Name seit 1900, vorher seit 1873 Bischofstraße, benannt nach dem Friedenauer Kommunalpolitiker Robert Hertel (1824-1886). Der Geheime Rechnungsrat aus dem im Kriegsministerium gehörte ab 1875 zu den elf Gemeindeverordneten von Friedenau und wirkte viele Jahre als Schatzmeister. Er wurde auf dem Friedhof Stubenrauchstraße begraben, Das Grab der Familie Hertel ist bis heute erhalten.
Dieter E. Zimmer (1934-2020)
Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet Dieter E. Zimmer im Nachruf als den letzten Universalfeuilletonisten. Zimmers Stil verband Klarheit, Klugheit und Kürze. Beobachtungsgenauigkeit und Analysefähigkeit zeichnen ihn aus. Dieser Publizist ist heute eine Rarität. 2006 startete er http://www.d-e-zimmer.de. Seine letzten Beiträge veröffentlichte er am 28. November 2019. Am 19. Juni 2020 starb er in Berlin im Alter von 85 Jahren. Seine Webseite ist noch immer online.
Nun, da das Museum Schöneberg nach sieben Jahrzehnten im Jahr 2020 endlich in der Lage war, die vom Fotografen Herwart Staudt ab 1950 dokumentierten Ruinenfotos öffentlich zu machen, darunter auch Aufnahmen aus der Hertelstraße, erhält der von Dieter E. Zimmer 2005 verfasste Beitrag Bombenkrieg wegen seiner präzis formulierten und genau recherchierten Auflistung eine besondere Bedeutung. Wir zitieren daraus in Auszügen.
Ich habe mein Leben lang gedacht, ich hätte von den allerersten Fliegeralarmen kaum etwas gemerkt und sei erst bei dem dritten oder vierten aufgeschreckt worden, als ein Angriff ein in der Luftlinie siebenhundert Meter entferntes Wohnviertel in Friedenau traf. Nachts hatte es besonders laut und nahe gekracht, morgens schwirrten Gerüchte, in denen die Namen bekannter Straßen vorkamen, und nachmittags gingen die Eltern mit mir in eine der getroffenen Straßen, um den Schaden zu besehen. Es war die Stubenrauchstraße. Zwei Häuser waren von Sprengbomben ramponiert. Bei einem war die ganze Vorderfront abgerissen und lag als Schutthaufen im Vorgarten. Die möblierten Zimmer lagen frei da wie Puppenstuben in einem Puppenhaus. Die gutbürgerlichen fremden Wohnzimmer, jetzt unbetretbar und indiskreten Blicken ausgesetzt, versetzten mir einen tiefen Schreck. Ein paar Nächte lang konnte ich nicht schlafen. Alles konnte jetzt also von innen nach außen gekehrt werden und plötzlich in sich zusammenstürzen. Die Welt hatte ihre bisherige Solidität eingebüßt.
Erst jetzt habe ich eruiert, wann jene Bomben gefallen sind, die mir sozusagen den Urschreck meines Lebens versetzt haben: am Sonntag, dem 7. September 1941 war es. Um 23 Uhr 18 hatte es Voralarm gegeben, um 23.29 Alarm, um 3.47 Entwarnung. Es war einer der schwersten Angriffe bis dato: 199 Sprengbomben, davon 22 Blindgänger, 2000 Brandbomben, 57 Flakgranaten, davon 10 Blindgänger. Eine 1800-Kilo-Bombe hatte ein Haus am Pariser Platz zerstört, es gab 27 Tote. In Friedenau wurden getroffen: Stubenrauchstraße 58, Schwalbacher Straße 9-13, Rheingaustraße 7, Wilhelmshöher Straße 4/5, Hertelstraße 1, 2, 4, Homuthstraße 2-4.
Aber das war überhaupt nicht der dritte oder vierte, es war schon der 84. Fliegeralarm! In den Zeitungen jener Jahre ist es nicht festzustellen. Aber es gab eine pedantische Chronik – die vertraulichen Berichte der 'Hauptluftschutzstelle' beim Berliner Oberbürgermeister, die heute im Landesarchiv verwahrt sind. In den ersten Jahren listeten sie penibel jedes beschädigte Gebäude auf, wenn auch (wie ich am Beispiel der Steglitzer Markelstraße genau erkennen kann) zunehmend ungenau, da offenbar bald niemand mehr die rechte Übersicht hatte. Nach diesen Berichten hatten wir seit Ende August 1940 jede dritte oder vierte Nacht im Keller verbracht ... Nach den fünf allerschwersten Angriffen vom 22. bis 26. November 1943 wurden in diesen Berichten keine einzelnen Gebäude mehr benannt, nur noch 'bemerkenswerte Schadensstellen' wie Fabriken, Dienststellen, Krankenhäuser, Schulen. Aber es wurde bis zum Ende genau gezählt: Vom 1. September 1939 bis zum 16. April 1945 gab es in Berlin 378 Alarme; die letzten zehn Tage des Krieges waren ein einziger Alarm, den keiner mehr registrierte. Sie begannen meist kurz vor Mitternacht und dauerten eine halbe bis zu fünf Stunden, die meisten etwa zwei. Ab August 1943 fielen auch 'Luftminen', die ganze Häuserreihen zum Einsturz brachten. Jene vertraulichen Berichte machen nebenbei klar, was meiner Erinnerung nach der Bevölkerung verschwiegen wurde: dass ein großer Teil dieser frühen Schäden gar nicht von britischen Bomben angerichtet wurde, sondern von deutschen Flakgranaten, die ihre Ziele verfehlt hatten und irgendwo im Häusermeer einschlugen ...
Dabei waren die Einschläge 1940/41 schon mehrmals recht nahe gekommen. Am 23. September war eine Flakgranate ins Dachgeschoss der Holsteinischen Straße 25 eingeschlagen, am 5. Oktober 1940 waren in Steglitz vier Flakgranaten am Boden krepiert, am 7. Oktober hatte eine Bombe, eher auch eine Granate, eine Wand im Obergeschoss der Lepsiusstraße 99 durchschlagen, am 14. November war eine Flakgranate in der Feuerbachstraße 13 explodiert, am 20. Dezember eine Brandbombe in der Schloßstraße 42, und am Hindenburgdamm 64 hatte es vier Tote gegeben. Irgendwann war lange nach dem Alarm an der Ecke des Bornmarkts, gegenüber vom Eingang des Titania-Palasts, eine Zeitzünderbombe oder ein Blindgänger explodiert und hatte einen Haufen Menschen zerfetzt, die Körperteile lagen weit gestreut herum ...
Am 16. Januar 1943 ruinierte eine Sprengbombe das Hinterhaus Schloßstraße 89, und Brandbomben zündeten in der Albrechtstraße. Am 1. März (der 101. Fliegeralarm) konzentrierte sich der bis dahin schwerste Angriff auf Steglitz. 257 viermotorige Maschinen erschienen um Viertel vor zehn am Himmel. Es war der erste Angriff, bei dem blockbusters (Wohnblockknacker) von 1800 Kilo Gewicht und Sprengbomben in Kombination mit Brandbomben eingesetzt wurden (die Sprengbomben rissen die Häuser auf, die dann umso leichter abbrannten). Eine erste Welle ging auf Wilmersdorf und die Gegend um den Prager Platz nieder. Dann folgte Steglitz. Allein in 'nserer' Gegend: Markelstraße 62 und 63 zerstört (tatsächlich nur die Nummer 62, die Ruine wurde nach dem Krieg von einem 'Trecker' abgerissen, heute steht dort eine Karstadt-Filiale), der Titania-Palast beschädigt, ferner Rheinstraße 56, Holsteinische Straße 10, Schloßstraße 73, 74, 121 (Ecke Feuerbachstraße), Feuerbachstraße 7/9, 19/21, 22, 23, 24, 54, Lepsiusstraße 102, 103, 104. In der Feuerbachstraße 62 stürzte der ÖLSR ein, drei Schwerverletzte ...
Es gab noch einen zweiten schweren Angriff auf Steglitz. Er leitete die Phase schwerster Angriffe ein, bei denen die Behörden dann bald die Übersicht verloren. Es war der 126. Fliegeralarm. Er begann am 23. August 1943 um 23 Uhr 42 und endete um 2 Uhr 35. Britische Halifax, Lancaster, Stirling und einige Mosquito hatten sich in sechstausend Meter Höhe über der Müritz gesammelt, Leuchtmarkierungen über Berlin gesetzt und ihre Fracht dann über dem ganzen Stadtgebiet von ausgeklinkt: 30 Minenbomben, 189 Sprengbomben, 50000 Brandbomben, auch wieder einige blockbusters. Es gab (die vollständigen Schadensberichte liefen erst in den folgenden Tagen ein) 476 Tote, davon 174 in Steglitz, 1227 Verletzte, 88 Vermisste, 34 977 Ausgebombte und insgesamt 2685 Schadenstellen, davon in Steglitz 2100. Die Zoogegend stand in Flammen. Am Potsdamer Platz brannten das Haus Vaterland, der Potsdamer Bahnhof und die Philharmonie, auch viele Häuser in der Wilhelm- und der Friedrichstraße. Die meisten Bombenteppiche oder '-fächer' gingen auf Lichterfelde und Lankwitz nieder, die weniger dicht besiedelt waren als unsere Gegend von Steglitz. In dieser traf es die Schloßstraße 18, 28, 101. Ein Blindgänger fand sich in der Lepsiusstraße 8. In der Birkbuschstraße waren die Hausnummern 6, 91, 92, 94/95 zerstört. Wahrscheinlich war es bei dieser Gelegenheit, dass wir die Birkbuschstraße besichtigen gingen, da der Schaden von einer Luftmine herrühren sollte und wir wissen wollten, was uns blühte. Aber anders als damals in Friedenau wurde niemand in die Nähe gelassen. Wir sahen die 'Schadenstelle' nur von fern: tatsächlich, alles kaputt, ein großer Trümmerhaufen ... Insgesamt hat der Bombenkrieg in Berlin 50 000 gezählte Tote und ungezählte Vermisste (Verschüttete, Verbrannte) gekostet. In 30 000 Wohngebäuden wurden 556 500 Wohnungen zerstört, 37 Prozent des Bestandes.
Hertelstraße Nr. 2
Baudenkmal Mietshaus
Entwurf Architekt Max Heinrich
Bauherr Johannes Krämer
Vom Architekten Max Heinrich (*1854) sind in Friedenau zwei Bauten erhalten. 1908 schuf er das viergeschossige Mietswohnhaus Hertelstraße Nr. 2: Das einseitig freistehende Haus auf hohem Souterrain wird durch zwei Aufgänge erschlossen: Der eine befindet sich in der Mittelachse der Straßenfront, der andere im seitlichen Bauwich im Seitenflügel. Der Architrav des Säulenportals an der Straße wird von zwei Eulen bekrönt. Die Straßenfassade wird beherrscht von einem breiten Erkerblock mit tiefen Loggien, den zehn Pilaster gliedern, an denen in Nischen im dritten Obergeschoss große Puttenfiguren mit Musikinstrumenten angebracht sind, die einen fröhlichen Reigen bilden.
1909 entstand in Zusammenarbeit mit dem Architekten Richard Zwicker für den Bauherrn Otto Roeseler das Haus Schwalbacher Straße Nr. 10: Das heute freistehende, zehnachsige Haus auf U-förmigem Grundriss bildete vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit dem Nachbarhaus Nr. 9 ein Doppelhaus und ist teilweise fünf-, teilweise viergeschossig ausgeführt worden. Es hat zwei Aufgänge: einen an der Straße in das Vorderhaus und einen im Bauwich in den Seitenflügel. Die Fassade ist asymmetrisch und malerisch angelegt: Der östliche Teil zeigt einen breiten Erkerblock über dem Hauseingang, der westliche Teil wird durch einen polygonalen Erker und seitliche Loggien gegliedert. Die lebhafte Fassadengestaltung wird durch Ziegelbehang im oberen Geschoß verstärkt. Auch der ursprünglich freistehende östliche Seitenflügel ist in diesem Sinne gegliedert.
Topographie Friedenau, 2000.
Hertelstraße Nr. 10
Leonard Langheinrich (1890-1944)
Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf der Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig. Mit diesen Worten begann am 29. Oktober 1923 um 20 Uhr aus dem Vox-Haus-Studio in der Potsdamer Straße Nr. 4 der regelmäßige Rundfunkbetrieb in Deutschland. 1927 wurde Leonard Langheinrich (1890-1944) Pressechef der Berliner Funk-Stunde AG und moderierte bis 1932 zahlreiche Sendungen zu deutscher und internationaler Literatur sowie die mehrteiligen Sendungen Bücherstunde.
Leonard Langheinrich, gelegentlich auch unter dem Künstlernamen Leonard Langheinrich-Anthos aufgeführt, wurde am 17. Mai 1890 in Schönholz bei Berlin als Sohn von Ernst Langheinrich, dem Generaldirektor der Versicherungsgesellschaft Friedrich Wilhelm, und Ehefrau Erika geb. Krüger geboren. Nach dem Abitur am Bismarck-Gymnasium in der Pfalzburger Straße studierte er ab 1909 Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Lausanne, Berlin und Freiburg. 1915 wurde er in Würzburg promoviert. Nach Tätigkeiten bei Industrie und Behörden zog es ihn zu Presse, Rundfunk und Film. Über den „Norddeutschen Sendebezirk“ der Oberpostdirektionsbezirke Berlin, Potsdam, Stettin, Frankfurt (Oder), Magdeburg und Teilen von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz erreichten die von ihm moderierten Sendungen der Bücherstunde eine stattliche Hörerschaft.
Das Deutsche Rundfunkarchiv listet unter Autorenauftritte im Rundfunk der Weimarer Republik für Funkstunde Berlin und Deutsche Welle 36 Sendungen von Leonard Langheinrich-Anthos in der Zeit vom 17. Mai 1927 bis 21. Dezember 1932 auf, darunter die Beiträge Frank Thieß, Feuilletonisten. Deutsche Zeitsatire des Tages, Der unbekannte Dickens, Zeitwandlungen des Kavalierbegriffs, Bücher für die Frau, Giovanni Boccaccio, Adalbert von Chamisso zum 150. Geburtstag, Zum 100jährigen Todestag des Dichters Friedrich von Mathisson, Zum 60. Geburtstag von Christian Morgensterns, Frauen der Renaissance, Die moderne Frau im Roman sowie die Reihe „Anthos liest eigene Prosa“ (siehe Anhang).
Leonard Langheinrich-Anthos war ein Pionier der literarischen Vermittlung in der Anfangszeit des Rundfunks. Am Ende der Weimarer Republik gab er auf, wurde freier Schriftsteller und wohnte ab 1933 in der Hertelstraße Nr. 10 in Friedenau. Bei einem Fliegerangriff verlor er Hab und Gut. Am 7. Juni 1944 schied er aus dem Leben. Unklar ist, ob er in dem bis heute erhaltenen Erbbegräbnis der Familie Langheinrich auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof beigesetzt wurde.