren Charakter als Villenstraße wohl gänzlich verlieren wird. Herr Homuth wird sich nicht mehr heimisch fühlen und sein altes trautes Heim dann auch wohl verkaufen.

 

Homuth nahm am 17. Juli 1902 die Umnummerierung der Saarstraße hin, wonach er statt unter Nr. 10 nun unter Nr. 14 zu erreichen war, er nahm es hin, dass sein eingeschossiges, freistehendes Landhaus nun beidseitig von den Brandmauern der viergeschossigen Nachbarhäuser Nr. 13 und Nr. 15 eingekeilt wurde.

 

Johannes Homuth starb am 2. März 1922 und wurde in einem Ehrengrab auf Friedhof Stubenrauchstraße bestattet. Nach seinem Tod ging das Anwesen an Homuth, M., verw. Geh. Kanzlei-Rath. Maria Homuth starb 1927 und wurde im Familiengrab beigesetzt. Am 9. Dezember 1958 beschloss der Senat von Berlin, die Grabstätte zur Ehrengrabstätte zu erheben (Grablage 25-1). Die Laufzeit wurde 1978 und 1998 verlängert. Da das Bezirksamt Schöneberg mit dem Einebnen von historischen Gräbern schnell bei der Hand ist, fragten wir am 26. Januar 2021 bei der Senatskanzlei an, und erhielten die Antwort, dass die weitere Anerkennung zusammen mit den anderen Stadtältesten ab 2026 nach den dann geltenden Vorschriften geprüft wird. Da das Wirken von Johannes Homuth nach den Kriterien des Senats spätestens dann einer breiteren Öffentlichkeit nicht mehr deutlich präsent ist, wird dieses Grab wohl verschwinden.

 

1929 erwarb der Malermeister Hans Walldorf das Anwesen Saarstraße Nr. 14. Er setzte den seitlichen Anbau einer Garage und im Hinterhof den Bau eines Schuppens durch. Walldorf war bis 1954 Eigentümer. Im Grundbuch von Friedenau, Blatt 1872 finden sich danach nachfolgende Eintragungen:

 

1. Frau Elisabeth Batzer in Berlin, neu eingetragen ohne Eigentumswechsel am 21.09.1999;

2. Ursula Bußmann geb. Kreetz, geb. am 08.08.1921, Erbschein, eingetragen am 20.01.2000;

3. Hans Bußmann, geb. 14.02.1917, Erbvertrag, eingetragen am 14.09.2004;

4. Martina Saddey, geb. 19.07.1963, Auflassung (Übereignung), eingetragen am 26.11.2004;

5. Zeltlagerplatz e. V., Bonn, Auflassung (Übereignung) vom 02.10.2009, eingetragen am 24.11.2009.

 

Der Verein Zeltlagerplatz ist der Vermögensträger der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken. Dieser beauftragte den Architekten Martin Beisenwenger mit Restaurierung und Umbau des unter Denkmalschutz stehenden Landhauses. Seine Architekturzeichnungen von 2009 vermitteln zugleich einen Einblick in den Bau von 1884. Was er auf einer Geschossflächenzahl von 604 m² untergebracht hat, Seminarräume, Ausstellungsflächen, Büros und Bibliothek, nötigt Respekt ab, weil vor allem das ehrwürdige Haus respektiert wurde. Ob die steilen Stufen im Treppenhaus, Geländer, Fenster, Türen oder der Rohziegelbau mit dem Ziergiebel, alles wurde umsichtig restauriert – selbst das Bidet von anno dunnemals wurde erhalten.

 

Am 12. März 2011 wurde unter der Adresse Saarstraße Nr. 14 das Luise & Karl Kautsky-Haus eröffnet. Das Land Berlin und das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg haben jegliche finanzielle Beteiligung verweigert. Es kam noch ärger: Als das Haus darum bat, den vor den Eingang gesetzten Parkscheinautomaten zu versetzen, weil er die Gedenkstelle für die Kautskys verdeckt, teilte das Bezirksamt mit, dass eine Verlegung ca. 1800 € kosten würde und dieses Geld von der Verwaltung nicht aufgebracht werden kann.

 

Dabei wurde auf Veranlassung der Bezirksverordnetenversammlung von Schöneberg bereits 1980 für das Haus in der Saarstraße Nr. 14 eine Bronzetafel für Karl Kautsky beschlossen: Hier wohnte von 1900 bis 1902 Karl Kautsky * 16.10.1854 -17.10. 1938 Führender Theoretiker der deutschen und internationalen Sozialdemokratie. Dem Landesdenkmalamt Berlin (LDA) war diese Formulierung allerdings suspekt und entschloss sich für die vage Formulierung wie eine Gedenktafel am Haus mitteilt. Eindeutig wäre der Hinweis gewesen, dass Karl Kautsky nie und nimmer in der Nr. 14, sondern von 1902 bis zum Umzug in die Niedstraße 1909 in der Saarstraße Nr. 19 wohnte, dass dieses Haus den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hatte und durch einen Nachkriegsbau mit der Nr. 19 ersetzt wurde.

 

Diese Unklarheit mit Nr. 14 und Nr. 19 führte in der Friedenau-Literatur zu Verwirrungen, angefangen 1996 mit Alfred Bürkners Friedenau – Straßen, Häuser, Menschen bis hin zur Dokumentation von Hermann Ebling, der 2007 in der Edition Friedenauer Brücke die unglaubliche Geschichte auftischte, dass die Kautskys von 1900 bis 1902 in der kleinen Villa mit Garten in der Saarstraße 14 wohnten.

 

Das alles wird seitdem nachgeplappert und weitergesponnen – inklusive der Stadtführerin Gudrun Blankenburg, die nach dem Motto Frauen im Bezirk sichtbar machen, 2011 den Antrag der SPD-Fraktion für eine Gedenktafel zu Ehren von Luise Kautsky an ihrem Friedenauer Wohnhaus Saarstraße 14 durchsetzte, dessen Umsetzung jedoch bisher nicht erfolgte. Die Falken sollten endlich für Klarheit sorgen.

 

 

***

 

Luise & Karl Kautsky-Haus

Saarstraße Nr. 14

 

Das Luise & Karl Kautsky-Haus wurde am 12. März 2011 in der Saarstraße Nr. 14 eröffnet.

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Dokumentation Luise & Karl Kautsky Haus. Quelle: A-plan Beisenwenger

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Saarstraße 18, 1953. Sammlung Staudt. Museum Schöneberg

Saarstraße Nr. 18

 

 

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Saarstraße 19. Foto Hahn & Stich, 2021

Saarstraße Nr. 19

Karl Kautsky (1854-1938)

 

Das Haus hat den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt. In der Sammlung des Fotografen Herwarth Staudt, der 1950/51 die Ruinen der Saarstraße dokumentierte, existieren Fotos der Häuser Nr. 4, 6 und 18. Das Haus Nr. 19 fehlt. An dieser Stelle steht ein Nachkriegsbau.

 

1897 kamen Karl Kautsky (1854-1938) und seine Frau Luise geb. Ronsperger (1864–1944) mit den Söhnen Karl (1891–1938), Felix (1892–1953) und Benedikt (1894–1960) nach Berlin. 1899 ist die Familie im Berliner Adressbuch eingetragen: Kautsky, Karl, Redacteur d. Neuen Zeit, Schöneberg, Hauff-Str. 11, II. Postbezirk Friedenau.

 

Ganz in der Nähe wohnte ab 17. August 1899 Rosa Luxemburg, zuerst mit Zimmer in der Hauffstraße Nr. 4, kurze Zeit später in der Wielandstraße Nr. 23 und schließlich ab 1902 mit Wohnung in der Cranachstraße Nr. 53. Am 16. August 1899 schrieb Rosa Luxemburg an Leo Jogiches in Zürich: Du wirst Dich wundern, daß ich in der Nähe von K. K. eingezogen bin, aber ich hatte keine andere Wahl; in Berlin selbst ist eine unerträgliche Luft, und am Tiergarten gibt es kein einziges Zimmer. Halensee habe ich abgerannt, nichts, Friedenau habe ich nach zwei Stunden Herumlaufens nur dieses einzige Zimmer zu vermieten gefunden. Das Zimmer ist prächtig, zwei Fenster, elegant, heiter, mit künstlerischem Geschmack, erster Stock, direkter Eingang von Treppe und Mittagessen im Hause. Die Luft in Friedenau ist sehr gut, vor den Fenstern Bäume, Wälder und Felder nahe gelegen, Ruhe, ein ausgesprochenes Villenquartier. Aus K. K. mache ich mir nichts, denn ich werde ihn besuchen wie bisher, dreimal im Jahr, und auf der Straße begegnen wir uns selten, denn er sitzt er zu Hause, und ich renne auch nicht viel umher. Im übrigen, was geht er mich an?

 

Das änderte sich bald. Am 3. September 1899 traf Rosa Luxemburg K.K. auf der Straße. Am 10. September lief sie zu K.K. in die Wohnung, um seinen Rat einzuholen. Sie haben sich mächtig gefreut, mich zu sehen, und bestürmten mich, so bald als möglich wiederzukommen. Am 17. September ging sie etwa zwei Stunden mit Kautskys spazieren (sie holten mich heraus, als sie an meinen Fenster vorbeigingen; sie stellten sich zu fünft auf und unterhielten sich mit mir von der Straße aus, so mußte ich denn zu ihnen hinausgehen. Am 24. November traf sie bei K.K. erstmals August Bebel und Franz Mehring.

 

Mit den Bauordnungen von 1887 und 1893 konnten Landhäuser aus der Gründerzeit abgebrochen, Grundstücke geteilt und darauf mehrstöckige Mietswohnhäuser errichtet werden. Die Gemeinde Friedenau war gezwungen, beispielsweise für die Saarstraße am 17. Juli 1902 eine neue Hausnummerierung vorzunehmen. Aus dem 1884 erbauten Landhaus des Geheimen Kanzleiraths Johannes Homuth (1839-1922) in der Saarstraße Nr. 10 wurde Saarstraße Nr. 14. Nach dem Tod von Homuth ist seine Witwe Maria bis zu ihrem Tod 1927 Eigentümerin des Landhauses, das aus jeweils vier Räumen im Soutterrain und Hochparterre und einem Dachgeschoss besteht.

 

Das bisher unbebaute Grundstück Saarstraße Nr. 14 wurde Saarstraße Nr. 19. Dort ließ der Eigentümer Rendant, Hauptmann a. D. und spätere Gemeindeverordnete Karl Lehment ein Reformmietshaus mit repräsentativen 4-, 5- und 6-Zimmer Wohnungen nebst Küche, Mädchenkammer, Bad und WC errichten. Die fünfköpfige Familie Kautsky verließ die beengten Räume im II. Stock der Wilhelm-Hauff-Straße Nr. 11 und zog 1901 in die Saarstraße Nr. 19.

 

Aus den Briefen an ihren Mann Leo Jogiches, bestätigt durch die Eintragungen in Kürschners Deutschen Literaturkalender, ist bekannt, dass ab dem 20. September 1904 dort auch Kautsky Mutter Minna (1837-1912) einzog: Zuerst zu ihrem Sohn Karl in Friedenau bei Berlin, Saarstraße 19, dann ab 1906 in die eigene Wohnung Ringstraße 17 (heute Dickhardtstraße). Nach dem Umzug von Kautskys 1908 von der Saarstraße Nr. 19 in die Niedstraße 14 III. wohnte die Schauspielerin und Schriftstellerin als Rentiere Minna Kautsky geb. Jaich bis zu ihrem Tod in der Kundrystraße Nr. 4 I.

 

Selbst in dem nicht ganz ernst gemeinten Kompendium der wilhelminischen Hauptstadt Berlin und die Berliner, erschienen 1905 im J. Bielefelds Verlag, finden sich neben Texten über das gesellschaftliche Leben auch kurze, ironische Kommentare, darunter die Notiz Karl Kautsky, Friedenau, Saarstraße 19, Redakteur von ‚Die Neue Zeit‘, Marxistischer Kardinal-Fürst-Erzbischof und Zentrumsführer.

 

In Friedenau erzählt, eine Dokumentation von Hermann Ebling, 2007 in der Edition Friedenauer Brücke veröffentlicht, gibt der Autor höchst eigenwillige Erklärungen: Die Kautskys wohnten mehr als 15 Jahre in Friedenau, von 1900 bis 1902 in der kleinen Villa mit Garten in der Saarstraße 14. Bei den regelmäßig stattfindenden Sonntagsgesellschaften im Hause Kautsky kam oftmals die gesamte Parteiprominenz zusammen. Der in Schöneberg wohnende Vorsitzende August Bebel und seine Frau Julie waren dann ebenso zu Gast wie der eher zurückgezogen in Steglitz lebende Publizist Franz Mehring mit seiner Gattin Eva; gemeinsam amüsierte man sich dann gerne über den neuesten Parteiklatsch oder belächelte die aktuellen politischen Karikaturen in humoristischen Blättern. Das Kautsky’sche Haus glich zeitweise einem Bienenstock; für manch einen der zahlreichen Sozialisten, die bisweilen sogar aus dem Ausland anreisten, kam der Besuch bei Karl Kautsky in Friedenau fast einer Pilgerfahrt gleich. Am häufigsten jedoch besuchte damals Rosa Luxemburg das Haus in der Saarstraße 14.

 

Die Sonntagsgesellschaften im Hause Kautsky gab es tatsächlich, allerdings fanden diese nicht in der Saarstraße Nr. 14, sondern in der Saarstraße Nr. 19 statt. Von einer solchen schreibt Rosa Luxemburg am 27. Januar 1902 an ihren Mann Leo Jogiches in Zürich: Klara Zetkin sollte gestern bei Kautskys zum Mittagessen sein und dann zu mir kommen, um auszuruhen und mit Mehrings den Abend bei mir zu verbringen. Aber schon um 11 Uhr früh bekam ich eine Einladung von Kautsky, auch zum Mittagessen zu kommen, und zwar so dringend und mir ‚ewiger Feindschaft‘ drohend, wenn ich absage, so daß ich natürlich gehen mußte. Das Mittagessen hatten sie ausgezeichnet gemacht, mit Wein, und bewirteten uns überhaupt sehr festlich. Ich mußte dort ungefähr bis 5 Uhr sitzen.

 

1909 zogen die Kautskys in die Niedstraße Nr. 14. In der Saarstraße Nr. 14 fanden neue Mieter ein Zuhause. Der Geheime Kanzleirath Johannes Homuth lebte mit seiner Ehefrau Maria weiterhin in seinem Landhaus Saarstraße Nr. 14. Jahrzehnte nach dem Tod der Homuths konnte der gemeinnützige Verein Zeltlagerplatz, Vermögensträger der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken, das Anwesen Saarstraße Nr. 14 erwerben. Er beauftragte den Architekten Martin Beisenwenger mit Restaurierung, Umbau und Modernisierung des denkmalgeschützten Homuthschen Landhauses. Am 12. März 2011 wurde das Luise & Karl Kautsky-Haus als Bildungs- und Begegnungsstätte und Sitz der SJD-Bundesgeschäftsstelle eröffnet.

 

Wer sich die Fotos von vorher ansieht und das Haus heute außen und innen betrachtet, kann dem Architekten nur Hochachtung zollen. Was er bei einer Geschossflächenzahl von 604 m² geschickt untergebracht hat, nötigt Respekt ab, weil all das heute Erforderliche und Vorgeschriebene eingebracht und dabei das ehrwürdige Haus respektiert wurde. Ob die steilen Stufen im Treppenhaus, Geländer, Fenster, Türen oder an der Straßenfront der Ziergiebel im Schweizer Stil, alles wurde umsichtig restauriert – selbst das Bidet von anno dunnemals wurde erhalten. Aus Wohn- und Schlafräumen von damals wurden Seminarräume, Ausstellungsflächen und Bibliothek. Das Land Berlin und das Bezirksamt Schöneberg haben jegliche finanzielle Beteiligung verweigert. Es kam noch ärger: Als das Luise & Karl Kautsky-Haus darum bat, den direkt vor den Hauseingang gesetzten Parkscheinautomaten zu versetzen, weil er auch die Gedenkstelle für Luise und Karl Kautsky verdeckt, teilte das Bezirksamt mit, dass eine Verlegung ca. 1800 € kosten würde und dieses Geld von der Verwaltung nicht aufgebracht werden kann.