Leonhard Sandrock, 1912

Leonhard Sandrock (1867-1945)

Wilhelmstraße Nr. 16 (heute Görresstraße Nr. 21)

 

Kaum hatte der Kunstkritiker Max Osborn in der Vossischen Zeitung Leonhard Sandrock als eins der stärksten und hoffnungsvollsten Talente der Berliner Malerzunft gepriesen, von dem noch Vieles und Gutes zu erwarten ist, setzte der Gelobte nach, und schrieb am 28. Juni 1911 an den Redakteur Willy Ganske der Tageszeitung Der Tag:

 

Sie wollten mich doch immer einmal in meinem Atelier besuchen. Ich habe augenblicklich eine größere Zahl an Bildern da, so dass ich Ihnen doch wenigstens etwas zeigen kann. Passt es Ihnen an einem der kommenden Nachmittage? Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen. Mein Atelier liegt Friedenau, Wilhelmstraße 16 in derselben Straße, wo die Ateliers von Martin Götz und Casal liegen. Vielleicht ist es am einfachsten, Sie telephonieren mich einmal an (Amt Pfalzburg 8401). Ich bin mit ziemlicher Sicherheit morgens bis 9 Uhr und dann nachmittags von 2 1/2-4 Uhr zu Hause zu erreichen. Zu Hause, das war ab 1907 die Stubenrauchstraße Nr. 58, ab 1919 die Niedstraße Nr. 31 und ab 1909 kam das Atelier in der Wilhelmstraße Nr. 16 hinzu.

 

Leonhard Sandrock hatte seine Offizierslaufbahn wegen eines Reitunfalls aufgaben müssen. 1894 zog der fortan gehbehinderte Mann mit Ehefrau Ellen geb. Schmidt nach Berlin und widmete sich der Malerei. 1898 wird er Mitglied des Vereins Berliner Künstler, beteiligt sich regelmäßig an der Großen Berliner Kunst-Ausstellung und tritt 1920 in den Künstlerbund Schöneberg-Friedenau ein.

 

Sandrock mutete sich einiges zu. Trotz seiner Behinderung reiste er viel. In Hamburg, an Nord- und Ostsee, an Adria und Mittelmeer entstanden vor Ort und in Ruhe Marinebilder, in Schlesien und Westfalen die Industriebilder der Stahlwerke, die wegen Hitze, Lärm, Dampf und Dreck vor Ort nur skizziert und später im Atelier in Öl umgesetzt werden konnten. Zwischendurch war er in Berlin unterwegs. Es entstanden die Gemälde Bahnhof Schöneberg, Straßenbahndepot, Im Krögelhof und Ansicht von Schloss Köpenick.

 

Am 30. Oktober 1945 stirbt der 78-Jährige unter bis heute ungeklärten Umständen, am 8. Dezember 1946 seine Ehefrau Ellen. Da die Ehe der Sandrocks kinderlos geblieben war, gingen etwa fünfzig Gemälde, Zeichnungen, Lithographien, Radierungen und Skizzenbücher in den Besitz des Sohnes der Cousine von Ehefrau Ellen Sandrock über.

 

Eine größere Anzahl an Gemälden hatte der Berliner Kaufmann Heinrich König bereits in den dreißiger Jahren erworben. Während des Zweiten Weltkriegs war er – mit den Bildern – in den Spreewald und nach 1949 in den Rheingau gezogen. Seiner Tochter Melanie gelang es, die Bilder ohne Kleinrahmen Stück für Stück aus der SBZ zuerst nach West-Berlin und dann nach Westdeutschland zu bringen. Nach dem Tod des Ehepaars König wurde der Nachlass mit über 300 Bildern dem Kunsthändler Eduard Sabatier in Verden angeboten. Der vergessene Maler des Impressionismus wurde für den Kunstmarkt entdeckt.

 

Da 29 Gemälde, Aquarelle und Graphiken dem Hamburger Hafen direkt zuzuordnen und von den übrigen Hafenbildern wahrscheinlich eine ganze Anzahl in Hamburg entstanden waren, gab es 1992 eine erste Ausstellung im Altonaer Museum – mit dem von der Kunsthistorikerin Dorothy von Hülsen erstellten Katalog Leonhard Sandrock 1867-1945  - Ausgewählte Werke aus öffentlichem und privatem Besitz. Sandrock wurde als ein versierter Handwerker vorgestellt. Neben der Fähigkeit, das Gesehene naturgetreu malen zu können, besaß er die große Begabung, Wesentliches vom Nebensächlichen zu trennen, inhaltliche und malerische Akzente zu setzen, Bildausschnitte zu wählen, die den Beschauer direkt ins Bild führen. 1997 folgte in der Zitadelle Spandau eine Würdigung Sandrocks mit Maschinen-Dampfdome-Arbeit. 2017 zeigte das Overbeck-Museum Bremen den Industriemaler und das Museum Schloss Schönebeck den Marinemaler. Das weitere Geschäft übernahmen Auktionshäuser wie die Berliner Kunsthandlung Leo Spik.