Friedenau
Am 7. Juli 2024 sollen auf dem Breslauer Platz 150 Jahre Friedenau gefeiert werden. Ein Jubiläum, bei dem es manchem die Sprache verschlägt, zumal sich mit Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann und Verlegerin Evelyn Weissberg zwei Protagonisten hervortun, deren Gschaftlhuberei Friedenau eher abträglich war. Zum Auftakt wird wieder einmal von der Edition Friedenauer Brücke ein Buch mit Photographien und Ansichtskarten aus der Sammlung von Hermann Ebling präsentiert, die seit 1986 nach dem Motto Design ist Handwerk unter immer anderen Titeln erschienen.
Zum Jubiläum sei daran erinnert, daß es Evelyn Weissberg war, die am 18. Mai 2011 für die Bürgerinitiative Breslauer Platz unter der Mail-Adresse weissberg verkündete: Es ist uns gelungen die amtliche Seite von der Überlegenheit unseres Entwurfs gegenüber dem Fugmann-Entwurf zu überzeugen!!! Der nächste Schritt wird also ohne das Architekturbüro stattfinden. Dafür gibt es heute einen steinernen Aufmarschplatz, bei dem sich das Bezirksamt gegenwärtig bemüht, mit vier neugesetzten Bäumen etwas Grün auf den Platz zu bringen. Es sei obendrein daran erinnert, daß der vom Immobilienhändler zum Bezirksbürgermeister gewandelte Jörn Oltmann sich am 16. September 2016 beim Spatenstich auf der Friedenauer Höhe als eifriger Beförderer dieses Wohn-Ghettos präsentierte. Mit Oltmann und Weissberg ein Jubiläum zu feiern, ist für Alteingesesse und Neuzugezogene zumindest fragwürdig.
Friedenau existierte vom 9. November 1874 bis zum 1. Oktober 1920. In diesen 46 Jahren entstand das, was Friedenau heute noch ausmacht. Mit der Bildung von Groß-Berlin 1920 und dem XI. Verwaltungsbezirk Schöneberg verlor die Gemeinde ihre Selbstständigkeit und damit zu einem guten Teil auch den Geist von Friedenau. Es folgten Jahrzehnte des Stillstands und der Zweite Weltkrieg. Was die Bomben nicht vermochten, versuchten Zeitgeistige mit Entdekorisierung der Wohnhäuser und gewissenlose Politiker aller Couleur mit dem Bau von Bundesallee, Westtangente und Friedenauer Höhe. Die Substanz von Friedenau hält es (noch) aus.
Die Geschichte begann am 21. Mai 1871 mit dem Artikel des Schriftstellers und Spekulanten David Born in der Vossischen Zeitung, wo er Diejenigen ersucht, welche sich bei einer Bau-Gesellschaft beteiligen wollen, um gemeinschaftlich Wohnhäuser und die dazu passenden Gärten vermittelst einer Summe, welche die jetzt zu zahlende jährliche Miete nicht übersteigt, zu erwerben, mir dies recht bald mitzuteilen. Am 9. Juli 1871 gab er die Gründung des Landerwerb- und Bauverein auf Actien bekannt. Mit dem Erlass von Kaiser Wilhelm I. konnte am 9. November 1874 die Landgemeinde unter dem Namen Friedenau offiziell begründet werden. Am 11. Januar 1875 kommt es zur Wahl der Gemeindeverordneten. Der Geheime Rechnungsrat Georg Roenneberg (1834-1895) wurde zum Gemeindevorsteher gewählt, zum Nachfolger 1892 sein Bruder Major a. D. Albert Roenneberg (1842-1906). Dem unaufhaltsamen Aufstieg der Landhauskolonie zum Vorort waren beide nicht gewachsen. 1902 trat der Major zurück. Befürchtet wurde, daß sich wieder viele Militärs um die freie Amtsvorsteherstelle bemühen. Es muss jedoch mehr als zweifelhaft erscheinen, ob ihnen für das in Rede stehende Amt die nötige Befähigung beiwohnt. Gesucht wurde ein Beamter aus der Staats- oder Kommunal-Verwaltung, der seine Sache versteht und mit allen Geschäften genau vertraut ist. Es kommt darauf an, einen Mann zu finden, der sich auch die nötige Autorität sowohl nach unten wie nach oben zu verschaffen versteht und womöglich auch einigen Einfluß bei den maßgeblichen Behörden zu erlangen weiß.
Am 1. April 1903 wurde Bernhard Schnackenburg (1867-1924) zum Bürgermeister gewählt. Der Jurist war zuvor als Stadtrat in Posen (1886) und Halle (1899) tätig. 1906 kam Regierungsbaumeister Hans Altmann (1871-1965) hinzu, der sich seit 1903 als Stadtbauinspektor mit der Rekonstrukton von Elberfeld beschäftigt hatte. In weniger als vier Jahren haben Schnackenburg und Altmann die Grundlagen für die weitere Entwicklung von Friedenau geschaffen. Es entstanden Bebauungspläne für Wagner-Viertel (1908) und Südwestkorso (1909), Gemeindeschule Rheingaustraße (1906), Realgymnasium Schwalbacher Straße (1910), Königin-Luise-Lyzeum Goßlerstraße (1912) und Gemeindeschule Offenbacher Straße (1913). Dazu kamen Elektrizitätswerk Rheingaustraße (1905) und der Friedenauer Waldfriedhof in Güterfelde (1914).
1909 wurde Schnackenburg zum Oberbürgermeister von Altona gewählt. Am 4. Januar 1910 wurde Erich Walger (1867-1945) zum Bürgermeister von Friedenau ernannt. Besser hätte es nicht kommen können. Der Sohn des Bildhauers Heinrich August Walger (1829–1909) hatte in Berlin Rechtswissenschaften studiert. Von 1901 bis 1904 war er als Magistratsassessor in Charlottenburg tätig. Nach seiner Zeit als Stadtrat von Halle gehörte er von 1906 bis 1909 als Stadtrat dem Magistrat von Schöneberg an. Nach langem Hin und Her fiel am 16. November 1911 die Entscheidung: Das Rathaus wird am Marktplatz errichtet. Die Grundsteinlegung erfolgte am 18. Oktober 1913. Neun Monate später begann der Erste Weltkrieg. Walger und Altmann trieben den Bau voran. Im Juli 1915 zog die Feuerwache ein. Im Oktober konnten Büros bezogen werden. Am 16. Dezember fand die erste Gemeindevertretersitzung im neuen Rathaus von Friedenau statt. Für Bürgermeister Erich Walger war der Bau Wahrzeichen eines Gemeindewesens, das sich seiner Kraft und seiner Bedeutung bewusst ist. Mit der Bildung von Groß-Berlin war damit Schluss. Abgesehen von dem nach einem Entwurf von Architekt und Schöneberger Stadtbaurat Heinrich Lassen (1864-1953) entstandenen Wartehallen-Pavillon mit unterirdischer Bedürfnisanstalt (1929) kehrte in Friedenau Stillstand ein.
In den letzten Kriegstagen wurde das Rathaus teilweise zerstört. Die Fotografien von 1947 zeigen, daß die vorhandene Bausubstanz eine teilweise Wiederherstellung gerechtfertigt hätte. Das Hochbauamt Schöneberg aber erklärte, daß der gesamte Gebäudeteil am Lauterplatz ausgebrannt ist Das Eisenbinderdach ist eingestürzt. Die Decken sind zerstört oder stark beschädigt. Geblieben sind die Außenwände, ein Teil der inneren Eisenfachwerkkonstruktionen und die Treppenanlage am Hofvorbau. 1952 begannen die Bauarbeiten. Hans Altmann, der den Wiederaufbau begleiten sollte, war mit Vereinfachung und Verfälschung seines Werkes nicht einverstanden. Da es in Schöneberg an Verständnis für diese Architektur fehlte, kam eine weitere Beauftragung an Altmann nicht in Frage. Infolgedessen ist Herr Altmann auch nicht berechtigt, diesbezügliche Verhandlungen mit der Baupolizei zu pflegen. Für alle Angelegenheiten ist nur das Hochbauamt Schöneberg zuständig.
2008 sollten Leitlinien zum Umgang mit der historischen Substanz und ihren Veränderungen erarbeitet werden. In einem ersten Bauabschnitt ist die Sanierung der Außenhülle vorgesehen. Als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung entschied das Bezirksamt 2011, das Objekt Rathaus Friedenau aufzugeben, weil der Investitionsbedarf für die Sanierung sehr hoch ist und die laufenden Kosten explodieren. Außerdem ist auf Grund des Personalabbaus der Raumbedarf jetzt insgesamt niedriger. 2013 sind Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) und Bezirksamt übereingekommen, im Rathaus das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen unterzubringen. Dazu kam es nicht, da seit Dezember 2015 Flüchtlinge untergebracht werden.