Aufruf im Friedenauer Lokal-Anzeiger, 1908

Richard Draeger (1857-1923)

 

Auf der Erbbegräbnisstätte Draeger an der Begrenzungsmauer zur Fehlerstraße (Abt. Ia 174/175) haben viele Familienangehörige ihre letzte Ruhe gefunden – im Mittelpunkt die Stele mit der Inschrift „Richard Draeger, Architekt, Gemeindeältester zu Friedenau, *18.10. 1857, †4.1.1923“. Angelegt wurde die Familiengrabstätte offensichtlich erst nach seinem Tod.

 

Richard Draeger wird im Adressbuch erstmals 1888 unter Handjerystraße Nr. 7 aufgeführt. 1889 ist er bereits „Inhaber eines Büros für Bauausführungen, Handjerystraße Nr. 7“. Im Jahr 1893 erwirbt er das Haus Albestraße Nr. 30, zu dem später noch die Anwesen Wielandstraße Nr. 31 (1896) und Kirchstraße Nr. 26/27 (Schmiljanstraße) hinzukommen. Aus dem „Friedenauer Lokal-Anzeiger“ – „unparteiische Zeitung für Bln.-Friedenau und den Friedenauer Ortsteil von Schöneberg“ – so der offizielle Untertitel, geht hervor, dass Draeger um 1899 zum Gemeindeschöffen gewählt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte er als Architekt mit einigen viergeschossigen Mietswohnhäusern Zeichen gesetzt, Goßlerstraße, Menzelstraße, Beckerstraße, Schmiljanstraße, Wielandstraße, Handjerystraße, Hedwigstraße. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Richard Draeger von der Gemeindevertretung in die Ausschüsse für Bauwesen und Straßenbauten gewählt wurde.

 

Eine heftige Debatte gab es in der Gemeindevertretung am 1. März 1912. Der Bildhauer Valentino Casal hatte 1899 das Grundstück Wilhelmstraße Nr. 7 (Görresstraße) mit einem weit in die Tiefe reichenden Areal erworben und mit dem „Atelier V. Casal“ bebaut. Als die Gemeinde Friedenau unter Gemeindebaurat Hans Altmann den Bebauungsplan änderte und die Straße 12 (ab 1910 Bachestraße) anlegte, reichten die Bauten über Vorgarten und Bürgersteig hinweg bis 6,40 m in die Bachestraße hinein. Nun sollte der „Engpass“ beseitigt werden. Die Gemeinde hat allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

 

 

 

 

 

 

 

Der „Friedenauer Lokal-Anzeiger“ berichtet: Herr Casal hat Gegenvorschläge gemacht. „Danach will Herr Casal mit seinem Grundstück bis zur Vorgartengrenze zurücktreten, er verlangt aber, daß ihm die Gemeinde dann nach der Wilhelmstraße einen neuen Schuppen errichtet. Die Kosten hierfür würden etwa 10.000 M. betragen. Ferner beansprucht er die Freistellung von jeglichen Anliegerbeiträgen, was ebenfalls einen Betrag von 2700 M. er geben dürfte. Auch die Kanalisations- und gerichtlichen Kosten müsse die Gemeinde tragen, so daß 12-14.000 M. Kosten der Gemeinde erwachsen würden. Außerdem stellt Herr Casal aber noch die Bedingung, daß der Streifen, den er abtrete, ihn als bebauungsfähige Fläche angerechnet werde. Dass ihm solches genehmigt würde, sei aber ganz ausgeschlossen. Selbst wenn man alle diese Bedingungen anerkennen würde, wäre doch noch nicht reiner Tisch gemacht, da das Gebäude immer noch in den Bürgersteig hineinspringen würde.“

 

Die Gemeindevertreter waren uneins. Für den einen war „der Engpass dort nicht so schlimm, es ist Raum genug vorhanden für die Feuerwehr und der Verkehr werde auch sonst nicht behindert. Wenn sich die Nachbarn über das unschöne Aussehen beschweren, so mögen sie doch die Kosten der Beseitigung tragen“. Ein anderer war der Ansicht, dass „der Herr noch ganz von selbst kommen werde, das sei nur eine Frage der Zeit. Das Grundstück gewinne ja auch nur an Wert, wenn es geregelt wird“. Und ein dritter meinte, dass „da eine öffentliche Verkehrsstörung vorliegt und man den Besitzer zur Abtretung des Geländes zwingen könne“. Darauf erwiderte Schöffe Richard Draeger, daß „das Enteignungsrecht der Gemeinde selbstverständlich frei stehe, aber man müsse dann das ganze Grundstück erwerben, mindestens aber das Atelier. Die Neuerrichtung des Ateliers könne Herr Casal dann aber verlangen“. Die Angelegenheit wurde vertagt. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde der Italiener Valentino Casal enteignet und später entschädigt. Am 22. März 1922 wurden die auf die Bachestraße ragenden Bauteile abgerissen. Als es im Jahr 1900 um die „Zustimmung zur Durchlegung der Baufluchtlinie der Hähnelstraße auf Schöneberger Gebiet (zur Sponholzstraße)“ ging, referierte Draeger: „Die Fahrbahnbreite soll 11,50 m breit, die Bürgersteige je 3,75 m und die Vorgärten je 4 m breit projektiert sein. Schöneberg hat in allen seinen Friedenauer Straßen 4 m breite Vorgärten, während die Vorgärten der Gemeinde Friedenau die Breite vom 6 m ausweisen.“ Danach wurde allgemein die Ansicht geäußert, dass „die 6 m Breite auch in der Hähnelstraße beibehalten werden“.

 

Gravierender waren allerdings die Probleme mit Wasser und Abwasser. Die Gründer von Friedenau hatten an einen Villenvorort im Grünen gedacht. Wasser kam aus privaten Brunnen der Grundstücke, Abwasser ging in den „Schwarzen Graben“. Der Spezialist für Stadtreinigung und Kanalisation Friedrich Wilhelm Büsing (1834-1904) war 1886 nach Friedenau gezogen und von 1888 an ehrenamtlicher Berater der Gemeindevertretung. Gemeinsam mit Richard Draeger haben sie sich mit dem Zustandekommen der gemeinsamen Wasserversorgung und Entwässerung zwischen den Charlottenburger Wasserwerken sowie Schöneberg, Wilmersdorf und Friedenau „hervorragende Verdienste erworben“.

 

Ganz uneigennützig war das nicht. Der Architekt und (teilweise auch) Bauherr Draeger hat in Friedenau eine Reihe von ansehnlichen Mietswohnhäusern geschaffen, an denen wir uns auch nach über einem Jahrhundert noch erfreuen.

 

Albestraße Nr. 30 Entwurf und Bauherr Richard Draeger, 1891: Das dreigeschossige, sechsachsige Mietwohnhaus aus roten Ziegeln auf einem hohen, geböschten Souterrain wird in der Mittelachse durch einen zweiachsigen Standerker gegliedert, der oben einen Altan trägt. An Fenster- und Türgewänden sind Putzbossen in die roten Ziegelmauern eingefügt. (Quelle: Topographie Schöneberg/Friedenau, 2000)

 

Goßlerstraße Nr. 8 (1891): Der zweigeschossige, sechsachsige, rote Rohziegelbau ist auf einem hohen Souterrain erbaut. Die nördliche Endachse nimmt das Treppenhaus auf, ein asymmetrischer zweiachsiger Risalit mit Quergiebel vor dem ausgebauten Dachgeschoß bringt etwas Spannung in den strengen, einfachen Bau. Im Souterrain befinden sich Garagen und eine kleine Wohnung. Das Mietwohnhaus - ein Einspänner - das nach seiner äußeren Erscheinung noch den Landhäusern der ersten Bauphase nahesteht, markiert den Übergang zu neuen Wohnungsbauformen in Friedenau nach der Bauordnung von 1887. (Quelle: Topographie Schöneberg/Friedenau, 2000)

 

Roennebergstraße Nr. 15 (1902): Die symmetrische Fassade des Hauses ist trotz des Baujahrs 1902 in den Formen der Neogotik gestaltet. Beiderseits der Mittelachse springen Erker vor, in deren Brüstungsfeldern die Initialen „W. D.“ und „E. D.“ (wohl für die Bauherren) auf Inschriftbändern erscheinen. Seitlich der Erker sind Balkons angeordnet. Über dem zweiten Obergeschoß sind auf beiden Erkern zwei große Reliefs mit zwei sitzenden, nackten Frauenfiguren im Rankenwerk ausgeführt. Die Erker werden von Quergiebeln mit flachen Maßwerkdekorationen im Relief bekrönt. Die historistische Fassade des viergeschossigen, siebenachsigen Mietshauses wirkt überzeugend, weil sie sich mit ihrer Dekoration den benachbarten Jugendstilfassaden annähert. (Quelle: Topographie Schöneberg/Friedenau, 2000)

 

An weiteren Bauten von Richard Draeger wären zu nennen: Schmiljanstraße Nr. 26/27, Wielandstraße Nr. 31, Handjerystraße Nr. 86, Hedwigstraße Nr. 7a, Wielandstraße Nr. 14a/Hedwigstraße 12/12a (1893-1895, Entwurf Richard Draeger, Ausführung Carl Thomann & Carl Homuth, Bauherr Emil Heida), Menzelstraße Nr. 30 (Entwurf und Bauherr Richard Draeger, 1895/96), Beckerstraße Nr. 8/Menzelstraße Nr. 29 (1897).

 

Am 7. Februar 1918 hatte die Gemeindevertretung die Wiederwahl des stellvertretenden Amts- und Gemeindevorstehers Gemeindeschöffen Architekt Richard Draeger beschlossen und vom Landrat bestätigt wurde. Während der Sitzung am 20. Februar 1919 wurde „mitten in den Verhandlungen unserer Gemeindevertretung der Gemeindeschöffe Architekt Draeger plötzlich von einem Unwohlsein befallen. In seiner Nähe sitzende Herren sprangen sofort hinzu und führten ihn aus dem Saal. Gemeindeverordneter Sanitätsrat Dr. Thurmann leistete ihm sofort ärztliche Hilfe und stellte einen Schlaganfall, der eine rechtsseitige Lähmung zur Folge hatte, fest“. Richard Draeger verstarb am 4. Januar 1923. Nach einem Tod wird Witwe Marta Draeger geborene Heider (1870-1938) sowohl als Eigentümerin des Hauses Albestraße Nr. 30 als auch Kirchstraße Nr. 26/27 genannt. 1936 übernimmt sein Sohn Dipl. Ing. Winfried Draeger (1892-1974) und spätere Bundesbahnoberrat das Anwesen.

 

Richard Draeger auf der Gemeindevertretersitzung 1907

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