Wilhelmstraße 5-6, 1905, links Eingang zum Atelier. Familienarchiv Ursula Mennerich

Eberhard Encke (1881-1936)

Wilhelmstraße Nr. 5-6 (heute Görresstraße)

 

Der Name Encke taucht in der Kunstgeschichte Berlins immer wieder auf, voran Erdmann Encke (1843–1896) mit dem Marmorstandbild der Königin Luise im Tiergarten (1880), dann sein Bruder Fedor (1851–1926), dessen Gemälde Die Mutter des Künstlers die Nationalgalerie 1971 erwerben konnte, und schließlich Eberhard Encke, Erdmanns Sohn, der Bildhauer.

 

Eberhard Encke, dies sei vorweggenommen, nutzte das Atelier in der Wilhelmstraße Nr. 5-6 von 1911 bis 1928, und hielt sich damit von allen Künstlern die längste Zeit in Friedenau auf.

 

Eberhard Encke trägt sich am 25. Oktober 1901 in das Matrikelbuch der Akademie der Bildenden Künste München für das Fach Zeichnen bei Ludwig von Herterich (1856-1932) ein. Es folgt die Modellierklasse von Wilhelm von Rümann (1850-1906). Nach dessen Tod setzt er sein Studium an der Berliner Kunstakademie bei Bildhauer Gerhard Janensch (1860-1933) fort. Auf der Großen Berliner Kunst Ausstellung (GBKA) 1906 präsentiert er die die Bronze-Skulptur Hermes. Zeitgleich entsteht die lebensgroße Gipsfigur eines Jünglings, für die er 1906 mit dem Rompreis der Akademie ausgezeichnet wird (… die Beine sind von mir). Mit dem Stipendium wird ein achtmonatiger Aufenthalt in der Villa Strohl-Fern in Rom möglich. Er wohnt in der Via Condotti Nr. 85 und beschickt die GBKA 1907 mit der Porträtbüste Geh. Mediz. Rat Prof. Dr. Sonnenburg.

 

 

 

 

 

1908 kehrt Encke nach Berlin zurück. Auf der GBKA zeigt er den Jüngling (in Gips) sowie das Reliefporträt Geheimrat Kayser (in Bronze). Nachdem der Bildhauer Louis Tuaillon (1862-1919) ab 1909 in der Westfälischen Straße Nr. 3 das Königliche akademische Meisteratelier für die bildenden Künste leitet, finden sich in dieser Modellierklasse als Meisterschüler Adolph Amberg (1874-1913), Hans Krückeberg (1878-1952) und Eberhard Encke. Dort entsteht offensichtlich der Gipsentwurf für die zwei lebensgroßen nackten Faustkämpfer, der 1911 auf der GBKA präsentiert wird. Dafür wird Encke mit dem Goldenen Preußischen Staatsmedaille für Kunst ausgezeichnet. Später entstehen zwei Bronzeabgüsse – für den Preußenpark in Wilmersdorf, der im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen wird, und ein weiterer, 1913 gestiftet von Arnold Mergell (1855–1929), dem Mitbegründer der Harburger Oelwerke Brinckman & Mergell, der bis heute auf dem Rathausplatz in Harburg erhalten ist.
 

Deutsche Botschaft St. Petersburg, 1913. Zeitschrift Deutsche Kunst

Vater Erdmann Encke hatte vor der Jahrhundertwende auf einem 8500 Quadratmeter großen Grundstück in Neubabelsberg (Steinstücken) Wohnhaus und Atelier errichten lassen – den Erdmannshof. Das Anwesen verpachtet Sohn Eberhard 1907 an den Architekten Peter Behrens (1868-1940), der dort von den Assistenten Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969), Walter Gropius (1883-1869) und Le Corbusier (1887-1965) seine Bauentwürfe ausarbeiten ließ. In dieser Zeit entstehen die Entwürfe für die Gebäude von Mannesmann in Düsseldorf (1911) und Continental in Hannover (1912), für die Eberhard Encke Bauplastiken kreiert.

 

Im Frühjahr 1911 bittet Alfred von Kiderlen-Waechter (1852-1912), der Leiter des Auswärtigen Amtes, Peter Behrens um einen Entwurf für die Botschaft in St. Petersburg. Acht Wochen später liegen die Pläne vor, die von Reichskanzler Bethmann-Hollweg (1856-1921) und Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) genehmigt werden. Da die deutsche Kolonie in St. Petersburg zwischenzeitlich Geld für eine Skulpturengruppe für das Dach der Botschaft gesammelt hatte, kommt es am 15. August 1912 zu einem Vertrag:

 

Zwischen dem Reichsfiskus (Auswärtiges Amt), vertreten durch Herrn Professor Peter Behrens, Neubabelsberg, einerseits, und Herrn Bildhauer E. Encke, Berlin-Wilmersdorf, Westfälische Straße Nr. 3, andererseits, ist heute folgender Vertrag geschlossen: Herr Encke übernimmt die Ausführung seines Entwurfes für die Dachgruppe für den Neubau der Deutschen Botschaft, St. Petersburg, auf Grund der von ihm gefertigten und der vertragsschließenden Gegenpartei bekannt gegebenen Skizzen. Herr Encke verpflichtet sich, die Fertigstellung des 2,25 mtr. hohen Gipsmodelles so zu beschleunigen, dass bis spätestens 15. Oktober 1912 deutscher Zeitrechnung alle Teile der Gruppe in Händen der Firma sind, die die Gruppe in doppelter Größe (4,50 mtr. hoch) in 2 mm starkem Kupferblech zu treiben hat. Herr Encke ist verpflichtet, sowohl die Ausführung beim Treiben als auch die Aufstellung der Gruppe selbst in St. Petersburg zu überwachen.

 

 

Das vereinbarte Honorar beträgt 16.000 M, wenn alle Teile des Gipsmodelles spätestens am 15. Oktober 1912 in Händen der ausführenden Firma sind. Es vermindert sich mit jeder Woche der verspäteten Ablieferung des Modells um je 500 M. Das Honorar ist mit folgenden Teilzahlungen fällig: 5000 M. hat Herr Encke lt. Quittung vom Auswärtigen Amt bereits erhalten. 5000 M sind zahlbar nach Fertigstellung des Modelles für ein Pferd und eine Figur, also für die Hälfte der Gruppe; 4000 M sind zahlbar nach Fertigstellung der gesamten Gruppe in Gips; 2000 M nach erfolgter einwandfreier Abnahme der auf dem Dach fertig montierten Gruppe in St. Petersburg.

 

Die Skulpturengruppe wird von der Firma Siegfried und Albert Loevy in Weißensee in Kupfer getrieben und am 18. Dezember 1912 auf dem Firmengelände Lehderstraße Nr. 39 präsentiert. Am 27. Januar 1913 wird das Botschaftsgebäude in St. Petersburg übergeben – auf der Attika die Rosselenker als einziger bauplastischer Schmuck.

 

Die Zeitschrift Moderne Kunst berichtete in der Ausgabe 1912/13: Selten hat in Petersburg ein Neubau solches Aufsehen erregt, wie das Palais der Deutschen Botschaft. Das Außergewöhnliche seines Eindrucks zwang auch die Gleichgültigsten zu kritischer Stellungnahme; und in der Presse und in der Gesellschaft bildet das Werk Professors Peter Behrens eben noch den bevorzugten Gegenstand lebhafter Erörterungen und Debatten. Auf jene einzigartig impressive, im besten Sinne ‚herausfordernde‘ Wirkung des Neubaus ist es wohl letzten Endes zurückzuführen, dass seitens eines großen Teils der Petersburger Presse das erste und vornehmste Gebot der Kunstkritik: eine künstlerische Schöpfung vor ihrer definitiven Vollendung nicht zu kritisieren, grob verletzt worden ist. Man fühlte sich, als die Fassade vom Gerüst befreit dastand, sogleich von ihr aufs eindringlichste angeredet und konnte nicht schweigen! So mag es psychologisch zu verstehen, keineswegs jedoch zu entschuldigen sein, dass der Bau, noch bevor das Dach ganz fertig, bevor ihm in den Kolossalfiguren der Rossebändiger der für seine architektonische Gesamtwirkung unentbehrliche krönende Abschluss gegeben war, von berufenen und unberufenen Kritikern bereits öffentlich ästhetisch beurteilt und — verurteilt wurde. Der Kunsthistoriker Karl Schäfer (1870-1942) ergänzte: Die monumentale, auf Fernsicht angelegte, bronzene Skulpturengruppe akzentuierte über dem hier nur leicht aufgesockelten Hauptgesims die Mittelachse mit der Portalzone. Zwei athletische nackte Männer führen ein Pferdepaar. Sie sind symmetrisch zueinander gestellt, kraftvoll, doch ruhig stehend, ohne Dramatik oder heroische Pose.

 

Eine Woche nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde das Gebäude am 4. August 1914 gestürmt und die Rosselenker vom Dach gestürzt. In seiner Monographie schrieb der Architekturhistoriker Stanford Anderson (1934-2016) den Satz: Behrens konnte dem ‚Mob‘ kaum ein passenderes Symbol zum Attackieren geben. Nach dem Weltkrieg verzichtete Behrens bei seinen Gebäuden auf Bauschmuck. Die Zusammenarbeit mit Eberhard Encke war damit beendet.

 

Wilhelmstraße 5-6, 1906. Familienarchiv Ursula Mennerich

Am 19. Januar 1911 meldete der Friedenauer Lokal-Anzeiger: Die Villa des Herrn Prof. Johannes Götz Wilhelmstraße Nr. 5-6 ist bekanntlich in den Besitz des Herrn Kommissionsrat Heinrich Sachs (1858-1922) übergegangen. Das Atelier bleibt jedoch hier bestehen, da nur das Wohngebäude von Herrn Sachs käuflich erworben wurde. Eberhard Encke griff zu. Für die nächsten Jahre heißt es: Encke, Eberhard, Atel. Friedenau, Wilhelmstr. 6, Wohn. Wilmersdorf, Duisburger 9, IV., Telefon Uhland 4213. Encke ist offensichtlich nur Pächter, da das gesamte Anwesen weiterhin im Eigentum der Familie Sachs bleibt.

 

In der Wilhelmstraße entstehen die Entwürfe für Kleinplastiken, Plaketten, Medaillen, Büsten, Denkmäler und Grabplastiken. Um 1920 heiratet Eberhard Encke Ursula geb. Baerwald (1894-1969). Es folgt der Umzug in die Familienwohnung Pfalzburger Straße Nr. 80 IV. Stock und die Geburt der Söhne Florian (1923-1943) und Andreas (*1925). In das Adressbuch lässt er als Zusatz eintragen: Inhaber der Preußischen Goldmedaille.

 

Das Martin-Luther-Standbild für die Veste Coburg (1913) verhindert der Weltkrieg. Den Zuschlag für das Gefallenendenkmal der Friedrich-Wilhelms-Universität erhalten der Bildhauer Hugo Lederer und der Architekt German Bestelmeyer.

 

Ansichtskarte vom Pariser Platz, Berlin 1936

1928 zieht Eberhard Encke mit Familie nach Erdmannshof. In den folgenden Jahren entstehen dort monumentale Denkmäler (in Gips): Beethoven (1930, GBKA), Pestalozzi (1930), VDI-Denkmal (1931), Goethe (1932).

 

Encke, der bei den 15 Kunstwettbewerben für die Olympischen Sommerspiele 1936 nicht bedacht wurde, erhält zwei Monate vor Eröffnung den Auftrag für den temporären Straßenschmuck auf dem Pariser Platz. Im Erdmannshof entstehen je eine männliche und eine weibliche Läufergruppe: Das Streben nach olympischem Siegespreis. Diese vier Meter hohen Figurengruppen waren aus Gips, also nicht witterungsbeständig und verschwanden nach den Feierlichkeiten spurlos. Erhalten sind verkleinerte Bronzeversionen, die in der Bildgießerei Hermann Noack gegossen wurden. Wenige Wochen nach der Olympiade stirbt Eberhard Encke am 22. Oktober 1936 während eines Kuraufenthalts in Bad Nauheim. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Wannsee.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eberhard Encke war von 1911 bis 1928 im Atelier Wilhelmstraße Nr. 5-6 tätig. Er gehört zu Klein Carrara in Friedenau. Bevor er ganz in Vergessenheit gerät, hat sich sein Enkel Friedemann Encke ab 1989 aufgemacht, im Rahmen einer Studienarbeit einen bebilderten Katalog der Plastiken des Bildhauers Eberhard Encke 1881-1936 zu erarbeiten. Dabei war von Vorteil, dass ein umfangreiches und sehr gutes Bildarchiv die Wirren der Zeit unbeschadet überstanden hatte und Eberhard Encke glücklicherweise fast alle seine Plastiken von dem Fotografen Franz Linkhorst zu Dokumentationszwecken ablichten ließ. Die entstandene Dokumentation des Enkels nötigt Hochachtung ab. Sie macht aber mit den Anmerkungen nicht erhalten, zerstört und verschollen auch deutlich, welcher Verlust inzwischen zu beklagen ist.

 

In Berlin sind folgende Bildwerke erhalten: Giebelrelief Chronos und vier Skulpturen Trauernde Witwen am Krematorium Wilmersdorf (1921), Franzerdenkmal lBaerwaldstraße (1924), Berliner Bär über der Sparkasse Berliner Straße/Ecke Brandenburgische Straße (1930), Grabmal Ruhnke auf dem Friedhof Onkel-Tom-Straße (1922), Eingangsbekrönung am ehemaligen Grunewald-Gymnasium Herbertsstraße (1926), Adlerstele am ehemaligen Prinz-Heinrichs-Gymnasium, Grunewaldstraße (1922), Der Hasensprung in Grunewald. (1925), Masken am Portal der Volksschule Alt-Schmargendorf (1928). Schwurhanddenkmal Bundesallee 12a (1924).