Ursula Ziebarth, 2016. Foto Mike Wolff
Hernach, Wallstein Verlag Göttingen, 2001

Ursula Ziebarth (1921-2018)

 

Am 8. April 2018 erschien eine ungewöhnliche Todesanzeige. „Ein Jahrhundert ist zu Ende gegangen. Ursula Ziebarth hat ihre letzte Reise angetreten.“ Unter den Trauernden auch die Namen von Claus Peymann und Hermann Beil, die zwei Jahre zuvor im Berliner Ensemble Ursula Ziebarths 95. Geburtstag feierten. Da thronte sie mitten auf der Bühne in einem Sessel und genoss die Zeremonie. Es war ihr letzter Auftritt. Am 10. März ist sie gestorben. Am 16. April wurde sie auf dem Friedhof Stubenrauchstraße im Grab Abt. 16-59 beerdigt. „Reise leicht …“, wünschten die Freunde.

 

Die Grabstelle ist mit Bedacht gewählt. Ein Ort zwischen Verehrung und Vergessen. Gegenüber die touristischen Pilgerstätten, Marlene Dietrich (34-363) und Helmut Newton (34-367), nebenan der Kubus mit der Kugel obendrauf, der Grabstein des Kunsttheoretikers Wolfgang Max Faust (16-56), ohne dessen Engagement es die Malerei der „Neuen Wilden“ wohl schwer gehabt hätte.

 

Was Ursula Ziebarth ausmachte, lässt sich nur an Umschreibungen festmachen: Schriftstellerin, Büchermacherin, Historikerin, Weltensammlerin, Theaterenthusiastin, Menschenfreundin – Berlinerin. Ihre Bücher sind nur noch antiquarisch erhältlich: „Hexenspeise“ (1976), „Ein Kinderspiegel“ (1979), „Eine Frau aus Gold“ (1991). Von Bestand wird allerdings eine aufschlussreiche Publikation sein, die 2001 im Wallstein Verlag Göttingen erschien: „Hernach“ – Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth.

 

Zu diesem Zeitpunkt war über den Arzt, Dichter und Essayisten „alles“ veröffentlicht und hinreichend kommentiert, nicht aber der Briefwechsel aus den Jahren 1954 bis 1956 zwischen Gottfried Benn und Ursula Ziebarth. Sie wurde 1954 seine Geliebte. Er 68, sie 33. Solche Eroberungen waren sein Lebenselixier, seine  Ehen waren für den Alltag, „Institutionen zur Lähmung des Geschlechtstriebes“, für alles andere waren die „Freundinnen“ zuständig – auch Ursula Ziebarth, bis zu seinem Tod.

 

 

 

Wer auch immer den Briefwechsel zwischen Benn und Ziebarth beleuchten wollte, aus rechtlichen Gründen ging das nicht ohne Ursula Ziebarth. „In meinem Besitz befinden sich Briefe von Gottfried Benn.“ Sie konnte Bedingungen stellen, dem Verlag und dem Herausgeber Jochen Meyer, damals Leiter der Handschriftenabteilung im „Deutschen Literaturarchiv Marbach“. So erschienen Benns Briefe an sie mit „ihrem Zuvor“, mit seinen Briefen und „ihren Nachschriften“, mit „ihrem Dank“ an Marbach, „ihrem Lebenslauf“, „ihrer Bibliographie“ und einem Kommentar von Jochen Meyer – verfasst 45 Jahre nach Benns Tod – also ziemlich „Hernach“.

 

Das alles beginnt am 5.8.1954 mit einem Brief an das „sehr verehrte Fräulein Ziebarth“ und der Bitte, ihn „morgen vorm. bis 12 h“ anzurufen“. Am 6. August 1954 trafen sie sich in den Weinstuben „Fournes“ in der Martin-Luther-Straße 50a am Innsbrucker Platz, „nachmittags um vier Uhr, aßen einen Champignontoast und Eis“. Die Geschichte endet am 16.6.1956: „Liege fest im Bett, bekomme Spritzen“. Am 7. Juli 1956 starb Gottfried Benn im „Oscar-Helene-Heim“ in Zehlendorf. Er wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem in einem Ehrengrab der Stadt Berlin in der Abt. 27W-31/32 beigesetzt.

 

„Hernach“ hat mehrere Haken. Die Briefe von Ursula Ziebarth an Gottfried Benn „sind verloren“. Vermutet wird, „dass seine Witwe Ilse Benn sie vernichtet hat“. Benns Briefe hatte sie in ihrer Berliner Wohnung in einem Kästchen aufgehoben, mit Umschlägen und durchnummeriert. Für (fast) jeden der 252 Briefe hat Ursula Ziebarth eine „Nachschrift“ gefertigt – 45 Jahre nach dem jähen Ende der Beziehung und nun im Alter von 80 Jahren. Das erfordert Distanz. Benn kann sich nicht mehr wehren. Zu bewundern sind Akribie und Geduld von Jochen Meyer. Er hat die „Bedingungen“ akzeptiert. Ohne ihre „Erläuterungen“ wären die ziemlich persönlich gehaltenen Briefe schwer verständlich gewesen.

 

Die Beziehung zwischen den beiden bleibt rätselhaft. Zu verschieden sind sie. Er liebte Berlin, sie hing an Worpswede, „diesem von Kunsthandwerk durchwebten Dörfchen“, gegen das er wetterte. „Du musst dein Leben ändern. Du kannst nicht in den jetzigen Verhältnissen weiter leben. Du deklassierst deinen Rang. Manchmal bin ich betroffen davon, dass Du niemals angedeutet hast, dass Dir die geistige Begegnung mit mir irgendwas bedeutet.“ In der Tat weisen seine Briefe mehrfach daraufhin, dass Ursula Ziebarth über eine „intimen Kenntnis“ seines Werkes nicht verfügte.

 

Das kränkte sie auch noch 45 Jahre später: „Weil ich gegen eine Rolle revoltierte, in die Benn mich drängte.“ Und ein bisschen schwammig fügte sie an: „Gewiss habe ich gesagt: Was denkst du denn, weshalb ich die üble Rolle der verheimlichten Frau, die mir so gar nicht liegt, auf mich nehme?“

 

Ursula Ziebarth, das kann „Hernach“ nicht verleugnen, sonnt sich im Glanz von Gottfried Benn. Dennoch eine spannende Lektüre, weil ganz nebenbei auch ein Bild „zweier“ Zeiten entsteht.

 

 

Lebenslauf Ursula Ziebarth

Aus HERNACH, Wallstein Verlag Göttingen, 2001

 

Derzeit geschieht das Lebenlaufen an einer Krücke. Man nennt dies Utensil heutzutage dezent ,Gehhilfe“. Flaues Wort! Für mich bleibt der nützliche Stab eine Krücke“!

 

Sonst ging es mit dem Lebenlaufen ganz gut: 1921 bin ich in Berlin geboren, lebe auch jetzt noch in dieser fabelhaften Stadt, sogar immer noch im gleichen Kiez wie 1921. Auch als ich 1948 bis 1955 in Worpswede wohnte, hatte ich einen familiären pied à terre in Berlin. Nach meiner Nationalität befragt, würde ich am liebsten sagen: Berlinerin. Richtige Berlinerin zu sein, das ist wirklich etwas Anderes, als aus München, Kötschenbroda oder Baden-Baden zu kommen. Doch auch Baden-Baden und München haben mir nie mißfallen. In Kötschenbroda war ich noch nicht, aber der Name gefällt mir.

 

Nach dem Abitur habe ich 1940 bis 1945 in Berlin, Heidelberg, Straßburg und wieder in Berlin Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik studiert. Ein Berufsziel hatte ich nie. Ich dachte, es würde sich schon etwas ergeben - und so war es auch. Als ich nach Worpswede zog, ergab es sich, daß Schullektüre gebraucht wurde, und da habe ich dann eben welche geschrieben, sehr gern habe ich für Kinder gearbeitet.

 

Als ich 1955 wieder nach Berlin zog, ergab es sich, daß ich, um für die täglichen Lebensnotwendigkeiten Geld zu verdienen, im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung arbeiten konnte. Die Bibliothek habe ich dort geleitet und die technische Redaktion auch. 1986, also nach einunddreißig Jahren, mußte ich damit aufhören, weil ich fünfundsechzig Jahre alt geworden war, damit das Rentenalter erreicht hatte. Sonst hätte ich weitergemacht in der angenehmen Institution, in der ich viel gelernt habe.

 

1976 veröffentlichte ich im Neske Verlag ein Buch mit dem Titel „Hexenspeise“. 1979 bei Piper „Ein Kinderspiegel“. (Kein Kinderbuch, eines zum Nachdenken über Kinder.) 1991 bei Fischer „Eine Frau aus Gold“. Von weiblichen Kultbildern über die Jahrtausende ist da die Rede.

 

Dank meiner unersättlichen Reiserei habe ich ein Buch über alle, auch die kleinsten europäischen Staaten geschrieben, die es vor der Wende auf unserem Kontinent gab. Der Titel ist „Hier“ und hat zum Untertitel „In unseren unvereinigten Staaten“. Es wird dauern, bis man sich für das Vorwendeeuropa wieder interessiert.

 

Weil ich das Reisen nicht lassen konnte, habe ich mich möglichst allein zu allen Kontinenten aufgemacht, auch auf große Inseln, Japan, Kuba, Neuseeland, die indonesischen Inseln, Grönland, Island. Ich arbeite an einem Buch, das „Hadeskassiber“ heißt, bin so gut wie fertig damit und werde dann mit einer Arbeit unter dem Titel „Herberge zur stummen Rede“ beginnen. Aber eine Schreibflut ist von mir nicht zu befürchten. Ich arbeite langsam.

 

 

Bibliographie Ursula Ziebarth

Aus HERNACH, Wallstein verlag Göttingen, 2001

 

Der Prospekt des Verlages Eilers & Scbünemann verzeichnete 1954 folgende „Ganzschriften. Unsere Schule“ von U. Z. Diese Veröffentlichungen erwähnt Benn in den Briefen:

 

„Wir treffen heute sieben Leute“ (1954)

In lebendiger Weise werden sieben Menschen geschildert, mit deren Beruf Kinder in Berührung kommen, Bäcker, Gemüsefrau, Polizist, Putzfrau, Schaffner, Briefträger und Zahnarzt werden dem Kind handelnd vorgestellt. In lateinischer Ausgangsschrift, (ab 2. Schuljahr)

 

„Ein Lächeln zuwenig - ein Lächeln zuviel“ (1961)

„Geschichten vom Nettsein“, die die menschlichen Beziehungen zum Thema haben: die äußeren und die inneren Beziehungen, die Höflichkeit des Mundes und die Höflichkeit des Herzens, (ab 2. Schuljahr)

 

„Auf dem Bauernhof“ (1952)

Hier ist in kurzen Kapiteln und einfacher Sprache die Lebensgemeinschaft und Arbeitswelt einer Bauernfamilie dargestellt. Der Umgang mit den Tieren steht im Mittelpunkt. Einige „dramatische“ Geschichten beleben die vorwiegend sachlichen Beschreibungen. (ab 2. Schuljahr)

 

„Unser Dorf“ (1952)

Das ganze Leben eines Dorfes ist in diesem Heft eingefangen. Das Kapitel „Ein Bauernkalender“ schildert die Arbeit des Bauern im Laufe eines Jahres; weitere Kapitel stellen die Handwerker, den Arzt, den Apotheker, den Förster, die Feuerwehr, die Gemeindeverwaltung vor. Die Kinder werden zum Mitdenken und -tun, zum Spielen und Singen angeregt, (ab 3. Schuljahr)

 

„Auf der Straße“ (1952)

Hier wird von den vielerlei Dingen erzählt, die es auf den Straßen einer Stadt zu sehen und zu hören gibt - aber auch von solchen, die man gewöhnlich nicht zu sehen bekommt: von Straßennamen und fliegenden Händlern, vom Straßenbau, von der Müllabfuhr und der Kanalisation, vom Verkehr und seinen Gefahren, (ab 3. Schuljahr)

 

„Unsere große Stadt“ (1960)

In kleinen bildhaften Erzählungen wird den Kindern nahegebracht, wie das große Gemeinwesen „Stadt“ funktioniert. Da ist von der Wasser- und Lichtversorgung, von der Müllabfuhr und vom Großmarkt die Rede; die Bäume in der Stadt, das Krankenhaus, das Fundbüro, die Feuerwehr sind nicht vergessen, (ab 3. Schuljahr)

 

„Von der Post“ (1950)

In diesem Heft wird alles über die Post, ihre Einrichtungen und die Menschen, die für sie arbeiten, so dargestellt, daß Kinder im dritten Schuljahr es verstehen. Mit dem „Postspiel“ auf dem Umschlag können sie obendrein „spielend“ lernen, (ab 3. Schuljahr)

 

„Abfahrt 11.33“ (1953)

Hier wird erzählt, wie es „hinter den Kulissen“ der Eisenbahn zugeht: von Bahnhofsuhren und Fahrplänen, von Lokführern und Wagenmeistern wird berichtet. Eine Familie verreist. Zehn Millionen Bananen werden verladen, und ein Zirkus zieht um. (ab 3. Schuljahr)

 

„Peter, Polly und die Polizei“ (1951)

Durch diese Darstellung der vielfältigen Aufgaben und Einrichtungen der Polizei lernen die Kinder verstehen, wann, wo und weshalb die Polzei ihr Freund und Helfer ist. Ein wesentlicher Teil des Heftes dient der Verkehrserziehung; viele Illustrationen erleichtern das Kennenlernen der Verkehrszeichen und ihrer Bedeutung, (ab 3. Schuljahr)

 

„Butter und Schmalz - Zucker und Salz“ (1959)

Frisch und lustig erzählte kleine Geschichten von unserer Nahrung, ihrer Gewinnung, ihrer Zusammensetzung und ihrem Wert, mit eingestreuten Versen und Rätseln zusätzlich „gewürzt“, (ab 3. Schuljahr)

 

„Hatschi“ (1957)

In 26 kleinen humorvollen Geschichten wird dem jungen Leser klargemacht, wie man Krankheiten vermeiden und sich vor Verletzungen schützen kann. Die allgemeine Körperpflege, Schutz vor Wind und Wetter und Überanstrengung kommen, dem kindlichen Erfahrungsbereich und Begriffsvermögen angepaßt, zur Sprache, (ab 3. Schuljahr)

 

„Der Garten der Tiere“

Diese 21 modernen Fabeln vom Leben in der Gemeinschaft sind zugleich ansprechende Lesestücke, zum freien Lesen wie für den Deutschunterricht geeignet, und eindrucksvolle „Geschichten zum Klugwerden“ für die Gemeinschaftserziehung, (ab 4. Schuljahr)