Übersichtsplan Stadt Schöneberg, 1909. Quelle Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg

Der Dürer Platz wird im Berliner Adreß Buch für das Jahr 1893 erstmals in Umgebung von Berlin unter Friedenau mit dem Zusatz geh. z. Schöneberg aufgeführt eine Besonderheit seit Gründung der Gemeinde. Architekturhistoriker Peter Lemburg nennt es Übergreifen der Landhausbebauung auf Schöneberger Gelände, das sich sozusagen im Windschatten der Landhauskolonie Friedenau als Schöneberger Ortsteil von Friedenau mitentwickeln konnte.

 

Die Potsdamer Chaussee, Reichsstraße Nr. 1, Friedenauer Straße und schließlich Hauptstraße, führte zwischen den Gemarkungen von Friedenau und Schöneberg hindurch. So kam es, dass östlich davon die Villencolonie Friedenau mit Frege-, Saar-, Sponholz- und Wielandstraße entstand.

 

Um die zwischen Berlin und Potsdam verkehrenden Züge der Stammbahn halten zu lassen, wurde 1874 außerhalb der Friedenauer Grenzen eine erste Haltestelle eingerichtet, für die der Grundbesitzer August Sponholz das notwendige Land zur Verfügung stellte. Der Vorortverkehr zwischen Berlin und Zehlendorf nahm in den 1880er Jahren infolge des raschen Bevölkerungswachstums stark zu. Nachdem es 1883 zu einem schweren Unfall im Bahnhof Steglitz mit 39 Toten und sechs Schwerverletzten gekommen war, wurde 1887 der viergleisige Ausbau der Strecke beschlossen. Es folgten zeitraubende Verhandlungen über den Erwerb des benötigten Geländes mit Grundbesitzern und Ortsbehörden – sowie notwendigen, gewünschten bzw. geforderten Unter- und Überführungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Plötzlich gab es 1889 auch die Schöneberg-Friedenauer Terraingesellschaft, die hinter der Wannseebahn über ein Areal von 26 ha Bauland verfügte. Die Stadt Schöneberg machte aus dem Gelände 1892 das Malerviertel, versehen mit Namen, die keinerlei Ortsbezug hatten: Holbeinstraße (vorher Straße 1), Menzelstraße (3), Rembrandtstraße und Dürerplatz (5), Begasstraße (6), Beckerstraße (7), Peter-Vischer-Straße (8), Canovastraße (9), Cranachstraße (9), Knausstraße (46), später kamen Thorwaldsenstraße und Semperstraße hinzu.

 

Am 1. Oktober 1891 wurden die beiden neuen Gleise der Wannseebahn dem Verkehr übergeben. Sie lagen ab Bahnhof Yorkstraße in Richtung Zehlendorf rechts neben den Gleisen der Stammbahn. Friedenau erhielt einen überdachten Mittelbahnsteig mit Gewächshauszugang und einen Tunnel als Durchwegung zum Dürerplatz.

 

Dürerplatz, 1907. Archiv Rüdiger Barasch

 

Am Dürerplatz Nr. 1 Ecke Rembrandtstraße Nr. 14 hatte Architekt Schmidt 1893 das erste Haus errichtet. Untergebracht waren die Dürerstuben von Julius Sorgatz und das Verkaufsbüro der Schöneberg-Friedenauer-Terraingesellschaft. Geworben wurde mit Gesunde Lage, vorzügliche Verbindung nach Berlin durch Wannseebahn (fast durchweg 10-Minuten-Verkehr, Fahrtzeit 9 Minuten). Ringbahn, Dampfbahn, Pferdebahn, fertige Straßen-, Kanalisations-, Gas- und Wasseranlagen. Begriffe wie Villencolonie, Gartenstadt und Neu-Friedenau wurden verbreitet.

 

Ganz so einfach lief es mit Malerviertel nicht. Dürerwirt Sorgatz gab schnell auf und eröffnete das Restaurant 1. Klasse  Ecke Mosel- und Ringstraße in Friedenau. Paul Graetz aus der Menzelstraße Nr. 4 lieferte dem Bezirksverein Südwest 1905 einen Bericht: Als ich im Jahre 1894 den Entschluss fasste, hier heraus zu ziehen, da sahen mich meine Freunde erstaunt an und sagten, Du willst nach Kamerun, nach der Schwindelschweiz. Ich hatte keine Ahnung, dass der Ortsteil so mißkreditiert war, fand leider manches bestätigt, aber auch manches nicht so schlimm. Auch Mieter gab es um diese Zeit, darunter auch welche, die bald durch die Polizei wieder expediert wurden. Da hat die Terraingesellschaft furchtbar gesündigt. Der Dürerplatz sollte ein hervorragender Schmuckplatz werden. Jahrelang zerbrach man sich den Kopf darüber, was man aus dem kleinen Dreieck machen sollte. Mit einemmal hieß es, es käme etwas ganz besonderes hin, ein Denkmal irgendeiner Persönlichkeit, und mit einemmal stand eine Bedürfnisanstalt da.

 

Kritisiert wurde die geschlossene Bauart. An öffentlichen Plätzen mit Schmuckanlagen gebricht es in diesem Stadtteil gänzlich. Selbst in den zumeist noch unbebauten aber bereits gepflasterten Straßen ist eine solche nicht vorgesehen. Um wie viel mehr würde sich dieser Stadtteil entwickelt haben, wenn mit Hergäbe von Schmuckplätzen nicht so gegeizt worden wäre. Der Verlust an Bauterrain wäre meines Erachtens voll wieder ausgewogen worden durch den schnellen Verkauf der Baustellen und Erhöhung des Wertes. Dürerplatz Nr. 1 und Nr. 2 waren bezogen. Es gab Drogenhandlung, Kolonialwaren, Grünkramhandlung. Für anderes blieb nur der Weg durch den Tunnel nach Friedenau.

 

 

Friedenauer Brücke mit dem Güterbahnhof am Wannseebahnhof Friedenau nach 1909. Sammlung Sigurd Hilkenbach

 

1905 überraschte der Friedenauer Lokal-Anzeiger mit der Nachricht, dass in nächster Zeit mit den Arbeiten für den neuen Güterbahnhof auf dem Wannseebahnhofgelände begonnen werden soll. Die Anlage soll vor allem zur Entlastung des Ringbahnhofs Wilmersdorf-Friedenau dienen. Die Kohlenhändler Nickel und Möller sowie die Gärtnerei Kuhirtl, die bisher auf dem Gelände ihre Lagerplätze hatten, wurden aufgefordert, den Platz zu räumen. Zurzeit ist man hauptsächlich mit dem Abtragen der Erde an den Böschungen in der Rembrandtstraße beschäftigt. Wie wir hören, werden an der Rembrandtstraße später auch Güterabfertigungsgebäude errichtet werden. Die Bewohner und Wirte der Rembrandtstraße sind von dem neuen Güterbahnhof gerade nicht sehr erfreut, man befürchtet in Vermieterkreisen infolgedessen Kündigungen für die nächste Zeit. Die Arbeitszüge mit ihrem Rangieren und Pfeifen machen sich schon jetzt, auch in der Nacht, recht unangenehm bemerkbar. Nach Eröffnung des Güterbahnhofs Friedenau (Wannseebahn) gingen laut Potsdamer Handelskammer dort Wagenladungen von 188.930 Tonnen ein, versendet wurden 43.714 Tonnen. Stückgutverkehr findet nicht statt, wohl aber Anlieferungen für die Kohlenplätze und die Gärtnerei.

 

Dürerplatz, Wochenmarkt in den 1950er Jahren

1908 wurde erstmals ein Wochenmarkt auf dem Dürerplatz und in der Rembrandtstraße abgehalten. Die Einteilung des Marktes ist so gedacht, dass in der Fahrstraße auf dem Dürerplatz nur Obst-, Gemüse- und Blumenhändler Aufstellung nehmen, während Schlächter, Käsehändler usw. in der Rembrandtstraße vom Dürerplatz bis zur Rubensstraße ihren Stand haben. Mit der Zeit wurde der Markt bis in die Cranachstraße hinein erweitert, so dass der Verkehr am Dürerplatz geradezu unterbunden wurde. 1913 eröffnete das Restaurant Zum Dürer. Ausgeschenkt wurden Schultheiss‘ Märzen, Original-Pilsner, Kulmbacher Reichelbräu und Münchner Bürgerbräu. Für jene, die lieber in den eigenen Wänden genießen wollten, wurden obige Biere direkt vom Fass in Siphon-Krüge gefüllt.

 

 

 

 

 

 

 

Palette, Bestuhlungsplan, 1953. Quelle Markus Hilbig

Bis zum Zweiten Weltkrieg präsentierte sich der Dürerplatz mit einem Gemisch von Gastwirtschaften, Bäcker, Fleischer, Butter, Drogerie, Seifen, Papierwaren, Buchhändler, Klempner, Tischler, Kürschner, Modistin, Schneider und Arztpraxis. Der Bombenangriff in der Nacht vom 23. zum 24. August 1943 hinterließ Ruinen. Auf dem Grundstück Dürerplatz Nr. 1 entstand 1952 ein Neubau mit dem Filmtheater Palette, ein zweigeschossiger, eigenständiger Kinobau mit abgerundeter Eckfront zum Dürerplatz. Als Architekt wird Bruno Meltendorf genannt. Tobias Kuttner hat in Kinoarchitektur in Berlin eine Beschreibung hinterlassen: Zwei freistehende Anzeigevitrinen flankieren den Eingangsbereich über dem der schwungvolle Namenszug das vorkragende Dach bekrönt. In der Übergangszone von drinnen und draußen gab es einen halbkreisförmig zurückspringende Windfang. Während das Entrée durch ein abwechslungsreiches und gegenläufiges Spiel von konkav und konvex ausladenden Formen überzeugt, weist die fast fensterlose Seitenansicht eine blockhafte Gestaltung auf. Die geschwungenen Formen bestimmen auch das Foyer, in dem eingelassene Vitrinen die Saalrückwand auflockern. Die hell-cremegelben Wände im sich leicht zur Bühne verjüngenden Saal kontrastieren mit den rot-gold gepolsterten Sitzen. Eine muldenförmige Absenkung ersetzt die sonst übliche Neigung des Parketts. Es gab 587 Halbpolsterplätze. 1966 schloss die Palette ihre Pforten.

Nach dem Mauerbau entstand in den 1960er Jahren parallel zur Wannseebahntrasse die Westtangente mit der Anschlussstelle Saarstraße. Unter der Friedenauer Brücke wurde auf der Autobahn eine Ausbuchtung für BVG-Haltestellen der Buslinie 84 errichtet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mitte der 1970er Jahre wurde am Dürerplatz gebaut. Es entstand der viergeschossige Wohnbau mit dem zurückgesetzten fünften Geschoss Dürerplatz Nr. 4 und Nr. 5. Es ist davon auszugehen, dass seinerzeit der zweigeschossige Kinobau der Palette abgerissen und durch den fünfgeschossigen Neubau mit dem ALDI-Supermarkt ersetzt wurde.

 

Mit der Inbetriebnahme des Tiergartentunnels für die Anhalter Bahn und dem Erhalt einer Trasse vom Bahnhof Yorckstraße (Großgörschenstraße) zu Anhalter Bahn und Nord-Süd-Tunnel wurde 2006 erkennbar, dass die Deutsche Bahn eine Wiederinbetriebnahme der Stammbahn plant, mit der auf dem Abschnitt Steglitz-Schöneberg erhebliche bauliche Veränderungen an Straßenverläufen und Brücken notwendig werden.

 

 

 

 

 

Nichtsdestotrotz beschloss Tempelhof-Schöneberg 2019 den Rückbau der Westtangente zu einer leistungsfähigen 4-spurigen Stadtstraße mit Radverkehrsanlagen sowie Rückbau der raumgreifenden Überleitungsfahrbahnen zur A100. Ziel ist die Schaffung eines urbanen gemischten Stadtquartiers mit 1.500 Wohnungen, Infrastruktur sowie gewerblichen Flächen. Purer rot-grüner Populismus, da die Aktion weder mit Steglitz-Zehlendorf abgestimmt war noch ohne Beteiligung von Bund und Land Berlin eine Chance hätte.

 

Das Stadtentwicklungsamt hatte unlängst einer Erweiterung der Fläche zwischen Dürerplatz Nr. 1 und Rembrandtstraße Nr. 12 bis Nr. 14 zugestimmt. Daraufhin wurden drei Stockwerke von Nr. 14 entfernt. Das war es. Mehr ist nicht bekannt. Für Dürerplatz und Tunnel unter der Wannseebahn fehlt ein städtebauliches Konzept, damit die Begriffe sozialer Brennpunkt, Leerstand, Ladensterben, Stillstand und Rattenplage aus den sozialen Netzwerken der Vergangenheit angehören und die Lebensqualität des Viertels wieder zurückzugewonnen wird.