Grab Ferruccio Busoni. Foto H&S, 2006

Ferruccio Busoni (1866-1924)

 

Er war Pianist, Komponist, Dirigent, Librettist, Essayist und Lehrer. Nach Aufenthalten in Bologna, Wien, Leipzig, Helsinki, Moskau und Boston ließ er sich 1894 in Berlin nieder. Aus der Ehe mit seiner aus Schweden stammenden Frau Gerda geb. Sjöstrand (1862–1956) gingen die Söhne Rafaello und Benvenuto hervor. Ab 1920 unterrichtete er an der Berliner Akademie der Künste eine Meisterklasse in Komposition. Bis zu seinem Tod wohnte Busoni mit Familie am Viktoria-Luise-Platz Nr. 11 in Schöneberg. Für die Opernbühne entstanden die musikalisch–phantastische Komödie „Die Brautwahl“ (UA Hamburg 1912), das theatralische Capriccio „Arlecchino oder Die Fenster“ (UA Zürich 1917), „Turandot“ (UA Zürich 1917) sowie die unvollendete Oper „Doktor Faust“, die 1925 postum in einer Vervollständigung seines Schülers Philipp Jarnach in der Semperoper Dresden uraufgeführt wurde. Neben seinen eigenen Kompositionen für den Konzertsaal war Busoni mit Herausgabe der Klavierwerke von Bach und Liszt beschäftigt. Zur Kritik an den von ihm vorgenommenen Änderungen erwiderte er, dass er „stets den schöpferischen Gedanken für vollkommen halte, nicht aber dessen musikalische oder satztechnische Umsetzung“.

 

 

Ferruccio Busoni ist Sonntag, 27. Juli 1924, „zwischen 4-5 Uhr morgens entschlafen“. Am Montag, 28. Juli, wurde um 12.30 Uhr (nachdem das Gesicht des Toten rasiert war) von Bildhauer Kurt Kroner (1885-1929) und seinen Gehilfen Gesichtsmaske genommen und Photographien angefertigt. Der Bildhauer Georg Kolbe (1877-1947) entwarf 1925 im Auftrag des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ein Grabdenkmal für Busoni. Die Grabanlage auf dem Friedhof Stubenrauchstraße besteht aus einem sich konisch nach oben verbreiternden Pfeilerdenkmal von quadratischem Grundriss, bekrönt von der bereits 1922 entstandenen Bronzeplastik „Genius“.

 

 

Gottfried Galston, vor 1930. Foto Nicola Perscheid

Gottfried Galston (1879-1950)

Kalendernotizen über Ferruccio Busoni

 

Die Kalendernotizen des Pianisten Gottfried Galston (1879-1950) wurden im Jahr 2001 erstmals im „Verlag der Heinrichshofen-Bücher Wilhelmshaven“ veröffentlicht. Sie dokumentieren mit akribischer Genauigkeit Gespräche und Ereignisse der von Krankheit überschatteten letzten drei Lebensjahre von Ferruccio Busoni. Mit diesen Aufzeichnungen liefert Galston als Busonis Freund, Assistent und Wesensverwandter einen aufschlussreichen Fundus an Informationen.

 

Wir geben nachfolgend Auszüge der kurzgefassten Chronik von Gottfried Galston wieder, die im Original als ein siebenseitiges maschinenschriftliches Dokument unter dem Titel „Gottfried Galstons Kalendernotizen“ überliefert ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonnabend 26 Juli [1924] Seit vorgestern scheint eine weitere Verschlechterung des Zustandes eingetreten zu sein. FB erkennt Umgebung nur mühsam. Sprechen fällt immer schwerer.

 

Sonntag 27 Juli Eine leichte Halsentzündung hiess mich vorsichtig sein, so war ich vorgestern nicht bei FB gewesen. Gestern aber trieb mich die Unruhe hin. Zeitungen stiessen schon Unkenrufe aus 'die auf das Schlimmste vorbereiten' sollten. Es war wieder eine Verschlechterung eingetreten, wie mir Lello [der Sohn Raffaello] und die Krankenschwester gleich bei der Tür sagten. Es war diese unsympathische Stunde (von 3-4), wo bei FB immer Kaffeehaus und Tratschbetrieb war ... FB hat während seiner 2jährigen Krankheit diese Phasen der Auflehnung und der bitteren Revision mit Schmähung und Ungerechtigkeit gegen 'abgestempelte Gipfel' gehabt. So war die Schmähsucht gegen Beethoven, gegen Wagner, gegen Flaubert, Balzac etc., etc. zu verstehen: Ein Scheidender, der hemmungslos Götzen zerschlägt, vor denen er (mit den anderen) früher faul gebetet. All das war vorübergehend, und schon war er wieder im Begriff, zur endlichen Mitte der auseitigen gerechten Würdigung zurückzukehren... aber da geht er von uns. Ausserdem: es waren nur Momente, wo er so sprach ... Der Himmel verhüte, dass ich in die bevorstehenden, fürchterlichen und abscheulichen Keilereien und blutigen Keifereien hineingezogen werde, die jetzt im Hause des Dahingegangenen losbrechen werden!!

 

Heute Sonntag 27 Juli zwischen 4-5 Uhr morgens ist FB entschlafen.

Ich kam von Unruhe getrieben um 11 Uhr vormittag hin. Benno empfieng mich verlegen lächelnd. Auf meine Frage nach der Nacht und ihren Verlauf antwortet er nicht. Lächelt verlegen. Wir treten ins Musikzimmer ... Ich frage wieder. Endlich sehe ich und höre. Nebenan liegt der Tote. Ich wende mich ab... Frau Gerda nicht zu sehen ... Ich trete ins Sterbezimmer ... die Matratzen bar, kreuz und quer und nebenan ein weisses Laken, versteckt eine ganz geringe schmächtize Masse. Ich hebe das Tuch. Gelb, gross, friedlich der glatte Kopf Bart rasiert. (?) Ist eine schmale Binde um die Stirne?? Ich eile hinweg. Jetzt ist unser Führer, unser Gewissen, von uns genommen ... Wer aber wird sein Werk und Wirken weiterführen?? ... Es trieb mich wieder auf die Strasse und in die Nähe des Hauses am Viktoria Luisenplatz. Rita Bötticher [eine enge Freundin Busonis und seine Sekretärin] mit Mutter - in Schwarz - [in der] Luitpold-Strasse getroffen. Gleich wollten sie Schmähkonzerte, Schimpfen und Schmähen einsetzen gegen Frau Gerda und die flegelhaften Söhne. Ich stellte das schnell ab. Rita B.[ötticher] erzählte, was sie von der Krankenschwester über die letzten Stunden FB's gehört hat. Um 12h Mitternacht ass FB noch ein Ei. Die Schwester reichte es ihm. Er fragte sie: 'Ist das der Tod?' Und später als die Krankenschwester eine beruhigende Medizin reichte, seufzte er: 'Ich bin ja schon todt.' Um 4 Uhr früh kam Dr. Meyer und bald darauf sei er in den Armen des Arztes und der Schwester gestorben. Sie wuschen und kleideten ihn, und er wurde rasiert. Der Kopf wirkt jetzt wieder gross und mächtig ... Sicher ist: - dem Meister der Töne und dem herrlichen Geist grosser Harmonien ward kein friedliches Sterben beschert. Immer in all diesen schweren, schweren zwei Jahren gab es hässlichen Kampf um ihn, mit ihm, er gegen alles, alles um ihn, in Streit und Keilerei. Eifersucht, Missgunst und Gereiztheit zerrissen die Luft bis zur allerletzten Stunde. Da denk' ich an Weill, wie er meint: Das war ein heidnisches Sterben. ... Und er wird nicht aufhören, Streitobjekt zu bleiben. Denn jetzt kann Eifersucht und Machtkitzel weiterstreiten um den Nachlass der Güter und Werke und um ihre 'richtige' Verwaltung!!! Oh, Menschen, Menschen, Menschen ...

 

Montag 28. Juli

Heute um 12.30 wurde (nachdem das Gesicht des Toten rasiert) von Bildhauer Kurt Kroner (1885-1929) und Gehilfen [die] Gesichtsmaske (und Photographien) genommen. Wieder sah ich die Leiche und war entsetzt: Wie fürchterlich verändert, wie durchaus fremd und elend fern sah das aus! Besonders die untere Gesichtshälfte: das ist ein Fremder. Und so also sieht jetzt die 'Wohnung' aus ohne den Geist ... Nachmittag dort. Frau Gerda umarmt und getröstet. Sie weinte, schien mir aber aufrecht und mutig. Die Worte, die ich ihr sagte: wir müssen weiterleben, wir haben noch viel und wichtiges für ihn zu besorgen und zu bewirken - schien ihrer eigenen Überzeugung zu entsprechen. Die Söhne sassen mit Zadora im Speisezimmer und schimpften, spotteten, medisierten und parodierten jeden Besucher und Freund, der kam und gieng. Diesem Haus und Kreis (der zerbrochen) muss ich jetzt adieu sagen. Man soll mich rufen, wenn - man mich braucht...

 

30 Juli Mittwoch Heute um 12 h war in der Akademie am Pariserplatz für geladene Gäste eine Trauerfeier. Grosser Zudrang von Menschen. Familie und nähere Freunde wurden zuerst in ein gesondertes Zimmer gebeten ... Frau Gerda blieb fern. Man sagt:?? ein gegenseitiges Versprechen der ehegatten, nicht der Beerdigung beizuwohnen, sei der grund? ...