Stadtplaner Reinhard Baumeister (1833-1917)

Reinhard Baumeister (1833-1917)

 

Noch bevor der genehmigte Bebauungsplan für das frühere Willmannsche von der Rubens-, Haupt- und Sponholzstraße und dem Gelände der Wannseebahn begrenzte Terrain in Angriff genommen wurde, einigte sich die Schöneberger Bezirksverordnetenversammlung darauf, dass die Straßen nach bekannten Architekten und Städtebauern benannt werden sollten. Genannt wurden Schwechten, Jaffé, Gerlach, Kyllmann, Ihle und Otzen. Schließlich wurde aus der Straße 43 die Baumeisterstraße, benannt nach dem Stadtplaner Reinhard Baumeister (1833-1917), dem Altmeister des Städtebaus in Deutschland.

 

Wohl nicht umsonst verleiht die Fakultät für Architektur der TU München den Reinhard-Baumeister-Preis, wohl nicht umsonst stellen Technische Universitäten den kompletten Text von Baumeisters Standardwerk Stadterweiterungen auf ihre Webseiten. Reinhard Baumeister war es, der 1876 als einer der ersten die Trennung von City, Wohn- und Industriegebieten, die Gestaltung von städtischen Grünflächen, Plätzen und Alleen und die Beachtung lokaler Besonderheiten bei der Stadtplanung forderte. Beispielhaft erarbeitete er für Orte Bebauungspläne, die sich den Gegebenheiten anpassten und zugleich großzügige, durchgrünte Stadträume erzeugten – mit der Symmetrie gewisser Häusergruppen, malerischen Perspektiven von Straßen und Plätzen, gut gewählten Aussichtspunkten sowie einer anziehende Reihung von Baumassen.

 

 

Übersichtsplan Stadt Schöneberg, 1909. Quelle BA Schöneberg

Unter der Leitung des Schöneberger Stadtbaurats Friedrich Gerlach (1856-1938) entstanden in seiner zwölfjährigen Amtszeit ab 1899 das Bayerische Viertel, der Stadtpark, die kommunale U-Bahn vom Nollendorfplatz zum Innsbrucker Platz sowie 1909 der Übersichtsplan der Stadt Schöneberg, dessen 1891 festgestellter Bebauungsplan für das Südgelände einer durchgreifenden Neubearbeitung unterzogen wird.

 

Eingetragen sind die Zufahrt zum Betriebsbahnhof der U-Bahn, die Umformerstation, die geplante U-Bahn-Linie ins Südgelände sowie Straße 39 (Ceciliengärten), Straße 40 (Semperstraße) und Straße 43 (Baumeisterstraße), benannt nach dem Altmeister des Städtebaus Reinhard Baumeister (1833-1917). Die Straße verlief einst vom Wannseebahnhof Friedenau an der Ecke Sponholz- und Bahnhofstraße entlang der Stammbahntrasse bis zum Begräbnisplatz der Stadtgemeinde Schöneberg an der Maxstraße.

 

Im Friedenauer Lokal-Anzeiger deutete sich im August 1913 die Zukunft an. Es gab noch mehrere hübsche Gartenlokale mit einem schönen Naturgarten, in dem prächtige Bäume ihre Gipfel zum Himmel reckten. Da ließ hier noch in lauer Sommernacht die Nachtigall ihr Liebeslied erklingen. Da kamen die Familien, die älteren und die jungen Leute in die Lokale, um hier im Schatten der Bäume ihr Abendbrot zu verzehren, und die tanzfrohe Jugend vergnügte sich drinnen im Saal. Doch die Grundstücke wurden seltener und teurer. Die Bautätigkeit sog alles freie Land auf. So verschwand ein Gartenlokal nach dem andern. Auch am Wannseebahnhof Friedenau bestanden zwei schöne gern besuchte Gartenlokale. Möhring und Panzer, später Reimann, dann Müller. Der Möhring'sche Garten machte bald einem Hochbau Platz. Der gegenüberliegende Garten hielt sich, weil z. T. bahnamtliches Gelände. Dann kam die Anlage neuer Straßen und hiermit schlug auch dem großen Naturgarten des „Bahnschlößchens", die letzte Stunde. Die im Bogen von der Sponholzstraße zum Bahndamm führende Baumeisterstraße nahm ihm ein gut Teil fort.

 

Baumeisterstraße 1, nach 1955. Archiv Hahn & Stich

Baumeisterstraße Nr. 1 & 1A & 2 & 2A

 

Einen ausführlichen Beitrag zur Baumeisterstraße hatten wir bislang gescheut. Nach den Berichten im Friedenauer Lokal-Anzeiger von 1912 und 1913 sahen wir uns zeitlich nicht in der Lage, eigene Recherchen anzustellen. Zu lesen war von der ungünstigen Lage und dem geltenden Bauplan, der Hausbesitzern so große Lasten auferlegt, dass namhafte Architekten die Bebauung des Geländes für fast unmöglich halten. Und schließlich gab es noch die Grundstücksstreitigkeiten zwischen der Stadt Schöneberg und den Willmannschen Erben. Das war uns zu kompliziert.

 

Erfreut waren wir daher, als uns im Juni 2022 Herr Ferdi Vogel über seine Recherchen zur Baumeisterstraße Nr. 1-3 im Bauarchiv Schöneberg informierte, und seine Fundstücke für die Webseite zur Verfügung stellte.

 

Erstmals beplant wurde das Grundstück am oberen Ende der Sponholzstraße am 29. Juli 1885. Als Architekten treten der Bauunternehmer und Immobilienentwickler Gustav Erdmann gemeinsam mit Ernst Spindler auf. Die Planzeichnungen der für Frau Rentiere Sofie Erdmann zu erbauenden Villa sehen eine symmetrische Doppelhausanlage vor. Über der unterkellerten, zweigeschossigen Villa mit zwei vorspringenden Erkern erhebt sich eine doppelte Kreuzdachvierung.

 

Das von der Villa Sponholzstraße 28-29 zur Straße 43 (ab 1912 Baumeisterstraße) hin abfallende Gelände erschließt Erdmann über zwei Treppen, die zwei Altane zum Garten hin öffnen. Den Altanen sind wiederum Salonräume vorgelagert. Nachbarn sind laut abgebildeter Planzeichnung Frau Prediger Karstädt (Sponholzstr. 30) und rückseitig (Straße 43) Nachbar Gorpe.

 

Antrag der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord, 1915. Bauarchiv Schöneberg

1912 erwirbt die Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord das Anwesen Sponholzstraße Nr. 28-29 von den Erdmann’schen Erben. Da die Doppelhausanlage von 1885 offensichtlich in die Jahre gekommen war, fordert die Straßenbau-Polizeiverwaltung Schöneberg mit Schreiben vom 6. Mai 1915 Umänderungen an den Badewannen und Klosettanlagen in den einzelnen Wohnungen. Am 12. Mai 1915 bittet der neue Eigentümer um Gewährung einer weiteren Frist zur Vornahme der erforderlichen Umänderungen bis zum 31. März 1916.

 

Das Grundstück liegt auf dem früher Willmann’schen Gelände und ist von uns s. Zt. lediglich zur Abrundung des Besitzes gekauft worden; es ist unser lebhaftes Bestreben, das Grundstück sobald als möglich zum Abriss und zur Wiederbebauung zu verkaufen, da dasselbe im jetzigen Zustand fortgesetzt Zuschüsse erfordert. Durch den Kriegsausbruch sind natürlich die weiteren Verkaufsmöglichkeiten einstweilen hinausgeschoben, sodass wir das Grundstück noch bis auf Weiteres im Besitz behalten müssen. Wir hoffen aber, sofort nach Beendigung des Krieges gerade den am Wannseebahnhof Friedenau gelegenen Teil unseres Geländes verkaufen zu können.

 

Antrag auf Genehmigung des Abrisses der Villa, 1928. Bauarchiv Schöneberg

1928 übernimmt die Schöneberger Aktiengesellschaft das Anwesen Sponholzstraße Nr. 28-29 von der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord. Daraus wird später die Schöneberger AG für Grundstücks-Verwaltung und Verwertung mit Sitz in der Innsbrucker Straße Nr. 56.

 

Als Bevollmächtigter der Schöneberger AG für Grundstücks-Verwaltung und Verwertung stellt der Architekt Johannes Scharf, Berlin-Halensee, Joachim-Friedrich-Straße Nr. 48, am 17. September 1928 den Antrag auf Genehmigung des Abrisses dieser Villa. Es ist Ihnen bekannt, dass ich auf diesem Grundstück einen Bau von ca. 44 Wohnungen und mit Läden erstelle. Die Projekte liegen bei Ihnen. Die grundsätzliche Genehmigung haben Sie mir seinerzeit erteilt. Nun soll der Bau nach meinem neuesten Projekt, welches ich Ihnen in den nächsten Tagen einreichen werde, so durchgeführt werden, dass das ganze Grundstück bebaut werden soll. Zu diesem Zwecke müssen wir die alte Villa abreißen. Mit dem Wohnungsamt haben wir uns bereits hierüber geeinigt. Eine Rückfrage beim Wohnungsamt würde Ihnen Klarheit darüber verschaffen. Ich bitte Sie um Ihre umgehende grundsätzliche Genehmigung des Abbruchs evtl. unter der Bedingung der endgültigen Genehmigung durch das Wohnungsamt. Ich lege Ihnen Freikuvert (Rohrpost) bei und bitte Sie, mir diesen grundsätzlichen Bescheid evtl. heute noch erteilen zu wollen. Zu diesem Zweck lege ich Ihnen noch 1 Lageplan und ein Grundriss bei, woraus Sie ersehen können, um welche Villa es sich handelt.

 

Am 8. Juli 1929 erfolgt die Baugenehmigung. Ausgeführt wird der Bau durch die Carl Tuchscherer Bauunternehmung GmbH. Auf der Zeichnung des Bezirksamts Schöneberg vom 30. Juli 1929 sind sieben Häuser durchnummeriert, beginnend in der Semperstraße mit Haus 1. Haus 6 ist die Baumeisterstr. 1, Haus 7 die Sponholzstr. 28-29. Für das zwischen Sponholz- und Baumeisterstraße abfallende Gelände hat der Architekt die Lösung gefunden: Er wechselt zwischen Baumeisterstraße 1 und Baumeisterstraße 1A von vier Vollgeschossen auf fünf Vollgeschosse. Daher erreicht der Laden in der Baumeisterstraße 1 eine Deckenhöhe von 5,50 Meter während die benachbarte Erdgeschosswohnung im Tiefparterre liegt. Sechs Meter oberhalb des Dielenbodens der Tiefparterrewohnung trifft das dritte Obergeschoss der Baumeisterstraße 1A auf das zweite OG der Baumeisterstraße 1. Die Bauarbeiten sind in der ersten Jahreshälfte 1930 abgeschlossen.

 

Im Einklang mit den Vorstellungen des Neuen Bauens überbaut Architekt Johannes Scharf von 1928 bis 1930 das arrondierte Gelände zwischen Sponholzstraße, Baumeisterstraße und Semperstraße mit kostensparenden Kleinraumwohnungen in Blockrandbauweise. Zwischen dem Straßenbereich und den beiden umbauten Innenhöfen bleibt viel Raum für „Licht, Luft und Sonne“ – das Bekenntnis, welches das Neue Bauen durch die Weimarer Republik hindurch begleitet hat. Die Räume werden über Fenster mit einer Regelbreite von 190 cm und einer Höhe von 160 cm beleuchtet und belüftet. Die Treppenhauseingänge mit ihren gerundeten Ecken machen gemeinsam mit dem im Umlauf sichtbaren Klinkersockel das gewählte und weitflächig unter Putz liegende Baumaterial sichtbar. Die Treppenhäuser sind als Funktionsbereiche an der Außenfassade durch vertikale Fensterreihen erkennbar gemacht. Runde Erker und Balkone rhythmisieren umbrechende Baulinien. Zwei Toreinfahrten erschließen eine Tiefgarage mit 35 Garagen für die Automobile der mehr als hundert Mietparteien. Alle Wohnungen verfügen über Innen-WCs und Küchen. Die Waschküchen befinden sich auf dem Dachboden. Laut Adressbuch befand sich 1931/32 im Erdgeschoss von Baumeisterstraße Nr. 1 die Eiskonditorei Ricci mit einer Freiterrasse auf der Südseite.

 

Während S-Café und Ristorante Blumenladen am Wannseebahnhof Friedenau ab den 1970er Jahren florierten, wollte es mit dem Ladenlokal Baumeisterstraße Nr. 1 nicht so richtig funktionieren. Häufige Pächterwechsel sind bekannt, Biergarten Mazi, Café und Restaurant Friedenau, Bohles Restaurant, Smilla, Anant und aktuell das indische Restaurant Dalchini.

 

Am 25. Juli 1975 erteilt die Untere Denkmalschutzbehörde von Schöneberg die Genehmigung, die den Bau so sehr prägenden umlaufenden Balkone zu verkürzen. Am 11. November 1979 erhält die Wohnanlage einen neuen Anstrich: Ockerton für die Fassade, Fensterfaschen und Türen hellbeige. Der Klinkersockel wird in der gesamten Länge abgesäuert und farblos beschichtet. Am 27. November 1979 beantragt die Reon Liegenschaften GmbH Abgeschlossenheitsbescheinigungen für die in ihrem Besitz befindlichen Häuser. Es folgen die Teilungserklärung und der Verkauf der einzelnen Wohneinheiten in den 1980er Jahren.

 

Hans Fallada, Geschichten aus der Murkelei, 1939

Baumeisterstraße Nr. 1A

Melitta Patz (1910-1983)

 

Bekannt war, dass die Geschichten aus der Murkelei von Hans Fallada 1947 mit Illustrationen von Conrad Neubauer (Conny) im Aufbau Verlag Berlin erschienen sind. Verdrängt und vergessen wurde darüber, dass die Geschichten aus der Murkelei bereits 1938 vom Ernst Rowohlt Verlag Berlin veröffentlicht wurden – illustriert von Melitta Patz.

 

Den Hintergrund hat Wolfgang Behr für die Hans-Fallada-Gesellschaft beleuchtet. Seine Recherchen führen zur Illustratorin Melitta Patz, die 1939 in die Baumeisterstraße Nr. 1A gezogen war und dort bis zu ihrem Tod 1983 wohnte. Mit Erlaubnis des Autors nutzen wir seine Recherchen und das von ihm zur Verfügung gestellte Bildmaterial. Mit Genehmigung von Wolfgang Behr präsentieren wir seine erstmals im Salatgarten 2019/2020 publizierten Beiträge zu Melitta Patz und Conrad Neubauer.

 

Im Januar 1938 hatte Hans Fallada ein Manuskript seiner Geschichten aus der Murkelei an den Verleger Ernst Rowohlt geschickt: Das Wichtigste ist der Illustrator. Da müssen Sie lange und scharf nachdenken. Nachdem er vom Verlag die ersten vier Zeichnungen erhalten hatte, schrieb Fallada am 22. Mai 1938 zurück: Über die 4 Bilder von Melitta Patz haben wir uns sehr gefreut. Meiner persönlichen Ansicht nach ist das Bild zum Unglückshuhn das schwächste, das zum verkehrten Tag das Netteste, auch farblich. Aber auch das zum getreuen Igel ist entzückend. Natürlich bin ich genau so unsicher wie Sie, wie das auf Kinder wirken mag, aber im Ganzen bin ich doch ganz dafür, den Gesamtauftrag an Melitta Patz zu erteilen – und schrieb ein Vorwort:

 

Lieber Uli und liebe kleine Mücke, zuerst habe ich euch diese Geschichten mündlich erzählt, damit das Essen besser rutschte und nicht so langweilig war. Aber die Geschichten wurden bei jedem Erzählen anders, und das gefiel euch nicht – da mußte ich sie aufschreiben. Die aufgeschriebenen Geschichten konnte euch nur einer vorlesen, nämlich ich, weil kein sonst die Schrift lesen konnte. Da mußte ich euch die Geschichten auf der Maschine tippen. Das Getippte konntest du, großer Uli, nun schon allein lesen, aber da ging die kleine Mücke leer aus. Und Getipptes in einem Schnellhefter liest sich auch nicht so gut wie ein richtiges Buch. Da sagtest du, Uli: „Der Onkel Rowohlt druckt ja so viele Bücher von dir, Papa, da kann er uns doch auch die Geschichten drucken!“ So reisten die Geschichten zum Onkel Rowohlt. Der gab sie erst seinen Kindern zum Lesen und auch großen Leuten, damit er bestimmt wußte, es waren nette Geschichten. Dann sagte er: „Ja, ich will sue drucken!“ Da sagtet ihr Kinder:Aber es müssen auch Bilder dabei sein, große, bunte Bilder, zu jeder Geschichte eines. Sonst ist es kein richtiges Kinderbuch!“ Nun ging Onkel Rowohlt suchen, und schließlich fand er die Meliita Patz. Die malte die Bilder, genau, wie ihr sie euch dachtet: groß, bunt, zu jeder Geschichte eines. Da war alles beisammen, und das Buch wurde gemacht! Und wenn ihr jetzt nicht eßt wie der dicke Onkel Willi, dann kommt gleich Onkel Rowohlt aus Berlin und holt sich sein Buch wieder! Da habt ihr’s -!

 

Im November 1938 kamen die ersten Exemplare in den Buchhandel. Im Berliner Tageblatt erschien eine Rezension: Die große deutliche Schrift, die munteren Bilder werden auch diesem Buch Erfolg schaffen. Die Hoffnung auf einen guten Absatz in der Weihnachtszeit erfüllte sich nicht. Fallada räumte ein, dass die Meinungen über die Bilder wirklich teils teils sind, von zwei Seiten werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Melitta Patz von Männern nichts versteht. Und die guten Kinder haben recht, sehen Sie sich z. B. mal den Mann beim Igel an, das ist erstens kein Mann und zweitens hat er typische Frauenhände. So was merken die jungen Mädchen gleich. Mit der Murkelei ist es sicher schwierig, liege es nun an den Bildern, liege es einfach daran, dass das Publikum in der Bäckerei immer nur Brot haben will und den Kuchen nur beim Konditor. Vielleicht kriegen wir die Auflage doch allmählich noch fort.

 

Für Heinrich Maria Ledig-Rowohlt war das Buch im November 1939 für ein Kinderbuch doch eben etwas teuer ist und wenn ich ganz ehrlich sein soll, so war damals Ernst Rowohlt‘s Gedanke, Melitta Patz die Murkelei illustrieren zu lassen, doch nicht ganz glücklich. Ich selbst habe ihm damals auch gesagt, dass mir die Bilder nicht so recht gefallen. Sie sind doch wirklich wenig kindlich und man hätte das sicher sehr viel hübscher machen können. Bis zum 31. Dezember 1940 waren nur 2.402 Exemplare verkauft worden. Das Buch war ein Flop. 1941 scheiterten die Verhandlungen mit dem Rudolf Schneider Verlag zur Übernahme der Rechte und Bestände. Falladas Enttäuschung war groß: Eines für mein Gefühl meiner besten Bücher sind nie gelesen, sondern jetzt sogar eingestampft worden – damit auch die Illustrationen von Melitta Patz.

 

Melitta Patz. Arciiv Wolfggang Behr

Melitta Patz kam am 27. Juli 1910 in Berlin-Schlachtensee als jüngstes von drei Kindern von Ulrich Patz (1871-1940) und seiner Ehefrau Angela geborene Patermann (1878-1953) zur Welt. Bekannt ist aus dem Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, dass ihm am 19. Mai 1896 von W. Schulze, Buchdruckerei und Verlagsgeschäft zu Bad Harzburg, Prokura erteilt ward. Vier Jahre später taucht Patz in Friedenau unter der Adresse Kaiserallee Nr. 96 mit einem Bureau für geschäftliche Propaganda auf. Als Generalvertreter der Jugend, der Münchner Wochenschrift für Kunst und Leben, platzierte er in dem Blatt diverse Annoncen: Originelle Entwürfe zur Verwendung für Anzeigen passend, kauft jederzeit und erbittet zur Ansicht. Ulrich Patz. Laut Standesamt Friedenau wird dem Ehepaar in der Woche  vom 28.4. bis 4.10.1901 als erstes Kind Tochter (Angela) geboren. Am 19. Juli 1902 sucht er im Friedenauer Lokal-Anzeiger per 1. Oktober Rheinstraße Friedenau zu Comptoire-Zwecken 2 Zimmer Parterre oder 1. Etage Vorder- oder auch Gartenhaus. 1903 eröffnete Ulrich Patz in der Rheinstraße Nr. 52 ein Reclame-Bureau und erwarb von Ingenieur Fritz Dürr (Dürr-Motoren-GmbH Berlin)  dessen Villa in Schlachtensee, Viktoriastraße Nr. 43.

 

Am 1. April 1907 gründeten die Brüder Myro und Georg Patermann, die beiden Schwager von Ulrich Patz, in Friedenau die offene Handelsgesellschaft Chemische Fabrik Gebr. Patermann, in die 1910 laut Handelsregister Nr. 30537 der Schriftsteller Ulrich Patz aus Schlachtensee als persönlich haftender Gesellschafter eingetreten ist. Vorausgegangen war, dass Ulrich Patz, Myro Patermann und Georg Patermann in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. Peter Bergell ein Malzextrakt entwickelt hatten, das 1907 beim Kaiserlichen Patentamt angemeldet und im April 1907 unter der Schutzmarke Biomalz für die Chem. Fabrik Gebr. Patermann Berlin-Friedenau eingetragen wurde.

 

 

Mit dem Eintritt von Schwager Ulrich Patz, seinen flotten Texten, Ich rate Dir gut, nimm BIO-Malz, Wer seine Kinder lieb hat, gebe ihnen Bio-Malz, Mein täglich Brot und Salz – Bio-Malz, verbunden mit farbigen Illustrationen, war Bio-Malz alsbald in aller Munde. Ab 1911 waren Ulrich Patz und die Gebr. Patermann mit dem Bau der Fabrikationsanlage von Biomalz in Teltow beschäftigt. Dazu kam der Bau der Patz’schen Villa in der Zehlendorfer Albrechtstraße Nr. 19-25, in die die Familie 1914 einzog – mit dem Schriftsetzer G. Rehkatsch als Untermieter und Angestellter. Mutter Angela versuchte sich als Künstlerin in Zeichnungen und Skizzen. Vor diesem Hintergrund kommt Fallada-Forscher Wolfgang Behr zu dem Schluß: Über die Schulbildung Melittas ist nichts bekannt. So wurde Melitta Patz 25. Einen ersten Hinweis auf eine künstlerische Ausbildung liefert ein Zeugnis der Ufa vom 2. Januar 1936, in dem es heißt: Fräulein Melitta Patz war vom 1. August 1935 bis zum 31. Dezember 1935 im Trickatelier unserer Werbefilm-Abteilung als Phasenzeichnerin beschäftigt. Sie habe nach kurzer Einarbeitungszeit selbständig Bewegungsvorgänge ausgearbeitet, bei deren Ausführung sie großen Fleiß und gute künstlerische Fähigkeiten zeigte. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass ihre Entlassung mangels weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten erfolgte.

 

Es könnte davon ausgegangen werden, dass der Vater für die Beschäftigung bei der UFA sorgte, vermutlich auch beim Rowohlt Verlag, der Ernst Rowohlt dazu brachte, der Patz den Gesamtauftrag für die Illustrationen zu erteilen. 1939 zieht die Illustratorin M. Patz von der elterlichen Villa in Zehlendorf in die eigene Wohnung Baumeisterstraße Nr. 1A in Schöneberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg sicherte sich der Aufbau Verlag Berlin die Rechte an Falladas Geschichten aus der Murkelei und beauftragte im Sommer 1946 den Graphiker Conrad Neubauer (1896-1977) mit den Illustrationen – wiederum begleitet von Falladas Bedenken: Ich muss Ihnen gestehen, dass die Zeichnungen von Conrad Neubauer (Conny) mich tief enttäuscht haben – nach dem Umschlag habe ich mir Besseres von diesem Mann erwartet! Und nicht nur ich bin enttäuscht, auch meine Frau, die Kinder, jeder der sie sah. Das sind keine Buchillustrationen, das sind Witzzeichnungen und flüchtig und ganz lieblos hingeworfene dazu. Nein das gefällt mir gar nicht, und wenn noch Zeit wäre, würde ich auf einer Änderung bestehen. So muss ich mich wohl meinem Schicksal ergeben, dass die wirklich hübschen Geschichten keinen netten Illustrator finden sollen! Ist traurig aber wahr!

 

Anfang 1947 kommen die Geschichten aus der Murkelei von Hans Fallada mit Typographie und Zeichnungen von Conrad Neubauer (Conny) in die Buchläden – wiederum mit einem Vorwort:

 

Lieber Uli, liebe Mücke und lieber kleiner Achim!

Zuerst habe ich euch diese Geschichten mündlich erzählt, damit das Essen besser rutschte und nicht so langweilig war. Aber die Geschichten wurden bei jedem Erzählen anders, und das gefiel euch nicht, da mußte ich sie aufschreiben. Die aufgeschriebenen Geschichten konnte euch nur einer vorlesen, nämlich ich, weit kein anderer mit meiner Schrift zurecht kam. Da mußte ich euch die Geschichten auf der Maschine tippen. Das Getippte konntet ihr, Uli und Mücke, nun schon allein lesen, aber da ging der kleine Achim leer aus. Und Getipptes in einem Schnellhefter liest sich auch nicht so gut wie ein gedrucktes Buch. Da sagtest du, Uli: „Du läßt ja so viele Bücher von dir drucken, Papa, da kannst du auch diese Geschichten drucken lassen!" So reisten die Geschichten nach Berlin. Dort wurden sie erst andern Kindern zum Lesen gegeben und auch großen Leuten, damit wir bestimmt wußten, es waren richtige Kindergeschichfen. Dann, als alle Ja gesagt hatten, wurden sie gedruckt. Da sagtet ihr Kinder: „Aber es müssen auch Bilder dabei sein, sonst ist es kein richtiges Kinderbuch!" Nun gingen wir suchen, und schließlich fanden wir den Conny. Der machte die Bilder, genau wie ihr sie euch dachtet. So war alles beisammen, und das Buch wurde fertig! Und wenn ihr jetzt nicht eßt wie der dicke Onkel Willi, dann nehme ich euch auf der Stelle das Buch wieder weg! Da habt ihr’s  —!

 

Nach den massiven Einwänden des Autors gegen die Illustrationen von Conrad Neubauer (Conny) vom 27. November 1946 ist es kaum vorstellbar, dass dieses Vorwort von Hans Fallada geschrieben oder gar autorisiert wurde. Im Dezember 1946 wurde Fallada in die Nervenklinik der Berliner Charité eingewiesen. Am 10. Januar 1947 erfolgte erneut die Einweisung ins Hilfskrankenhaus Niederschönhausen. Dort starb er am 5. Februar 1947 im Alter von 53 Jahren an den Folgen seines Morphinkonsums. Auf seinem Todesschein wurde „Tod durch Herzversagen“ vermerkt. Fallada selbst konnte sich weder zum Buch noch zur Person von Conrad Neubauer einen eigenen Eindruck verschaffen. Wer hatte das neue Vorwort veranlasst? Seine Ehefrau? Der Aufbau Verlag oder gar Freund Johannes R. Becher? Eine Erklärung fehlt. Wolfgang Behr hatte allerdings nach Einsicht in die der Staatsbibliothek vorliegenden Archivalien des Aufbauverlages daran keinen Zweifel. Er hat oft die Illustratoren kritisch gesehen und dann deren Schaffen doch letztlich akzeptiert.

 

Melitta Patz versuchte nach dem Flop der Geschichten aus der Murkelei einen Neuanfang. 1944 erschien im Alfred Metzner Verlag Jörn und Jens im Märchenteich unter ihrem Künstlernamen Trajun. 1947  Bazillenmühle und Krankheitshexe. Was ein Kind lassen soll, wenn es nicht krank werden will im Erich Schmidt Verlag. 1948/49 wird sie als Illustratorin der Frauenzeitschrift Mosaik genannt. Sie starb am 21. Dezember 1983 und wurde in einem anonymen Grabfeld auf dem Wilmersdorfer Friedhof beigesetzt.

 

Wolfgang Behr hat für diesen Beitrag die Illustrationen von Melitta Patz der Erstausgabe von 1938 und die der Neuausgabe von Conrad Neubauer (Conny) von 1947 gegenübergestellt. Dafür bedanken wir uns. Das Urteil bleibt dem Leser überlassen.

 

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Dreimal auf der Suche nach Melitta Patz. Von Wolfgang Behr. Salatgarten 01-2019

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Conrad Neubauer (Conny) und die Murkelei. Von Wolfgang Behr. Salatgarten 01-2020

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Baumeisterstraße 3, 1955. Sammlung Staudt. Museum Schöneberg

Baumeisterstraße Nr. 3

 

Laut Berliner Adressbuch von 1943 war die Baumeisterstraße von Nr. 1 bis Nr. 19 bebaut. Eigentümer von Nr. 1-3 war die Landgräfliche Hessische Hauptverwaltung (Schloss Phillippsruhe bei Hanau a- M.). Nr. 4-8 war im Besitz der Wohnstätten Gesellschaft (W 15, Kurfürstendamm 192-194). Nr. 9-16 gehörte zur Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin mbH (Wilmersdorf, Landhausstraße 7). Nr. 17 war im Eigentum der Berliner Kraft- und Licht AG (Bewag), Nr. 18 hatten die Berliner Verkehrsbetriebe übernommen und für Nr. 19 war als Eigentümer die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH (W 62, Kalckreuthstraße 4-5) eingetragen.

 

Nach einem Bombentreffer war Nr. 3 nur noch eine Ruine. Der Fotograf Herwarth Staudt hat am 1. März 1955 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg die Situation dokumentiert.

 

Die BP Benzin- und Petroleumgesellschaft Berlin stellt 1952 beim Bezirksamt Schöneberg den Antrag für die Einrichtung der BP-Tankstelle Elias an der Baumeister- Ecke Semperstraße auf der freien Fläche vor der Ruine. Die Baupolizei Schöneberg bestätigt am 17. Dezember 1953 den vorgelegten Lageplan. Aus den Branchenbüchern der folgenden Jahre wird nicht ersichtlich, ob diese Tankstelle jemals in Betrieb ging.

 

 

 

Am 22. Februar 1957 nimmt Architekt Helmut Krüger aus Charlottenburg den Wiederaufbau der zerstörten Wohneinheit in Angriff. Die Bauarbeiten beginnen am 6. April 1957. Die für die Tankstelle vorgesehene Fläche an der Baumeister- Ecke Semperstraße wird zum Vorgarten. Die Dachgeschosse werden nach dem Verkauf der Wohneinheiten und Dachrohlinge in den 1980er Jahren ausgebaut.

 

 

Baumeisterstraße 8. Foto Hahn & Stich, 2020

Baumeisterstraße Nr. 8

Alfred Bürkner (1905-1981)

 

In diesem Hause lebte von 1946 bis zu seinem Tode der Klarinettist und Berliner Kammervirtuose Alfred Bürkner (1905-1981). Von 1921 bis 1925 studierte er Klarinette bei Oskar Schubert, bereits von 1922 bis 1924 war er Klarinettist an der Großen Volksoper Berlin. Von 1925 bis 1973 gehörte er dem Berliner Philharmonischen Orchester an. Im Jahr 1930 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Kammermusikvereinigung der Berliner Philharmoniker, der ältesten Kammermusikvereinigung dieses Orchesters, die unter anderem Namen noch heute besteht. Er ist beigesetzt auf dem Friedhof Schöneberg I, Eisackstraße, Abt. 11-2-295.

 

Eine Notiz von vielen aus Friedenau. Straßen, Häuser, Menschen, aufgeschrieben von Alfred Bürkner Junior, dem Sohn, erschienen 1996 im Stapp Verlag Berlin. Seit über zwei Jahrzehnten ist keine Publikation über Friedenau erschienen, die ohne Bürkner ausgekommen ist. Wir nehmen uns da nicht aus. Bürkners Buch ist ein Nachschlagewerk. Es informiert kurz, bündig und effektiv, eine Pionierarbeit.

 

 

 

Über seinen Vater, den Klarinettisten Alfred Bürkner, hält er sich zurück, verschweigt die Musiker von Weltrang, die sich im Philharmonischen Oktett zusammenfanden, erwähnt nicht die Chefdirigenten des Philharmonischen Orchesters, Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache und Herbert von Karajan, die er erlebt hat, nennt nicht die Konzertreisen, die nach der NS-Zeit im Ausland wieder möglich wurden. Die Südamerikatournee von 1954 ist ein Beispiel. Er führt ein Tagebuch, füllt es mit Kartenskizzen, Fotografien, Prospekten, Speisekarten, Zeitungsausschnitten und Ansichtskarten. Bei einer Auktion der Galerie Bassenge werden Details bekannt:

 

Anschaulich schildert der Musiker die Reisevorbereitungen. Unter den vielen Bescheinigungen und Empfehlungsschreiben, die zur Einreise vorgelegt werden mussten, ist die skurrilste eine Bestätigung der Polizei, dass Bürkner wegen Bettelns in den letzten 5 Jahren nicht vorbestraft sei. Tag für Tag berichtet der Musiker von der mit Propellermaschinen bewältigten Reise nach Dakar, Recife, Rio de Janeiro, Montevideo, Buenos Aires, Santiago de Chile, Limo, Quito, Bogota und Barranquilla. Die Rückreise führte die acht Männer des Ensembles über Jamaika, Miami, New York und London schließlich bis zur Landung auf dem Flughafen Tempelhof. Sechs Wochen reisten sie durch Südamerika und überall wo die Berliner von der Kammermusik-Vereinigung der Philharmoniker auftraten, hatten sie große Erfolge. Kaum zurückgekehrt, wurden die Musiker von Paul Hindemith überrascht. Ihnen widmete er sein Oktett für Klarinette, Fagott, Horn, Violine, zwei Violen, Violoncello und Kontrabass, das am 23. September 1958 in Berlin uraufgeführt wurde.

 

Baumeisterstraße 17, 1957. Sammlung Staudt. Museum Schöneberg

Baumeisterstraße Nr. 17

Umformerwerk

 

Mit dem Bau der Schöneberger U-Bahn entstand hinter dem Innsbrucker Platz zwischen der Ringbahn und der Wannseebahn auf einer Gesamtfläche von rund 1570 qm ein Betriebsbahnhof mit Abstellgleisen, Wagenschuppen von 30 m Länge und Werkstätten. Zusätzlich errichtet wurde ein Umformerwerk, versorgt mit dem Strom der am Tempelhofer Weg gelegenen Elektrizitätswerke Südwest AG.

 

Im Adressbuch von 1943 werden als Eigentümer genannt: Nr. 17 Berliner Kraft- und Licht AG (Bewag, NW7, Schiffbauerdamm 22, Nr. 18 Berlin. Berliner Verkehrsbetriebe (W9, Köthener Straße 17), Nr. 19 Gemeinnützige Baugesellschaft mbH (W62, Kalckreuthstraße 4-5).

 

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Umformerwerk von Bomben getroffen. Im Museum Schöneberg existieren Fotografien des zerstörten Hauses in der Baumeisterstraße Nr. 17, aufgenommen von Herwarth Staudt am 24. Juli 1957 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.

 

 

 

 

 

 

 

Bebauungspläne XI-15 und XI-118

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Pläne für die Weiterführung der U-Bahn ins Schöneberger Südgelände nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht aufgegeben waren – zumal Schönebergs Baustadtrat Friedrich Gerlach den Gemeinden Steglitz, Lankwitz und Groß-Lichterfelde nahegelegt hatte, ihre Bebauungspläne so einzurichten, dass die Erbauung einer Bahn später ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen wäre. Eindeutig waren auch die Besitzverhältnisse: Nr. 17 war Eigentum der BEWAG (Umformerwerk),  Nr. 18 hatte die BVG von der Schöneberger U-Bahn übernommen und Nr. 19 gehörte der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH.

 

1955 entwickelte das Bezirksamt Schöneberg den Bebauungsplan XI-15, der für das Areal zwischen Otzenstraße, Wannseebahn und Friedhof Eisackstraße einen Schulstandort und Sportplatz vorsah, auf dem später die Friedenauer Gemeinschaftsschule errichtet wurde. Seither endet die Baumeisterstraße nach Nr. 16 als Sackgasse. Der durch Speers Nord-Südachse und Stadtautobahn stark dezimierte Friedhof Eisackstraße ist stillgelegt. Die Fläche könnte ab 2036 bebaut werden.

 

1964 verabschiedete das Bezirksamt den Bebauungsplan XI-118 für die Gegend zwischen Haupt-, Kärntener-, Eisack-, Rubens- und Traeger Straße, der 1965 vom Senat beschlossen wurde. Mit dem Bau der Stadtautobahn war das Aus für die Verlängerung der U-Bahn besiegelt.

 

Am 26. April 1978 wurde der Tunnel Innsbrucker Platz eröffnet. Entstanden waren Anschlussstellen für Haupt-, Martin-Luther- und Wexstraße. Dazu kam, dass die Fahrstreifen der Zu- und Ausfahrten Innsbrucker Platz und des in einem Abstand von 700 Metern folgenden Schöneberger Kreuzes ineinander übergehen. Für den Autobahntunnel Innsbrucker Platz musste der seit 1910 bestehende Tunnel der U4 gekappt werden. Damit war der Plan für eine Weiterführung dieser Linie ins Schöneberger Südgelände hinfällig.

 

Das wäre eventuell zu verschmerzen gewesen, da bis 1972 die Linie U10 projektiert wurde, die vom U-Bahnhof Potsdamer Platz über U-Bahnhof Kleistpark und U-Bahnhof Innsbrucker Platz (U4 und U10) bis zum U-Bahnhof Rathaus Steglitz (U9) und weiter bis zur Drakestraße in Lichterfelde führen sollte. Für diese Trasse wurden erhebliche Bauvorleistungen getroffen: An den U-Bahnhöfen Kleistpark, Innsbrucker Platz und Walther-Schreiber-Platz entstanden zusätzliche Bahnsteige. Zwischen Walther-Schreiber-Platz und Rathaus Steglitz wurde unter der Schloßstraße ein zweigeschossiger Tunnel für die Linien U9 und U10 gebaut. Am Innsbrucker Platz entstand unter dem Bahnhof der U4 ein Verteilergeschoss als Übergang zum geplanten Bahnhof der U10.

 

1993 wurden die Planungen zur Linie U10 eingestellt. Seit 2016 arbeitet der Senat an den Plänen für eine Straßenbahnlinie vom Potsdamer Platz über Potsdamer-, Haupt-, Rhein- und Schloßstraße zum Rathaus Steglitz. Stadtentwicklung für eine wachsende Millionenstadt sieht anders aus.

 

 

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Bebauungsplan XI-15 für das Areal zwischen Otzenstraße, Wannseebahn und Friedhof Eisackstraße, 1955

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Bebauungsplan XI-118 für die Gegend zwischen Haupt-, Kärntener-, Eisack-, Rubens- und Traeger Straße, 1966

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Städtebau & Stümperei

 

Der Architekt und Stadtplaner Hans Stimmann konzipierte zwischen 1996 und 1999 für Berlin das Planwerk Innenstadt und setzte sich für einen Städtebau im Sinne der kritischen Rekonstruktion ein, der sich am historischen Stadtgrundriss und an der lokalen Bautypologie orientiert. Stimmanns bevorzugte Bauweise wurde von En vogue-Architekten wie Daniel Libeskind kritisiert, da sie die Arbeit der Architekten stark einschränkten, andere wie Hans Kollhoff, Christoph Mäckler und Josef Paul Kleihues erachteten diese engen Vorgaben für Berlin als notwendig.

 

In der FAZ vom 3. April 2017 schrieb Stimmann über Städtebau & Stümperei – Terraingesellschaften in der Gründerzeit. Wir zitieren:

 

Woran liegt es, dass es bisher trotz bester Absicht, dennoch nicht gelungen ist und wohl auch nicht gelingen wird, an gründerzeitliche Stadtqualitäten anzuknüpfen, und dass stattdessen immer wieder  nur Siedlungen im Stadtkleid  entstehen? Es liegt nicht an der Architektur, nicht am Sondermüll der wärmegedämmten Fassaden, nicht an der fehlenden Dichte oder der Nutzungsmischung (Wohnanteil) und schon gar nicht am Planungsrecht oder der Bürgerbeteiligung – sondern vor allem am Umgang mit der Bodenfrage und der daraus folgenden Art der Stadtproduktion. Ich will das am Beispiel der unterschiedlichen Vorgehensweise der gründerzeitlichen Terraingesellschaften und der heutigen privaten oder städtischen Projektentwickler erläutern. Die neuen innenstadtnahen Quartiere entstanden damals durch private Terraingesellschaften. Auch sie trieben ihre Projekte mit dem Ziel voran, Gewinn zu erwirtschaften. Als Erstes kauften sie unbebaute Flächen, beauftragten einen Bauingenieur mit dem Entwurf eines Straßennetzes mit unterschiedlich repräsentativen Straßenprofilen und entsprechenden Baumpflanzungen, dazu Schmuckplätzen und, als Vorgabe für den Hausbau, Vorgärten.

 

Die so auf dem Papier entstandenen, relativ schmalen Blöcke wurden dann für einen von der Terraingesellschaft festgelegten Haustyp parzelliert. Anschließend bauten sie die Straßen und verkauften die baufertigen Grundstücke an Bauunternehmer oder andere private Bauherren, die ihrerseits mit einem Architekten die Häuser errichteten, um sie selbst zu bewohnen oder zu vermieten. Die Rolle der Gemeinde beschränkte sich auf die Kontrolle der Einhaltung der aktuellen Bauordnung, die Architekten konzentrierten sich auf den Bau der Häuser. Diese Form der privaten Stadtproduktion - ohne Wettbewerbe, ohne B-Planverfahren, ohne Bürgerbeteiligung - ermöglichte ein Wachstum der Quartiere in der Zeit, mit Unterbrechungen durch wirtschaftliche Krisen und Konkurse einzelner Bauherren. Ihre Entstehung bedurfte der Mitwirkung zahlreicher Akteure, der Terraingesellschaften, Bauunternehmer, Banken, Architekten und der kommunalen Bauordnungsbehörden. Die so entstandenen Quartiere und Häuser bilden auch im 21. Jahrhundert den Maßstab, wenn es darum geht, städtische Qualitäten zu definieren.

 

Da dieses Vorbild aber rätselhafterweise von allem, was gebaut wird, unerreicht bleibt, stellt sich die Frage nach den Ursachen. Die Projektentwickler von heute gehen in Zusammenarbeit mit den Städten einen anderen Weg. Am Anfang steht natürlich der Erwerb unbebauter Flächen, die von der Gemeinde als Bauland vorgesehen sind. Auf der Grundlage von den im Flächennutzungsplan festgelegten Angaben zu Art und Maß der Nutzung werden mit städtebaulichen Wettbewerben Baustrukturen, aber kein Stadtgrundriss für eine bestimmte Haustypologie entworfen. Anschließend folgen die Erarbeitung von Bebauungsplänen durch die Kommune und die Beauftragung von Architekten durch die Investoren. Sie lassen natürlich nicht einzelne Häuser, sondern einen oder mehrere Blöcke entwerfen. Im Rohzustand werden die geplanten Bauten verkauft oder vermietet. Den Abschluss bildet der Straßenbau. Die Kommunen und Projektentwickler von heute folgen damit der Logik der .Wohnungsbauproduktion des nach dem Ersten Weltkrieg eingeführten sozialen Wohnungsbaus im Rahmen von Siedlungsbauprojekten auf kommunalisiertem Grund und Boden. Im Unterschied zu den gründerzeitlichen Terraingesellschaften konzentrieren sich die Projektentwickler von heute nicht auf den Handel mit Baugrundstücken, sondern auf den Verkauf oder die Vermietung von Wohn- oder Büroflächen. Was zählt, sind nicht Häuser, sondern Nutzungsarten und Flächenvorgaben.

 

Straßen heißen Verkehrsflächen, Plätze Fußgängerbereiche. Zur Planung und zum Bau gehören selbstverständlich die von Bundesgesetzen und den Bauordnungen der Länder vorgeschriebenen Standards des Energie- und Lärmschutzes, der Nachweis von Autostellplätzen und Ausgleichsflächen. Die Planung wird zuletzt als lokales Gesetz in einem Bebauungsplan mit einer ausführlichen Begründung festgesetzt. Auch dagegen wäre trotz der vielen zeitaufwendigen bürokratischen Regeln und Verfahren nichts einzuwenden, wenn wenigstens Quartiere mit schönen, von einzelnen Häusern gebildeten öffentlichen Räume entstünden. Aber genau das ist leider regelmäßig nicht der Fall. Gebaut werden trotz bester Absichten auch der entwerfenden Architekten am Ende doch begehbare Anlagendepots (Niklas Maak) in der Form von Siedlungen im Stadtkleid.

 

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Städtebau & Stümperei – Terraingesellschaften in der Gründerzeit.

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