Bruno Schneidereit (1880-1938)
Der Künstlerarchitekt
Dieses Männerbildnis gehört nach Berlin. In New York ist es nicht mehr als eine Kapitalanlage. Es zeigt den Architekten Bruno Schneidereit als elegant gekleideten Flaneur und damit auch Max Pechsteins Faszination über die blühende Metropole vor dem Ersten Weltkrieg. Das Ölgemälde auf Leinwand, 60 x 40 cm, links oben signiert mit H. Pechstein, 1912, gehörte zur Sammlung Conrad & Elsa Doebbeke. 1959 präsentierte die Nationalgalerie Berlin erstmals das Werk unter dem Titel Herr mit Zylinder. Bildnis des Berliner Architekten Schneidereit. Danach wurde es verkauft. 1964 ging es über das Auktionshaus Kornfeld & Klipstein in Bern an die Galerie La Boétie von Helen Singer in New York. Heute? Fragezeichen.
Bruno Julius Hermann Schneidereit wurde am 12. Juli 1880 in Tilsit geboren. Seine Eltern waren der Brückenwärter Martin Schneidereit und dessen Ehefrau Auguste geborene Olschewski. Über den Werdegang des Sohnes ist nichts bekannt. Er verstand sich als baukünstlerisch ambitionierter Privatarchitekt, der 1903 in Berlin der Deutschen Freien Architektenschaft (DFB) und später dem Bund Deutscher Architekten (BDA) beitrat. Ziel war die Anerkennung der Baukunst als freie und individuelle künstlerische Tätigkeit und die Befreiung von der preußischen Bauverwaltung.
Begonnen hatte die Geschichte 1906 auf der Kunstgewerbeausstellung in Dresden. Der Architekt versprach sich von diesem Festzug des deutschen Kunstgewerbes Anregungen für Innenräume, in denen mit Malerei, Plastik und Möblierung neue Akzente gesetzt werden konnten. Er sah die farbenfrohen Decken- und Wandgemälde des Akademiestudenten Max Pechstein, die dieser zur Finanzierung seines Studiums für Bauten seiner Professoren Otto Gussmann, Max Hans Kühne und Wilhelm Kreis ausgeführt hatte. 1908 engagierte er Pechstein als Dekorationsmaler.
Am Kurfürstendamm Nr. 152 Ecke Cicerostraße war das Atelier für Hochbauausführungen, Innenarchitektur und Kunstgewerbe Schneidereit & Wünsche Friedenau dabei, für den Magistratssekretär Max Cuhrt ein viergeschossiges Wohnhaus zu errichten, dessen Innenräume dekorativ gestaltet werden sollten. Eigennützig gewiß, aber Schneidereit wurde damit zweifellos einer der frühen Förderer des Brücke-Malers.
Max Pechstein erhielt ein Atelier im Dachgeschoss und machte sich an die Dekoration der Innenräume. Im Foyer unterbrach er die hölzerne Wandtäfelung und setzte dazwischen farbige Porträts der Familie.
Das von Max Cuhrt in Auftrag gegebene Bildnis von Tochter Charlotte Curth wurde 1911 im Kunstsalon Maximilian Macht Berlin ausgestellt und befand sich bis 2008 im Familienbesitz. 2015 stellte das Auktionshaus Ketterer München das Bildnis erneut vor. Erst damals war ein Gesamtkunstwerk zu erkennen – das Ölgemälde als Teil der schwarz gebeizten Wandtäfelung in einer Gesamtgröße von 175 x 85 cm. 2021 wurde auf der Auktion von Venator & Hanstein Köln eine Vorzeichnung zum ‚Bildnis Charlotte Cuhrt‘ präsentiert, eine nicht signierte Farbkreidezeichnung (27,9 x 21,5 cm) aus dem Skizzenbuch von Max Pechstein.
Kaum war der Bau am Kudamm errichtet, sorgten Schneidereit, Curth und wohl auch Pechstein in Moderne Bauformen (Heft 4/1908) für Publicity. Hervorgehoben wurde, daß die Architekten versuchen, dem steingrauen Einerlei der Großstadtstraßen eine persönliche Note zu geben. Von Interesse ist dabei auch das Verfahren der Putzbehandlung. Ein neues Material ‚Terrasit‘, ein Gemisch aus naturfarbenen gemahlenen Steinen, in diesem Falle Muschelkalk und Porphyr, soll dabei zur Verwendung kommen. Der Vorzug liegt darin, dass der Ton des Putzes nicht wie beim Farbanstrich durch die Sonne gebleicht wird und dass der Verputz, gleich dem Verhalten des Muschelkalksteins, an äusserer Festigkeit zunimmt. Bilder wurden gleich mitgeliefert: Empfangsräume im Hause Cuhrt in Berlin sowie Vestibüle aus dem Hause Cuhrt in Friedenau (Aquarelle und Malerei von Max Pechstein), womit das Landhaus Goßlerstraße Nr. 27 gemeint war, das 1906 errichtet und 1907 von Magistratssekretär Max Cuhrt erworben wurde. In die 3-Zimmer-Wohnungen mit Bad und Loggia zog nach der Berufung an die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums der Maler und Schriftkünstler Emil Rudolf Weiß ein.
Nachdem die Berlinische Boden-Gesellschaft am Südwestkorso den fortgeschrittensten Stand des Mietwohnungsbaus ankündigte, war Schneidereit dabei. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger berichtete am 7. Juli 1909: Der Architekt Schneidereit, welcher das Grundstück Stubenrauchstraße Ecke Straße 13 (Offenbacher Straße Nr. 1) erworben hat, will dasselbe mit einem Wohnhaus errichten. Da das Grundstück in der Bauklasse A liegt, in der die Gebäude an der Nachbargrenze einen Abstand von mindestens 5 Meter (Bauwich) von der Nachbargrenze halten müssen und derselbe an den Gemeindefriedhof angrenzt, hat der Eigentümer den Antrag gestellt, die Gemeinde wolle mit ihm an der gemeinsamen Nachbargrenze Giebelgemeinschaft vornehmen lassen (also ohne Bauwich). Die Gemeinde stimmt dem Antrag unter folgenden Bedingungen zu: Die architektonische Ausgestaltung der Fassade hat nach Angaben des Bauamtes zu erfolgen; der Giebel ist architektonisch auszugestalten; die Anpflanzungen an der freibleibenden Ecke hat nach Angaben der Gemeinde zu geschehen; an die Gemeinde ist eine Entschädigung von 1000 Mark (für die Ausführung einer Friedhofsmauer) zu zahlen..
Das Haus wird in der Landesdenkmallste leider nicht erwähnt, obwohl sich Max Pechstein ein damals verbotenes Dachatelier eingerichtet hatte, das ich freilich nur mit dem Notwendigsten versehen konnte. Ich hatte in diesem einen Raum die Wände mit Nessel bespannt und ringsherum von oben bis unten mit Stoff-Farben bemalt, so dass das Fehlen der Möbel kaum auffiel. Die Unterkunft war illegal und so kommt es, daß die Offenbacher Straße Nr. 1 unter den Berliner Wohnorten von Pechstein nicht auftaucht. Seine Wandbespannung ist erhalten und lagert in der Nationalgalerie.
Am 8. Mai 1913 erschienen vor dem Standesamt Berlin zum Zwecke der Eheschließung erstens der Architekt der deutschen freien Architektenschaft Bruno Julius Hermann Schneidereit, evangelischer Religion, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Taunusstraße Nr. 23, und zweitens die Karolina Wilhelmine Margarete Fielitz, evangelischer Religion, geboren am 25. April 1887 zu Berlin, wohnhaft in Berlin, Brunnenstraße Nr. 191, Tochter des verstorbenen Fabrikbesitzers August Karl Gustav Adolf Fielitz, zuletzt wohnhaft in Berlin und seiner Ehefrau Pauline Wilhelmine geborene Wasewitz, wohnhaft in Berlin. Als Zeugen waren zugezogen und erschienen: Der Kaufmann Friedrich Fielitz, 23 Jahre alt, wohnhaft in Berlin, Brunnenstraße 191, der Leutnant Fritz Ohmke, 22 Jahre alt, wohnhaft in Gnesen, Stadtkreis.
Der nächste Bau von Schneidereit in der Offenbacher Straße Nr. 8, in den das Ehepaar mit Sohn Frank einziehen wollte, verzögerte sich durch die Planungen der Gemeinde für den Schulbau an der Ecke der Laubacher Straße. Dieses Mietshaus ist in der Landesdenkmalliste mit folgendem Text aufgeführt: Offenbacher Straße Nr. 8, Baujahr 1912-1913, Entwurf Architekt Carl Horst, Entwurf Architekt Bruno Schneidereit, Bauherr Bruno Schneidereit. Wer hat denn nun was entworfen? Im Werkverzeichnis Pechstein klärt die Kunsthistorikerin Aya Soika auf:
Das Haus ist charakteristisch für diese Jahre, als darin anschaulich gezeigt wird, wie modernes Kunstgewerbe und moderne Kunst nach Vereinigung streben. Man erblickt nicht nur eine Arbeit von symptomatischer Bedeutung für die Zeit, sondern auch die ernste Talentprobe eines aus dem Handwerk und der gewerblich angewandten Kunst heraus denkenden Dekorativen, den ein heftiger Höhendrang beseelt und mit dessen frischer Kraft man unwillkürlich sympathisiert. Pechstein hat auf laute und stark klingende Farben verzichtet und koloristisch insofern zu stilisieren verstanden, als er sich auf drei Farben beschränkt hat, auf ein Gelb, Grün und Blau, die überall von der hellen Farbe des Grundes zusammengehalten und überstrahlt werden. Die Bilder sind mit Tempera auf Leinwand gemalt. Den figürlichen Darstellungen liegt ein Motiv zugrunde, das man etwa ‚Die Insel der Seligen‘ nennen könnte.
Während Pechstein im Eingangsbereich die Kassettendecke und Pfeiler mit dekorativen Ornamenten verzierte, so lassen sich in der Bemalung seines Dachateliers keine Reminiszenzen an seine früheren Dekorationen für die Foyers und Treppenhäuser in Berliner Mietshäusern finden. Die mit einfachsten Mitteln ausgeführte Dekoration knüpfte eher an die improvisierten Wandbehänge in den ehemaligen Brücke-Ateliers an. Doch führte Pechstein seine Bemalung diesmal nicht auf Nesselstoff, sondern direkt auf der Wand aus. Auf einer Fläche von gerade einmal vier Quadratmetern gestaltete er zwei Friese, eingerahmt von jeweils einem breiten Schmuckband. Dabei verzichtete er nun vollkommen auf Anklänge an die Kompositionen von Matisse oder Gauguin, und orientierte sich stattdessen enger denn je am kantigen Balkenstil Palaus. Dem mikronesischen Vorbild folgend, stellte er die Figuren meist im Profil und mit der typischen Haarkrone dar, stehend oder auf dem Boden hockend. Die Wiedergabe der Klubhäuser und Palmen passte er ebenfalls den Darstellungen auf den Hausbalken an. Dort ließ sich Max Pechstein Ende 1913 von Waldemar Titzenthaler vor dem Gemälde Akt mit Schirm und Fächer (1912) ablichten. Von Aya Soika wissen wir, daß die Wandmalereien noch heute in der Mietwohnung erhalten sind.
Es kam der Erste Weltkrieg und Bruno Schneidereit wurde vom Holzindustriellen Otto Schmidt mit dem Ausbau seiner Villa in Bromberg beauftragt. Kunstkritiker Anton Jaumann schreibt später in Wasmuths Monatsheften (1921), selten sind bei einem relativ kleinen Umbau soviel Bildhauer und Kunsthandwerker zur Mitarbeit herangezogen worden. In der Tat gibt sich Schneidereit dem Projekt ungehemmt hin. Die reichlich publizierten Innenaufnahmen sprechen für sich. Der Hochbauarchitekt wird zum Künstlerarchitekten. Bromberg wird ein typisches Beispiel unserer dekorativen Architektur und unseres Zeitstils. Schneidereit verknüpft Baukunst, Bildhauerei, Malerei und Zeichnung mit handwerklichen Techniken und erinnert daran, daß entscheidenden Anstöße zu stilistischer Weiterentwicklung in der Architektur auch vom Kunstgewerbe kommen.
Am 24. Juni 1919 war zur Erlangung von Entwürfen für die künstlerische Ausgestaltung des Ehrenfriedhofes der Gemeinde Berlin-Friedenau auf dem Friedhof Stubenrauchstraße unter den hier ansässigen Künstlern ein Wettbewerb ausgeschrieben worden. Das Preisgericht besteht aus Bürgermeister Walger, Schöffe Lichtheim, Baurat Altmann, Bildhauer Professor Haverkamp, Architekt Professor Seeck, Architekt Schönknecht und Garteninspektor Stabe. Der 1. Preis ging an Architekt Bruno Schneidereit. Beschlossen war zuvor, den Ehrenfriedhof für die im Felde gefallenen Friedenauer Kriegsteilnehmer auf der Nordseite der Kapelle anzulegen. Bereits 1914 war das Gemeinsame mit den drei Beerdigungen der aus Lazaretten heimgeholten toten Söhne in privaten Gräbern aufgebraucht. Das rsprüngliche Konzept einer Ehrenstätte für die in der Ferne ruhenden Friedenauer Mitkämpfer geriet ins Wanken.
Bruno Schneidereit meldete sich zu Wort: Ein Ehrenfriedhof muß unter allen Umständen bescheiden sein. Er würde sicher sehr wenig Ehre einbringen, wenn jeder Bürger seine Lieblingsidee verwirklichen könnte. Auch ich hätte gern aus Gründen der Pietät die Einzelgräber bestehen lassen; aber alle Erfahrungen, die anderswo damit gemacht sind, konnten nur abschrecken. Gerade der kleine Raum zwingt zu äußerster Einfachheit und Ruhe. Somit mußte die Gesamtanlage gegenüber dem Einzelgrab betont werden. Die ängstliche Abgrenzung sollte doch nicht über den Tod hinaus gelten. Was wir schaffen, ist bestimmt für viele Geschlechter und mit Ehren zu bestehen. Das ergibt einen anderen Maßstab als die Vorliebe des einzelnen für Symbole, Vergißmeinnicht und andere Niedlichkeiten.
Nachdem die Gemeinde Friedenau 1920 ihre Eigenständigkeit verloren hatte, wurden die Friedenauer Friedhöfe Stubenrauchstraße und Waldfriedhof Güterfelde vom Bezirksamt Wilmersdorf betreut. Schneidereits preisgekrönter Entwurf wurde modifiziert. Damit die unschöne Kapelle nicht zu stark auf die Anlage drückt, wurde auf der Nordseite der Kapelle eine erhöhte Terrasse geschaffen. Sein quadratischer Gedenkstein, der wie eine Vase um ein weniges anschwillt und knospenartig die oberen Platten zweier schwächerer Vierkante herauswachsen läßt, wurde verworfen. Stattdessen wurde eine hohe Säule aus Muschelkalkstein mit der bekrönenden Figur eines niederknieenden Soldaten errichtet, der, wie Hagen von Tronje, einen Kampfmantel mit Gürtel trägt und sein blankes Schwert über seine Schulter hält. Nördlich davon schließt sich der Kriegerfriedhof an, nach Bundesgesetz ausdrücklich nur für Militärangehörige. Die vom Architekten Bruno Schneidereit vorgesehenen flach auf dem Rasen liegenden Tafeln mit den Namen der dort ruhenden Soldaten konnten sich (in abgewandelter Form) erst nach dem Zweiten Weltkrieg für die Anlagen Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft durchsetzen. Auf dem Friedhof Stubenrauchstraße wurden in vier Reihen für 55 Gräber Kalksteinkreuze gesetzt.