Paul Hamann (1891-1973)

Paul Hamann (1891-1973)

Wilhelmstraße Nr. 16 (heute Görresstraße Nr. 21)

 

Paul Hamann kam 1926 mit seiner Frau, der Malerin Hilde Guttmann (1898-1987), nach Berlin. Sie zogen in die Wohnung Laubenheimer Straße Nr. 23 und mieteten 1929 von Witwe H. Wesche, Eigentümerin des Anwesens Wilhelmstraße Nr. 16 (Görresstraße Nr. 21) ein Atelier, das alsbald zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt wurde.

 

Am 21. November 1931 veröffentlichte die Hamburger Illustrierte unter dem Titel Prominenten Rendezvous einen Artikel der Fotojournalistin Ursula Wolff-Schneider (1906-1977) mit einer Aufnahme aus dem Atelier Hamann, darauf abgelichtet Erich Engel, Fritz Kortner, Max Schmeling, Paul Hamann, Gustaf Gründgens, Francesco von Mendelsohn und Hilde Hamann.

 

 

 

 

 

Den Hamanns war nicht entgangen, dass einige Künstler der Novembergruppe schon 1932 im Focus der Nazis standen. Im April 1933 emigrierten sie nach Paris. Nach der Rheinlandbefreiung 1936 durch die Wehrmacht zog das Ehepaar nach London. 1940 internierte die britische Regierung Paul und Hilde Hamann auf der Isle of Man. 1941 wurden sie aus dem Lager entlassen. 1950 erwarben beide noch die britische Staatsbürgerschaft, gingen aber fortan getrennte Wege. In London sind sie gestorben, er am 16. Januar 1973, sie am 1. November 1987.

 

Als Paul Hamann nach Berlin kam, hatte er ein neues, schonenderes Verfahren zur Abnahme von Lebendmasken entwickelt, das die zeitraubende und schmerzhafte Methode mit Gipsabdrücken erheblich verbesserte. Mit der neuen Abformmasse war eine aufwendige Vorbereitung der abzunehmenden Körperpartie durch Einfetten oder Einölen oder gar ein Rasieren nicht mehr notwendig. Der Unterschied zwischen der gelatineartigen Abform-Masse von Hamann, die unter anderem aus Wachs und Glycerin bestand, und Gips war vor allem die Elastizität. Mit einem Pinsel trug er die angewärmte Abformmasse Schicht für Schicht auf. Bevor er die Nase bedeckte, steckte er den Klienten Strohalme in die Nasenlöcher, so dass diese während der kurzen Aushärtungsphase atmen konnten. So konnte das Gesicht vollständig bedeckt werden. Nach Abnahme der Negativform goss er diese mit Gips aus, um eine Positivform zu erhalten, die er zur kompletten Kopfbüste ausarbeitete, von der in der Kunstgießerei Gleiwitz einen Bronze-Abguss hergestellt wurde. Mit der Vollmaske erreichte er eine Detailgenauigkeit. Eine Sitzung bei Hamann dauerte nur noch 40 Minuten.

 

Nach Recherchen von Jens Kremb vom Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (2015) kann davon ausgegangen werden, dass im Atelier Wilhelmstraße Nr. 16 u. a. die Lebendmasken von Bertolt Brecht, Gustaf Gründgens, John Heartfield, Paul Kemp, Erich Knobloch, Carola Neher, Renée Sintenis und Conrad Veidt entstanden. Die Fotos von den Atelierregalen mit den Lebendmasken deuten eine weitaus höhere Zahl an.

 

Nach den Stationen Berlin, Paris und London hinterließ Paul Hamann mit den Lebendmasken seiner Galerie bedeutender Zeitgenossen fast 100 Arbeiten, die wohl viel damit zu tun hatten, dass es eine Menge von Personen gab, die bereit waren, sich von ihm eine Lebendmaske abnehmen zu lassen. Dazu gehören u. a. Paul Eluard (1929), Jean Cocteau (mit integrierter rechter Hand), Edward Sackville-West (1929, Gips, London National Portrait Gallery), Raymond Mortimer (1930, Gips, London National Portrait Gallery), Aldous Huxley (1930, Bronze, London National Portrait Gallery), Noel Coward (1930, Bronze, London National Portrait Gallery), Man Ray (1932, Gelatine-Silberdruck, Paul Getty Museum Los Angeles), Lion Feuchtwanger (Gips, Los Angeles Villa Aurora), André Breton (Gips, 1933, Bibliothèque littéraire Jacques Doucet Paris).