Name seit 1914, benannt nach dem Baumeister Gottfried Semper (1803-1879). Sie markiert die südliche Grenze der Wohnsiedlung „Ceciliengärten“, die im Norden von der Traegerstraße, nach Osten von Rubens- und Baumeisterstraße sowie der Stammbahntrasse und nach Westen von der Sponholzstraße eingerahmt wird. Nach Bildung von Groß-Berlin hatte der Magistrat die Absicht, die Ceciliengärten als Ganzes mit dem Namen Semperstraße zu bedenken. Es blieb beim ursprünglichen Namen. Ceciliengärten und Semperstraße liegen nach den Grenzen von 1874 nicht in Friedenau, sondern auf dem Gebiet des Ortsteils Schöneberg. Die Gegend wird mitunter auch als „Gefühltes Friedenau“ oder „Neu-Friedenau“ bezeichnet. Die Idee für das Wohnprojekt „Ceciliengärten“ entwickelte 1912 Schönebergs Stadtbauinspektor Paul Wolf (1879-1957). Nach 1921 kreierte sein Nachfolger Heinrich Lassen (1864-1953) einen neuen Bebauungsplan mit Bauten, die den veränderten Bedürfnissen entsprachen und architektonische Akzente setzten. Der Atelierturm an der Semperstraße mit der postalischen Adresse Ceciliengärten Nr. 27 gehört dazu.

 

Ceciliengärten Nr. 27, Semperstraße. Das Atelier 4. und 5. Etage, um 1930. Archiv Enkelin Petra Althen

Der Atelierturm

 

Mit 164 zu 148 Stimmen bei fünf Enthaltungen wurde 1920 das Gesetz über die Bildung der Stadtgemeinde Berlin beschlossen. Damit wurden Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Wilmersdorf und Spandau sowie 59 Landgemeinden (darunter Friedenau) und 27 Gutsbezirke am 1. Oktober 1920 eingemeindet. Erst jetzt dämmerte es der „Städtischen Kunstdeputation“, dass ein „volkstümlicher Abriss der Geschichte unserer Stadt Schöneberg fehlt“. So kam es im Herbst 1920 zur kommunal-historischen Ausstellung „Das alte Schöneberg im Bilde“.

 

Hans Baluschek wurde Kurator. Mit Hilfe der „alteingesessenen Schöneberger Bürger Wilhelm Speck und Hermann Hecht“ entstand der Katalogtext. Der Historiker Wilhelm Spatz schrieb über die Geschichte. Gezeigt wurden Ansichten und Pläne von 1685 bis 1920.

 

 

Danach war Schöneberg erst einmal mit dem Wohnungsbau beschäftigt. Nachdem 1927 der letzte Bauabschnitt der Ceciliengärten fertiggestellt war, gab es außer 621 Wohnungen auch 4 Ateliers – darunter mit der postalischen Adresse Ceciliengärten Nr. 27 den „Turm“ an der Semperstraße mit der Atelierwohnung in der vierten und fünften Etage. Der seit 1921 amtierende Bürgermeister Emil Berndt (1874-1954) von der DNVP und Stadtverordneter Theodor Heuss (1884-1963) von der DDP erkannten, dass nach Ernennung von Baluschek zum Leiter der „Großen Berliner Kunstausstellung“ auch Schöneberg mit dem „Schöneberger“ Baluschek „wuchern“ könnte. 1929 offerierte ihm der Bezirk die kostenfreie Atelierwohnung. Ein Jahr später zahlte sich das schon aus: Bei den Baluscheks waren Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862-1946) und seine Frau Margarete zu Gast.

 

Im Juli 1933 trat Bezirksbürgermeister Oswald Schulz (NSDAP) sein Amt an. Da aber hatte die Familie Baluschek das Domizil in den Ceciliengärten bereits verlassen und wohnte in der Bozener Straße Nr. 13-14. Die Gründe für diesen Umzug sind nicht bekannt. Freiwillig? Genötigt? Es gibt einiges im Schöneberger Archiv, was aufzuarbeiten wäre.

 

Der Weltkrieg hat das Haus einigermaßen verschont. Dennoch wurde der Atelierturm an der Semperstraße in den 1950er Jahren umgebaut. Aus dem über zwei Etagen bestehenden Atelier wurden zwei Wohnungen. Die hohen vom vierten zum fünften Stock reichenden Atelierfenster wurden entfernt und durch kleinformatige ersetzt. Ab 1999 wurde das genossenschaftliche Wohneigentum verkauft. Dem Bezirksamt Schöneberg wurden die aufwändig zu erhaltenden Grünflächen mit ihren Skulpturen überlassen. So kommt es, dass ehemaliges kommunales Eigentum nun von privat als eine „besondere modern und geschmackvoll eingerichtete Ferienwohnung im 6. OG des denkmalgeschützten Atelierturms der Ceciliengärten“ angeboten wird.

 

Die Gedenktafel – „Hier lebte, malte, zeichnete und schrieb Hans Baluschek 1929-1933“ – wird zur Farce.

 

Ausstellung Hans Baluschek im Bröhan-Museum 26.3.-27.9.2020

Hans Baluschek zum 150. Geburtstag

 

Der Maler, Grafiker und Illustrator Hans Baluschek konfrontierte das Publikum mit ungewohnt realistischen Darstellungen des Berliner Lebens. Ihn interessierten die Folgen der Industrialisierung, der Alltag, Armut, Hunger und Verwahrlosung. Die Melodie seiner Bilder ist abgestimmt auf die Musik der kleinen Leute, auf die Disharmonien und die hässlichen Nebengeräusche. Kaiser Wilhelm diffamierte ihn 1901 als Rinnsteinkünstler und der völkisch-nationalistische Redakteur der Täglichen Rundschau Willy Pastor schloss sich an. Für ihn gingen die Kunstkritiker in der Ausstellung amüsiert von Bild zu Bild oder wandten sich ab, weil Baluschek zum geschmacklosen Volke der Naturalisten gehört und sich durch zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze auszeichnet.

 

Es wäre im Jahr 2020 Gelegenheit gewesen, das Werk von Hans Baluschek wieder in Erinnerung zu rufen, da außer seinem 150. Geburtstag am 9. Mai auch noch sein 85. Todestag ansteht. Die Chance wurde vertan. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin, die im Depot neben seinen Arbeiten auch jene seiner Frau Irene Drösse-Baluschek (1891-1972) aufbewahrt, verkündete mit einer Zukunftsstrategie, wieder mehr im Stadtraum zu wirken, wieder an den Diskussionen der Stadt teilzunehmen, weil Geschichte dazu da ist, um in der Gegenwart zu leben und die Zukunft erkennen zu können. Nichts ist geschehen.

 

Das Schöneberg Museum erforscht Themen, in denen sich Politik-, Sozial- und Alltagsgeschichte bündeln, eigentlich genug Ansatz, sich mit Hans Baluschek zu beschäftigen. Wenn es überhaupt je einen „Schöneberger“ gab, dann war es Baluschek, der von seinen diversen Wohnungen Cherusker-, Klopstock-, Vorberg-, Akazien-, Haupt-, Bozener Straße und Ceciliengärten immer wieder Schöneberg in all seinen Facetten festhielt. Für die Leiterin der Museen Tempelhof-Schöneberg Irene von Götz ist es wohl wichtiger, sich um ihre Professur am Institut für Volkskunde an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu kümmern. So wird der Schöneberger Kunstbesitz im Depot verwahrt und ist nicht öffentlich zugänglich. Auf der Webseite erfährt man, dass dazu auch Schwarzes Land, Ölkreide auf Leinwand von 1922 gehört. Was in der umfangreichen Sammlung von Gemälden, Aquarellen, Gouachen, Graphiken und Plastiken überhaupt vorhanden ist, erfährt man nicht.

 

Zweifellos besitzt das (zum Glück noch immer künstlerisch autark geführte) Bröhan-Museum die umfangreichste Baluschek-Sammlung. Zu seinem 150. Geburtstag zeigt die Ausstellung nun unter dem Titel Zu wenig Parfüm, zu viel Pfütze einen umfassenden Überblick und spannt dabei einen Bogen vom Kaiserreich bis in die Jahre der Weimarer Republik.

 

Hoffen wir, dass die Ausstellung am 26. April 2020 in der Charlottenburger Schloßstraße eröffnet werden kann. Nicht erklären können wir uns allerdings, dass die Türen am 27. September 2020, einen Tag vor dem 85. Todestag von Hans Baluschek, geschlossen werden sollen.

 

***

 

Aktuell: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Mai 2020

Die Phantome des Eisenbahnmalers

Berlin in Grau und Braun: Das Bröhan-Museum feiert den Künstler Hans Baluschek

 

Man kann sich sattsehen an Hans Baluschek. Das liegt nicht an seinen Themen - Berlin in Kaiserreich und Republik, Eisenbahnen und Industrielandschaften, Proletarier, Außenseiter, Elendsviertel - son­dern an seinem Stil. Auf Baluscheks Ölbild „Arbeiterinnen“ von 1900 strömen Frauen dicht gedrängt aus einer Fabrikhalle: Eine trägt eine Blindenbrille, eine zweite ein Kreuz um den Hals, eine dritte ein Medaillon, eine vierte hat ein Taschentuch um die Backe gebunden; man sieht schwarze, blonde, rote und braune Haare.

 

Wer aber länger hinschaut, erkennt, dass Baluschek dieselben drei Frauengesichter fünfzigmal auf der Leinwand verteilt hat, frontal, seitlich, im Dreiviertelprofil. Fabian Reifferscheidt, der Kurator der Baluschek-Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum, spricht von einem „Baukastensystem“. Auch die Fabrik im Hintergrund ist ein Kasten, der die Menschen zu Arbeitskräften stanzt. Will der Maler den industriellen Moloch anprangem? Nein, denn er macht die Figuren einander ja nicht gleich, sondern künstlich unähnlich, hängt ihnen Ringe oder Perlen ans Ohr und jeder ein anderes Kleid über die Schultern. Auf den Baukosten der Moderne antwortet der Malkasten des Künstlers mit Nachahmung. Sein Thema ist ein Sujet, das sich bewirtschaften lässt, mit Stadtlandschaften, Familienszenen, schiefen Idyllen, Typenporträts.

 

Andererseits hat Baluscheks Werk eine Handschrift, die man unter Hunderten erkennt. 1923, im Inflationsjahr, malt er ein Paar, das durch Hinterhöfe läuft, die Füße verquer, die Hände ineinander verkrallt, der Mann ein Karl-Valentin-Verschnitt, die Frau eine Stummfilm-Kokotte. „Heimweg“ heißt das Bild, aber ein Zuhause ist nirgends zu sehen, nur Brandmauem, Schlote, zerschlagene Fenster, bekritzelte Wände. Sechs Jahre später, in der Abenddämmerung der Weimarer Republik entsteht der „Großstadtwinkel“, auf dem die Straßenbeleuchtung von Lesser Ury, das Personal aber von Fritz Lang und Otto Dix stammt: achtzehn Gelegenheits- und Dauerprostituierte; Edelschicksen, Mannweiber, Gören mit Mütze, Mütter mit Hut, in allerlei Posen arrangiert, als wollten sie zur „Schönheits-Concurrenz“ in den „Paradiessälen“ antreten, für die eine Leuchtschrift am linken Bildrand wirbt.

 

Wäre Berlin ein Genre wie das Rheintal oder Kythera, könnte keiner Baluschek darin das Wasser reichen, weil er immer den kürzesten Weg von der Gosse zur Gemütlichkeit und vom Tinnef zum Erhabenen nimmt. Man möchte Sozialdemokrat werden - Baluschek wurde es 1920 -, wenn man sieht, wie die Greisin in „Frühlingswind“ unter einem Sisley-Himmel zusammengesunken im Straßenstaub hockt oder die alte Säuferin („Elend“) an einer Laterne lehnt; aber dann leuchten die Laternen über den „Obdachlosen“ im Tiergarten so traulich, und in der „Bahnhofshalle“ am Lehrter Bahnhof dampfen die Züge so flott, dass man mit dem Maler lieber eine Molle zischen ginge. Ein Koch bietet Brühwürste feil, ein Herr mit Schiebermütze wuchtet einen Koffer, eine Dame mit Pelzkragen erwartet ihn: „Berlin Babylon“, die Serie, ist nicht mehr weit.

 

Vielleicht kommt man Baluschek am nächsten, wenn man ihn biographisch liest. Als einziger Sohn eines Eisenbahningenieurs entdeckt er mit fünfzehn die Malerei und besucht mit zwanzig die Berliner Kunstakademie, aber die Liebe zur Eisenbahn verlässt ihn nicht. Schon früh sammelt er Modelle von Lokomotiven und Waggons, die er in seine Bilder einfügt.

 

ln Schöneberg, damals noch ein Vorort von Berlin; wächst Baluschek auf und stirbt dort auch, von den Nationalsozialisten verpönt, fünfundsechzigjährig im September 1935. Der Innsbrucker Platz, das Gasometer, die Trasse der Potsdamer Bahn, das Reichsbahngelände am Landwehrkanal sind wiederkehrende Motive seiner Malerei. Wenn Berlin in Baluscheks Lebenszeit zur Weltstadt wurde, dann sieht man davon bei ihm nichts. Seine Kunst kennt keine Weite, sondern nur Naheliegendes, Fabriken, Fassaden, Bahnhöfe, davor Passanten oder Züge als Repoussoir. Bei größeren Formaten packt Baluschek der Horror vacui: Seine „Großstadtlichter“ von 1931 sind mit Figuren und Architekturen vollgestopft wie ein Geschenkkorb. Man möchte zu gern ein Zeitbild der Weltwirtschaftskrise darin sehen, aber der Maler erstickt die Stimmung durch Masse. Er zeigt Berlin, als stünde es als Kulisse in Babelsberg.

 

Aber dieser enge Blick ist auch eine Stärke. Gerade im Kleinen, im Milieu, ist Baluschek groß. Bereits an der Akademie, unter der Knute des Hofmalers Anton von Werner, hat er angefangen, sich für das Leben der Unterschichten zu interessieren. In „Malschule“ (1894) stellt er sich noch zu den Kunststudenten, die das proletarische Modell begaffen, danach findet er seinen Standpunkt auf der Straße, unter den Menschen, die er zeigt. Um das Graubraun der Arbeitersiedlungen festzuhalten, erfindet er eine eigene Mischtechnik, die die Schärfe der Federzeichnung mit der Vagheit Aquarells verbindet. Manche Köpfe auf dem „Feierabend“ von 1895 könnten von Menzel sein, andere von Käthe Kollwitz, aber die Farbgebung ist reiner Baluschek, bleiern, verschattet, fatal.

 

Das Blatt entstand als Beitrag für den Kalender „Kunst und Leben“. Das Illustrative, Serielle ist das Betriebsgeheimnis von Baluscheks Kunst. Die erste Monographie über ihn erschien 1904 in der Reihe „Moderne Illustratoren“, sie stellte Baluschek neben Munch, Beardsley und Thomas Theodor Heine. Das Massenpublikum, das seine Arbeiterbilder nicht fanden, bescherten ihm die gefällig-verträumten Illustrationen „Peterchens Mondfahrt“. Aber auch seine schärfste Anklage gegen die Industriemoderne hat Baluschek in einer Serie formuliert, dem Zyklus „Opfer“ von 1906. Weil er anders als Zille keinen Funken Humor besaß, fehlt diesen Zeichnungen von Geisteskranken, Selbstmörderinnen, Prostituierten und Alkoholikem jedes Augenzwinkern, sie sind das nackte, heulende Elend. Das Bröhan-Museum, das neben dem Berliner Stadtmuseum den größten Bestand an Baluschek-Werken überhaupt besitzt, hat gut daran getan, diese Blätter aus dem Kupferstichkabinett zu leihen. Sie zeigen die Kehrseite von Baluscheks Wimmelbildern und Modelleisenbahnlandschaften, ihren finsteren, unterirdischen Kern.

 

Das Meisterwerk dieses Malers und dieser Ausstellung ist dennoch ein Ölgemälde der „Berliner Rummelplatz“ von 1914. Frühsommerabend, ein Karussell dreht sich, Familien im Sonntagsstaat eilen wie aufgezogen in Rückenansicht zu der blinkenden Attraktion. Im Vordergrund werfen sich ein Junge mit Schiebermütze und Zigarette und ein Knabe mit Strohhut misstrauische Blicke zu. Die Szene strömt eebenjene Mischung aus Amüsierwut und Gereiztheit aus, die Thomas Mann im vorletzten Kapitel des „Zauberbergs“ beschrieben hat und die schon den Zeitgenossen gegenwärtig war. Wir wissen, was im Sommer 1914 geschah. Hans Baluschek wusste es nicht. Aber er ahnte es. ANDREAS KILB, FAZ, 13. Mai 2020

 

Wenig Parfüm, viel Pfütze. Hans Baluschek zum 150. Geburtstag. Im Bröhan-Museum Berlin; bis zum 27. September. Der Katalog kostet 25 Euro.

 

Ausstellung Hans Baluschek im Bröhan-Museum 26.3.-27.9.2020

Aktuell: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Mai 2020

Die Phantome des Eisenbahnmalers

Berlin in Grau und Braun:

Das Bröhan-Museum feiert den Künstler Hans Baluschek

 

Man kann sich sattsehen an Hans Baluschek. Das liegt nicht an seinen Themen - Berlin in Kaiserreich und Republik, Eisenbahnen und Industrielandschaften, Proletarier, Außenseiter, Elendsviertel - son­dern an seinem Stil. Auf Baluscheks Ölbild „Arbeiterinnen“ von 1900 strömen Frauen dicht gedrängt aus einer Fabrikhalle: Eine trägt eine Blindenbrille, eine zweite ein Kreuz um den Hals, eine dritte ein Medaillon, eine vierte hat ein Taschentuch um die Backe gebunden; man sieht schwarze, blonde, rote und braune Haare.

 

Wer aber länger hinschaut, erkennt, dass Baluschek dieselben drei Frauengesichter fünfzigmal auf der Leinwand verteilt hat, frontal, seitlich, im Dreiviertelprofil. Fabian Reifferscheidt, der Kurator der Baluschek-Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum, spricht von einem „Baukastensystem“. Auch die Fabrik im Hintergrund ist ein Kasten, der die Menschen zu Arbeitskräften stanzt. Will der Maler den industriellen Moloch anprangem? Nein, denn er macht die Figuren einander ja nicht gleich, sondern künstlich unähnlich, hängt ihnen Ringe oder Perlen ans Ohr und jeder ein anderes Kleid über die Schultern. Auf den Baukosten der Moderne antwortet der Malkasten des Künstlers mit Nachahmung. Sein Thema ist ein Sujet, das sich bewirtschaften lässt, mit Stadtlandschaften, Familienszenen, schiefen Idyllen, Typenporträts.

 

Andererseits hat Baluscheks Werk eine Handschrift, die man unter Hunderten erkennt. 1923, im Inflationsjahr, malt er ein Paar, das durch Hinterhöfe läuft, die Füße verquer, die Hände ineinander verkrallt, der Mann ein Karl-Valentin-Verschnitt, die Frau eine Stummfilm-Kokotte. „Heimweg“ heißt das Bild, aber ein Zuhause ist nirgends zu sehen, nur Brandmauem, Schlote, zerschlagene Fenster, bekritzelte Wände. Sechs Jahre später, in der Abenddämmerung der Weimarer Republik entsteht der „Großstadtwinkel“, auf dem die Straßenbeleuchtung von Lesser Ury, das Personal aber von Fritz Lang und Otto Dix stammt: achtzehn Gelegenheits- und Dauerprostituierte; Edelschicksen, Mannweiber, Gören mit Mütze, Mütter mit Hut, in allerlei Posen arrangiert, als wollten sie zur „Schönheits-Concurrenz“ in den „Paradiessälen“ antreten, für die eine Leuchtschrift am linken Bildrand wirbt.

 

Wäre Berlin ein Genre wie das Rheintal oder Kythera, könnte keiner Baluschek darin das Wasser reichen, weil er immer den kürzesten Weg von der Gosse zur Gemütlichkeit und vom Tinnef zum Erhabenen nimmt. Man möchte Sozialdemokrat werden - Baluschek wurde es 1920 -, wenn man sieht, wie die Greisin in „Frühlingswind“ unter einem Sisley-Himmel zusammengesunken im Straßenstaub hockt oder die alte Säuferin („Elend“) an einer Laterne lehnt; aber dann leuchten die Laternen über den „Obdachlosen“ im Tiergarten so traulich, und in der „Bahnhofshalle“ am Lehrter Bahnhof dampfen die Züge so flott, dass man mit dem Maler lieber eine Molle zischen ginge. Ein Koch bietet Brühwürste feil, ein Herr mit Schiebermütze wuchtet einen Koffer, eine Dame mit Pelzkragen erwartet ihn: „Berlin Babylon“, die Serie, ist nicht mehr weit.

 

Vielleicht kommt man Baluschek am nächsten, wenn man ihn biographisch liest. Als einziger Sohn eines Eisenbahningenieurs entdeckt er mit fünfzehn die Malerei und besucht mit zwanzig die Berliner Kunstakademie, aber die Liebe zur Eisenbahn verlässt ihn nicht. Schon früh sammelt er Modelle von Lokomotiven und Waggons, die er in seine Bilder einfügt.

 

ln Schöneberg, damals noch ein Vorort von Berlin; wächst Baluschek auf und stirbt dort auch, von den Nationalsozialisten verpönt, fünfundsechzigjährig im September 1935. Der Innsbrucker Platz, das Gasometer, die Trasse der Potsdamer Bahn, das Reichsbahngelände am Landwehrkanal sind wiederkehrende Motive seiner Malerei. Wenn Berlin in Baluscheks Lebenszeit zur Weltstadt wurde, dann sieht man davon bei ihm nichts. Seine Kunst kennt keine Weite, sondern nur Naheliegendes, Fabriken, Fassaden, Bahnhöfe, davor Passanten oder Züge als Repoussoir. Bei größeren Formaten packt Baluschek der Horror vacui: Seine „Großstadtlichter“ von 1931 sind mit Figuren und Architekturen vollgestopft wie ein Geschenkkorb. Man möchte zu gern ein Zeitbild der Weltwirtschaftskrise darin sehen, aber der Maler erstickt die Stimmung durch Masse. Er zeigt Berlin, als stünde es als Kulisse in Babelsberg.

 

Aber dieser enge Blick ist auch eine Stärke. Gerade im Kleinen, im Milieu, ist Baluschek groß. Bereits an der Akademie, unter der Knute des Hofmalers Anton von Werner, hat er angefangen, sich für das Leben der Unterschichten zu interessieren. In „Malschule“ (1894) stellt er sich noch zu den Kunststudenten, die das proletarische Modell begaffen, danach findet er seinen Standpunkt auf der Straße, unter den Menschen, die er zeigt. Um das Graubraun der Arbeitersiedlungen festzuhalten, erfindet er eine eigene Mischtechnik, die die Schärfe der Federzeichnung mit der Vagheit Aquarells verbindet. Manche Köpfe auf dem „Feierabend“ von 1895 könnten von Menzel sein, andere von Käthe Kollwitz, aber die Farbgebung ist reiner Baluschek, bleiern, verschattet, fatal.

 

Das Blatt entstand als Beitrag für den Kalender „Kunst und Leben“. Das Illustrative, Serielle ist das Betriebsgeheimnis von Baluscheks Kunst. Die erste Monographie über ihn erschien 1904 in der Reihe „Moderne Illustratoren“, sie stellte Baluschek neben Munch, Beardsley und Thomas Theodor Heine. Das Massenpublikum, das seine Arbeiterbilder nicht fanden, bescherten ihm die gefällig-verträumten Illustrationen „Peterchens Mondfahrt“. Aber auch seine schärfste Anklage gegen die Industriemoderne hat Baluschek in einer Serie formuliert, dem Zyklus „Opfer“ von 1906. Weil er anders als Zille keinen Funken Humor besaß, fehlt diesen Zeichnungen von Geisteskranken, Selbstmörderinnen, Prostituierten und Alkoholikem jedes Augenzwinkern, sie sind das nackte, heulende Elend. Das Bröhan-Museum, das neben dem Berliner Stadtmuseum den größten Bestand an Baluschek-Werken überhaupt besitzt, hat gut daran getan, diese Blätter aus dem Kupferstichkabinett zu leihen. Sie zeigen die Kehrseite von Baluscheks Wimmelbildern und Modelleisenbahnlandschaften, ihren finsteren, unterirdischen Kern.

 

Das Meisterwerk dieses Malers und dieser Ausstellung ist dennoch ein Ölgemälde der „Berliner Rummelplatz“ von 1914. Frühsommerabend, ein Karussell dreht sich, Familien im Sonntagsstaat eilen wie aufgezogen in Rückenansicht zu der blinkenden Attraktion. Im Vordergrund werfen sich ein Junge mit Schiebermütze und Zigarette und ein Knabe mit Strohhut misstrauische Blicke zu. Die Szene strömt eebenjene Mischung aus Amüsierwut und Gereiztheit aus, die Thomas Mann im vorletzten Kapitel des „Zauberbergs“ beschrieben hat und die schon den Zeitgenossen gegenwärtig war. Wir wissen, was im Sommer 1914 geschah. Hans Baluschek wusste es nicht. Aber er ahnte es. ANDREAS KILB, FAZ, 13. Mai 2020

 

Wenig Parfüm, viel Pfütze. Hans Baluschek zum 150. Geburtstag. Im Bröhan-Museum Berlin; bis zum 27. September. Der Katalog kostet 25 Euro.

 

Hans Baluschek um 1904. Archiv Enkelin Petra Althen

Hans Baluschek

 

Über Hans Baluschek ist einiges geschrieben worden. Zuerst kam die DDR, die den „Darsteller des sozialen Lebens“ für die neue Zeit brauchte. Da war so ziemlich alles recht: Die Nationalsozialisten setzten Baluschek als ‚marxistischen Künstler‘ von seinen Ämtern ab, schlossen ihn von allen Arbeitsmöglichkeiten aus und brandmarkten seine Werke als ‚Entartete Kunst‘.

 

Er wurde schlechthin als der von den Faschisten verfemte Künstler betrachtet. Als später auch das westliche Berlin Baluschek für sich entdeckte, wurden einige dieser Behauptungen übernommen. Stimmiger wurden sie damit nicht.

 

Zu den Fakten gehört, dass während des nationalsozialistischen Regimes keine seiner Bilder aus Museen oder Depots entfernt wurden. Seine Arbeiten wurden 1933 und 1934 auf der „Großen Berliner Kunstausstellung" und im „Künstlerhaus Bellevuestraße“ ausgestellt.

 

Er schuf die Bühnenbildentwürfe für die Uraufführung des Singspiels „Die lockende Flamme“ von Eduard Künneke am 25. Dezember 1933 im Theater des Westens.

 

Schließlich erhielt er für die Ausstellung „100 Jahre Deutsche Eisenbahnen“ von Juli bis September 1935 in Nürnberg vom „Reichsbahn-Werbeamt Berlin“ den Auftrag, die 40seitige Broschüre zu illustrieren. Neben dem farbigen Titelbild mit dem Gemälde „Über Dächern“ finden sich dort mehr als drei Dutzend Federzeichnungen, die teilweise speziell für diese Publikation entstanden.

 

Hans Baluschek starb am 28. September 1935. Am 9. Mai 2020 steht sein 150. Geburtstag an. Mit Hilfe seiner Enkelin Petra Althen versuchen wir auf den folgenden Seiten, den Lebensweg der Familie Baluschek nachzuzeichnen.

 

 

Aktueller Hinweis

Das Bröhan-Museum zeigt vom 22. März bis 17. Juni 2018 „Berliner Realismus“. Die Ausstellung spannt einen Bogen von den 1890er bis zu den 1930er Jahren und stellt die sozialkritische Ausrichtung innerhalb der Berliner Kunst mit Künstlern wie Heinrich Zille, Hans Baluschek unf Käthe Kollwitz in diesem Zeitraum heraus.

Bildnis des Vaters Franz Baluschek, 1894. Bröhan-Museum Berlin

Ukrainischer Ursprung

 

„Die Familie Baluschek ist ukrainischen Ursprungs. Sie baute den Boden, Generationen hindurch. Um 1800 siedelt ein Zweig auf deutschen Boden über, wird sesshaft im preußischen Schlesien und gelangt zu mäßigem Wohlstand. Einer der Söhne verläßt die Scholle. Geht in die Stadt, nach Breslau, wird Landmesser und nimmt preußische Verwaltungsdienste im Eisenbahnwesen an. Als dessen Sohn wird in Schlesiens Hauptstadt am 9. Mai 1870 Hans Baluschek geboren. Vater und Mutter sind klare Naturen, empfänglichen und beweglichen Geistes, doch ohne besondere künstlerische Einstimmung. Der Vater nimmt den Jungen mit in Werkstätten, Anlagen, Baracken und Arbeiterquartiere der Stadt. Die Misere des proletarischen Daseins entgeht dem Blick des Knaben nicht …“ So beginnt die 1924 veröffentlichte Monographie „Hans Baluschek“ von Friedrich Wendel (1886-1960), dem Leiter der sozialdemokratischen Buchgemeinschaft „Der Bücherkreis“.

 

Vielmehr war über die Eltern von Hans Baluschek bisher nicht bekannt. 1876 zog die Familie nach Berlin. Der bisherige „Landmesser“ Franz Baluschek wurde „Technischer Eisenbahnbetriebssekretär“. Mutter Luise geborene Opitz brachte den Knaben Hans und drei Mädchen zur Welt, von denen „zwei früh an Tuberkulose gestorben“ sein sollen. Die dritte Schwester Katharina wurde am 29. Februar 1880 geboren. Als Hans 17 war, wurde der Vater für den Eisenbahnbau auf Rügen 1887 nach Stralsund versetzt. Die Familie zog mit. Nach dem Abitur kehrte Hans Baluschek nach Berlin zurück und studierte ab 1889 Malerei an der Königlichen Akademie der bildenden Künste.

 

 

 

 

Deckblatt Phantasus von Arno Holz

Baluschek als Sprödowski

 

Als sich Hans Baluschek 1889 für ein Malereistudium an der Preußischen Akademie bewarb, musste ihm bekannt sein, dass Direktor Anton von Werner (1843-1915) nicht nur genaue Wirklichkeitswiedergabe forderte, sondern sich auch gegen „Moderne Kunst“ aussprach. Werners strenges Diktat hinsichtlich Komposition, Perspektive, Anatomie, Detail, Farbe und Material brachten handwerkliche Fähigkeiten, engten die freie künstlerische Gestaltung ein.

 

Baluscheks Kommilitone Martin Brandenburg (1870-1919) sah das ähnlich, obwohl ihre Arbeiten nicht unterschiedlicher hätten sein können. Deutlich wurde dies 2016 mit „Martin Brandenburg und Hans Baluschek – eine Künstlerfreundschaft“ im Bröhan-Museum Berlin und der „Gegenüberstellung“ ihrer Bilder: hier Baluscheks bedrückender Alltag, dort Brandenburgs märchenhafte Welt. Nach vier Jahren Akademie hatten beide vom „Handwerklichen“ genug. Der Kunsthändler Fritz Gurlitt öffnete ihnen 1895 die Türen zu Publikum und Presse.

 

Für den Schriftsteller Georg Hermann (1871-1943) „wird Baluschek einmal einer der wenigen Berliner Künstler von kulturhistorischer Bedeutung sein. Mit der Art seiner Darstellung sich zu befreunden fällt nicht leicht. Sie ist hart, hölzern, gegensätzlich, bei erster Betrachtung ohne jede intime Reize. Und doch muß man zugeben, daß gerade sie für das, was sie bespiegelt, die einzig wirksamen Mittel enthält“ (1901).

 

Für Friedrich Naumann (1860-1919) entdeckt Baluschek „Schöneberg und das Tempelhofer Feld, die Mietskasernen, die Fabrikmädchen, die Arbeiterweiber, die Leute an der Eisenbahn und ihre Kinder. Schön ist das alles nicht und doch sehr malerisch, sobald man glaubt, daß zur Malerei Geist und Erkenntnis sichtbarer Dinge gehört“ (1902).

 

 

 

Für Theodor Heuss (1884-1963) sucht Baluschek „nach dem seelischen Leben der Menschen der Unterschicht, und mit einer erstaunlichen Feinheit entdeckt er das Individuelle, er ist groß als Physiognomiker, aber dabei zurückhaltend und taktvoll. Das laute Pathos fehlt ihm. Aber seine Kunst, die zuerst fremd anmutet, ist der Träger seelischer und kultureller Werte, denen heute noch die Worte fehlen. Sie neigen in die Richtung einer sozialen Psychologie“ (1903).

 

Baluschek lernte den Literaten Richard Dehmel (1863-1920) kennen, für dessen Gedichtsammlung „Weib und Welt“ er ein Deckblatt entwarf (1896). Später wurde er in den Freundeskreis um den Dichter Arno Holz (1863-1929) aufgenommen. Da Berlin kein Interesse an der Uraufführung seines Stückes „Sozialaristokraten“ zeigte, organisierte Holz 1897 eigene Aufführungen im Central-Theater. Für die Rolle des Redakteurs Styczinski wollte er den Kritiker der „Vossischen Zeitung“ Franz Servaes (1862-1947) gewinnen, und so schrieb er „unter dem Siegel der heiligsten Verschwiegenheit – ich habe ihm mein ernstestes Wort geben müssen, mit der Erlaubnis, nur Ihnen gegenüber den Schleier zu lüften: Baluschek wird den Sprödowski spielen!“

 

Die naturalistische Komödie in fünf Akten „Sozialaristokraten“ ist eine Satire auf die Literatenwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Holz verarbeitete im Drama persönliche Erfahrungen aus seinen früheren Lebensjahren, so das teilweise vergebliche Streben nach Veröffentlichung seiner Werke. Für die Uraufführung unter seiner Regie gewann er (honorarfrei) Künstler aller Sparten, so vom Deutchen Theater den Schauspieler Hermann Müller für die Rolle des „Fiebig“, den Regisseur Max Reinhardt für die Rolle des „Bellermann“ und eben den Maler Hans Baluschek für die Rolle des „Sprödowski“ - laut Bühnenanweisung ist „Sprödowski ein Schneidergeselle, Mitte zwanzig. Er ist Anarchist, sehr schmutzig gekleidet und hat ein von Pockennarben gezeichnetes Gesicht“.

 

Hans Baluschek spielte tatsächlich – unter dem Pseudonym Fritz Gieseke. Die „Breslauer Zeitung“ lobte, für die Berliner Presse war das Spektakel „erbärmlich und zusammengestoppelt“ (Maximilian Harden) oder ein „Bierulk“ (Paul Schlenther). Für Arno Holz war es „ein großer Bühnenerfolg“, den er in seinem Gedichtband „Phantasus“ enthusiastisch feierte:

 

„Sprödowski:

Ein

liebenswürdigst, ein freundschaftlichst, ein sachkennerischst

dilettierender

wortlos

agierender, exzellierender

Ungenannter

Hans

Baluschek

die

Glanzleistung des Abends.“

Die Jury der Berliner Secession, 1908. Bundesarchiv

Berliner Secession

 

Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Berliner Künstlerschaft gewandelt. Da war der „Weberaufstand“ von Käthe Kollwitz, die „Arbeiterinnen“ von Hans Baluschek und „Zille sein Milljöh“. Sozialkritische Kunst hatte vom alteingesessenen Künstlerverein keine Unterstützung zu erwarten. Es kam zur Spaltung der Szene. 1908 gab es die „Große Berliner Kunstausstellung“ in den Räumen des „Künstlerhauses Verein Berliner Künstler“ in der Bellevuestraße Nr. 3 vom 1. Mai bis 27. September – und, angeführt von Walter Leistikow (1865-1908), als Gegenveranstaltung die „Berliner Secession“ im Haus am Kurfürstendamm Nr. 208. Leitung und Jury bestanden aus v.l.n.r. Fritz Klimsch, August Gaul, Walter Leistikow, Hans Baluschek, Paul Cassirer, Max Slevogt (sitzend), George Mosson (stehend), Max Kruse (stehend), Max Liebermann (1. Vorsitzender, sitzend), Emil Rudolf Weiß (stehend), Lovis Corinth (stehend). Nicht abgelichtet ist Karl Walser, der als Buchgestalter für den Verlag von Bruno Cassirer tätig war. Zusätzlich gab es eine Jury für die Abteilung Illustrationen mit Franz Christophe, Ernst Stern, Ludwig Stutz, Karl Walser, Emil Rudolf Weiß und Heinrich Zille.

 

 

Charlotte von Pazatka-Lipinski. Foto Erich Sellin, 1900

Die erste Ehe

 

Sein Theatererlebnis als „Sprödowski“ in Arno Holz‘ Komödie „Sozialaristokraten“ hielt Hans Baluschek nicht davon ab, der Schauspielerin Charlotte von Pazatka-Lipinski (1878-1969) den Hof zu machen. Die Tochter der aus dem polnischen Sierzno stammenden Eheleute Franz Heinrich Christian Pazatka-Lipinski (1836-1894) und Mathilde Johanna Sophia Friederike war am 18. November 1878 in Berlin geboren worden. Am Spittelmarkt hatte sich der Vater 1878 in der Sebastianstraße Nr. 43 als Herrenschneider niedergelassen. Charlotte wurde Schauspielerin und erhielt 1895 ein Engagement am Berliner Theater in der Charlottenstraße. Für den Theaterkritiker der „Berliner Börsen-Zeitung“ war sie „ein großes Talent“.

 

1902 wurde aus dem Fräulein von Pazatka-Lipinski Frau Charlotte Baluschek mit gemeinsamer Wohnung Klopstockstraße Nr. 24 in Tiergarten, Gartenhaus, III. Stock. Sie machte Karriere, spielte in Berlin und Hamburg, Johanna, Käthchen, Julia, Luise, Gretchen, und hielt sich fortwährend irgendwo in deutschen Landen auf.

 

Baluschek nahm das alles hin, malte, zeichnete und schrieb ihr unendlich viele Briefe: „Mir werden solche Trennungsstunden immer schwer. Und wenn ich dann in die leere Wohnung komme, so gibt mir jeder Stuhl, jedes Zimmer überhaupt in seinen Teilen ein Bild von Dir.“ Viele dieser Briefe an „mein geliebtes, einziges Lottchen“ sind seit 2014 in der deutschen digitalen Bibliothek veröffentlicht. Auf ihre Antworten werden wir aus urheberrechtlichen Gründen noch eine Weile warten müssen. Charlotte Baluschek geb. Pazatka-Lipinski mit Schöneberger Wohnsitz wurde 91 Jahre alt und starb am 28. April 1969 in Berlin.

 

Hans und Charlotte fanden nicht zusammen. 1913 wurde die Ehe geschieden. Kinderlos. Aus der Familie Baluschek heißt es dazu: „Er hatte alle Schuld auf sich geladen.“ Das war wohl geboten. Kaum war die Scheidung amtlich vollzogen, gab es noch im gleichen Jahr die Hochzeit mit Irene Drösse.

 

 

Irene und Hans Baluschek, 1913. Archiv Enkelin Petra Althen

Hans und Irene Baluschek

 

Kaum hatte Hans Baluschek mit den Gemälden „Tempelhofer Feld“ und „Der Bahnhof“ (beide 1907) einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, richtete er 1908 in Berlin W, Lützowstraße Nr. 82, Atelierhaus, linker Aufgang III, ein „Schulatelier für Damen“ ein. Dort gab er zwischen dem 1. Oktober und 1. Juli „Unterricht im Zeichnen und Malen“. Prospekte waren über seine Schöneberger Privatadresse Vorbergstraße Nr. 15 anzufordern. Zu den Schülerinnen gehörte Irene Drösse.

 

Sie wurde am 26. Februar 1891 geboren und ist die Tochter von Hermann Drösse gewesen sein, der 1908 in Berlin NW 87, Kaiserin Augusta Allee Nr. 18/19, eine „Dampfwäscherei für Hotel-, Restaurant- und Haus-Wäsche“ betrieb. Kaum war die Ehe mit Charlotte Baluschek geb. von Pazatka-Lipinski geschieden, gab es am 27. Juni 1913 die Hochzeit mit Irene Drösse. Er 43, sie 22. Gewohnt wurde zunächst in seiner Schöneberger Wohnung Vorbergstraße Nr. 15, IV. Etage. 1914 kam der Umzug in die III. Etage Akazienstraße Nr. 30. Dort wurde 1916 Tochter Regine geboren (1916-1994). Zwei Jahre später, kurz vor Geburt der zweiten Tochter Renate (1918-2009) zogen die Baluscheks in die Wohnung Hauptstraße Nr. 34/35. Vom III. Stock hatte er den direkten Blick in die Albertstraße und auf „seinen“ Gasometer.

 

Irene Baluschek hat ihre künstlerischen Ambitionen nach der Heirat offensichtlich aufgegeben. Ein Teil ihrer Bilder ist erhalten und befindet sich im Märkischen Museum (Stadtmuseum Berlin). Dazu teilte das Museum am 19. Februar 2018 mit: „Die Provenienz der Studien Irene Drösses lautet gemäß dem Inventarbucheintrag ‚Magistrat Berlin, Hauptamt für Hochbau–Raumgestaltung‘. Die insgesamt 62 Kunstwerke, darunter 24 Gemälde wurden am 21.2.1979 unter den Inventarnummern VII 79/844-906 inventarisiert.“

 

 

Einige der Porträts sind mit „Drösse“ signiert. Keine näheren Angaben sind einem Frauenporträt zu entnehmen, das nach 1915 entstanden sein soll und vom Museum (mit einem Fragezeichen) als „Selbstbildnis“ bezeichnet wird. Eine weitere Arbeit von Irene Drösse, die Zeichnung mit dem Titel „Arno Holz“ (1916) befindet sich in der Sammlung des Bröhan-Museums Berlin.

 

Eine Auswahl der Gemälde von Irene Drösse (Baluschek) aus der Sammlung Stadtmuseum Berlin. Über den unten stehenden Link gelangen Sie zur kompletten Sammlung der Gemälde von Irene Drösse auf der Website des Stadtmuseums Berlin.

 

Baluschek-Adressen in Schöneberg. Karte BA TS

Baluschek in Schöneberg

 

Selbst Baluscheks Enkelin Petra Althen ist immer noch erstaunt, wie oft der „Opa“, wie sie ihn heute noch nennt, innerhalb von Schöneberg umgezogen ist.

 

1895 Gotenstraße Nr. 4 (Haus erhalten)

 

1898 Chersker Straße Nr. 5 (Haus erhalten)

 

1908 Lützowstraße Nr. 82 (Haus im Krieg zerstört)

 

1913-1914 Vorbergstraße Nr. 15 (Haus im Krieg zerstört)

 

1914-1918 Akazienstraße Nr. 30 (Haus erhalten)

 

1918-1928 Hauptstraße Nr. 34/35 (Haus erhalten)

 

1929-1933 Ceciliengärten Nr. 27 (Semperstraße, Haus erhalten)

 

1933-1938 Bozener Straße Nr. 13/14 (Haus erhalten)

 

Titelblatt der Broschüre zur Ausstelllung von 1920

Aus Schönebergs Vergangenheit

 

Unter diesem Titel organisierte die „Städtische Kunstdeputation“ von Schöneberg im Herbst 1920 die Ausstellung „Das alte Schöneberg im Bilde“. Kurator war Hans Baluschek. Im Vorwort dankte er „den alteingesessenen Schöneberger Bürgern, den Herren Wilhelm Speck und Hermann Hecht für ihre klärenden Mitteilungen, die diesem Artikel zugrunde gelegt wurden“. Der Historiker Wilhelm Spatz steuerte den Beitrag „Aus der Geschichte unseres Heimatortes" bei. Robert Kuczynski, Direktor des Statistischen Amts der Stadt, schrieb über  „Bevölkerung und Verwaltung". Selbstverständlich wurden darin auch „die letzten 7 Gemeindevorsteher Theodor Bergemann (1826-1849), August Willmann (1849-1850), Ferdinand Heyl (1850-1857), Gottlieb Mette (1857-1867), Karl Willmann (1867-1874), Adolf Feurig (1874-1890) und Paul Schmock (1890-1898) mit Bildnissen gewürdigt.

 

„Dies Büchlein, zunächst als Führer durch die kommunal-historische Ausstellung im Schöneberger Rathause gedacht, möchte über diesen Anlass hinaus leben und wirken. Wie die Ausstellung selbst, seit langem geplant, durch den Krieg vertagt, gerade in dem Augenblick hervortritt, da Schöneberg in die neue Groß-Berliner Einheitsgemeinde aufgeht, so wollen die folgenden Aufsätze an einem entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung unseres Gemeinwesens den Blick auf sein Werden und Wachsen zurücklenken. Sie erfüllen damit zugleich eine Aufgabe, die der Lösung harrte: denn es fehlte bisher ein volkstümlicher Abriss der Geschichte unserer Stadt, es fehlte eine leicht zugängliche Zusammenfassung zuverlässiger Einzelangaben ihrer Bevölkerung und Verwaltung, es fehlte nicht minder ein Überblick über die noch vorhandenen Zeugnisse der Vergangenheit, wie ihn hier künstlerisches Verständnis mit liebevoller Hingabe hergestellt hat. So wird, was die Ausstellung nur für wenige Wochen der Anschauung zu bieten vermag, hier durch das Wort weiterhin festgehalten. Das Ziel ist das gleiche: weiten Kreisen der Bevölkerung Gelegenheit zu bieten und sie anzuregen, das Schöneberg früherer Tage kennen zu lernen, daß sie sich auch für die Zukunft ein lebendiges Bild ihrer engeren Heimat bewahren. Mehr als je vorher wird uns in den schweren Zeiten, denen wir entgegengehen, zum Bewusstsein kommen, daß Heimatgefühl und Freude an der Heimat Lebenselemente unseres Volkes sind, die es mit allen Kräften zu pflegen gilt.“

 

 

 

Das alte Schöneberg im Bilde - Katalogtext von 1920

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Große Berliner Kunstausstellung 1923, Reichspräsident Friedrich Ebert und Hans Baluschek. Bundesarchiv

Große Berliner Kunstausstellung

 

Zwischen Invalidenstraße, Alt Moabit und dem Lehrter Bahnhof gab es seit 1879 den Universum Landesausstellungspark, in dessen Zentrum 1883 der Glaspalast (Messepalast) eröffnet wurde. 1893 fand dort die erste „Große Berliner Kunstausstellung“ statt. Der Streit über die Teilnahme war vorprogrammiert, unter den Künstlern und erst recht unter den Institutionen.

Nach 1918 war das gesellschaftliche Ereignis von Berlin nicht mehr Sache des wilhelminischen Reiches, sondern der „Weimarer Republik“. Seinen ersten Auftritt in diesem Rahmen hatte Hans Baluschek am 19. Mai 1923, als er Reichspräsident Friedrich Ebert durch die Große Berliner Kunstausstellung führte. Tunlichst vermieden die beiden Genossen ein gemeinsames Foto im Saal Nr. 4, in dem Baluschek 32 Werke ausstellte, sein gesamtes Spektrum der zwischen 1896 und 1923 entstandenen Arbeiten, darunter Kohlenzug (1896), Der Blinde (1900), Sommerfest in der Laubenkolonie (1909), Pärchen (1913), Zum Friedhof (1920), Lokomotiven (1921), Arme Leute (1923.

 

 

 

Große Berliner Kunstausstellung 1932, Eröffnungsrede Hans Baluschek. Bundesarchiv

Ganz anders 1927. Die Große Berliner Kunstausstellung wurde zum ersten Mal vom „Kartell der vereinigten Verbände Bildender Künstler Berlins“ geleitet. Dazu gehörten die „Allgemeine deutsche Kunstgenossenschaft“, die „Architektenvereinigung“, die „Berliner Secession“, die „Freie Vereinigung der Graphiker zu Berlin“, die „Künstlervereinigung Berliner Bildhauer“, die „Novembergruppe“ und der „Verein Berliner Künstler“. Zum Ausstellungsleiter war Hans Baluschek ernannt worden. Kaum hatte dieses Gremium seine Arbeit aufgenommen, wurde der Glaspalast wegen Baufälligkeit geschlossen. Neuer Ausstellungsort war ab 1929 das Schloss Bellevue. Die Konflikte bestanden weiter. Die eingereichten Werke mussten Ablehnung (durch die Jury), Beschlagnahmung (durch die Polizei) und die nachträgliche Entfernung (durch die Leitung) ertragen. Baluschek gab sich alle Mühe, hielt noch 1932 die Eröffnungsrede – und gab schließlich auf.

 

Der aufkommende Nationalsozialismus spielte dabei weniger eine Rolle. Bereits im September 1929 ließ Baluschek den Maler Otto Nagel wissen, dass er „eine schwere Krankheit mit 5 Wochen Klinik hinter sich hat, aber noch arbeitsunfähig“ ist.

 

 

Hans Baluschek, der mit dem Weltkrieg in eine künstlerische Krise geraten war, hatte mit der Weimarer Republik und über sein soziales Engagement wieder zur Kunst zurückgefunden. Nach 1927 entstanden Jungfernbrücke, Friedrichsgracht, Waisenstraße, Molkenmarkt, topografisch exakte Gemälde, wertvolle Dokumente vom alten Berlin. Nach 1933 wurde er von den Nationalsozialisten nicht mehr gebraucht. Nach dem Tod geriet sein Name in Vergessenheit.

 

Erich Büttner, Hans Baluschek auf dem Totenbett, 1935. Archiv Enkelin Petra Althen.

Zum Tod von Hans Baluschek

 

„Gehört er in die Kunstgeschichte, in die Sozialgeschichte, in die Berliner Lokalgeschichte? Dass diese Frage so gestellt werden kann, mag zeigen, dass das Problem, das an dem Namen dieses Mannes hängt, nicht ganz so einfach ist. Er war Zeichner und Maler, also ‚Künstler‘. Doch scheint mir zweifelhaft, ob der Rang seiner Erscheinung sich geschichtlich nach seinen künstlerischen Qualität und Leistungen ausrichten wird, aber er darf in keiner ernsthaften Betrachtung der Zeit fehlen, um die Jahrhundertwende, da sich ein Geschlecht über seine Gegenwart, des Proletariats, der Mietskaserne, der neuen Technik Rechenschaft abzulegen versuchte.“ (Theodor Heuss, 1935)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hans Baluschek starb am 28. September 1935 an einem Nierenleiden. Auf Bitte von Witwe Irene fertigte der Malerfreund Erich Büttner (1889-1936) die „Zeichnung auf dem Totenbett“. Nicht weit von der Wohnung Bozener Straße befand sich der 1883 angelegte „Begräbnisplatz der Stadtgemeinde Schöneberg“ an der Max-Straße, der 1929 für den Bau des „Schöneberger Südgeländes“ geschlossen werden sollte. 1932 wurde er (aus Mangel an Grabstellen) wieder eröffnet. Da dort bereits eine Einzelgrabstätte „Baluschek“ mit einer Urne existierte, die eine Erdbestattung in einem Sarg zuließ, wurden die sterblichen Überreste von Hans Baluschek dort beerdigt. Wenige Jahre später präsentierte Albert Speer (1905-1981) als Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt die Pläne für die „Welthauptstadt Germania“, für deren Infrastruktur auch der Friedhof an der Max-Straße benötigt wurde. Am 3. April 1939 wurde die Fläche entwidmet, am 17. Juli begannen die Umbettungen – Baluschek kam auf den Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf (Grablage Abteilung L I - S III - 334).

 

In den dürftigen vom Verwaltungsbezirk Schöneberg der Friedhofsverwaltung Stahnsdorf übergebenen Unterlagen ist vermerkt, dass 1939 von der Max-Straße nach Stahnsdorf nicht nur der Sarg von Hans Baluschek, sondern auch die Urne einer Katherina Baluschek (1880-1919) umgebettet wurde, zuletzt wohnhaft bei Witwe Luise Baluschek, Schöneberg, Salzburger Straße Nr. 4. Der Name gibt ein Rätsel auf. Es konnte bisher auch von Hans Baluscheks Enkelin Petra Althen nicht gelöst werden. Da aus der Ehe von Franz Baluschek und seiner Frau Luise geborene Opitz außer Sohn Hans auch drei Töchter stammen, wovon „zwei früh an Tuberkulose starben“, könnte es sich um diese dritte Schwester handeln. Den Nachfahren ist bekannt, dass diese Schwester zeitlebens bei ihren Eltern lebte. Im Grab auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf befinden sich also nicht nur die sterblichen Überreste von Hans Baluschek, sondern auch die Urne von Katherina Baluschek. Der Schliff des Steins und die eingravierte Schrift, auch dies bemerkenswert, können erst nach der erfolgten Umbettung 1939 gefertigt worden sein. Der Grabstein befand sich keinesfalls vorher auf dem Friedhof Max-Straße.

 

Im Berliner Adressbuch der Jahre 1936 und 1937 ist verzeichnet: „Baluschek, Irene, Frau, Schöneberg, Bozener Straße Nr. 13/14.“ Im Jahr 1938 haben die drei Baluschek-Damen Irene, Regine und Renate Berlin verlassen. Mutter Irene zog mit der 22-jährigen Tochter Regine nach Bochum, Tochter Renate wurde Schülerin von Werner Peiner (1897-1984), dem Leiter der „Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei“ in Kronenburg.

 

45 Jahre nach seinem Tod gewährte das Land Berlin am 18. November 1980 dem Maler Hans Baluschek eine Ehrengrabstätte. Sie wurde am 21. August 2001 um weitere 20 Jahre verlängert, so dass das Grab vorerst bis 2021 „gesichert“ ist. In der Semperstraße wurde am Haus Ceciliengärten Nr. 27 am 28. September 1981 eine Gedenktafel angebracht: „Hier lebte, malte, zeichnete und schrieb Hans Baluschek 1929-1933“ – mit einem Motiv aus dem Bild „Oberwasserstraße in Alt Berlin“ von 1934 (Bröhan-Museum). Im Jahr 2020 steht der 150. Geburtstag von Hans Baluschek an.

 

Reichspräsident Friedrich Ebert, Gemälde von Hans Baluschek, 1928. Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Reichspräsident Friedrich Ebert

 

Auf die Idee, seinen sozialdemokratischen Parteifreund Friedrich Ebert zu porträtieren, kam Hans Baluschek nach der Begegnung von 1923 nicht. Das hatten Emil Orlik (1922) und Lovis Corinth (1924) bereits erledigt. Das Gemälde von Orlik befindet sich im Schloss Bellevue, jenes von Corinth im Kunstmuseum Basel, das „1937 mit Beiträgen der Gewerkschaften und des Erziehungsdepartements Basel-Stadt erworben wurde“.

 

Als Friedrich Ebert am 28. Februar 1925 starb, galt Baluscheks Interesse dem alten Berlin. In jenen Jahren entstanden topographisch exakte Ansichten, darunter 1927 die Bilder Jungfernbrücke, Friedrichsgracht und Waisenstraße. Es waren meist Auftragsarbeiten der Stadt Berlin, ihren Gesellschaften und sozialdemokratischen Einrichtungen.

 

Mit dem Porträt des Physikers und Nobelpreisträgers Karl Ferdinand Braun (1850-1918) gab es 1927 eine erste Ausnahme. Das Bild, Öl auf Leinwand, Bildmaß 840 x 1195 mm, entstand neun Jahre nach dem Tod von Braun, gelangte in das „Reichspostmuseum“ und befindet sich heute im Besitz der „Museumsstiftung Post und Telekommunikation“.

 

Dort heißt es: „Vermutlich diente Baluschek eine Fotografie als Vorlage für das postum entstandene Bildnis. Diese zeigt den Dargestellten mit ähnlicher Kopfhaltung und Blickrichtung nach rechts. Der Hintergrund bildet einen wirkungsvollen Kontrast zu der in einen dunklen Anzug gekleideten Gestalt. In Baluscheks Gemälde steht der Wissenschaftler vor einem steingrauen Hintergrund, in den die Inschrift links oben wie eingemeißelt erscheint. Er stützt sich mit der einen Hand auf, mit der anderen weist er nach unten. Sein Blick hinter der Brille geht nach rechts und ist entschlossen in die Ferne gerichtet.

 

 

 

 

 

Das Gemälde entstand wohl 1927 zusammen mit einem Porträt von Adolf Slaby. Die beiden Bilder bilden ein Doppelporträt, wobei Braun rechts und Slaby links gehängt wurden, so dass beide sich anblicken. Beide Bilder wurden auf der Berliner Funkausstellung 1932 gezeigt. Das Porträt von Braun gelangte am 6.9.1933 zunächst als Leihgabe des Künstlers ins Museum. Vermittelt wurde dies durch den Galleristen W. A. Luz. Zuvor, im August 1933, hatte Luz das Gemälde im Auftrag von Baluschek dem Reichspostmuseum zu einem sehr günstigen Preis von 700,- bis 800,- RM zum Kauf angeboten. Obwohl das Reichspostmuseum den Wert später auf 3.000,- RM bezifferte, wollte das Museum das Braun-Porträt zunächst nicht ankaufen. Stattdessen wurde das Bild als Leihgabe ausgestellt. Schließlich erwarb das Reichspostmuseum das Bild und zahlte für das Gemälde 500,- RM an den Künstler direkt. Aus dem Schriftwechsel geht hervor, dass Baluschek unter allen Umständen im Reichspostmuseum vertreten sein wollte.“

 

1928 schuf Hans Baluschek ein zweites Porträt: Reichspräsident Friedrich Ebert. Das Gemälde ist wiederum postum entstanden. Ebert war am 28. Februar 1925 verstorben. Als Vorlage könnte ihm das von Emil Orlik (1870-1932) im Jahr 1922/23 geschaffene Bildnis gedient haben. Das wäre mit Blick auf die beiden Bilder nicht abwegig. Nicht bekannt ist, ob Baluschek dafür einen Auftrag erhalten hatte. Einiges spricht für die SPD. Sie war mit der Wahl zum 4. Deutschen Reichstags am 20. Mai 1928 die Gewinnerin. Damals hatte Baluschek in erheblichem Umfang Aufträge sozialdemokratischer Verlage und Organisationen erhalten. Das Gemälde befindet sich heute im Abgeordnetenhaus von Berlin, genauer im Büro des SPD-Fraktionsvorsitzenden.

 

Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei. Mitte Werner Peiner, rechts Renate Baluschek. Quelle Familie Baluschek & Rheinisches Archiv für Künstlernachlässe

Die Zeit danach

 

Es war wohl weniger Mutter Irene Baluschek, die 1938 den Umzug von Berlin nach Bochum forcierte. Ihre Tochter Regine, 1916 geboren, soll zu einer Gruppe von 80 Tänzern um Mary Wigman gehört haben. Diese Formation zelebrierte für das „Festspiel Olympische Jugend“ die Totenklage zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin. Regine Baluschek wollte aber Schauspielerin werden. Der Künstlername Gina Baluschek stand schon mal fest. Das angesehene Bochumer Theater mit seiner Schauspielschule bot beste Voraussetzungen. Kaum in der Ruhrmetropole angekommen, heiratete die 24-jährige 1940 den Schauspieler Wilhelm-Johann Mayenknecht, wohnhaft Bochum, Luisenstraße Nr. 18. Viel Zeit blieb dem jungen Glück allerdings nicht. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen und der Schauspieler wurde zur Truppenbetreuung an die Ostfront beordert. Damit die Reise bei seinem Heimaturlaub kürzer wird, zog Regine Mayenknecht vorübergehend mit Mutter Irene 1941 nach Berlin-Halensee in die Halberstädter Straße Nr. 6.

 

 

 

 

 

Am 15. Juni 1943 wurde Tochter Petra im Luisenkrankenhaus geboren. Mit dem Vormarsch der Roten Armee war das Kriegsende auch für den truppenbetreuenden Schauspieler in greifbare Nähe gerückt. Auf dem Weg nach Hause wurde der „Fahnenflüchtige“ Wilhelm Johann Mayenknecht am 11. April 1945 von Volkssturmmännern in Bad Frankenhausen (Thüringen) erschossen. Im November 1945 gelang Irene Baluschek, Tochter Regine und Enkelin Petra die Flucht nach Gimborn im Oberbergischen Kreis. Dort tut sich ein Kapitel auf, über das „in der Familie Baluschek (lange) nicht gesprochen wurde. Das lag auch an der Verstrickung von Renate Baluschek während der nationalsozialistischen Zeit“. Licht in die Geschichte brachten die Autoren Dieter und Martin Pesch 2012 mit ihrer Dokumentation „Werner Peiner – Verführer oder Verführter“.

 

Werner Peiner (1897-1984) lehrte ab 1933 an der Düsseldorfer Kunstakademie Monumentalmalerei. Seine Malerei im mittelalterlichen Stil kam zur rechten Zeit. Nach dem Motto „Malen aus der deutschen Seele heraus – stark, stolz und schön“, rief er in Kronenburg eine Malschule für auserwählte Schüler ins Leben. Im preußischen Ministerpräsidenten fand er einen Bewunderer und finanziellen Unterstützer. 1938 wurde das Institut mit dem Namen „Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei“ bedacht. Alles Weitere konnte der 1976 verfassten Autobiographie „Werner Peiner. Ein Künstlerleben in Sturm und Stille“ entnommen werden. Die 20-jährige Renate Baluschek suchte den Kontakt zu Peiner und wurde aufgenommen. Dazu schrieb Peiner 2004: „Unser Hausstand erweiterte sich durch eine Schülerin und Assistentin, die zu uns kam. Renate Baluschek, die Tochter des bekannten Berliner Malers, Professor Hans Baluschek, wollte Malerin werden. Sie entwickelte sich bei gutem Talent ausgezeichnet, nahm an meinen großen Arbeiten als Assistentin teil und blieb zehn Jahre bei uns, in denen viel Heiteres und Ernstes wechselte und den Alltag belebte.“

 

Zu Peiners „Hausstand“ gehörte allerdings nicht nur seine Frau Resy geb. Lauffs, sondern als „inspirierende Freundin“ auch Ellen Kruspig und ebenso die „Affaire Renate Baluschek“. Dieses Beziehungsgeflecht scheint eine ganze Weile funktioniert zu haben. Im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass „der Gegensatz zwischen Ellen und der redefreudigen Renate natürlich nicht immer unsichtbar blieb. Dann war es stets meine Frau, deren Güte und Sanftmut, die den Ausgleich wieder herstellte. Sie war, wie man sagt, der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht“. Das alles scheint auch noch in der Not Bestand gehabt zu haben, als im Sommer 1944 die Alliierten an der belgischen Grenze standen und die Kronenburger Gesellschaft nach dem Fürstenbergschen Schloss Gimborn im Oberbergischen Land verfrachtet wurde. „Wir waren dem Zugriff des Krieges entronnen. So blieben Resy und ich, neben Fräulein Renate, nur noch mit Ellen Kruspig als Wohngemeinschaft auf längere Sicht beisammen. Der Ort, wenn man ihn so nennen kann, mit seinen sieben Häuschen, dem Schloss und der Kirche, lag malerisch in einem kleinen Tal, von Wäldern umgeben. Der Friede wurde lediglich beeinträchtigt durch eine immer größer werdende Abneigung zwischen Ellen und Fräulein Renate. Wer an diesem Zerwürfnis schuld war, ist eine müßige Frage. Der Schuldige war letztlich ich, allein durch meine Existenz. Wer will dem Herzen gebieten, wer will Abneigung in Zuneigung wandeln gegen die Natur!“

 

Nun waren im November 1945 Renates Mutter Irene und ihre Schwester Regine mit deren Töchterchen Petra in Gimborn angelangt. Laut Werner Peiner „wurden sie im Gasthaus Kürten untergebracht, und Fräulein Renate hatte nunmehr mit ihrer Kunst eine Familie zu unterhalten. Sie schied aus unserer Familiengemeinschaft aus und war wenig glücklich darüber“. Nachdem sich die Alliierten darauf geeinigt hatten, alle Gefangenen bis zum 31. Dezember 1948 nach Deutschland zu entlassen, kehrte Tassilo von Fürstenberg, der Bruder von Franz Egon von Fürstenberg und Besitzer von Schloss Gimbron, aus der englischen Kriegsgefangenschaft in Ägypten nach Gimborn zurück. Was sich in den folgenden Monaten zwischen dem 51-jährigen Werner Peiner und der 30-jährigen Renate Baluschek abspielte, machen seine Tagebuchnotizen deutlich:

 

„26.8.1948 Abschied Renate Baluschek, 30.8.1948 Aussprachen Renate, 1.9.1948 Aussprache Renate, 14.9.1948 Endgültiger Bruch mit Renate“ – und schließlich „Renate Baluschek verband sich zu dieser Zeit mit Tassilo von Fürstenberg“. Tassilo von Fürstenberg und Renate Baluschek haben am 22. November 1949 geheiratet. Aus der Ehe stammen die Söhne Alexander und Stephan. Die freundschatliche Verbindung zu Werner Peiner bestand bis zu seinem Tod.

 

Irene Baluschek hat bis zu ihrem Tod am 2. August 1972 bei Tochter Renate von Fürstenberg in Gimborn-Erlinghagen gewohnt. Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem dortigen Friedhof. Ihre Tochter Regine Baluschek verwitwete Mayenknecht starb am 26. März 1994 in Köln. Ihre Tochter Petra Althen geb. Mayenknecht also Baluscheks Enkelin, lebt heute in Lohmar im Rhein-Sieg-Kreis. Renate von Fürstenberg geb. Baluschek starb am 26. Dezember 2009 in München und wurde auf dem Friedhof in Gimborn neben ihrem Ehemann bestattet.

 

Wappen der Familie Baluschek. Archiv Enkelin Petra Althen

Was ist mit Hans Baluschek?

 

Die erschreckendste Antwort hält das „Museum Schöneberg“ bereit. „Der Kunstbesitz wird im Depot verwahrt und ist nicht öffentlich zugänglich.“ Starker Tobak. Wer, wenn nicht Schöneberg, wäre zuallererst verpflichtet, den eigenen Bestand an Werken von Hans Baluschek dauerhaft zu präsentieren?

 

Seine Schöneberger Bilder, nur in diesem Haus zu betrachten, „Albertstraße in Schöneberg“ (1919), „Kameraden“ (1921), „Schwarzes Land“ (1922), werden nicht gezeigt. Dabei ist die Museumsleiterin mit dem Credo angetreten, „Geschichte lokal zu erzählen“. Baluschek hat drei Jahrzehnte in Schöneberg gelebt – und Schöneberg in vielen Ansichten verewigt.

 

Zum Glück bleiben das „Märkische Museum“ (Stiftung Stadtmuseum Berlin) mit seiner umfangreichen Sammlung und das „Museum Bröhan“ mit Werken, die der Kunstsammler Karl. H. Bröhan ab den 1970er Jahren erworben hat. Diese Gemälde und Zeichnungen sind inzwischen sogar über die Digitale Bibliothek online zu betrachten - wovon das „Museum Schöneberg“ noch weit entfernt ist.

 

Der Grundstock für die Sammlung des „Märkischen Museums“ könnte bereits 1938 gelegt worden sein, als Witwe Irene Baluschek vor ihrem Umzug nach Bochum einiges aus dem Nachlass ihres Mannes dem Magistrat von Berlin übergeben hatte. „Das wurde gemacht, um Oma Irene mit einer Art Rente das weitere Leben zu sichern“, so Enkelin Petra Althen. Eine andere Quelle besagt, dass „der Nachlass von Hans Baluschek 1947 vom Magistrat von Groß-Berlin von der Witwe des Künstlers angekauft wurde“. Eine entscheidende Rolle könnte der Malerfreund Otto Nagel (1894-1967) gespielt haben. Er erinnerte sich an den Brief von Hans Baluschek vom 14. September 1929: „Lieber Herr Nagel, wenn Sie meinen, dass ich dem Andenken unseres Freundes Zille und der Wirkung des Films ‚Mutter Krausens Fahrt ins Glück‘ mit der Übernahme des Protektorats nutzen kann, so nehmen Sie mich zur Käthe Kollwitz“.

 

 

 

 

Von März bis April 1948 gab es im Haus Unter den Linden eine „Gedächtnis-Ausstellung Hans Baluschek“. Veranstalter war der Magistrat von Gross-Berlin, Abteilung Volksbildung, Amt Bildende Kunst. Nach 1951 sollen „324 Werke aus Baluscheks Nachlass vom Magistrat an das Märkische Museum und 12 Werke an die Staatlichen Museen Berlin übergeben worden sein“. 95 dieser Arbeiten zeigte die „Deutsche Akademie der Künste“ vom 18. März bis 17. April 1955 im Haus am Robert-Koch-Platz Nr. 7. Mitgeteilt wurde, dass „die meisten und wichtigsten Gemälde, Graphiken und Illustrationen aus dem Besitz des Märkischen Museums stammen, dass für dieses Vorhaben umfangreiche Restaurierungsarbeiten leistete. Gezeigt wurden auch Leihgaben der National-Galerie Berlin, staatlicher Institutionen und privater Leihgeber“.

 

Zum 100jährigen Bestehen des „Märkischen Museums“ präsentierte Kuratorin Rosemarie Widerra 1974 die Sonderausstellung „Hans Baluschek – Leben und Werk“. In der Broschüre wurde mitgeteilt, dass „der Nachlass Hans Baluscheks 1947 vom Magistrat von Groß-Berlin von der Witwe angekauft wurde. In den Jahren 1951 bis 1956 wurden 324 Werke aus Baluscheks Nachlass vom Magistrat an das Märkische Museum und 12 Werke an die Staatlichen Museen Berlin übergeben“. Schlimmer jedoch war der ideologisch geprägte Text: „Bei Baluschek sind Werk und Leben eine Einheit. Er vermochte jedoch nicht die Ausweglosigkeit der Politik der SPD in der Weimarer Republik zu durchschauen. Das faschistische Terrorregime verfemte ihn als ‚marxistischen‘ Künstler.“

 

Auf Anfrage erklärte das „Stadtmuseum Berlin“ am 19. Februar 2018:  „Der von der Stadt Berlin angekaufte Nachlass von Hans Baluschek ist definitiv nicht an das Märkische Museum gelangt. Er könnte im Landesarchiv oder der Berlinischen Galerie sein. Von den in unserer Sammlung vorhandenen 124 Kunstwerken Baluscheks wurden am 20.11.1952 Gemälde ‚aus dem Ermelerhaus übernommen‘ und unter den Nummern I 52/429-445 inventarisiert. Bei zwei Datensätzen aus dem Jahre 1955 G 15/55-19/55 findet sich der Hinweis ‚Ankauf durch Berlin 1947 lt. Meisner‘. Im Inventarbuch von 1947 befinden sich aber keine Einträge zu Baluschek-Kunstwerken, sie sind also offenbar nach dem Erwerb nicht ans Märkische Museum gekommen. Ebenfalls etwas kryptisch ist der Eintrag zu den vier Kunstwerken VII 72/15-18 ‚15.000,- Magistrat von Groß-Berlin 4.1.1971 Möbellager‘“.

 

Zwei Jahre vor dem 150. Geburtstag von Hans Baluschek ist es den konkurrierenden Kunstsammlungen der Hauptstadt noch nicht gelungen, Baluschek  wenigstens im Internet zu versammeln. Seine Werke sind über Berlin verstreut: Berlinische Galerie, Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen, Kunstbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie, Deutsches Historisches Museum, Deutsches Technikmuseum, Axel Springer Verlag sowie Bezirksämter Charlottenburg, Kreuzberg und Schöneberg. Auf der Website www.deutsche-digitale-bibliothek,de ist eine große Anzahl der Originalbriefe von Hans Baluschek an seine erste Ehefrau Charlotte von Pazatka-Lipinski veröffentlicht. Aus urheberrechtlichen Gründen konnten ihre Antwortbriefe bisher nicht veröffentlicht werden, da Charlotte von Pazatka-Lipinski erst 1969 verstarb.

Hans Baluschek

Ausstellungen & Kataloge - Illustrationen & Publikationen

Titelbild der Ausgabe von 1916. Archiv H&S

Peterchens Mondfahrt

Gerdt von Bassewitz & Hans Baluschek

 

„Peterchens Mondfahrt“ ist ein Märchen von Gerdt von Bassewitz (1878-1923). Es handelt von den Abenteuern des Maikäfers Sumsemann, der mit den Kindern Peterchen und Anneliese zum Mond fliegt, um von dort sein verlorengegangenes sechstes Beinchen zu holen. Die Geschichte erschien 1912 im Verlag von „Ernst Rowohlt und Kurt Wolff“.

Nach den Erinnerungen des Autors „folgte um Weihnachten 1912 herum die Uraufführung von ‚Peterchens Mondfahrt‘ im Leipziger Theater. In den folgenden Jahren hat es dann seinen Weg mit immer gleichem Erfolge über eine Reihe deutscher Großstadtbühnen gemacht. Das Stück ist in Berlin im Theater an der Weidendammer Brücke, das damals leer stand und zu diesem Zwecke von Freunden meiner Arbeit gemietet wurde, gegeben worden und zwar unter Beteiligung von Schauspielern aller großen Berliner Bühnen und des Orchesters des kgl. Opernhauses unter Schmalstichs Leitung, der mir eine sehr nette Begleitmusik für die Lieder geschrieben hatte. Das Stück wurde dann vom Künstlertheater (Nürnberger Straße) unter Grunwalds Leitung übernommen und in der Saison 1913/14 am Berliner Theater gegeben.

Der Verlag für Literatur und Kunst (Hermann Klemm) trat damals mit der Bitte an mich heran, doch dies Bühnenwerk auch als Prosabilderbuch für Kinder herauszugeben. Da ich in diesem Falle in dem Prosawerk manches Neue geben konnte, dass das auf der Bühne nicht möglich gewesen wäre, so willigte ich ein und schrieb ein Märchenbuch „Peterchens Mondfahrt“, das sich in seinem Inhalt mit dem Bühnenwerk ergänzt. Die Bilder in diesem Werk sind von Hans Baluschek. – Da der Krieg in die Vorarbeiten zu diesem Bilderbuch sein großes ‚Halt‘ rief, ist es erst zu Weihnacht 1916 des Jahres herausgekommen. Das Buch wird, wie mir der Verleger sagt, sehr viel gekauft.“

 

 

 

Die Geschichte der Sumsemanns

In der Kinderstube

Der Flug nach der Sternenwiese

Die Sternenwiese

Die Schlittenfahrt auf der Milchstraße

Das Schloß der Nachtfee

Die Ankunft der Kinder im Schloß der Nachtfee

Der Ritt auf dem Großen Bären

Die Weihnachtswiese

Das Osternest

Die Mondkanone

Der Kampf mit dem Mondmann

Das Beinchen

Wieder daheim

 

 

Hans Baluschek schuf außer dem Titelblatt 15 farbige Bilder, die noch heute in guter Erinnerung sind – der goldene Komet, der an dem Schlitten der Kinder vorbeizieht, die Weihnachtswiese, das Osternest. Darüber hinaus, und das macht wohl auch die anhaltende Popularität des Buches aus, streute er eine Vielzahl von Strichzeichnungen ein, die von der jungen Leserschaft ausgemalt werden konnten. Das Buch der Verlagsanstalt Hermann Klemm in Berlin-Grunewald wurde zum Klassiker der Kinderliteratur. Gerdt von Bassewitz starb am 6. Februar 1923 in Berlin. Er wurde auf dem Friedhof Nikolassee in Berlin beerdigt. Das Grab wurde 1957 eingeebnet.

 

Hundert Jahre Deutsche Eisenbahnen. Katalog. Archiv H&S

100 Jahre Deutsche Eisenbahnen 1835-1935

 

Zu den ersten „Bahnbildern“ von Hans Baluschek, die in den Publikationen Eingang fanden, gehören jene Arbeiten, die Friedrich Wendel 1924 in der Monographie Hans Baluschek veröffentlichte, darunter das Gemälde „Der Bahnhof“, das sich bereits 1907 im Privatbesitz befand. Es folgten 1909 „Der Maschinenführer“ und „Der Signalmaler“, die vom Verkehrsmuseum Berlin erworben wurden, und 1914 „Züge“ – damals im Besitz der Stadt Charlottenburg.

 

Für die Reichsbahn-Ausstellung „100 Jahre Deutsche Eisenbahnen“ vom Juli bis September 1935 in Nürnberg erhielt Hans Baluschek vom „Reichsbahn-Werbeamt Berlin“ den Auftrag, die 40seitige Broschüre zu illustrieren. Neben dem farbigen Titelbild mit dem Gemälde „Über Dächern“ von 1934 finden sich dort mehr als drei Dutzend Federzeichnungen, die zumindest teilweise speziell für diese Publikation entstanden sind.