Nicolaus Prinz Handjery

Die Straße taucht erstmals im Situationsplan von dem Wilmersdofer Oberfeld von 1872 auf. Angertigt wurde der Plan von dem Chalottenburger Geometer Otto Busse (1836-1889) im Auftrag des Kaufmanns und Stadtentwicklers J. A. W. Carstenn (1822-1896), dem zu dieser Zeit der Hauptteil der Schöneberger Wiesen gehörte. Zur Bebauung derselben war 1872 eine eigene AG, die Berlin-Hamburger Immobilien-Gesellschaft gegründet worden – mit Otto Busse als technischer Direktor.

 

Es gab eine U-förmige Ringstraße, die auf der Westseite als Nassauer Straße und auf der Ostseite als Elberfelder Straße bezeichnet wurde. Auf dem am 25. Juli 1874 Situationsplan von dem Wilmersdorfer Oberfeld – Auf Grund des Busse’schen Planes vom Oberfeld, angertigt im Central-Bureau des Rittergutsbesitzers J. A. W. Carstenn in Lichterfelde durch J. Otzen, Köingl. Baumeister, vervollständigt durch den Köigl. Cataster-Controleur Pohl, wird die U-förmige Straße Promenade genannt. Der östliche Teil gliederte sich in Promenade I, II und III. und erhielt 1883 den Namen Handjerystraße, benannt nach Prinz Nicolaus Handjery (1836-1900), Landrat des Kreises Teltow von 1870 bis 1885.

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicolaus Handjery (1836-1900) wurde in Konstantinopel geboren. Nach dem Tod des Vaters zog Witwe Caroline Handjery geborene von Glasenapp mit Sohn Nicolaus 1850 nach Berlin. 1854 legte Nicolaus am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium sein Abitur ab. Er studierte Jura in Berln und Bonn und promovierte 1857. Das Auswärtige Amt in Berlin nutzte Handjerys Wissen in Geographie und Geschichte sowie seine Sprachkenntnisse in Latein, Griechisch und Französisch bei den komplizierten Verhandlungen mit den russischen und türkischen Gesandtschaften. Prinz Wilhelm von Preußen gestattete ihm 1859 die Führung des Titels Prinz Nicolaus Handjery. Er wurde 1864 Regierungsreferendar in Potsdam, 1867 Regierungsassessor und 1870 durch Wilhelm I. zum Teltower Landrat ernannt.

 

Seine Vorgänger hatten die Geschicke des Kreises meist von ihren Gütern aus gelenkt. Die offizielle Kreisstadt Teltow spielte als Verwaltungssitz eine untergeordnete Rolle. In gewisser Weise knüpfte er an diese Praxis an, als er ein Jahr nach Amtsantritt die Verlegung der Kreisverwaltung in ein Mietshaus in der Matthäikirchstraße 20/21 im Tiergarten durchsetzte, wenige hundert Meter entfernt von der Flottwellstraße. Dort wohnte der zeit seines Lebens unverheiratete Handjery gemeinsam mit seiner Mutter Caroline geborene Glasenapp.

 

1873 kaufte der Landkreis das Grundstück Körnerstraße Nr. 24 an der Grenze zwischen Schöneberg und Tiergarten. Dort entstand das Kreishaus, in dem die Verwaltung für die nächsten 18 Jahre unterkam. Die Verlegung der Kreisverwaltung war nicht nur der großstädtisch geprägten Persönlichkeit des Prinzen Handjery geschuldet. Der Landrat reagierte damit zugleich auf die immer stärker werdende Verflechtung des nördlichen Kreisgebiets mit der Hauptstadt. Die neue Kreisordnung des Kaiserreichs forderte darüber hinaus eine effiziente kommunale Verwaltung. Er hatte erkannt, dass die Zeit der gutsherrlich geprägten Kreisverwaltung abgelaufen war. Einfluss war nur in engster Fühlung mit den Regierungsstellen der Hauptstadt möglich. Als Mitglied der Deutschkonservativen Partei hatte er Sitz und Stimme sowohl im Reichstag als auch im Preußischen Abgeordnetenhaus.

 

Er war es auch, der die Bildung selbstständiger Kommunen beförderte – so auch 1874 die Gründung der Gemeinde Friedenau. Nach 14 Jahren im Amt wurde Prinz Nicolaus Handjery am 16. März 1885 zum Regierungspräsidenten im schlesischen Liegnitz ernannt. Ein Gehirnschlag streckte den Prinzen am 7. Dezember 1900 nieder. An der Seite seiner Mutter, der Fürstin Caroline Handjery, fand der Junggeselle auf dem St. Matthäus-Friedhof in Schöneberg seine letzte Ruhe.

Handjerystraße 1. Foto Herwarth Staudt, 1953. Museum Schöneberg

Handjerystraße Nr. 1

 

Das Foto zeigt das Haus Handjerystraße Nr. 1 Ecke Varziner Straße. Die Aufnahme machte der Fotograf Herwarth Staudt 1953 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg (Archiv Museum Schöneberg).

 

Das Grundstück gehörte bis zum Bau des Wagner-Viertels zum Sportpark Friedenau. 1907 sind die Grundstücke Nr. 1 & 2 als Baustellen eingetragen. Bauherr und Eigentümer war der Zimmermeister G. Schneider. 1910 war das Haus errichtet und von 10 Mietparteien bezogen - mit Eckkneipe, die 1943 von Gastwirtin M. Nitsch geführt wurde. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Haus bei Bombenangriffen auf den Güterbahnhof Wilmersdorf-Friedenau teilweise zerstört. 1953 war die Kneipe mit Vorgarten wieder da - als Restaurant Handjery Eck.

 

 

Robert W. Stuber (1920-1948) & Charles H. King (1923-1948)

Handjerystraße Nr. 2

Flugzeugabsturz

 

Am 25. Juli 1948 starben die US-amerikanischen Piloten Robert W. Stuber und Charles H. King vor dem Haus Handjerystraße Nr. 2. in den Trümmern ihrer abgestürzten Douglas C-47 Skytrain. Eine schwarze Granittafel am Wohnhaus erinnert an das Unglück. Die Umstände des Absturzes sind bis heute unklar. Auch nach 69 Jahren hält sich die US-Air Force noch immer bedeckt. Die Friedenauer müssen sich mit einer vagen Mitteilung begnügen: At about 01.00 hours, the aircraft struck the top of a building and crashed into the street in front of an apartment building.

 

 

 

 

 

 

Nachdem die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) am 24. Juni 1948 alle Land-, Schienen- und Wasserwege von den westlichen Besatzungszonen nach Berlin blockiert hatte, ordnete US-General Lucius Clay die Errichtung einer Luftbrücke an. Vorbereitet waren die Alliierten auf diese Aktion der Sowjets nicht. Den USA standen anfangs 32 zweimotorige Douglas C-47 Skytrain zur Verfügung, relativ langsame Maschinen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 370 km/h, die mit maximal 12 Flügen täglich nicht genug Güter heranschaffen konnten. Am 26. Juni flogen die ersten Skytrains der US Air Force von Frankfurt-Rhein-Main Airbase und Wiesbaden-Erbenheim zum Flughafen Tempelhof. Die Royal Air Force ließ erstmals am 28. Juni vom Fliegerhorst Wunstorf Airfield B.116 Dakotas zum Flugplatz Gatow fliegen. Ab Juli nutzten die Briten auch Flugboote zwischen Hamburg-Finkenwerder und Berlin-Wannsee.

 

Am 23. Juli 1948 wurde Generalleutnant William Henry Tunner Befehlshaber der Combined Airlift Task Force von US- und Royal Air Force. Er optimierte Flugzeugtypen, Landebahnen, Wartung, Entladung und Flugrouten. Die drei Luftkorridore wurden zu Einbahnstraßen, wobei im nördlichen (von Hamburg nach Berlin) und im südlichen (von Frankfurt und Erbenheim nach Berlin) die Hinflüge abliefen und im mittleren Korridor (von Berlin nach Hannover) die Rückflüge stattfanden. In den Korridoren flogen die Flugzeuge entsprechend ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeiten in fünf Ebenen mit einem Höhenabstand von 500 Fuß. Immer wieder kam es im Luftraum über Berlin zu massiven Staus von Frachtflugzeugen, weil diese wegen schlechter Sicht nicht wie geplant in Abständen von drei Minuten in Tempelhof landen konnten. Die nachkommenden Flugzeuge mussten in Höhen von 3.000 bis 11.000 Fuß geparkt werden. Erst Ende 1948 konnte die US Air Force für Tempelhof einen Instrumentenflug durch GCA (Ground Controlled Approach) ermöglichen. Mit diesem Radar und den Anweisungen aus dem Kontrollturm über Sprechfunk konnten die Flugzeuge auf einem virtuellen Gleitpfad ohne Sicht auf die Landebahn geleitet werden. Die Tempelhofer Start- und Landebahn war dem Dauerbetrieb nicht gewachsen. Erst am 8. Juli 1948 wurde mit dem Bau der südlichen Start- und Landebahn Runway B begonnen.

 

Ein zweimotoriges Transportflugzeug der US-Air Force war am späten Abend des 24. Juli in Wiesbaden-Erbenheim Airfield gestartet und auf der Tempelhof Air Base gelandet. Der Start für den Rückflug erfolgte von der 2094 Meter langen und 43 Meter breiten Piste Nordbahn 09L / 27R. Mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 km/h streifte die C-47 den Turm des Friedenauer Gymnasiums am Maybachplatz und stürzte frontal auf die Fassade des vierstöckigen Wohnhauses Handjerystraße Nr. 2. Das Kerosin explodierte und setzte das Haus in Brand. Die Balkons der ersten Stockwerke wurden zerstört. Auf der Straße wurden drei Passanten verletzt. Die Hausbewohner kamen mit dem Schrecken davon. Nicht überprüfbar ist die Vermutung, dass die beiden Piloten völlig übermüdet waren, als sie zu ihrem (zweiten) Versorgungsflug der Luftbrücke von Erbenheim nach Tempelhof gestartet waren. Bekannt war allerdings, dass es Engpässe beim Personal gab. Um die Flüge nach Plan durchzuführen, mussten die Schichten drastisch verlängert werden. Einsätze von 36 Stunden und mehr waren keine Seltenheit. Bei den knapp 280.000 Flügen über die drei Flugkorridore zwischen Frankfurt, Hamburg, Hannover und Berlin gab es mehrere Unfälle. Genauere Angaben sind nicht möglich, da der Zugang zu den militärischen Unterlagen bis heute eingeschränkt ist. Normalerweise sind die Unfälle des Flugzeugtyps „Douglas“ anhand der einzelnen Fabriknummern bei Aviation Safety Network“ komplett aufgelistet. Den Absturz vom 28. Juli 1948 in Friedenau sucht man vergeblich. Insgesamt sollen 39 Briten, 31 Amerikaner und 13 Deutsche während der Blockade tödlich verunglückt sein.

 

Oberleutnant Robert W. Stuber wurde 1920 in St. Joseph Arlington (California) geboren. Sein Grab befindet sich auf dem Fort Rosecrans National Cemetery San Diego (California). Leutnant Charles H. King wurde 1923 in 1923 Britton (South Dakota) geboren. Beerdigt wurde er auf dem Britton Cemetery, Britton, Marshall County, South Dakota.

 

General William H. Tunner zog nach Beendigung der Luftbrücke Bilanz: Die Zahl der Unfälle betrug weniger als 50 Prozent dessen, was für dieselbe Zahl von Flugstunden damals bei der US Air Force zu erwarten war. Ein schwacher Trost für die Hinterbliebenen.

 

Paul Simmel, 20. März 1933

Handjerystraße Nr. 17

Paul Simmel (1887-1933)

 

Berlin, 20.3.1933. Liebe Karlsruher! Als ich vor etwa 10 Jahren meine Lebensversicherung bei Dir abschloss, da tat ich dies – heute kann ich es ja gestehen – weniger aus innerer Überzeugung, sondern eigentlich nur deshalb, weil Dein Vertreter sich so sehr um mich bemühte. In den ersten Jahren, wenn Du mir mit der Pünktlichkeit des Finanzamtes Deine Prämien-Rechnungen sandtest, war ich nicht immer sehr erfreut über dieses ewige Zahlenmüssen. Aber in dem letzten Jahr war es anders. Ich wurde so krank, wie noch niemals in meinem Leben zuvor, musste monatelang die Fürsorge meiner Frau, die Hilfe von Ärzten und Krankenschwestern in Anspruch nehmen und in den langen Stunden im Krankenbett bin ich mir erst klar darüber geworden, welche Beruhigung es doch für mich ist, meine treue Gefährtin versorgt zu wissen, wenn ich einmal plötzlich das Tor durchschreiten müsste. Wenn ich wieder ganz gesund bin, werde ich Deinen Vertreter, der mich damals mit so vieler Ausdauer bearbeitete, noch einmal persönlich dafür danken, dass er mich von dieser Sorge befreit hat. Denn jetzt weiss ich erst richtig, was eine Lebensversicherung ist. Dein Paul Simmel.

 

 

Diesen Brief und die abgebildete Zeichnung schickte Paul Simmel am 20. März an die Karlsruher Lebensversicherung. Am 23. März meldet die Vossische Zeitung, dass Paul Simmel nach langer, schwerer Krankheit im Alter von nicht 46 Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Am 27. März 1933 nachmittags 2 Uhr wurde er auf dem Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg beerdigt. Zwei Jahrzehnte nach dem Tod dieses Ur-Berliners aus Spandau erkannte auch der Senat von Berlin am 3. Dezember 1956, dass der Maler und Karikaturist zu jenen Persönlichkeiten gehört, die sich durch ihr überragendes Lebenswerk um Berlin verdient gemacht haben. Die Ruhestätte Z-L-97 auf dem für die Welthauptstadt Germania 1939 um zwei Drittel dezimierten Areal der Evangelischen Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof wurde Ehrengrabstätte. Das ist sie auch noch im Jahr 2022 – allerdings in einem höchst unwürdigen Zustand.

 

Simmels Witz kann man, muss man nicht mögen. Er war neben Heinrich Zille der bekannteste Berliner Karikaturist. Während Zille sein Milljöh in den Gassen, Kaschemmen und Hinterhöfen suchte und seine Zeichnungen oft genug als Anklage interpretiert wurde, begegnete Simmel dem Alltag mit Scherz, Satire und Ironie, hinter denen die tiefere Bedeutung nach dem Zweiten Weltkrieg schleichend verblasste – trotz der Nachdrucke in Ost (Verlage Eulenspiegel und Das neue Berlin) und West (Verlage Knaur und Fackelträger). Simmels Hausverlag, wo unter dem Dach Ullstein seine Arbeiten in  Berliner Illustrirten Zeitung, Berliner Morgenpost, Vossische Zeitung, Ulk und Lustige Blätter regelmäßig erschienen waren, hatte sich bereits 1937 mit der Herausgabe von Simmels Sammel-Surium verabschiedet.

 

Paul Simmel lebte nach seinem Studium an der Berliner Kunstakademie in München und Paris. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs musste er Frankreich verlassen. Er kehrte nach Berlin zurück und wohnte von 1918 bis 1927 in der Handjerystraße Nr. 17. Im Jahr 1928 zog er mit seiner zweiten Ehefrau Hilde geborene Czapski in die Neue Winterfeldtstraße Nr. 25, wo er bis zu seinem Tod lebte.

 

Selbst die für Karikaturen nicht gerade bekannte Vossische Zeitung erkannte im Nachruf an, dass Simmel zu den künstlerischen Humoristen gehörte, die sich früh einen sehr persönlichen Stil gebildet haben. Jede Arbeit von ihm ist sogleich als ein Werk seiner Hand zu erkennen. Es ist die volkstümliche realistische Plastik seiner köstlichen kleinen Meisterstücke, die absolut sichere, lebenstreue, oft nur durch winzige Verschiebungen die komische Wirkung beschwörende Linienführung, die musterhaft saubere und einheitliche Durchführung der Komposition, die Simmels Blättern ihr Gepräge geben. Das Leben der Großstadt, das Getriebe Berlins, die Unart seiner Bewohner, die Alltäglichkeit des kleinen Bürgertums, die sonderbaren Käuze, die zwischen den Philistern auftauchen, nicht zuletzt die Kinder, diese seine echten Berliner Rangen, das spielte hier die Hauptrolle. Eine Besonderheit war Simmels lustige Beschriftung mit kindlichen Lettern, die in ihrem bewussten Ungeschick doppelt drollig wirkten. Sprachlich sind diese in die Zeichnung hineingeschriebenen kurzen Texte ebenso witzig und schlagkräftig wie die Unterschriften, die er sich erfand.

 

Handjerystraße Nr. 18. Hahn & Stich, 2006

Handjerystraße Nr. 18

Baudenkmal Landhaus

Entwurf Architekt Max Nagel

Bauherr Max Ruhnow

1885

 

In der Handjerystraße befinden sich zwischen Renée-Sintenis-Platz und Perelsplatz neben Landhäusern der frühen Bebauung Mietswohnhäuser der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts, große Wohnhäuser aus der Zeit um 1910 und Wohnbauten, die nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg entstanden sind. In dieser für Friedenau so typischen Mischung sind gleichsam alle Bauphasen dokumentiert. Das freistehende, eingeschossige, dreiachsige Landhaus in der Handjerystraße Nr. 18 wurde 1885 nach Plänen von Max Nagel errichtet. Der Rohziegelbau hat im Süden ein zweigeschossiges Querhaus mit Querdach, an der Nordseite befindet sich in einer Holzlaube der seitliche Hauseingang, von dem aus der Vierfelder-Grundriss erschlossen wird. Die Fassaden werden durch rote Ziegelstreifen belebt. Topographie Friedenau 2000

 

 

 

 

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Handjerystraße Nr. 20. Gossner-Mission, um 1910

Handjerystraße Nr. 20

Ehemaliges Haus der Goßner-Mission

 

Johannes Evangelista Goßner (1773-1858) war Prediger, Stifter und Gründer von diakonischen und missionarischen Organisationen. In Berlin stellte er 1827 beim Evangelischen Konsistorium den Antrag auf Übernahme als Pfarrer. Bekannt ist, dass die Ortspfarrer die Zusammenarbeit mit ihm verweigerten. Auf der ständigen Suche nach einer festen Anstellung gelang dem Hilfsprediger 1837 die Gründung des Elisabeth-Krankenhauses als erstes evangelisches Krankenhaus. Wenig später kam ein Missionsseminar hinzu, in dem sich Frauen für den Dienst in der Mission ausbilden ließen. Ende des 19. Jahrhunderts waren beide Einrichtungen jedoch so groß geworden, dass schließlich 1890 in der Handjerystraße ein Wohn- und Seminarhaus errichtet werden musste.

 

 

 

Das Missionshaus war ein dreigeschossiger Backsteinbau – ein Koloss neben den eingeschossigen Landhäusern, die 1885/86 nach Entwürfen des Architekten Max Nagel errichtet worden waren. Im Erdgeschoss, eigentlich hoher Souterrain, befanden sich Speisesaal, Buchhandlung, Botenwohnung, Wirtschafts- und Lagerräume, im ersten Stock die Dienstwohnung des Direktors, im zweiten eine weitere Dienstwohnung sowie Gasträume für Besucher und Missionare, im dritten Stock Lehrsaal, Arbeits- und Schlafräume der Missionszöglinge sowie Bibliothek und Museum, auf dem Dachboden schließlich die „Posaunenstube“.

 

Es kam das Jahr 1933. In der Kirchengemeinde „Zum Guten Hirten“ hält die innerevangelische Glaubensbewegung der „Deutschen Christen“ Einzug. Sie ist von Anfang an eng mit den Nationalsozialisten verbunden und kann bei den Kirchenwahlen 1933 auch in Friedenau eine „satte Mehrheit“ für sich verbuchen – vor allem repräsentiert von den Pfarrern Siegfried Nobiling und Bruno Marquardt, für den „das Christuskreuz unsere christliche Gesinnung zum Ausdruck bringt und das Hakenkreuz dem unsere restlos deutsch-völkische Einstellung hinzufügt“. In Opposition dazu scharte sich eine Minderheit der Friedenauer Protestanten um Pfarrer Paul Vetter (1869-1938). Diese „Gemeindegruppe der Bekennenden Kirche“ lehnte den Führungsanspruch der Nationalsozialisten innerhalb der Kirche ab und führte fortan ein „unabhängiges Gemeindeleben“ in den Räumen der benachbarten „Goßner Mission“. Damit war die Spaltung der Friedenauer Kirchengemeinde zu einer Tatsache geworden. Der 1935 angebaute Betraum, auch „Goßner-Saal“ genannt, diente als gottesdienstlicher Versammlungsort für die Bekennende Kirche sowie für getaufte Juden in Berlin.

 

Das Goßner-Haus hatte Krieg und Bombenabwürfe überstanden, lag aber 1945 dennoch in Schutt und Asche, da Soldaten der Roten Armee „an allen vier Seiten des Gebäudes Feuer gelegt“ haben sollen. Weniger betroffen war der „Goßner-Saal“, so dass kurze Zeit später dort wieder Gottesdienste gefeiert werden konnten. Der Wiederaufbau des Gesamtgebäudes zog sich acht Jahre hin. Am 1. Advent 1953 wurde das neue Haus der Goßner-Mission wieder eröffnet. 1968 zog das Berliner Missionswerk als Mieter ein. 1979 verkaufte die Goßner Mission das Missionshaus an das Berliner Missionswerk, das es 1999 wieder verkaufte. Unter der Adresse Handjerystraße Nr. 20 wird heute eine Patentanwaltskanzlei aufgeführt. Das Haus als solches, ob als dreigeschossiger Ziegelbau (1890), viergeschossiger Putzbau (1953) oder als siebengeschossiger „Schöner-Wohnen-Bau“ bleibt in dieser Gegend ein Fremdkörper.

 

Handjerystraße 21. Foto Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 21

Baudenkmal Landhaus

Entwurf Architekt Max Nagel

Bauherr P. Woysche

1886

 

Das zweigeschossige Rohziegel-Landhaus hat vier Achsen und einen Mittelrisalit, dem im Erdgeschoss ein Verandavorbau mit Altan im Obergeschoss vorgesetzt ist. Der Mittelrisalit besitzt einen Quergiebel mit Querdach. Das Haus weist einen Sechsfelder-Grundriss auf, der von der Gartenseite aus durch ein vorgezogenes Treppenhaus erschlossen wird. Im südlichen Bauwich wurde nachträglich ein zweigeschossiger, einachsiger Anbau angefügt. Die Einfriedung des Vorgartens hat sich original erhalten. Die beiden Häuser Handjerystraße Nr. 18 und Nr. 21 vermitteln in ihrer Maßstäblichkeit, Materialität und Gliederung einen stadträumlichen Eindruck von der einstigen Bebauung der Straße. Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

 

 

 

Unbekannt war (uns) bisher, dass im diesem Haus der Art déco-Designer und Porzellan-Modelleur Gerhard Schliepstein (1886-1963) wohnte. Mit 26 Jahren war er 1912 in die Offenbacher Straße Nr. 3 gezogen, 1922 in die Handjerystraße Nr. 21 – mit Atelier in der Kaiserallee Nr. 156, das er sich später mit dem Bildhauer und Porzellandesigner Fritz Bermuth (1904-1979) teilte. Die längste Zeit seines Lebens war er Friedenauer. Beim Googeln zu Gerhard Schliepstein fallen vor allem zwei Formulierungen heraus: Sculptures for Sale sowie Sie haben Werke von Gerhard Schliepstein aus Porzellan, Keramik oder Bronze, vom Jugendstil bis hin zum Art Déco, so scheuen Sie sich nicht, direkt mit uns Kontakt aufzunehmen. Wir haben großes Interesse an dem Ankauf von Figuren von Schliepstein.

 

In der Tat scheint Gerhard Schliepstein gefragt zu sein. Es mag auch damit zusammenhängen, dass seine Objekte längst musealen Status erreicht haben: Im Berliner Bröhan-Museum die Porzellanfigur Phantasie, 1924 für die KPM geschaffen, im Museum of Applied Arts and Sciences in Sydney das Känguruh, 1923 für Rosenthal, und im Museum Porzellanikon in Selb, wo Schliepstein für die Philipp Rosenthal & Co. AG 62 Modelle entworfen hat, die Schwimmerin von 1934.

 

Erstaunlich ist dennoch, dass diese Häuser so dürftig über seinen Werdegang informieren. Zitiert wird allerorten aus der Publikation "Die Wiedergeburt des Porzellans. Eine kultur- und kunstpsychologische Einführung in die Porzellanplastik Gerhard Schliepsteins", die Erwin Müller 1930 für den Delphin-Verlag München erstellte. Dementsprechend immer wieder die Sätze: Nach der Volksschule und der Oberrealschule absolvierte er eine vierjährige Bildhauerlehre. Von 1907 bis 1909 studierte er an der Hochschule für bildende Künste in Charlottenburg. Ab 1911 entwarf er Porzellanfiguren für die KPM Berlin. Die drei Buchstaben KPM scheinen für Auktionen wichtig zu sein. Unter den Tisch fallen Schliepsteins Auftraggeber mit den weniger klangvollen Namen der thüringischen Porzellanhersteller: Die 1882 gegründeten Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach, die mit Gebrauchsgeschirr begannen und später das Sortiment mit Figuren aller Art erweiterten, oder die seit 1840 bestehende Porzellanfabrik der Gebrüder Heubach in Lichte, deren figürliche Stücke auf den Weltausstellungen in Paris (1900) und St. Louis (1904) Auszeichnungen einbrachten, aber auch die Manufaktur von Schierholz in Plaue, die sich seit 1849 auf lichtdurchlässige Porzellanlithophanien für Fensterscheiben spezialisiert hatte. Bemerkenswert ist, dass sich Schliepstein 1925 das in Porzellan gefertigte Skulpturenpaar Prinz und Prinzessin in der Bildgießerei von Hermann Noack in hellbraun patinierter Bronze gießen ließ.

 

Von 1925 bis 1937 war Schliepstein für die Philipp Rosenthal & Co. AG in Selb tätig. 1929 erhielt er von Max Schneider, dem Leiter der Rosenthal-Kunstabteilung, einen Exklusivvertrag. In dieser Zeit entwarf Gerhard Schliepstein für Rosenthal 62 Modelle – da war vom Expressionismus bis zur Neuen Sachlichkeit an Stilmerkmalen alles dabei. Nach 1933 musste sich der Jude Philipp Rosenthal aus dem Unternehmen zurückziehen. Um die Auslandsgeschäfte nicht zu gefährden, setzte die arisch geprägte Geschäftsleitung auch nach der 1941 erlassenen Verordnung über Firmen von entjudeten Gewerbebetrieben durch, den jüdischen Namen Rosenthal behalten zu dürfen. Die Haltung von Gerhard Schliepstein bleibt unklar. Erwähnt wird lediglich, dass sein Berliner Atelier 1941 bei einem Luftangriff zerstört wurde und Schliepstein danach seinen Wohnsitz nach Bansin verlegte. Nach dem Krieg kehrte er wieder nach Berlin zurück. Einige seiner Entwürfe aus den 1930er Jahren wurden bis Ende der 1950er Jahre produziert.

 

Handjerystraße Nr. 22. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 22

Albestraße Nr. 9

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf A. Müller

Bauherr Robert Thiele

1887-1888

 

In der nördlichen Handjerystraße finden sich auf der westlichen und der östlichen Straßenseite Landhäuser der ersten Bauphase zusammen mit frühen Mietwohnhäusern der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts und großen Mietwohnhäusern der Zeit um 1910 in der für Friedenau typischen Mischung. Auf der westlichen Straßenseite sind interessante Beispiele aus allen drei Bauphasen überliefert.

 

 

 

Das dreigeschossige, sechsachsige, freistehende Mietwohnhaus stellt eine Übergangsform vom Landhaus zum kleinen Mietwohnhaus nach der neuen Bauordnung von 1887 dar. Das Gebäude ist mit einem Mansarddach gedeckt. Das Erdgeschoss zeigt Putzrustika, die beiden Obergeschosse sind mit roten Ziegeln verblendet. Der Eingang ist im westlichen Bauwich in der Albestraße Nr. 9 angeordnet. Zur Albestraße hin weist das Haus im Erdgeschoss eine kleine, offene, zweisäulige Loggia mit einem Altan im ersten Obergeschoss auf, zur Handjerystraße hin einen zweigeschossigen, zweiachsigen Erker mit einem Altan im zweiten Obergeschoss. Topographie Friedenau, 2000

 

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Handjerystraße Nr. 24. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 24

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf Architekt Fr. Schulz-Heikenkopf

Bauherr Architekt Georg Mais

1910-1911

 

Das viergeschossige Mietwohnhaus wurde als neoklassizistischer Bau auf niedrigem Souterrain errichtet. Die Fassade folgt einem typischen Gliederungsschema: zwei Achsen in der Mitte, dann beiderseits je ein Erker und seitliche Loggien. Die Loggien werden in der Dachzone durch einen großen, aufgebrochenen, klassizistischen Giebel zusammengefasst. Über den Erkern des dritten Obergeschosses sind Reliefs mit einander zugewandten liegenden Löwen angeordnet, die Mitte zeigt eine antikisierende Opferszene beiderseits eines Altars in Relief. Über dem ersten Obergeschoss sind in den Brüstungsfeldern Reliefs mit Figuren in antikisierender Gewandung zu sehen. Bemerkenswert ist die Eingangstür aus Bronze mit einer gleichmäßigen Felderung und quadratischen Schliffglasscheiben. Topographie Friedenau, 2000

 

Über dieses Haus fanden wir unter dem 06.12.2014 einen Beitrag des Tagesspiegels (Auszug): Neulich wollten wir die Fassade auffrischen, das hübsche Veronese-Grün erneuern, weil ihm das Berliner Wetter im Laufe der Jahrzehnte einen deutlichen Stich ins Algige verpasst hatte. Ausführlich war ja vergangene Woche im Tagesspiegel die Rede von den bemitleidenswerten Berliner Denkmalschützern, die mit einer brutalstmöglich schlank gesparten Rumpfbesetzung unermüdlich gegen Investoren kämpfen, die aus Geldgier nationales Erbe verfallen lassen oder kaputtsanieren. Das sind die Bösen.

 

Wir dagegen wollten die Guten sein, unser Heim pflegen und im Wert erhalten. Es ging weder um einen die Silhouette zerstörenden Dachausbau, es sollten keine Gewerbeflächen im Souterrain eingerichtet werden, keine Stahlgerüstbalkone in den Außenmauern verankert. Und doch haben sie uns ganz hart rangenommen, die Power Rangers von der Unteren Denkmalschutzbehörde, als wären wir Immobilienhaie, denen man jeden Zahn einzeln herausbrechen muss. Für uns hatten sie Zeit. Jede Menge Zeit, um sich in alles einzumischen, um das letztinstanzliche Machtwort auch noch über das nebensächlichste Detail zu sprechen. Wochenlang warteten wir, bis unsere Sachbearbeiterin entschieden hatte, welcher Farbton für die Kellertüren angemessen sei. Die Rollläden im unbewohnten Souterrain mussten durch Gitterstäbe ersetzt werden, bei den Blumengittern auf den Balkonbrüstungen war es selbstverständlich unsere Pflicht, die per Analyse festgestellte Originalbeschichtung zu rekonstruieren: Goldbronze. Dabei durften die Teile nicht ins Farbbad getaucht, sondern mussten per Hand angepinselt werden. Geld spielte offenbar keine Rolle für die Denkmalschützer. War ja auch nur unseres.

 

Ein Blick ins Gesetz macht schnell klar: Widerstand gegen die Behörde ist ziemlich zwecklos. „Der Denkmalschutz“, schleuderte uns einer der Fachgutachter entgegen, „ist dazu da, das Denkmal vor seinen Besitzern zu schützen!“ Danach erklärte er, welchen Anteil Glimmer, Marmorstaub und Splitterglas unser Fassadenputz haben müsse, damit er dem Originalmaterial entspricht. Gemäß einer weiteren wissenschaftlichen Analyse. Die wir auch bezahlt hatten. Aber: Denkmalschützer sind keine Unmenschen. Sie sind zu Zugeständnissen bereit. Natürlich würden sie es bevorzugen, wenn wir die lockeren Putzstellen so auffüllen ließen, dass die Erneuerungen sofort ins Auge fallen. Wenn dann aber allen acht Eigentümern die Tränen über die Wangen rinnen beim Gedanken daran, dass wir jahrelang auf die Renovierung hingespart hatten, um am Ende eine fleckige Patchwork-Fassade zu bekommen, wird doch eine einheitliche Oberfläche erlaubt.

 

Bei der Farbe aber bleibt die Sachbearbeiterin hart. Die kommt nicht mehr infrage, nachdem eine weitere Analyse ergeben hat, dass die Außenhaut unseres Hauses 1911 „putzsichtig“ ausgeführt worden ist. Also kein Veronese-Grün mehr. „Sieht aus wie nasser Ostseesand“, seufzt meine Frau, als nach sechs Monaten die Planen fallen. Am Ende kostet der Spaß fast das Doppelte von dem, was ohne Denkmalschutzvorgaben zu berappen gewesen wäre. Dafür sind wenigstens alle zahlenden Beteiligten mit dem Ergebnis unglücklich. „Nun mecker’ nicht rum“, sagt der pragmatisch veranlagte Freund. „Wenigstens kannst du einen Teil der Kosten über die Steuer absetzen.“

 

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Friedrich von Rabenau, 1937. Bundesarchiv

Friedrich von Rabenau (1884-1945)

 

Nicht bekannt war uns, dass in diesem Haus von 1914 bis 1927 die Familie von Rabenau wohnte. Bekannt war, dass Friedrich von Rabenau (1884-1945) Opfer des Nationalsozialismus ist, dessen christlicher Glaube es ihm verbot, sich am Attentat auf Hitler zu beteiligen. In der Familienchronik wird das aufgegriffen: Der ursprüngliche Wunsch von Friedrich, Pfarrer zu werden, ließ sich nicht realisieren, weil seine Mutter nicht für ein Studium aufkommen konnte. Zweifel sind angebracht. Friedrich von Rabenau war Militär, im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im nationalsozialistischen Deutschland. Es gab für ihn nichts anderes als den Offizier, der in sechs Lebensjahrzehnten zum inneren Zwang gewordene Pflichtbegriff.

 

Sein militärischer Werdegang spricht für sich. Nach dem Abitur startet er 1903 beim Feldartillerie-Regiment Hochmeister Nr. 72 in Danzig. Dort heiratet er 1909 Eva Kautz (1889-1969). 1910 wird Tochter Eva-Dorothee geboren. 1911 kommt er auf die Kriegsakademie in Berlin. 1914 holt er Frau und Tochter von Danzig nach Friedenau, wo in der Handjerystraße Nr. 24 Tochter Edelgarde geboren wird. Mit Beginn des Weltkriegs wird er als Generalstabsoffizier der 1. Garde-Reserve-Division zum Grenzschutz Ost im Baltikum eingesetzt, dekoriert mit dem Ritterkreuz des Königlich Preußischen Hausordens und beiden Eisernen Kreuzen. Während des Lettischen Unabhängigkeitskrieges nimmt er bis zum Friedensschluss mit Sowjetrussland 1920 an den Kämpfen gegen die Rote Armee teil.

 

 

 

Als die kaiserliche Armee nicht mehr existiert, kommt er in das Reichswehrministerium Berlin zur Heeres-Ausbildungsabteilung. 1927 wird er Kommandeur des 1. Artillerie-Regiments in Königsberg, holt Frau und Töchter nach, und lernt mit Carl Friedrich Goerdeler den Zweiten Bürgermeister der Stadt kennen.

 

1930 wird er Generalstabsoffizier des Gruppenkommandos 2 in Kassel. 1932 wird er Oberst und Kommandant von Breslau. 1934 wird er Generalmajor und Inspekteur der Wehrersatzinspektion Münster, wo er die Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht vorbereitet. An den Universitäten Breslau und Münster besucht er kriegsgeschichtliche Vorlesungen. 1936 wird Rabenau als Generalleutnant mit dem Aufbau eines zentralen Heeresarchivs beauftragt. Ihm unterstehen damit die Archive Potsdam, Dresden, Stuttgart und München, mit Beginn des Zweiten Weltkriegs auch die Beuteakten von Warschau, Paris, Brüssel, Den Haag und Oslo.

 

Nachdem Alfred Rosenberg auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP 1937 die christliche Lehre von Sünde und Gnade als Lehre von der Minderwertigkeit bezeichnete und die Loslösung der Deutschen vom Christentum forderte, war das auch für Friedrich von Rabenau zu viel: Das Christentum würde trotzdem nicht aufhören, unserem Volk das Evangelium von Jesus Christus, die Botschaft der Bibel und der Reformation von der Sünde des Menschen und der Gnade Gottes zu bezeugen. Mit dieser Religiosität war Rabenau (vorerst) für ein Frontkommando nicht geeignet. Unter Beteiligung von Hans von Seeckt (1866-1936) sowie unter Verwendung seines schriftlichen Nachlasses verfasste Friedrich von Rabenau 1940/41 im Auftrage von Dorothee von Seeckt die Biografien Aus meinem Leben 1866–1918 und Aus seinem Leben 1918–1936.

 

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs war der zum General der Artellerie ernannte Friedrich von Rabenau wieder gefragt. Am 26. August 1939 wurde eine Division als Teil der 2. Aufstellungswelle und als Reserveverband aufgestellt. In den Dokumenten zum Überfall auf Polen ist Friedrich von Rabenau für die Zeit vom 1. bis 29. September 1939 als Kommandeur der 73. Infanteriedivision aufgeführt. Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt erfolgte am 17. September die sowjetische Besetzung Ostpolens durch die Rote Armee. Die polnische Regierung floh nach Rumänien. Die verbliebenen polnischen Streitkräfte kapitulierten. Rabenau hatte seine Pflicht erfüllt. Dafür wurden ihm beide Spangen zu seinen Eisernen Kreuzen verliehen.

 

In der Familienchronik heißt es: Auf Intervention der Parteiführung hin musste er jedoch wenige Wochen nach der Kommandoübernahme dieses wieder abgeben und seine vorherige Tätigkeit als Chef der Heeresarchive in Potsdam fortführen. Die Partei fürchtete seinen Einfluss als Truppenführer auf die ihm unterstellten rund 20.000 Soldaten als nicht linientreu gemäß der nationalsozialistischen Ideologie. 1942 wird er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er beginnt ein Theologiestudium an der Universität in Berlin. Er promoviert über Militärseelsorge, erwirbt 1943 den Licentiatus theologiae. Am 9. März 1944 erfolgte die Erteilung der Kanzelerlaubnis durch das Evangelische Konsistorium der Mark Brandenburg.

 

Nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 wird Friedrich von Rabenau am 25. Juli in seiner Berliner Privatwohnung Hohenzollerndamm Nr. 125 als Mitwisser verhaftet, obwohl er keiner der Gruppen des Widerstandes angehörte. Offensichtlich war seine seit Königsberg bestehende Verbindung zu Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945) Grund genug. Er kommt in das Militärgefängnis Moabit, nach Sachsenhausen und Buchenwald und schließlich im April 1945 in das KZ Flossenbürg, in dem bereits Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, Admiral Wilhelm Canaris, Hauptmann Ludwig Gehre, Generalmajor Hans Oster, Generalstabsrichter Dr. Karl Sack und Hauptmann Dr. Theodor Strünck inhaftiert sind. Am 8. April 1945 wurden sie in Flossenbürg von einem SS-Standgericht zum Tode verurteilt und am 9. April im Hof des KZ erhängt.

 

Das genaue Todesdatum von Friedrich von Rabenau ist nicht bekannt, auch nicht, ob er erschossen, erhängt, verbrannt und was aus einer Asche wurde. Für Irritationen sorgt obendrein ein Funkspruch: Rabenau auf Marsch nach hier durch amerikanischen Tiefflieger Angriff tödlich verletzt. Gesendet am 15. April 1945 von Flossenbürg an das RSHA (Reichssicherheitshauptamt). Sollte der Eindruck erweckt werden, dass Rabenau versehentlich getötet wurde? Oder war es eine verschlüsselte Nachricht, mit der die Hinrichtung nach Berlin gemeldet wurde? In der Biografie heißt es: Er wurde am 14. oder 15. April 1945 ermordet. Eine Anklage gegen ihn wurde nie erhoben.

 

Sein christlicher Glaube kann nicht vergessen machen, dass es für Friedrich von Rabenau fast ein Leben lang nichts anderes als Militär gab – für das Deutsche Heer im Kaiserreich und die Wehrmacht der Nationalsozialisten. Dafür stehen seine Schriften Die alte Armee und die junge Generation (1925), Operative Entschlüsse gegen einen an Zahl überlegenen Gegner (1935), Die deutsche Wehrmacht (1936), Von Geist und Seele des Soldaten (1940), Vom Sinn des Soldatentums (1941). Spät, erst 1943, seine halbe (theologisch geprägte) Kehrtwendung: Die Entwicklung der Grundzüge der deutschen Heeresseelsorge bis zum Jahre 1929 unter besonderer Berücksichtigung des 100.000 Mann-Heeres.

 

Angesichts seines gewaltsamen Todes, macht sein Lebensmotto nachdenklich: Was mich hält, ist der in sechs Lebensjahrzehnten zum inneren Zwang gewordene Pflichtbegriff.

 

Handjerystraße Nr. 33-36, Postamt Friedenau. Foto Hahn & Stich, 2006

Handjerystraße Nr. 33-36

Schmargendorfer Straße Nr. 27-29

Baudenkmal Post

Entwurf Architekt Ludwig Meyer

Bauherr Deutsche Reichspost

1915-1920

Umbau

Entwurf Robert Gaedicke

1930-1935

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Renée-Sintenis-Platz fragen wir uns immer, wie lange die Deutsche Post den Friedenauern noch das Postamt lässt. Als nach 1908 begonnen wurde, den kreisrunden Wilmersdorfer Platz (heute Reneé-Sintenis-Platz) mit Mietshäusern zu bebauen, wurde das Grundstück an der Ecke Handjerystraße Nr. 33-36 und Schmargendorfer Straße Nr. 27-29 erst einmal freigehalten. Hier hatte die Gemeinde ursprünglich den Bau des Rathauses Friedenau vorgesehen. Da dieses dann am Lauterplatz (heute Breslauer Platz) entstand, wurde das Gelände 1914 der Reichspost verkauft. In seinem Buch „Posthorn & Reichsadler“ (1987) berichtet der Architekturhistoriker Falk Jaeger über den Postbau:

 

„Eine wesentliche Vorgabe stellte natürlich die Kreisform des Wilmersdorfer Platzes dar, von der die Hauptfassade des Postamts ein Segment bilden sollte. Durch die Grundform des Gebäudes sah sich der Architekt und Postbaurat Ludwig Meyer bereits auf eine Stilepoche festgelegt. Er entwarf einen kräftigen Rustika-Sockel mit Rundbogenfenstern, setzte darüber zwei Normalgeschosse, abgeschlossen vom mehrteiligen Hauptgesims. Das dritte Stockwerk erscheint als vergrößertes Attikageschoss. Beherrscht wird die Hauptfassade von der Kolossalordnung der fünf Mittelachsen. Stark kanellierte ionische Pilaster fassen drei Geschosse zusammen und tragen das als Gebälk ausgebildete Hauptgesims. Eine spätbarocke Kolossalfassade wäre nicht vollständig ohne eine Balustrade mit ordentlichen Vasen auf dem Dach. Das mittlere Feld blieb frei für die lorbeerumkränzte Reliefkartuche mit dem Reichsadler. Gleichfalls unverzichtbar das Belvedere auf dem Dachfirst, hier in der besonders aufwendigen Form eines sechssäuligen Monopteros, also eines griechischen Rundtempels ...

 

Die Schaufassade zum Wilmersdorfer Platz zeigte einen ausgewogenen Aufbau. Zu ihrer gelungenen Proportionierung gehörte unverzichtbar der Belvedere-Turm als Pointe und krönender Abschluss. Klassizistisches Schmuckdekor in Form von Rosetten in den Brüstungsfeldern der Erdgeschossfenster, ein Merkurkopf auf dem mittleren Schlußstein, Fahnen- und Waffenreliefs auf dem Architrav und Fruchtsträuße auf den Pilasterspiegeln des Obergeschosses zieren zusätzlich die Hauptfassade ... Nur bei genauem Hinsehen fällt an der Nordfassade, rechts der Toreinfahrt, eine Baugrenze auf. Hier setzt der Erweiterungsbau an, mit dem Postbaurat Meyer 1926-29 das Gebäude in unveränderter Formensprache verlängert hat.

 

Im Innern wusste der Architekt Ludwig Meyer mit der konkaven Fassade nichts anzufangen. Die zum Platz orientierten Räume haben lediglich eine gebogene Außenwand, die übrige Raumeinteilung und mit ihr das Konstruktionssystem gehorchten dem rechten Winkel. Am deutlichsten wird das in der Schalterhalle, die aus der besonderen Form keinen gestalterischen Nutzen zu ziehen vermag. Für eine Vorhalle und den Windfang gibt es keinen Raum, stattdessen ragt der Windfang als Einbau in die Halle hinein. Die normale Gebäudetiefe reicht für den Saal nicht aus, weshalb er um knapp drei Meter nach hinten aus dem Baukörper hinausgeschoben wurde ...

 

Keine glücklichere Hand hatte der Architekt mit der Unterbringung der Funktionen in den Obergeschossen. Der Zuschnitt und die Erschließung der Räume ergaben sich bei der Verteilung auf die Stockwerke eher zufällig. Im Südflügel des zweiten Obergeschosses war neben der Hauptkasse des Telegraphenamts und der Anmelde- und Rechenstelle noch Platz für die Dienstwohnung des Postdirektors (sechs Zimmer, Mädchenkammer, Bad und Küche, am Mittelflur aufgereiht wie die Büroräume). Der Mitteltrakt war im ersten Obergeschoss in Amtsstuben aufgeteilt, darüber lag der Umschalterraum der Telefontechnik, darüber wiederum der große Saal des Vermittlungsamts. Dieser Saal erreichte mit seinem Zwischenboden für die Leitungsführung und dem notwendigen Luftraum für die zahlreichen Gehilfinnen, wie die Fräuleins vom Amt offiziell genannt wurden, eine überdurchschnittliche Raumhöhe ...“

 

Das Friedenauer Postamt ist das letzte, das vor dem Ende des Kaiserreichs in Berlin gebaut wurde und ein herausragendes Dokument staatlicher Repräsentation bei einem Infrastrukturbau der Wilhelminischen Ära.

 

Handjerystraße Nr. 38. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 38

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf & Ausführung Architekt E. Kreuschmer

Bauherr Zimmermeister E. Kreuschmer

1910-1911

 

Auf dem Grundstück hat der Architekt ein wuchtiges, viergeschossiges neoklassizistisches Mietwohnhaus auf hohem Souterrain gebaut. Es zeigt eine symmetrische Straßenfassade mit zwei Fensterachsen in der Mitte, zwei Erkern und zwei Loggienbalkons. Durchfahrt und Eingang sind in der Mitte in einer Korbbogennische kombiniert. Das Erdgeschoss ist rustiziert. Die Brüstungsfelder sind mit Medaillons besetzt. Über dem ersten Obergeschoss sind die Erker mit Blendgiebeln, über dem dritten mit Rundgiebeln abgeschlossen. Die eindrucksvolle Front des Hauses wird über dem vierten Obergeschoss durch einen mächtigen Quergiebel mit einem Halbrundfenster bekrönt.

Topographie Friedenau, 2000

 

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Handjerystraße Nr. 42-43, Restaurant Prinzen Handjery, 1910. Archiv Rüdiger Barasch

Handjerystraße Nr. 42-43

Schmiljanstraße Nr. 21

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf & Bauherr Klitscher und Afdring

Ausführung Zimmermeister H. Sonntag

1908-1909

 

An der Kreuzung Schmiljan-/Handjerystraße fallen drei sehr unterschiedliche Bauwerke ins Auge, zwei Mietwohnhäuser von 1893 und 1908 und das ehemalige AOK-Gebäude von 1956-58. Die Kontraste zwischen den drei Bauten könnten kaum größer sein, sie verkörpern den historischen Wandel des Quartiers.

 

 

 

 

 

 

Das ebenfalls viergeschossige Mietwohnhaus Handjerystraße Nr. 42-43 Ecke Schmiljanstraße Nr. 21 entstand als Reformmietshaus mit asymmetrischer Fassadengliederung. Das Haus hat zwei Treppenaufgänge, die jeweils als Zweispänner ausgelegt sind. Im Erdgeschoss war das vornehme Restaurant „Zum Prinzen Handjery“ eingerichtet, in dem der Haus- und Grundbesitzer-Verein Friedenau seine Vereinsabende abhielt. Das Restaurant war nach dem Landrat des Kreises Teltow, Nikolaus Prinz von Handjery, der seine schützende Hand über die Anfänge der Gemeinde Friedenau gehalten hatte, benannt. Auch heute befindet sich hier ein Restaurant. Das Haus weist durchweg eine asymmetrische Gliederung der beiden Straßenfassaden auf. Erker mit Loggien und Wintergärten, ein Jugendstilportal und durch Säulchen gegliederte Reihenfenster des Restaurants im Erdgeschoss an der Handjerystraße sind kompositorisch frei verteilt. Die Einfriedung an der Handjerystraße besteht aus einem floralen schmiedeeisernen Jugendstilgitter. Die Fassade an der Schmiljanstraße ist vereinfacht worden, während die an der Handjerystraße gut erhalten blieb. Topographie Friedenau, 2000

 

Soweit wir uns zurückbesinnen können, gab es in diesem Haus im Erdgeschoss immer ein Restaurant. Das war um 1910 das wohlfeile Etablissement „Zum Prinzen Handjery“, das war in den letzten Jahren eine gutbürgerliche Wirtschaft mit süddeutscher Küche. An lauen Abenden waren die Terrassenplätze hinter der Einfriedung an der Handjerystraße gefragt, aber wegen des Autolärms auf der Schmiljanstraße etwas problematisch. Nun scheinen die Tage gezählt zu sein. Am Fenster prangt ein Schild: „Demnächst Neueröffnung Tagespflege.“

 

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Handjerystraße Nr. 44-45. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 44-45

Baudenkmal Verwaltungsgebäude

Entwurf Robert Schöffler

Bauherr AOK Berlin

1956-1958

 

An der Kreuzung Schmiljan-/Handjerystraße fallen drei sehr unterschiedliche Bauwerke ins Auge, zwei Mietwohnhäuser von 1893 und 1908 und das ehemalige AOK-Gebäude von 1956-58. Die Kontraste zwischen den drei Bauten könnten kaum größer sein, sie verkörpern den historischen Wandel des Quartiers.

 

 

 

 

 

 

Das dreigeschossige AOK-Gebäude mit Flachdach Handjerystraße 44-45 Ecke Schmiljanstraße 11 wurde 1956-58 auf einem L-förmigen, zweibündigen Grundriss erbaut. Schöffler hat um diese Zeit eine Reihe von AOK-Bezirksstellen in Berlin (Spandau, Tiergarten, Wedding) errichtet. Es ist einer der wenigen Bauten der fünfziger Jahre in Friedenau. Das Gebäude hat eine dem Verlauf der Handjerystraße folgende, konvex gebogene Fassade mit eng gestellten vertikalen Pfeilern. Die zurückgesetzten Brüstungsfelder zwischen den Pfeilern sind mit rotbraunen Keramikfliesen verblendet, einige frei verteilte gelbe, blaugrüne, rote und grüne Einzelfliesen lockern die Brüstungsfelder auf. Der Eingang mit dem gerundeten Vordach ist asymmetrisch in der Fassade angeordnet. Die Fassade des Kopfbaus an der Ecke ist nicht durch Pfeiler gegliedert, sondern als glatte Wandfläche mit beigen und einzelnen andersfarbigen Keramikfliesen verkleidet. Die dreiläufige Treppe im Inneren wird durch ein dreigeschossiges Treppenhausfenster mit Glasbausteinen an der Hofseite erhellt. Der Bau wird durch ein weit überstehendes Flachdach abgeschlossen. Topographie Friedenau, 2000

 

Nach diesen blumigen Worten wird klar, dass auch die Denkmalexperten nicht so recht wussten, warum ausgerechnet dieses Gebäude auf die Liste der Kulturdenkmäler von Friedenau gesetzt wurde. Gebaut für die AOK als Verwaltungsgebäude, später genutzt von der WTG (Westfälische Telefongesellschaft) und schließlich, als es Denkmal war, wurde das Gebäude 2013 dem Bezirksamt Schöneberg „günschtig“ angeboten und dem vom Bezirk subventionierten Nachbarschaftsheim (NBHS) angetragen. „ Nachdem (im Bezirksamt bzw. NBHS) diverse Nutzungskonzepte erörtert wurden, entschied sich das NBHS für die Einrichtung und Betreibung eines Wohnheimes für Frauen und Kinder, also keine Notunterkunft, sondern ein richtiges zu Hause, solange die Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind. Das wiederum veranlasste die auch vom Bezirksamt subventionierte Stadtteilzeitung sogleich zu einem Jubelartikel: Es ist ein Schmuckstück geworden und macht Friedenau alle Ehre. Von außen hat sich das Haus nicht verändert. Aber das Innenleben wurde komplett umgestaltet. Helligkeit und freundliche Farben dominieren. Auf drei Ebenen (Erdgeschoss, 1. und 2. Etage) sind wohnlich gestaltete Zimmer entstanden, je nach Personenzahl für 2, 3 oder 4 in unterschiedlicher Größe. Selbst für eine Familie bis zu 8 Personen gibt es ein Appartement. Die Einrichtung ist funktional, die blauen Teppichböden in den Zimmern und das gelbe Linoleum in den Fluren vermitteln eine wohnliche Atmosphäre. Ein Großteil der Möbel verdankt das Haus übrigens einer Spende von Ikea. Auf jeder Etage gibt es eine Teeküche mit Aufenthaltsraum und Toiletten, im 1. Stock einen geräumigen Sanitärbereich mit Duschen. In der Großküche mit Speiseraum im Untergeschoss wurden 6 Arbeitsbereiche eingerichtet, jede Bewohnerin erhält eine Komplettausstattung an Koch- und Essgeschirr. Weiterhin gibt es natürlich ein Büro, Spielzimmer für die Kinder, Lernzimmer mit Computern für Kurse und Hausaufgaben, ein Krankenzimmer.

 

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Handjerystraße Nr. 47. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 47

Baudenkmal Landhaus

Entwurf Architekt Max Nagel

Bauherr Sanitätsrat Dr. Beutlin

1887

 

Das zweigeschossige, kubische Landhaus wurde als Rohziegelbau mit einem dreigeschossigen Turm an der Ostseite des Hauses erbaut. Das Landhaus mit einem Vierfelder-Grundriss erhebt sich auf einem Souterrain. Der Zugang erfolgt über eine kleine Freitreppe im Erdgeschoss des Turms, in dem auch die Treppe ins Obergeschoss führt. Über dem Obergeschoss ist noch ein Drempel mit kleinen Attikafenstern ausgeführt. Die Türen und Fenster sind mit weißen Putzfaschen gerahmt. Ab 1924 war das Haus im Besitz des Siemens-Direktors Oskar Arlt, der dort lange Zeit wohnte. Topographie Friedenau, 2000

 

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Handjerystraße Nr. 65. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 65

Schmiljanstraße Nr. 12

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf James Ruhemann

Ausführung & Bauherr Otto Kaiser

1893

 

Das viergeschossige Eckhaus mit 7:10 Achsen (ohne Eckerker) hat zwei Aufgänge, von denen der eine als Ein- und der andere als Zweispänner ausgelegt ist. Die Fassaden an den beiden Straßen sind jeweils durch einen Standerker in der Mittelachse gegliedert. Das Erdgeschoss mit Läden ist verputzt, die Obergeschosse sind mit gelben Ziegeln verblendet. Die Fenster haben breite Putzfaschen und die Fassaden sind mit architektonischen Elementen der Neorenaissance reich dekoriert. Topographie Friedenau, 2000

 

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Handjerystraße Nr. 65. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 70

Baudenkmal Landhaus

Entwurf Maurermeister H. Franzke

Bauherr Fellmann

1885-1887

 

Auf dem Grundstück erhebt sich ein freistehendes, eingeschossiges, siebenachsiges, neobarockes Landhaus in Putzbauweise. Das Haus zeigt einen leicht vorspringenden, dreiachsigen Mittelrisalit, der von einem breiten Querbau im Dachgeschoss bekrönt wird, das beiderseits von je zwei Gauben mit Volutengiebeln flankiert wird. Das Haus weist einen Sechsfelder-Grundriss auf. Es verfügt heute über je einen Eingang in den beiden Bauwichen. Im nördlichen Bauwich ist der alte Eingang in einer kleinen Pfeilerhalle, im südlichen Bauwich ein neuer Eingang angelegt worden. Die originale Einfriedung ist erhalten. Topographie Friedenau, 2000

 

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Handjerystraße Nr. 71. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 71

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf Architekt H. Franzke

Bauherr Kaufmann Carl Gruiot

1888

 

Das dreigeschossige Mietwohnhaus ohne Souterrain, aber mit einem ausgebauten Mansardgeschoss spiegelt die veränderte baurechtliche Situation nach Inkrafttreten der neuen Bauordnungen von 1887 beziehungsweise 1892, die ein Überschreiten der zweigeschossigen Bauweise erlaubten. Das Erdgeschoss zeigt eine Putzrustika, die beiden Obergeschosse eine Verblendung mit roten Ziegeln und mit weißen Putzfaschen gerahmte Fenster. Die neunachsige Fassade gliedern zwei vorspringende, jeweils zweiachsige Risalite mit Quergiebeln und weiße Putzlisenen. Das Haus ist in Formen der Neorenaissance gehalten. Topographie Friedenau, 2000

 

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Handjerystraße Nr. 72, Detail. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 72

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf Architekt James Ruhemann

Bauherr Rudolf Strauß

1892-1896

 

Das viergeschossige, elfachsige, streng symmetrisch angelegte Haus ohne Souterrain wurde mit einem auskragenden Mittelerker errichtet. Die seitlichen Balkon-Loggien haben schmiedeeiserne Brüstungen. Das Entrée öffnet sich durch eine zweiflügelige, schmiedeeiserne, verglaste Haustür. Das Vestibül ist mit Mettlacher Fliesen auf dem Fußboden und Stuckrahmen und ionischen Pilastern an den Wänden ausgestattet. Das Vorderhaus ist ein Zweispänner. Die Seitenflügel haben eigene Aufgänge mit je vier Wohnungen. Topographie Friedenau, 2000

 

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Polizeiliches An- und Abmeldebuch, 1904

Handjerystraße Nr. 74

Wilhelm Johann Ludwig Berg (1848-1943)

 

Magnus Schiebe, von 1988 bis 2003 Personalchef und Justitiar der ARD-Rundfunkanstalt Sender Freies Berlin, kam mit einer Rarität: Polizeiliches An- und Abmeldebuch 1904 – das sogenannte Hausbuch. 1977 war er zur Miete in die Handjerystraße Nr. 74 gezogen und fand auf dem Dachboden  das Buch mit Einträgen aus den Jahren von 1906 bis 1920: Dieses Buch gilt nur als Quittung für die stattgefundene Meldung; bei jeder Meldung müssen mit diesem Buch zusammen noch die für die Polizeibehörde erforderlichen Meldeformulare vorschriftsmäßig ausgefüllt werden und zwar bei Anmeldungen für Umzüge innerhalb der Orte Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Rixdorf ist Formular A, gelbes Papier, zu verwenden. Bei Abmeldungen für Umzüge innerhalb der Orte Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Rixdorf ist Formular B, graues Papier, zu verwenden. Bei Anmeldungen für Zuzüge von außerhalb ist Formular C, weißes Papier, zu verwenden. Bei Abmeldungen für Abzüge nach auswärts ist Formular D, grünes Papier, zu verwenden.

 

Im Hausbuch waren einzutragen (1) Vorname und Name, (2) Ob ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, (3) Stand oder Gewerbe, (4) Geburts-Tag, -Monat, -Jahr, (5) Geburtsort und Kreis, (6) Staatsangehörigkeit, (7) Religionsbekenntnis, (8) Ort der letzten dauernden Niederlassung, (9) Ob bereits früher hier? Wann? Letzte Wohnung? Straße, Platz, Nr., bei wem?, (10) Soll der jetzige Aufenthalt länger als drei Monate dauern?, (11) Ob eigene Wohnung oder bei wem und ob in Aftermiete, Schlafstelle oder Dienst, ob Vorderhaus, Seitenflügel usw. ob Keller, Parterre, 1 Treppe usw., (12) Zugezogen am Tag, Monat, Jahr, von Ort, Straße, Nr., (13) Fortgezogen am Tag, Monat, Jahr, Ort, Straße, Nr.

 

§ 1 Zu melden sind das Beziehen einer Wohnung und das Ausziehen aus einer Wohnung. § 2 Die Meldung muß schriftlich an das Bureau des Polizeireviers erstattet werden, in dem die Wohnung liegt. § 3 Die Meldungen sind in drei Ausfertigungen bei der Meldestelle einzureichen. Eine Ausfertigung wird als Nachweis für die geschehene Meldung zurückgegeben. § 4 Die Meldungen müssen genau entsprechend den beiliegenden Mustern a bis d (Größe 18 zu 21 ½ cm) unter vollständiger und  deutlicher Ausfüllung sämtlicher Spalten auf gutem Papier erstattet werden.

 

Wir gingen davon aus, daß dieses Hausbuch die Handjerystraße Nr. 74 betraf, zumal sich darin eine Anmeldung vom 24. Juni 1943 befand, auf der vom Hauseigentümer Berg der Um- und Einzug von Karl Reuter nebst Ehefrau sowie drei Töchtern und vier Söhnen vom Maybachplatz Nr. 10 in die Handjerystraße Nr. 74 bestätigte.

 

1943, Anmeldung Reuter, Handjerystraße 74. Archiv Magnus Schiebe

Die Geschichte von Maybachplatz Nr. 10 war bekannt. Das Eckhaus hatte der Bauunternehmer Wilhelm Berg als Bauherr 1881 vom Architekten James Ruhemann errichten lassen. Nach diversen Wechseln ging das Haus 1931 in den Besitz von Herbert & Hildegard Stein. 1939 floh das Ehepaar in die USA. Otto Rehmann wurde als Verwalter eingesetzt. Mit dem Bombenangriff 1943 verlor das Haus den Dachstuhl und zwei Wohnungen. Daraufhin wurde dem aktiven Wehrmachtsbeamten Karl Reuter die Wohnung in der Handjerystraße Nr. 74 zugewiesen.

 

Bei der nachfolgenden Recherche fanden wir aber heraus, daß die An- und Abmeldungen im besagten Hausbuch auf das Grundstück Bornstraße Nr. 30 verweisen. Der Bauuntenehmer Wilhelm Berg hatte 1907 von der Berliner Westlichen Baugesellschaft GmbH zwei Grundstücke in der Bornstraße erworben. Auf Nr. 29 entstand ein Mietwohnhaus für 16 Parteien. Nr. 30 hatte er als Lagerplatz ausgewiesen. Beabsichtigt war, daß die Gegend in nächster Zeit mit vornehmen Häusern bebaut werde. Dazu kam es nicht.

 

 

Bornstraße, Bebauungsplan 1965. BA Schöneberg

Im Grenzland zwischen Friedenau, Wilmersdorf und Steglitz macht unser Ort nirgends einen traurigeren Eindruck. 1908 eröffnete der Kaufmann Albert Marks in der Nachbarschaft auf 700 Quadratmetern einen Markt für Obst, Gemüse, Fleisch und Wurstwaren. 1912 beschloß die Friedenauer Gemeindevertretung die Durchlegung der Gutsmuthstraße nach der Schloßstraße. Durch Vertrag mit der Gemeinde waren die Anlieger verpflichtet, ihren Grundbesitz, soweit er für die Gutsmuthsstraße erforderlich ist, unentgeltlich herzugeben und sämtliche Anliegerbeiträge zu tragen. Da die jetzige Nummerierung der Bornstraße viele Unzuträglichkeiten mit sich brachte, war 1913 eine Umnummerierung erforderlich. Aus Bergs Nr. 29 wurde Nr. 30. So blieb es bis zu den Bombardierungen 1942/43. Im Jahr 1953 wurde an der Ecke Bornstraße Bundesallee das Kaufhaus Held eröffnet (heute Schloss-Straßen-Center). 1970 folgte zwischen Schloß-, Born-, Gutsmuth- und Hackerstraße das Forum Steglitz. Über das Schicksal von Wilhelm Bergs Haus Bornstraße Nr. 30 ist nichts bekannt.

 

 

 

 

 

1867 Maurerlehrling Wilhelm Berg in Stettin

Wilhelm Johann Ludwig Berg wurde am 21. März 1848 zu Badendiek bei Güstrow geboren, absolvierte eine Maurerlehre und zog als Maurermeister nach Friedenau in die Rheinstraße Nr. 3. In Schöneberg lernte er die Gastwirtstochter Bertha Maria Louise Arloff (1854-1902) kennen. Am 28. Februar 1889 wurde geheiratet. In der Heiratsurkunde ist Berg als Bauunternehmer eingetragen. Als Zeugen waren hinzugezogen der Hauseigentümer Carl Leke und Gustav Fröhlich, Inhaber der Fabrik für Gas- und Wasseranlagen. Das Ehepaar zog in die Rheinstraße Nr. 4. Dort wurde am 7. März 1890 Sohn Erich Ludwig Wilhelm Berg geboren.

 

 

 

 

 

 

1891 ließ er – wie oben beschrieben – auf dem eigenen Grundstück Handjerystraße Nr. 43 (mit der Neunummerierung von 1892 Nr. 74) ein Mietwohnhaus errichten. 1893 waren acht Parteien eingezogen, die Familie Berg in die II. Etage, in der die Söhne Wilhelm (1892) und Bruno (1896) geboren wurden. Vermutlich hat der Architekt James Ruhemann den Entwurf geliefert. Mit Blick auf den zukünftigen Wohnwert entschied sich der Bauherr gegen Seitenflügel und Gartenhaus und für einen großzügigen Garten. Er ließ sich ein viergeschossiges Zweispänner-Haus errichten, von dem jeweils auf einer Grundrissebene von einem Treppenpodest aus zwei unabhängige Wohnungen entstanden.

 

Handjerystraße 94 Ecke Maybachplatz 10.

Etwa zeitgleich war auf dem Grundstück Handjerystraße Nr. 94 Ecke Maybachplatz Nr. 10 ein Neubau nach einem Entwurf von James Ruhemann (1865-1931) entstanden. Eigentümer war ebenfalls Wilhelm Berg, der als Bauherr fungierte und als Maurermeister auch die Ausführung übernahm. Die Baueingabe erfolgte am 9. Oktober 1890. Am 31. Oktober 1890 verfügte die Bauinspektion, daß der Turmaufbau in der Höhe einzuschränken ist. Der Architekt in Abstimmung mit dem Bauherrn legte Widerspruch ein: Das bei der exponierten Lage meines schon vom Bahndamm der Ringbahn ersichtlichen Gebäudes würde auch dem Orte Friedenau zur Zierde gereichen. Derselbe dürfte der auch von allen Seiten frei liegenden Nachbarschaft weder Licht noch Luft wegnehmen. Die Genehmigung wurde erteilt. Am 9. April 1891 war Baubeginn. Am 17. Februar 1892 zogen die Mieter ein. 1894 gab es mit Rentier August Weißmann einen neuen Eigentümer. Am 29. Januar 1896 verkündete der Friedenauer Lokal-Anzeiger das Zwangsversteigerungsergebnis: Dasselbte ist mit einer Fläche von 9,92 Ar und 11.000 M. Nutzungswerth zur Gebäudesteuer veranlagt. Meistbietender blieb der Badeanstaltbesitzer Julius Pfitzner zu Berlin, Michaeliskirchstraße 1, mit dem Gebot von 160.000 M. Undsoweiterundsofort mit den Besitzern.

 

 

 

 

Wilhelm Berg war – wie Gustav Haustein oder Moritz und Siegmund Stöckel – Bauunternehmer. Ihr Geschäft war es, Grundstücke günstig zu erwerben, zu bebauen und die Häuser zu veräußern. Über diesen Berufsstand haben Architekturhistoriker und auch der Friedenauer Lokal-Anzeiger weitgehend geschwiegen. Dieser berichtete am 15. Juni 1899 von Trupps ausgesperrter Maurer- und Zimmerleute, die die Straßen Friedenaus entlang gehen und kontrollierten, ob einzelne Arbeiter auf den Bauten beschäftigt sind. Auf sämtlichen Friedenauer Bauten wird nicht weiter gearbeitet. Aus Friedenau gehören dem Bunde der Arbeitgeber an die Herren Maurermeister Berg, Colosser, Langnick, Ruhemann und die Herren Zimmermeister Haustein, Hoepke und Kreuschmer. Aus dem Verlauf einer gestern abgehaltenen Versammlung der Arbeitnehmer geht hervor, daß dieselben sich auf einen längeren Kampf einzurichten gedenken. Sämtliche unverheiratete Arbeiter sollen Berlin und seine Vororte verlassen. Jeder Arbeitende zahlt 50 Pfennig zur Unterstützungskasse.

 

Bertha Berg, Todesanzeige 1902

Am 20. März 1902 entschlief nach langem schweren Leiden Ehefrau Bertha Berg im 48. Lebensjahr. Wilhelm Berg war 54 Jahre alt, seine Söhne 12, 10 und 6 Jahre. Auf dem Friedhof Stubenrauchstraße ließ er ein monumentales Wandgrab aus roten märkischen Ziegelsteinen errichten (Abt. 12/5-8).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1905 Schmargendorfer Straße 6. Archiv Magnus Schiebe

Das Leben ging weiter – auch das Geschäft. Nach dem Tod des Königlichen Kanzleirats Carl Klutsch erwarb Wilhelm Berg 1905 in unmittelbarer Nachbarschaft seines Hauses in der Handjerystraße von den Nachfahren das freistehende, eingeschossige Landhaus Schmargendorfer Straße Nr. 6. Nach dem Abriss des Vorgängerbaus entstand ein viergeschossiges Mietshaus mit Souterrain und zwei Seitenflügeln. Im Friedenauer Lokal-Anzeiger offerierte er hochherrschaftliche Wohnungen von 5 und 6 Zimmern mit elektr. Lichtanlage, Erker, Loggia, Balkon und allem modernen Komfort.

 

Im August 1905 erwarb er zudem das Landhaus des verstorbenen Publizisten Dr. phil. Langmann in der Fregestraße Nr. 73, der in den 1870er Jahren gemeinsam mit Rudolf Mosse das Berliner Tageblatt ins Leben gerufen hatte. Auf dem Grundstück entstand ein viergeschossiger Neubau mit Seitenflügel und Gartenhaus für 25 Mietsparteien.

 

Mit 63 Jahren gab Wilhelm Berg 1911 das Geschäft auf, nannte sich Privatier und beschäftigte sich wohl nur noch mit den Vermietungen seiner drei Häuser. Von der Handjerystraße Nr. 74 sind Polizeiliche Anmeldungen erhalten. 1934 zogen der ledige Musiklehrer und Pianist Helmut Haverkamp und seine Haushälterin Luise Martin ein, die zuvor in der Schwalbacher Straße Nr. 9 wohnten. 1939 kamen aus der Lauterstraße Nr. 20 Oberbrandmeister i. R. Paul Nickel und seine Ehefrau Anna geb. Fritze, deren Sohn A. Nickel, Inhaber eines Steinmetzgeschäfts, bereits im Haus wohnte. 1943 folgte Amtsrat Karl Reuter mit Ehefrau Katharina sowie drei Töchtern und vier Söhnen.

 

Über den Werdegang seiner Söhne Erich und Wilhelm ist wenig bekannt. Etwas mehr wissen wir von Sohn Bruno: Am 10. August 1923 erschienen im Standesamt Friedenau zum Zwecke der Eheschließung der Syndikus, Doktor der Nationalökonomie und Staatswissenschaft, Bruno Gustav Johann Berg, wohnhaft in Hildesheim, Goßlarstraße 51, und die berufslose Elfriede Klara Gertrud Else Mann, geboren am 29. November 1896 zu Schöneberg, wohnhaft in Berlin Friedenau, Bismarkstraße 11.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

Am 18. Oktober 1943 stellte das Standesamt Schöneberg unter Nr. 3337 den Totenschein aus: Der Rentner Wilhelm Johann Ludwig Berg, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Handjerystraße 74, ist am 16. Oktober 1943 um 21.30 Uhr in seiner Wohnung verstorben. Der Verstorbene war Witwer von Bertha Marie Luise Berg geb. Arloff. Eingetragen auf mündliche Anzeige des Sohnes, Landwirtschaftsrats Dr. Bruno Berg, wohnhaft Hildesheim, Karthäuser Straße 1. Der Anzeigende wies sich aus durch Soldbuch und erklärte, von dem Tode seines Vaters aus eigener Wissenschaft unterrichtet zu sein. Todesursache chron. Herzmuskelerkrankung. Er wurde im Familiengrab auf dem Friedhof Stubenrauchstraße bestattet. Dieses Grab existiert noch heute. Frau Hella Leuchert-Altena hat das herrenlose Grab nach der Jahrtausendwende entdeckt, die Nutzungsrechte erworben und restaurieren lassen – für ihre letzte Ruhe. Im Mai 2006 veranlasste sie die Umbettung ihres Onkels, dem Bildhauer Otto Dengwitz (1906-1997), vom Friedhof Ruhleben nach Friedenau, und sorgte dafür, daß die Urne mit den Überresten von Bertha und Wilhelm Berg erhalten blieb.

 

Erstaunlich für Friedenau ist, daß sich die Bergschen Häuser Handjerystraße Nr. 74 und Schmargendorfer Straße Nr. 6 noch heute im Besitz der Familie Berg befinden – als Mietshäuser.

 

Johann Bahr, Inspiredtramp, 1922

Handjerystraße Nr. 75

Johann Bahr (1859-1929)

 

In Flensburg waren die Gymnasiasten Johann Bahr (1859-1930) und Max Hagen (1959-1914) ständig auf der Suche nach Motiven für ihre Bilder. Damals zu äußern, ich will Maler werden, so Bahr später, wäre ein ungeheures Wagnis gewesen, und statt den Weg zu betreten, auf den uns die Natur gewiesen, taten wir das Unpraktischste und wählten einen praktischen Beruf – Hagen wurde Schlosser, Bahr Maschinenbauer.

 

Nach diesem Umweg studierten sie an Kunstakademien in Berlin und München, Hagen schon 1883, Bahr etwas später, da er erst einmal als Maschinist auf Dampfern anheuerte: Mit der Luxor von Hamburg nach St. Vincent (21.10. bis 23.11.1883), mit der Menes von Hamburg über Antwerpen nach Montevideo und Punta Arenas (21.3. bis 10.8.1884), mit der Wotan von Bremen nach New Orleans (28.9. bis 24.10.1884).  Er führte ein Tagebuch, das unter dem Titel Erinnerung an eine Reise von Hamburg nach der Westküste von Südamerika 2004 vom Auktionshaus Kiefer versteigert wurde, mit bizarren Texten und humoristischen Zeichnungen.

 

Eine erste Arbeit, Unfall in einer Maschinenfabrik, veröffentlichte die Illustrierte Zeitung 1889 in einem Beitrag über die Deutsche Allgemeine Ausstellung für Unfallverhütung in Berlin, und schreibt dazu: Johann Bahr führt uns in eine große Maschinenfabrik, wo soeben an einem Zahnradgetriebe ein Arbeiter verunglückt ist. Bewusstlos sehen wir ihn am Boden liegen, gehalten von seinen Genossen, während der Arzt sich mit ihm beschäftigt, und unser Mitleid können wir der Frau nicht versagen, welche soeben, begleitet von ihrem Kinde, dem arbeitenden Gatten des Essen bringen wollte und ihn da leblos und vielleicht für immer zum Krüppel geworden am Boden liegen sieht. Um den Verunglückten herum stehen Gruppen erregter Arbeiter, die den Unfall und die Entstehung desselben eifrig besprechen. Das aus dem vollen Leben herausgegriffene und trefflich ausgeführte Bild wird vielleicht dazu beitragen, das Interesse für die Unfallverhütungsausstellung zu erhöhen.

 

1893 zog Bahr mit Frau und Tochter in den 3. Stock der Handjerystraße Nr. 75. Da gehörte er längst zu den vielbeschäftigten Karikaturisten der Satire-Zeitschriften Fliegende Blätter und Lustige Blätter. Nun kam auch der Friedenauer Lokal-Anzeiger nicht umhin, über Johann Bahr zu berichten, über das Reuter'sche Weinrestaurant in der Moselstraße mit einer Anzahl prachtvoller künstlerischer Bahr'scher Gemälde, die mit der ganzen eleganten Einrichtung des genannten Lokals gut harmonieren oder 1910 über die Große Berliner Kunstausstellung, auf der unser Mitbürger Herr Kunstmaler Bahr das Gemälde ‚Die Begegnung‘, eine Frühlingslandschaft, ausgestellt hat.

 

1896 gründete Johann Bahr den Berufsverband der Illustratoren. Erlernte den Karikaturisten Lyonel Feininger (1871-1956) kennen, und brachte dessen Zeichnungen gelegentlich in die Redaktion, und wie stolz und glücklich machte es mich, wenn er mir mitteilen konnte, diese oder jene Karikatur ‚hatte gefallen‘ und ‚wurde akzeptiert‘, worauf er 3 Mark als mein Honorar auf den Tisch legte.

 

1905 zog Bahr nur ein paar Häuser weiter, von Handjerystraße Nr. 75 in der Schmargendorfer Straße Nr. 13. Dort ist er am 7. Oktober 1929 gestorben. Seine zahlreichen Karikaturen sind erhalten. Die Universitätsbibliothek Heidelberg hat die Ausgaben von  Fliegende Blätter und Lustige Blätter digitalisiert und öffentlich gemacht.

 

Handjerystraße Nr. 77

Bully Buhlan: Ich hab' noch einen Koffer in Berlin

 

Was für eine traurige Nachricht! Einige Jahre hat sich das Ehepaar Kerkloh um das Grab des Sängers Bully Buhlan auf dem Dahlemer Waldfriedhof gekümmert. Nun verlassen die Eheleute Berlin – und hoffen darauf, Nachfolger für die Pflege des Grabes zu finden. Wie ernst es ihnen damit ist, macht der Artikel im „Tagesspiegel“ vom 18. Dezember 2017 deutlich. Zuerst baten sie ihren Sohn Thomas um Hilfe, der sich wiederum an den „rasenden Reporter“ Boris Buchholz wandte. So kam die ganze Geschichte in den „Tagesspiegel“ – obendrein, was ziemlich ungewöhnlich ist, mit seiner Bitte um Zuschriften an tkerkloh@googlemail.com.

 

Ein bisschen Nachilfe schadet nicht. Bully Buhlan wurde am 3. Februar 1924 in Lichterfelde geboren. Als die im Funkhaus an der Masurenallee tonangebende sowjetische Kulturadministration im Juni 1945 das „Radio Berlin Tanzorchester“ (RBT) des „Berliner Rundfunks“ gründen ließ, machte Orchesterchef Michael Jary Bully Buhlan zum Frontsänger für seine swingende Big Band.

 

 

 

 

Als der Arbeitersänger und Spanienkämpfer Ernst Busch (1900-1980) vom sowjetischen Stadtkommandanten Alexander Georgewitsch (1902-1981) die Erlaubnis erhielt, die im Spanischen Bürgerkrieg selbst gesungenen Lieder auf Schallplatte zu pressen, gründete Busch laut Handelsregister Charlottenburg vom 18. März 1947 den Schallplattenverlag „Lied der Zeit" mit dem spanischen Labelnamen „Amiga“ (Freundin). Statt der Kampflieder wurden von „Amiga“ im Mai 1947 die „Capri-Fischer“ mit Kurt Reimann und wenig später „Chattanooga Choo Choo“ mit Bully Buhlan gepresst – damals bekannt unter dem Titel „Verzeihn Sie, mein Herr, fährt dieser Zug nach Kötzschenbroda“. Die weitaus bekanntere Version lieferte Udo Lindenberg 1983 mit dem „Sonderzug nach Pankow“.

 

1949 hatte Bully Buhlan einen langfristigen Vertrag mit Deutschlands größter Plattenfirma „Polydor“ in der Tasche. „Troubadour der Berliner“ nannte man ihn oder auch „Die singende Luftbrücke“. Es entstanden die für ihn typischen Lieder: „Ich hab’ mich so an dich gewöhnt“, „Ham' se nich' 'ne Braut für mich“, „Lieber Leierkastenmann“, „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“, „Das Lied von der Krummen Lanke“. Es kam zur Zusammenarbeit mit RIAS Berlin und seinen Duett-Partnerinnen Rita Paul, Mona Baptiste und Bibi Johns. Der kesse Sonnyboy aber wurde für viele zum Inbegriff des Berliners. Von Lichtfelde zog er in die Handjerystraße Nr. 77, dann gings nach Steglitz auf den Fichtenberg und schließlich nach Zehlendorf.

 

Er starb am 7. November 1982 in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Dahlemer Waldfriedhof (Grabstelle Feld 11/Nr. 397/398). Dort entdeckte es vor drei oder vier Jahren das Ehepaar Kerkloh – nichts weiter als Fans von Bully Buhlan. Sie entfernten den Wildwuchs, beschnitten die Hecken und legten ab und an ein Gebinde nieder. Nun aber verließen sie Berlin und sorgten sich um die Grabpflege.

 

So ist Berlin. Es musste erst die Presse bemüht werden, um darum zu bitten, dass sich in Zukunft jemand um die Pflege des Grabes von Bully Buhlan auf dem Dahlemer Waldfriedhof kümmert. Danach brauchte der Senat ein Jahr, um dem Grab im November 2018 den Status „Ehrengrabstätte des Landes Berlin“ zu geben. Nun ist das Grab  für die nächsten 20 Jahre „gerettet“.

 

Handjerystraße Nr. 82-83. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 82-83

Niedstraße Nr. 10-11

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf & Bauherr Eduard Götze

1889

 

In der nördlichen Handjerystraße finden sich auf der westlichen und der östlichen Straßenseite Landhäuser der ersten Bauphase zusammen mit frühen Mietwohnhäusern der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts und großen Mietwohnhäusern der Zeit um 1910 in der für Friedenau typischen Mischung. Auf der westlichen Straßenseite sind interessante Beispiele aus allen drei Bauphasen überliefert. Das viergeschossige, neobarocke Mehrfamilienwohnhaus - mit neun Achsen an der Handjery- und acht Achsen an der Niedstraße - besitzt zwei Aufgänge, von denen je zwei Wohnungen pro Geschoss erschlossen werden. Die beiden Straßenfassaden des Eckhauses werden durch einen leicht vorspringenden, verputzten Eckrisalit akzentuiert, mit gekoppelten Fenstern nach beiden Seiten. Dem Eckrisalit entspricht ein flacher Seitenrisalit in der Handjerystraße mit gekoppelten Fenstern, der in der Niedstraße wegen der ungleichen Grundstückslängen nicht ausführbar war. Beide Fassaden haben jeweils sieben Achsen ohne die Risalite. Die unteren beiden Geschosse sind verputzt, die oberen beiden mit roten Klinkern verkleidet. Jede zweite Achse ist durch aufwendige Fenstergewände - im ersten Obergeschoss mit Dreiviertelsäulen und Rundgiebeln - betont. Das originale Lanzengitter ist erhalten; der Eckrisalit wird von der Einfriedung ausgespart, um den Zugang zum Laden an der Ecke zu ermöglichen. Topographie Friedenau, 2000

 

Weiteres in Vorbereitung

 

Handjerystraße Nr. 87-88. Wikipedia, Bodo Kubrak 2013

Handjerystraße Nr. 87-88

Albestraße Nr. 8

Baudenkmal Landhausgruppe

Entwurf Max Nagel

Bauherr Friedrich Bache

1885-1886

 

In der nördlichen Handjerystraße finden sich auf der westlichen und der östlichen Straßenseite Landhäuser der ersten Bauphase zusammen mit frühen Mietwohnhäusern der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts und großen Mietwohnhäusern der Zeit um 1910 in der für Friedenau typischen Mischung. Auf der westlichen Straßenseite sind interessante Beispiele aus allen drei Bauphasen überliefert.

 

Die beiden Landhausbauten des „Tiele-Winckler-Hauses“, das zweigeschossige, vierachsige Haus an der Ecke Handjerystraße Nr. 87/Albestraße Nr. 8 und das eingeschossige, vierachsige Haus Handjerystraße Nr. 87-88 wurden als Rohziegelbauten erbaut. 1986 wurden sie durch einen modernen Zwischenbau verbunden. Das Thiele-Winkler-Haus dient geistig behinderten Erwachsenen als Wohnheim. Das zweigeschossige Eckhaus ist als grauer Ziegelbau mit roten Ziegelmustern (aus Streifen und Kreuzen) und Eckfassungen ausgeführt und wird an der Fassade zur Albestraße durch ein vorspringendes Treppenhaus erschlossen. Das Zeltdach des Eckhauses zeigt im Gesimsbereich eine auffallende Knaggenkonstruktion. Das giebelständige, eingeschossige Haus Nr. 88 auf hohem Souterrain ist in gelben Ziegeln mit einer Fülle von Mustern (wiederum aus Streifen und Kreuzen) erbaut worden. Sein Giebel zeigt ein Rundbogendoppelfenster mit kleineren Rundbogenfenstern in den Abseiten. Topographie Friedenau, 2000

 

1927 übernahm es der „Friedenshort“, eine Einrichtung der Berliner Stadtmission, und machte daraus eine Pflegestelle für geistig behinderte Mädchen. Seit 1970 heißt es „Tiele-Winckler-Haus“ und betreut geistig behinderte Volljährige.

 

Weiteres in Vorbereitung

 

Handjerystraße Nr. 89. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 89

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf G. Luedecke

Bauherr Otto Müller

1888

 

In der nördlichen Handjerystraße finden sich auf der westlichen und der östlichen Straßenseite Landhäuser der ersten Bauphase zusammen mit frühen Mietwohnhäusern der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts und großen Mietwohnhäusern der Zeit um 1910 in der für Friedenau typischen Mischung. Auf der westlichen Straßenseite sind interessante Beispiele aus allen drei Bauphasen überliefert. Das zweigeschossige Haus wurde als roter Ziegelbau mit Putzfaschen errichtet und als Zweifamilienwohnhaus mit einer separaten Geschoßtreppe konzipiert. Das Haus hat einen Seitenflügel entlang der nördlichen Grundstücksgrenze mit Veranden und einer Dachterrasse. Es stellt eine Übergangsform vom Landhaus zum Mietwohnhaus nach der neuen Bauordnung von 1887 dar. Topographie Friedenau, 2000

 

Weiteres in Vorbereitung

 

Handjerystraße Nr. 91-92 Ecke Schnackenburgstraße Nr. 8. Hahn & Stich, 2019

Handjerystraße Nr. 91-92

Schnackenburgstraße Nr. 8

 

Die Schnackenburgstraße hatte ab 1872 den Namen Querstraße I. Am 5. September 1885 erhielt sie den Namen Feurigstraße, benannt nach Johann Adolph Albert Friedrich Feurig (1830-1890), dem Amts- und Gemeindevorsteher von Schöneberg. Er war für den Kreis Teltow Leiter der Amtsbezirke Schöneberg, Wilmersdorf und Friedenau. Unter seinem Vorsitz fand 1875 die erste Wahl der Gemeindeverordneten von Friedenau statt, in der Georg Roenneberg (1834-1895) zum ersten ehrenamtlichen Gemeindevorsteher von Friedenau gewählt wurde.

 

Das Amtsbüro befand sich damals in der Albestraße Nr. 32/33. Sein Nachfolger im Amt, nun als hauptamtlicher Gemeindevorsteher, war von 1892 bis 1902 sein Bruder, der Major a. D. Albert Roenneberg (1842-1906). In seiner Amtszeit zog die Amts- und Gemeindeverwaltung 1896 mit dem gesamten Büro als Mieter in das Haus Feurigstraße Nr. 8 Ecke Handjerystraße Nr. 91-92.

 

 

 

Eigentümer beider Häuser war der Maurermeister Ch. Binternagel, wohnhaft Wilmersdorf, Bernhardstraße Nr. 3-4. Verwalter für beide Anwesen war Gärtner F. Hinz. Außerdem gab es im Haus noch die Mieter A. Lämmer (Rentiere), C. Lehmann (Kaufmann) und M. Semf (Eisenbahnbeamter). Im Eckladen präsentierte Fleischermeister O. Bork im Schaufenster seine frischen Schlachtungen. Am Hauseigang selbst befand sich ein Briefkasten für Post an die Gemeinde, am Vorgartenzaun hingen vier Schaukästen mit den Bekanntmachungen der Gemeinde.

 

1904 holte sich die Gemeinde mit dem Juristen Bernhard Schnackenburg (1867-1924) endlich einen erfahrenen Verwaltungsfachmann – der erste Bürgermeister von Friedenau. 1909 wurde Schnackenburg Oberbürgermeister von Altona.

 

Mit der Eröffnung des Rathauses Friedenau am Lauterplatz 1917 wurde das Amtsbüro in der Feurigstraße Nr. 8 aufgegeben. Schöneberg hatte am 9. Februar 1895 den „Weg hinter den Dorfgärten“ in Feurigstraße umbenannt. Mit der Bildung von Groß-Berlin am 1. Oktober 1920 wurde die Stadt Schöneberg und die Gemeinde Friedenau Teil von Berlin und bildeten den 11. Berliner Verwaltungsbezirk, so dass es nun eine Feurigstraße in Friedenau und eine Feurigstraße in Schöneberg gab. Am 9. September 1931 wurde die Friedenauer Feurigstraße in Schnackenburgstraße umbenannt.

 

Die Gemeindeverwaltung von Friedenau im Jahr 1914

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Handjerystraße Nr. 94, um 1910. Archiv Rüdiger Barasch

Handjerystraße Nr. 94

Ecke Perelsplatz Nr. 10

 

Der Architekt Erhard Böttcher und der Bildende Künstler Jürgen Hoffmann, Wohnungseigentümer auf den Grundstücken Handjerystraße Nr. 94 bzw. Perelsplatz Nr. 10 haben zum 100-jährigen Bestehen des Hauses im Jahr 1992 eine bemerkenswerte Hausgeschichte verfasst. Sie bildet die Grundlage für den nachfolgenden Bericht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

09.10.1890 Baueingabe für das Anwesen Maybachplatz Nr. 10 und Handjerystraße Nr. 94. Bauherr & Ausführung Wilhelm Berg; Entwurf Architekt James Ruhemann. Die Bauinspektion verfügt am 31.10.1890, dass „der Turmaufbau in der Höhe einzuschränken ist. Genehmigte Höhe des Turms 18.5 plus 1/5 = 18.5 plus 3.7 = 22.2 m“.

 

01.02.1900 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Pferdemisshandlung: Aus dem Neubau Ecke Handjerystraße Maybachplatz soll, wie uns von Adjacenten mitgetheilt wird, das Gespann des Fuhrherrn Franke einer unerhörten Behandlung ausgesetzt sein. Wenn der Fuhrherr auf dem Bau zugegen ist, menagieren sich die Dienstleuten natürlich, sobald er aber den Bau verlässt, geht der Tanz los. Besonders ein halbwüchsiger Bursche wird als Mißhändler genannt. Er soll, nach dem das Gespann den schweren Wagen aus der Baustelle heraufgezogen hat, mit einem Knüppel auf die armen Thiere losprügeln. Es wäre doch an der Zeit, daß diesem Unwesen, das die Nachbarn empört, gesteuert wird.

 

Anmerkung: Eigentümer des Grundstücks war der Maurermeister Wilhelm Berg (1848-1943). Er war 1890 mit Ehefrau Bertha nach Friedenau gezogen. Die Familie mit den Söhnen Erich, Wilhelm und Bruno wohnte zuerst in einer Mietwohnung im Haus des Bäckermeisters Hugo Keller in der Rheinstraße Nr. 3. Im Jahr 1891 war Berg Eigentümer des Anwesens Handjerystraße Nr. 74. Seine Frau Bertha geborene Arloff starb am 30. März 1902 im 48. Lebensjahr und wurde auf dem Friedhof Stubenrauchstraße beerdigt. Wilhelm Berg gab mit 64 „das Mauern auf“ und lebte fortan als „Privatier“ bis zu seinem Tod im Jahr 1943 im eigenen Haus Handjerystraße Nr. 74. Das ungewöhnliche Wandgrab aus roten Ziegelsteinen (Abt. 12/5-8, Grabstätte Drengwitz) ist erhalten – sogar die Urne mit der Inschrift „Familie Berg“.

 

09.04.1891 Baubeginn

 

29.05.1891 Antrag bei der Bauinspektion um Genehmigung des Turmes: „Das bei der exponierten Lage meines schon vom Bahndamm der Ringbahn ersichtlichen Gebäudes würde auch dem Orte Friedenau zur Zierde gereichen. Derselbe dürfte der auch von allen Seiten frei liegenden Nachbarschaft weder Licht noch Luft wegnehmen.“ Genehmigt am 08.07.1891.

 

Anmerkung: Nach Entwürfen des Architekten James Ruhemann sind zwischen 1892 und 1904 einige bemerkenswerte und längst unter Denkmalschutz stehende Mietswohnhäuser entstanden, darunter in Albe-, Gill-, Handjery-, Muthesius-, Rhein- und Roennebergstraße, die derzeit in den Blickpunkt der Immobilienhändler geraten.

 

21.07.1891 Rohbauabnahme

 

17.02.1892 Gebrauchsabnahme und Einzug der Mieter

 

Anmerkung: Unter der Adresse Handjerystraße Nr. 94 gab es von Anbeginn im Parterre des Wohnhauses ein Ladengeschäft, zuerst einen Schuhmacher, dann einen Schneidermeister. Erst ab 1901 war klar, was in dieser Gegend „gebraucht“ wurde. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte der Laden durchgängig Friseure. Nach dem Kauf des Anwesens durch das „Selbstverwaltungs-Wohnprojekt REPLAUS (GbR)“ im Jahr 1978 und der bis 1986 andauernden Restaurierung war dort die Hauswerkstatt untergebracht. Um 1989 entstand die Idee, den Raum für Ausstellungen und Lesungen zu nutzen, aus dem das Hausprojekt „Kunstkammer Friedenau“ entwickelt wurde. Wohl auf Grund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der GbR kam man überein, das Projekt Kunstkammer aufzugeben. Ab Mai 2019 sollen die Räume gewerblich genutzt werden.

 

Unter der Adresse Maybachplatz Nr. 10 existierte von Anbeginn eine Gaststätte. Häufige Wechsel der Pächter waren an der Tagesordnung. Laut Adressbuch suchten zwischen 1893 und 1943 mindestens elf Pächter ihr Glück – geblieben ist allerdings immer der Name Restaurant „ZUM BIKENWÄLDCHEN“, benannt nach der ursprünglichen Bepflanzung des Maybachplatzes mit Birken. Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchte in den Wirtschaftswunderjahren unter der Adresse Perelsplatz Nr. 10, 1 Berlin 41, Telefon 8516589, der Name „RESTAURANT MICHABELLE“ auf, dessen Leistungen nach Jürgen Hoffmann jedoch überhaupt nicht französisch waren. Nach dem Kauf des Anwesens Handjerystraße Nr. 94 und Maybachplatz Nr. 10 durch die Projektinitiative REPLAUS im Jahr 1978 übernahm die Familie Karali noch während der von 1979 bis 1986 dauernden Sanierung 1982 als Pächter Restaurant und Gartenterrasse. Das griechische Restaurant MEDUSA existiert inzwischen 38 Jahre, ausgestaltet mit einer stattlichen Anzahl von Kacheln und Fliesen im Stile des Historismus, des Jugendstils und des Art Déco aus der Sammlung von Tassos Tsiapkinis.

 

31.07.1905 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Spitzbubenfrechheit. Vor einigen Tagen ist aus einer in der 4. Etage des Hauses Maybachplatz Nr. 10 gelegenen Waschküche ein neuer großer, kupferner Waschkessel gestohlen worden. Das bewundernswerte ist, dass der Dieb mit dieser umfangreichen Beute entkommen ist. Polizeiliche Ermittlungen nach dem Diebe sind bereits im Gange.

 

07.12.1906 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Neue Lokalinhaber: Das bekannte Restaurant „Zum Birkenwäldchen“ hat seit dem 1. d. Mts. neue Besitzer bekommen und zwar durch Herrn Karl Spannheimer und Gemahlin aus Berlin. Beide wollen das Lokal so behaglich als möglich gestalten und an einer zuvorkommenden Bedienung soll es durchaus nicht fehlen. Die Speisen werden zu kleineren Preisen abgegeben, und trotzdem wird streng darauf geachtet, dass sie tadellos schmackhaft sind. Gutgepflegte Biere, vortreffliche Weine und Liköre werden in großer Auswahl ebenfalls stets vorhanden sein. Um nun Gelegenheit zu geben, die neue Regie allgemein bekannt zu machen, findet morgen Sonnabend ein Eröffnungsessen statt, welches nach dem ganzen Arrangement reichen Zuspruch verdient. Der neue Wirt bietet alles auf, den werten Gästen einen „genuß"-reichen und vergnügten Abend zu bereiten, weshalb ein Besuch genannten Restaurants sehr empfohlen werden kann.

 

29.12.1907 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Geschäftliches: Das seit vielen Jahren sich der Gunst unserer hiesigen Einwohner erfreuende Lokal „Zum Birkenwäldchen“ ist in den Besitz eines Restaurateurs übergegangen, der durch seine recht lange Tätigkeit als Leiter eines der besuchtesten Berliner Restaurants in reichlichem Maße die Fachkenntnis mitbringt, welche bei der heutigen großen Konkurrenz nötig ist, um ein Lokal auf die Höhe zu bringen und auf derselben zu halten. Herr Wilhelm Bieler hat, wie aus dem Inserat in dieser Nummer unseres Blattes ersichtlich, das am herrlichen Birkenwäldchen gelegene Lokal erworben. Die neu veränderten gemütlichen Räume bieten einen angenehmen Aufenthalt für Familien und der neue Wirt lässt durch Verabfolgung reichlicher guter Speisen und tadellos gepflegter Biere es an nichts fehlen. Zum Ausschank gelangen Pilsener Urquell, Münchener Bürgerbräu und neben hellem Böhmischen Lagerbier selbstverständlich auch Weine erster Firmen zu Originalpreisen. Am Silvester aber gibt es neben sonstiger großer Auswahl an Speisen, Silber-Spiegel-Karpfen, blau und in Bier zubereitet, die allen Besuchern bei musikalischer Unterhaltung sicherlich munden dürften.

 

24.05.1908 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Unwetter: Ein derartiges Unwetter ist seit langem nicht über unsern Ort gegangen. Ringsherum am Horizont zuckten die grellen Blitze, die Nacht tageshell erleuchtend. Der wolkenbruchartige Regen und starke Hagelschlag gab zu Überschwemmungen in unseren Straßen Anlass, da die Abflusskanäle nicht imstande waren, die Wassermassen aufzunehmen. Der Maybachplatz glich einem förmlichen See. Bis zur Feurigstraße stand das Wasser fußhoch. Hier am Maybachplatz hatte die Post zur Kabellegung Ausgrabungen unternommen. Durch die Wassermassen war der Boden nun aufgeweicht und unterspült. Ein Herr, der sich dort einen Weg bahnte, geriet in diese Ausgrabungen und sank bis zum Hals in das Wasser, wäre also um ein Haar ertrunken. Hier am Maybachplatz standen viele Keller noch heute Mittag bis zur Decke unter Wasser. Die Schöneberger Feuerwehr rückte heute Mittag mit der Dampfspritze an, um den Keller beim Restaurant Birkenwäldchen auszupumpen; das ganze Haus ist hier unterspült.

 

15.07.1912 Im Jahr 1912 war der Geheime Kanzleirat W. Munzel mit Frau Margret (1903-1991) in den 3. Stock Handjerystraße Nr. 94 gezogen. Jürgen Hoffmann schreibt dazu 1992: Wir haben manche Fehler begangen. Auf Empfehlung unseres Rechtsanwalts wurden pauschale Kündigungen aller Mietverhältnisse ausgesprochen und Eigenbedarf geltend gemacht. Das war natürlich völlig falsch und trug uns einen Besuch des Radiosenders ein. Eine Bürgerinitiative im Kiez hatte die Probleme der gekündigten Mieter öffentlich angeprangert. Mieter-Versammlungen, Transparente, Spruchbänder an den Balkonen, Unterschriftensammlung vorm Haus. Alles überaus peinlich für uns. Man wurde im Bekanntenkreis angesprochen: „Sag mal, seid ihr das, die diese Sauerei in Friedenau veranstalten?" Die Mieter widersprachen den Kündigungen. Eigenbedarfsansprüche wurden vor Gericht abgeschmettert. Jeder einzelne Mieter musste individuell zum Auszug bewegt werden: neue Wohnung, Renovierung der neuen Wohnung, Umzugskosten, Schmiergeld. Die einzige Mieterin, die durchaus bleiben wollte, war Frau Margret Munzel, und das war, wie sich später erwies, gut so. Sie stellte nämlich ein hausgeschichtliches Kontinuum her: Es war sonst niemand mehr da, der über das frühere Friedenauer Leben im Haus uns hätte erzählen können. Sie beharrte auf dem Wohnrecht in eben der Wohnung, die sie von Onkel und Tante übernommen und in der sie sowohl ihre frühe Kindheit wie auch, nach dem Verlust ihrer eignen Wohnung in der Keithstraße durch Ausbombung, Kriegs- und Nachkriegsjahre erlebt hatte. Sie kannte also das Haus und ihre Wohnung seit siebzig Jahren. Frau Munzel brachte später viele Hintergrund- und Detailinformationen, die uns per Augenschein oder aus der Kenntnis der Bauakten allein nicht zugänglich waren.

 

09.11.1913 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Im Restaurant „Zum Birkenwäldchen“ ist eine Erweiterung des Lokals erfolgt. Es sind ein Billardzimmer und ein Vereinszimmer neu eingerichtet worden. Wir möchten ferner auf den täglichen Mittagstisch von 12-4 Uhr aufmerksam machen zum Preise von 1 M. werktäglich, Sonntags 1,25 M. das Gedeck. Zum Ausschank kommen Pilsener Urquell, Münchener Bürgerbräu, Kulmbacher Sandlerbräu und Böhmisch Brauhaus. Versand auch außer dem Hause in Syphons und Kannen. Wir bitten, die Anzeige in dieser Nummer mit der morgigen Speisenfolge zu beachten.

 

28.11.1915 Friedenauer Lokal-Anzeiger: Im Keller des Hauses des Herrn Sturm am Maybachplatz hat das Wasser einmal 180 Zentimeter hochgestanden. In einem Antwortschreiben habe der Gemeindevorstand geantwortet, daß wegen technischer Schwierigkeiten eine Abhilfe nicht möglich sei. Herr Gemeindeschöffe Draeger führte aus, daß die zweitniedrigsten Punkte Friedenaus am Friedrich-Wilhelm-Platz und Maybachplatz liegen, nach denen bei starken Regengüssen das Wasser hinströmt. Die Gullys haben nur den Zweck, das Wasser schnell von den Straßen abzuführen; weiteren Zweck haben sie nicht. Mancher, der in Friedenau ein Haus gekauft hat, ist bezüglich der Entwässerung hineingefallen. Das heißt, die alten Besitzer haben nur geringe Kosten für die Entwässerung gezahlt. Eine Vorflut gibt es in Friedenau nicht. Die ist seinerzeit durch Zuschüttung des Schwarzen Grabens beseitigt. Die Kosten für eine Erweiterung der Entwässerung würden mindestens 2 Millionen betragen; wer soll die aufbringen?

 

1918 Die Besitzverhältnisse für das Anwesen Handjerystraße Nr. 94/Maybachplatz Nr. 10 sind von Anbeginn verworren und nur teilweise eindeutig darstellbar. Nach dem Berliner Adressbuch war der Maurermeister Wilhelm Berg ursprünglicher Eigentümer. Es folgte Rentier Weißmann (1894). Badeanstaltsbesitzer J. Pfitzner (1897). Gastwirt F. Baumann (1898). Rentier R. Ordel (1904). Martha und Moritz Sturm (1908). J. Dembinski (Tilsit) 1923 und dazu Frau Hilde Herzberg (1925). Kaufmann A. Herzberg (1927). Frau Hilde Herzberg (1931). H. Stein Wilmersdorf (1933). H. Stein Administration G. Tarrach (1939). Frau H. Stein (Amerika, Verwalter O. Rehmann, Neukölln) 1943.

 

1943/1944 Während der Bombenangriffe auf Wilmersdorf, Schöneberg und Friedenau wurden 1.500 Sprengbomben, Luftminen sowie Brandbomben abgeworfen. Dabei wurden am Maybachplatz Häuser in der Evastraße, Sarrazinstraße Handjerystraße vollständig zerstört. Das Haus Maybachplatz Nr. 10 und Handjerystraße Nr. 94 verlor „durch eine Brandbombe das Dach und zwei Wohnungen. Bergs Werk faulte mindestens fünf Jahre ohne Dach vor sich hin, erhielt später ein Notdach, wurde jährlich von den berüchtigten Perelsplatz-Überschwemmungen heimgesucht, die dem Gebäude zum sogenannten gemeinen Hausschwamm verhalfen. Abflussrohre der Balkone fehlen, daher durchnässt Wasser die Fassade.

 

1960 Pächterin des Restaurants Frau Ursula Katzschmann

 

1963 Gerichtlicher Zwangsverwalter Max Naumann, Motzstraße 24

 

1978 In Westberlin waren die späten siebziger Jahre eine Hochzeit der Gemeinschaftsprojekte und Hausbesetzungen. Im Wohnsektor der Stadt rumorte es: Es formierten sich basisdemokratische Selbsthilfegruppen, die mit dem Senat Modelle der Legalisierung von Hausbesetzungen und Finanzierungsmöglichkeiten aushandelten, darunter die Gruppe REPLAUS = REnovierung PLanung AUSbau – mit dem Ziel, als Wohngemeinschaft zusammenzuleben. Das Haus Handjerystraße Nr. 94/Maybachplatz Nr. 10 war mehr als desolat. Fachleute gaben rundweg vernichtende Prognosen zur Überlebensfähigkeit des Bauwerks ab.

 

Die Besitzer des Hauses hatten vor dem Nazi-Regime nach Amerika fliehen müssen. Zum Abschluss des Kaufvertrages reiste das Ehepaar Stein, beides betagte Menschen, aus den USA an - erstmals seit 1938. Verständlicherweise hatten sie kein Interesse daran, das Haus dem Standard entsprechend zu gestalten. Ihr Augenmerk war darauf gerichtet, aus dem Hause Geld zu ziehen. Als diese Absicht wegen Baufälligkeit nicht weiter zu realisieren war, fanden sie sich zum Verkauf bereit. Es ist klar, dass, obwohl der Zustand des Objekts desolat war, irgendeine Neigung zu Zugeständnissen bei den Verkäufern nicht auftauchte. REPLAUS, eine Altersgruppe der zweiten Generation, kriegte also die Nachwirkungen von Nationalsozialismus und Krieg direkt zu spüren.

 

30.09.1982 Bauantrag der REPLAUS

 

20.10.1982 Baugenehmigung unter der Nr. 1567/82, Richtfest, Bauabnahme durch BSM

 

15.08.1992 Nachbarschaftsfest, Sommerfest, Straßenfest Jubiläum: 100 Jahre Maybachplatz, jetzt Perelsplatz.

 

2019 Das alte Kanalsystem von Friedenau war völlig überfordert gewesen. Der Ortsteil erhielt Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kanalisation. Für die folgende weitere Entwicklung und Verdichtung des Gebiets war diese aber zu knapp dimensioniert. Im Laufe der Jahre wurde die Fläche immer stärker versiegelt, gleichzeitig fehlte eine ausreichende Ableitmöglichkeit für Regenwasser.

 

Diese Misere wurde bereits am 28.11.1915 vom Haus- und Grundbesitzerverein diskutiert. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger berichtete: In vielen Fällen von Überschwemmungen musste die Feuerwehr zum Auspumpen der Kellerwohnungen herangeholt werden. Die Bewohner der Kellerwohnungen könnten, wenn des Nachts solche Überschwemmungen plötzlich eintreten, buchstäblich ersaufen. Die Nässe weiche monatelang nicht aus den Häusern. Die neu angelegten Gullys wären wertlos und bewirken gerade das Gegenteil. Im Keller des Hauses des Herrn Sturm am Maybachplatz hat das Wasser einmal 180 Zentimeter hoch gestanden. In einem Antwortschreiben habe der Gemeindevorstand geantwortet, dass wegen technischer Schwierigkeiten eine Abhilfe nicht möglich sei. Herr Gemeindeschöffe Draeger führte aus, dass die zweitniedrigsten Punkte Friedenaus am Friedrich-Wilhelm-Platz und Maybachplatz liegen, nach denen bei starken Regengüssen das Wasser hinströmt. Die Gullys haben nur den Zweck, das Wasser schnell von den Straßen abzuführen; weitern Zweck haben sie nicht. Mancher, der in Friedenau ein Haus gekauft hat, ist bezüglich der Entwässerung hineingefallen. Das heißt, die alten Besitzer haben nur gering für die Entwässerung gezahlt.

 

Erst 2009 begannen die Bauarbeiten für eine neue Kanalisation. Das Gebiet hat neben einem großen Mischwasserentlastungskanal eine komplett runderneuerte Wasser-Infrastruktur erhalten. Nach zehn Jahren Bauzeit sollen mehr als 14 Kilometer lange Kanäle, 268 Schächte und neue Rohre nun auch bei starkem Regen in der „Friedenauer Senke“ zwischen Varziner Straße, Südwestkorso, Görres-, Taunus- und Handjerystraße für trockene Füße sorgen.  – für knapp 21 Millionen Euro.

 

Gymnasium und Turnhalle, 1905

Handjerystraße Nr. 98

 

Das Terrain zwischen Perelsplatz (Maybachplatz) und Ringbahn war einst im Besitz der Stadt Berlin. Dem Eisenbahn-Fiskus gehörten die unmittelbar vor dem Bahndamm gelegenen Flächen des Güterbahnhofs Wilmersdorf-Friedenau. Diese waren verpachtet: Kohlenhandlung Davidsohn, Speditionen Fedkenhauer und Plötz, Baugeschäft Hoefchen & Peschke, Gipsplattenhandlung Langnik, Stuckateur Thiele – alle unter der Adresse An der Ringbahn. 1899 erwarb die Gemeinde Friedenau vom Berliner Magistrat das Gelände für den Bau des Gymnasiums am Maybachplatz. Die Angaben wurden präziser: Handjerystraße Nr. 96 & Nr. 97 gehört zu Maybachplatz Nr. 6 bis Nr. 9, für Nr. 98 und Nr. 99 wird als Eigentümer die Deutsche Reichsbahn AG genannt.

 

 

So blieb es bis 2007, als die Deutsche Bahn den Güterbahnhof aufgab und die Gleisanlagen abbaute. Noch bevor die Schöneberger SPD für die Flächen eine städtebauliche Entwicklung forderte, hatte Edeka mit den Kaufleuten Görse & Meichsner einen sehr langen Mietvertrag mit der DB für das Grundstück Handjerystraße Nr. 98 abgeschlossen. 2008 wurde der Flachbau für EDEKA Görse & Meichsner eröffnet. 2010 verkaufte die Deutsche Bahn das 58.000 m² große Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs an den Immobilienhändler BÖAG, der auf dem Bahndamm das Wohnviertel Friedenauer Höhe mit 800 bis 900 Wohnungen entwickelte. Inzwischen sind von der Howoge 238 Sozialwohnungen errichtet und 1.100 Miet- und Eigentumswohnungen im Bau.

 

Da das Quartier nur über Haupt- bzw. Handjerystraße zugänglich ist, stand EDEKA Görse & Meichsner im Weg. Im Mai 2020 kam der Kompromiss: Wir müssen unseren Laden schließen, der dann durch einen Neubau ersetzt wird. Verzichten müssen wir aber auf unsere 30 Parkplätze, da dort eine 6,50 m breite Zufahrtsstraße für die Mieter der Friedenauer Höhe entstehen soll. Im März 2022 eröffnete EDEKA Görse & Meichsner wieder – mit jener Verkaufsfläche, die schon 2008 zu klein war. Erstaunlich, da dort in Zukunft über 3000 Menschen Lebensmittel brauchen.

 

Schauen wir auf die Ansichtskarte von 1905. Dort steht in der Nordwestecke der Handjerystraße Nr. 96/97 eine Turnhalle. Sie wurde 1903 errichtet und schloss sich in den äußeren Architekturformen dem Hauptgebäude des Gymnasiums am Maybachplatz an. Die Turnhalle war 25 m lang und 13 m breit. Die in den Dachstuhl hineinreichende gebrochene Decke schuf eine ansprechende Raumwirkung. Eine große Galerie mit Zugang unmittelbar von der Handjerystraße war für die Zuschauer beim Schauturnen des die Turnhalle mitbenutzenden Friedenauer Turnvereins vorgesehen.

 

Vier Jahrzehnte später begann die Royal Air Force am 16. Januar 1943 ihre Luftangriffe auf Berlin. Im Februar 1943 warf eine britische Lancaster die schwere Minenbombe über dem Güterbahnhof ab. Das Modell HC (high capacity) bewirkte eine enorme Detonationswelle, die das Umfeld verwüstete. Die Gleisbrücke für die Zufahrt zum Güterbahnhof wurde beschädigt, das Dach von Handjerystraße Nr. 1 Ecke Varziner Straße war verschwunden, die Fassaden von Nr. 1 und Nr. 2 waren von Einschlaglöchern gezeichnet, von der Turnhalle blieben nur die Außenmauern. Der sogenannte Wohnblockknacker hatte ganze Arbeit geleistet.

 

Fünf Jahre später, gegen ein Uhr in der Nacht zu Sonntag, dem 25. Juli 1948, stürzte genau gegenüber der Turnhalle an der Handjerystraße Nr. 2 ein amerikanischer Rosinenbomber ab. Die beiden Piloten kamen ums Leben. Das Dach des Wohnhauses brannte. Die Flugzeugtrümmer beschädigten die Fassade. Dokumentiert wurde der Absturz von dem US-amerikanischen Fotografen Henry Ries. Zu sehen ist auch, daß das Wohnhaus Handjerystraße Ecke Varziner Straße bereits im Juli 1948 eingerüstet war und gegenüber noch Mauerreste der Turnhalle standen.

 

Im Archiv des Museums Schöneberg befindet sich die Fotografie des zerstörten Haues in der Handjerystraße 97, aufgenommen von Herwarth Staudt am 24. Dezember 1950 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg. Die Anmerkung heute Freifläche auf dem Gelände der Friedrich-Bergius-Schule macht deutlich, daß es sich bei diesem Foto um die Reste der Turnhalle handelt. Weitere Aufnahmen von Herwarth Staudt, aufgenommen am 27. Juni 1953, dokumentieren den Zustand der Häuser Handjerystraße Nr. 1 und Nr. 2.

 

Güterbahnhof Wilmersdorf, Kleingleichrichterwerk. Foto Hahn & Stich, 2016

Handjerystraße Nr. 98-99

Gleichrichterwerk

 

Vom Güterbahnhof Wilmersdorf ist nach dem Abriss von Gleisanlagen, Lagerhäusern und dem 1971 vom Architekten Rainer G. Rümmler (1929-2004) geschaffenen turmartigen Stellwerk nur noch das Kleingleichrichterwerk mit Adresse Handjerystraße Nr. 98-99 geblieben. Das entstand 1927/28 nach einem Entwurf von Richard Brademann (1884-1965) als Sichtziegelbau. Er fand nach dem Studium an der Technischen Hochschule Charlottenburg zur Preußischen Eisenbahnverwaltung, aus der 1924 die Deutsche Reichsbahn wurde. Als Leiter des Dezernats 50 A der Reichsbahndirektion Berlin entwarf der Oberbaurat zwischen 1922 und 1939 im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahnen zahlreiche Bahnhöfe, Umspanngebäude und Stellwerke – allesamt in einem klaren, sachlichen und von der Funktion geprägten expressionistischen Stil. Der Backstein wurde zum wichtigsten Gestaltungsmittel des Hausarchitekten der Deutschen Reichsbahn.

 

 

 

Betrachtet man seine zahlreichen Bauten, von denen viele den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, kommt man zu der Einschätzung, dass Brademann ein „Besessener“ gewesen sein muss, ein archetypischer Fachbeamter, vorbildlich und mustergültig, der nur an Laufbahn und Karriere dachte. 1931 wurde er Mitglied der NSDAP. Der 2011 erschienenen Publikation „Die Reichsbahn und die Juden 1933–1939“ von Alfred Gottwaldt ist zu entnehmen, dass er bereits im April 1933 über Missstände in der Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft geklagt und auch nicht davor zurückgeschreckt haben soll, missliebige Personen zu diffamieren. Nach 1945 galt er als Nazi, dem eine Rückkehr zur angestammten Position bei der Reichsbahn nicht mehr ermöglicht wurde. Brademann wurde auf dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof beerdigt. Da er nicht verheiratet war, keine Hinterbliebenen zurückließ und offensichtlich weder Reichs- noch Bundesbahn eine Verlängerung der  Nutzungsrechte im Sinn hatten, wurde das Grab eingeebnet. Erhalten sind seine Backsteinkörper, darunter der Bahnhof Wannsee, das Schalt- und Gleichrichterwerk Halensee, heute Sitz der S-Bahn-Betriebszentrale, und auch das Kleingleichrichterwerk am ehemaligen Güterbahnhof Wilmersdorf.