Hans Christoph Buch im Gespräch mit Rüdiger Barasch
Das folgende Interview führte Antiquar Rüdiger Barasch mit dem Schriftsteller Hans Christoph Buch und erschien im April 1981 in der Stadtteilzeitung Friedenauer Kiez. Barasch 38, Buch 37. Inzwischen sind 44 Jahre vergangen. Grund genug, dieses Dokument wieder in Erinnerung zu rufen.
BARASCH: Hans Christoph, du bist 1944 in Wetzlar geboren und wohnst heute in der Dickhardtstraße in Friedenau - ist das ein Zufall, was hat Dich bewogen, Dich hier in Friedenau anzusiedeln?
BUCH: Es ist ein Zufall, aber es ist auch wieder kein Zufall. Zunächst mal suchte ich eine Wohnung 1970 - vorher hatte ich in Wilmersdorf gewohnt - und da bekam ich dieses Angebot per Inserat. Aber ich war schon daran interessiert, hier nach Friedenau zu ziehen, damals war noch der Luchterhand- Verlag in der Dickhardtstraße, und Friedenau war damals ja ein kleines Zentrum der Berliner Literaturszene, da wohnte Grass um die Ecke - er wohnt ja noch heute da, wenn auch nur noch sporadisch - Uwe Johnson wohnte hier, und später zog dann Nikolaus Born in dasselbe Haus, in dem ich auch wohnte. Nicht zu vergessen das Bundeseck und daneben der Jungbuchhändlerkeller, wo die wöchentlichen Lesungen stattfanden, veranstaltet von K.P. Herbach, und all das hat damals Friedenau für Autoren sehr attraktiv gemacht.
BARASCH: Wenn Du seit 1970 hier lebst, dann hast Du ja auch schon eine Menge Erfahrungen - wie hat sich Friedenau aus Deiner Sicht entwickelt, hat es sich zum Guten entwickelt, ist es interessanter geworden, spannender oder hat es abgenommen in der Substanz, und wie steht es: Fühlst Du Dich als Friedenauer, hast Du Kiezbewußtsein, kennst Du so etwas wie Revierbewußtsein, was schätzt Du eigentlich an dieser Gegend Friedenau?
BUCH: Also Kiezbewußtsein habe ich, glaube ich, nicht, ich fühle mich hier wohl und bin gerne hier, aber was mir gefällt, ist eigentlich, daß ich nicht weiter darüber nachzudenken brauche. Das ist keine Umgebung, die ich ständig in meiner Arbeit reflektiere, es ist einfach angenehm, es gibt ganz schöne Kneipen, es ist nicht weit nach Charlottenburger oder nach Kreuzberg, es liegt auf halbem Wege dazwischen - beides Bezirke, die mich interessieren, die vielleicht attraktiver sind, wo ich aber nicht so gern wohnen würde. Und was sich hier verändert hat, kann ich schwer sagen, es ist sicher auch hier die Bausubstanz zum Teil wegrenoviert oder durch Spekulation zerstört worden, hinzu kommt, daß auch die Literatur, das heißt die Schriftsteller zum Teil abgewandert sind.
BARASCH: In den letzten Jahren haben sich ja viele Bürgerinitiativen gebildet, und auch in Friedenau wird eifrig gefochten für den Erhalt der Altbausubstanz, für die weitere Begrünung des Bezirks, und Du hast ja und bist ja ein eifriger Verfechter und auch unter den jungen Literaten einer der wenigen, der sich schon sehr früh mit ökologischen Fragen auseinandergesetzt hat. Wie bist Du zu diesen ökologischen Fragestellungen gekommen?
BUCH: Das ist auch mehr oder weniger ein Zufall; ich habe 1972, also lange bevor Gorleben (geplanter Standort für eine atomare Wiederaufbereitungsanlage) aktuell wurde und in die Schlagzeilen kam, ein altes Bauernhaus gekauft, damals sehr billig noch im Landkreis Lüchow- Dannenberg und war dadurch von Anfang an konfrontiert mit der Gorleben-Planung zu einem sehr frühzeitigen Zeitpunkt und habe darüber Tagebuch geführt, weil ich das wichtig fand - zunächst mal für mich selber ~,das festzuhalten, was da passierte, besonders in der ersten Phase, und dieses Buch ist dann ja bei dem Verlag 2001 erschienen, Aber für mich war diese Erfahrung, die Mitarbeit in der Bürgerinitiative dort eigentlich auch ein Schlüsselerlebnis, das mich dazu gebracht hat, Friedenau mit anderen Äugen zu sehen. Ich habe erst von dort aus gelernt, auch Friedenau nicht als eine selbstverständliche Umgebung, sondern als ein gefährdetes, immer von allen möglichen Interessen gefährdetes Stück Stadtleben zu sehen, Berliner Milljöh, das erhaltens- und verteidigungswert ist,
BARASCH: Dein ökologisches Engagement, das Einsetzen für Umweltfragen kommt besonders bei Dir zum Ausdruck in der Herausgabe des vielbeachteten Tintenfisch Nr, 12 1977, der als Thema Natur gewählt hatte, dieser Tintenfisch erschienen wie alle anderen im Wagenbach-Verlag hier in Berlin. Der Untertitel variiert einen Satz von Bertolt Brecht: Warum ein Gespräch über Baume kein Verbrechen mehr ist. Du in Deinem Vorwort bringst das ökologische Engagement auf den Begriff, indem Du folgende Fragen stellst und versuchst, Antwort zu geben, ich zitiere Dich: Was ist geschehen? Warum erscheint uns der Satz, daß ein Gespräch über Bäume fast schon ein Verbrechen ist, heute schon fast selbstverbrecherisch? Weil es nicht mehr sicher ist, ob es in 100 Jahren überhaupt noch Räume gibt. Könntest Du diesen Satz, der meines Erachtens diesen Umdenkungsprozeß markiert, ein wenig erläutern?
BUCH: Dieser Satz ist aus dem Umschlagtext unvollständig zitiert, er geht weiter: Das Schweigen über Bäume, das Verschweigen so vieler Untaten mit einschließt, denen nicht allein Bäume zum Opfer fallen. Das ist alles ein Wortspiel um die berühmte Verszeile von Brecht: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast schon ein Verbrechen ist, weil es das Verschweigen so vieler Untaten mit einschließt. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt richtig zitiert habe aus dem Gedächtnis, aber das hat Brecht geschrieben unter den Bedingungen des Faschismus, wo es in der Tat wichtigere Sorgen gab als Bäume, und gleichzeitig muß man wissen, daß in Brechts Werk Bäume als Metapher für Natur eine ganz zentrale Rolle spielen und daß er sich durchaus auch in dieser Zeit für Natur interessiert hat. Die westdeutsche Lyrik der Nachkriegszeit, insbesondere nach 1968, die ja sehr stark von Brecht herkommt, vertrat einen etwas eingleisigen Antifaschismus, daß nämlich Natur und alles, was damit zu tun hatte, als reaktionär galt, weil die Nationalsozialisten die Natur für ihre Zwecke mißbraucht hatten für ihre Propaganda. Sie haben ja ein für die damalige Zeit recht fortschrittliches Naturschutzgesetz erlassen. Das sind alles Dinge, die die Linke damals kampflos der Rechten überlassen hat. Ich meine, heute hat sich das verändert, ich brauche das jetzt nicht zu erläutern, das ist fast Allgemeingut geworden diese ökologische Gefährdung unseres Planeten. Die Linke hat da eine Menge dazugelernt, aber damals 1967 war das noch nicht selbstverständlich, als ich das Buch herausbrachte, daß die Erhaltung der natürlichen Umwelt nicht nur ein konservatives Anliegen ist. Viel mehr, sie ist ein konservatives Anliegen, aber die Konservativen haben dieses Anliegen eigentlich verraten, ich meine also die Reaktionäre, die die Profit-Interessen vom anstellen, während echte Konservative, die nicht ihre Privilegien, sondern wirklich Werte erhalten wollen, durchaus in den Reihen der Ökologen ihren Platz gefunden haben.
BARASCH: Lüchow-Dannenberg, wo Du Dich auch angesiedelt hast, gilt ja heutzutage - spöttisch gesagt - -schon als westlicher Vorort von Berlin, andererseits ist es und bleibt es ja plattes Land. Wie siehst Du eigentlich heute das Verhältnis Stadt/Land, siehst Du in der Zurück-aufs-Land-Bewegung nicht doch ein wenig konservative bis reaktionäre Gesinnung, ist die Stadt ersetzbar, ist Friedenau ersetzbar?
BUCH: Für mich ist es so, daß ich immer wieder, wenn ich auf dem Land bin, mich dort sehr wohl fühle, vor allem zum Arbeiten muß ich dorthin fahren, wirklich fliehen, weil ich in Berlin zuviel Ablenkung habe, das Telefon klingelt einfach zu oft. Und es gibt auch zuviel Kulturveranstaltungen - vom Kino übers Theater bis hin zu Lesungen und Conzerten - , wo ich es nicht fertigbringe nein zu sagen, zu Hause zu bleiben. Das heißt, um zu arbeiten, ziehe ich mich aufs Land zurück und habe auch immer wieder den Versuch gemacht, dort für längere Zeit oder gar für ganz zu leben, aber zum Glück - und das ist kein Zufall - ist mir das nie gelungen. Ich brauchte doch immer wieder die Stadt, und ich bin dann immer wieder sehr froh, wenn ich nach Berlin zurückkomme und dann Berlin mit neuen Augen sehe. Die Gefahr auf dem Lande ist tatsächlich eine Verprovinzialisierung in dem Sinne, daß einem am Ende das Gemüsebeet hinterm Haus wirklich wichtiger ist als die politischen Ereignisse und Herausforderungen - auch kulturelle Herausforderungen der Gegenwart. Das führt dann zu einer Verbauerung im schlechten Sinne. Ich kenne schon solche Beispiele von Berliner Künstlern, die diesen Prozeß durchgemacht haben und die irgendwann plötzlich wieder abgehauen sind vom Land und nach. Berlin zurückkehren. Auf der anderen Seite möchte ich es auch nicht missen, diese Möglichkeit herauszukommen, es wäre natürlich schöner, wenn es näher an Berlin läge, wenn Berlins Hinterland offen wäre - womit ich jetzt keinen Wiedervereinigungsideologien anhängen möchte - es ist einfach das Bedürfnis ab und zu herauszukommen.
Auf der nachfolgenden PDF finden Sie die Ausgabe der Stadtteilzeitung Friedenauer Kiez vom April 1981 im Original.
Unter dem Titel Der Weltliterat erschien zum 80. Geburtstag von Hans Christoph Buch im TAGESSPIEGEL vom 12. April 2024 ein Essay von Literaturkritiker Gregor Dotzauer. Darin heißt es unter anderem : Die bittere Bilanz seiner Wege und Umwege hat er nun ganz allein gezogen. In einem autobiografischen Essay, der sich in Der Flug um die Lampe, einem der beiden Bände zum Jubiläum findet, heißt es unmissverständlich: Ich will von mir selbst erzählen, von einer verpfuschten Karriere, in der alles schieflief, was schieflaufen konnte, obwohl ich Glück im Unglück hatte ...
In einer Mischung aus trotzigem Selbstbewusstsein und Selbstmitleid, das Altersdiskriminierung im Literaturbetrieb beklagt, heißt es: Anknüpfend an die Tradition der Frankfurter Schule, verstand ich mich als westlicher Marxist und redete mir ein, den Etikettenschwindel durchschaut zu haben - der Augenschein vor Ort in Moskau und Ostberlin hatte mich eines Besseren belehrt.
Aber statt auf Pseudogewissheiten zu verzichten und mich zur Literatur, großgeschrieben, zu bekennen, wurde ich zum Chefideologen einer undogmatischen Ästhetik, die bei Licht betrachtet selbst wieder dogmatisch war, und brach den Stab über schreibende Kollegen, die sich nicht zu meiner Sicht der Dinge aufschwingen konnten oder wollten ...
Der Polemiker Hans Christoph Buch hat es damit weder sich noch anderen leicht gemacht. Mit seinem mehr oder weniger parallel geführten Gorlebener Tagebuch war Buch, der sich ausdrücklich zur täglichen Zeitungslektüre bekannte, der Gegenentwurf zu Handke - nicht zuletzt in der Kunstlosigkeit, mit der er die Kämpfe der Anti-AKW-Bewegung dokumentierte. Der Reporter und der Erzähler, der Engagierte und der Nachdenkliche, der Faktenversessene und der Fiktionsverliebte, liegen bei ihm seit jeher im Widerstreit.
Tatsächlich gibt es keinen zweiten deutschen Schriftsteller seiner Generation, der die Welt nach allen Richtungen ausgiebiger bereist und mehr zuvor unbekannte Namen und Geschichten mitgebracht hätte. Einen eigenen Schwerpunkt bilden die in Blut im Schuh gesammelten Kriegsreportagen aus Kambodscha, dem Kosovo oder Ruanda. Es sind von Mut, manchmal auch einer Portion leichtsinnigem Selbsterfahrungsheroismus zeugende Texte über die Schlächter und Voyeure an den Fronten des Weltbürgerkriegs, wie man sie sonst nur in der angelsächsischen Literatur findet.
Seine über 50 Bücher, die journalistischen Arbeiten, die Lehraufträge zwischen China und den USA, die Tätigkeiten als Lektor und als Kurator, all diese Aktivitäten haben Hans Christoph Buch nicht den Erfolg eingebracht, von dem er träumte. In der Summe aber sind sie ein Sieg über die Widrigkeiten eines Berufs, dessen Klippen sich heute wesentlich schlechter umschiffen lassen als vor einigen Jahren.
Wir bedanken uns bei
Gregor Dotzauer und veröffentlichen den kompletten Zeitungsartikel auf nachfolgender PDF.