Isoldestraße, um 1915

Kaum hatte Friedenaus Bürgermeister Bernhard Schnackenburg (1867-2914) am 25. Juni 1906 zur öffentlichen Kenntnis gebracht, dass die 150 Meter lange Straße A zwischen Handjerystraße und Varziner Straße den Namen Isoldestraße erhält, benannt nach einer Figur aus Richard Wagners Oper Tristan und Isolde, waren die Grundstücke Nr. 1, 7 und 8 bereits bebaut und bezogen. Nr. 2, 3-6 und 9-11 hatten Eigentümer und waren mit Baustellen bzw. Neubauten fest. Die zügige Bebauung war zu erwarten gewesen, schuf doch die Straße eine bequeme Verbindung zwischen Maybachplatz und Ringbahnhof Wilmersdorf-Friedenau. Die ersten Läden, Apotheke, Friseur, Kolonialwaren, Obst-, Mehl und Buchhandlung sowie ein Schirmmacher sorgten für Belebung.

 

 

Erwin Magnus

Isoldestraße Nr. 1

Erwin Magnus (1881-1947)

 

Ich hatte Jack London gewissermaßen für Deutschland entdeckt, wenn auch zwei seiner Bücher schon vorher erschienen waren, die damals aber kaum Beachtung fanden. Es war in der Inflationszeit, und ich lief von einem Verlag zum andern. Aber entweder hatten die Leute kein Geld oder sie meinten, wenn einer Jack London heißt, kann es nur Kitsch sein. Oder sie wollten, wie Ullstein, drei oder vier Bücher erwerben, ohne sich für die übrigen zu interessieren. (Erwin Magnus)

 

Laut Geburtsurkunde Nr. 4235 des Hamburger Staatsarchivs kommt Siegmund Erwin Magnus am 24. November 1881 in Hamburg als Sohn des jüdischen Bankiers Max Magnus und dessen Ehefrau Anna Hedwig Elisabeth geborene Mühsam zur Welt. Er besucht das Gymnasium, bricht eine Bankausbildung ab und ist danach für das Hamburger Büro der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk tätig. Ab 1917 hält er sich in Dänemark auf, arbeitet für das Verlagshaus Gyldendal und lernt Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Englisch.

 

1919 übersetzt er das dramatische Märchen des dänischen Romantikers Adam Oehlenschläger Aladdin oder die Wunderlampe ins Deutsche. Für den Literaturkritiker Georg Brandes legt Magnus zum ersten Male diese schöne und naive Dichtung Oehlenschlägers, die durch verunstaltete Übertragung das Werk mehr als hundert Jahre seine Wirkung einbüßen ließ, in wahrhaft dichterischer Übersetzung vor. Auch für den Englisch-Übersetzer Peter Friedrich ist das heute noch immer eine bedeutende Übersetzung. Und das hat, glaube ich, seine Karriere dann begründet und ihm auch die weiteren Aufträge verschafft.

 

So kommt es nach dem Tod von Jack London zu einem Vertrag mit der Witwe Charmian London geborene Kittredge, der Erwin Magnus die Exklusivrechte an der deutschen Übersetzung der Werke sichert. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrt Magnus nach Deutschland zurück. 1922 bezieht er eine Wohnung im dritten Stock des Hauses Waghäuseler Straße 9/10 in Wilmersdorf. Es folgt die Heirat mit der aus Böhmen stammenden Margarete geb. Freud (1887-1984). Am 11. Oktober 1924 wird Sohn Michael (1924-2010) geboren.

 

 

Entscheidend war der 12. Mai 1923. Da wird zwischen dem Gyldendalschen Verlag, Berlin, und Herrn Erwin Magnus, Berlin-Wilmersdorf, folgende Vereinbarung getroffen: Paragraph eins - Herr Magnus wird vom Gyldendalschen Verlag als ausschließlicher Übersetzer der Werke Jack Londons verpflichtet. Magnus hatte damit nicht nur die Exklusivrechte an der deutschen Übersetzung von Jack London, er handelte obendrein (einen heute undenkbaren) Tantiemen-Anteil am Brutto-Verkauf von über 3,5 Prozent heraus.

 

1926/27 zieht die Familie Magnus in die Isoldestraße 1 im Friedenauer Wagner-Viertel. Das Eckhaus Isoldestraße 1 und Brünhildestraße 8 entstand 1906/07. Baumeister und Eigentümer bis 1919 war der Besitzer des Zehlendorfer Baugeschäfts C. Graf. 1920 ging das Anwesen an den Fabrikaten Neumann aus Wilmersdorf. 1925 erwarb es der damals noch im Ausland lebende Kaufmann B. Stein. Von der ursprünglichen Gestaltung, wie sie heute noch am Nachbarhaus Isoldestraße 2 des Architekten Ladislaus Nowak zu bewundern ist, haben Weltkrieg und Nachkriegszeit nicht viel übriggelassen.

 

In der großzügigen Wohnung Isoldestraße Nr. 1 nahm sich der Übersetzer Erwin Magnus den amerikanischen Schriftsteller Jack London vor. Hier übertrug er einen Großteil der Werke ins Deutsche, darunter die Klassiker Abenteurer des Schienenstranges, Lockruf des Goldes, Die Insel Berande, Jerry der Insulaner, Die eiserne Ferse, Alaska-Kid, Martin Eden. Sie werden die bestverkauften ausländischen Bücher überhaupt. Seit mehr als neun Jahrzehnten stehen sie in den deutschen Bücheregalen – mit dem meist von Lesern und Rezensenten unbeachteten Hinweis Übersetzt von Erwin Magnus.

 

Magnus verdiente mit seinen Übersetzungen viel Geld. Das Interesse an den Alaska- und Südsee-Abenteuern von Jack London war Mitte der zwanziger Jahre enorm. Peter Friedrich, Übersetzer von Abenteuerromanen, traf 2007 in Kopenhagen Sohn Michael Freud-Magnus und bekam die Gelegenheit, den Nachlass zu sichten, darunter auch die Gästebücher aus der Isoldestraße Nr. 1: Das ist ein Who is Who der damaligen Größen in Berlin, von Asta Nielsen über Gustaf Gründgens. Also, jeder war bei Erwin Magnus zu Besuch.

 

1927 verpflichtete sich Erwin Magnus vertraglich, jedes Jahr mindestens die Übersetzung von zwei abgeschlossenen Werken Jack Londons einzureichen. Die Reihenfolge der zur Veröffentlichung bestimmten Übersetzungen setzt der Verlag fest. Magnus denkt an Londons Fähigkeit zu schuften, wie er es nannte, und greift zu einer damals bahnbrechenden Technik: Er diktierte seine Übersetzungen auf ein Drahttongerät (vergleichbar mit den heutigen Spracherkennungs-Programmen) und ließ diese dann von einer Sekretärin abtippen. Von Vorteil war dabei vielleicht, dass Londons Sprache eher wortkarg, knapp und präzise war, was auch in der Übersetzung deutlich werden musste.

 

Im Frühjahr 1929 konstituierte sich der Bund deutscher Übersetzer mit mehr als 80 Übersetzern als Fachgruppe. Vorsitzender wurde Erwin Magnus. Zum Vorstand gehörten u. a. Friedrich von Oppeln Bronikowski und Paul Wiegler. Bis 1932 bastelten sie an einem Entwurf für ein Abkommen mit den Verlegern: 1. einen verbindlichen Tarif gemäß der Wirtschaftslage, 2. die Gliederung des Honorars in ein Grundhonorar und eine Tantieme, 3. die Namensnennung des Übersetzers, 4. eine Vergütung bei nochmaliger Übersetzung auf Grundlage der Übersetzung ins Deutsche, 5. gesonderte Vereinbarung über die Nebenrechte, 6. die Gleichstellung der Übersetzerhonorarforderungen mit denen der Lohnempfänger bei Konkursen, 7. die gleichmäßige Behandlung der Übersetzer und 8. die Zustimmung des Übersetzers zu jeder Ladenpreisänderung.

 

Zur Durchsetzung kam es nicht mehr. Es kam der 30. Januar 1933 und die Ernennung des NSDAP-Vorsitzenden zum Reichskanzler. Da hatte der Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann schon seine Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums erstellt, das aus Buchhandel und Büchereien zu entfernen wäre. Am 2. Mai 1933 ging die Schwarze Liste (Schöne Literatur) beim Nationalsozialistischer Deutschen Studentenbund ein. Vier Tage später wurden Buchläden und Bibliotheken von Studenten heimgesucht. Am 10. Mai 1933 erfolgte die Bücherverbrennung Aktion wider den undeutschen Geist auf dem Berliner Opernplatz, darunter drei London-Romane in der Übersetzung von Magnus: Martin Eden, Die eiserne Ferse, Zwangsjacke.

 

Wenige Monate zuvor stand noch im Berliner Adressbuch: Isoldestraße 1, Magnus, E., Schriftsteller, T. Rheingaus 3079. In der Ausgabe von 1933 ist ein solcher Eintrag nicht mehr zu finden. Noch bevor die Reichsschrifttumskammer im September 1933 für die Freihaltung des Schrifttums von ungeeigneten und unzuverlässigen Elementen sorgte, konnte der Jude Erwin Magnus nach Dänemark emigrieren. Obwohl er einst für das Kopenhagener Verlagshaus Gyldendal tätig war und Aladdin oder die Wunderlampe des dänischen Romantikers Adam Oehlenschläger ins Deutsche übersetzt hatte, erhielt er im Exil keine Arbeitserlaubnis. Dazu kam, dass Hitlerdeutschland die Tantiemen aus seiner umfangreichen Übersetzungstätigkeit nicht überwies. Erwin Magnus starb am 31. März 1947 in Kopenhagen – weitgehend verarmt. Danach führte seine Frau jahrelang juristische Auseinandersetzungen mit den deutschen Rechteinhabern über die vertraglich zustehenden Tantiemen.

 

Seinen heutigen Übersetzerkonkurrenten nötigt das, was Erwin Magnus einst geleistet hat, nach wie vor allerhöchsten Respekt ab. Dennoch: In den vergangenen neunzig Jahren hat sich viel verändert, auch die Sprache hat sich weiterentwickelt. Es ist deshalb richtig, dass der Deutsche Taschenbuch Verlag (dtv) im Jahr 2013 damit begonnen hat, die wichtigsten Romane Jack Londons von Lutz-W. Wolff neu ins Deutsche übertragen zu lassen.

 

Isoldestraße 2. Foto von 1999. Topographie Fridenau

Isoldestraße Nr. 2

Architekt Ladislaus Nowak

 

Das viergeschossige, fünfachsige Mietwohnhaus Isoldestraße Nr. 2 wurde 1906-07 von dem Architekten Ladislaus Nowak in kräftigen neobarocken Formen erbaut. Die Straßenfassade zeigt im Erdgeschoß ein Rustikageschoss mit fünf rund- oder korbbogigen Öffnungen, die in den Außenachsen als Eingänge, dazwischen als Schaufenster dienen. In den Obergeschossen öffnet sich eine dreigeschossige Nische in der Mittelachse, die beiderseits von gekuppelten korinthischen Kolossalsäulen flankiert wird und je einen Balkon in den drei Obergeschossen aufnimmt. Die Nische wird in der Dachzone von einem neobarocken Giebel überwölbt, in dessen Feld ein fliegender Adler mit ausgebreiteten Schwingen eine große Kartusche in den Fängen hält, die seitlich von zwei schwebenden Frauen getragen wird; in der Kartusche selbst wird eine sich aufrichtende Schlange gezeigt. Die Fassade wird beiderseits der Nische noch von korinthischen Kolossalpilastern gegliedert. Im ersten Obergeschoß sind zwei Brüstungsfelder mit Reliefs geschmückt, die jeweils einen Putto mit einer antiken Göttin zeigen, einmal spielt der Putto mit einem Schwert, das andere Mal wärmt er sich am Feuer. Links oben neben dem Eingang befindet sich die Inschrift: Erbaut Lad. Nowak Architekt‘.

Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

 

Das Haus Isoldestraße Nr. 2 hatte den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden und blieb bis in die 1960er Jahre im Besitz der Familie Nowak. Nachdem gegenüber in der Isoldestraße Nr. 9 die Familie Perle Treppenhaus und Entree denkmalgerecht saniert hatten, und dafür 2010 mit dem Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege ausgezeichnet wurden, erhielt die Restaurierungswerkstatt Malerei und Denkmalpflege Thomas Pollack den Auftrag für die Rekonstruktion der bauzeitlichen Wandornamente im Treppenhaus des Wohn- und Geschäftshauses.

 

Die Eingangstür wurde in Holzimitation gemalt. Archiv Thomas Pollack

Isoldestraße Nr. 4

 

Nachdem der Bauunternehmer Georg Haberland und seine „Berlinische Boden-Gesellschaft“ 1904 von der Gemeinde Friedenau das ehemalige Sportplatzgelände erworben und eine Traufhöhe von 22 Metern für die Bebauung mit vierstöckigen Mietshäusern durchgesetzt hatte, begann das Hauen und Stechen. Parallel zum Streit über die Benennung der neuen Straßen, die 1906 schließlich zu Richard Wagner und den Namen Brünnhilde, Elsa, Eva, Isolde, Kundry, Ortrud, Senta und Sieglinde führte, rangelten Architekten, Maurermeister, Baugeschäfte und Kaufleute aus Charlottenburg, Friedenau, Schöneberg, Wilmersdorf und Berlin um die Baugrundstücke.

 

Als Friedenaus Bürgermeister Bernhard Schnackenburg 1906 zur öffentlichen Kenntnis brachte, dass die 150 Meter lange Straße A zwischen Handjery- und Varziner Straße den Namen Isoldestraße erhält, waren die Grundstücke Nr. 1, 7 und 8 bereits bebaut und bezogen. Selbst der gewöhnlich bestens unterrichtete Friedenauer Lokal-Anzeiger wußte zeitweise nicht, ob Isoldestraße Nr. 3-5 schon im Besitz von Maurermeister Hermann Mattner aus der Kaiserallee Nr. 78 oder noch Eigentum der Berlinischen Bodengesellschaft, Berlin, Markgrafenstraße Nr. 46, war.

 

1907 gab es Verhandlungen mit den Organisationen der Maurer, Zimmerer und Bauarbeiter zwecks Abschlusses neuer Tarifverträge und der Einführung des Achtstundentages im Baugewerbe. Da der Verband der Baugeschäfte Groß-Berlin die Forderungen rundweg abgelehnt hatte, kam es zum Streik, so dass am 28. Mai 1907 auf allen Baustellen die Arbeit ruhte. Am 24. Juli 1907 erklärte auch die Baugewerbs-Innung für Steglitz und die Vororte, dass sie die Forderung der Arbeitnehmer bisher nicht anerkannt habe und auch nicht anerkennen werde. Wir befinden uns nach wie vor in vollster Übereinstimmung mit dem Verbande der Baugeschäfte, stehen fest auf dessen Standpunkt und werden seinen Beschlüssen unbedingt Folge leisten. Unterzeichnet u. a. von den Friedenauer Architekten Oscar Haustein und James Ruhemann sowie Maurermeister Hermann Mattner.

 

Am 27. August war wieder Ruhe eingekehrt. Obwohl der Verband der Baugeschäfte zugesagt hatte, die Arbeitswilligen nach dem Streik weiter zu beschäftigen, wurden  Hunderte von Streikenden nicht wieder eingestellt, da es durch die geringe Bautätigkeit an Arbeitsgelegenheit mangelt.

 

1908 war im Wagner-Viertel alles geklärt: Isoldestraße Nr. 6 ging an Mattner, Nr. 4 & 5 an den Kaufmann B. Danziger aus Charlottenburg – die Wohn- und Geschäftshäuser waren errichtet und bezogen. So blieb es bis nach dem Ende des Kaiserreichs. Danach sind die Eigentumsverhältnisse unklar. Das Haus Isoldestraße Nr. 4 hatte den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden. Nachdem die Restaurierungswerkstatt Malerei und Denkmalpflege Thomas Pollack die Treppenhäuser Isoldestraße Nr. 9 und Nr. 2 denkmalgerecht saniert hatte, kam der Auftrag für die Rekonstruktion der bauzeitlichen Wandornamente des Wohn- und Geschäftshauses Nr. 4.

 

Handjery- Ecke Isoldestraße um 1908

Isoldestraße Nr. 7 & 8

 

Die Aufnahme des Fotografen Herwarth Staudt von 1951 macht deutlich, dass sich die Instandsetzung des Hauses Isoldestraße Nr. 8 gelohnt hätte. Staudt titelte in seinem Bericht an das Bauamt Schöneberg nicht Ruinenfoto, sondern beschädigtes Haus, da lediglich das Dachgeschoss beschädigt war. Im Erdgeschoss gab es noch immer die Drogerie von K. Hecker und die Feinbäckerei von G. Kraatz.

Bereits mit der von Herwarth Staudt am 27. März 1952 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg erstellten Fotografie gestapelte Trümmer auf dem Gelände des Hauses Isoldestraße Nr. 7 Ecke Handjerystraße Nr. 4 (heute Evastraße Nr.1) zeichnet sich ab, dass für diese Kreuzung wohl Großes vorgesehen war. Es kam der Abriss.

Ohne Rücksicht auf die historische Blockrandbebauung wurden ziemlich isolierte Eckhäuser hochgezogen und Baulücken zur Handjery- und Isoldestraße in Kauf genommen. Später wurde die Lücke zur Isoldestraße Nr. 3 mit einem schlichten Zwischenbau geschlossen. Geblieben sind die Baulücken zur Isoldestraße Nr. 6 und zur Handjerystraße Nr. 3.

 

Isoldestraße 9. Aufnahme 1988. Topographie Friedenau

Isoldestraße Nr. 9

 

Das viergeschossige, siebenachsige Haus Isoldestraße Nr. 9 wurde zwischen 1906 und 1907 nach einem Entwurf des Architekten Ladislaus Nowak in wuchtigen neobarocken Formen errichtet. Da an den Brüstungen der drei mittleren Achsen im zweiten Obergeschoß die Inschrift ‚Kron-Prinzen-Haus‘ in erhabener Fraktur erhalten ist, geht man davon aus, dass sich diese Huldigung auf die Heirat des preußischen Kronprinzen Wilhelm mit Cecilie von Mecklenburg-Schwerin bezieht. Die Erker sind mit Schweifgiebeln bekrönt, in denen je ein Oeil-de-Boeuf-Fenster angeordnet ist. Im zweiten Obergeschoß sind in den Brüstungsfeldern der beiden Erker zwei Reliefs eingefügt, links Venus, die Göttin der erotischen Liebe und der Schönheit, rechts Perseus, Sohn des Zeus und der Danaë, der berühmteste Heroe der griechischen Mythologie. Diese Reliefs sind wohl auf die erwähnte Heirat des ‚hohen Paares‘ 1905 bezogen. Auch bei diesem Haus findet sich das Motiv der rund- oder korbbogigen Öffnungen im Rustika-Erdgeschoß, hier sind jedoch die beiden Rundbogenöffnungen als Haus- und Geschäftseingang in der Mitte angeordnet und die Korbbogenöffnungen beiderseits davon. In den drei Obergeschossen hat der Architekt die Fassade durch Loggien in den äußeren Achsen und durch Erker organisiert, in den mittleren drei Achsenfeldern gliedern gekuppelte korinthische Kolossalsäulen, die auf mächtigen Konsolen im zweiten Obergeschoß stehen, die Fassade. In der Mittelachse halten im dritten Obergeschoß zwei Putten das Reichswappen mit der deutschen Kaiserkrone darüber. Neben dem Eingang findet sich die Inschrift ‚Erbaut Lad. Nowak Architekt‘. Topographie Friedenau, 2000.

 

Das Berliner Adressbuch von 1908 listet auf: Nr. 9 Eigentümer Ladislaus Nowak (im Sommer in Zoppot) und die Bewohner Portier Elfert, Dr. phil. U. Gerber, Baumeister P. Jacob (Inhaber der Baugesellschaft Jacob & Co), Privatier A. Junge, Verlagsbuchhändler F. Ungar, Kgl. Tänzerin M. Binken sowie cand. jur. B. Nowak. Nach dem Tod von Ladislaus Nowak wurde zunächst Witwe A. Nowak Eigentümerin der Anwesen Isoldestraße Nr. 2 und Nr. 9. Ab 1920 ist der Sohn Dr. B. Nowak, Rechtsanwalt und Notar, als Besitzer eingetragen. So blieb es bis in die 1960er Jahre. Nach dem Mauerbau konnte die Familie Perle das Haus Isoldestraße Nr. 9 erwerben. Krieg und Nachkriegszeit hatten Spuren hinterlassen. Das Ehepaar Joachim und Bianca Perle zogen die Architektin Gabriele Fink und den Restaurator Thomas Pollack hinzu, und begannen mit der denkmalgerechten Sanierung von Treppenhaus und Entree. Entsprechend der ausführlichen Befundanalyse wurden die ursprünglichen Vergoldungen auf den Stuckierungen wiederhergestellt und fehlende Holzteile (Tischlerei Peter Ströhlein) sowie Marmor im Sockelbereich (Steinbildhauer Rudolf und Christian Gebauer) ergänzt. Dafür wurden sie 2010 mit dem Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege ausgezeichnet.

 

Thomas Pollack, der 2016 in Köpenick die Restaurierungswerkstatt Malerei und Denkmalpflege eröffnete, hat inzwischen für die Restaurierung und Rekonstruktion der vollständigen bauzeitlichen Ausmalung im Wohnhaus Dickhardtstraße Nr. 5 (2013/14) sowie die Ausmalung des Wohn- und Geschäftshauses Isoldestraße Nr. 2 gesorgt.

 

Nachdem die Deutsche Bahn 2017 den zweigleisigen südlichen Berliner Innenring als Bestandsstrecke zwischen Halensee und Neukölln wieder reaktivierte, registrierte Hausbesitzer Joachim Perle eine kurzzeitige starke Erschütterung des Hauses. Die Antwort der DB war ernüchternd: Ihr Gebäude in der Isoldestraße Nr. 9, welches ca. 90 m von der Bahntrasse entfernt liegt, kann durch vorbeifahrende Züge zur Anregung gebracht werden. In Ihrem beschriebenen Fall vom 10.04.2017 fuhr zur genannten Zeit ein Güterzug mit einer Maximalgeschwindigkeit von 90km/h auf der Strecke 6170. Diese genannte Strecke ist sowohl für Schienenpersonen- als auch für den Güterverkehr gewidmet. Wir weisen darauf hin, dass es sich hier um eine Bestandsstrecke handelt. Es kann dadurch immer wieder zu Geräuschentwicklungen und auch zu Erschütterungen in unterschiedlichster Intensität kommen. Dies ist aber bei einem funktionierenden Eisenbahnbetrieb aber unvermeidlich.

 

Nicht sehr beruhigend, da absehbar ist, dass die Deutsche Bahn die bisher mit Diesellokomotiven betriebene Strecke zwischen Halensee und Neukölln in nicht allzu ferner Zukunft auf einer Länge von rund 16 Kilometern mit Oberleitungen für den elektrischen Betrieb ausstatten läßt. Dafür wäre allerdings ein langwieriges Planfeststellungsverfahren erforderlich.

 

Rolf Junghanns (1945-1993) & Bradford Tracey (1951-1987)

Isoldestraße Nr. 9

Friedenauer Kammerkonzerte

 

Es begann am 7. April 1986 mit einem Konzert Alter Musik auf historischen Instrumenten in der Spielweise ihrer Entstehungszeit – Bach, Weber, Mozart und Beethoven für Hammerflügel und Cembalo. Der Deutsche Rolf Junghanns (1945-1993) und der Kanadier Bradford Tracey (1951-1987), Professoren an der Hochschule für Musik, hatten sich einen Traum erfüllt und im sogenannten Kronprinzenhaus in der Isoldestraße Nr. 9 die Friedenauer Kammerkonzerte ins Leben gerufen. Die Idee mag von ihrem Lehrer stammen, dem Cembalisten und Pianisten Fritz Neumeyer (1900-1983), der ab den 1930er Jahren alte Tasteninstrumente sammelte, um Musik des 16. bis 19. Jahrhunderts in ihrem ursprünglichen Klangbild aufführen zu können. Tracey, der zunächst historische Tasteninstrumente und Generalbass bei Rolf Junghanns studiert hatte, später seine Studien privat bei Neumeyer fortsetzte, teilte diese Sammlerleidenschaft. Er wurde Kurator der Sammlung historischer Tasteninstrumente Fritz Neumeyer im Schloss Bad Krozingen. Nach dem Tod von Fritz Neumeyer ging die Sammlung in den Besitz von Bradford Traceys Freund Rolf Junghanns über.

 

Tracey starb mit 36, Junghanns mit 48 Jahren. Der Traum der beiden Freunde war zu Ende. Die in Friedenau gelagerten Instrumente gingen nach dem letzten Willen von Rolf Junghanns wieder zurück in die seit 1974 existierende Sammlung des Museum für historische Tasteninstrumente Neumeyer-Junghanns-Tracey nach Bad Krozingen – gut behütet im (privaten) Renaissanceschloss der Freiherren von Gleichenstein. Unter den Instrumenten aus der Zeit von 1600 bis 1860 befinden sich Orgelpositiv, Regal, Spinette, Spinettino, Virginale, Cembali, Clavichorde, Tangentenflügel, Tafelklaviere und besonders kostbare Hammerflügel berühmter Meister. Die meisten Instrumente sind bespielbar und werden im Rahmen der Bad Krozinger Schlosskonzerte zum Leben erweckt.

 

Und in Friedenau? Nahezu zeitgleich mit dem Tod von Junghanns strich das Land Berlin die Förderung. Die Friedenauer Kammerkonzerte mussten eingestellt werden. Über privates Engagement konnte der Verlust des Kammersaales verhindert werden. Heute richtet die Gesellschaft der Freunde der Friedenauer Kammerkonzerte e.V. diese musikalischen Veranstaltungen aus. Während die Räume und die neu hinzugekommenen Instrumente unter der Woche von der Universität der Künste für die Ausbildung in Alter Musik genutzt werden, organisieren die Freunde der Friedenauer Kammerkonzerte an gut 20 Wochenenden pro Jahr öffentliche Konzerte mit exzellenten Ensembles und Solisten.

 

Isoldestraße Nr. 10

Architekt Alexander Weisz

 

Am 30. August 1905 prophezeite der Friedenauer Lokal-Anzeiger, dass das ehemalige Sportparkgelände ein sehr gesuchtes Objekt für Bauinteressenten werden wird. Die ‚Berlinische Bodengesellschaft‘ (als Eigentümer des gesamten Areals) hat bereits 11 Grundstücke verkauft. Ein Käufer ist schon bei der hiesigen Bauverwaltung unter Einreichung der Bauzeichnung um die Bauerlaubnis eingekommen und will noch im Herbst mit der Ausschachtung beginnen. 1906 gab die Gemeinde Friedenau bekannt, dass die Numerierung der Grundstücke des ehemaligen Sportparkgeländes, jetzigen Wagner-Viertels, erfolgt ist, und dieselben haben nach dem aufgestellten Parzellierungsprojekt nachstehende Nummern enthalten, darunter als Besitzer der Grundstücke Isoldestraße Nr. 1, 10 und 11 Baugeschäft Karl Graf, Berlin, Hohenstaufenstraße Nr. 53.

 

Die älteste Aufnahme des viergeschossigen Wohnhauses Isoldestraße Nr. 10 stammt aus der Zeitschrift Berliner Architekturwelt vom Oktober 1908. Als Architekt wird Alexander Weisz (Berlin) und als Bauherr Karl Graf genannt. Während Nr. 1 und Nr. 11 noch Jahre im Besitz des Baugeschäfts Graf blieben, ging das Anwesen Nr. 10 bereits 1908 an Dr. K. Günther. Als Verwalter fungierte Obersteuerinspektor a. D. E. Günter und in eine der Wohnungen zog Assessor Dr. jur. R. Günther ein. Die Läden im Erdgeschoss wurden an eine Plättanstalt und eine Milchhandlung verpachtet. Aus dem beigefügten Grundriss geht hervor, dass es pro Etage zwei Wohnungen mit fünf bzw. sechs Zimmern zuzüglich Kammern, Bädern und WC gab.