Kaum war 1889 die Schöneberg-Friedenauer Terraingesellschaft gegründet, war das 26 ha große Gelände hinter der Wannseebahn parzelliert. Von Anfang an wurde die geschlossene Bauart kritisiert. An öffentlichen Plätzen mit Schmuckanlagen gebricht es in diesem Stadtteil gänzlich. Selbst in den zumeist noch unbebauten aber bereits gepflasterten Straßen ist eine solche nicht vorgesehen. Um wie viel mehr würde sich dieser Stadtteil entwickelt haben, wenn mit Hergäbe von Schmuckplätzen nicht so gegeizt worden wäre. 1892 machte die Stadt Schöneberg daraus das Malerviertel, versehen mit Namen von Malern, die keinerlei Bezug zu Schöneberg hatten.

 

Die Straße 6 erhielt den Namen Begasstraße, benannt nach dem Bildhauer Reinhold Begas (1831-1911). Er war 1897 der Schöpfer des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal auf der Schlossfreiheit, das den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte, 1950 vor der Sprengung des Berliner Stadtschlosses demontiert und teilweise eingeschmolzen wurde und demnächst durch die Einheits-und-Freiheits-Wippe ersetzt werden soll. Im Original erhalten sind zum Glück der Neptunbrunnen (1891) zwischen der Marienkirche und dem Roten Rathaus, das Schiller-Denkmal (1871) auf dem Gendarmenmarkt, das Alexander-von Humboldt-Denkmal (1883) vor der Universität und das Bismarck-Nationaldenkmal (1901) am Großen Stern.

 

Für Carl Ludwig Schleich war er ein eminent genialer Kopf. Entwürfe reihten sich an Entwürfe, immer schwebten Wolkenzüge von Plänen durch seinen sinnenden Kopf. Und dabei diese enorme Vitalität, dieser Lebenshunger, dieser unerschütterliche Mut, zu genießen, wahrlich ein Mensch der Renaissance, in gewissem Sinne skrupellos. Das traf wohl auch auf die geplante Siegesallee von Kaiser Wilhelm II. im Tiergarten zu. Nur halbherzig warnte er vor diesem Projekt, reduzierte seine Kritik auf die handwerklichen Fähigkeiten der Bildhauer, die von der handwerksmäßigen Technik kaum eine Ahnung haben, nur Modelleure sind und ihre Modelle zum Steinmetz geben – und steuerte doch mit den Gruppen Kaiser Wilhelm I. und Markgraf Waldemar zwei marmorne Denkmäler bei. Was davon übriggeblieben ist, kann in der Zitadelle Spandau .besichtigt werden. Das Grab von Reinhold Begas befindet sich auf dem Alten Kirchhof der Zwölf-Apostel-Gemeinde in Schöneberg.

 

Hans Hermann Wilhelm, Ohne Stein und ohne Namen, 1974

Begasstraße Nr. 10

Hans Hermann Wilhelm (1892-1975)

 

In Alfred Bürkners Friedenau – Straßen, Häuser, Menschen findet sich unter Begasstraße Nr. 10 der Eintrag: Hier lebte der Schriftsteller und Studienrat Hans Hermann Wilhelm (30.11.1892-01.07.1975). Zu seinen Werken zählen die Romane ‚Freiheit‘, 1919; ‚Werden‘, 1920; ‚Die Frickes‘, 1934; ‚Die Wege der Brackenhoffs‘, 1939; ‚Die Frickes und die Ohlhofs‘, 1941; ‚Die Schuld der Väter‘, 1943; ‚Jugend im Joch‘, 1944; ‚Robert Wandelt‘, 1944. Die Bücher erschienen im (christlichen) Brunnen Verlag Gießen. Von Hans Hermann Wilhelm hatten wir bisher weder gehört noch etwas gelesen.

 

Herausfinden konnten wir, dass er am 30. November 1892 in Buddenhagen als Sohn eines Kantors geboren wurde und in Berlin und Leipzig Germanistik und Philologie studierte. Bis 1940 war er als Studienrat in Berlin tätig und wohnte in der Steglitzer Humboldtstraße Nr. 20. Danach zog er nach Neustrelitz, wo er 1945 nach dem Einmarsch der Roten Armee 1945 von den Sowjets verhaftet und im Speziallager Nr. 9 Fünfeichen interniert wurde.

 

1946 veröffentlichte die Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone eine Liste der auszusondernden Literatur, darunter von Hans Hermann Wilhelm Dichtung im Anbruch (1936), Die Frickes, Die Schuld der Väter, Jugend im Joch und Volk ohne Grenzen (1944). Nach Auflösung des Lagers Fünfeichen kam er 1946/47 in das Speziallager Nr. 2 Buchenwald. Mit der im Januar 1950 gestarteten Entlassungsaktion wurden die Inhaftierten von der sowjetischen Besatzungsmacht an die deutsche Landespolizeibehörde übergeben. 1954 lebte Wilhelm in Dahlem, Hüninger Straße Nr. 11, 1959 in Lichterfelde, Neuchateler Straße Nr. 3, 1964 in Berlin 37, Potsdamer Straße Nr. 44, und ab 1970 als Studienrat a. D. in der Begasstraße Nr. 10.

 

 

 

1974 veröffentlichte er unter dem Titel Ohne Stein und ohne Namen Aufzeichnungen aus stalinistischen Todeslagern in Deutschland, in dem er die Haftbedingungen der sowjetischen Speziallager mit den Konzentrationslagern aus der Zeit des Nationalsozialismus verglich. Ein fragwürdiger Vergleich und vielleicht noch zu akzeptieren, wenn das Buch nicht auch noch im Druffel-Verlag erschienen wäre, dessen Verlagsgründer Helmut Sündermann 1930 in die NSDAP eingetreten und bis 1945 stellvertretender Reichspressechef dieser Partei war. Nach dem Zusammenbruch wurde er von den Alliierten gefangen genommen und bis September 1948 im Internierungslager Dachau inhaftiert. 1952 gründete er den Verlag und verlegte Bücher prominenter Nationalsozialisten, darunter Joachim von Ribbentrop: Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und Aufzeichnungen. aus dem Nachlass herausgegeben von Annelies von Ribbentrop (1953), Ilse Heß: England-Nürnberg-Spandau. Ein Schicksal in Briefen (1954), Hans-Ulrich Rudel: Von den Stukas zu den Anden. Am höchsten Vulkan der Erde (1956). Wilhelms Aufzeichnungen aus stalinistischen Todeslagern erschienen in einem Verlag, der mit seinen Publikationen rechtsextreme Kreise bedient.