Alfred Hübner, Das Leben des Paul Zech. Morio Verlag Halle, 2021

Paul Zech (1881-1946)

 

Er war ein Lügner, Dieb, Ehebrecher, Verleumder, Hochstapler, Egozentriker, Monomane und ... die Aufzählung ließe sich weiter fortsetzen. Alfred Hübner kann es sich leisten, dermaßen über den Schriftsteller Paul Zech herzuziehen, weil er sich auch nach jahrelangen Recherchen die Fähigkeit bewahrt hat, zwischen den verdienstvollen expressionistischen Texten und der problematischen Persönlichkeit von Paul Zech zu differenzieren.

 

Zum 75. Todestag von Paul Zech am 7. September 2021 erschien im Morio Verlag Halle Das Leben des Paul Zech. Hübner wählte für den Untertitel den Begriff eine Biographie, und weist schon damit daraufhin, dass sich in der Vergangenheit einige Biographen an Paul Zech versucht haben – mehr oder weniger gescheitert an fragwürdigen Quellen, die auf Zechs Angewohnheit basierten, seinen Lebenslauf nach Belieben zu manipulieren. Alfred Hübner legt nun eine Biographie vor, die einige von Zech in Umlauf gebrachten Legenden auf den Prüfstein stellt. Heraus schält sich ein Leben aus vielen, das seinesgleichen sucht.

 

Paul Zech war verheiratet, hatte einen Sohn und eine Tochter und gab Lebensgefährtin Hilde Herb (1901-1940) dennoch als seine Frau aus. Gymnasium, Studium, Promotion und der Titel Dr. phil. Zech waren erfunden. In der Berliner Stadtbibliothek war er Hilfsbibliothekar und nicht Bibliotheksrat. 1929 wurde er nach berechtigten Plagiatsvorwürfen aus dem Schutzverband deutscher Schriftsteller ausgeschlossen. Nach Ermittlungen der Kriminalpolizei zum Diebstahl von annähernd 2500 Bänden wurde er von der Bibliothek im März 1933 beurlaubt. Angesichts einer Vorladung der Kriminalpolizei verschwand Paul Zech im August aus Berlin und reiste über Wien, Triest und Montevideo nach Buenos Aires. Dort gab er sich als Verfolgter aus, zählte sich zu den verbrannten Dichtern, obwohl seine Schriften während der NS-Zeit nicht verboten waren. 1942 empfahl die Reichskulturkammer lediglich, von jeder Veröffentlichung Abstand zu nehmen. In Argentinien setzte Zech den Wirrwarr fort. Seine Expeditionen nach Brasilien, Peru oder Chile sind bloße Fiktion, seine Reiseberichte entnahm er bereits veröffentlichten Artikeln.

 

Paul Zech starb am 7. September 1946 in Buenos Aires. Am 20. Oktober wurde die Urne auf dem Deutschen Friedhof im Stadtteil Chacarita beigesetzt. Einen Tag später schrieb Sohn Rudolf aus West-Berlin nach Buenos Aires: „Wie ich durch die Redaktion der (in Ost-Berlin erscheinenden) Kulturzeitschrift Aufbau erfahre, ist mein lieber Vater dort verstorben – und kommt zur Sache: Damit ich mich als einzigster Sohn um den literarischen Nachlass kümmern kann. Bei der Durchsicht der Korrespondenz werden Sie wahrscheinlich wenig oder gar keine Anhaltspunkte von mir finden. Dies erklärt sich daraus, dass eine direkte Verbindung nicht möglich war. Gestapo und andere üble Organe überwachten meine Korrespondenz.

 

Die Formulierung einzigster Sohn hatte Rudolf Zech wohl mit Bedacht gewählt. Verschwiegen hatte er, dass es auch noch die Witwe Helene Zech geb. Siemon (1885-1962) und die Schwester Elisabeth Dorothea (1906-1998) gab, mit denen Paul Zech 1919 in das Landhaus Kurstraße Nr. 10 in Bestensee gezogen war. Sie lebten auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch dort – nun allerdings in der Sowjetischen Besatzungszone.

 

Am 27. Februar 1947 erhielt der Sohn und Buchdrucker in West-Berlin die Lizenz für den Verlag Rudolf R. Zech. Der residierte später in der Friedenauer Rotdornstraße Nr. 6 mit Ehefrau Hella Zech (1901-1984) als Verlagsleiterin. In den ersten Jahren erscheint ein Sammelsurium, wenig geeignet, die Werke von Paul Zech nach der NS-Zeit wieder in Erinnerung zu rufen. Als die DDR erkannt hatte, dass sich Paul Zech als Antifaschist vermarkten ließ, kamen Greifenverlag Rudolstadt, Witwe und Tochter 1952 auf die Idee, die vor 1933 publizierten Werke von Paul Zech nachzudrucken und unveröffentlichte Texte aus dem Exil postum herauszubringen. In diesen Jahren wurde in Bestensee ein Gedenkstein gesetzt: In diesem Haus wohnte Paul Zech zwischen 1919 und 1933. Über die Mauer hinweg folgte ein langer Streit um das Erbe zwischen Ost und West.

 

Ende der 1960er Jahre erfuhr der damalige Germanistikstudent Alfred Hübner, dass das Grab von Paul Zech in Buenos Aires aus finanziellen Gründen eingeebnet werden sollte. Hübner sorgte für die Überführung der Urne nach Berlin und die Aufstellung im Columbarium auf dem Friedhof Stubenrauchstraße. Nachdem Rudolf R. Zech am 21. November 1972 verstorben war, erwarb seine Witwe Hella Zech geb. Buchhorn die Grablage 23-49/51. Es entstand eine pompöse Grabstätte mit der Inschrift: Ihre Werke sind unsterblich mit den sterblichen Überresten für den Dichter u. Schriftsteller Paul Zech und den Maler u. Graphiker Verleger Rudolf Zech. Die Senatskanzlei teilt dazu mit, dass die Grabstätte 1975 erstmalig als Ehrengrabstätte anerkannt und 2001 als solche verlängert wurde. Vater (Paul Zech) und Sohn (Rudolf Zech) haben also beide eine (gemeinsame) Ehrengrabstätte.

 

Die Antwort des Senats ist unbefriedigend, da Ehrengrabstätten des Landes Berlin Ausdruck der Ehrung Verstorbener sind, die zu Lebzeiten besondere Leistungen erbracht oder sich um die Stadt besonders verdient gemacht haben. Für das literarische Werk von Paul Zech – vor allem für die bis 1933 publizierten Arbeiten – trifft das zweifellos zu. Wie aber steht es um die Verdienste von Verleger Rudolf Zech? Die Senatskanzlei schreibt, dass die Verlängerung zu ggb. Zeit geprüft wird, und kündigt damit auch an, dass beim Senat im Jahr 2021 eine Entscheidung über Verlängerung bzw. Nichtverlängerung ansteht. In diesem Zusammenhang könnten einige Ungereimtheiten geklärt werden.

 

Der hier in dieser Erde ruht,

Bei Wurm und Wurzeln und dem Urgeschehn

Von Werden, Gehn und Wiederauferstehn:

Auch er war Blut von unserm Blut.

Und was uns immer so missfiel

An seinem Wesen, Werk und Ziel,

Das war nichts anderes als in Wirklichkeit

Das Spiegelbild von uns und unsrer Zeit.

 

Diese selbstverfassten Zeilen wünschte sich der Dichter Paul Zech auf seinem Grabstein. Das haben ihm die West-Berliner Erben nicht zugestanden. 1984 fand auf der Grabstelle auch Hella Zech ihre letzte Ruhe. Kurz vor ihrem Tod hatte sie noch dafür gesorgt, dass am 22. August 1983 am Haus Naumannstraße Nr. 78 in Schöneberg eine Gedenktafel enthüllt wurde: Hier wohnte von 1925 bis 1933 Paul Zech, Arbeiterdichter, Dramatiker, Übersetzer französischer Lyrik.

 

 

Paul Zech, 1914

Paul Zech gehört heute zu den vergessenen Schriftstellern. Einzig Die Balladen und lasterhaften Lieder des Herrn François Villon in deutscher Nachdichtung von Paul Zech sind geblieben, darunter das Gedicht Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund. Es wurde 1931 im Erich Lichtenstein Verlag Weimar veröffentlicht. Kurt Tucholsky schrieb damals, nun eine Nachdichtung ist das nicht, es sind Gedichte in moderner Tonart, verfertigt nach sicherlich sorgfältiger Lektüre Villons. Zech hat keinen Stein auf dem andern gelassen, sondern er hat ein neues Hüttchen gebaut. Ist es schön? Mittelschön. Die ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, in allen Ehren: aber hier gibt es nur zwei Wege. Entweder man übersetzt so wörtlich wie nur möglich – oder aber man ist dem Villon kongenial und dichtet neu. Zech hat neu gedichtet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richtig bekannt wurde der Erdbeermund allerdings erst durch Klaus Kinski, nachdem er 1952 in Valeska Gerts Kabarett Hexenküche in der Paulsborner Straße für seine deftige Interpretation bejubelt wurde. 1960 folgte die Rezitationstournee durch Deutschland. 1982 erschien die erste Schallplatte: Klaus Kinski: Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund. Der Name von Paul Zech ging unter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,

ich schrie mir schon die Lungen wund

nach deinem weißen Leib, du Weib.

Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,

da blüht ein schöner Zeitvertreib

mit deinem Leib die lange Nacht.

Da will ich sein im tiefen Tal

dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.

 

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,

da schlief ich manches Sommerjahr

bei dir, und schlief doch nie zuviel.

Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,

das macht mir wieder frohen Mut.

Komm her, ich weiß ein schönes Spiel

im dunklen Tal, im Muschelgrund ...

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

 

Die graue Welt macht keine Freude mehr,

ich gab den schönsten Sommer her,

und dir hat‘s auch kein Glück gebracht;

hast nur den roten Mund noch aufgespart,

für mich, so tief im Haar verwahrt ...

Ich such ihn schon die lange Nacht

im Wintertal, im Aschengrund ...

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

 

Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,

da hat der Schnee ein Nest gebaut

und fragt nicht, wo die Liebe sei.

Und habe doch das rote Tier so tief

erfahren, als ich bei dir schlief.

Wär nur der Winter erst vorbei

und wieder grün der Wiesengrund!

... ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

 

Klaus Kinski - Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund

https://www.youtube.com/watch?v=WcuPXZlq0Ts

 

 

Eine Auswahl der vergessenen Werke von Paul Zech aus dem Zeitraum von 1911 bis 1933