Plan von 1901

Im Jahr 1880 wurde für das Gelände zwischen Kaiserallee (Bundesallee), Varziner-, Handjery- und Bismarckstraße (Sarrazinstraße) unmittelbar an der Ringbahnstation Wilmersdorf-Friedenau der Bau einer Gasanstalt geplant. Friedenauer Gemeindevorstand, Landerwerb- und Bauverein auf Actien und Gemeindekirchenrat erhoben beim Teltower Landrat Ernst von Stubenrauch (1853-1909) Einspruch. Dieser wurde abgewiesen. Die Anlage genehmigt. 1884 reichten sie eine Beschwerde bei Reichskanzler Otto von Bismarck ein. Er verfügte, dass der besondere Charakter des Vorortes Friedenau, die Bestimmung desselben als Villenanlage und als ein für Sommerwohnungen gesuchter Ort, eine gewerbliche Anlage, wie die hier projektierte Gasanstalt, ohne sanitäre Belästigungen und Nachteile für die einen gesunden Aufenthalt Suchenden nicht zulasse und deshalb die Genehmigung zu versagen sei. Durch die Anlage würden sämtliche wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für die weitere Entwicklung des Ortes Friedenau und seiner nun einmal gegebenen Grundlage verschoben werden.

 

Die Gasanstalt war vom Tisch. Im Sommer 1897 kam der „Sportpark Friedenau“ mit Radrennen und Eisbahn. Anfangs fuhren die Züge auf der Ringbahn nachmittags nach Bedarf, sonntags regelmäßig. An Wochentagen lohnte es sich bald nicht. Sie tauchten nur an den Tagen wieder auf, an welchen im Sportpark irgendetwas los war, das heißt also nur selten. (Friedenauer Lokal-Anzeiger, 16.03.1899).

 

 

 

 

 

Damit war das Ende eingeläutet, zumal gewichtige Gemeindevertreter schon geraume Zeit für den Verkauf des Geländes und eine Bebauung plädierten: 70-80 Wohnhäuser. Die Mieter kämen schon, man gehe nur nach dem Viktoria-Luise-Platz, der ja unter ungünstigeren Verhältnissen von derselben Gesellschaft erbaut worden sei, man sähe nur hin, wie dort Steuerzahler 1. Klasse hingezogen seien.

 

Am 22. September 1904 konnte der Bauunternehmer Georg Haberland mit seiner Berlinischen Boden-Gesellschaft von der Gemeinde das Gelände erwerben. Zuvor hatte er allerdings dafür gesorgt, dass Friedenau die Berliner Traufhöhe von 22 Metern in den Bebauungsplan übernahm. So entstanden vierstöckige Mietshäuser mit bis zu 6-Zimmer-Wohungen für den „gehobenen Standard“.

 

Über die Benennung der Straßen wurde viel diskutiert, patriotische, militärische und altgermanische Namen. Die Berlinische Bodengesellschaft wollte als Gegenstück zu ihrem Bayerischen Viertel die Straßen mit den Namen oberbayerischer Seen bedenken. Mit Blick auf Schöneberg, wo den Malern und Bildhauern sowie den modernen Schriftstellern in den Straßennamen eine Ehrung zuteil geworden, sollten Komponisten in den Straßennamen verewigt werden. Andere wollten die unerfreuliche Tatsache aus der Welt schaffen, dass keine Straße in Friedenau einen weiblichen Vornamen führt.

 

Das alles zusammen führte 1906 schließlich zu Richard Wagner, dem Wagner-Viertel, dem Richard-Wagner-Platz und zu Straßen mit den Namen Brünnhilde, Elsa, Eva, Isolde, Kundry, Ortrud, Senta und Sieglinde. Damit war vielen Genüge getan. Nach dem Tod von Cosima Wagner (1837-1930) hatte Schönebergs Bezirksbürgermeister Oswald Schulz (NSDAP) nichts Wichtigeres zu tun, als den Richard-Wagner-Platz 1935 in Cosima-Patz umzubenennen.

 

Sportpark Friedenau um 1901. Archiv Rüdiger Barasch

 

Die sechs Häuser der Kundrystraße wurden bis auf das Haus Nr. 1 im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Sie entstanden um 1908 nach Entwürfen des Architekten Albert Beyer, der anfangs als Grundstückseigentümer auftrat und später die erstellten Mietswohnhäuser verkaufte. Wir veröffentlichen die bisher weitgehend unbekannten Ruinenfotos, die der Fotograf Herwarth Staudt zwischen 1950 und 1952 aufgenommen hat.

 

Ernst Waldow (1893-1964)

Kundrystraße Nr. 1

Ernst Waldow (1893-1964)

 

Als 1921 das Schlosspark-Theater eröffnet wurde, gehörte Ernst Waldow (1893-1964) zum Ensemble. Der Weg von der Wohnung in der Kundrystraße nach Steglitz war kurz. Dann kam der Film. Zwischen 1935 und 1944 lieferte er jährlich ein bis vier Rollen ab, darunter das Filmdrama Togger, 1937 dekoriert mit dem NS-Prädikat Staatspolitisch wertvoll. Der Streifen mit stark nationalsozialistischer Prägung gegen Überfremdung und Pressefreiheit wurde von den Alliierten 1945 verboten. Er ist aktuell von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung als Vorbehaltsfilm eingestuft und wegen seines volksverhetzenden Inhalts für Aufführungen nicht freigegeben.

 

Die Zeit danach machte Waldow keine Sorgen. Er kam im Schiller-Theater unter, spielte, gekonnt und zuverlässig, den Kauzigen, den Zerstreuten, den Besserwisser, bis ihn Regisseur Erich Engel 1948 für Affaire Blum engagierte, nun nicht mehr eine Produktion der UFA, sondern der DEFA.

 

Das Drehbuch von R. A. Stemmle greift einen Justizskandal aus dem Jahr 1926 auf: Ein jüdischer Unternehmer steht unter Mordverdacht. Blums Kassierer ist verschwunden. Er habe seinen Chef wegen Steuerschiebung anzeigen wollen. Die rechten Juristen wittern in dem Mordprozess gegen den Juden Blum eine große Sache. Der Freikorpskämpfer und Rechtsradikale Gabler, der den Kassierer ermordete, erfasst die politischen Absichten des Gerichts und spielt das Opfer. Unterstützt wird er vom einstigen Freikorpsler und jetzigen Kriminalkommissar Schwerdtfeger (Ernst Waldow). Raffiniert eingefädelte, lückenlos scheinende Indizien sprechen gegen Blum. Erst ein gegen den Willen der Justiz eingesetzter unabhängiger Kriminalbeamter weist Gabler den Mord nach. In der letzten Szene des Films sitzt Blum am gedeckten Abendtisch. Das Recht hat gesiegt, sagt seine Frau. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat.

 

 

In den Wirtschaftswunderjahren war Ernst Waldow wie einst jährlich wieder in mehreren eindeutigen Unterhaltungsfilmen beschäftigt, von Schwarzwaldmädel mit Sonja Ziemann (1950) über Feuerwerk mit Lilli Palmer (1954) bis Spukschloss im Spessart mit Liselotte Pulver (1960) – ein nahtloser Übergang für Ernst Waldow, dekoriert von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden mit dem Prädikat wertvoll – ohne den Zusatz staatspolitisch.

 

Gerhard F. Wehle, Die Kunst der Improvisation, 1926

Kundrystraße Nr. 4

Gerhard Fürchtegott Wehle (1884-1973)

 

Das Haus Kundrystraße Nr. 4 wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Es entstand – wie wahrscheinlich alle sechs Häuser dieser Straße – nach Entwürfen des Architekten Albert Beyer, der anfangs als Grundstückseigentümer auftrat und später die erstellten Mietswohnhäuser verkaufte. Über Beyer ist nur bekannt, dass er 1912 von der Demokratischen Vereinigung (DV) als Hausbesitzerkandidat für die Gemeindevertreterwahlen aufgestellt wurde, dessen Wahl von den Sozialdemokraten unterstützt werden soll.

 

In diesem ursprünglichen Bau wohnte von 1914 bis zur Zerstörung 1943 der Musikschriftsteller und Komponist Gerhard Fürchtegott Wehle. Er wurde am 11. Oktober 1884 in Paramaribo geboren. Als sich in der Hauptstadt von Niederländisch-Guayana (heute Surinam) erste Schritte auf dem Weg zu Demokratie und Selbstverwaltung abzeichneten, kam die Familie nach Deutschland zurück. Wehle studierte in Leipzig und Berlin und war ab 1910 als Musikkritiker tätig. Von 1939 bis 1944 war er Improvisationslehrer an der Hochschule für Musik. Von 1947 bis 1951 war er Lektor für Musik an der Berliner Universität. An Kompositionen stammen von ihm u.a. einige Bühnenwerke, drei Sinfonien, ein Konzert für Klavier, Cello und Orchester, eine Passacaglia für zwölf Bläser, Klaviermusik, ein Oratorium und 26 sinfonische Kantaten. In der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums vom 31. Dezember 1938 findet sich der Eintrag: Gerhard F. Wehle, Christentum, Krieg und die Zukunft. Berlin : Kater, 1920. Letzte Berliner Adresse: Berlin W 30, Luitpoldstraße Nr. 22. Gerhard Fürchtegott Wehle starb am 15. Oktober 1973 in Berlin.