Gärten und Häuser in Berlin. Fotografiert von Dr. Christian G. Pätzold, Februar 2020.

Beton City oder Garden City?

Der Balina liebt det Jrüne

Dr. Christian G. Pätzold

 

Befragt über sein Verhältnis zur Natur sagte Herr K.: Ich würde gern mitunter aus dem Hause tretend ein paar Bäume sehen. Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner

 

Berlin muss sich entscheiden: Beton City oder Garden City? Wer die Betonköpfe sind, weiß man. Für die Gartenstadt sind die Kleingärtner. Und nach Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung. Jetzt ist es noch möglich, sich für den richtigen Weg des Grüns zu entscheiden. Im Senat von Berlin gibt es allerdings aktuell Überlegungen, an die 1.000 Kleingartenparzellen platt zu machen und zu bebauen. Das wäre ein großer Verlust an grünem Boden, Sträuchern und Obstbäumen.

 

 

 

 

 

 

Tatsächlich fehlen in Berlin an die 100.000 Kleingärten, wie man aus den langen Bewerberlisten der Kleingartenkolonien ablesen kann. Das ist in etwa die Zahl an Parzellen, die in den letzten 50 Jahren vernichtet wurden. Die existierende Gartenstadt ist in Berlin an vielen Stellen in den letzten Jahrzehnten mutwillig zerstört worden. Ein erster wichtiger Schritt wäre, die weitere Vernichtung von Kleingärten in Berlin sofort zu stoppen. Die Stadt braucht zwischen den hohen Häusern und den asphaltierten Straßen grüne unversiegelte Inseln wie Parks, Wiesen, Plätze und Gärten, damit sich die Bewohner vom Metropolenstress erholen können. Urban Gardening ist weltweit ein großes Bedürfnis der Menschen. Bei den neu zu schaffenden Kleingärten denke ich in erster Linie an Obstgärten, die weniger arbeitsaufwändig sind als Gemüsegärten.

 

Schon vor 10 Jahren war absehbar, dass eine Hauptstadt mit einiger internationaler Bedeutung irgendwann einen Zuzug von Menschen und einen Bauboom erleben würde, der jetzt eingetroffen ist. Es kam zu Bodenspekulation, immer höheren Immobilienpreisen und teilweise wahnwitzigen Mietpreisen für Wohnungen und Gewerbeflächen. Die Reaktion der Politik war die Nachverdichtung der Stadt. Obwohl in dem Wort Dichtung vorkommt, war es gar nicht poetisch gemeint. Unzählige kleinere und größere Grünflächen wurden bebaut und damit der Boden versiegelt, Dachgeschosse wurden ausgebaut, Flachbauten aufgestockt. Ein freier Boden ist aber die Voraussetzung für Grün. Durch die Bodenversiegelung verlor die Stadt viele kleine grüne Oasen und Frischluftschneisen, die für die Naherholung und die Gesundheit der Bewohner sehr wichtig waren. Immer mehr Menschen wurden auf denselben Raum konzentriert, was natürlich zu mehr Stress führte. Es wurde einfach zu voll.

 

Die zunehmende Vernichtung von Grün in der Stadt hat auch zahlreiche Wildtiere aus der Stadt vertrieben, die früher noch einen Lebensraum hatten, wie Nachtigallen, Eichhörnchen, Füchse, Fledermäuse und viele andere Arten. Das Insektensterben auch in der Stadt ist ebenfalls bekannt, ein Beispiel dafür sind die bedrohten Wildbienenarten. Für die Artenvielfalt (Biodiversität) der Flora und Fauna sind Gärten unbedingt notwendig. Wenn man die Natur radikal aus der Stadt vertreibt, muss das negative Folgen für die Psyche der Menschen haben. Die Menschen müssen aus den finsteren Zellenkäfigen der Mietskasernen in Gärten kommen können.

 

Ein großer Nachteil der Betonstadt ist auch die Aufheizung im Sommer, die schon zu Hitzetoten geführt hat, weswegen das Berliner Parlament die Klimanotlage erklärt hat. Im Sommer ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass in Berlin eine Hitzewelle auftritt, bei der die Temperaturen ein längere Zeit lang über 30 Grad Celsius erreichen. Eine Stadt ohne Grün kann sich im Sommer nachts nicht mehr abkühlen, weil die Häuser zu viel Wärme abstrahlen. In Berlin gibt es bereits sehr große Steinmassen, die Hitze speichern. Nur durch Gärten als Kaltluftschneisen kann frische Luft nachts in die Stadt gelangen. Der Hitzeschock hat gravierende gesundheitliche Probleme, die in den nächsten Jahren mit der Erdüberhitzung noch zunehmen werden. Um noch mehr Todesfälle und Krankheitsfälle zu verhindern, könnte man in jede Wohnung eine Klimaanlage einbauen, aber das wäre sehr teuer.

 

Meiner Meinung nach macht es keinen Sinn, das Wachstum einer betonierten Stadt ins Unendliche zu fördern. Eine Stadt mit 4 oder 5 Millionen Einwohnern ist schon groß genug. Eine Mega-City mit 10 Millionen oder 15 Millionen Einwohnern hat kaum noch Diversitätsvorteile. Stattdessen potenzieren sich die Umweltprobleme, die Abgasprobleme, die Verkehrsprobleme. Statt an einer Mega-City zu arbeiten, sollte man lieber dezentrale Städte fördern, die vielleicht 100.000 Einwohner haben und dabei noch viel Grün und Natur, denn die brauchen die Menschen für ein gesundes Leben.

 

Es gibt einen Gegensatz zwischen Stadt und Land, der sich nur tendenziell aufheben lässt, denn auf dem Land überwiegt die Natur, in der Stadt dagegen die gebaute Urbanistik. Dadurch haben Stadt und Land jeweils besondere Vorteile und Nachteile. Das heißt aber nicht, dass man die Natur vollständig aus der Stadt entfernen und jeden Quadratmeter Boden versiegeln sollte. Vielmehr sollte man sich an dem Vorbild der Gartenstadt orientieren, eine Idee, die schon über 100 Jahre existiert. Mit der Gartenstadt lassen sich die Vorteile des Landes mit den Vorteilen der Stadt kombinieren und gleichzeitig die Nachteile des Landes und die Nachteile der Stadt minimieren. Es entsteht eine Stadtlandschaft, die gleichzeitig Stadt und Landschaft ist. Bei der Gestaltung der Gartenstadt kann man sich an der alten Lebensreformbewegung orientieren und an solchen Vordenkern wie Ebenezer Howard (Garden-cities of To-morrow, 1902).

 

Weil es um das Leben der Menschen geht, sind Gärten eine wichtige politische Frage. Man kann die Gärten nicht als seltsames Hobby von ein paar Außenseitern betrachten. Natürlich gibt es auch unter den Gärtnern einige Menschen, die sich noch nicht zu einem richtigen ökologischen Denken entwickelt haben. Es werden oft noch Kunstdünger und Plastikteile in den Gärten eingesetzt. Aber das sind Probleme, die sich durch eine Aufklärung in Sachen Nachhaltigkeit mit der Zeit überwinden lassen.

 

Die Kleingärten sind aber nur eine Säule der Gartenstadt von morgen. Ebenso wichtig ist die 2. Säule der Volksparks, Parks und Friedhöfe. Daher sollte man auch in verbesserte und zusätzliche Volksparks und Parks investieren. Die 3. Säule der Stadtnatur sind die städtischen Forste, die gestärkt und erweitert werden sollten. Dann würde eine durchgrünte Metropole entstehen. Das Ziel müsste sein, Licht, Luft und Sonne in die Stadt zu bringen.

 

Zum Schluss noch ein Tipp für die Berliner Grünflächenämter: Es macht keinen Sinn, als Alibi Jungbäume anzupflanzen, die dann im Sommer vertrocknen, weil man keine Mitarbeiter zum Gießen einstellen will. Ein Jungbaum braucht im heißen Sommer 20 Liter Wasser am Tag.

 

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I

Friedenauer Friedhofsmäuse

 

An einem schönen warmen Sommermittag saß ich entspannt vor dem Bäcker am Südwestkorso in Friedenau und schlürfte an meinem Espresso. Da fiel mir auf, dass eine Maus an der Mauer zum benachbarten Friedhof hinabkletterte. Dazu benutzte sie geschickt den Efeu, der an der Mauer wuchs. Wahrscheinlich hatten sie die verführerischen Bäckerdüfte angelockt. Wie immer im Sommer war die Luke zum Keller unter der Bäckerei aufgesperrt. Die Maus verschwand schnell in der Luke, um sich an den Getreidesäcken im Keller den Bauch voll zu schlagen. An dieses Erlebnis musste ich denken, als ich im Winter feststellte, dass irgendjemand den Efeu an der Mauer entfernt hatte. Aber ich hatte gehört, dass die Mäuse auch am reinen Kratzputz der Mauern hochklettern können. Wir machen uns viel zu selten bewusst, dass wir Menschen nicht die einzigen Lebewesen in der Stadt sind. Da sind auch noch die vielen Vögel, die uns durch ihr Zwitschern im Frühling erfreuen. Oder ein Fuchs, der einem nachts über den Weg läuft. Oder Kaninchen, Wildscheine und Waschbären. Und nicht zu vergessen die niedlichen Fledermäuse, die in den Kasematten der Zitadelle Spandau wohnen. Um alle diese Tausende von Lebewesen kümmert sich der Berliner Wildtierbeauftragte, der sicher keinen leichten Job hat. (Aus dem Buch „Tigergeschichten“ von Christian G. Pätzold, Berlin 2015)

 

II

100 Jahre Junius-Broschüre von Dr. Rosa Luxemburg

 

Das Manuskript der Broschüre „Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre)“ wurde von Dr. Rosa Luxemburg im April 1915 im Berliner „Königlich-Preußischen Weibergefängnis“ in der Barnimstraße niedergeschrieben und aus dem Gefängnis geschmuggelt. Die Broschüre selbst konnte dann erst am 2. Januar 1916 in Zürich in der Schweiz erscheinen. Das Pseudonym Junius bedeutet auf Lateinisch „der Jüngere“. Im August 1914 hatte das Deutsche Kaiserreich den Ersten Weltkrieg begonnen. Aufgrund der Zensur in Deutschland durften natürlich keine kritischen oder sozialistischen Schriften gedruckt oder veröffentlicht werden. Aus diesen Umständen erklärt sich der komplizierte Publikationsweg der Junius-Broschüre. Die Junius-Broschüre ist in 8 Kapitel gegliedert. Um einen Eindruck von der damaligen Atmosphäre zu geben, möchte ich die Anfangssätze von Rosa Luxemburg zitieren:

 

„Die Szene hat gründlich gewechselt. Der Marsch in sechs Wochen nach Paris hat sich zu einem Weltdrama ausgewachsen; die Massenschlächterei ist zum ermüdend eintönigen Tagesgeschäft geworden, ohne die Lösung vorwärts oder rückwärts zu bringen. Die bürgerliche Staatskunst sitzt in der Klemme, im eigenen Eisen gefangen; die Geister, die man rief, kann man nicht mehr bannen. Vorbei ist der Rausch. Vorbei der patriotische Lärm in den Straßen, die Jagd auf Goldautomobile, die einander jagenden falschen Telegramme, die mit Cholerabazillen vergifteten Brunnen, die auf jeder Eisenbahnbrücke Berlins bombenwerfenden russischen Studenten, die über Nürnberg fliegenden Franzosen, die Straßenexzesse des spionenwitternden Publikums, das wogende Menschengedränge in den Konditoreien, wo ohrenbetäubende Musik und patriotische Gesänge die höchsten Wellen schlugen; ganze Stadtbevölkerungen in Pöbel verwandelt, bereit, zu denunzieren, Frauen zu misshandeln, hurra zu schreien und sich selbst durch wilde Gerüchte ins Delirium zu steigern; eine Ritualmordatmosphäre, eine Kischineff-Luft, in der der Schutzmann an der Straßenecke der einzige Repräsentant der Menschenwürde war.“

 

Es muss damals im August 1914 in Berlin eine hysterische Kriegsbegeisterung geherrscht haben, die allerdings bald einer Ernüchterung weichen sollte. Rosa Luxemburg behandelt über weite Strecken der Junius-Broschüre die Einzelheiten der diplomatischen Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, denn so ein Krieg wurde natürlich vorbereitet und gemacht. Er brach nicht einfach aus. Es gab zahlreiche Einzelkonflikte zwischen den imperialistischen Ländern in Europa, vor allem zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, England, Frankreich und Russland. Diese Konflikte kennen wir ja heute auch noch, obwohl sie teilweise durch die Europäische Union verdeckt werden.

 

Für mich ist der 4. August 1914 der interessanteste Punkt, das heißt die scheinbar plötzliche Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten zu den Kriegskrediten des Kaisers. Wahrscheinlich hätte der Erste Weltkrieg auch ohne die Stimmen der SPD stattgefunden. Aber die Zustimmung der SPD zum imperialistischen Krieg war doch ein signifikanter Wendepunkt. Vielleicht hätte man ihn auch erahnen können. Die SPD war seit dem Tod von Engels 1895 zunehmend zerfressen vom Reformismus. Um 1900 kam dann die Attacke von Eduard Bernstein und der Revisionismus. Nach dem Tod von Bebel 1913 gab es kein Halten mehr. Es gab in der SPD nur noch ein paar Aufrechte wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht oder Clara Zetkin.

 

Rosa Luxemburg hat diese Auseinandersetzung innerhalb der SPD zwischen Revisionisten und Radikalen mindestens 15 Jahre lang miterlebt und mitgemacht. Es wundert mich, dass sie darüber kein eigenes Kapitel in der Junius-Broschüre schreibt. Denn der 4. August 1914 kam nicht so plötzlich, wie es vielleicht scheint. Die SPD war schon vorher zerfressen.

 

Nachdem die Funktionäre der Partei alles verraten hatten, wofür die Partei vorher gekämpft hatte, besonders den Internationalismus der Arbeiter, war die glorreiche SPD moralisch erledigt. Rosa Luxemburg schreibt:

 

„Aber schon als ein mächtiger Dämpfer auf den chauvinistischen Rausch und die Besinnungslosigkeit der Menge hätte die mutige Stimme unserer Partei gewirkt, sie hätte die aufgeklärten Volkskreise vor dem Delirium bewahrt, hätte den Imperialisten das Geschäft der Volksvergiftung und der Volksverdummung erschwert… Die deutsche Sozialdemokratie wäre in dem allgemeinen Strudel, Zerfall und Zusammenbruch wie ein Fels im brausenden Meer der hohe Leuchtturm der Internationale geblieben, nach dem sich bald alle anderen Arbeiterparteien orientiert hätten. Die enorme moralische Autorität, welche die deutsche Sozialdemokratie bis zum 4. August 1914 in der ganzen proletarischen Welt genoß, hätte ohne jeden Zweifel auch in dieser allgemeinen Verwirrung in kurzer Frist einen Wandel herbeigeführt. Damit wäre die Friedensstimmung und der Druck der Volksmassen zum Frieden in allen Ländern gesteigert, die Beendigung des Massenmordes beschleunigt, die Zahl seiner Opfer verringert worden.“

 

Rosa Luxemburg war an diesem 4. August 1914 leider nicht Mitglied der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Frauen hatten im Kaiserreich bekanntlich kein Stimmrecht.

 

Die „Junius-Broschüre“ enthält eine scharfsinnige Analyse der Ursachen und der Wirkungen des Ersten Weltkriegs als eines imperialistischen Krieges. Sie ist eine Perle der politischen Literatur. Lenin hat übrigens 1916 auch einen Aufsatz »Über die Junius-Broschüre« geschrieben, und natürlich seine berühmte Schrift »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus«.

 

Der Erste Weltkrieg wurde auch aus anderen Perspektiven heraus untersucht, die vielleicht auch interessant sein könnten. Dabei wäre bspw. die Schrift »Zeitgemäßes über Krieg und Tod« von Sigmund Freud zu nennen, die auch 1915 geschrieben wurde. Nach der Ansicht von Freud sind seine Zeitgenossen praktisch Urmenschen mit einer dünnen kulturellen Patina, wobei jederzeit der Barbar wieder durchbrechen kann. Sigmund Freuds Pessimismus hat sich letztlich als richtig herausgestellt, und Rosa Luxemburgs Hoffnung auf den klassenbewussten Arbeiter, der alles richtig macht, hat sich vorläufig nicht realisiert.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.kuhlewampe.net am 21. Juni 2016.

 

Kommune I in der Niedstraße

III

50 Jahre Kommune I, die Puddingbombe in der Niedstraße 14,

Fritz Teufel und all das

 

Die Niedstraße ist eine kleine Straße in Berlin Friedenau, die in west-östlicher Richtung vom Friedrich-Wilhelm-Platz zum Rathaus verläuft. Wie oft bin ich in den letzten 60 Jahren hier entlanggelaufen. Eine Mischung aus traditionellen Friedenauer Landhäusern aus der Gründerzeit, gemäßigten Mietshäusern und Ruinengrundstücken, die in Kinderspielplätze umfunktioniert wurden, das vermute ich zumindest. Die ganze Straße ist von Ahornbäumen gesäumt. An der Ecke Niedstraße/Bundesallee hielt früher der Bus zum Zoo, als es noch keine U-Bahn gab und der Friedrich-Wilhelm-Platz noch ein schönes großes Oval war, das in der Sommersonne grün glänzte.

 

Besonders bekannt ist das Knusperhäuschen in der Niedstraße 13, in dem der Literaturnobelpreisträger Günter Grass seine berühmten Romane schrieb. Im Nachbarhaus Niedstraße 14 malte einst der Expressionist Karl Schmidt-Rottluff und lebte der Schriftsteller Uwe Johnson, in dessen Dachgeschossatelier die »Kommune I« am 19. Februar 1967 gegründet wurde. Auch hier wurde Geschichte gemacht. Die Freie Liebe und der Bürgerschreck wurden geprobt, aber erst allmählich. Zu Beginn trugen einige der Kommunarden noch eine Krawatte. Der Name »Kommune I« leitete sich übrigens von der Pariser Commune von 1871 ab, die von Karl Marx als das Vorbild der zukünftigen Gesellschaft gelobt worden war.

 

Johnson war in jenem Frühjahr 1967 gerade in den USA, als Ulrich Enzensberger und seine Freunde Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel und weitere 7 Mitglieder die Gelegenheit nutzten, um die westberliner K I zu gründen und als Happening das Pudding-Attentat auf den US-amerikanischen Vizepräsidenten vorzubereiten. Die Bombe sollte auf der Schöneberger Martin-Luther-Straße platzen. Die Berliner Morgenpost meldete am 6. April: "Attentat auf Humphrey von Kripo vereitelt, FU-Studenten fertigten Bomben mit Sprengstoff aus Peking." Die Bild-Zeitung sprach nachher von einem Mao-Cocktail, den die Extremisten angeblich gemischt hätten. Da sich jedoch statt Sprengstoff nur Pudding fand, musste die Polizei die "langbehaarten Affen" wieder freilassen. "Man wird aber ein ungutes Gefühl nicht los, daß diese Typen nach wie vor wieder mitten unter uns sein dürfen." (Bild-Zeitung vom 12.4.1967). Die Berliner Spießer schäumten vor Wut und hätten sie gerne in die Klapsmühle gesteckt.

 

Die Idee der Bombe hatte ihren Hintergrund in der deutschen Atombombe, die damals von der CDU gefordert wurde. Und eine Beziehung zu Peking gab es tatsächlich. Aber dabei handelte es sich um einen größeren Posten von Maobibeln aus China, die die K I vertreiben sollte. Denn die Kommunarden lebten vor allem vom Verkauf von Büchern und selbstgedruckten Raubkopien. Fritz Teufel hat die Maobibeln für nur 1,50 Mark das Stück an der Freien Universität verkauft.

 

Vorbild für die ganze Pudding-Aktion waren die Amsterdamer Provos. Ich kann hier nur einige wenige Protagonisten der Pudding-Bombe erwähnen. Sie waren alle hochintelligente politische Aktionskünstler.

 

Fritz Teufel (1943-2010), der Spaßrevoluzzer der APO, war natürlich die intellektuelle und praktische Hauptperson des Puddings. Jeden Morgen sah er in der Springerzeitung BZ nach, ob sie ihn auf der Titelseite brachte. Wenn nicht, hatte er etwas falsch gemacht und die Revolution hatte einen Rückschlag erlitten. Ansonsten qualmte er Zigarren ohne Ende und war bei jeder Demo vor Kranzler und vor dem Amerikahaus dabei. Schließlich ging es gegen den Vietnamkrieg und gegen Napalmbomben, die auf Frauen und Kinder abgeworfen wurden. Von Fritz Teufel stammt das berühmt gewordene geflügelte Wort "Wenn’s der Wahrheitsfindung dient", das er im Gerichtssaal machte, als ihn der Richter zum Aufstehen aufforderte. Zum Schluss hatte Fritz Teufel Parkinson. Er starb im Juli 2010 in Berlin.

 

Ulrich Enzensberger war der Bruder des bekannten Friedenauer Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger, der das »Kursbuch« herausbrachte, das damals alle linken Westberliner lasen. Ulrich Enzensberger war aus Bayern vor dem Wehrdienst nach Westberlin geflüchtet, denn in Westberlin gab es damals keine Bundeswehr. Über die Beziehungen zwischen den Enzensbergern und Johnson kam man an die Wohnung in der Niedstraße. Ulrich Enzensberger schrieb auch das beste Buch über die Kommune I. Uwe Johnson hat sich damals wegen der Kommune-I-Geschichte mit Hans Magnus Enzensberger zerstritten. Aber Schwamm drüber, Johnson ist schon lange tot, während Enzensberger (87) noch munter in Schwabing wohnt und noch immer von Suhrkamp verlegt wird.

 

Dieter Kunzelmann war 1966 aus Schwabing in München zugewandert, wo er schon umfangreiche subversive Erfahrungen gesammelt hatte und auch bei den Situationisten aktiv war. Er brachte die Idee der Kommune mit, mit der die Kleinfamilie und das Privateigentum überwunden werden sollten. Nach einer Diskussion mit Dutschke im Jahr 1966 wurde Kunzelmann klar, dass er nur in Berlin mit seinen politischen Aktionen berühmt werden würde. Bereits im April 1967 sprach er öffentlich von seinen Orgasmusschwierigkeiten, was damals revolutionär war, denn über Sex sprach man noch nicht.

 

Und schließlich war da noch Rainer Langhans, der noch heute bekannt ist durch seinen Harem mit 5 Frauen, in dem er in München lebt. Damals waren er und Uschi Obermaier das schönste Pärchen der APO. Und das wollte etwas heißen. Als Jimi Hendrix kurz vor seinem Tod die K I in Moabit besuchte, soll sich Uschi jedoch gleich in Jimi verliebt haben. Rainer Langhans entdeckte damals die sensationsgeile Presse und Nacktfotos als sprudelnde Geldquelle.

 

Der Oberrevolutionär Rudi Dutschke war übrigens auch irgendwie mehr indirekt an der Puddinggeschichte beteiligt.

 

Als das Pudding-Attentat aufflog, auch die New York Times hatte darüber auf Seite 1 berichtet, rief Uwe Johnson alarmiert aus den USA bei Günter Grass an, der die Kommunarden dann aus der Wohnung in der Niedstraße 14 warf. Die Kommunarden zogen an den Stutti in Charlottenburg um und später in die Stephanstraße 60 nach Moabit. Aber das betrifft schon das legendäre Jahr 1968.

 

Nur zwei Monate nach der Pudding-Bombe, am 2. Juni 1967, wurde der FU-Student Benno Ohnesorg bei einer Demo gegen den Schah von Persien in Charlottenburg von der Polizei erschossen. Das zeigt, wie lebensgefährlich die Situation in Westberlin damals für die Beteiligten war.

 

Die Kommune I wollte ursprünglich eine neue private Lebensform sein, war aber aufgrund der in ihr versammelten Persönlichkeiten eher eine politische Aktionsgruppe. Beides gleichzeitig ließ sich auf Dauer nur schwer verwirklichen. Obwohl sie ihr Leben lang daran gearbeitet haben. Sie standen am Anfang der modernen Wohngemeinschaften, die es bekanntlich auch nicht leicht haben. Denn die gegenwärtige Gesellschaft ist auf den Prinzipien des Individualismus, des Egoismus und der Konkurrenz aufgebaut. Da ist ein Zusammenleben nicht so einfach.

 

Der Beitrag erschien zuerst am 21. Februar 2017 auf http://www.kuhlewampe.net./

 

Der ehemalige Buchhändlerkeller in der Görresstraße

IV

50 Jahre Buchhändlerkeller Berlin

 

Eine 68er Institution in Berlin feierte 50. Jubiläum. Im Buchhändlerkeller werden vor allem Bücher und Lebensgeschichten vorgestellt und diskutiert, an den Wänden gibt es aber auch Kunstausstellungen. Es ist kein Wunder, dass der Buchhändlerkeller bis heute existiert, denn die Revolte von 1968 war eng mit Büchern verbunden. Alle Beteiligten lasen damals unheimlich viele Bücher. Nur sind die meisten alten 68er inzwischen in ihren 70er und 80er Jahren und relativ gebrechlich, wenn sie noch leben.

 

Im Buchhändlerkeller funktioniert alles durch persönliches Engagement der Vereinsmitglieder. So kommen etwa 2 bis 3 Veranstaltungen pro Woche zusammen. Um die Kosten zu decken, muss ein Eintrittsgeld verlangt werden. Der Buchhändlerkeller ist heute immer noch eine der angesehensten literarischen Adressen in Berlin, ist aber schon lange kein Keller mehr, sondern ein schicker Laden im Erdgeschoss der Carmerstraße 1 in Berlin Charlottenburg. Ich erinnere mich gern an die Veranstaltungen, die ich im Buchhändlerkeller besucht habe. Daher wünsche ich dem Buchhändlerkeller weitere 50 Jahre. Wünschen kann man sich ja was.

 

Anlässlich des Festes zum 50. Jubiläum schrieb der Buchhändlerkeller: 50 Jahre - nur wenige literarische Institutionen in Berlin blicken auf längere kontinuierliche Arbeit im Dienst der aktuellen Belletristik, des literarischen Erbes und der gesellschaftspolitischen Debatte zurück. 1967 richteten KP (Klaus Peter) Herbach und linke Buchhändler und Lehrlinge aus dem gewerkschaftsnahen „Arbeitskreis Berliner Jungbuchhändler e.V.“ ihren „Buchhändlerkeller“ unter einer ehemaligen Bäckerei in der Friedenauer Görresstraße ein. Es wurde gelesen, diskutiert und gemeinsam demonstriert - bis der Keller nach einer Überschwemmung unbrauchbar wurde.

 

1976 dann der Neuanfang in der Charlottenburger Carmerstraße 1 in den Räumen der ehemaligen Galerie Mikro von Michael S. Cullen, der hier u.a. erstmals in Berlin Christo ausgestellt hatte. Kein Keller mehr, sondern das Parterre eines noblen Gründerzeithauses und jeden Donnerstag eine aktuelle Lesung, gefördert von Verlagen, vom Senat und vom Börsenverein, bis zu KP Herbachs Tod im Januar 2004.

 

Ein neuer Vorstand aus dem Freundeskreis von Herbach erweiterte das Programm um Ausstellungen, Filmvorführungen und viele andere Formen und Sujets - die Senatsförderung versiegte trotzdem: Der Buchhändlerkeller als „Institution“ mit kontinuierlichem Programm passte nicht mehr in das Projektkonzept der permanenten Innovation. Doch gute 10 Jahre nach dem Ende der Subvention gibt es den sympathischen Buchhändlerkeller immer noch, und er erfährt nach wie vor viel Zuspruch für die Veranstaltungen und für den Ort selbst als originellem Treffpunkt von Liebhabern eines aktuellen, aber auch weit zurückreichenden Literatur- und Bildungsbegriffs, verbunden mit kritischer gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung."

 

Wie es mit dem Buchhändlerkeller weiter geht, weiß man nicht so genau, denn die jetzigen ehrenamtlichen Macher_Innen des Buchhändlerkellers sind doch schon sehr in die Jahre gekommen. Die jungen Leute leben heute im digitalen Cyberspace. Da ist so etwas wie ein Buchhändlerkeller ziemlich old school.

 

Der Beitrag erschien zuerst am 3. Dezember 2017 unter http://www.kuhlewampe.net/.

Auslieferung von Eisstangen, Berlin um 1934. Quelle Bundesarchiv

V

Der Sommer-Eismann

 

Der Friedenauer Publizist Dr. Christian G. Pätzold hat auf www.kuhlewampe.net „eine Episode aus seiner Jugendzeit in den 50er Jahren“ gepostet. Wir veröffentlichen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 

Damals in den 1950er Jahren in Friedenau waren die Sommer lang und heiß. Es gab nur relativ wenige Bombengrundstücke, so dass der Zweite Weltkrieg für uns Kinder keine große Rolle spielte. Nur einmal habe ich mir beim Spielen auf einer Ruine in der Rheingaustraße eine Glasscherbe in die rechte Hand geschlagen. Die Sektorengrenze zwischen West-Berlin und Ost-Berlin war ziemlich weit weg. So war Friedenau mehr eine kaiserzeitliche Kleinstadtidylle, mit Bäcker und Konditor, Fleischerladen und Blumenladen. Ja, sogar Blumenläden gab es! Autos dagegen gab es noch kaum. Wir Kinder konnten auf der Wilhelmshöher Straße Hopse spielen, so wenige Autos kamen vorbei.

 

 

In unserer Küche hatten wir einen Eisschrank. Das war ein Eisschrank ohne Elektrokabel, denn einen elektrischen Eisschrank hatten wir damals noch nicht. Eigentlich war der Eisschrank auch mehr eine Kiste, etwa 1 Meter hoch, mit einer Metallwanne. In den Eisschrank konnte man Eisstücke hineinlegen, um die Lebensmittel im Sommer zu kühlen. Der Eisschrank spielte auch nur im Sommer eine gewisse Rolle, ansonsten stand er still und stumm in der Ecke, in der auch der Herd meiner Großmutter stand. Denn im Winter konnte man die Lebensmittel ja auf dem kalten Balkon frisch halten.

 

Meine schönste Jugenderinnerung ist der Eismann, der im Hochsommer auf der Straße mit seiner Glocke bimmelte. Er hatte eine sehr laute Glocke, die bis in die höheren Etagen der Mietshäuser durchdrang. Dann konnte ich mit einem Eimer auf die Straße laufen, um das Eis zu holen. Es ist keinesfalls so, dass Kinder immer nur spielen wollen. Sie wollen auch mal eine richtige Aufgabe haben, die auch Erwachsene tun, wie Eisholen. Wie der Eismann aussah, weiß ich heute nicht mehr. Ich war viel zu fasziniert von dem Eis, um mir die Gesichtszüge des Eismanns einzuprägen.

 

Im Juli und August hatte der Eismann seinen kleinen Wagen in der Stubenrauchstraße Ecke Wilhelmshöher Straße angehalten, genau gegenüber vom Eingang zum Kino »Baby«, das es allerdings heute nicht mehr gibt. Das Baby galt als das kleinste Kino Berlins. Der Wagen des Eismanns hatte im hinteren Teil einen Aufbau, in dem sich die großen dicken Eisstangen befanden. Die Eisstangen waren so durchsichtig und kristallklar und glitzerten in der Sommersonne. Und vor allem waren sie schön kühl.

 

Woher der Eismann die Eisstangen im heißesten Sommer hatte, weiß ich nicht. Ich habe aber gelesen, dass es in Eiskeller im Winter minus 24 Grad kalt werden kann. Eiskeller ist ein Ort in Berlin-Spandau. Die Bauern dort haben bereits vor Jahrhunderten in den Fließen im Winter Eis abgeerntet. Das Eis wurde in besonderen unterirdischen Lagern, den Eiskellern, für den Sommer aufbewahrt. Daher stammt der Ortsname Eiskeller.

 

Jedenfalls wurden die Eisstangen an meiner Straßenecke mit einem Pickel in kleinere Stücke zerteilt, die in meinem Eimer landeten. Wie viel ich für das Eis bezahlt habe, weiß ich auch nicht mehr, aber es war bestimmt nicht viel, vielleicht ein paar Groschen. Mit dem Stangeneis lief ich dann schnell wieder nach Hause, die Treppen hoch in den ersten Stock, in die Küche, wo das Eis in den Eisschrank gefüllt wurde. Ich schätze, dass das Eis etwa zwei bis drei Tage gehalten hat, bis es geschmolzen war.

 

Damals hatte ich keine Ahnung, wie warm es war, denn wir hatten kein Thermometer. Und den Wetterbericht im Radio habe ich auch noch nicht gehört. Aber es kann in Berlin schon mal 30 Grad warm werden im Sommer. Die Luft kann sich tagsüber um 15 Grad aufheizen. Aber die Steinmasse eines großen Mietshauses heizt sich nur um 1 oder 2 Grad auf. Daher war es im Haus schön kühl, wenn man in den Hausflur kam. Das war immer eine Freude bei der Hitze.

 

Irgendwann bekamen wir und die anderen Mieter dann einen elektrischen Kühlschrank, so dass der Eismann nicht mehr kam. Der alte Eisschrank verschwand. Das war in etwa die Zeit, als es auch keine Maikäfer mehr in den Kastanien gab.

 

In meiner gesamten Jugendzeit ist fast nichts passiert. West-Berlin war damals eine US-amerikanische Insel im sozialistischen Ozean, für die sich niemand interessierte und in der fast immer gähnende Langeweile herrschte. Natürlich, es war Kalter Krieg, aber in Friedenau ist wirklich nichts passiert. Eine endlose Leere des Lebens lag über Allem. Bespaßung von Kindern gab es bei uns so gut wie nicht, geistige Anregungen auch nicht. Es waren Sommerferien. Die Sonne schien, es passierte nichts. Es war still, es passierte nichts. Ich sah aus dem Fenster, es passierte nichts. Die Sonne schien immer noch, es passierte nichts.

 

Die einzige Ausnahme vom Nichts war der Eismann, weswegen ich hier an ihn erinnert habe. Aber halt, das stimmt nicht ganz. Ab und an kam auch ein Leierkastenmann vor unser Haus. Ich warf dann einen Groschen oder einen Sechser vom Balkon herunter, für seine Musik. Der Leierkastenmann hat sich das Geld wirklich verdient, denn ansonsten war nur Stille. Ab und an gab es noch die Wolkenbrüche im August, die Straßen und Keller unter Wasser setzten.

 

Noch ein Detail von damals habe ich in der Erinnerung, die unverschlossene Haustür. Unsere Wohnung hatte zwar ein Schloss, aber es war nur ein einfaches Schnappschloss, kein Sicherheitsschloss. Die Haustür war jedoch nie verschlossen. Man konnte in jedes Mietshaus hineinlaufen und die fünf Treppen bis zum Dachboden hochsteigen, wenn man Lust dazu hatte. Die Dachbodentür war auch oft unverschlossen. Es war abenteuerlich, was man alles auf den Dachböden finden und sehen konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte man die Mietshäuser nicht zu verschließen, weil die Mieter nichts besaßen, das wertvoll war. Daher gab es kaum Wohnungseinbrüche. Die ganze Gesellschaft war noch relativ egalitär, wenn man sie mit der heutigen gigantischen Ungleichheit in Deutschland vergleicht.

 

Etwa in den 1970er Jahren wurden die Mietshäuser dann zuerst nachts und schließlich die ganze Zeit verschlossen. Dazu war natürlich eine Investition nötig, die auf die Miete umgelegt wurde. Denn erstens musste ein neues Türschloss eingebaut werden und zweitens musste eine Klingelanlage und oft auch eine Gegensprechanlage installiert werden, damit die Haustür für Besucher geöffnet werden konnte. So wurde Berlin zur Stadt der verschlossenen Haustüren.

 

© Dr. Christian G. Pätzold, Juli 2018.