Barbara Baum

Barbara Baum (1933-2023)

Kostümbildnerin

 

Die Kostümbildnerin Barbara Baum soll sich für den 15. Juni 2015 zur Verleihung des Deutschen Filmpreises ein Kleid aus Velours-Chiffon geschneidert und dazu feine italienische Strümpfe angezogen haben: Falls ich ohnmächtig werde, sehe ich in denen nämlich für meine Verhältnisse noch sexy aus. Nun ist sie am 15. April 2023 gestorben und offenbar wird, daß die gefeierte Frau mit ihrem unglaublichen Gespür für Schauspieler, Rollen, Stoffe, Schnitte und Accessoires nicht am 7. Mai 1944 in Magdeburg, sondern elf Jahre früher am 7. Mai 1933 in Breslau geboren wurde. Barbara Baum hat mit ihrem Geburtsjahr ein wenig geschummelt.

 

Nach Vertreibung aus Schlesien strandete ihre Familie offensichtlich in Magdeburg. Barbara Baum absolvierte eine Schneiderlehre und studierte in Berlin Mode, Kunst- und Kostümgeschichte an der Textil- und Modeschule und an der Meisterschule für das Kunsthandwerk. Ich komme vom Mode-Design und nicht vom Kostümbild. Als Kostümbildnerin war ich Autodidaktin, nähte Kostüme für die Vaganten Bühne und das Theater am Kurfürstendamm. Meine erste Filmerfahrung hatte ich 1968 mit Peter Lilienthal und den Jagdszenen aus Niederbayern. Da war sie 35. Es folgten weitere Projekte, darunter Ludwig – Requiem für einen jungen König von Hans Jürgen Syberberg (1972), und so bin ich dabei geblieben. Meine praktische Ausbildung hat mir später sehr geholfen, vom ersten Entwurf bis zum fertigen Kostüm. Der Rest war learning-by-doing.

 

Mit 40 lernte Barbara Baum 1972 den 27-jährigen Rainer Werner Fassbinder kennen. Viele hatten mich vor ihm und seiner chaotischen Truppe gewarnt. Beim ersten Treffen schlug er das Drehbuch zu ‚Effi Briest‘ auf und fragte: ‚Und was hat die Effi da an?‘ Er verlangte sofort konkrete Vorschläge. Und so musste ich aus dem Stand für sämtliche Kostüme aus dem Skript Vorschläge machen. Es war mir klar, dass meine Improvisation für den geplanten Film Konsequenzen haben würde. Diese Arbeit war die Grundlage für ein enges Vertrauensverhältnis und unsere späteren gemeinsamen Projekte. Fassbinders Bemerkung, wir machen einen historischen Film, aber aus unserer Sicht, ging Barbara Baum nicht mehr aus dem Kopf.

 

Sie studierte die Drehbücher, analysierte die Rollen, beobachtete die Schauspieler, fand die passenden Stoffe für deren Kostüme, denn die Kostüme leben von dem Material, aus dem sie hergestellt werden. Für den Filmhistoriker Hans-Peter Reichmann war sie eine Erzählerin mit Textilien. Sie entwarf nach film-historischen Vorbildern, aber stets mit einem zeitgenössischen Blick, und prägte neben Kamera und Szenenbild zu großen Teilen die Ästhetik des späteren Films.

 

Zehn Jahre haben die beiden bis zu Fassbinders Tod 1982 zusammengearbeitet. Er gab ein Grundkonzept in Stichworten, beschrieb nur bestimmte Figuren und überließ den Rest mir und dem Drehbuch. In Kauf nahm er Barbara Baums Beharren auf Details. Kolportiert wird, daß sie einen ganzen Drehtag über den Haufen warf, weil zum Kostüm von Effi Briest eine Brosche fehlte. Dennoch begrüßte er sie gern mit  Guten Morgen, General – das war eine Liebeserklärung, glaube ich.

 

Auf Nora Helmer mit Margit Carstensen (1973) folgten die Filme mit Hanna Schygulla, Fontane Effi Briest (1974), Die Ehe der Maria Braun (1978), Berlin Alexanderplatz (1980) und Lili Marleen (1980). Dann kam mit Lola und Barbara Sukowa 1981 der dritte Teil von Fassbinders bundesdeutscher Trilogie – angekündigt gegenüber Barbara Baum mit dem Satz: Wir machen einen frühen amerikanischen Buntfilm. Schließlich kamen 1982 Die Sehnsucht der Veronika Voss mit Rosel Zech und Querelle nach dem Roman von Jean Genet mit Brad Davis als Querelle und Jeanne Moreau als Lysiane – eine deutsch-französische Co-Produktion und ein erster Schritt ins internationale Geschäft.

 

Die Fassbinder-Filme

Die nachfolgenden Fotografien haben wir der Webseite zur Ausstellung HAUTNAH des Deutschen Filmmuseums Frankfurt am Main entnommen. Die Ausstellung fand vom 23. Oktober 2018 bis 10. März 2019. statt. Zur Ausstellung erschien der Katalog FILMSTOFFE - Kostüme Barbara Baum.

www.dff.film

 

 

1986 startete Bernhard Sinkel mit der deutsch-italienischen Produktion Väter und Söhne den nächsten Schritt ins internationale Geschäft. Für die Geschichte der Industriellenfamilie Deutz wurden der klassische Famiienpatron Burt Lancaster, Julie Christie und Bruno Ganz verpflichtet. 1988 kam Brennendes Geheimnis (Burning Secret) von Andrew Birkin mit Klaus Maria Brandauer und Faye Dunaway. 1990 Colette, die Geschichte der französischen Schriftstellerin und Varietékünstlerin mit Mathilda May als Gabrielle Colette und Klaus Maria Brandauer als deren Ehemann Henri Gauthier-Villars. 1991 Homo Faber nach dem Roman von Max Frisch unter der Regie von Volker Schlöndorff mit Sam Shepard, Barbara Sukowa und Julie Delpy. 1993 Das Geisterhaus von Bille August mit Meryl Streep, Glenn Close, Jeremy Irons, Winona Ryder und Antonio Banderas.

 

Meryl Streep, so erzählte Barbara Baum, kam morgens zum Set, zog ihr Kostüm an und wollte danach nicht mehr angefasst werden. Für sie hatte die Kostümbildnerin ein luftiges Nachtkleid geschaffen. Beim Dreh in Portugal fror Meryl Streep. Berichtet wird, daß sie Barbara Baum kommen ließ und fragte, ob sie die Hausschuhe beim nächsten Take anbehalten dürfe. Oder ruiniere sie damit das Kostüm?

 

Sie durfte.

 

 

Barbara Baum hat ein gewaltiges Kostümwerk geschaffen, dazu gehören auch Katharina die Große mit Catherine Zeta-Jones (1995), Das Mädchen Rosemarie mit Nina Hoss (1996) und 1999 Aimée und Jaguar mit Juliane Köhler als Aimée und Maria Schrader als Jaguar (1999), Die Nibelungen (2004), Speer und Er (2005), Buddenbrooks (2008) und zuletzt Romy (2009).

 

 

Armin Müller -Stahl als Thomas Mann

In ganz besonderer Erinnerung aber bleiben Die Manns – Ein Jahrhundertroman als Doku-Drama über die Familie Mann von Regisseur Heinrich Breloer mit Armin Mueller-Stahl als Thomas Mann im Zentrum (2001). Besonders spannend war es für Barbara Baum, nie die Mischung aus Fiktion und Dokumentation aus den Augen zu verlieren, was hieß, die fiktiven Gestalten nahtlos zu den ‚wirklichen‘ Menschen werden zu lassen. Ich hatte viele Anzüge für Armin Mueller-Stahl geplant, die die modische Entwicklung von den 1920er bis zu den 1950er Jahren widerspiegeln sollten. Ich hatte die Materialien mühsam gesucht und die schweren Herrenstoffe extra in London gekauft. Aber er trug die maßgeschneiderten Zwirne schließlich anders, als wir es uns vorgestellt hatten, etwas ‚lockerer‘ als der echte Thomas Mann, der immer wie aus dem Ei gepellt aussah.

 

Mit seiner Schauspieler-Autorität hat er sicherlich die Verkörperung Thomas Manns stark geprägt. Die Kostüme mochte er sowieso, aber allgemein mag er Kostümanproben nicht besonders, erst recht nicht, wenn vor dem Drehen noch an ihm herumgefummelt wird – das hat er mit Meryl Streep gemeinsam.

 

 

 

 

 

Südwestkorso 63. Topographie Friedenau, 1999

1963 ist Barbara Baum in den obersten Stock der Altbauwohnung Südwestkorso Nr. 63/Ecke Rheingaustraße gezogen: Berlin 41, Telefon 85 85 73. Mit der Telefon-Umstellung von 1968 wurde daraus 821 85 73. Die Wohnung, so erinnern sich Freunde und Kollegen, diente als Lebensmitte, Atelier und Arbeitsarchiv zugleich. Betrat man ihren Atelierraum am Ende des Flurs, so stand man nicht nur in einem Stofflager, sondern förmlich in einem bunten Kleiderwald. Hier hatte die Kostümbildnerin in den vergangenen 40 Jahren recherchiert, exzerpiert, gescribbelt, entworfen, kalkuliert und stets viel kommuniziert. Als es mit den vier Teppen nicht mehr ging, zog sie in ein Seniorenstift. Dort ist Barbara Baum am 15. April 2023 mit 89 Jahen gestorben. Die Trauerfeier mit anschließender Urnenbeisetzung findet am 8. Juni 2023 auf dem Friedhof in der Stubenrauchstraße statt (Grabstelle Abt. 15, Nr. 6).

 

 

 

 

 

 

Trauerfeier für Barbara Baum am 8. Juni 2023 auf dem Friedhof Stubenrauchstraße