Millieuschutzgebiet Friedenau. Quelle BA TS

 

Milieuschutz Friedenau

Am 25. November 2020 erreichte uns die Pressemitteilung, dass das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg am 10. November 2020 u. a. die Aufstellung von sozialen Erhaltungsverordnungen für das Untersuchungsgebiet Friedenau beschlossen hat. Der für Stadtentwicklung zuständige Dezernent Jörn Oltmann (DIE GRÜNEN) erklärt dazu: Es ist und bleibt wichtig, dass wir den schleichenden Verdrängungsprozessen Einhalt gebieten. Es muss für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen möglich sein, ihre Wohnung zu bezahlen und behalten zu können. Deshalb werden wir auch weiterhin das Instrument des Milieuschutzes konsequent anwenden.

So werden in den nächsten Monaten Teilbereiche von Friedenau dahingehend untersucht, ob dort die Voraussetzungen für den Erlass einer sozialen Erhaltungsverordnung, also eines Milieuschutzgebietes, vorliegen. Mit der Durchführung des Beschlusses ist der Fachbereich Stadtplanung des Stadtentwicklungsamtes beauftragt. Das Untersuchungsgebiet Friedenau wird im Westen und Süden durch die Bezirksgrenze, im Osten durch die Bahntrasse der S-Bahnlinie 1 und im Norden durch die Autobahntrasse der A 100 begrenzt.

Ziel ist es, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in einem bestimmten Gebiet zu erhalten und vor möglicher Verdrängung aufgrund von (baulicher) Aufwertung dieses Gebietes zu schützen. Im Wesentlichen sollen Luxusmodernisierungen von Wohnungen oder wesentliche Aufwertungen der Wohngebäude verhindert werden, wenn die Gefahr besteht, dass die Bevölkerung durch diese Maßnahmen aus ihrem angestammten Wohnumfeld verdrängt wird.

Mit der Veröffentlichung im Amtsblatt für Berlin besteht für den Fachbereich Stadtplanung die Möglichkeit, bauliche Vorhaben sowie die Umwandlung in Eigentumswohnungen, die dem Ziel der potenziellen Erhaltungsverordnung womöglich entgegenstehen, in der Beurteilung um bis zu einem Jahr zurückzustellen oder um diesen Zeitraum vorläufig zu untersagen.

 

Kommentar

Da mit der Durchführung das personell unterbesetzte und bekanntermaßen überforderte Stadtentwicklungsamt von Tempelhof-Schöneberg beauftragt wurde, kann mit einer zeitnahen Analyse nicht gerechnet werden. Wir vermuten, dass sich mit dem Beschluss in den nächsten neun Monaten vor allem Berliner Wahlkampf von SPD und GRÜNEN machen lässt.

Auf der vom Stadtentwicklungsamt beigefügten, also autorisierten Friedenau-Karte finden sich für den Baubereich Bahndamm die Namen Hannah-Höch-Weg und Lauterplatz. Da uns diese Bezeichnungen völlig neu sind, baten wir das Stadtentwicklungsamt um Auskunft über den entsprechenden BVV-Beschluss zur Namensgebung, der uns nicht bekannt ist.

„Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns aufklären würden: Sind der ‚Hannah-Höch-Weg‘ und der ‚Lauterplatz‘ bereits offizielle Bezeichnungen? Wenn ja, wann hat die BVV entsprechend beschlossen? Wer hat die Vorschläge für die Bezeichnungen gemacht? Sind die Friedenauer in diesen Prozess eingebunden worden, wie es bei Straßenbezeichnungen nicht unüblich ist? Kurz: Können Sie uns Informationen zu den beiden Namen geben, die für uns nun überraschend und erstmals aufgetaucht sind?

Aus unserer Sicht wirken die beiden Namen an dieser Stelle ziemlich willkürlich, im Fall „Lauterplatz“ sogar höchst fragwürdig. Denn in Friedenau gibt es bereits den historischen Lauterplatz – der heutige Breslauer Platz. Über Hannah Höch und den Lauterplatz informieren wir übrigens auch auf unserer Webseite www.friedenau-aktuell.de

In der Antwort des Stadtbauamts sind wir zunächst weiterverwiesen worden. Zuständig für Namensgebungen von Straßen und Plätzen sei das Grünflächenamt unter Stadträtin Christiane Heiß. Wir haben unsere Anfrage nun dort noch einmal gestellt und warten gespannt auf die Antworten.

 

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Der Riegel kommt - Friedenau wird abgeschnürt

 

Spätestens jetzt, nachdem der erste Gebäuderiegel auf dem Bahndamm in die Höhe wächst, dürfte jedem Friedenauer einleuchten, dass die Luftzufuhr für den stark besiedelten Ortsteil nicht mehr gewährleistet ist. Wie wird es erst sein, wenn das gesamte Areal bis hin zur Hauptstraße bebaut ist. SPD und GRÜNE haben die vorab geäußerten Bedenken der Anwohner in den Wind geschlagen. Es macht sich gut, von Klima zu reden, aber wirklich etwas dafür zu tun, steht auf einem anderen Blatt.

 

Dass die Einsprüche zahlreicher Friedenauer ohne Folgen blieben, liegt auch an der damals erstellten Gutachterlichen Stellungnahme zu den klimaökologischen und lufthygienischen Auswirkungen des Bebauungsplans 7-68 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Friedenau in Berlin, die zwar Bedenken offenbarte, das Bauprojekt aber am Ende als nicht so schlimm durchwinkte.

 

Dabei hieß es im Gutachten eindeutig: Während das Planareal selbst eine geringe bis mäßige Belastungssituation aufweist, liegt innerhalb der südlich angrenzenden Siedlungsfläche von Friedenau eine bioklimatisch ungünstige Situation vor. Dies ist auf das Durchlüftungsdefizit sowie die hohe Baumasse und die versiegelten Flächen zurückzuführen, welche sich während sommerlicher Strahlungswetterlagen stark aufheizen und in der Nacht die Wärme wieder an die Luft abgeben." Doch obwohl nun für alle sichtbar das Durchlüftungsdefizit noch größer wird, kam das Gutachten zu einem überraschenden Schluss: "Eine Umsetzung der vorgesehenen Bebauung würde den nächtlichen Luftaustausch voraussichtlich nicht beeinflussen. Voraussichtlich??

 

Weiter heißt es im Gutachten: Die mit dem Bebauungsplan 7-68 – Güterbahnhof Wilmersdorf verbundenen Zusatzverkehre führen insbesondere im direkten Umfeld der östlichen Gebietsanbindung zu einer signifikanten Erhöhung der Luftschadstoffkonzentration. Dies ist auf das relativ hohe zusätzliche Verkehrsaufkommen auf diesem Abschnitt sowie die planbedingte Einschränkung der Durchlüftungsbedingungen zurückzuführen. Eine planbedingte Einschränkung der Durchlüftungsbedingungen wird also zugegeben. Doch die sogenannten Gutachter gaben dennoch grünes Licht für die massive Bebauung auf dem Bahndamm - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 07.12.2019

 

Foto Hahn & Stich, 07.12.2019
Der weiße Klotz links neben der Schule deutet den Neubau auf dem ehemaligen Edeka-Markt an. Quelle OFB Projektentwicklung Berlin

 

Das Jahr 2020

 

Die EDEKA-Zentrale in Hamburg als Eigentümer des Grundstücks Handjerystraße 98-99 hat lange genug gepokert: Zuerst mit der BÖAG, dessen Vorstand Lars Böge den Flachbau in der Handjerystraße Nr. 98-99 als Entrée für sein Wohnprojekt auf dem Bahndamm nicht repräsentativ fand, nun abschließend mit der OFB Projektentwicklung GmbH Berlin. Görse & Meichsner waren im Besitz eines sehr langen Mietvertrages - aber nur Pächter. Ihr EDEKA-Markt musste am 16. Mai 2020 schließen. Der Flachbau wird abgerissen. Es kommt ein sechsstöckiger Neubau mit Tiefgarage, Supermarkt und Wohnungen. Obwohl Baufachleute aus dem Schöneberger Rathaus eingestehen, dass die Bebauung dort sehr dicht ist, wird jetzt an der Handjerystraße noch ein weiterer Klotz hochgezogen.

 

Nicht herauszufinden war bisher, wer Eigentümer des Grundstücks ist. Wer baut? Wer finanziert? In Betracht kommen EDEKA Hamburg, OFB Projektentwicklung, HELABA Immobiliengruppe, Ten Brinke Group. Nicht vorstellbar ist allerdings, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft Howoge  involviert ist. Geblieben ist die Werbung, die den Leuten weismachen will, dass die Bauten im schönen Stadtteil Friedenau liegen, ein grünes, nahezu autofreies Quartier zum Wohnen und Arbeiten mit großzügigen Grünanlagen und Spielplätzen sowie einer exzellenten Verkehrsanbindung. Kurzum – ein entspannt urbaner Lebensraum.

 

Nichts davon stimmt, und das vermuten inzwischen auch Interessenten, die sich für die weiteren Bauten einfach nicht finden lassen. Das Areal liegt nicht im schönen Stadtteil Friedenau, sondern auf einem Bahndamm mit Gleisen für den Innenstadtring, S-Bahn nebst Abstellanlage und dem Autobahnstadtring. Lärm rund um die Uhr. Kohlenstoffdioxid gratis. Wer will da sein Geld anlegen? Wer will da schon wohnen?

 

Wohnen, wenn davon überhaupt die Rede sein kann, ist nur möglich, weil zwischen Handjery- und Hauptstraße hautnah an Gleisen und Autobahn auf 600 Meter Länge Bauten entstehen, die erst einmal nichts anderes als ein Schallschutzriegel sind. Küche und Bad nach Norden, wohnen nach Süden mit Blick auf das 10 Meter entfernte Nachbarhaus. Für den entstehenden Riegel werden schon Bilder beschworen: Koloss von Prora der Organisation Kraft durch Freude von 1939, oder zeitnaher 1972, die 350 Meter lange und acht Stockwerke hohe Papageiensiedlung am Cherusker Weg direkt an der A 66 bei Frankfurt-Höchst – vor fünfzig Jahren als städtebauliche Sensation gefeiert, heute laut FAZ als Ghetto verrufen. Freiwillig kommt kaum jemand hierher. Viele Bewohner sind resigniert und wollen nur noch weg.

 

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Es steht nicht gut um das Projekt. Drei Viertel des Areals sind nur Sandwüste. Auf knapp einem Viertel wird seit April 2019 gebaut – mit einem politischen Trick, damit überhaupt etwas vorangeht. Dort entstehen auf 6000 Quadratmetern zwei Häuser mit 238 sozial geförderten 1-, 2-, 3- und 4-Zimmer-Wohnungen nebst Kita, die nach Vollendung von der HOWOGE schlüsselfertig übernommen werden. Das geht diesmal hoffentlich korrekt zu, denn nicht vergessen ist, dass das kommunale Wohnungsunternehmen schon einmal wegen Verletzung von Wohnrechtgesetz, unrechtmäßige Vergabe und fehlende europaweite Ausschreibung für Großaufträge aktenkundig geworden ist.

 

238 von geplanten 1500 Wohnungen sind ein mageres Ergebnis. Von den angekündigten Gewerbeflächen ist gar nichts mehr zu hören. LIDL kommt schon mal nicht. Das Unternehmen baut derzeit in der Hauptstraße Nr. 65 das Erdgeschoss des Bürocenter Innsbrucker Platz für einen neuen Supermarkt aus. ALDI dürfte auf dem weitaus attraktiveren (ausbaufähigen) Grundstück in der Wexstraße Nr. 16-18 bleiben. Für eine angedachte Herberge ist bei der derzeitigen Überkapazität an Hotelbetten keine Rendite zu erwarten.

 

Friedenaus SPD-Chefin Dilek Kalayci hatte vor einem Jahr von einem „Highlight-Projekt“ gesprochen. Davon kann nicht die Rede sein. Bisher baut die Ten Brinke Group auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern an der Hnadjerystraße 238 sozial geförderte Wohneinheiten und eine Kita. Nach Fertigstellung wird die Howoge die 1-, 2- und 3-Zimmer-Wohnungen sowie einige 4-Raum-Wohnungen schlüsselfertig übernehmen. Die Arbeiten an den frei finanzierten 1150 Wohnungen sollen im zweiten Halbjahr 2020 beginnen. Ein Jahr später als geplant. Schönebergs Bezirksbaustadtrat Jörn Oltmann (GRÜNE) hofft, dass es nun endlich vorangeht: Ich lege großen Wert darauf, dass jetzt gebaut wird, denn wir brauchen dringend Wohnungen am Markt. Unklar ist, welche Auswirkungen die Verzögerung auf die späteren Mietpreise haben könnte. Man solle deshalb auch darüber nachdenken, Wohnungen dem Land Berlin zum Kauf anzubieten, so Oltmann. Bezahlbaren Wohnraum könnten fast nur städtische Wohnungsbaugenossenschaften garantieren. Die Pleite war vorprogrammiert. Warnungen wurden in den Wind geschlagen.