Grab Gerhard Moll. Foto Hahn & Stich, 2016

Gerhard Moll (1920-1986)

 

Jedes Jahr im Herbst erinnert die Schöneberger Friedhofsverwaltung daran, dass die Ruhezeiten für Grabstätten auf dem Friedhof Stubenrauchstraße am 31. Dezember ablaufen. Jedesmal stellt sich die Frage, welche Gräber betroffen sein könnten, mit deren Einebnung im Februar begonnen wird. Entschieden wird nach Aktenlage, nicht nach der kulturgeschichtlichen Bedeutung eines Grabes.

 

Das Grab des Friedenauer Malers Gerhard Moll in der Abteilung 19 (10-11) ist nicht betroffen, weil es Angehörige gibt, die sich um die Verlängerung des Nutzungsrechtes bemüht haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gerhard Moll wurde am 19. Januar 1920 in Berlin geboren. 1939 begann er mit dem Studium an der Hochschule für Bildende Künste. 1942 kam die Einberufung zur Marine. Seine Befehlsverweigerung führte am 11. Mai 1942 zur Einweisung in die Nervenabteilung des Marinelazaretts Stralsund und psychiatrischen Begutachtung. Das war dort gang und gebe. Vor ihm traf es 1921 den Schriftsteller Hans Fallada (1893-1947) wegen degenerativer psychopathischer Konstitution, nach ihm 1944 den Bildhauer Waldemar Grzimek (1918-1984) wegen zwangsneurotischer Psychopathie mit Krankheitswert. Gerhard Moll erlitt angesichts der Zustände, die dort herrschten, hundert Geisteskranke in einem verschlossenen Saal, die von Pflegern auf die brutalste Weise misshandelt wurden, einen Nervenzusammenbruch. Am 23. Oktober 1942 wird er entlassen und vom Militärdienst befreit. Wieder an der Hochschule dokumentiert er seine Erlebnisse in dem Gemälde Heilstätten Stralsund (1943). Seiner Lebenspartnerin Jutta Zimmer offenbarte er später, dass er den Nervenzusammenbruch simuliert habe, um seine Entlassung zu erreichen. Am schwersten sei es ihm demnach gefallen, irre Antworten zu geben und zu lachen. Er sei einem jungen Arzt, von dem er sich durchschaut gefühlt habe, dankbar gewesen, dass er trotzdem seine Entlassung unterstützt habe.

 

1948 zieht er in die Atelierwohnung im Dachgeschoss der Evastraße Nr. 2, die von 1909 bis 1922 vom Maler Oskar Höppner und von 1923 bis 1943 vom Grafiker Hermann Klusmeyer genutzt wurde. Zur bereinigten Geschichte der Galerie Haus am Waldsee gehört, dass Moll 1951 von der Ausstellung im Zehlendorfer Kunsthaus ausgeschlossen wurde und ihm die Größen der neuen Kunstszene jede Ausstellungsmöglichkeit in West-Berlin nahmen. Mitten im Kalten Krieg beteiligte sich der West-Berliner Gerhard Moll 1951 an der Ausstellung Künstler schaffen für den Frieden in Ost-Berlin und präsentiert das Gemälde Franzosen umarmen Vietnamesen im Walter-Ulbricht-Stadion. Mit Konsequenzen hatte Moll nicht gerechnet, aber für die West-Berliner Kollegen war das ein Affront. Es blieb ihm nur der Osten. Er wird Meisterschüler an der Akademie der Künste in Ost-Berlin und kreiert mit Wolfgang Frankenstein (1918-2010), Waldemar Grzimek (1918-1984) und Vera Singer (1927-2017) Wandbilder für die Schule in Treptow, Liebknecht spricht 1918 bei Borsig für VEB Bergmann-Borsig in Wilhelmsruh und das Kulturhaus in Hessenwinkel.

 

Mit dem Bau der Mauer 1961 ist alles vorbei. Ihm bleiben die Atelierwohnung in der Evastraße Nr. 2 und die Zahlungen der Sozialen Künstlerhilfe von West-Berlin: Er lebte zurückgezogen, hoch oben über den Dächern von Friedenau. Er war starker Raucher. Am Tage skizzierte er spielerisch vor sich hin, gegen Abend zog er sich ganz zurück und fühlte in sich hinein. Er arbeitete nachts bis ins Morgengrauen. Seine Kollegen, von denen manche in der Berliner Nachbarschaft lebten, bekamen kaum etwas mit von ihm. Sie sahen, wenn nachts das Licht bei ihm brannte. Ganz leise und kaum merklich, begab er sich auf eine Flucht vor der Welt – schweigsam.

 

Gerhard Moll starb am 19. Dezember 1986 in seiner Atelierwohnung in Friedenau. Drei Jahrzehnte nach seinem Tod sorgte ein Förderverein dafür, dass Molls Gemälde Heilstätten Stralsund (1943) wegen seiner künstlerischen und medizinhistorischen Bedeutung für Stralsund erworben wurde. Es hat für die Aufarbeitung der Historie der Krankenanstalt eine große Bedeutung. Darüber hinaus bleibt ein bemerkenswerter Essay des Kunsthistorikers Jörn Merkert, der 1993 unter dem Titel Einsame Bilder des Welttheaters: Gerhard Moll, Gemälde und Aquarelle, erschienen ist.

 

Mehr zu Gerhard Moll unter Evastraße Nr. 2.

 

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Einsame Bilder des Welttheaters. Gerhard Moll Gemälde und Aquarelle. Von Jörn Merkert, 1993

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