Kaum war der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn 2020 zum Antisemitismusbeauftragten des Landes Berlin ernannt worden, erhielt der freie Journalist Felix Sassmannshausen aus Leipzig den Auftrag, ein Dossier Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin zu erstellen. Sassmanshausen stürzte sich auf den Online Straßenguide Kauperts und listete zwischen Mai und Oktober 2021 auf 340 Seiten die Namen von 290 Berliner Straßen und Plätze mit antisemitischen Bezügen auf. Für Friedenau ging es glimpflich ab. Für Wilhelm-Hauff-Straße, Görresstraße und Friedrich-Wilhelm-Platz schlägt er Kontextualisierungen vor, was der Schilderbranche einige Aufträge einbringen würde. Bei den Ceciliengärten kann er sich nicht entscheiden, entweder Kontextualisierung oder gegebenenfalls Umbenennung. Eindeutig wird er beim Cosimaplatz. Da fordert er Umbenennung.

 

Zu Ende gedacht ist das nicht, weil ein Zusammenhang zwischen Cosimaplatz und Brünnhilde-, Elsa-, Eva-, Isolde-, Kundry-, Ortrud-, Senta- und  Sieglindestraße nicht geleugnet werden kann. Über die Benennung wurde 1906 viel diskutiert. Neben patriotischen, militärischen und altgermanischen Namen waren auch Bezeichnungen nach oberbayerischen Seen im Gespräch. Andere wollten die unerfreuliche Tatsache aus der Welt schaffen, dass keine Straße in Friedenau einen weiblichen Vornamen führt. Das führte 1906 schließlich zu Richard Wagner, den Wagnerplatz und zu Straßen mit den Namen seiner Opernfiguren Brünnhilde, Elsa, Eva, Isolde, Kundry, Ortrud, Senta und Sieglinde. Nach dem Tod von Cosima Wagner wurde aus dem Wagnerplatz 1935 der Cosimaplatz. Wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen. Wir halten das Vorhaben für puren Aktionismus, der Antisemitismus eher beflügeln wird.
 

Plan von 1902

Sportpark Friedenau

 

Im Jahr 1880 wurde für das Gelände zwischen Kaiserallee (Bundesallee), Varziner-, Handjery- und Bismarckstraße (Sarrazinstraße) unmittelbar an der Ringbahnstation Wilmersdorf-Friedenau der Bau einer Gasanstalt geplant. Friedenauer Gemeindevorstand, Landerwerb- und Bauverein auf Actien und Gemeindekirchenrat erhoben beim Teltower Landrat Ernst von Stubenrauch (1853-1909) Einspruch. Dieser wurde 1883 abgewiesen und die Anlage genehmigt. 1884 reichten die Beteiligten ihre Beschwerde beim Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten ein. Bismarck entschied 1884: Der besondere Charakter des Vorortes Friedenau, die Bestimmung desselben als Villenanlage und als ein für Sommerwohnungen gesuchter Ort, lasse die projektierte Gasanstalt für die einen gesunden Aufenthalt Suchenden nicht zu und deshalb ist die Genehmigung zu versagen. Durch die Anlage würden die Bedingungen für die weitere Entwicklung des Ortes Friedenau und seiner nun einmal gegebenen Grundlage verschoben werden.

 

 

 

Die Gasanstalt war vom Tisch. Dafür gab es 1895 eine Sportpark Aktiengesellschaft, der es gelungen war, das Gelände von ungefähr 60 Morgen zu erwerben. Nachdem alle Schritte zur Sicherung des Projektes in aller Stille getan waren, legte der Architekt Bodo Ebhardt den Bebauungsplan vor. Vorgesehen waren Radfahrerbahn, Schießstände, Tennisplätze, Turnplatz, Fechthalle, Eisbahnen, ferner ein großartiges Clubhaus, alles ununterbrochen im Sommer und Winter in Betrieb. In dem Parketablissement, welches einen künstlerisch angelegten Garten mit Grotten, Laubengängen und Pavillons, See- und Wasser-Anlagen enthalten wird, soll im Sommer ein ausgezeichnetes Orchester täglich spielen und überhaupt das vornehmste Gesellschaftsleben kultiviert werden.

 

Das erste Rennen im Sportpark gab es 1898. Am 13. Mai 1901 ging es dann um das Goldene Rad von Friedenau. Vom herrlichsten Wetter begünstigt waren wohl 20000 Zuschauer erschienen. Die Direktion wird seit Bestehen des Sportparks die größte Einnahme gehabt haben. Damals fuhren auf die Ringbahn die Züge Sonntagnachmittag ‚nach Bedarf‘ halbstündlich. Doch an Wochentagen lohnte es sich bald nicht mehr und so verschwanden die Sonderzüge denn auch bald wieder und tauchten nur an den Tagen wieder auf, an welchen im Sportpark irgendetwas los war, das heißt also nur selten.

 

Plan von 1939

Wagner-Viertel

 

Das Ende war eingeläutet. Gewichtige Gemeindevertreter plädierten für den Verkauf des Geländes und eine Bebauung. 1904 konnte der Bauunternehmer Georg Haberland mit seiner Berlinischen Boden-Gesellschaft das Gelände erwerben. Zuvor hatte er allerdings dafür gesorgt, dass Friedenau die Berliner Traufhöhe von 22 Metern in den Bebauungsplan übernahm. So entstanden vierstöckige Mietshäuser mit bis zu 6-Zimmer-Wohungen für den gehobenen Standard.

 

Über die Benennung der Straßen wurde viel diskutiert. Mit Blick auf das neue Viertel im Friedenauer Teil von Schöneberg, wo Malern und Bildhauern in den Straßennamen eine Ehrung zuteil geworden, sollten hier Komponisten verewigt werden. Andere wollten die unerfreuliche Tatsache aus der Welt schaffen, dass keine Straße in Friedenau einen weiblichen Vornamen führt. Das führte 1906 schließlich zu Richard Wagner, zum Wagner-Platz und zu Straßen mit den Namen seiner Opernfiguren Brünnhilde, Elsa, Eva, Isolde, Kundry, Ortrud, Senta und Sieglinde.

 

1906 brachte Bürgermeister Bernhard Schnackenburg zur öffentlichen Kenntnis, dass die Straßen und der Platz auf dem früheren Sportparkgelände wir folgt benannt worden sind: Platz G: Wagner-Platz; Straße A: Isoldestraße; Straße B zwischen Handjerystraße und Wagner-Platz: Evastraße; zwischen Wagner-Platz und Kaiser-Allee: Sentastraße; Straße C von der Bismarckstraße bis zum Wagner-Platz: Elsastraße und vom Wagner-Platz bis Varziner Straße; Brünnhildestraße; Straße D: Kundrystraße; Straße E: Ortrudstraße; Straße F: Sieglindestraße.

 

Nach dem Tod von Cosima Wagner (1837-1930), der Tochter von Franz Liszt, die in erster Ehe mit dem Dirigenten Hans von Bülow und ab 1870 mit Richard Wagner verheiratet war und ab 1876 die Bayreuther Festspiele organisierte, hatte Schönebergs Bürgermeister Oswald Schulz (NSDAP) nichts Wichtigeres zu tun, als den Wagnerplatz 1935 in Cosimaplatz umzubenennen.


 

Wagnerplatz Ecke Elsastraße 1910, Restaurant Zum Wagnerplatz

Cosimaplatz Nr. 1

 

Das am Friedrich-Wilhelm-Platz Nr. 4 ansässige Atelier für Architectur und Bauausführungen Wilhelm Mixius & Heinrich Förstchen erwarb 1907 von der Berlinischen Boden-Gesellschaft die baureifen Parzelle Elsastraße Nr. 3 Ecke Wagnerplatz Nr. 1. Im Erdgeschoss entstand das Restaurant Zum Wagnerplatz, in das der Inhaber, Gastwirt August Huhn, für Sonnabend, dem 26. September 1908, abends 8 Uhr, zu einem Abendtisch einlud. Für vorzügliche Speisen und beste Getränke wird gesorgt, ebenso soll gute Unterhaltung geboten werden. Offensichtlich sollten mit diesem Abendtisch erste Akzente für das Etablissement gesetzt werden. Nächster Höhepunkt war das Konzert, verbunden mit einem 5 Uhr Nachmittagstee, des ‚Gesanglich-musikalischen Klubs‘, geleitet von der bestens bekannten Gattin des Kgl. Rat Dr. Kuhut-Manstein, Hofopernsängerin und Gesangsmeisterin und Frau Dr. Hanni Krämer Konzertsängerin und Gesangsmeisterin. Hervorragende Sänger, Instrumentalisten und Rezitatoren wirken auch diesmal mit, so dass ein hoher künstlerischer Genuss zu erwarten steht. Der Klub, der die besten Kreise der Gesellschaft zu seinen Mitgliedern zählt, ist bekannt durch seine gediegenen und exklusiven Leistungen.

 

August Huhn war eigentlich kein Gastwirt, sondern ein cleverer Bauunternehmer aus Charlottenburg, der über die Berlinische Boden-Gesellschaft nach Friedenau gekommen war und u. a. das Grundstück Bismarckstraße Nr. 8 (Sarrazinstraße) erworben hatte, auf dem er sich vom Architekten Willi Wanderscheck ein Mietswohnhaus hatte errichten lassen.

 

 

 

 

 

Die Sache führte im Februar 1910 zum Streit mit der Gemeindeverwaltung, die Anliegerbeiträge für Pflasterkosten in Höhe von 856,12 M. erhoben hatte. Vor dem Kreisausschuss führte er aus: Die Straße sei seinerzeit von Herrn von Carstenn angelegt und anfangs Privatstraße gewesen. Am 25. August 1875 sei sie in den Besitz der Gemeinde übergegangen. 1890 habe die Straße bereits ein zweites Pflaster erhalten, später sei auch das entfernt und durch Asphaltbelag ersetzt worden. Die Bismarckstraße sei zweifellos eine historische Straße. Die Kläger beantragten Freistellung und erklärten auch, es sei Verjährung eingetreten. Die Gemeinde widersprach. Sie betont, die Straße sei bei Erlaß des Ortsstatuts bebaut gewesen, als historische Straße komme sie also nicht in Frage. In einem neuen Schriftsatz haben die Kläger auf das Fluchtliniengesetz Bezug genommen und behauptet, es habe sich nicht um eine Neuanlegung, sondern um eine Regulierung gehandelt. Aus dem Original des Ortsstatuts würde hervorgehen, dass die Straße bei seinem Erlaß als eine fertige angesehen worden sei. Die Gemeinde erklärte, dieses Original sei verloren gegangen, aber die Bismarckstraße sei, wie sich neuerdings herausgestellt habe, nur zur Hälfte gepflastert gewesen, und zwar die nordwestliche Seite. Wenn aber nur eine halbseitige Pflasterung vorgenommen worden sei, könne nicht von einer endgültigen Herstellung die Rede sein. Schließlich bestritt der Vertreter der Kläger die Existenz des Ortsstatuts, wenn es nicht vorgelegt werden könne. Der Kreisausschuss gab dem Kläger Recht.

 

Kurze Zeit später meldete der Friedenauer Lokal-Anzeiger am 27. Februar 1910, dass es den Sozialdemokraten diesmal gelungen, für die Gemeindevertreterwahl einen Hausbesitzer ausfindig zu machen. Sie werden, wie wir hören, die Herren Gastwirt Huhn (Hausbesitzer) und Handlungsgehilfen Richter (Mieter) aufstellen. Am 17. März 1910 stand das Ergebnis fest: Die beiden Sozialdemokraten Gastwirt August Huhn und Handlungsgehilfe Paul Richter wurden gewählt. Am 3. September 1915 schied August Huhn wegen Verkauf seines hiesigen Grundstücks aus der Gemeindevertretung aus und verlegte seinen Wohnsitz nach außerhalb. Bereits 1914 gab es für das Restaurant Zum Wagnerplatz den neuen Pächter Gustav Radtke, der die Lokalität zuerst als Weinhandlung und ab 1933 als Wagner-Casino Weinrestaurant führte. 1943 erscheint als Inhaberin Witwe M. Radtke. 1966 heißt es am Cosimaplatz Nr. 1 Bulgaria-Casino, ein Lokal, das in diesen Jahren von den Soldaten der Westalliierten gern besucht – und regelmäßig zum Ziel militärpolizeilicher Checks wurde.

 

Das Restaurant ist seit langem geschlossen. Allerdings findet sich im Internet folgender Hinweis: Der ehemalige Gastraum eines Restaurants hat eine ebenso großzügige wie einladend warme Atmosphäre. Reste der historischen Wandvertäfelung und das neue Eichenparkett erzeugen eine besondere Mischung aus Arbeits-Ambiente und Wohnlichkeit. Die große Fensterfront auf den völlig ruhigen Cosimaplatz bietet reichlich Tageslicht. Die Location mit einer Gesamtfläche von 115 m² und einem großen Raum von 74 m²verfügt über einen direkten Eingang.

 

Rudi Dutschke beim Einkaufen. Foto Thomas Hesterberg, Archiv Süddeutsche Zeitung, 1968

Cosimaplatz Nr. 2

Rudi Dutschke (1940-1979)

 

Am 19. Februar 1967 besetzten neun Männer und Frauen und ein Kleinkind das Haus von Hans Magnus Enzensberger in der Fregestraße Nr. 19, wenig später auch Atelier- und Familienwohnung von Uwe Johnson in der Niedstraße Nr. 14 und der Stierstraße Nr. 3 – die Kommune I. Rudi Dutschke ist in keine dieser Wohnungen eingezogen. Im Sommer 1964 hatte er im Café am Steinplatz in Charlottenburg die Theologiestudentin Gretchen Klotz kennengelernt. Sie wollten zusammenleben, was von den Kommunarden abgelehnt wurde. Feste Bindungen waren verpönt. Im Dezember 1965 bezogen Gretchen Klotz und Rudi Dutschke eine Wohnung am Cosimaplatz Nr. 2, im März 1966 wurde geheiratet, im Januar 1968 Sohn Hosea-Che Dutschke geboren.

 

 

 

 

Alfred Willi Rudolf Dutschke wurde 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde geboren. Die Jugendjahre in der DDR prägten ihn. Er war in der evangelischen Jungen Gemeinde, betrieb Leistungssport, wollte Sportjournalistik studieren und Sportreporter werden. 1956 trat er in die FDJ ein. Nachdem er sich 1957 als religiöser Sozialist an der Oberschule gegen den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee ausgesprochen hatte, rügte der Schulleiter dessen falsch verstandenen Pazifismus. Dutschke zitierte daraufhin pazifistische Gedichte aus Schulbüchern, die kurz zuvor noch Lehrstoff waren, und betonte, nicht er, sondern die Schulleitung habe sich geändert. Damit hatte er sich den direkten Weg zum Studium verbaut. Der Versuch, nach der Ausbildung zum Industriekaufmann doch noch zum Studium zugelassen zu werden, scheiterte.

 

Um dennoch studieren zu können, pendelte er von Oktober 1960 bis Juni 1961 zwischen Luckenwalde und Westberlin, absolvierte am Askanischen Gymnasium in Tempelhof einen Abiturkurs und zog am 10. August 1961 in den Westen – seine Flucht aus der DDR. Als drei Tage später die Berliner Mauer gebaut wurde, ließ er sich im Notaufnahmelager Marienfelde als politischer Flüchtling registrieren. Das Sportreporterstudium war passé. Er studierte an der Freien Universität Soziologie und wurde zur Symbolfigur der Studentenbewegung.

 

Der Journalist Günter Gauß bemühte sich mit einem Interview in der ARD am 3. Dezember 1967, den Blick vom bösen Geist der 68er auf Leben und Denken von Dutschke in Ost und West zu lenken. Bewirkt hat es bei den Bundesrepublikanern nichts. In den Hausflur Cosimaplatz Nr. 2 wurde das Graffiti Vergast Dutschke! gesprüht, Rauchbomben in den Eingang geworfen, Kot vor seine Tür gelegt. Ein Bundestagsabgeordneter aus Bayern bezeichnete Rudi Dutschke im Februar 1968 als ungewaschene, verlauste und verdreckte Kreatur.

 

Im Januar 1968 startet Wolfgang Venohr für stern-tv mit den Dreharbeiten für Rudi Dutschke – Sein jüngstes Portrait. Das Filmporträt beginnt mit einer Straßenumfrage: Dutschke?Verbrennen müsste man so was! Vergasen! Det wär’ richtig! -– Na ja, er sollte man richtig n Arsch vollkriegen, auf Deutsch gesagt, damit det, wat sein Vater versäumt hat, noch nachgeholt werden könnte.Na Gott, tja, Abschaum der Menschheit, nicht, Randalierer ersten Grades.Er geht nach der Zersetzung der Demokratie, also für mich ist klar, der wird vom Osten bezahlt.Tja, den sollt man in ’n Sack stecken und über die Mauer schmeißen. Venohr fragt Dutschke, ob er sich wegen solcher Schmierereien nicht bedroht fühle. Ich fühle mich persönlich überhaupt nicht bedroht. Es gebe zwar pogromartige Ansätze, doch die seien ganz normal. Venohr hakte nach: Haben Sie nicht manchmal Angst, dass Ihnen einer über ’n Kopf haut? Dutschke schloss nicht aus, dass irgend ’n Neurotiker oder Wahnsinniger mal ’ne Kurzschlusshandlung durchführen könnte.

 

Noch bevor der Film fertiggestellt war, feuerte der Hilfsarbeiter Josef Bachmann am 11. April 1968 vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Stundenbundes am Kurfürstendamm Nr. 140 drei Schüsse auf Rudi Dutschke ab. Nach einer mehrstündigen Operation prognostizierten die Ärzte, dass er sich über eine langwierige Therapie wieder mühsam Sprache und Gedächtnis aneignen könnte. Im Juni 1968 entschloss sich die Familie, die Bundesrepublik zu verlassen. Nach Aufenthalten in der Schweiz, Italien und Großbritannien folgte 1971 Dänemark, wo er Dozent an der Universität Aarhus wurde. 1973 promovierte er an der FU Berlin im Fach Soziologie. Rudi Dutschke starb am 24. Dezember 1979 im Alter von 39 Jahren in Aarhus – elf Jahre nach dem Anschlag.

 

Günter Gaus im Gespräch mit Rudi Dutschke (1967)

 

 

Rudi Dutschke – Sein jüngstes Portrait. Filmportrait von Wolfgang Venohr (1968)

Filmplakat in Frankfurt am Main. 1953

Cosimaplatz Nr. 8

Franz Doelle (1883-1965)

 

Es könnte durchaus sein, dass er den Dauerbrenner Wenn der weiße Flieder wieder blüht am Cosimaplatz komponiert hat. Franz Doelle kam nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin und zog 1924 in das Haus Nr. 8 am Cosimaplatz, der damals noch Wagnerplatz hieß. Nach Studium, Militärdienst und Gründung des Franz-Doelle-Orchesters suchte er nach neuen Aufgaben.

 

Diese ergaben sich 1928 an der Komischen Oper mit der Revue Donnerwetter - tausend Frauen. Der gefragte Schlagertexter Franz Rotter (1900-1984), der in den zwanziger Jahren auf Nonsens setzte, Was macht der Maier am Himalaya? oder Heut war ich bei der Frieda, das tu ich morgen wieda, hatte den Text geliefert: Wenn der weiße Flieder wieder blüht/Sing ich dir mein schönstes Liebeslied/Immer, immer wieder knie ich vor dir nieder/Trink mit dir den Duft von weißem Flieder/Wenn der weiße Flieder wieder blüht/Küss ich deine roten Lippen müd/Wie im Land der Märchen werden wir ein Pärchen/Wenn der weiße Flieder wieder blüht. Doelle schrieb die Noten. Sechs Jahre nach dem Weißen Flieder musste er wegen seiner jüdischen Herkunft die deutsche Hauptstadt verlassen. Franz Doelle machte als Film- und Liederkomponist Karriere.

 

1933 Viktor und Viktoria (An einem Tag im Frühling), 1934 Die englische Heirat (Liebe ist ein Geheimnis), 1935 Amphitryon (Aus den Wolken kommt das Glück), 1935 Königswalzer (Wie ein Wunder kam die Liebe). Und so weiter und so fort. Die letzten Filmkompositionen entstanden für die Produktionen Die Wirtin zum Weissen Röss'l (1943) und Ein schöner Tag (1944). Doelles Melodien wurden Schlager.

 

Die Geschichte von Viktor und Viktoria wurde mehrfach verfilmt, zuerst 1933 unter der Regie von Reinhold Schünzel mit Renate Müller und Hermann Thimig, dann von Schünzel und Roger Le Bon parallel dazu die französische Version unter dem Titel Georges et Georgette. Im Vereinigten Königreich entstand 1935 unter der Regie von Victor Saville unter First a Girl eine weitere Variante. 1957 folgte die Neuverfilmung mit Johanna von Koczian, Georg Thomalla und Johannes Heesters.

 

Die bekannteste Version des Stoffes mit der Musik von Henry Mancini schuf 1982 Regisseur Blake Edwards für Metro-Goldwyn-Mayer mit Julie Andrews (Victoria Grant alias Count Victor Grezhinski), Robert Preston (Carroll „Toddy“ Todd), James Garner (King Marchand), Lesley-Ann Warren (Norma Cassady) und Alex Karras (Squash Bernstein) in den Hauptrollen.

 

1953 erlebte Franz Doelles Ohrwurm mit dem Spielfilm Wenn der weiße Flieder wieder blüht eine Wiederauferstehung. Regisseur Hans Deppe setzte auf die alte Idee von Fritz Rotter, engagierte Willy Fritsch, Magda Schneider, Hertha Feiler, Paul Klinger, Romy Schneider – und Doelle streute außer dem Weißen Flieder eine Reihe weiterer Doelle-Hits ein.

 

Franz Doelle, der seit den 1930er Jahren mit seiner Familie in der Mark Brandenburg lebte, floh 1950 aus der SBZ nach Westberlin. 1951 zog er in seine Geburtsstadt Mönchengladbach und schließlich nach Leverkusen-Schlebusch, um dort mit seiner Frau Ella eine Hühnerzucht zu betreiben. Er starb 1965 und wurde auf dem Friedhof am Scherfenbrand in Leverkusen bestattet.