Die Gemarkungen von Friedenau und Steglitz waren seit etwa 1873 durch die Schillingstraße verbunden. Teile dieser Straße wurden um 1890 zu Ehren der Gemeineschöffen Wilhelm Fröauf (1814-1899) und Johann Carl Hacker (1811-1892) in Fröaufstraße und Hackerstraße umbenannt. 1908 gab es eine neue Numerierung mit den Häusern Nr. 1 bis Nr. 9 und Nr. 24 bis Nr. 30. Heute gehören zum Friedenauer Teil der Hackerstraße die Häuser Nr. 1 bis Nr. 6 und Nr. 27 bis Nr. 30 (PLZ 12161), zu Steglitz Nr. 7 bis Nr. 26 (PLZ 12163).

 

Johann Carl Hacker (1811-1892) war Geheimer Rechnungsrath im Königlichen Kriegs-Ministerium. Im Mai 1871 hatte er in der Vossischen Zeitung wohl den Aufruf von David Born gelesen, sich zum Beitritt in eine Baugesellschaft zur Gründung einer Landhauskolonie zu entschließen – für den Erwerb eines Grundstücks und den Bau eines Landhauses, eine Stunde vom Mittelpunkt der Stadt entfernt und schon jetzt günstig an Eisenbahn und Chausseen im Westen von Berlin gelegen. Am 9. Juli 1871 wurde der Landerwerb- und Bauverein auf Actien gegründet – im Aufsichtsrat Carl Hacker. 1874 wohnt er schon im eigenen Haus in der Ringstraße Nr. 5 (heute Dickhardtstraße). Als am 11. Januar 1875 die ersten Gemeindeverordneten gewählt wurden, wurden aus ihren Reihen Georg Roenneberg als Gemeindevorsteher und Johann Carl Hacker als Schöffe gewählt.

 

Bekannt ist, dass Johann Carl Hacker am 15. Dezember 1811 in Verchen bei Demmin geboren und später zum Gemeindeältesten und Ehrenbürger von Friedenau ernannt wurde. Was er für Friedenau geleistet hat, bleibt unbekannt. Für Irritationen sorgte Gemeindevorsteher Georg Roenneberg, als er am 22. August 1892 in einem Nachruf im Teltower Kreisblatt mitteilte, dass der langjährige Schöffe Johann Friedr. Hacker in Erfurt verstorben ist. Seit dem Entstehen unseres Ortes hat er bis zu der aus Anlass seiner Versetzung in den Ruhestand erfolgten Verlegung seines Wohnsitzes von hier den öffentlichen Interessen des Ortes gedient. Seinem Wunsche gemäß wird er auf dem Friedhofe unseres Ortes seine letzte Ruhestätte finden und hier von der Leichenhalle am Mittwoch, dem 24. August nachmittags 5 Uhr beerdigt werden. Das Grab existiert nicht mehr.

 

Paul Aichele, Mutter mit Kind (Sintflutbrunnen)

Hackerstraße Nr. 2/3

Paul Aichele (1859-1920)

 

 

 

Am 20. Oktober 1908 erfuhr Friedenau, dass die Terraingesellschaft Südwest beabsichtigt, vor dem Friedhof einen monumentalen Denkmalbrunnen mit plastischem, figürlichem Schmucke aufzustellen. Die Gemeindevertretung wurde ersucht, sich mit der Ausstellung der Anlage auf dem Hamburger Platz nach Maßgabe der vorgelegten Skizzen einverstanden zu erklären. Das Modell des Brunnendenkmals ist von dem hiesigen Bildhauer Herrn Aichele modelliert.

 

Einfach durchwinken wollten die Gemeindevertreter die Sache nicht. Architekt James Ruhemann fragte an, ob nicht die Ausführung auch anderen Künstlern übertragen werden könne und ob es sich bestimmt um dieses Denkmal handeln muß. Für andere passte das Denkmal da nicht hin, da der Kirchhof mit der Sündflut doch gar keinen Zusammenhang habe. Er frage nun, ob Herr Haberland gesagt hat, er wünscht dieses Denkmal zu schenken, oder aber, er gibt nur die Summe von 10 000 M. für ein Denkmal aus. Gemeindebaurat Hans Altmann hatte derartige Ausführungen nicht erwartet: Das Modell war in der Kunstausstellung ausgestellt. Die Gemeinde bekommt ein Geschenk und hat nur darüber zu bestimmen, ob sie dieses Geschenk annimmt, alles andere ist Angelegenheit des Geschenkgebers. Der Künstler fertigt es für den billigen Preis nur aus Liebe zu Friedenau, er begnügt sich mit dem geringen Verdienst, den er vielleicht noch an der Ausführung hat, nur um Friedenau ein gutes Kunstwerk aufzustellen. Dass das Denkmal hier nicht hinpassen solle, kann er nicht finden. Im Gegenteil, die Sündflut ist doch aus dem Religionsunterricht jedem bekannt und ihre ernste Bedeutung verbindet sich doch würdig mit dem Gedanken an die Abgeschiedenen auf dem Friedhofe.

 

Am 4. Juli 1909 wurde der Sintflutbrunnen auf dem Hamburger Platz enthüllt. Georg Haberland, Chef der Terrain-Gesellschaft Berlin-Südwesten, lieferte die Begründung: Im Herbst des Jahres 1906 ist die Anlage des Südwestkorsos von der Gemeinde Friedenau beschlossen worden, ein neuer Straßenzug, der den Südwesten Berlins durchschneidet und von der aufblühenden Kolonie Dahlem eine direkte Verkehrsstraße durch die Kaiser-Allee mit der Stadt bildet. Kaum zwei Jahre nach seiner Anlage ist ein großer Teil des Korsos bereits der Bebauung erschlossen worden. Diese Allee bedarf einer Unterbrechung, eines Ruhepunktes, auf dem das Auge mit Wohlgefallen ruht und kein anderer Ort scheint geeigneter für einen solchen, als dieser Platz, auf welchem sich der Brunnen erhebt. Der Brunnen ist das Werk des Bildhauers Aichele, der sein Atelier in Ihrem Gemeindebezirk hat. Das reizvolle Modell hat allgemeinen Beifall auf der Kunstausstellung im Jahre 1908 gefunden.

 

Bei dem hiesigen Bildhauer handelt es sich um den im badischen Markdorf geborenen Paul Aichele. Geblieben ist sein Geburtshaus in den Unteren Auen Nr. 11. Von der Supraporte schauen zwei leichtbeschürzte Knaben herab. Mit den Armen halten sie das Wappen in die Höhe, darauf die Zahl 1889 und die Buchstaben A für Aichele, J für Vater und Landwirt Josef und P für Sohn Paul, der ab 1875 die Württembergische Staatliche Kunstgewerbeschule in Stuttgart besuchte. 1878 zog es ihn an die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin. Ein Jahr zuvor, so die Akten des Standesamtes Markdorf, hatte der damals bereits in Berlin polizeilich gemeldete 18-jährige Aichele in der Katholischen Kirche St. Nikolaus Markdorf die Apothekerstochter Frieda Mangold geheiratet. Nach zwanzig Ehejahren wird vor dem Berliner Landgericht III die Scheidung vollzogen. Aichele zieht in die Kaiserallee Nr. 96, später in den III. Stock der Hackerstraße Nr. 3. Noch vor dem Ersten Weltkrieg mietet er in der Fehlerstraße Nr. 8 (II. Stock) ein Atelier – im Haus der Bildgießerei Noack. Ab 1918 wohnt er Kaiserplatz Nr. 8.

 

Was Aichele nun als Monumentalskulptur geschaffen hatte, war bereits auf den Großen Berliner Kunst-Ausstellungen als Statuette zu besichtigen: 1906 als Mutter und Kind in Marmor sowie (käuflich zu erwerben) in Alabaster auf Marmorsockel, 1908 als Sintflut-Fragment. Auf den Berliner Kunstausstellungen stellte er von 1894 bis 1910 fast jedes Jahr aus. Die Titel sprechen für sich: Nach dem Bade, Nixe sich im Wasser spiegelnd, Neckerei, Opfer, Verschämt, Verwaist in Marmor, Verschämt in Bronze, Verlorenes Paradies in Kalkstein. Der Sintflutbrunnen wird als Hauptwerk Aicheles bezeichnet – von den Ausmaßen her ganz sicher, das Becken mit 7 Meter Durchmesser aus Sandstein und Beton, die Figuren aus Kalkstein mit einer Höhe von 4,5 Meter. Sein bildhauerisches Werk besteht allerdings hauptsächlich aus jugendstiligen Kleinplastiken in Bronze. Sie wurden sein Markenzeichen, gefällig und gut verkäuflich zierten sie alsbald so manches Vertiko.

 

Bürgermeister Bernhard Schnackenburg: Der Sintflutbrunnen stellt die Sintflut dar, Gestalten, welche sich vor der herandrängenden Flut auf den Felsen flüchten. Die Sintflut war jene Umwälzung unseres Erdballs, aus der in größerer Pracht sich Berge und Meere, Wälder und blumengeschmückte Wiesen entfaltet haben. Der Brunnen soll daran erinnern, dass nach den Schrecknissen jener Umwälzung die warme Sonne des Friedens auf die Erde niederleuchtete, dass aus dem nassen Grabe der Erde ein neues schönes und üppiges Weltall entstand. Die wunderbare Anordnung der den Brunnen zierenden Gestalten, der Ausdruck von Furcht und Angst in den Gesichtszügen der Figuren und die besonders im Denkmal ausgeprägte Mutterliebe und die Liebe des Mannes zum Weibe sprechen innig zum Herzen. Trotz der nackten Darstellung der Figuren findet die Sinnlichkeit doch keine Nahrung, sondern wir können nur eine edle Auffassung beim Beschauen der Denkmalsgruppe gewinnen.

 

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Friedenauer Lokal-Anzeiger, 20. Februar 1910: Paul Aichele, der bekannte Friedenauer Bildhauer ist nach kurzem Leiden im Alter von 61 Jahren am 17. Februar 1920 entschlafen. Mit ihm ist ein auf der Höhe seines Schaffens stehender Künstler dahingegangen, dessen Schöpfungen nicht nur in Berliner Kunstkreisen weite Verbreitung gefunden hatten, sondern der sich in anderen Orten unseres Vaterlandes bleibende Erinnerungen geschaffen hat, u. a. ist er auch der Schöpfer des Sintflutbrunnens im Südwestkorso. Es wird erwogen, in einer Sonderausstellung die Lebensarbeit Aicheles seinen Kunstfreunden vor Augen zu führen.

 

Hackerstraße Nr. 27

Willy Hoppe (1884-1960)

 

 

In Vorbereitung