Nur auf dem Papier

 

Mit dem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Tempelhof-Schöneberg vom Oktober 2009 war die Umwandlung des Geländes des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf zu einem Wohngebiet bereits eingeläutet worden. Es vergingen drei Jahre, in denen die Planung in der Bezirksverwaltung vorangetrieben wurde. Dann erst, im September 2012, fand eine erste sogenannte Perspektivenwerkstatt für die interessierte Öffentlichkeit statt.

 

Die Perspektive war zu diesem Zeitpunkt aber bereits festgelegt worden. Egal wieviel Bürger, es mögen ein paar Dutzend gewesen sein, die Werkstatt letztendlich besuchten – von einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung konnte schon keine Rede mehr sein. Zudem hatten die Bürger nicht wie die Verwaltung drei Jahre Zeit, sich mit den Plänen zu beschäftigen, sondern gerade einmal acht Monate, bis im April 2013 zehn sogenannte Konsenspunkte festgeschrieben wurden.

 

 

 

 

Bei der gesetzlich vorgeschriebenen frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit im Juni/Juli 2014 gab es dann 29 schriftliche Äußerungen. Diese Einsprüche wurden in der Abwägung am 4. Dezember 2014 zur Kenntnis genommen und größtenteils zurückgewiesen. Über die Möglichkeit der Beteiligung an der Planung waren die Bürger übrigens durch Veröffentlichung in der Tagespresse (Der Tagesspiegel und Berliner Morgenpost) am 20. Juni 2014 und Hauswurfsendung in der Umgebung des Geltungsbereichs informiert worden.

 

Dann musste es schnell gehen: Am 9. Dezember 2014 entschied die BVV über den Aufstellungsbeschluss zum B-Plan. Von der Auslegung nahmen dann nur noch 13 Bürger Notiz und meldeten erneut Bedenken an. Zu spät: Im Juni 2016 wurde der B-Plan beschlossen. Dann folgte der Spatenstich für geladene Gäste und über Jahre hinweg Stillstand auf dem Bahngelände.

 

Der Ablauf der sogenannten Bürgerbeteiligung ist an dieser Stelle deshalb so ausführlich geschildert worden, weil dies ein Paradebeispiel für die Mogelpackung ist, die insbesondere auf kommunaler Ebene seit Jahren von Verwaltungen und Politikern offeriert wird. Denn die behauptete Einbindung der Bürger in städtebauliche Vorhaben in ihrem Umfeld findet nicht statt – es sei denn auf dem Papier, das im Nachhinein in Hochglanz verbreitet werden kann.

 

Die „Stiftung Mitarbeit“ hat in ihrem Wegweiser Bürgergesellschaft auf diese Defizite hingewiesen. Ein Dilemma der politischen Beteiligung ist, dass Interesse und Engagement vielfach erst bei persönlicher Betroffenheit entstehen. Persönliche Betroffenheit tritt aber oft verspätet ein, wenn Entscheidungsprozesse schon ein Stadium erreicht haben, in dem die Möglichkeiten zur Einflussnahme nur noch begrenzt sind. Es ist sinnvoll, Bürgerbeteiligung frühzeitig anzubieten: Je früher die Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden, desto erfolgreicher kann Bürgerbeteiligung sein. Ist das im Friedenauer Fall geschehen? – Mitnichten.

 

Weiter heißt es: Insbesondere Kommunalpolitik und -verwaltung müssen ihre internen Prozesse idealerweise so gestalten, dass sie ‚beteiligungskompatibel‘ sind. Bürgerbeteiligung erfordert einen nach innen gerichteten Veränderungsprozess und eine andere Bewertung von Führung. Die klassischen bürokratischen Steuerungsprinzipien wie Hierarchie und Weisung sind kontraproduktiv und können nicht auf Bürgerbeteiligungsprozesse übertragen werden. Leider ist genau dies im Fall des Güterbahnhofs Wilmersdorf geschehen – kein Einzelfall in Berlin und im Bezirk Tempelhof-Schöneberg.

 

Das Erschrecken über die jetzt sichtbar werdende Bebauung Auf dem Bahndamm, die mit dem Charakter Friedenaus nichts, aber auch gar nichts zu tun hat, war also abzusehen. Einen Konsens, den Verwaltung und Kommunalpolitik bis heute behaupten, gab es nie. Eine Bürgerbeteiligung hat nicht stattgefunden. Politische und privatwirtschaftliche Interessen, die bereits 2009 festgeschrieben worden waren, wurden durchgesetzt. Angesichts der gewaltigen und unansehnlichen Wohnblöcke neben der Autobahn brachte dieses brachiale Vorgehehen nur eins: Verlust an Lebensqualität für neue und alte Einwohner Friedenaus.