Name seit dem 22. Oktober 1875, benannt nach dem Fluss Albe in Lothringen, vorher Querstraße II. Am 10. Mai 1871 wurde in Frankfurt am Main der Friede von Frankfurt geschlossen. Der Vertrag beendete formell den Deutsch-Französischen Krieg und bestätigte den Verzicht Frankreichs auf größere Teile von Elsass und Lothringen. Die abgetretenen Gebiete wurden dem Deutschen Reich als Reichsland Elsaß-Lothringen unterstellt. Nachdem der damals zuständige Kreis Teltow dem Bebauungsplan des Landerwerb- und Bauvereins auf Actien zugestimmt und den geplanten Villenvorort am 9. November 1874 zur selbstständigen Landgemeinde des Landkreises erhoben hatte, wurden einige Friedenauer Straßen nach Flüssen in Elsass und Lothringen benannt.

 

PFENNIGs seit 1907

Albestraße Nr. 1

 

Die Häuser Albestraße Nr. 1 und Lauterstraße Nr. 8 & Nr. 9 waren von 1926 bis 1933 im Besitz der in Riga ansässigen Familie Kaplan. Als Verwalter des von acht Mietparteien bewohnten Hauses fungierte der Architekt Alexander Diepenbrock in Schöneberg. Auf der Webseite des virtuellen Museums sind unter dem Titel The Jews of Latvia drei Fotos der Kaplans veröffentlicht. Mitgeteilt wird dort, dass alle Mitglieder der Familie Kaplan im Rigaer Ghetto ums Leben kamen.

 

1934 wurde das Anwesen von Oberleutnant a. D. Reisener erworben. Nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht taucht Reisener 1936 neben der Friedenauer Adresse auch als Major auf dem Truppenübungsplatz Handorf auf. Bereits 1931 hatte der Unternehmer Albert Pfennig (1880-1956) das Mietswohnhaus Albestraße Nr. 3 erworben. Der Fleischer hatte 1907 in Alt-Moabit ein Delikatessengeschäft gegründet. Zu den ersten Produkten gehörte eine Mayonnaise, die zusammen mit verschiedenen Salaten in Steintöpfen angeboten wurde. Das Konzept kam an. Auf dem Hof in der Albestraße entstanden neue Fabrikationsräume von Pfennigs Mayonnaisen- und Salatfabrik Porthmayonnais.

 

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Häuser teilweise zerstört. Der Fotograf Herwarth Staudt hat die Ruinen am 13. Dezember 1950 und am 5. April 1954 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg fotografiert. In den Jahren danach gelang es der Familie Pfennig, die Grundstücke Albestraße Nr. 1, Lauterstraße Nr. 5-9 und Schnackenburgstraße Nr. 12-16 zu erwerben. Die Feinkostfabrik kam nach Tempelhof. Auf dem Gelände entstand ein gewaltiger Baukomplex mit Wohnungen, Tiefgaragen und Parkplätzen im Hof. Alteingesessene nannten die Anlage Majonäsen-Häuser.

 

Heinz Pfennig (1910-1977) trat 1945 als ältester Sohn in die Firma ein. Ihm gelang der in den Wirtschaftswunderjahren der große Aufschwung. Kurt Pfennig (1936-2000), der die dritte Generation repräsentiert, wanderte in die USA aus, kam zurück und gründete 1962 einen Feinkostbetrieb in Laatzen bei Hannover. Über 30 Jahre lang zählte Pfennigs Feinkost zu den großen Feinkostherstellern Deutschland. Mit den Friedenauer Majonäsen-Häusern schuf sich die Firma die Basis für ein neues Betätigungsfeld, die Vermietung eigener Gewerbeimmobilien und Wohnungen in Berlin und dem Umland. Pfennig zog sich aus dem Feinkostgeschäft zurück. Pfennigs Fleischsalat oder Pfennings Kartoffelsalat mit Gurke und Ei sind aus den Regalen noch nicht ganz verschwunden. Hergestellt werden sie aktuell allerdings von Füngers Feinkost GmbH & Co. KG in Oranienbaumf für Popp Feinkost GmbH Kaltenkirchen.

 

Albestraße 2. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Albestraße Nr. 2

 

Kaum eine Gegend in Friedenau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg so häufig fotografiert wie die Häuser an der Ecke Albestraße und Lauterstraße. Die Aufnahmen entstanden im Auftrag das Baulenkungsamtes Schöneberg, das auch anhand der Fotos über Wiederaufbau oder Abriss zu entscheiden hatte. Am 29. Dezember 1949 fotografierte Herwarth Staudt Vorder- und Hinterhaus von Albestraße Nr. 2. Am 3. April 1950 kamen Aufnahmen von Albestraße Nr. 1 Ecke Lauterstraße Nr. 8-9 hinzu. Am 5. Mai 1953 noch einmal Albestraße Nr. 2 und am 5. April 1954 ein weiteres Foto von Albestraße Nr. 1 Ecke Lauterstraße Nr. 8-9.

 

Dann fiel die Entscheidung: Die verbliebenen Ruinen der Grundstücke Albestraße Nr. 1-2, Lauterstraße Nr. 5-9 sowie die teilweise zerstörten Häuser Schnackenburgstraße Nr. 12-16 werden abgerissen und durch neue Bauten im Stil der Wirtschaftswunderjahre ersetzt.

 

Das Haus Albestraße Nr. 2 wurde 1902/03 durch den Zimmermannsmeisters und Architekten Gustav Graßmann errichtet, der in der Rheinstraße Nr. 9 ein Baugeschäft betrieb. Graßmann war zusammen mit dem Bauunternehmer Gustav Haustein (Friedrich-Wilhelm-Platz Nr. 1) und dem Uhrmachermeister Hans Lorenz (Rheinstraße Nr. 55) Vorstand der Friedenauer Spar- und Darlehnskasse mit Sitz in der Rheinstraße Nr. 9. Der Geschäftsbetrieb wurde am 20. Dezember 1900 eröffnet. Es gab 23 Mitglieder. Die Geschäfte liefen offenbar gut, da Graßmann neben dem Bau Hauses in der Albestraße mit 3 und 4 Zimmer-Wohnungen zeitgleich auch in der Ringstraße Nr. 4 (Dickhardtstraße) das heute unter Denkmalschutz stehende Haus mit hochherrschaftlichen 5 und 6 Zimmer-Wohnungen errichtete.

 

Der Friedenauer Lokal-Anzeiger meldete am 2. Juli 1902, dass mit dem Ausschachten zum Bau neuer Wohnhäuser ist in der letzten Woche wieder begonnen worden und zwar auf den Baustellen Lauterstraße 3 und Lauterstraße 8 und 9. Das letztere Grundstück; gehört unserem langjährigen Mitbürger Herrn Rudolf Behn. Die auf dem Grundstück stehende Eck-Villa wird erst nächsten April abgerissen werden, während der Garten in der Albestraße schon jetzt bebaut wird. Herr Behn zieht dann Ostern in den Neubau. Die Bebauung der Ecke erfolgt zu Ostern nächsten Jahres.

 

Rudolf Behn war ursprünglich Stuben- und Schildermaler, konzentrierte sich auf das Schneiden von Druckvorlagen in Holzplatten und nannte sich ab 1880 Xylograph mit Wohnsitz in Berlin, Dennewitzstraße Nr. 32. Zehn Jahre später ist er als Mieter und Xylograph in der Lauterstraße Nr. 30 gemeldet. 1900 ist er Eigentümer des Hauses Lauterstraße Nr. 8/9. Mit dem Einzug in sein Haus Albestraße Nr. 2 nennt sich der Bauherr Behn Rendant, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass er die Rechnungsführung für die Friedenauer Spar- und Darlehnskasse übernommen hatte.

 

Da vom Haus Albestraße Nr. 2 nur das Ruinenfoto von 1949 vorliegt, könnte davon ausgegangen werden, dass Architekt Graßmann dort – wie in der Ringstraße Nr. 4 (Dickhardtstraße) – eine etwas abgewandelte einfachere Neorenaissancefassade geschaffen hat. Souterrain und Erdgeschoss sind in Sichtziegelmauerwerk ausgeführt, die Geschosse darüber verputzt. Das Anwesen bleibt bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz der Familie Behn.

 

Albestraße Nr. 3. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 3

Max Bruch (1838-1920)

 

In einem Nachruf der Vossischen Zeitung heißt es, dass der vielfache Wechsel in Bruchs äußeren Lebensverhältnissen zum Teil auf die Unbeugsamkeit seiner Überzeugung zurückzuführen ist, die keine andersgeartete neben sich duldete und so zu äußerster Intoleranz ausartete. Da mag etwas dran sein. Viele Ortswechsel sprechen dafür: Musikdirektor in Koblenz (1865-1867), Hofkapellmeister in Sondershausen (1867-1870), Musiklehrer in Berlin (1870-1873), Kompositionsarbeiten in Bonn (1873-1878) und Berlin (1878-1880), Direktor der Philharmonic Society in Liverpool (1880-1883), Leiter des Breslauer Orchestervereins (1883-1890) und schließlich 1890 wieder in Berlin als Direktor der Meisterschule für Komposition, Mitglied im Senat der Akademie und dem Titel Professor.

 

Max Bruch zog mit Ehefrau Clara geborene Tuczek (1854-1919) und den Kindern Max Felix (1884-1943), Hans (1887-1913), Margarethe (1882-1936) und Ewald (1890-1974) als Mieter in das Haus von Zeichenlehrer Theodor Müller in die Albestraße Nr. 3. Die Jungen gingen nebenan auf die I. Gemeindeschule. Margarethe absolvierte von 1890 bis 1898 die Roennebergsche Mädchenschule.

 

Friedenau war stolz auf seinen neuen Mitbürger, sah in ihm einen unserer begabtesten Komponisten der Gegenwart. Die Familie Bruch beteiligte sich rege am gesellschaftlichen Leben Friedenaus: Max Bruch begleitete im Dezember 1894 im Hohenzollernsaal am Klavier vier Lieder, die seine Frau Clara (Alt) vortrug. Sohn Max Felix entzückte im Januar 1908 mit dem Klarinetten-Konzert von Mozart. Der lebhafte Beifall war wohl Zeugnis genug, wie wunderbar er das Instrument bedient. Sehr selten dürfen wir die Klarinette in so reinen und herrlichen Tönen hören. Tochter Margarete brachte im März 1918 eigene Kriegsgedichte zum Vortrag, solche von ganz besonderer Eigenart, ob es sich nun um ‚flüchtende Frauen‘ handelte, die sich vor den Kriegsgreueln entmenschter Feinde zu retten versuchten, oder um das ‚Lichtlein‘, die suchend umherirrende Mutterliebe, die endlich, nachdem sie das ferne Grab des gefallenen Sohnes gefunden, zur Ruhe kommt, oder um den ‚Gärtner als Ulan‘, den sterbenden Krieger, dessen Gedanken noch einmal mit allen seinen Wünschen Heimat und liebe Menschen umspinnen.

 

Nachdem Max Bruch an seinem 70. Geburtstag 1908 gemeint hatte, seine Inspiration sei versiegt, ergriff wohl Tochter Margarete die Initiative. Daraufhin entstanden in Friedenau Violinkonzert Nr. 3 (1891), Schwedische Tänze (1892), Serenade für Violine und Orchester (1899), Acht Stücke für Klarinette, Viola und Klavier op. 83 für seinen Sohn Max Felix (1909), Konzertstück für Violine und Orchester (1910), Konzert für Klarinette, Viola und Orchester  op. 88 (1911), Romanze für Viola und Orchester (1912), Konzert für 2 Klaviere und Orchester (1915) und schließlich Sechs Lieder für gemischten Chor a capella, op. 86  nach Texten von Margarethe Bruch (1915).

 

Zur Feier zum 60. Geburtstag 1898 haben mehrere mit Glücksgütern reich gesegnete Männer, an ihrer Spitze der Chef des Bankhauses Mendelssohn & Co. in Berlin, einen größeren Fonds gegründet, der dem Gefeierten am gestrigen Tage überreicht wurde, um demselben ein sorgenfreies Alter zu bereiten. Zur Vorfeier führte das Philharmonische Orchester dessen Es-Dur-Symphonie unter persönlicher Leitung des Komponisten auf, der beim Eintreten in den Saal durch lauten Tusch unter Erhebung der Orchestermitglieder und des Publikums enthusiastisch empfangen wurde.

 

Zu seinem 80. Geburtstag, gefeiert im Haus in der Albestraße, verlieh ihm der Bürgermeister die Ehrenbürgerwürde, der Kultusminister im Auftrag des Kaisers den Kronenorden und die Universität den Ehrendoktor der Philosophie und der Theologie.

 

Hinter Max Bruch lagen schwere Jahre. Sohn Hans verstarb mit 26 Jahren an einer Blutvergiftung im Krankenhaus Jena. Felix und Ewald heirateten und zogen aus. 1919 starb Ehefrau Clara nach einer Krebs-Operation in der Charité. Zurück blieben in der Wohnung Albestraße Max und Margarethe, die sich als Sekretärin um das Werk des Komponisten und zunehmend auch um den pflegebedürftigen Vater kümmerte. Max Bruch starb am 2. Oktober 1920 und wurde neben seiner Frau auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg bestattet. Während der Trauerfeier erklang – wie konnte es anders sein – das Adagio seines Violinkonzertes Nr. 1 in g-Moll.

 

Tochter Margarethe gab die Wohnung auf und zog 1921 in die Schöneberger Beckerstraße Nr. 4. Das Grundstück Albestraße Nr. 3 erwarb 1936 der Fabrikant Albert Pfennig für seine Mayonnaisen- und Salatfabrik Porthmayonnais.

 

Albestraße 4. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 4

 

1885 zog der Geheime Regierungsassistent im Auswärtigen Amt Theodor Franzelius als Mieter in die Parterrewohnung Niedstraße Nr. 24. Drei Jahre später war er Eigentümer des zweigeschossigen Wohnhauses Albestraße Nr. 4. Da sich zeitgleich nebenan auf dem Grundstück Albestraße Nr. 5 der Topograph der Königlich Preußischen Landesaufnahme beim Generalstab Gustav Ferdinand Schreck vom Zimmermannsmeister Spieß ein Landhaus errichten ließ, könnte davon ausgegangen werden, dass Spieß auch diesen roten Sichtziegelbau schuf.

 

Der Geheime Hofrat Theodor Franzelius war hauptberuflich Chiffreur im Auswärtigen Amt. Diese Tätigkeit erklärt sicher auch die mannigfachen Orden, mit denen Franzelius bedacht wurde: Sankt Annen-Orden dritter Klasse vom Kaiser von Russland (1902), Ritterzeichen erster Klasse des Herzoglich Anhaltischen Hausordens Albrecht des Bären (1905), Ritterkreuz 2. Klasse des Großherzoglich Badischen Ordens vom Zähringer Löwen (1907), Offizierskreuz des Kaiserlich Österreichischen Franz-Joseph-Ordens und der Königliche Griechische Erlöserorden gelegentlich der Korfu-Reise des Kaisers (1908), Großherrliche Türckische Osmaniaorden 3. Klasse (1909) und Königlicher Kronenorden 3. Klasse (1910).

 

Ehrenamtlich war Franzelius Mitglied des Haus- und Grundbesitzervereins, Gemeindeverordneter und als solcher in den Ausschüssen für Bepflanzung, Beleuchtung, Markt und Friedhof – wozu Bürgermeister Schnackenburg mitzuteilen hatte, dass Herr Gemeindevertreter Franzelius für längere Zeit in den Gemeindevertretersitzungen nicht erscheinen könne, da er zur Zeit zum Hoflager des Kaisers kommandiert sei.

 

Theodor Franzelius verkaufte das Anwesen 1925 an Direktor Drews, blieb aber als Mieter im Haus wohnen. Nach dem Tod von Drews ist seine Witwe E. Drews als Eigentümerin eingetragen. 1936 übernimmt den Besitz Betriebsführer E. Fuchs. Das Haus mit 5 Parteien überlebte die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg.

 

Albestraße 5, um 1895

Albestraße Nr. 5

Max Schreck (1879-1936)

 

Das zweigeschossige, vierachsige Landhaus wurde auf einem klassischen Sechsfelder-Grundriss errichtet. Der Hauseingang befindet sich im Bauwich an der Westseite. Der rote Sichtziegelbau erhebt sich auf einem niedrigen Souterrain, dem zweiachsigen Mittelrisalit mit erhöhtem Quergiebel ist im Hochparterre eine Veranda mit vier gemauerten Pfeilern vorgesetzt, auf der im Obergeschoß ein Balkon und darauf wiederum ein schmiedeeiserner Altan vor dem Quergiebel des Dachgeschosses angeordnet ist. Der Quergiebel zeigt ein Zierhängewerk. Von der Veranda führt eine Treppe mit Stufenwangen in den Vorgarten hinab. Die originalen Fenster mit Halbsäulen, kleinen Kapitellen und Basen an den Schlagleisten sind gut erhalten. Über dem Hochparterre läuft ein Keramik-Zierfries um das Haus. Auch das Vorgartengitter ist gut erhalten. Das Haus stellt ein Musterbeispiel für ein größeres Rohziegel-Landhaus aus der zweiten Friedenauer Bebauungsphase dar.

Topographie Friedenau, 2000

 

Im Jahr 1885 errichtete der Zimmermannsmeister Spieß für den Bauherrn Gustav Ferdinand Schreck, seines Zeichens beamteter Topograph der Königlich Preußischen Landesaufnahme beim Generalstab, das zweigeschossige Landhaus Albestraße Nr. 5. Nach der Fertigstellung des roten Sichtziegelbaus zogen Vater Schreck, Mutter Pauline geb. Michaelis und der am 6. September 1879 geborene Sohn Max von der Kaiserin-Augusta-Straße 75/76 in Tiergarten – zusammen mit Onkel und Großvater – in das Friedenauer Vier-Parteien-Haus. Von Vorgarten und Souterrain führt eine Treppe zur Veranda im Hochparterre, über dem im Obergeschoss ein Balkon angeordnet ist. 130 Jahre alt ist das Haus, es steht noch immer – eines der ältesten von Friedenau.

 

 

Das Umfeld war für den sechsjährigen Max Schreck günstig. Gleich gegenüber befand sich die Schule, anfangs mit nur einer, später mit drei und schließlich auch mit einer Gymnasial-Klasse. Der junge Mann wollte Schauspieler werden. Er absolvierte die Schauspielschule des Preußischen Staatstheaters und machte sich auf die theatralischen Wanderjahre durch die Provinz. Seine sorgfältig gestalteten Chargenrollen, scharf gezeichnete Typen, fanden bei den Theaterkritikern kaum Beachtung, weder in der Spielzeit 1917/18 bei Max Reinhardt (1873-1943) noch in den Jahren von 1922 bis 1930 am Staatstheater unter den Regisseuren Jürgen Fehling (1885-1968) und Leopold Jessner (1878-1945). Der Kritiker Alfred Kerr (1867-1948) begnügte sich mit dem (lang)bewährten Max Schreck und im Berliner Börsen-Courier war er für Herbert Ihering (1888-1977) einer, von dem etwas ausging, der Atmosphäre um sich hatte.

 

Max Schreck, der Nischenschauspieler, nahm, was man ihm anbot, überwiegend kleine Rollen, aus denen er immer wieder etwas machte. Genug war ihm das nicht. Als ihm aber Jessner eine stumme Rolle antrug, ist das Maß voll: Bei solcher Beschäftigung leidet mein künstlerischer Ruf. Ich bitte Sie höflichst, die Rolle anderweitig zu besetzen. Gleichzeitig möchte ich mir nochmals die höfliche Anfrage gestatten, ob mir ein Urlaub nach München nicht gewährt werden kann? Ich könnte dort wenigstens spielen – mich künstlerisch betätigen.

 

Die Kammerspiele München unter Direktor Otto Falckenberg (1873-1947) wurden seine künstlerische Heimat. Hier wurde er anerkannt und gefeiert, hier gehörte er zum Ensemble, zuerst von 1919 bis 1922 und dann wieder von 1930 bis zu seinem Tod. In seinen 35 Berufsjahren spielte Max Schreck viele Rollen, auf dem Theater und in mehr als 40 Filmen. Die Rolle seines Lebens aber übertrug ihm 1922 Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931): Graf Orlok in Nosferatu. Sein filmisches Gespür, seine technische Begabung und Schrecks eindringliche Darstellung des unheimlichen Vampirs machten die Symphonie des Grauens zu einem Meisterwerk. Schrecks Nosferatu hat das Genre Horrorfilm bis heute geprägt.

 

Mit seinem 2009 im Belleville Verlag München erschienenen Buch Max Schreck – Gespenstertheater hat Stefan Eickhoff Schauspieler und Mensch dem Vergessen entrissen. Schon mit dem ersten Satz seiner Einleitung geht Eickhoff beispielsweise auf die wichtige erzählende Funktion der ungewöhnlich hohen Anzahl der Murnauschen Zwischentitel ein: Das gespenstische Licht des Abends schien die Schatten des Schlosses wiederum zu beleben. Darauf folgt die für den Schauspieler Max Schreck vielleicht ergiebigste Szene:

 

Graf Orlok sitzt an einem Tisch über Pläne gebeugt. Er langt hastig nach vorn, greift sich ein Dokument, das etwas weiter von ihm liegt. Es ist, als greife er von der Leinwand in das Kino-Auditorium. Sein Gast Hutter steht neben ihm, bereit zu assistieren. Orlok durchsucht hektisch die auf dem Tisch ausgebreiteten Unterlagen nach einem Papier, das er nicht findet. Dann hält er inne, fragt Hutter. Als dieser darauf etwas aus seinem Ranzen zieht, fällt ein Amulett mit dem Bild seiner Frau Ellen auf den Tisch und direkt vor Orloks Nase. Der ist davon gebannt, achtet nicht mehr auf die Papiere, die ihm Hutter vorlegt und greift es sich. Er betrachtet das Bild der Frau auf dem Amulett, saugt sich förmlich daran fest. ‚Wer ist das?‘ scheint er Hutter zu fragen. Hutter sagt es ihm. ‚Einen schönen Hals hat eure Frau!‘ antwortet Orlok. Der ausgetrocknet wirkende Gastgeber ist jetzt in Nahaufnahme zu sehen. Er wendet sich zu Hutter und zeigt auf das Amulett. Die schmalen, zusammengezogenen Lippen geben ein Gitter spitzer Zähne frei. Mit einem dämonischen Lächeln gibt er das Amulett zurück und unterschreibt kurzentschlossen das Dokument, das ihm verspricht, der Frau auf dem Bild nahe zu sein. Hutter ist tief beunruhigt und beginnt die Papiere wieder in seinem Ranzen zu verstauen. Er unterbricht sein Tun noch einmal und blickt seinen bei aller übertriebenen Höflichkeit äußerst bedrohlich wirkenden Gastgeber erschrocken an. Orlok merkt es und sein Blick bleibt in einer Mischung aus Gefahr und eigener Erschrockenheit an Hutters haften. Diese Zuspitzung aus absoluter Triebhaftigkeit, einer seine Umgebung bannenden Zielstrebigkeit und Erlösungssehnsucht prägt Schrecks Gestaltung des Nosferatu. Schauspielerisch gratwandert er dabei zwischen artifiziellster Stilisierung und naturalistischem Umriss. Es ist denn auch mehr als eine clevere Maske, die die Wirkung Schrecks in dem Film ausmacht. Tatsächlich war er von allen Mitarbeitern des Films derjenige mit der meisten Berufserfahrung und bei der Darstellung unheimlicher Figuren bisher keineswegs auf Regisseure und Maskenbildner angewiesen ...

 

Unvergesslich der kahle Schädel, die riesigen Ohren, die gewaltigen Vorderzähne, die krallenartigen Fingernägel. Um Murnaus großartiges Werk wissen auch jene, die sonst keinen Stummfilm kennen. Der Film ist ein Geniestreich, er steht unangefochten für den Vampirfilm – bis heute. Die Presse sah das nach der Uraufführung im Jahre 1922 nicht anders. Für die Vossische Zeitung hatte Nosferatu eine spezifisch filmische Qualität, einen eigenen Film-Stil. Die Lichtbild-Bühne schrieb von einer Sensation, von einer Meisterleistung. Herausgehoben wurde immer wieder seine Rollengestaltung, die den bis dahin unbekannten Schauspieler in der öffentlichen Wahrnehmung mitunter mit der Film-Persona verschmelzen ließ.

 

Am 19. Februar 1936 steht Max Schreck zum letzten Mal auf der Bühne – eine kleine Rolle, wie so oft, der Großinquisitor in Schillers Don Carlos. Am nächsten Morgen, dem 20. Februar um halb neun Uhr, ist er nicht mehr. Drei Tage später nahm das Ensemble der Kammerspiele auf dem Münchner Ostfriedhof Abschied. Direktor Otto Falckenberg dankte ihm für seine Treue, denn Treue war es wohl, die dein Wesen am tiefsten kennzeichnete, Treue zu den Menschen und Treue zu deiner Kunst. Darum bewunderten wir dich, den Künstler, und darum liebten wir dich, den Menschen. Der Großdeutsche Verband der Feuerbestattungsvereine e. V. kümmerte sich um den Rest. Am 14. März 1936 wurde seine Asche in der 70x70 Zentimeter großen Urnengrabstelle der Mutter auf dem Friedenauer Friedhof in Güterfelde beigesetzt. Pauline Schreck, deren Ehemann Gustav am 17. Juni 1898 verstorben und auf dem Friedhof in der Stubenrauchstraße beigesetzt wurde, muss das Haus in der Albestraße Nr. 5 irgendwann verkauft haben. Später wohnte sie bis zu ihrem Tod am 9. Oktober 1934 in der Bennigsenstraße Nr. 26. Es kamen Weltkrieg, Mauerjahre und schließlich die Wiedervereinigung. Anfang der 1990er Jahre machte sich Stefan Eickhoff auf die Suche nach dem Grab. Längst war Gras darüber gewachsen. Friedhofsverwalter Erwin Mahlow rekonstruierte an Hand der Grabkarte Schreck die Lage im Gräberfeld U - UR 670. Der Förderkreis des Museums für Film und Fernsehen Berlin beauftragte den Steinmetzmeister Heinz-Otto Melior, eine Gedenkstele für Schrecks Grab zu schaffen. Die handgearbeitete Granitstele von 23x12x138 Zentimeter mit einer angeschliffenen Schriftfläche und der vertieften mit dunkler Farbe ausgelegten Inschrift wurde zum 75. Todestag von Max Schreck am 20. Februar 2011 enthüllt. Nun sind sie wieder beisammen: Der Meister Friedrich Wilhelm Murnau in einem monumentalen Ehrengrab des Landes Berlin auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof und sein Held, der Schauspieler Max Schreck, in einem bescheidenen Urnengrab gleich nebenan auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde. Ein Stück Filmgeschichte.

 

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Hundert Jahre NOSFERATU

Jürgen Kaube erinnerte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an die Uraufführung des Films Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau am 4. März 1922 im Marmorsaal des Berliner Zoologischen Gartens. Wir veröffentlichen den Beitrag im Original als PDF.

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Albestraße 6. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 6

Heinz Tovote (1864-1946)

 

Dieses Haus, so Alfred Bürkner bereits 1996, von dessen ursprünglichen Aussehen leider nicht viel geblieben ist, hatte 1888 der Architekt Max Nagel gebaut, Friedenaus genialer Baumeister für Backsteinbauten. Nichts davon ist heute mehr übrig. Zu besichtigen sind zwischen dem denkmalgeschützten Haus Albestraße Nr. 5 und dem teilweise verklinkerten dreigeschossigen Wohnhaus Nr. 7 derart ortsfremde Bauten, deren Dachgeschosse nachträglich zu Wohnungen ausgebaut wurden – durchweg mit Blech gedeckte Taubenschläge. Die Frage ist, was Bauamt und Untere Denkmalschutzbehörde von Schöneberg dazu bewegt hat, dafür eine Baugenehmigung zu erteilen. Mit rechten Dingen kann das nicht zugegangen sein.

 

 

 

 

 

Bauherr und Eigentümer des Grundstücks war 1888 der Baumeister Max Nagel, dessen Büro sich am Friedrich-Wilhelm-Platz Nr. 2 befand. 1895 verkaufte Nagel das Anwesen an den Redacteur W. Dust. Gelegen kam, dass mit einer neuen Bauordnung eine Verdichtung durch Häuser in zweiter Baureihe ermöglicht wurde. Dazu kamen ständig wechselnde Eigentümer: 1900 Bauunternehmer Ed. Haase (Treptow), 1902 Kaufmann C. von Losch, 1905 Baumeister Schwiertz. Nagels Backsteinbau war nicht mehr gewinnträchtig. Der architektonische Niedergang des Anwesens konnte nicht mehr aufgehalten werden.

 

Als Mieter der preiswerten Erdgeschosswohnung zog der Schriftsteller Heinz Tovote (1864-1940) ein. So plötzlich dieser in Friedenau auftauchte, so schnell war er auch wieder weg, mal Luther Straße Nr. 12, Gartenhaus (1894), Schöneberger Ufer Nr. 30 (1896-1900), Kaiser-Friedrich-Straße Nr. 7 (1901-1903), Salzburger Straße Nr. 14 (1915-1942). Dann verliert sich die Spur. Wieglers Literaturgeschichte ist zu entnehmen, dass Tovote das Gymnasium in Hannover besuchte, Philologie und Philosophie studierte, sich habilitierte und als freier Schriftsteller von der wilhelminischen Zeit bis in die zwanziger Jahre mit erotischen und trivialen Romanen und Erzählungen zum Erfolgsautor mit hohen Auflagen wurde. Das Projekt Gutenberg und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin warten mit den Digitalisaten Fallobst und Im Liebesrausch auf.

 

Albestraße 8. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 8

Ecke Handjerystraße Nr. 88

 

Der Verein zum guten Hirten wird 1899 von Agnes Neuhaus (1854-1944) gegründet und erwirbt wenig später das Anwesen als Christliche Zufluchtsstätte für gefährdete und verirrte Mädchen. Um 1930 konnten offensichtlich Grundstück und Haus Handjerystraße Nr. 88 von den Erben des Friedenauer Kommunalpolitikers Friedrich Bache (1841-1917) zusätzlich erworben werden, da 1931 im Adressbuch als Eigentümer Diakonissenhaus Friedenshort (Schlesien) eingetragen ist. Inzwischen gehören die Häuser Albestraße Nr. 8 und Handjerystraße Nr. 87-88 zur 1890 im oberschlesischen Schloss Miechowitz gegründeten Stiftung Diakonissenhaus Friedenshort, dem Stammsitz der Familie von Tiele-Winkler. Im Friedenauer Tiele-Winckler-Haus leben derzeit 18 Erwachsene mit geistigen und seelischen Behinderungen.

Albestraße 9. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 9

Ecke Handjerystraße Nr. 22

 

Das dreigeschossige freistehende Haus ist nach einem Entwurf von A. Müller 1887/88 für den Bauherrn Robert Thiele errichtet worden. Der Bau wurde mit der neuen Bauordnung von 1887 möglich. Es markiert den Übergang vom Landhaus für eine Familie zum Mietwohnhaus für acht Haushalte. Der Eingang zum Haus befindet sich im Bauwich zur Albestraße Nr. 10. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude ist mit einem Mansarddach gedeckt. Das Erdgeschoss zeigt Putzrustika, die beiden Obergeschosse sind mit roten Ziegeln verblendet. Zur Albestraße hin weist das Haus im Erdgeschoss eine kleine, offene, zweisäulige Loggia mit einem Altan im ersten Obergeschoss auf, zur Handjerystraße hin einen zweigeschossigen, zweiachsigen Erker mit einem Altan im zweiten Obergeschoss. Topographie Friedenau, 2000

 

Albestraße 10. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 10

 

Das Haus wurde 1890/91 errichtet. Eigentümer war der Stenograf Georg Richard Felix von Kunowski (1868-1942), der zusammen mit seinem Bruder Albrecht von Kunowski (1864-1933) als Erfinder der Nationalstenografie angesehen wird. 1898 wurde der Bund für Nationalstenographie unter dem Vorsitz von Albrecht von Kunowski begründet, dem sich allerdings nur ein Teil der Kurzschrift-Vereine anschloss, so dass die völlige Einigung der Kurzschriften nicht erreicht wurde. 1900 zog sich Felix von Kunowski infolge persönlicher Angriffe von Systemgegnern aus dem öffentlichen stenografischen Leben zurück, Albrecht von Kunowski Anfang der 1920er-Jahre aus gesundheitlichen Gründen.

 

Da uns die Streitigkeiten nicht geheuer waren, baten wir Regina Hofmann, die Präsidentin des Deutschen Stenografenbundes um Hilfe. Von ihr erfuhren wir, dass der schriftliche Nachlass Felix von Kunowskis der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden übergeben wurde. Wir hoffen daher, dass wir den Beitrag demnächst ergänzen können. Zum Haus selbst wäre noch mitzuteilen, dass dort acht Mietparteien wohnten. Von Kunowski verkauft das Anwesen 1922, bleibt aber bis 1933 als Mieter wohnen.

 

Albestraße 11. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 11

Paul Stückrath, Mechaniker

 

Das Haus hatte sich 1887/88 Bauherr Paul Stückrath errichten lassen. Als Mieter werden genannt Lehrerin Niedlich, Witwe Predigerin Niedlich sowie die Pensionärinnen Pfeiffer und Starcke. Am 1. Juli 1911 legt der Mechaniker Paul Stückrath sein Amt als Bezirkswaisenrat nieder, da er dieses seines Alters wegen nicht mehr ordnungsmäßig versehen kann. Am 28. Juli 1915 erscheint die Handelsgerichtliche Eintragung Nr. 32 644: Offene Handelsgesellschaft Paul Stückrath, in Berlin-Friedenau. Die Gesellschaft ist aufgelöst. Der bisherige Gesellschafter Lambert Lind ist alleiniger Inhaber. 1920 ist Lambert Lind Eigentümer von Albestraße Nr. 11. Nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich im Telefonbuch Berlin West von 1954 der Eintrag: Lambert Lind, Inhaber der Firma Paul Stückrath, Friedenau, Albestraße 11.

 

 

 

 

 

Der Kreis Teltow hatte den Journalisten Christoph Joseph Cremer mit einer Artikelserie über Das gewerbliche Leben im Kreis Teltow beauftragt. Das Buch, in dem über einige in Friedenau ansässige Firmen ausführlich und kompetent berichtet wird, erschien 1900. Wir veröffentlichen den Originaltext über die Firma des Mechanikers Paul Stückrath.

 

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Ein Bericht von Christoph Joseph Cremer aus dem Jahr 1900

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Friedrich und Voltaire in Sanssouci, Farbdruck nach Carl Röchling

Albestraße Nr. 12

Familie Hans Droysen

 

Die Geschichte der Familie beginnt mit dem Historiker Johann Gustav Droysen (1808-1884), der in erster Ehe (1836) mit Marie Mendheim (1820-1847) und in zweiter Ehe mit Emma Michaelis (1829-1881) verheiratet war. Aus dieser Ehe stammt Hans Droysen (1851-1918), Historiker und Gymnasialprofessor in Berlin.

 

Der Vater Johann Gustav war Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und 1848/49 Abgeordneter der Nationalversammlung. Er starb 1884 und wurde auf dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof bestattet. Das Grab war von 1958 bis 2015 als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet und ist noch erhalten.

 

Sohn Hans, Dr. phil., Historiker, Altphilologe, Gymnasiallehrer und Dozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität, heiratete 1880 Margarete Lührß (1856-1907), die Tochter des Komponisten Carl Lührß (1824-1882), und zog in den III. Stock der Lützowstraße Nr. 71. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Emma (1881-1945), Eva Helene (1884-1975), genannt Zoe, und Anna (geboren 1886). Im Jahr 1890 taucht Hans Droysen als Bauherr und Eigentümer des Anwesens Albestraße Nr. 12 auf.

 

In Friedenau beschäftigt sich Hans Droysen zusammen mit dem Direktor des Preußischen Geheimen Staatsarchivs Reinhold Koser (1852-1914) mit der Herausgabe des Briefwechsels Friedrichs des Grossen mit Voltaire. Zwischen 1909 und 1911 publizieren die beiden Historiker in 3 Bänden ein Dokument über Freundschaft, Querelen, Höhen und Tiefen einer Beziehung – der längst legendäre Briefwechsel zwischen dem preußischen König Friedrich II. und dem französischen Philosophen Voltaire. Schon damals wiesen Droysen und Koser daraufhin, dass nicht alle Briefe ausfindig gemacht werden konnten.

 

 

Einhundert Jahre später kam 2011 im Hanser Verlag mit Voltaire–Friedrich der Große einiges dazu – das schriftliche Monument einer das Abendland mitgestaltenden Regsamkeit und der unvergleichlichen, aber stets stilsicheren Haßliebe zwischen preußischem Herrscher und französischem Freigeist – in einer Neuübersetzung und von Hans Pleschinski mit Stil und Witz kommentiert.

 

Zwei Jahre vor dem Erscheinen des Briefwechsels stirbt Droysens Ehefrau Margarete 1907 mit 51 Jahren. Er folgt ihr am 4. September 1918. Aus der Todesanzeige geht hervor, dass Prof. Dr. phil. Hans Droysen, Oberlehrer a. D. nach schwerem Leiden im 68. Lebensjahre verstorben ist und auf dem Friedenauer Kirchhof (Südwestkorso) beerdigt wurde. Genannt werden die Hinterbliebenen Emma Droysen geb. Droysen, Zoe Droysen, Anna Veit geb. Droysen, Dr. phil. Otto Droysen, Leutnant d. Res. und Dr. med. Karl Eduard Veit, Stabsarzt d. Res.

 

Die Töchter erben das Anwesen in der Albestraße. Bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg wird das Haus 1943 teilweise zerstört. Eva Helene zieht mit ihrer Schwester Emma auf den Familienbesitz ihres Urgroßvaters ins niederschlesische Lüben. Vor Eintreffen der Roten Armee flüchten beide nach Erlangen, wo Emma wenige Tage nach der Ankunft 1945 verstirbt. Eva Helene Droysen zieht nach Ramsau bei Berchtesgaden und veröffentlicht unter dem Namen Zoe Droysen einige Bücher. Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek sind u. a. aufgeführt: Renate Cornelius (1948), Sidonie‘s Kellerbande (1949), Der Kantor zu St. Nikolai (1952), Wang im Riesengebirge (1956), Autofahren, das macht Spaß (1959). Sie stirbt am 20. September 1975 in Ramsau und wird im Grab ihrer Schwester Emma in Erlangen beigesetzt. Die Ruine in der Albestraße wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen. An dieser Stelle entstand später ein fünfgeschossiger Neubau.

 

Albestraße 13-14. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 13-14

Heinrich Schlusnus (1888-1952)

 

Die Grundstücke Albestraße Nr. 13 bis Nr. 18 werden im Adressbuch erstmal 1893 als Baustellen erwähnt. Eigentümer von Nr. 13 & Nr. 14 waren u. a. die Lehrer Bogt und Heintzel, bis es 1902 an den Zimmermeister Christian Winternagel ging. Er errichtete das Haus offensichtlich für den Rentier C. W. Neumann aus Schöneberg. 1903 konnten Vorderhaus, Seitenflügel und Gartenhaus von 16 Haushalten bezogen werden. Von 1906 bis 1923 war das Anwesen im Besitz von Rentier R. Moritz. 1925 wird Eigentümerin T. Hubele (Ausland) und 1928 Desser (Charlottenburg) & T. Hubele (Ausland) aufgeführt. 1931 ging der Besitz an die Kaufleute B. & R. Noack (Hennickendorf), die 1936 an den Opern- und Konzertsänger Heinrich Schlusnus verkauften.

 

 

 

 

 

Schlusnus (1888-1952) hatte im Dritten Reich alles erreicht. Er durfte 1935 auf der Hochzeit von Hermann und Emmy Göring singen, 1936 Wahlreklame für Adolf Hitler machen, 1938 die Ernennung zum Reichskultursenator entgegennehmen und 1944 den Eintrag in Goebbels Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Künstler feiern. Es ging dem Opern- und Konzertsänger Heinrich Schlusnus nicht schlecht. Der Erwerb von Albestraße Nr. 13-14 war eine Kapitalanlage. Gewohnt hat er in der Villa Katharinenstraße Nr. 25 in Zehlendorf.

 

Die Lebensgeschichte von Schlusnus ist kurios. Nach der Mittleren Reife begann er eine Lehre im kaiserlichen Postdienst. Am 29. April 1906 empfing die Oberpostdirektion in Koblenz ein Telegramm: Der hiesige Postgehilfe Schlusnus ist seit heute früh gegen 6 Uhr spurlos verschwunden, die Familie habe mitgeteilt, sie habe einen Brief bekommen, in dem er mitteilte, er habe an der Post keine Freude mehr, er würde in die Welt hineingehen. Schlusnus kehrte zurück, ging wieder zur Post, zog nach Frankfurt und nahm Gesangsunterricht. 1912 gab er sein erstes Konzert. 1915 debütierte er in Hamburg als Bariton in der Rolle des Heerrufers in Lohengrin.

 

Bevor er den Schritt nach Berlin wagte, begab er sich in die Hände des Gesangspädagogen Louis Bachner (1886-1945) an der Hochschule für Musik in Berlin. Bachner bemerkte, dass Schlusnus‘ jugendlicher Instinkt für den freien und ungekünstelten Naturgesang in der Frankfurter Lehrzeit durch das damals beliebte Decken verschüttet worden war. Nun schälte sich das gültige Timbre heraus. Die Stimme erhielt eine mühelose und strahlende Höhe. So konnte Schlusnus einfach singen, wie man spricht, natürlich und deutlich. Kritiker bemängelten allerdings, dass die Schlusnus-Stimme nach der Umschulung ein wenig bieder, gesetzt, gemessen und deutsch geworden ist, Esprit und Draufgängertum fehlten. Für Schlusnus aber hat Bachner mir die Freiheit der Stimme gegeben, meine Stimmtechnik und das Verständnis für das richtige Singen. Was ich bin, verdanke ich ihm. Nicht nur das. Er lernte Bachners Ehefrau kennen, die Sopranistin Annemarie Bachner geb. Kuhl (1904-1990). Das Sängerpaar heiratete am 31. Juli 1933 in Bayreuth. Am 19. August 1933 gab er bei den Bühnenfestspielen den Amfortas im Parsifal – eine Wiederaufnahme der noch von Richard Wagner inszenierten Uraufführung aus dem Jahre 1882 – nun unter der Orchesterleitung von  Richard Strauss.

 

Heinrich Schlusnus, Mitglied der Berliner Staatsoper von 1917 bis 1944, war ein weltweit angesehener Sänger mit Auftritten in Chicago, New York und Südafrika. Seine bekanntesten Partien waren der Wolfram in Tannhäuser, die Titelrolle im Rigoletto und Giorgio Germont in La traviata. 1945 stand Schlusnus zunächst auf der Schwarzen Liste der US-amerikanischen Militärregierung. 1947 wurde er von der Spruchkammer in Frankfurt am Main als nicht betroffen entnazifiziert.

Albestraße 15. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 15

Heinrich Cunow (1862-1936)

 

Seit Mai 2021 erinnert am Münchner Königsplatz ein Denkmal an die Bücherverbrennung von 1933. Auf einer runden Scheibe aus hellem Beton wurden in einer Spirale 10.000 Buchstaben ohne Punkt und Komma angeordnet. Es sind die Buchtitel von 310 im Nationalsozialismus geächteten Autoren, darunter die Allgemeine Wirtschaftsgeschichte von Heinrich Cunow aus dem Jahr 1931.

 

Heinrich Cunow war 1919 zum Universitätsprofessor und Museumsdirektor ernannt worden. Plötzlich wurde der während des Kaiserreichs vom Friedenauer Lokal-Anzeiger gar nicht erwähnte Schriftsteller und Sozialdemokrat auch für das Blatt interessant.

 

 

 

 

 

 

Am 4. Mai 1920 wurde den Lesern mitgeteilt, dass im Museum für Völkerkunde infolge der Berufung von Prof. Heinrich Cunow (Friedenau) neben den bisherigen regional gegliederten Abteilungen eine eigene entwicklungsgeschichtliche Abteilung und ein ethnologisches Forschungs- und Lehrinstitut errichtet worden ist. Beide leitet Cunow, ebenso die südamerikanische Abteilung, von der eine südamerikanische Studiensammlung abgetrennt wurde.

 

Heinrich Cunow war 1912 nach Friedenau in eine große 5-Zimmer-Wohnung in die Albestraße Nr. 15 gezogen. Das viergeschossige Mietswohnhaus mit einem Seitenflügel (Gartenhaus) war um 1903 errichtet worden. Schon in den Adressbüchern wird sein Werdegang umrissen: Schriftsteller, Redakteur, Herausgeber, Universitätsprofessor, Museumsdirektor. Unter den veröffentlichten Biographien scheinen uns die Ausführungen der Historikerin Helga Grebing (1930-2017) am ehesten geeignet, Heinrich Cunow vorzustellen:

 

Cunow, in ärmlichen Verhältnissen aufwachsend, besuchte zuerst die Armenschule, später die höhere Bürgerschule und ging nach Abschluss einer kaufmännischen Lehre als Buchhalter nach Hamburg. Hier schloss er sich der Sozialdemokratie an und wurde wirtschaftspolitischer Mitarbeiter des ‚Hamburger Echo‘ und gelegentlicher Leitartikler des ‚Vorwärts‘. Obwohl durch diese Tätigkeit mit der Tagespolitik vertraut, galt doch von Anfang an der wesentlichste Teil seiner schriftstellerischen Arbeit der marxistischen Theorie und der völkerkundlichen Forschung. Die wissenschaftlichen Methoden von Marx und Engels übernehmend, hat er in seinen ethnologischen Arbeiten die marxistische Theorie über die Anfänge von Marx und vor allem Engels auf diesem Gebiet weit hinausgeführt. Alle seine Veröffentlichungen aber sind von dem Bemühen gekennzeichnet, mit einer gemeinverständlichen Sprache nicht für die Wissenschaft, sondern ‚für den Politiker und für den intelligenten Arbeiter‘ zu schreiben.

 

1898 holte ihn Karl Kautsky als Mitarbeiter für die ‚Neue Zeit‘, der theoretischen Wochenschrift der Sozialdemokratie, nach Berlin. Nach dem Tode Liebknechts wurde er 1902 auch in die ‚Vorwärts‘-Redaktion berufen. Ab 1907 wirkte er auch neben Franz Mehring, Rudolf Hilferding und Rosa Luxemburg als Lehrer an der sozialdemokratischen Parteischule in Berlin.

 

Während des Krieges ging er von der äußersten Linken zur äußersten Rechten der Sozialdemokratie über. Er blieb zwar Marxist, erkannte aber, daß entgegen Marx die Geschichte immer die Ideologie korrigiert, und wandte sich deshalb gegen den einseitigen Klassenstandpunkt. Für ihn waren Gesellschaft, Nation und Staat der Klasse gleichgeordnete sozialgeschichtliche Realitäten. So wurde er 1917 nach der Entlassung Kautskys selbst Herausgeber der ‚Neuen Zeit‘ bis zu ihrem finanziellen Zusammenbruch durch die Inflation. Sein politisches Zwischenspiel als Abgeordneter der SPD in der Deutschen Nationalversammlung Weimar (1919/20) und des ersten Preußischen Landtags nach dem Krieg (1921/24) hat kaum eine große Bedeutung gehabt.

 

1930, inzwischen 68, musste Cunow wegen Krankheit seine Vorlesungen an der Universität einstellen. 1933 kassierten die Nationalsozialisten seine Pensionsbezüge und verbrannten seine Bücher. Am 20. August 1936 starb Heinrich Cunow in Berlin, verarmt und vergessen, wie geschrieben wird. Es muss nicht dabei bleiben. Das Völkerkundemuseum, das sich nun Ethnologisches Museum nennt und im Humboldt-Forum residiert, könnte sich konkret mit dem Ethnologen Heinrich Cunow beschäftigen. Seine 1894 erschienene Schrift Die Verwandtschaftsorganisation der Australneger bietet Gelegenheit, dem überkommenen Begriff Australneger für die indigene Bevölkerung Australiens zu begegnen und damit auch nicht Gefahr zu laufen, einer institutionellen Nabelschau zu erliegen.

 

Andreas Platthaus, Lyonel Feininger - Porträt eines Lebens. Rowohlt Berlin, Juni 2021

Albestraße Nr. 16

Lyonel Feininger (1871-1956)

 

Lyonel Feininger kommt 1887 nach Deutschland. Der 16-Jährige besucht die Zeichen- und Malklasse der Gewerbeschule in Hamburg, wechselt 1888 an die Königliche Akademie der Künste in Berlin und trägt sich 1892 für die Aktklasse der Académie von Filippo Colarossi in Paris ein. 1893 kehrt er nach Berlin zurück. Er lernt den Karikaturisten Johann Bahr (1859-1929) kennen, dessen Bildgeschichten in der Satire-Zeitschrift Fliegende Blätter erscheinen. Bahr, der in der Friedenauer Handjerystraße Nr. 75 wohnt, brachte gelegentlich Zeichnungen von mir zu der Redaktion, und wie stolz und glücklich machte es mich, wenn er mir mitteilen konnte, diese oder jene Karikatur ‚hatte gefallen‘ und ‚wurde akzeptiert‘, worauf er 3 Mark als mein Honorar auf den Tisch legte.

 

1894 erhält Feininger seine ersten Aufträge vom ULK, einer Beilage des liberalen Berliner Tageblatt aus dem Verlag von Rudolf Mosse. Das humoristische Magazin hatte sich seine Reputation mit politischer Bildsatire erworben. Mit Parodien über die wilhelminische Gesellschaft arbeitet sich Lyonel Feininger zu einem der gefragtesten Karikaturisten von Berlin hoch.

 

 

1897 zieht er nach Friedenau in das dreigeschossige Mietshaus in die Albestraße Nr. 16, das der Baumeister Hermann Pählchen 1893/94 errichtet hatte und den Ziegeleibesitzern Gericke & Kindel aus Brandenburg an der Havel gehört. Im Januar 1901 heiratet er die Pianistin Clara Fürst (1879-1944), Tochter des jüdischen Dekorationsmalers Gustav Fürst, im Dezember wird Tochter Leonore geboren, im Jahr darauf mit Marianne das zweite Kind.

 

 

Es kommt es zu einem Vertrag mit The Chicago Sunday Tribune für zwei Comics: The Kin-der-Kids und Wee Willie Winkie's World. Am 29. April 1906 erscheint unter der Ankündigung FEININGER. THE FAMOUS GERMAN ARTIST EXHIBITING THE CHARACTERS HE WILL CREATE mit Kin-der-Kids die erste Folge, am 26. August 1906 Wee Willie Winkie’s World – die Klassiker des Genres.

 

 

Im Frühjahr 1905 verliebt sich Lyonel Feininger an der Ostsee in die verheiratete Kunststudentin Julia Berg geb. Lilienfeld (1881-1970). Nach dem Urlaub trennen sich beide von ihren Ehepartnern und ziehen in eine gemeinsame Wohnung in Berlin. Feiningers Töchter bleiben bei Mutter Clara. Julia setzt ihr Studium an der Kunstschule in Weimar fort. 1906 kommt Sohn Andreas (1906-1999) zur Welt. 1908 wird geheiratet. Sie ziehen in die Königstraße Nr. 32 in Zehlendorf, wo Laurence (1909-1976) und Theodore Lux (1910-2011) geboren werden.

 

Ehefrau Julia ermutigt Feininger, den Karikaturisten aufzugeben und sich der Malerei zuzuwenden. 1911 mietet er in der Potsdamer Straße Nr. 29 in Zehlendorf ein Atelier. Mit dem Fahrrad erkundet er die Gegend, immer wieder die Ackerbürgerstadt Teltow mit der aus den Bauernhäusern aufragenden Andreaskirche. Das Gotteshaus war 1801 abgebrannt und erst 1810/12 unter Beteiligung von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) mit neogotischen und klassizistischen Vorgaben wieder errichtet worden.

 

Am 20. Oktober 1910 entsteht die Bleistiftzeichnung Teltow als sogenannte Naturnotiz – jene für ihn typischen Skizzen, aus denen er später mehr machen konnte. Sie sind ein umfangreiches und aufschlussreiches Kompendium, aus dem sich Ort und Entstehung seiner Gemälde von Brandenburg über Thüringen und Pommern nachvollziehen lässt. So konnte Peter Jaeckel, Vorsitzender des Heimatvereins Teltow, Feiningers Position bei seinen Skizzen ermitteln: Er stand mit Sicherheit auf einer Leiter, möglicherweise sogar auf einem Dach in der Ritterstraße, gleich neben dem Pfarrhaus. Da hatte er seine beste Sicht auf den schlanken Turm.

 

1912 kommt er wieder nach Teltow, zeichnet Häuser in Teltow und schafft im Atelier ein Gemälde, das er 1913 beim Ersten Deutschen Herbstsalon der Galerie von Herwarth Walden in Berlin unter dem Titel Kirche ausstellt. Das Bild erwirbt der Pariser Modeschöpfer Paul Poiret. Es ist seit 1944 verschollen. Erhalten ist nur die schwarz-weiße Abbildung aus dem Katalog des Herbstsalons. Im April 1914 folgt die Radierung Teltow 1 und am 19. November 1914 die Kohlezeichnung Teltow IIII.

 

1918 entsteht im Zehlendorfer Atelier im Suchen nach einer einheitlichen Monumentalität die nächste Version: Das 100 x 125 cm große Ölgemälde auf Leinwand Teltow II: Unter einem grünlichen Himmel wächst aus dem Auf und Ab rotbrauner Hausdächer der Kirchturm heraus, dem kühles Blau zugewiesen wird. Das Aufstreben des Turms wird durch eine Reihung aufsteigender Dreiecksformen verstärkt. Den Kontrapunkt bilden die abwärtsführenden Dreiecke eines dunklen Baums direkt daneben – von der Kunstkritik als ein Hauptwerk des kristallinisch-prismatischen Stils gefeiert. Schon 1911 aber schreibt er an Julia, neulich träumte ich, ich sei ein ‚Kubist‘ und habe lauter Vierecke schräg von oben nach unten abschattieren müssen. Eine spürbare Distanz zu den Kubisten, denn bei Feininger bleibt das Motiv erkennbar und bestimmend. Fern von der Natur gleicht er später im Atelier die Abstraktion mit Farbe und Schatten aus – das Kunstwerk.

 

 

Das Gemälde Teltow II wurde 1921 von der Nationalgalerie Berlin erworben und in der Neuen Abteilung der Nationalgalerie Berlin im Kronprinzenpalais Unter den Linden ausgestellt. Zwei Monate nach der Olympiade wurde die Galerie am 30. Oktober 1936 geschlossen. Bereits am 30. Juni 1937 hatte Goebbels per Erlass Reichskunstkammerpräsident Adolf Ziegler ermächtigt, die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei und der Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen.

 

 

Feininger jedoch war amerikanischer Bürger, der seine Staatsbürgerschaft behalten hatte, und sich daher schon im Ersten Weltkrieg als Angehöriger eines Feindstaates jeden Tag bei der deutschen Polizei zu melden hatte: Während dieser letzten drei Kriegsjahre bin ich durch die Einschränkung meiner Freiheit manchmal fast verrückt geworden. Nicht zu können, wenn und wann ich wollte ... dies, verbunden mit vielen anderen Hindernissen, hat meine Kräfte gehemmt (Brief an seine Frau Julia vom 8. August 1917).

 

Am 19. Juli 1937 wird in München die Ausstellung Entartete Kunst eröffnet. Unter dem Titel So schauten kranke Geister die Natur werden acht Gemälde, ein Aquarell und dreizehn Holzschnitte von Lyonel Feininger präsentiert:

 

Scheunenstraße, 1914. Erworben vom Folkwang Museum Essen. NS-Inventar-Nr. 16083

Vollersroda III, 1916. Erworben 1928 vom Städtischen Museum für Kunst- und Kunstgewerbe Moritzburg Halle. NS-Inventar-Nr. 16087

Zirchow VI, 1916. Erworben 1928 vom Städtischen Museum für Kunst- und Kunstgewerbe Moritzburg Halle.  NS-Inventar-Nr. 16081

Gelmeroda III, 1927. Erworben vom Stadtmuseum Dresden. NS-Inventar-Nr. 16082

Der Geiger, 1918. Erworben vom Museum Folkwang Essen. NS-Inventar-Nr. 16430

Hopfgarten, 1920. Erworben vom Museum der bildenden Künste Leipzig. NS-Inventar-Nr. 15980

Marienkirche mit dem Pfeil, Halle, 1930. Erworben 1931 vom Städtischen Museum für Kunst- und Kunstgewerbe Moritzburg Halle.  NS-Inventar-Nr. 16086

Der Turm über der Stadt, Halle, 1931. Erworben 1931 vom Städtischen Museum für Kunst- und Kunstgewerbe Moritzburg Halle. NS-Inventar-Nr. 16086

Benz, 1919. Holzschnitt. Erworben vom Kupferstichkabinett Berlin. NS-Inventar-Nr. 16404

Zwölf Holzschnitte von Lyonel Feininger. Mappe, 1921. Erworben vom Schlesischen Museum der bildenden Kunst Breslau. NS-Inventar-Nr. 16273

Teltow II, 1918. Erworben 1921 von der Nationalgalerie Berlin. NS-Inventar-Nr. 16084

 

Am 12. November 1941 gibt das Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda die Sammlung Entartete Kunst an das Reichspropagandaministerium zurück. Das Gemälde Teltow II wird dem Kunsthändler Bernhard A. Böhmer in Güstrow übergeben, der für die devisenbringende Verwertung der entarteten Kunst im Ausland zuständig ist. Vor dem Einrücken der Roten Armee wählt er den Freitod. Bevor die Erbin Wilma Zelk in Rostock über den Nachlass verfügen kann, sorgt die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung der SBZ für die Sicherstellung und 1947 für die Übergabe der geraubten Kunstwerke an das Museum der Stadt Rostock. Teltow II wird 1949 an die Nationalgalerie in Ost-Berlin zurückgegeben. Nicht zu verstehen ist allerdings, dass das Rostocker Museum laut Bestandsübersicht vom Juni 2020 weiter über eine Sammlung Bernard A. Böhmer mit sieben Holzschnitten und einer Radierung aus den Jahren von 1910 bis 1931 verfügt, die noch nicht an die bekannten Herkunftsmuseen in Erfurt, Hamburg, Hannover, Kaiserslautern, Weimar und Wiesbaden zurückgegeben wurden.

 

Lyonel Feiniger mit Fahrrad, 1894

Nachtrag

 

Lyonel und Julia Feininger verlassen Deutschland am 11. Juni 1937. Zuvor bringen sie 64 Gemälde und 1000 Arbeiten auf Papier bei Hermann Klumpp in Quedlinburg unter, der die Feiningers nach dem Krieg um klare Regelungen bittet. Am 6. August 1948 schreibt Julia Feininger: „Auf keinen Fall würden wir alle Bilder haben wollen. Jedenfalls lege ich hier die Liste der Bilder bei, die eventuell für uns zurückzuhaben, in Frage kämen." Randanmerkung: „Du siehst, wie wenige es sind.“ (Anlage: Liste mit 8 Ölbildern).

 

Lyonel Feininger stirbt 1956 in New York, Julia 1970. Nach ihrem Tod fordern Feiningers Söhne die Rückgabe. Die Bilder werden beschlagnahmt und von Quedlinburg in das Depot der Nationalgalerie in Ost-Berlin gebracht. Es kommt zu einem komplizierten Rechtsstreit zwischen den amerikanischen Anwälten der Kinder und den Behörden der DDR, die u. a. darauf hinweisen, dass sich in den USA zwei Bilder von Albrecht Dürer befinden, die von einem US-Soldaten aus dem Schloss in Weimar „gestohlen“ waren und den Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar gehören.

 

Als der Fall 1982 entschieden war und die Bilder wieder in Weimar waren, präsentierte die DDR für vierzehn Jahre Lagerung, Versicherung und Restaurierung eine Rechnung von fast einer Million Dollar. So kam es, dass die Feininger-Bilder Karneval (1908), Dämmerdorf (1909) und Stillleben mit Pinseln (1915) als Schuldbegleichung und Geschenk der Erben Feiningers 1984 an die Nationalgalerie Berlin gingen. Alle übrigen Gemälde gingen an die rechtmäßigen Eigentümer zurück.

 

 

 

Zehn Gemälde sowie die Arbeiten auf Papier verblieben im Besitz von Hermann Klumpp, der diese zur Gründung der Lyonel-Feininger-Galerie Quedlinburg zur Verfügung stellte. Weitere Feininger-Konvolute befinden sich heute in der Kunstsammlung Chemnitz (Sammlung Harald Löbermann) sowie im Kunstmuseum Moritzburg Halle. Den größten Teil des Nachlasses und damit die umfangreichste Sammlung von Feiningers Arbeiten verwahrt das Harvard Art Museum Cambridge.

 

In Lyonel Feininger – Porträt eines Lebens, erschienen im Mai 2021 bei Rowohlt, schreibt Andreas Platthaus: Seit seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten hatte es keine nachweisbaren Bemühungen seitens Lyonel Feiningers gegeben, die Ausreise seiner in Berlin zurückgebliebenen Angehörigen zu erreichen oder auch nur anzuregen.

 

Feiningers erste Ehefrau Clara bleibt während der NS-Zeit in Deutschland. Sie wird am 10. Januar 1944 als jüdischer Mischling nach Theresienstadt deportiert und am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz gebracht. Hier endet ihre Geschichte. Die Töchter Eleonore und Marianne überlebten. Sie waren nach Kriegsende auf Hilfspakte des Vaters aus Amerika angewiesen.

 

 

Albestraße Nr. 17

 

Das viergeschossige Mietwohnhaus mit Souterrain wurde 1894 von Maurermeister & Architekt Emil Rösler errichtet und 1895 an Direktor Dr. phil. G. Walcker verkauft. Das Haus hat diverse Eigentümer erlebt, Prof. A. Schultz-Canitz (1921), Kaufmann Hemroth Hamburg (1925), Garantia GmbH Berlin (1928), R. Zucker Berlin (1931), Scholz Wilhelmsburg (1943) – und die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg überlebt. Nichtsdestotrotz blieb ihm in den Nachkriegsjahren die Entstuckung nicht erspart. Abgeschlagen wurde das Dekor der Fassade aus der Gründerzeit. Gesimse, Fenstergiebel, Rosetten, Figuren und anderer Zierrat wurden entfernt, begründet vielfach mit dem Argument Sicherheitsrisiko, da immer wieder Fassadenteile herunter fielen und die in Westdeutschland lebenden Eigentümer kein Geld für die Restaurierung ausgeben wollten. Erhalten wurden wenigstens die Balkongitter. Als lächerliche Feigenblätter wurden an der Treppenhausfassade zwei Stuckelemente angeklebt.

 

Wer wissen möchte, wie die Fassade von Albestraße Nr. 17 einst ausgesehen haben könnte, gönne sich einen Blick auf das Haus Hähnelstraße Nr. 1 Ecke Lauterstraße Nr. 37, welches etwa zeitgleich nach Plänen des Architekten Emil Rösler entstanden ist.

 

Albestraße Nr. 19. Foto Hahn & Stich

Albestraße Nr. 19

Kunstbauschlosser Heinrich Klemme

 

Der Friedenauer Lokal-Anzeiger meldete am 31. Juli 1905: Aus Lindow in der Mark kommt uns die Trauernachricht zu, dass unser Mitbürger Karl Klemme, der dort im Sommeraufenthalte weilte, beim Baden ertrunken ist. Die Leiche konnte noch nicht geborgen werden. Herr Klemme zählt zu den ältesten Einwohnern Friedenaus und erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Die Leiche wurde bald gefunden: Am Nachmittag des 3. August 1905 fand 4 Uhr auf dem hiesigen Friedhofe die Beerdigung des in weiten Kreisen bekannten Herrn Karl Klemme statt. Was in im Ruppiner Land vorgefallen war, lässt sich der öffentlichen Belobigung des Regierungspräsidenten vom 8. Oktober 1905 entnehmen: Der städtische Lehrer Rudolf Matthiae aus Berlin, Müllerstraße 135 und die dreizehn Jahre alte Schülerin Charlotte Wedemeyer aus Lindow haben am 30. Juli d. J. die neun und elf Jahre alten Söhne Karl (geb. 1896) und Georg (geb. 1894) des Hausbesitzers Klemme aus Friedenau, welche im Wutzsee bei Lindow badeten, von dem Tode des Ertrinkens gerettet.

 

Der Name Klemme taucht in Friedenau 1885 erstmals unter Rheinstraße Nr. 40 auf. Ein Jahr später ist er Eigentümer des Anwesens Schmargendorfer Straße Nr. 25. Dort erweitert der Kunst- und Bauschlosser sein Angebot: Gitter & Ornamente, Geldschränke & Gas- und Wasseranlagen. 1892/93 entsteht nach einem Entwurf von Baumeister James Ruhemann ein Neubau in der Albestraße Nr. 19: Das siebenachsige, viergeschossige Mietshaus steht im Knick der Bauflucht. Die neobarocke Fassade wird durch einen Standerker asymmetrisch gegliedert, in dem das von Säulen flankierte, tiefe Eingangsportal angeordnet ist, das von einem aufgebrochenen Giebel, in dem eine Vase steht, bekrönt wird. Das Erdgeschoss des Hauses ist verputzt und mit schweren Bossenquadern rustiziert, die Obergeschosse sind mit gelben Ziegeln verkleidet und die Fenster und Türen mit weißen Putzfaschen versehen. Die Fassade zeigt im Osten Loggien, im Westen Balkons. (Topographie Friedenau, 2000)

 

Nach dem Tod von Karl Klemme führt Witwe Anna geb. Heinrich die Geschäfte der Klemme’schen Fabrik fort – offensichtlich bis 1909. Da heißt es Rentiere. Bis mindestens 1943 bleibt sie Eigentümerin des Hauses Albestraße Nr. 19. Das Ladengeschäft links vom Hauseigang wird immer wieder an Handwerker vermietet: Stuckateure, Plätterei, Klempner, Schneider. Nachdem der Glaser und Bilderrahmenbauer Hans-Jürgen Arnsmann 1967 seinen Meisterbrief gemacht hatte, übernahm er 1979 den Eckladen. Da die Glaserei mehr und mehr zum Nebengeschäft wurde, konzentrierte er sich auf die Anfertigung von Bilderrahmen und wurde zu einer Friedenauer Institution. Damit soll jetzt Schluss sein. Nach einem Bericht des Tagesspiegel vom 30. Mai 2018 hat das Haus einen neuen Eigentümer, so eine Firma vom Ku’damm. Arnsmann soll seine Werkstatt für Bilderrahmung und Glasreparaturen räumen. Das Haus wird luxussaniert. Einige Mieter sind bereits ausgezogen. Im Mai 2018 wurden erste Angebote offeriert: 787.000 EUR für 143 m² oder 436.000 EUR für 97 m².

 

Verständlich, dass sich der inzwischen 80-jährige Hans-Jürgen Arnsmann nicht gegen die Verdrängung wehren möchte. Die sitzen am längeren Hebel. Die Zeiten, als er bei gutem Wetter einen Arbeitstisch vor seine Werkstatt stellte und unter freiem Himmel sägte und schneidete, sind vorbei.

 

PS

Nicht ganz, denn am 12. September 2022 erreichte uns ein Leserbrief, aus dem wir erfuhren, dass die Werkstatt für Bilderrahmung und Glasreparaturen in der Albestraße Nr. 19 weiterhin existiert – da  der Unternehmer Hamid Djadda über seine Stiftung Ohde die Gewerbefläche gekauft und Hans-Jürgen Arnsmann somit eine bezahlbare Miete auf Lebenszeit garantiert hat. Das ist doch eine gute Nachricht.

 

Albestraße Nr. 20. Foto Hahn & Stich

Albestraße Nr. 20

1893

Entwurf Baugewerksmeister James Ruhemann

Bauherr Schlossermeister R. Sotscheck

 

Das Mietwohnhaus ist ein symmetrisch aufgebautes, viergeschossiges, siebenachsiges Gebäude. Beiderseits der Mittelachse befindet sich je ein Erkervorbau mit Loggien. Das Eingangsportal in der Mittelachse wird von flankierenden Säulen mit einem aufgebrochenen Volutengiebel und einer Kartusche mit Frauenkopf gebildet. Auch dieses Haus ist im Erdgeschoß mit einer schweren Bossen-Rustika in Putz und einer Klinkerverkleidung in den Obergeschossen versehen. Die Fenster und Türen zeigen Putzfaschen. Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

Paul Wächter, Optische Werkstätte, Albestraße

Albestraße Nr. 21

Paul Wächter (1846-1893)

Optische Werkstatt

 

Paul Wächter wurde bei Zeiss in Jena zum Optiker und Mechaniker ausgebildet. 1872 gründete er die Optische Werkstätte Paul Wächter in der Köpenicker Straße Nr. 115 in Berlin. 1890/91 verlegte er die Produktion in die Albestraße Nr. 21. In den folgenden Jahren hatte die Firma mit etwa 10 bis 12 Gehilfen maßgeblichen Anteil an der Bedeutung Friedenaus als Standort der optischen Industrie. Sie fertigte Mikroskope, mikroskopische Hilfsapparate und photographische Objektive an. Nach dem Tode Wächters wurde das Unternehmen zunächst von seinen langjährigen Meistern Puchler und Prasser geleitet. Später wurde die Werkstatt von Pridat, Ernst und Co in Potsdam übernommen.

 

Zu den Spezialitäten der Optischen Werkstätten Paul Waechter Friedenau gehörte das um 1885 entwickelte Trichinenmikroskop für die Fleischbeschau.

 

 

 

In der Bedienungsanleitung heißt es: Die zu untersuchenden Fleischstückchen werden auf die viergeteilten Kompressorien (Segment 1 bis 4) aufgebracht und durch Anziehen der geschwärzten Rändelschraube zwischen den beiden Glasplatten gequetscht. Die Kompressorien werden durch das Rändelrad an der rechten Seite unterhalb des Tisches positioniert, wobei man zunächst eine Position am Rand wählt und anschließend die Scheibe für eine Umdrehung bis zur spürbaren Rastung dreht. Im nächsten Schritt wird die Scheibe durch das Rändelrad gen Zentrum bewegt (ebenfalls gerastet) und die zweite Drehung um 360 durchgeführt. Dies wird so lange wiederholt, bis die Platten komplett abgescannt sind. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die Proben bestmöglich untersucht werden.

 

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Paul Wächter, Optische Werkstätten Friedenau, Albestraße 21. Von Christoph Joseph Cremer, 1900

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Albestraße 22. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 22

 

Das Grundstück Albestraße Nr. 22 besteht aus dem der Straße zugewandten viergeschossigen Haupthaus und einem ebenso großen Quergebäude, dem Hinterhaus. Bevor während des Zweiten Weltkriegs eine Bombe für eine teilweise Zerstörung sorgte, waren 1943 etwa 25 Mietparteien verzeichnet. Eigentümer war der Kaufmann M. Stein (Budapest. Als Verwalter fungierte die Märkische Terrain G. Enders & Co. (W8, Charlottenstraße 50).

 

Legt man die Aufnahme vom zerstörten Haus Albestraße Nr. 22, die Herwarth Staudt am 26. März 1952 machte, neben die im Jahr 2022 entstandenen Fotos der Häuser Albestraße Nr. 19 und Nr. 20, so kommt man beim Anblick der Fassaden auf den Gedanken, dass diese drei Häuser vermutlich nach Entwürfen des Architekten James Ruhemann (1865-1931) in den Jahren 1892/93 errichtet wurden.

 

 

 

 

Nun war der Dachstuhl weg und die Wohnungen im vierten Geschoss wahrscheinlich nicht mehr zu nutzen. Erhalten blieben die Balkons und der reichliche Stuck an der Fassade. Ins Erdgeschoss war 1952 das Leihhaus von Edmund Slama eingezogen. Wenig später begann die Entstuckung, das Abschlagen des Dekors von den Fassaden der Gründerzeithäuser. Gesimse, Fenstergiebel, Rosetten, Figuren und anderer Zierrat wurden entfernt, begründet vielfach mit dem Argument Sicherheitsrisiko, da immer wieder Fassadenteile herunter fielen und den Eigentümern in der Nachkriegszeit die finanziellen Mittel für eine Restaurierung fehlten. Eine gehörige Portion Bilderstürmerei war dabei, denn die Häuser sollten mit verklärtem Blick auf den sachlichen Bauhaus-Stil als städtebauliche Verbesserung angesehen werden. Mit der Entstuckung waren die Häuser befreit und verloren ihre historische Authentizität. Sie waren nackt.

 

Erst in den 1960er Jahren wandten sich der Stadtplaner Werner Düttmann und vor allem der Publizist Wolf Jobst Siedler mit der Fotodokumentation von Elisabeth Niggemeyer Die gemordete Stadt gegen die Entstuckung. Das Haus Albestraße Nr. 22 ist ein beispielhaftes Zeitdokument.

 

Albestraße 23. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 23

 

Das Haus Albestraße 23 wurde 1892/93 von einem (bisher) unbekannten Baumeister für den Lehrer G. Wiesner und drei weiteren Haushalten errichtet. 1902 feierte das Wiesner'sche Ehepaar silberne Hochzeit. Wiesner war in einer Berliner Gemeindeschule angestellt, erfreute sich allgemeiner Beliebtheit nicht nur in Berlin, wo er mehreren Wohlfahrtsvereinen angehört, sondern auch in Friedenau, wo er als Besitzer des Hauses Albestraße 23 dem Grundbesitzerverein angehörte und durch seine Ratschläge bei vielen kommunalen Fragen zu deren Lösung beigetragen hat. 1921 ging das Anwesen an den Privatier H. Baasner, der es 1939 an den Drogenhändler Otto Stengel verkaufte. Das Haus ist wohl noch heute im Besitz der Familie Stengel.

 

Albestraße Nr. 24. Foto Hahn & Stich, 2019

Albestraße Nr. 24

1888

Entwurf Architekt Otto Hoffmann

Bauherr Anna Seigel

 

Das Landhaus, laut Inschrift „Villa Anna“, ist für den Vizeadmiral Hans Sack, einen Mitarbeiter des Großadmirals Alfred von Tirpitz, gebaut worden. Es ist ein schmales, zweigeschossiges, giebelständiges Landhaus, ein gelblichroter Ziegelbau mit einem Eingangsanbau an der Westseite. An der Ostseite trägt ein eingeschossiger, zweiachsiger gelber Ziegelanbau eine große Terrasse. Ein Schweizerhaus-Giebel (mit Knaggen und Stützen für die Pfetten und einer Verkleidung aus Zierbrettern) ziert das flach geneigte Satteldach des Hauses.

Topographie Friedenau, 2000

 

Albestraße Nr. 30. Foto Hahn & Stich

Albestraße Nr. 30

1892

Entwurf & Bauherr Architekt Richard Draeger

 

Das Haus wurde laut Inschrift über dem Hauseingang 1896 von Richard Draeger für „M. R.“ (mit den Freimaurerzeichen Winkel und Zirkel) erbaut, jedoch nach den Bauakten bereits 1891-92. Das dreigeschossige, sechsachsige Mietwohnhaus aus roten Ziegeln auf einem hohen, geböschten Souterrain wird in der Mittelachse durch einen zweiachsigen Standerker gegliedert, der oben einen Altan trägt. An Fenster- und Türgewänden sind Putzbossen in die roten Ziegelmauern eingefügt. Topographie Friedenau, 2000

 

Nach der Fertigstellung des Hauses zog der Architekt Richard Draeger 1893 mit seinem Büro für Bauausführungen ein.

 

Das Grab von Richard Draeger ist erhalten und befindet sich auf dem Friedhof Stubenrauchstraße.

Albestraße Nr. 31-33. I. Gemeindeschule 1895

Albestraße Nr. 31-33

I. Gemeindeschule Friedenau

 

1875 erwarb die Gemeinde Friedenau vom Landerwerb- und Bauvereins auf Actien in der Albestraße ein Landhaus, in dem die I. Gemeindeschule untergebracht wurde. 1877 kam für die Erweiterung ein Nachbargrundstück hinzu. Nach dem Abriss der beiden Landhäuser wurde 1895 eine Schule für 15 Klassen errichtet. 1910 existierten in der Albestraße die Gemeindeknabenschule und in der Niedstraße die Reformschule für Knaben und Mädchen. Mit der Bildung von Groß-Berlin und der Eingemeindung von Friedenau zum 11. Verwaltungsbezirk Schöneberg wurden die Grundstücke Albestraße und Niedstraße 1920 Eigentum der Stadt Berlin. Laut Adressbuch von 1943 heißt es für Niedstraße Nr. 8 Eigentum Stadt Berlin (Berliner Städtische Wasserwerke, Gartenamt Schöneberg) und für Albestraße Nr. 31-33 Eigentum Stadt Berlin (18. Volksschule und 2. Hilfsschule). 1949 erlebte die Familie Thärichen aus der Bennigsenstraße Nr. 4 in der Albestraße dort noch die Einschulung ihres Sohnes Rolf.

 

1973 wurde in der Illstraße Nr. 4-6 die Fläming-Grundschule eröffnet. Die historischen Schulgebäude wurden abgerissen. Auf den Grundstücken zwischen Albestraße Nr. 31-33 und Niedstraße Nr. 8 entstand ein Spielplatz. 1985 ging das Grundstück Albestraße Nr. 31-33 an die Wohnstifts Otto Dibelius gGmbH. Übriggelassen wurde – mit Zugang von der Niedstraße – ein kleiner Spielplatz mit Kletterturm, Schaukel, Rutsche und Tischtennisplatte.

 

In der Albestraße Nr. 31-33 entstand ein Seniorenheim, dass in der Außenfront bemüht war, wenigstens die Ziegelbauten der Nachbarschaft zu zitieren, aber mit seinen fünf Stockwerken nicht in das Ortsbild von Friedenau passen will. Eigentümer ist laut Handelsregister HRB 25720 die Evangelische Seniorenheim Albestraße Gemeinnützige GmbH. Zum Vorstand gehören ein Diplomkaufmann als Vorsitzender, zwei Rechtsanwältinnen, eine Gerontologin und ein Pfarrer.

 

Offiziell erscheint der Name Otto Dibelius nicht mehr, obwohl das Heim noch immer nach dem Leitsatz unseres Namenspatrons Otto Dibelius arbeitet, was heißen soll, dass die Einrichtungen der Otto Dibelius Diakonie Menschen aller Glaubensrichtungen offenstehen, und dabei dem christlichen Glauben in besonderer Weise Raum gegeben wird, indem die Stelle einer Pfarrerin finanziert wird. Was großzügig klingen soll, ist eher peinlich – und obendrein fragwürdig.

 

Generalsuperintendent Dibelius hatte doch am 1. April 1933 verkündet,  dass sich die Reichsregierung genötigt gesehen hat, den Boykott jüdischer Geschäfte zu organisieren – in der richtigen Erkenntnis, dass durch die internationalen Verbindungen des Judentums die Auslandshetze dann am ehesten aufhören wird, wenn sie dem deutschen Judentum wirtschaftlich gefährlich wird.  

 

Aber damit, so der heute in Friedenau lebende Historiker Manfred Gailus in Das Wirken von Otto Dibelius muss neue bewertet werden, sei die Judenfrage noch nicht grundsätzlich gelöst. Zweierlei habe zu geschehen: Erstens müsse die deutsche Ostgrenze gegen jüdische Einwanderung gesperrt werden. Sobald die jüdische Einwanderung gestoppt sei, werde das Judentum in Deutschland zurückgehen. Die Kinderzahl der jüdischen Familien ist klein. Der Prozess des Aussterbens geht überraschend schnell vor sich.“

 

Es ist an der Zeit, dass Otto Dibelius Diakonie e.V. und Wohnstifts Otto Dibelius gGmbH als Träger des Seniorenheims eindeutige Position beziehen.

 

Albestraße 35 Ecke Lauterstraße 10. Foto Hahn & Stich, 2022

Albestraße Nr. 35

Ecke Lauterstraße Nr. 10

 

Es wird bei dem gegenwärtig herrschenden Berliner Verdichtungswahn nicht mehr lange dauern, bis der Flachbau von Autotechnik Koy an der Ecke Lauterstraße abgerissen und die bisher luftige Ecke zwischen Lauterstraße Nr. 10 und Albestraße Nr. 35 durch einen Neubau gefüllt wird – sicher mit zugebautem Bauwich, da dies mehr Wohnflächte und Rendite garantiert.

 

Die Aufnahmen des zerstörten Hauses Albestraße Nr. 35 vom 19. Juli 1950, die der Fotograf Herwarth Staudt hinterlassen hat, lassen die ursprüngliche Architektur von 1897 kaum noch erkennen. Erinnert sei deshalb daran, dass der Entwurf für dieses Haus vom Maurermeister und Architekten Emil Rösler stammt. Von der Qualität seiner Bauten zeugen heute noch die unter Denkmalschutz gestellten Häuser Hähnelstraße Nr. 1 Ecke Lauterstraße Nr. 73 (1891/92) sowie die Miethäuser Rheinstraße Nr. 10 und Nr. 11 (1896).

 

 

 

Am 17, Februar 1898 merkte der Friedenauer Lokal-Anzeiger an, dass in letzter Zeit wieder einige Grundstücksverkäufe in unserem Orte stattgefunden haben, und es scheint, als ob der Umsatz von Grundstücken in Friedenau sich wieder heben will. Mit dem Umsatz von Grundstücken wird auch gleichzeitig eine Steigerung der Bautätigkeit platzgreifen. Die Grundstücke Ecke Lauterstraße und Albestraße, dem Maurermeister Herrn Rösler gehörig, sind sämtlich in andere Hände übergegangen. In der Tat hatte der Rentier Hermann Glaß das Anwesen erworben. 1916 feierte das Ehepaar Glaß Goldene Hochzeit. 1923 übernahm den Besitz offensichtlich der Sohn und Bankbeamte C. Glaß. Mit der Weltwirtschaftskrise ging das Haus in den Besitz des Ehepaars Schreiber in Lichterfelde. 1939 werden als Eigentümer der Bankkaufmann E. Creuzinger und Frau M. Stegemann (wohnhaft Stettin) genannt.