Güterzug auf dem Südring. Foto Hahn & Stich, 2017

 

Das Jahr 2017

Die Bahn baut den Südring aus, 1. Februar 2017

Baustellenbegehung, 5. Juli 2017

Erschütterungen in der Isoldestraße, 30. August 2017

Die Bombe, 2. Oktober 2017

 

Schlechter hätte das Jahr 2017 nicht beginnen können: Die Bahn baut den Südring aus. Seit 2014 hatten die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg darauf gebaut, dass die Bahn auf die Wieder-Inbetriebnahme des Güter-Innenrings verzichtet. Überlesen hatten die Politiker allerdings, dass die Deutsche Bahn AG seinerzeit in ihrer Mitteilung von vorläufig schrieb.

 

Konkret geht es um den zweigleisigen Streckenabschnitt von Halensee über Tempelhof und Neukölln nach Baumschulenweg bzw. Treptower Park, der seit 1878 existiert und seit 2001 brachliegt. Über die inzwischen reaktivierten Gleise und Brücken kann der Innenring nun Züge aus allen Richtungen aufnehmen: Aus dem Süden von Grunewald, aus dem Westen von Spandau, aus dem Norden von Gesundbrunnen und aus dem Osten vom Grünauer Kreuz. Nach ziemlich geheimen Testfahrten im September 2016 verkehren auf der Strecke seither regelmäßig Güterzüge, die momentan von der relativ leisen Diesellok WFL 203/114-4 gezogen werden. Rechtlich ist die Lage klar. Die Bahn hat eine bestehende Trasse wiederbelebt. Zusätzlicher Schallschutz ist daher nicht erforderlich. Dennoch ist der Innenring derzeit nicht attraktiv, weil bei durchgehenden Zügen in Halensee bzw. Baumschulenweg für den nicht elektrifizierten Streckenabschnitt jeweils eine Diesellok vorgespannt werden müsste.

 

Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass die Bahn den Abschnitt Halensee-Tempelhof-Neukölln-Baumschulenweg elektrifizieren möchte. SPD und GRÜNE von Tempelhof-Schöneberg befürworteten den Antrag sofort, weil sie damit die Probleme mit Lärm und Erschütterung für das Wohnbauprojekt auf dem Bahndamm elegant gelöst bekommen hätten. Sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Elektrifizierung hätte für die DB Neubau bedeutet, verbunden mit einer wesentlichen Änderung der Bahnanlagen – bis hin zum Aufstellen von Oberleitungsmasten. Schon Ende 2017 sickerte durch, dass die Deutschen Bahn AG den Antrag auf Planfeststellung für die Elektrifizierung des westlichen Güter-Innenrings zurückziehen wird.

 

Fakt wäre allerdings gewesen, dass die Deutsche Bahn AG nach der Elektrifizierung in der Lage gewesen wäre, ICE, Regional- und Güterzüge über den Südring fahren zu lassen. Das Projekt ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

 

Filmbericht über die Testfahrten auf dem Südring

 https://youtu.be/D7q-RMAjfmI

 

Baustellenbegehung am 5. Juli 2017

 

Ungünstiger hätte die Baustellenbegehung am 5. Juli 2017 nicht beginnen können. Zuerst begegneten sich um 17.22 Uhr zwei S-Bahnzüge und eine Minute später gab es um 17.23 Uhr die Durchfahrt eines Güterzuges. Versammelt hatten sich auf dem Bahndamm etwa 50 Personen, darunter BÖAG-Chef Lars Böge, sein neuer Partner OFB von der HELABA-Immobiliengruppe, viel Bezirksamt, wenig BVV, das rot-grüne Sprachrohr Stadtteilzeitung, die überall mitmischen wollende Bürgerinitiative Breslauer Platz und kritische Anwohner. Die wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Wir haben uns für die Gruppe von Investor Lars Böge, Baustadtrat Jörn Oltmann (GRÜNE), Stadtentwicklungssprecher Christoph Götz (SPD) und HELABA-Abgesandte entschieden.

 

Euphorisch klang Lars Böge nicht mehr. Es mag daran liegen, dass sich entgegen aller Erwartungen keine der städtischen Wohnungsbaugesellschaften von Berlin an dem Bauprojekt beteiligt. Das hat Folgen. Die BÖAG-Ausführungen in Kürze:

 

Vegetation: Für die inzwischen gefällte/entfernte Vegetation wird es Ersatzpflanzungen geben.

 

Baustraße: Für den Bau wird es eine (einzige) Baustraße geben, die neben dem S-Bahnhof Innsbrucker Platz an der Hauptstraße entstehen wird. Der Zugang von der Handjerystraße wird entsprechend der bezirklichen Auflagen dafür nicht genutzt.

 

Baubeginn: Mit dem Bauaushub soll Mitte 2018 im Westen an der Handjerystraße begonnen werden. Der erste Bauabschnitt an der Handjerystraße wird den Bereich „geförderter Wohnungsbau“ umfassen. Dort wird u.a. eine Kindertagesstätte für 500 Kinder entstehen. Im Abstand von etwa einem halben Jahr werden anschließend die weiteren Baufelder in Richtung Osten erschlossen.

 

 

Edeka: Da der Zugang zum Wohnquartier von der Handjerystraße mit dem Edeka-Markt nicht gut genug gewürdigt wird, gibt es Gespräche mit Edeka. Geplant ist ein Abriss des Marktes und an dessen Stelle ein mehrgeschossiger Neubau, in dessen Erdgeschoss wieder ein Markt vorgesehen ist.

 

Gelände: Das Gelände wird in wesentlichen Teilen um 2 m abgetragen, so dass die Bauten nicht über die Häuserhöhe der Bennigsenstraße hinausragen. Im tieferliegenden südlichen Bereich an der Handjerystraße wird das Gelände nicht abgetragen.

 

Wohnungen: Unter 5 Prozent der Wohnungen können konventionell gebaut werden. Das bedeutet, dass ein Großteil der Wohnungen mit „Lüftungen“ versehen werden muss. Die Öffnungen der Wohnungen zur Nordseite sollen (wegen Lärm und Schmutz) so klein wie möglich gehalten werden. Die eindeutige Orientierung der Wohnungen geht Richtung Süden.

 

Geförderter Wohnungsbau: Da die Offerten der städtischen Berliner Wohnungsbaugesellschaften unter den BÖAG-Erwartungen blieben und sich letztendlich keine Berliner Wohnungsbaugesellschaft an dem Bauprojekt beteiligt, wird BÖAG den Bereich geförderter Wohnungsbau aus dem eigenen Familienbestand errichten. Diese Gebäude wird BÖAG langfristig (etwa 30 Jahre) im Bestand halten.

 

HELABA: Seit etwa einem Monat gibt es mit der HELABA Immobiliengruppe (OFB Projektentwicklung) einen Partner, mit dem BÖAG den freifinanzierten Wohnungsbau errichten wird. Die bisherigen Planungen sehen eigentlich keinen Eigentumswohnungsbau vor. Das muss man am Ende dann mal sehen.

 

Bauzeit: Geplant wird im Moment mit einer Gesamtrealisierungszeit bis 2021/22. Es sollen Wohnungen gebaut werden, die von der Bevölkerung angenommen werden. Das hängt auch von den Wohnungsgrößen ab. Vorgesehen ist eine natürliche Durchmischung.

 

Hauptstraße: Im Osten an der Hauptstraße wird ein Hochhaus mit etwa der Höhe des „Atomhauses“ (Hauptstraße 93) entstehen. Dieses muss zwingend einer gewerblichen Nutzung zugeführt werden. Im Erdgeschoss wird ein Nahversorgungskomplex entstehen.

 

Konzept: Das Wohnprojekt wird weitestgehend autofrei gehalten. Für die Anwohner entstehen unter den Häusern Tiefgaragen, die ganz wesentlich über den Zugang Hauptstraße erreicht werden. An der Handjerystraße entsteht ein weiterer kleinerer Stadtplatz mit einer Zufahrt zu den Tiefgaragen für die Bewohner des geförderten Wohnungsbaus.

 

Brückenteil Hauptstraße: Das von der Deutschen Bahn nicht mehr genutzte westliche Brückenteil mit dem Widerlager an der Hauptstraße wird entfernt.

 

S-Bahnhof Innsbrucker Platz: Der S-Bahnhof Innsbrucker Platz soll neben dem bisher einzigen Zugang Innsbrucker Platz/Hauptstraße einen weiteren Zugang im Süden erhalten, über den die Anwohner direkt vom Gelände zur Station gelangen können.

 

Zugang Lauterstraße: Unter der kuriosen Überschrift Die städtische Verlängerung der Lauterstraße“ hatte die AG Güterbahnhof Wilmersdorf der Bürgerinitiative Breslauer Platz für die geplante Treppe von der Lauterstraße hoch zum Bahndamm kürzlich eine gestaltete Geländeanlage des Straßenzugs gefordert, die selbstverständlich behindertengerecht gestaltet werden müsse sowie für Kinderwagen, Einkaufswagen und Radfahrer nutzbar sei. BÖAG-Vorstand Lars Böge hat die Forderung rundweg abgelehnt: Der Zugang Lauterstraße bekommt ein Treppe.

 

Isoldestraße Nr. 9. Foto Hahn & Stich, 2017

Erschütterungen in der Isoldestraße

 

Im BÖAG-Gutachten von 7.12.2015 heißt es, dass „sich zwischen den S-Bahngleisen und der geplanten Bebauung noch zwei weitere Gleise befinden. Auf diesen ist zukünftig mit Güterzugverkehr zu rechnen. Gegenwärtig finden keine Vorbeifahrten statt, so dass keine Messdaten von Zugvorbeifahrten auf diesen Gleisen vorliegen. Für das Jahr 2025 ist von den folgenden Zahlen auszugehen: Güterzug tagsüber 13 Fahrten (6:00 - 22:00 Uhr), Güterzug nachts 10 Fahrten (22:00 - 6:00 Uhr). Weiterhin kommt es auf den Gleisen zu Fahrten von Leerzügen oder Rangierfahrten von Personenzügen: 3 tagsüber und 3 nachts. Zur genauen Beurteilung sind weitere Messungen empfehlenswert.

 

Die Isoldestraße ist 150 Meter lang und verläuft von der Handjerystraße am Perelsplatz zum Varziner Platz. Das Wohnhaus Nr. 9 liegt etwa in der Mitte und von der Bahntrasse rund 90 Meter entfernt – das Haus der Friedenauer Kammerkonzerte.

 

 

 

 

 

Am 18. April 2017 schrieb der Bewohner Joachim Perle an die Deutsche Bahn: Schon mehrmals fiel uns in der vergangenen Zeit eine kurzzeitige starke Erschütterung des Hauses auf. Endlich konnte ich einen Grund entdecken: Am Montag, 10. April um 19.04 Uhr war die mehrere sekundenlange Erschütterung wieder zu bemerken. Ich sah einen langen Güterzug in Richtung Schöneberg fahren. Die Erschütterungen waren so stark, daß die Kronleuchter schwankten, der Dielenfußboden zitterte und sogar auf dem Sofa sitzend war das Zittern zu bemerken. Ist der Bahn das Problem bekannt? Ich halte es nicht für normal, daß in einem so großen Abstand vom Bahnkörper so starke Erschütterungen zu spüren sind.

 

Am 5. Mai 2017 antwortete die DB Netz AG: Wir konnten keine ungewöhnlich lauten Emissionen oder Erschütterungen im betroffenen Bereich feststellen, die durch den Zugbetrieb verursacht werden könnten ... Wir möchten Ihnen daher folgende Informationen zum Sachverhalt geben. Normalerweise ergeben sich die Fahrgeräusche und die daraus resultierende Geräuschentwicklung aufgrund der Wechselwirkungen aus dem Rad/Schienen-System. Es kann dadurch immer wieder zu Geräuschentwicklungen und auch zu Erschütterungen in unterschiedlichster Intensität kommen. Dies ist bei einem funktionierenden Eisenbahnbetrieb aber unvermeidlich. Ihr Gebäude kann durch vorbeifahrende Züge zur Anregung gebracht werden. Dies kann sich u.U. in verschiedener Art und Weise bemerkbar machen (z.B. Vibrationen etc.). In Ihrem beschriebenen Fall vom 10.04.2017 fuhr zur genannten Zeit ein Güterzug mit einer Maximalgeschwindigkeit von 90km/h auf der Strecke 6170. Diese genannte Strecke ist sowohl für Schienenpersonen- als auch für den Güterverkehr gewidmet. Wir weisen darauf hin, dass es sich hier um eine Bestandsstrecke handelt. Dadurch kann es beispielsweise durch Baumaßnahmen in umliegenden Bereichen (z.B. Ausbauknoten Berlin Nordkreuz-Karow) immer wieder zu temporären Schwankungen im Zugaufkommen durch Umleiterverkehre kommen. Uns ist bewusst, dass die Emissionen aus dem laufenden Eisenbahnbetrieb als störend empfunden werden und bitten Sie daher die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.

 

Auf eine Nachfrage erhielt der Anwohner Joachim Perle am 22. Mai 2017 folgende Antwort: Der Zug, der zur genannten Zeit die Strecke 6170 (südlicher Berliner Innenring) befuhr war ein Güterzug der mit Schotter/Steinen und mit einer Lok der Baureihe 250 (ADtranz DE-AC33C) bespannt. Genauere Informationen liegen uns leider nicht vor.

 

Evakuierungsgebiet 2017. Quelle Polizei Berlin

Bombe auf dem Güterbahnhof Wilmersdorf

 

Am 2. Oktober 2017 wurde gegen 11.30 Uhr ein Blindgänger auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf entdeckt. Die 250-Kilo-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg liegt direkt an den Gleisen der Ringbahn nahe dem S-Bahnhof Innsbrucker Platz.

 

In der Nacht zum 3. Oktober organisierten etwa 450 Polizeibeamte in einem Sperrkreis von 500 Metern eine Evakuierung von rund 10.000 Menschen. Die Ringbahn zwischen Halensee und Südkreuz wurde stillgelegt. Der S-und U-Bahnhof Innsbrucker Platz geschlossen. A100 und Hauptverkehrsstraßen wurden gesperrt.

 

Gegen 1 Uhr am 3. Oktober 2017 war die Bombe entschärft. Schwierig war laut Polizei, dass die Bombe auf einem Erdhügel in Höhe einer S-Bahn-Trasse lag und nicht in einer Grube gesprengt werden konnte. Die 10.000 evakuierten Menschen konnten in ihre Wohnungen zurückkehren.

 

 

 

Das Berliner Ingenieurbüro Majer & Bendzko merkte im Gutachten vom 22.05.2008 an, dass die Tiefenbohrungen in 0,5 m Tiefe bzw. 1,9 m Tiefe abgebrochen wurden und nur einmal bis 3,0 m Tiefe u. GOK (unter Geländeoberkante) erfolgreich waren. Vor Ort wurden am 23.04.2008 alle 64 Bohransatzpunkte mittels Oberflächensondierung auf Kampfmittel untersucht. Es konnten nur 19 Punkte freigegeben werden. An 45 Bohransatzpunkten konnte die Freigabe nicht erteilt werden, da trotz überwiegend zurückgebauter Gleisanlagen weitere massive ferromagnetische Störungen im oberflächennahen Bereich vorhanden sind … In Abstimmung mit der Deutschen Bahn AG wurde eine bohrbegleitende Kampfmitteluntersuchung der nicht freigegeben Bohrpunkte in der Zeit vom 05. bis 06.05.2008 durchgeführt. Es konnte an allen 64 Bohrpunkten baubegleitend die Kampfmittelfreigabe erteilt werden und die geplanten Bohrarbeiten bis in den gewachsenen Bodenbereich durchgeführt werden.

 

Im Gutachten der Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH Estenfeld vom 21.05.2015 wurde festgestellt: Der schwerste dokumentierte Angriff auf die Stadtteile Wilmersdorf, Schöneberg und Friedenau fand am 30.01.1944 statt. Bei diesem Angriff wurden 1.500 Sprengbomben, darunter Luftminen (ca. 1.300-1.500 kg Sprengstoff), sowie zahlreiche Brandbomben abgeworfen. Mit dem Auffinden von Bombenblindgängern sowie Handkampfmitteln und Granaten muss im Auswertungsgebiet gerechnet werden. Es besteht weiterer Erkundungsbedarf.

 

Es gab offenbar keine weiteren Untersuchungen in der Tiefe, obwohl die von der BÖAG geplante Tiefgarage 7 Meter in den Boden reicht. Zu befürchten sind deshalb weitere Funde auf dem Gelände.