Mit dem Friede von Frankfurt wurden Elsass und Lothringen 1871 dem deutschen Kaiserreich angegliedert. Ein Jahr nach Gründung von Friedenau würdigte der Gemeindevorstand dieses Ereignis am 22. Oktober 1875 mit einer Umbenennung der bisherigen Grenzstraße in Lauterstraße, benannt nach der Lauter, einem Nebenfluss des Rheins. Vorausgegangen war eine (vorläufige) Einigung zwischen dem Friedenauer Landerwerb- und Bauverein und den Schöneberger Terrainbesitzern über den Verlauf der Gemarkungsgrenze. Waren bisher nur 16 Grundstücke im Besitz der Friedenauer Landerwerb- und Bauverein-Actien-Gesellschaft, so hatte die Lauterstraße danach 33 Grundstücke mit diversen Eigentümern. Nachdem 1903 die Fregestraße als Grenze zwischen den Gemarkungen Friedenau und Schöneberg amtlich festgelegt wurde, bestand die Lauterstraße aus 40 Grundstücken. Die 570 Meter lange Lauterstraße beginnt an der Bennigsenstraße am Bahndamm der Ringbahn und führt am Lauterplatz (Breslauer Platz) vorbei bis zur Kreuzung mit der Schmargendorfer Straße. Sie gehört zu den ersten angelegten Straßen von Friedenau und wurde von Anfang bis Ende beidseitig mit Linden bepflanzt.

 

Straube's Schutzmarke

Lauterstraße Nr. 5-6

Julius Straube (1832-1913)

 

Julius Straube begann mit 15 Jahren eine kartographische Lehre. Als die ersten Blätter von Reymann’s topographischer Special-Karte von Central-Europa gedruckt waren und das preußische Militär die Detailgenauigkeit lobte, las man in den Einzelblättern der Regierungs-Bezirke Arnsberg und Küstrin – revidirt v. Jul. Straube. Berlin war mit den Eingemeindungen von Wedding, Gesundbrunnen, Moabit und Teilen von Schöneberg und Tempelhof größer geworden. Straube gründete das  Geographisches Institut und Landkartenverlag Julius Straube.

 

1864 veröffentlicht er Straube’s Berliner-Omnibus Fahrplan. Mit Einführung der Berliner Postbezirke erscheint 1873 Straube’s Postplan, der die postalische Gliederung Berlins dokumentierte. 1874 kommt Straube’s Neuester Plan von Berlin mit den Königl. Preuss. Standes- und Amtsbezirks-Superintendentur- und Parochie-Grenzen auf den Markt im Auftrage des Magistrats nach amtlichen Materialien bearbeitet und herausgegeben von Julius Straube. 1876 folgt Straube’s Plan von Berlin mit nächster Umgebung. 1878 erschien Straube’s Neuester Plan und Führer von Berlin, Charlottenburg und Westend nebst einem Verzeichnis der Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude, Bade-Anstalten, Ball-Locale, Concerthäuser und Gärten, Skating-Rink, Consulate, Gasthöfe, Gesandtschaften, Polizei-Revier-Bureaux, Post- und Telegraphen-Aemter, Rohrpostämter, Sehenswürdigkeiten, Theater u. ein gefalteter Plan. Der Plan zeigt das Gebiet von der Jungfernheide (Reh-Berge) im Nordwesten und dem Weissensee im Nordosten, über Wilmersdorf hinaus im Südwesten bis zum Bahnhof Treptow im Südosten und zeigt die einzelnen Straßen mit Hausnummern. Am Kartenrand mit 2 Extrakarten (Charlottenburg von der Spree bis zum Lietzensee und Siedlung Westend). Auf dem hinteren Broschurdeckel der Tarif für die Droschken I. und II. Klasse, resp. Gepäckdroschken etc. sowie der Sehenswürdigkeiten Berlins.

 

Julius Straubes Verlag war der Marktführer unter den Kartographischen Anstalten Berlins. Dann aber kamen Baedeker (1878), Pharus 1902, Kiessling (1913) und Grieben (1927), die ihre Karten preiswert über die Geographische Anstalt von Wagner & Debes Leipzig oder die Lithographische Anstalt von Leopold Kraatz Berlin erwarben.

 

Straube, inzwischen 73, übergab seinem Sohn Benno den Verlag, und zog 1904 in den von der Architektengemeinschaft Klitscher & Afdring erstellten Neubau Lauterstraße Nr. 5 & 6. Benno Straube wusste nicht, wie er der Konkurrenz begegnen sollte. Von nun an erschienen vornehmlich überarbeitete Ausgaben, die nur mit Zuschüssen – wie vom Städtischen Vermessungsamt des Magistrat der Stadt Wilmersdorf erscheinen konnten. 1909 wird für die 25. Auflage von Straube‘s Märkisches Wanderbuch noch einmal der Schriftsteller Dr. phil. Gustav Albrecht (1865-1912) herangezogen, der bereits seit 1879 für Vater Julius immer wieder die100 Nachmittags-Ausflüge in die Umgegend von Berlinbearbeitet hatte. Fast schon verzweifelnd auch die Werbung: Jeder Liebhaber kartographischer Leistungen wird die Karte mit Wohlgefallen betrachten und auch kaufen.

 

Am 18. Oktober 1913 wurde über das Vermögen des Verlagshändlers Benno Straube das Konkursverfahren eröffnet. Wenige Tage später verstarb am 24. Oktober 1913 der Verlagsgründer Julius Straube. Am Nachmittag des 28. Oktober 1913 fand die Beisetzung auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße statt. Sein Grab ist längst eingeebnet. Das Haus in der Lauterstraße Nr. 5-6, in dem Julius Straube seit 1904 wohnte, wurde im Zweiten Weltkrieg zur Ruine und in den 1950er Jahren durch einen Neubau ersetzt.

 

Straubes Publikationen sind, abgesehen von den kartographischen Meisterwerken des Friedrich Wilhelm Karl Graf von Schmettau (1743-1906), auch nach über einhundert Jahren ein Genuss. Google Maps, OpenStreetMap und Navi sind bequem. Eine Karte können sie nicht ersetzen.

 

Turmuhrwerk von 1909 im Gymnasium am Maybachplatz. Foto Hahn & Stich, 2019

Lauterstraße Nr. 7

Franz Ludwig Löbner (1836-1921)

 

Kaum hatten wir das Uhrwerk der Turmuhr vom Gymnasium am Maybachplatz veröffentlicht, erreichte uns eine Mail: F. L. Löbner war mit Sicherheit nicht der Hersteller dieser Uhr, sondern hat sie von einem Turmuhrenlieferanten erworben und dann eventuell abgeändert. Turmuhrspezialisten vermuten als Hersteller Ed. Korfhage aus Buer bzw. J. W. Weule aus Bockenem. Uhrenspezialisten fanden heraus, daß mehr als 90 Prozent der von F. L. Löbner angebotenen Uhren von anderen Herstellern stammten, darunter die hochfeine, seltene Sprungdeckeluhr (Savonnette), Qualität 1A, Werk Nr. 46915, Geh. Nr. 46915, 54 mm, 133 g, die 1901 von A. Lange & Söhne Glashütte als Sonderanfertigung für Löbner gefertigt wurde. Offeriert hatte Löbner auch Sekundenpendeluhren, die mit F. L. Löbner signiert, aber anhand der Nummerierung als Werke der Firma Strasser & Rohde in Glashütte identifiziert wurden.

 

 

 

 

 

 

 

Zu den Löbnerschen Kuriositäten gehörte 1894 auch der Ewige Kalender im Lesesaal des Reichstags, eine Uhr, die neben Tag, Datum, Monat auch Jahreswechsel und Mondphasen für die nächsten 2000 Jahre anzeigte. Ziemlich optimistisch. Mit dem Reichstagsbrand 1933 wurde der Ewige Kalender zerstört. Löbner kreierte auch eine Musiktaschenuhr mit ewigen Kalender und Mondphasen, die alle Stunden die englische Nationalhymne spielt.

 

Uhrmacher Franz Ludwig Löbner war 1857 von Torgau nach Berlin gezogen und eröffnete in bester Geschäftslage die Uhrenfabrik F. L. Löbner in der Potsdamer Straße. In Annoncen verkündete er später Spezialist für astronomische und elektrische Uhren. Der nächste gute Riecher folgte mit der Wahl seines Wohnortes. Unmittelbar nach Gründung der aufstrebenden Landhauskolonie Friedenau erwarb er 1876 in der Lauterstraße Nr. 7 ein Grundstück, auf dem er sich eine zweigeschossige Villa errichten ließ. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte der inzwischen 60 Jährige vom Uhrengeschäft wohl genug. Rentier Löbner verkaufte sein Unternehmen in der Potsdamer Straße. Nun hieß es F. L. Löbner, Inhaber Uhrmacher Otto Fritz.

 

Löbner machte nun in Immobilien. Er kaufte an der Ecke zur Niedstraße die Grundstücke Lauterstraße Nr. 12-13. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger verkündete am 21. April 1899: Ein großer Neubau soll auf dem Grundstück Ecke Nied- und Lauterstraße, dem Herrn Löbner in Friedenau gehörig, ausgeführt werden. Mit dem Abriss der bisherigen Häuser wird schon im Mai begonnen werden. 1902 war der Neubau Lauterstraße Nr. 12-13 von 14 Wohnparteien bezogen. 1906 wurde im Eckbau das Kaufhaus Leo Bry eröffnet. Die Gemeindeverordnetenversammlung konstatierte, dass das Straßenbild Friedenaus entschieden durch mietskasernenähnliche Bauten leide. Fraglich sei es allerdings, ob die bauprüfende Instanz sich herbeilassen werde, ex officio in dieser Richtung Ratschläge zu erteilen. Allgemein war man der Ansicht, dass der Bausachverständige der Gemeinde in dieser Beziehung viel tun könnte. Dieser Bau wurde wohl auch mit unlauteren Mitteln durchgesetzt. Die in der Niedstraße Nr. 5 ansässige Firma H. Denecke & Co wurde über permanente Anzeigen wegen Geräuschbelästigung der benachbarten Hausbesitzer Imme, Löbner, Seder und Nehrkorn gezwungen, ihren Betrieb 1909 nach Lankwitz zu verlegen. Der Gemeindevorstand, befragt, was unter ortsüblichen Geräuschen zu verstehen ist, erklärte in einem Bescheid: Hierüber könne man sich nicht äußern.

 

1905 verkaufte Löbner das Anwesen Lauterstraße Nr. 7 für 61.000 Mark an seinen Nachfolger Uhrmacher Otto Fritz (1858.1925). Nach seinem Tod übernahm es Sohn Johannes Fritz und blieb bis in die 1940er Jahre im Besitz der Familie Fritz. Franz Ludwig Löbner zog in die Lauterstraße Nr. 12-13. Löbner starb am 16. Juni 1921 und wurde auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße beigesetzt. Das Grab existiert nicht mehr. Das Anwesen Ecke Nied- und Lauterstraße ging an die Löbner’schen Erben. In der Niedstraße Nr. 4 wohnte Witwe A. Löbner, in der Lauterstraße Nr. 12-13 Sohn Hans Löbner.

 

Hans Löbner wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wiedergutmachungsantrag Bry gehört: Im Ermittlungsbericht vom 26. September 1955 heißt es u.a.: Herr Löbner kannte den Verfolgten sehr gut, da er ja viele Jahre in seinem Hause das Geschäft hatte und später das Geschäft im gegenüberliegenden Hause weiterführte. Herr Löbner erklärt, dass die Geschäfte des Verfolgten sehr gut gingen. Er führte Wolle, Wäsche, Gardinen, Kurzwaren, Bettfedern. Herr Löbner schätzt, dass dort ca. 80 Angestellte beschäftigt wurden. Herr Löbner bestätigt, dass in der Kristallnacht das Geschäft demoliert und die Waren geplündert wurden. Das Geschäft wurde nach der Kristallnacht nicht mehr geöffnet. Diese Angaben wurden von Frau Löbner bestätigt.

 

Lauterstraße 8-9, 1950. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Lauterstraße Nr. 8-9

Ecke Albestraße Nr. 1

 

Fotografie des zerstörten Eckhauses in der Lauterstraße Nr. 8-9 Ecke Albestraße Nr. 1, aufgenommen vom Fotografen Herwarth Staudt am 3. April 1950 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.

 

 

Weiteres in Vorbereitung

Lauterstraße 10, 1950. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Lauterstraße Nr. 10

Ecke Albestraße Nr. 36

 

 

Fotografie des zerstörten Eckhauses in der Lauterstraße 10 Ecke Albestraße, aufgenommen vom Fotografen Herwarth Staudt am 16. März 1950 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.

 

 

Weiteres in Vorbereitung

Lauterstraße Nr. 11-11A

 

 

Fotografien des zerstörten Hauses in der Lauterstraße 11-11 a, aufgenommen vom Fotografen Herwarth Staudt am 24. November 1954 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.

 

 

Weiteres in Vorbereitung

 

 

Kaufhaus Leo Bry am Lauterplatz, 1908

Lauterstraße Nr. 12-13

Kaufhaus Leo Bry

 

Das Biographische Handbuch des Auswärtigen Amtes enthält mitunter verkürzte Einträge. So auch für Ministerialrat Dr. jur. Walter Stahlecker (1900-1942), Mitglied der NSDAP seit 1. Mai 1932, der nach einer informatorischen Beschäftigung im Büro von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop im Juni 1941 Beauftragter des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes beim Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebietes Nord und Führer der Einsatzgruppe A (Baltikum) wurde.

 

Nicht erwähnt wird, dass Stahlecker im Herbst 1941 nahe der Bahnstation Skirotava das Konzentrationslager Riga-Jungfernhof einrichten ließ. Auf seinen Befehl hin wurden im November und Dezember 1941 Transportzüge mit 1053 Berliner Juden und weiteren mit 3984 Juden aus Stuttgart, Hamburg, Lübeck, Nürnberg und Wien nach Jungfernhof umgeleitet. Kommandant war SS-Oberscharführer Rudolf Seck (1908-1974). Ihm zur Seite stand SS-Sturmbannführer Dr. jur. Rudolf Lange (1910-1945), der neben Heydrich, Eichmann und Unterstaatssekretär Martin Luther vom Auswärtigen Amt in Vertretung seines Befehlshabers an der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 teilgenommen hatte. Nach Langes Rückkehr fanden im Februar, aber vor allem am 26. März 1942, sowohl in Jungfernhof als auch im Rigaer Ghetto Selektionen statt. Die deportierten Juden wurden in den Wald von Bikernieki transportiert. Nach Recherchen des lettischen Historikers Margers Vestermanis (geboren 1925) wurden im südlichen Teil des Waldes 42 Gruben mit einer Fläche von 2.338 Quadratmetern ausgehoben. Hier erfolgten die Massenerschießungen von 1942 bis 1944 – darunter Leo und Clara Bry.

 

 

Leo und Clara Bry lebten über drei Jahrzehnte in Friedenau, sie waren ganz und gar Friedenauer, obwohl Leo am 20. Januar 1881 in Schrimm (Provinz Posen) und seine Frau Clara geb. Rosendorff am 31. Januar 1887 in Usch (Provinz Pommern) geboren wurden. Es muss im Jahr 1907 gewesen sein, so genau lässt sich das nicht mehr herausfinden, als das frischvermählte Ehepaar die Mietwohnung in der Niedstraße Nr. 7 bezog. Dort wurde am 10. Januar 1908 Sohn Bruno geboren. An der Ecke Lauter- und Niedstraße wurde ein Ladengeschäft angemietet. Kurz zuvor hatte sich Leo Bry in das Handelsregister eintragen lassen: Kaufhaus Leo Bry. Manufaktur- und Modewaren. Lauterstrasse Nr. 12/13. Angeboten wurden Kurz-, Weiß- und Wollwaren, Gardinen, Teppiche, Damen- und Kinder-Konfektion und Herren-Artikel. Anfang März 1908 war die Eröffnung: Für Friedenau ein wahrer Schatz ist Kaufhaus Bry am Lauterplatz. Johannes Löbner von Löbner‘schen Erben, Eigentümer der Anwesen Niedstraße Nr. 4 und Lauterstraße Nr. 12/13 bekundete 1955, dass die Geschäfte sehr gut gingen und ca. 80 Angestellte beschäftigt waren.

 

Den Gewinn legten die Bry‘s in Immobilien an: Gritznerstaße Nr. 37/39 in Steglitz, Cranachstraße Nr. 12 in Friedenau, Jagowstraße Nr. 39 in Moabit sowie ein ca. 1.500 bis 2.000 qm großes Grundstück am See, bebaut mit einem Einfamilienhaus mit großer Terrasse, Bootssteg und Bootshaus in der Uferstraße Nr. 14 in Bad Saarow, das Leo Bry laut Schreiben vom 11. Oktober 1930 an den Gemeindevorstand von Bad Saarow am 14. Januar 1930 von Herrn Alfons Bernstein lt. Vertrag erworben habe, während mir der Besitztitel erst am 28. Mai 1930 vom Amtsgericht Beeskow zuging. Vorab hatte er bereits Grundstückszubehör-, Grunderwerbs- und Gemeindesteuern für ein ganzes Jahr bezahlt. Noch am 23. September 1938 erschien in der Jüdischen Rundschau eine Annonce des Kaufhauses Bry. Geworben wurde für Betten, Wäsche, Aussteuern, Gardinen und die Aufarbeitung für Daunendecken. Zwei Wochen später feierten die Nationalsozialisten die Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938. Hauseigentümer Johannes Löbner und seine Frau bestätigten 1955, dass in der Kristallnacht das Geschäft völlig demoliert wurde und die Waren geplündert wurden. Das Geschäft wurde nach der Kristallnacht nicht mehr geöffnet. Im Handelsregister des Jahres 1939 stehen für das Kaufhaus Bry nur drei Buchstaben Liq.– die Liquidation, das Ende.

 

Mit der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 wurde Juden auch auferlegt, ihren Grundbesitz zu veräußern. Dementsprechend genehmigte der Landrat des Kreises Beeskow-Storkow mit Schreiben vom 3. August 1939 den am 2. Februar 1939 vor dem Notar Dr. Walther Ulrich in Berlin-Friedenau, Rheinstraße Nr. 5, unter Nr. 60 Jahr 1939 der Urkundenrolle zwischen dem Juden Kaufmann Leo Israel Bry in Berlin-Wilmersdorf, Rüdesheimer Platz Nr. 7, und der Ehefrau Martha Schulze geborene Jäger in Berlin-Friedenau, Taunusstraße Nr. 15, abgeschlossenen Grundstückskaufvertrag. Gegenstand des Kaufvertrages ist das in Saarow, an der Uferstraße Nr. 14, belegene, im Grundbuche des Amtsgerichts Beeskow vor Saarow im Band 8 Blatt 199 verzeichnete Grundstück. Die Genehmigung wird mit der Maßgabe erteilt, dass der etwa noch bar zu entrichtende Teil des Kaufpreises auf ein Sperrkonto bei einer Devisenbank einzuzahlen ist, über das nur mit Genehmigung des für den Veräußerer zuständigen Oberfinanzpräsidenten verfügt werden darf.

 

Für den Aufenthalt von Leo und Clara Bry werden zwischen 1939 und 1942 die Anschriften Rüdesheimer Platz Nr. 7, Konstanzer Straße Nr. 7 und eine Pension in der Schlüterstraße genannt. Sohn Bruno Barton Bry (1908-1985) emigrierte 1939 mit seiner Frau Irina geb. Wiebering (1913-1991) in die USA – letzte Adresse 53 West 73 rd Street, New York 23 N. Y. Leo und Clara Bry wurden für den 19. Januar 1942 in die Große Hamburger Straße Nr. 27 bestellt. Im Gebäude der Jüdischen Oberschule erhielten sie das Dokument zur richterlichen Verfügung über den Einzug ihres Vermögens durch den Fiskus. Die Gedenkstätte von Yad Vashem vermerkt: Deported from Berlin on 19.1.1942. Die Initiative Jüdische Spuren in Bad Saarow verlegte am 22. Oktober 2010 vor dem Haus Uferstraße 14 zwei Stolpersteine.

 

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Entschädigungssache Bry, 1954

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Ermittlungsbericht Bry, 1955

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Wiedergutmachungsverfahren Bry, Landhaus Bad Saarow

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Lauterstraße 14-18. Foto Hahn & Stich, 2017

 

Lauterstraße Nr. 14-15

 

Mit dem Bau des Hauses Lauterstraße Nr. 14-15 Ecke Niedstraße Nr. 40-41 rückte das Terrain rund um den Friedenauer Marktplatz in den Fokus. Neben den ein- und zweigeschossigen Häusern machte nun ein viergeschossiges Eckhaus mit Türmchen und reichgeschmüchter Fassade auf sich aufmerksam. Der Bau wurde 1901/1902 nach Plänen des Architekten A. Schneider ausgeführt. Bauherr und Eigentümer des Grundstücks war der Landwirtschaftslehrer J. Schneider. Obwohl das Haus längst vom Landesdenkmalamt Berlin unter Schutz gestellt wurde, gibt es zu den Herren keine weiteren Hinweise.

 

Zu lesen ist, dass das historistische Eckhaus je einen straßenseitigen Treppenaufgang an den beiden Straßenfronten hat, die je zwei Wohnungen pro Geschoß erschließen. Die Hausecke wird durch einen auskragenden Erker betont, ist mit einer Attika überhöht und zeigt ein hohes Pavillondach (anstelle des ehemaligen, heute nicht mehr vorhandenen Turmbaus) mit einem vorgesetzten Quergiebel. Die beiden Straßenfronten werden durch asymmetrisch angeordnete Risalite mit hohen Quergiebeln, in die auch die Treppenhäuser einbezogen sind, gegliedert; sie bildeten das optische Gegengewicht zum Eckerker mit dem früheren Turmbau. In den äußeren Achsen der beiden Straßenfassaden sind tiefe Loggien angeordnet. Zwischen den Risaliten und dem Eckerker kragen an beiden Straßenfronten noch je ein Erker und Balkons aus. Die reiche Dekoration der Straßenfassaden an Fenstern, Brüstungen und Attika ist zum großen Teil noch erhalten (Topographie Friedenau, 2000).

 

Laut Friedenauer Lokal-Anzeiger vom 21. Mai 1901 hatte die Postverwaltung das Grundstück Niedstraße 40-41 und Lauterstraße 14-15 gekauft, um in dem Haus ein Postamt 3. Klasse einzurichten. Von Kauf kann keine Rede sein, denn das Anwesen gehörte früher dem Landwirthschaftslehrer Herrn Schneider, und ging dann in den Besitz des Kaufmanns Tornau über. Dieser ersuchte 1902 die Gemeindevertretung um Genehmigung zur Beseitigung des Vorgartens vor seinem an der Ecke der Nied- und Lauterstraße belegenen Grundstücks. Genehmigt wurde ausnahmsweise und unter Vorbehalt des Widerrufes, daß der Vorgarten in der Niedstraße an der Ecke und zwischen Haupteingang bis zur Nachbargrenze freigelegt werden darf. Nicht genehmigt wurde die Freilegung des Vorgartens in der Lauterstraße.

 

Obwohl der Friedenauer Lokal-Anzeiger einstweilen selbst nicht an diese Mähr glaubte, verkündete das Blatt am 14. Januar 1902, dass Friedenau in nächster Zeit ein großer Grundstücksverkauf bevorstehen soll. Bekanntlich zieht die Post nach dem Neubau Ecke Lauter- und Niedstraße. Herr Schettler, der jetzige Besitzer, soll, wie uns mitgetheilt wird, (die Verantwortung hierfür überlassen wir unserem Berichterstatter) mit der Haase-Brauerei in Breslau in Unterhandlung sein, welche die ganzen Schettler'schen Grundstücke Ecke Schmargendorfer- und Rheinstraße ankaufen will, um hier eine großartige Restauration zu errichten. Der Kaufpreis des Grundstücks soll etwa 1 ½ Millionen Mark betragen.

 

Am 8. Juni 1902 heißt es: Der Umzug unserer Post nach dem neuen Heim Ecke Lauter- und Niedstraße wird bereits am 28. d. J. beginnen. Die Post hat noch längere Zeit einen Kontrakt mit dem Besitzer des jezigen Postgebäudes, Herrn Schettler. Die leer werdenden Räume werden nun, so lange wie der Kontrakt mit der Post noch läuft, vom Rentier Herrn Tornau, dem Besitzer des neuen Postgebäudes, vermiethet, der diese Verpflichtung übernommen hat. Nach diesem Eigentümerwirrwarr trat Ruhe ein. 1912 übernahm Rentier H. Behmeyer den Besitz. Der Pachtvertrag mit der Postverwaltung für das Postamt Friedenau blieb bis zur Eröffnung des Kaiserlichen Postamts 1918 am Wilmersdorfer Platz (heute Renée-Sintenis-Platz) bestehen.

 

1921 ging das Anwesen Lauterstraße Nr. 14-15 Ecke Niedstraße Nr. 40-41 an den Kaufmann August Nöthling. Er hatte 1907 mit Fritz Bechthold in der Steglitzer Schloßstraße mit der Stadtküche Bechthold & Nöthling ein Haus feinster Delikatessen gegründet. Da Bechthold 1938 emigrieren musste, wurde Nöthling alleiniger Besitzer. Als während des Weltkriegs Lebensmittel nur noch gegen Vorlage von Lebensmittelkarten erworben werden konnten, wunderten sich nicht nur die Steglitzer über Dienstfahrzeuge vor dem Geschäft, in die in Tüten verpackte Waren geladen wurden. Bald machte der Spitzname Tütenaugust die Runde. Das Haupternährungsamt Berlin kam nicht umhin, Nöthling einen Strafbescheid zuzustellen, da er Waren ohne Bezugsberechtigung verkauft hatte. Nöthling erhob Einspruch und beantragte eine gerichtliche Überprüfung. Im Januar 1943 wurde er verhaftet und gestand, an Minister, Staatssekretäre, Generalfeldmarschälle und Persönlichkeiten Lebensmittel ohne Markenabgabe verkauft zu haben. Am 9. Mai 1943 erhängte er sich in seiner Zelle. Da der NS-Staat aus dem Fall Nöthling keine Staatsaktion machen wollte, war die Sache damit erledigt. Die Firma Nöthling in der Schloßstraße bestand bis Ende 1993. Wie es mit dem Anwesen Lauterstraße Nr. 14-15 Ecke Niedstraße Nr. 40-41 in den Nachkriegsjahren weiterging, entzieht sich unserer Kenntnis.

 

Lauterstraße 16, 1956. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Lauterstraße Nr. 16

 

Das Grundstück erwarb 1903 der Berliner Kaufmann Carl Ludwig Eduard Husfeld von Fräulein Breyer (Stolp i. Preußen), der Tochter von Oberstleutnant a. D. Viktor Breyer. Husfeld hatte im Juli 1899 in Friedenau Anna Sophie Caroline Wolff geheiratet. Im Mai 1900 kam Sohn Bernhard Husfeld zur Welt.  Im Haus wohnten 12 Mietparteien, darunter der Agrarwissenschaftler Ernst Tamm (1897-1983) und Bernhard Husfeld, den die NSDAP zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institut für Rebenzüchtung berief. Im Juli 1911 hat Se. Kgl. Hoheit der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz den hier Lauterstraße 16 wohnenden Kaufmann und Hoflieferanten Herrn Eduard Husfeld zum Kommissionsrat ernannt. Nachdem bekannt gemacht wurde, dass das Rathaus Friedenau am Marktplatz errichtet wird, stellten Eigentümer der Grundstücke Lauterstraße Nr. 14-18 den Antrag, die Vorgärten vor ihren Grundstücken zu beseitigen, um dem zunehmenden Verkehrsbedürfnis Rechnung zu tragen. Sie erklärten sich damit einverstanden, der Gemeinde das freie Verfügungsrecht über die eventuelle Benutzung der Bürgersteigflächen ihrer Grundstücke auf und unter der Erde zu gestatten. Die Anlieger haben dabei nur den Wunsch ausgesprochen, daß die Gemeinde bei der Benutzung der Bürgersteigflächen auf die Interessen der Anlieger Rücksicht nehmen möchte. Außerdem stellen die Herren Husfeld und Schönner die Bedingung, daß bei Inanspruchnahme der Bürgersteigfläche seitens der Gemeinde ein ungehindeter entsprechend breiter Zugang zu ihren Grundstücken freibleibt. Die Kosten der Beseitigung der Vorgärten und der Verlegung der Plattenbahn der jetzigen Bürgersteige sind die Anlieger bereit zu tragen.

 

 

 

In der Sammlung des Fotografen Herwarth Staudt sind zwei Aufnahmen mit der Beschriftung erhalten: Fotografie des zerstörten Hauses in der Lauterstraße 16, aufgenommen am 17. Februar 1956 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg. Die Fotos deuten eher darauhin, dass nur Seitenflügel bzw. Gartenhaus teilweise zerstört wurden, nicht aber das Vorderhaus. Das Anwesen blieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz der Familie. Weiteres entzieht sich unserer Kenntnis.

 

Lauterstraße 17-18,1980. Foto Jürgen Henschel, Museum Schöneberg

Lauterstraße Nr. 17-18

 

Das Grundstück wird erstmals 1895 erwähnt. 1905 entsteht an der Ecke Lauterstraße Nr. 17 und Schmargendorferstraße Nr. 1 der Neubau des Wurstfabrikanten von J. Haenel, der das Haus bereits im April 1906 verkauft. Eigentümer wird der Gärtnereibesitzer Alfred Schönner, der in der Hedwigstraße Nr. 2 einen Blumenladen und auf dem Markt eine Blumenhalle betreibt. Im September 1902 überraschte ihn die Polizei mit der Nachricht, dass die Brüder W. dem Entenstall auf seinem Gärtnereigrundstück in Teltow einen nächtlichen Besuch abgestattet hatten. Sie überstiegen in der Nacht vom Sonntag zum Montag die Umfriedigung, erbrachen die Thür und schlachteten an Ort und Stelle acht schöne, darunter drei werthvolle französishe Zuchtenten. Die. Teltower Polizei ermittelte die Thäter durch ihr schnelles Einschreiten und konnte Herrn Schönner die Enten gerupft und ausgenommen also fertig zum Braten wieder aushändigen. Die drei Brüder werden, durch den Verlust ihres hohen Verdienstes wegen, der ihnen durch eine empfindliche Freiheitsstrafe entsteht, den erhofften Entenbraten theuer bezahlen müssen.

 

1905 legte Schönner beim Bezirksausschuß Beschwerde gegen den Bau der neuen Bedürfsnisanstalt mit der Begründung ein, dass beim Bau die Fluchtlinie nicht eingehalten worden seien, der Bau vor seinem Grundstück zu stehen komme und er dadurch geschädigt sei. 1909 feierten der Kust- und Handelsgärtner Alfred Schönner und seine Gemahlin Silberhochzeit. Anlass genug, einiges zu klären. Zuerst wurde der Straßenbaum vor dem Haus Lauterstraße Nr. 17 neu angepflanzt. Unsere Gemeindegärtnerei hat hier bekanntlich sechsmal einen Baum neu anpflanzen lassen, doch niemals wollte der Baum gedeihen. Da man glaubte, daß alle Mühe vergebens sei, so ließ man schließlich nur noch den Stützpfahl stehen. Nun also der letzte Versuch, den Baum doch noch zum Wachstum zu bringen. Danach ging das Anwesen in den Besitz des Berliner Kaufmanns H. Groh. In die Erdgeschossläden zogen die Butterhandlung der Gebrüder Groh, die Kaffeehandlung von E. Tengelmann und der Gastwirt R. Kunze ein. Das Haus hat den Weltkrieg unbeschadet überstanden hat. Davon zeugen die Aufnahmen des leerstehenden Mietshauses Lauterstr. 17 und 18 von Fotograf Jürgen Henschel mit der handschriftlichen Notiz sollte abgerissen werden. – Es wurde schließlich doch abgerissen und durch einen mehrstöckigen Neubau ersetzt, der sogar nicht zu den erhaltenen Mietshäusern Lauterstraße Nr. 16-14 passen will. Da der Bau mit seinem bis in die Schmargendorfer Straße hineinreichenden Flachbau nach den heutigen Immobilienmaßstäben nicht mehr effektiv ist, der Netto-Supermarkt längst mehr als nur eine Renovierung braucht, dürfte davon auszugehen sein, dass dem Bezirksamt mittlerweile Anträge auf Abriss und Neubau vorliegen.

 

Rathaus, Front nach der Lauterstraße. Entwurf, 1914. BA-TS

Lauterstraße Nr. 19-20

Ecke Niedstraße Nr. 1

 

Die Geschichte mit dem Grundstück Lauterstraße Nr. 19-20, bisher dem Gastwirt Herrn Gundlach gehörig, beginnt im Oktober 1905. Da ging das Haus in den Besitz der Gebrüder Lederer. Auch die von Herrn Gundlach bisher selbst betriebene Restauration hat jetzt mit Carl Haar einen neuen Inhaber. Ursprünglich geplant war dort der Bau eines modernen Wohnhauses mit Laden. Es kam alles ganz anders.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am 17. November 1911 fiel die Entscheidung: Das Rathaus wird am Marktplatz errichtet. Das war das Ergebnis der gestrigen 3 ½ stündigen lebhaften Aussprache über die abermalige Platzbestimmung für das Rathaus. Damit wurde der Beschluss vom 1. Juni d. Js. umgestoßen. Von den 12 Herren, die damals für die Errichtung des Rathauses auf dem Grundstück am Wilmersdorfer Platz stimmten, blieben 8 Herren diesem Beschlusse treu, 4 sind — um den von den Herren selbst angewendeten Ausdruck zu gebrauchen — „umgefallen“. Die entscheidende Abstimmung erfolgte mit 15 gegen 8 Stimmen.

 

1. Das Rathaus der Gemeinde Friedenau wird auf den Grundstücken Niedstraße 1 und Lauterstraße 19/20 am Marktplatze errichtet und zwar unter der Bedingung, dass die Baufluchtlinie etwa 6 Meter über die jetzige Straßenfluchtlinie hinausgeschoben wird. Mithin wurde der Marktplatz mit 15 gegen 8 Stimmen als Bauplatz für das Rathaus gewählt.

 

2. Das vorgelegte Bauprogramm für das Rathaus wird um entsprechende Räume für eine geräumige Sparkasse vergrößert und unter dem gesetzlichen Vorbehalt späterer Änderung genehmigt. Für diesen Antrag stimmten also 14 gegen 9.

 

3. Dem vorgelegten Plane zur Änderung der Baufluchtlinie an der Niedstraße wird die Zustimmung erteilt. Dieser Antrag wurde durch Handaufheben angenommen.

 

Am 19. Oktober 1913 erfolgte die Grundsteinlegung. Neun Monate später begann am 28. Juli 1914 der Erste Weltkrieg. Trotz schwieriger Bedingungen wird der Bau vorangetrieben. Im Juli 1915 fahren die Löschfahrzeuge in die Einfahrt zur Feuerwache in der Lauterstraße. Am 1. Oktober können einige Büros bezogen werden. Am 16. Dezember gibt es die erste Gemeindevertretersitzung im Sitzungssaal. Am 23. Dezember wird der Ratskeller eröffnet. 1916 werden im Seitenflügel an der Hauptstraße Festsaal und Sparkasse, der 71 Meter hohe Rathausturm und zusätzliche Büroräume im Dachgeschoss fertiggestellt.

 

Lauterstraße 23, Kohlenhandlung Schröter, 1925. Archiv Rüdiger Barasch

Lauterstraße Nr. 23

Kohlenhandlung Schröter

 

1899 wurde bekannt, dass der Berliner Magistrat der Gemeinde Friedenau das Terrain zwischen Maybachplatz und Ringbahntrasse zum Bau des Gymnasiums überlassen will – allerdings an die Bedingung geknüpft, das Areal nur für kommunale Zwecke zu verwerten. Da sich auf dem Gelände seit 1895 auch die Kohlenhandlung von Wilhelm Schröter befand, löste der Magistrat dieses Pachtverhältnis auf. Schröter hatte vorgesorgt und teilte seinen geehrten Kunden mit, daß ich mein Holz- und Kohlengeschäft am 1. April 1898 nach Lauterstraße 23 verlege. 1901 erwarb Schröter vom bisherigen Eigentümer Gastwirt Gundlach das Anwesen Lauterstraße Nr. 23.

 

 

 

 

Im Mai 1901 kam der Friedenauer Haus- und Grundbesitzerverein in Anbetracht der hohen Kohlenpreise auf die Idee, Listen bei allen Hausbesitzern zu vertheilen, in denen jeder seinen Bedarf an Brennmaterialien eintragen sollte. Dieses Vorhaben löste eine Kohlen-Debatte aus. Aus aktuellem Anlass zitieren wir die Beiträge aus dem Friedenauer-Lokal-Anzeiger.

 

31. Mai 1901

Was bisher kein Haus- und Grundbesitzerverein unternommen hat, das hat der Friedenauer Haus- und Grundbesitzerverein vollbracht und sich damit im Gegensatz nicht nur zu den Kohlenhändlern, sondern auch zu allen Gewerbetreibenden unseres Ortes gesetzt. Ein hiesiger Kohlenhändler hat sich nämlich erboten, auf den Tagespreis für Brennmaterialien unter gewissen Bedingungen einen Rabatt zu gewähren in der Erwartung, daß recht Viele dadurch veranlaßt werden, sofort den Bedarf zu decken und nicht bis zum Herbst damit zu warten. Ein derartiges Vorgehen obigen Vereins, das gewiß außerhalb des Rahmens eines Haus-. und Grundbesitzervereins liegt, wird wohl allgemein Mißbilligung finden. Sämmtliche anderen Kohlenhändler erklärten übereinstimmend, daß sie sich durch das Vorgehen des Vereins in hohem Grade geschädigt fühlen, denn der eine Kohlenhändler, welcher die Lieferung erhält, würde sehr viel zu thun haben, während die anderen nicht nur im Herbst weniger Aufträge auszuführen hätten, sondern auch während des ganzen Winters würde das Geschäft lahm gelegt werden, weil ein großer Theil der Einwohner seinen Bedarf gedeckt hätte. Der Vereinsvorsitzende meinte, daß nicht die Friedenauer Kohlenhändler damit betroffen werden sollten, sondern es sollte verhindert werden, daß Brennmaterialien von Berliner Firmen gekauft würden. Hierauf entgegneten die Kohlenhändler, daß sie die Berliner Konkurrenz gar nicht zu fürchten brauchen, da dieselben höhere Preise als die hiesigen Händler nehmen müssen. Wenn die hiesigen Kohlenhändler also darauf verzichten, von dem Haus- und Grundbesitzerverein gegen die Berliner Konkurrenz beschützt zu werden, so sollte doch der Verein es unterlassen, denn man drängelt doch Niemanden seine Hilfe und Schutz auf. Nach Meinung des Herrn Vereinsvorsitzenden hätten die hiesigen Kohlenhändler an der Vertheuerung der Kohlen mit Schuld und dieselben es sich selbst zuzuschreiben, wenn jetzt gegen sie Front gemacht wird. Vielleicht orientirt sich dieser Herr, bevor er eine derartige Aeußerung überhaupt macht, welche Umstände die Vertheuerung der Kohlen herbeigeführt haben und welche Preise Hierselbst genommen wurden! Im Ernst wird derselbe doch kaum glauben, daß die paar Friedenauer Kohlenhändler einen Einfluß auf die Gestaltung der Preise überhaupt haben können. Selbst wenn die Friedenauer Kohlenhändler einig wären und alle gleiche Preise verlangen würden, was natürlich gar nicht der Fall ist, so würden doch die von den in nächster Nähe Friedenaus ansässigen Händler (Schöneberg, Wilmersdorf und Steglitz) geforderten Preise auch mitsprechen ...

 

Am 3. Juni 1901 folgte eine Erklärung der Friedenauer Kohlenhändler. Die im Haus- und Grundbesitzer-Verein getroffene Maßnahme betrachten wir nicht als für unser Geschäft fördernd, sondern im Gegentheil für durchaus nachtheilig. Da wir nicht, um größere Geschäfte zu machen, die Hilfe des Vereins angerufen haben, so sollte doch derselbe begreifen, daß wir seine Unterstützung nicht nur nicht verlangen, sondern gern darauf verzichten. Dem betreffenden Kohlenhändler unsere Unterstützung zu Theil werden zu lasten, fehlt uns jede Veranlassung.  Schleuderpreise unterstützt man nicht. An die bisherige Solidität des Betreffenden hat noch Niemand von uns gezweifelt. Vielleicht nennt uns der Einsender der Zuschrift einen Haus- und Grundbesitzer-Verein, der den gemeinschaftlichen Einkauf von Brennmaterial unter Zuziehung der Miether einem Gewerbetreibenden übergeben hat? Die Annahme, daß der Haus- und Grundbesitzer-Verein nicht nur die Kohlenhändler, sondern zur Zeit einer Theuerung auch andere Gewerbetreibende z. B. Bäcker und Schlächter mit seiner Maßnahme beglücken könnte, liegt doch wohl sicher nahe. Im Interesse der hiesigen Gewerbetreibenden kann der Haus- und Grundbesitzer-Verein nur seine Mitglieder immer wieder ermahnen am Ort zu kaufen, durch ein derartiges Vorgehen aber werden die Bürger nicht steuerkräftiger. Daß ein Berliner Kohlenhaus eine noch günstigere Offerte abgegeben haben kann, müssen wir ohne Weiteres bezweifeln. Unterzeichnet von Ferdinand Richter (Handjerystraße 48). Richard Marschner (Albestraße 26). Fritz Gräber (Lauterstraße 30),. Friedrich Heuer (Kirchstraße 10). Wilhelm Schröter (Lauterstraße 23).

 

Wilhelm Schröters Kohlenhandlung war die alleinige Verkaufsstelle Friedenaus der echten Ilse, die er von der Harpener Bergbau AG (Dortmund) bezog. Außerdem offerierte er die preiswertere Braunkohle echte Marie der Anhaltinischen Kohlenwerke Mariengrube. In den schwierigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg setzte die Firma auf die eisernen Kochmaschinen und den preiswerten Grudekoks der Braunkohlen-Schwelereien des mitteldeutschen Reviers. Beliefert wurden auf Koch-, Ofen- und Gewerbekarten auch Friedenauer, die nicht in meiner Kundenliste eingetragen sind. In den 1920er Jahren wurde in der Lauterstraße Nr. 23 auch untervermietet, zuerst an den Schmiedemeister Kleeberg, später kam die Kunstschmiede Lewin & Pätzel hinzu.

 

Erhalten ist ein Foto vom Hof der Lauterstraße Nr. 23. Es dürfte nach 1920 entstanden sein, als Sohn Max Schröter die Kohlenhandlung seines Vaters Wilhelm übernahm. Das Haus wurde von den Weltkriegsbomben verschont. Dem 1968 erstellten Bebauungsplan XI-129 für die Verbreiterung der Lauterstraße zwischen Albestraße und Niedstraße konnten nachfolgende Angaben entnommen werden: Lauterstraße 23, Eigentümer Max Schröter, Kohlenhändler, Berlin 41, Lauterstraße 22. Grundbuch Band 14, Blatt 891, Fläche 872 qm. Laut Grundriss war die Straßenfront nur bis zur Hälfte bebaut. Im Hof sind Gewerbe- und Lagergebäude eingezeichnet. Noch 1990/91 findet sich im Telefonbuch Berlin-West der Eintrag Kohlenhandlung Max Schröter, Lauterstraße 23. In den Jahren danach wurde der Altbau abgerissen. Es entstand ein sechsgeschossiges Wohnhaus mit einer Dachterrassenwohnung. Eine erstaunliche Friedenauer Geschichte – 90 Jahre im Familienbesitz.

 

Lauterstraße 27-28, 1980. Foto Jürgen Henschel, Sammlung Museum Schöneberg

Lauterstraße Nr. 27-28

Bauherr APH Projektgesellschaft für Hausbesitz mbH & Co

Generalmieterin GSG-Wohnen Gewerbesiedlungsgesellschaft mbH

Planung Architekten Hasso von Werder, Uwe Pompinon und Klaus Beyersdorff

Datierung 1981

 

Die Grundstücke Lauterstraße Nr. 27 und Nr. 28 wurden 1895 bebaut. Die zweigeschossigen Bauten stehen für den Übergang Friedenaus vom Landhaus zum Mietshaus. Eingezogen sind Kutscher und ein Fuhrhof, der sich als Berliner Paketfahrt Speditions- und Lagerhaus AG zu einer der größten Privatpostanstalten mit günstigen Tarifen und schneller Zustellung entwickelte. Die Häuser haben den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überlebt.

 

 

 

 

Lauterstraße 27-28, 1981. Foto Jürgen Henschel, Sammlung Museum Schöneberg

Unter diesem Aspekt wird auch die Bildunterschrift des Fotografen Jürgen Henschel verständlich, der am 30. Januar 1981 in Der Wahrheit, dem Organ der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, davon berichtet, dass das Doppelhaus ungeachtet der Proteste abgerissen und ein Neubau durchgesetzt wurde: Hier entstehen 20 Mietwohnungen für Führungskräfte im Rahmen des Programms des Bundespräsidenten.

Entwurf und Planung des 1981 fertiggestellten fünfgeschossigen Baus übernahm das Architekturbüro Hasso von Werder, Uwe Pompinon und Klaus Beyersdorff. Dank staatlich geförderter Wohnungsbauprogramme widmete sich das Büro hauptsächlich dem Wohnungsneubau im Westteil Berlins. Neben den großen Siedlungen am Rande der Stadt stand die Lückenschließung der im Stadtzentrum entstandenen Kriegsschäden im Vordergrund. Stilistisch orientierten sich die Architekten mit ihren kubischen Formen, ineinandergeschobenen Raumvolumen, freistehenden Wandscheiben und kühnen Auskragungen an Motiven des Neuen Bauens der Vorkriegszeit.

 

Lauterstraße 27-28, 2022. Foto Hahn & Stich

Die Fotografen Herwarth Staudt (1924-1994) und Jürgen Henschel (1923-2012) haben Tausende Fotografien hinterlassen, die erst 2019 im Rahmen eines Digitalisierungsprojekts öffentlich gemacht wurden. Staudt dokumentiert (im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg) kommentarlos den Zustand von Straßen und Häusern nach dem Weltkrieg in den Jahren von 1950 bis 1954. Henschel bezieht (als Fotograf der SEW-Zeitung) politische Poitionen, legt den Fokus auf die Probleme West-Berlins, berichtet von den Studentenrevolten, der linken Kunst- und Kulturszene, dem Häuserkampf, den Protesten gegen die Sanierungspolitik des Senats. Staudt und Henschel sind Chronisten. Ihre Bilder dokumentieren die Veränderungen in der Stadt.

 

Lauterstraße 29, 1953. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Lauterstraße Nr. 29-31

 

Die Geschichte dieser Häuser beginnt eigentlich 1895 mit der Zwangsversteigerung des Grundstücks Feurigstraße (ab 1931 Schnackenburgstraße), dem Zimmermeister Wilhelm Noack gehörig, das beim Landgericht II zum Verkauf anstand. Dasselbe ist mit einer Fläche von 9,35 Ar und 8450 M. Nutzungswerth zur Gebäudesteuer veranlagt. Das geringste Gebot wurde auf 965,11 M. festgesetzt. Meistbietender blieb der Kaufmann Richard Mewis zu Groß-Lichterfelde, Bahnhofstraße 16, mit dem Gebot von 113 000 M.

 

Zeitgleich war Zimmermeister Noack damit beschäftigt, in der Lauterstraße Nr. 29 ein dreigeschossiges Mietshaus für 25 Parteien zu errichten. Nach dem Tod ihres Ehemannes ging das Anwesen an Witwe Marie Luise Noack. 1930 erwirbt sie auch Nr. 30. Kurze Zeit später kommt Nr. 31 hinzu. So bleibt es – mit einer bunten Mischung von Mietern, Gärtner, Schlosser, Parkettleger, Kraftwagenführer, Schuhmacher, Schneider, Buchbinder, Kolonialwarenhändler, Briefträger, Rentiere und einigen Witwen – bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Geblieben sind einzig die Aufnahmen des Fotografen Herwarth Staudt, die er am 20. Mai 1953 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg fertigte. In den Wirtschaftswunderjahren wurden die Ruinen abgerissen und durch schlichte Neubauten ersetzt.

 

Es scheint schon Tradition zu sein, dass in der Lauterstraße Kinder betreut werden, 1895 von Noacks Tochter, der geprüften Kindergärtnerin Helene Noack, heute von einer namenlosen Kita. Erwähnenswert wäre noch, dass ab 1918 dort einige Jahre der Akademische Bildhauer Johannes Darsow (1877-1940) lebte. Er hatte von 1897 bis 1905 an der Dresdner Kunstgewerbeschule und an der Akademie in Berlin studiert. 1937 stellte er auf der Großen Deutschen Kunstausstellung einen überlebensgroßen Hirsch in Bronze aus. Dieses Standbild stellte den Hirsch Raufbold dar, den Hermann Göring 1936 in der Rominter Heide geschossen hatte. Nach Beendigung der Ausstellung wurde das Kunstwerk in der Kastanienallee von Carinhall aufgestellt. Der Hirsch hat das Dritte Reich überstanden und wurde später im Tierpark Friedrichsfelde aufgestellt.

 

Lauterstraße Nr. 34 & 33. Foto Hahn & Stich, 2020

Lauterstraße Nr. 33-34

Von der Molkerei zum Fuhrgeschäft

 

Es kommt selten vor, dass man in Friedenau ein Haus findet, das sich seit mehr als 125 Jahren ununterbrochen im Besitz von zwei Familien befindet. Angefangen hat es mit Ernst Hewald, Spross von Schöneberger Ackerbauern, die einst Kartoffeln und Getreide anbauten und Molkereien betrieben, und im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre Felder in begehrtes Bauland umwandelten, um mit dem Geld weiter entfernt liegende Grundstücke günstig kauften. Dazu gehörte auch das Anwesen Albestraße Nr. 31.

 

Im Frühjahr 1895 wechselten mehrere Grundstücke ihren Besitzer, darunter das Grundstück der Frau Dr. van Muyden in der Niedstraße Nr. 13 an einen Maler, gemeint war der Marinemaler Hans Bordt, und das Grundstück des Herrn Fuchs in der Niedstraße Nr. 35 an Herrn Molkereibesitzer Hewald. Das stand am 29. Mai 1895 auf der Tagesordnung der Friedenauer Gemeindevertretersitzung: Antrag des Gemeindevorstandes auf Genehmigung des mit dem Molkereibesitzer Hewald abgeschlossenen Kaufvertrages. Es ging um den Ankauf des Grundstücks, um dort den Bau von Schule sowie Amts- und Gemeindeverwaltung zu ermöglichen. Dagegen erhob sich Widerspruch: Das Grundstück sei auch unter Hinzunahme des Hewald‘schen für ein neues Schulhaus zu klein. Auch sei es nicht zweckmäßig, mindestens nicht schön, dass sich das Amtsgefängnis dicht bei den Schulklassen befände. Nicht im Interesse des Ortes sei es, Gemeinde-, Amts- und Schulverwaltung in einem Gebäudekomplex zu vereinigen. Wesentlich aber war, dass der Preis für das Hewald‘sche Grundstück zu hoch erscheine, für das Geld werde man ein unbebautes Grundstück von viel bedeutenderer Größe erhalten. Der Kauf-Vertrag wurde dennoch angenommen.

 

Ende September 1895 verlegte Ernst Hewald seine Molkerei von der Albestraße Nr. 31 nach der Niedstraße Nr. 35. Am 5. Oktober 1895 verkündete der Friedenauer Lokal-Anzeiger: Herr Molkereibesitzer Hewald hat den Bau seiner neuen Molkerei vollendet und sein neues Heim bereits bezogen. Man sieht, dass die Einrichtungen von praktischer Hand ausgeführt sind. Die Ställe für die Kühe sind luftig und gesund gebaut, mit vortrefflichen Ventilationsanlagen und es ist gleichzeitig Sorge getragen, dass das Vieh stets trocken und warm liegen kann. Ein Tierarzt wacht über die Gesundheit der Tiere, und ist es daher begreiflich, dass die zwei besten Kühe täglich bis 35 Liter Milch geben. Namentlich ist dafür gesorgt, dass stets gute Kindermilch zu haben ist, wozu auch viel die Trockenfütterung beiträgt. Jedenfalls hat Herr Hewald alles getan, um mit seiner Molkerei allen Ansprüchen der Neuzeit zu genügen.

 

Der nächste Umzug erfolgt 1903 von der Niedstraße Nr. 35 in das erworbene Anwesen Lauterstraße Nr. 34 – immer noch als Molkerei. Am 26. Mai 1906 heißt es dann: Im Hause Lauterstr. 34 hat Herr Ernst Hewald ein Fuhrgeschäft eröffnet. Wenn also die Friedenauer von hier aus Fuhrwerk gebrauchen, mögen sie sich vertrauensvoll an Genannten wenden. Da in der Zwischenzeit die Abfuhrgelder bedeutend gestiegen sind, Frau Pählchen verlange jetzt statt der 2600 M. 7750 M, hat die Gemeinde von verschiedenen Fuhrunternehmern Offerten eingeholt. Für alle Leistungen hat Herr Ernst Hewald (Fuhrgeschäft Lauterstraße 34) den Mindestpreis von 12760 M. geboten, dem dann auch die Arbeiten übertragen wurden. Herr Hewald gibt das Milchgeschäft auf und wird sich ausschließlich jetzt dem Fuhrwesen widmen, so dass er zu jeder Zeit, wenn nötig, ein Fuhrwerk stellen kann.

 

Am 18. März 1916 verstarb Ernst Hewald. Der seit vielen Jahren in Friedenau ansässige Fuhrunternehmer Ernst Hewald ist am Sonnabendnachmittag plötzlich einem Herzschlage erlegen. Er hatte zu Hause seinen Kaffee getrunken und war gutgelaunt, wie immer, nach seinem Ackerland an der Rubensstraße gefahren. Gegen 6 Uhr wurde er hier zwischen seinen Pferden liegend tot aufgefunden. Der ärztliche Befund stellte fest, dass Herr Hewald einen Herzschlag erlitten hatte, der seinen sofortigen Tod herbeiführte. Der nunmehr Verstorbene erfreute sich in unserer Gemeinde allgemeiner Beliebtheit. Seit vielen Jahren hat Herr Hewald die Gespanne für unsere Gemeinde und die Feuerwehr gestellt. Auch das Beerdigungsfuhrwesen nach unserm Waldfriedhof war ihm übertragen.

 

Nachfolger wurde Paul Hewald. Mitten im Weltkrieg hatte er mehr und mehr Schwierigkeiten, die erforderliche Anzahl von Pferdegespannen für die Beförderung von Leichen zum Waldfriedhof nach Gütergotz bereitzustellen. Am 30. Mai 1917 beantragte er bei der Gemeinde Friedenau die Änderung des Vertrags vom 27. 6. 1914. Er begründete sein Verlangen mit den außerordentlich hohen Löhnen, den Futtermittelpreisen, dem Mangel an Pferden und den im Fuhrwerksgewerbe bestehenden großen mit dem Kriege zusammenhängenden Schwierigkeiten sowie mit der großen Entfernung nach Gütergotz. Das alles mache es ihm unmöglich, mit den Vertragspreisen die Unkosten zu decken. Hinzuträte, dass er bei richtiger wirtschaftlicher Ausnutzung seiner Pferde für andere Zwecke jetzt bedeutend höhere Entschädigungen erhalten könne. Die Gemeinde erkannte die die Berechtigung der Hewaldschen Forderung an und beschloss: Dem Fuhrunternehmer Hewald wird unter Ausschluss aller anderen Unternehmer die Beförderung sämtlicher Leichen und Personen nach dem Waldfriedhof in Gütergotz übertragen. Für die Überführung von Kinderleichen ohne Benutzung des Kinderleichenwagens wird die Gebühr von 5 auf 12 M. einschließlich eines 20prozentigen Kriegszuschlages erhöht. Für alle anderen Vertragsleistungen in der Leichen- und Personenbeförderung einschl. der Verkehrsverbindung zwischen dem Bahnhof Stahnsdorf und dem Waldfriedhof tritt eine Erhöhung des Kriegszuschlages von 20 auf 40 Prozent unter Beibehaltung der Grundpreise ein. Die neuen Vereinbarungen treten am 1. Juni 1917 in Kraft.

 

Nach dem Ende des Kaiserreichs und mit der Weimarer Republik stand es wohl nicht gut um die Firma, obwohl Paul Hewald das Angebot um Braut-Equipagen, Monats- und Beerdigungsfuhrwesen, Fahrgeschäft erweitert hatte. Bereits 1919 wurde in der Lauterstraße Nr. 34 eine Pferdedroschke (mit Berlin Nr.) zum Verkauf angeboten. Irgendwann war Schluss. Es kam Ernst Eschke. Die weiteren Angaben zur Familie Eschke entnehmen wir der Firmenwebseite.

 

1. Generation Ernst Eschke

1910 Ernst Eschke erwirbt das „Lastfuhrwesen“ von Paul Hewald in der Lauterstraße 34 in Berlin-Friedenau. Kurt Eschke wird am 25. Februar geboren. 1928 Kurt Eschke wird als gelernter Bankkaufmann in der Firma angestellt. Das „Luxus-, Braut- und Beerdigungsfuhrwesen“ entsteht. Mitgliedschaft in der Fuhrgewerbeinnung zu Berlin. 1929 Die ersten Kutscher werden beschäftigt. 1940 Kurt Eschke und Erika Kallnbach heiraten am 6. April. 1945 Ein Maybach Bestattungswagen wird aus russischer Kriegsgefangenschaft requiriert. 1948 Helmut Eschke wird am 5. Juni geboren. 1957 Mitgliedschaft in der Bestatterinnung Berlin.

 

2. Generation Erika und Kurt Eschke

1970 Ernst Eschke verstirbt am 5. September. Erika und Kurt führen die Firma gemeinsam weiter. 1975 Robert Stolz (1880-1975) wird von Helmut Eschke nach Wien überführt. (Der Komponist und Dirigent starb im Alter von 94 Jahren bei Plattenaufnahmen in Berlin). 1982 Die „Kurt Eschke KG“ entsteht. 1983 Der Fuhrpark wird auf „Mercedes-Benz“ umgestellt. 1985 Kurt Eschke verstirbt am 13. Dezember. Erika Eschke führt die Geschäfte alleine weiter.

 

3. Generation Marion und Helmut Eschke

1989 Die ersten Überführungen im östlichen Berlin. 1992 Erweiterung der Klimaräume. 1994 Helmut Eschke und Marion Richter heiraten am 14. Juli. Marion Eschke tritt in die Geschäftsführung ein. 1995 Trägerdienste und Grabmachertechnik werden aufgenommen. 1996 Das Grundstück Lauterstraße 33 kann erworben werden. 1997 Erika Eschke verstirbt am 30. September. 1998 Ein Callcenter wird eingerichtet. 1999 Die renovierten „Büro- und Sozialräume“ werden bezogen. 2002 Janina Eschke wird Mitglied im Juniorenkreis der Bestatterinnung. 2004 Einweihung der „Feierhalle Frieden‘au“. 2005 Mitwirkung an der Beisetzung von Harald Juhnke. 2006 Mitwirkung am Staatsakt für den Bundespräsidenten a. D. Dr. Dr. h.c. Johannes Rau. 2007 Mitwirkung an den Beisetzungen von Klaus Jürgen Wussow und Prinz Wilhelm Karl von Preußen. 2008 Grabmachertechnik für das Grab der Familie Rathenau. Der Trägerdienst erhält Kleinbusse. 2009 Mitwirkung an den Beisetzungen von Otto Graf Lambsdorff und Erich Böhme.

 

4. Generation Patrik und Janina Eschke

2010 Jubiläumsfeier 100 Jahre. Janina Eschke tritt in die Geschäftsführung ein. 2011 Mitwirkung an den Beisetzungen von: Dietrich Stobbe, Curth Flatow, Erzbischof Georg Sterzinsky in der Hedwigskathedrale. 2012 Die „Kurt Eschke KG“ wird zu: „Eschke Bestattungsfuhrwesen GmbH & Co. KG“. Janina Eschke und Berthold Scholz heiraten am 5. Mai. Der Empfangsraum wird neu gestaltet. 2013 Der Fuhrpark wird erneuert.

 

Adressbuch von 1905

Lauterstraße Nr. 36

Boonekamp aus Friedenau

 

Das Haus Lauterstraße Nr. 36 erscheint im Adressbuch erstmals 1878 mit Eigentümer Maurermeiser Vorwiebe und Mieter Xylograph Brockerhoff. 1879 zieht die Lederwarenfabrik Kabelitz, aus der 1882 die Mostrichfabrik Kabelitz wurde. 1900 ging das Anwesen an den Fabrikanten A. Scholz. Als Mieter werden genannt Kanzleirat Grieswaldt, Kaufmann P. Lüttken und stud. jur. A. Scholz. 1903 geht das Anwesen an den Rechtsanwalt Dr. L. Möhring. Aus der Mostrichfabrik wird die Boonekamp Nachfl. F. W. Liebert sen. Tochter.

 

Boonekamp, ein Bitterlikör aus Genever und Kräutern, wurde um 1780 von einem holländischen Apotheker kreiert. 1846 entwickelte Hubert Underberg aus Rheinberg eine eigene Rezeptur, die unter dem Namen Boonekamp of Maagbitter aus dem Haus Underberg auf den Markt gebracht wurde. Mit dem Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen stellte sich 1894 heraus, dass die Kennzeichnung Boonekamp nicht zu schützen war. Underberg gab die Bezeichnung Boonekamp auf. Geblieben ist die in gelb-braunes Papier gewickelte Flasche, die vom Kaiserlichen Patentamt als Warenzeichen anerkannt und eingetragen wurde. Fortan konkurrierten in Berlin diverse Boonekamp-Fabrikanten. Underberg eröffnete in der Friedrichstraße Nr. 237 Comptoir u. Lager, warb mit Hoflieferant Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. und empfahl seinen Kunden: Man verlange ausdrücklich Unterberg-Boonekamp.

 

Der Berliner Fabrikant des Maag-Bitter of Boonekamp sah das Treiben gelassen und verlegte die Produktion von Südende, Bahnstraße Nr. 17, nach Friedenau. Für die neue Fabrik des holländischen Boonekamp in der Lauterstraße fungierte für F. W. Liebert sen. Tochter als Inhaber Frau Dr. Catharina Möhring. So blieb es im Prinzip bis 1936 – Eigentümer Möhring’sche Erben sowie Boonekamp Nachf. F.W. Liebert sen. Tochter-Fabrik des holländischen Boonekamp. 1943 war mit dem Bitterlikör Schluss. Eigentümerin des Grundstücks wurde Witwe E. Beck, Inhaberin des Groß Berliner Wachdienst Beck & Co.

 

Lauterstraße Nr. 37

Ecke Hähnelstraße Nr. 1

 

Das viergeschossige Mietwohnhaus Lauterstraße 37/Hähnelstraße 1 wurde 1891 nach Plänen des Architekten Emil Rösler in barockisierenden Formen gebaut. Das Eckhaus wird von zwei Treppenaufgängen erschlossen. Das Souterrain und das Erdgeschoß sind in Putzrustika ausgeführt. Die beiden Fassaden weisen dreizehn Achsen an der Hähnel- und sieben an der Lauterstraße auf. Die Ecke wird durch einen Standerker akzentuiert, die Fassade an der Hähnelstraße symmetrisch durch zwei Standerker beiderseits der Mittelachse gegliedert. An der Lauterstraße dagegen wird die Fassade in der Mittelachse durch einen Standerker betont, der originellerweise gleichzeitig die Eingangshalle für den Eingang Lauterstraße bildet. Die Laibungen und Ädikulen der Fenster werden in den einzelnen Geschossen variiert. Das Haus ist schon im Vorgriff auf die Bauordnung von 1892 entworfen worden. Topographie Friedenau, 2000

 

In diesem Haus wohnten der Kgl. Musikdirigent a. D. Freese (1902), einst bekannt geworden als Dirigent des Garde-Füsilier-Regiments, das wegen seiner bunten Regimentsuniform (rote schwedische Ärmelaufschläge mit weißen Litzen, gelbe Schulterstücke) und – da Friedrich Wilhelm IV. als Kronprinz das Regiment einmal mit Meine lieben Maikäfer angesprochen hatte, quasi offiziell als Maikäfer bezeichnet wurden. In den 1930er Jahren lebte hier der Physiker Wilhelm Jaeger (1862-1937), der in der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt über elektrische Messtechnik arbeitete. Sein Sohn Robert wurde ebenfalls Physiker, sein Sohn Willy Ludwig Organist, Pianist und Kirchenmusiker. Wilhelm Jaeger wurde auf dem Alten Friedhof Schöneberg beigesetzt. Das Grab ist nicht erhalten.

 

Lauterstraße Nr. 38

Ecke Hähnelstraße Nr. 20

 

Das Grundstück Lauterstraße Nr. 38 wird erstmals 1904 als Neubau, Eigentümer Siegmund Stöckel, Baugeschäft erwähnt. Am 2. Januar 1905 erscheint im Friedenauer Lokal-Anzeiger eine Annonce: Lauterstraße 38 Ecke Hähnelstraße, am Birkenwäldchen, nahe Gymnasium, 5 Minuten von der Ring- und elektrischen Straßenbahn. Hochherrschaftlich elegant ausgestattete Wohnungen im verschlossenen Hause von 5 und 6 Zimmern, große Räume, Bad, große Mädchenstube, 2 Balkons, 2 Toiletten, Hinteraufgang, elektrische Lichtanlage und Gas. Zum 1.4.1905 (früher beziehbar) zu vermieten. Zentralheizung, event. Telephon. Näheres daselbst oder bei Siegmund Stöckel, Friedenau, Cranachstraße 42, I. Stock. Kurz danach war das Eckhaus im Besitz von Ingenieur Ernst Grüder, Geschäftsführer der Gesellschaft für Metallkeramik. Eingezogen waren Portier Malitzki, Archivar Dr. Schacht, Juwelier Utermarck, die Kaufleute Helmrich, König, Krantz und Krämer sowie Oberstleutnant a. D. Hahn, der zum 1. August bei hohem Lohn ein tüchtiges Mädchen sucht, das selbständig kocht.

 

Näheres bei Siegmund Stöckel kann nicht mehr erfragt werden. Immobilienhändler, Inhaber eines Baugeschäfts, Bauherr oder auch Baumeister? Erhalten ist von der Lauterstraße Nr. 38 eine Aufnahme von 1905 – ein Haus mit Attika über dem Hauptgesims, dahinter ein Walmdach mit einem Atelierfenster und das Türmchen an der Ecke Hähnelstraße. Das andere verfügbare Foto stammt von 1999 – verschwunden sind Walmdach und Türmchen. An der Ecke zur Hähnelstraße ist in den Putz als Point de vue ein Relief eingearbeitet, Handwerker mit Zirkel, Winkel, Klüpfel, Hammer und Amboss. Es könnte aus der Bauzeit stammen.

 

Die Friedenauer Geschichte der Stöckels beginnt 1894 mit dem Zuzug von Buchhalter Moritz (Moses Ber) Stöckel (1862-1910), der als Wohnungsmakler anfängt, ein Bauunternehmen gründet, mit Grundstücken handelt und schließlich in Friedenau und Schöneberg zahlreiche Mietwohnhäuser errichten lässt. Der berufliche Werdegang von Bruder Siegmund Samuel Nuchem Stöckel (1868-1939) bleibt im Dunkeln. 1903 heiratete Siegmund Stöckel in Berlin Elise Felicitas Hollaender (1872-1943). Der Überlieferung zufolge kam die Verbindung mit Hilfe eines professionellen Heiratsvermittlers zustande, weil die Familie befürchtete, dass die bereits 31-jährige Elise keinen Mann mehr finden würde. Die Ehe blieb kinderlos. Auffällig ist, dass Siegmund nach der Eheschließung wirtschaftlich aktiver wurde und ein eigenes Bauunternehmen gründete. Das Paar lebte zunächst in der Fregestraße Nr. 80, im Jahr 1909 ließ Siegmund Stöckel schließlich die Villa in der Fregestraße Nr. 71 errichten, die fortan als Wohnsitz diente. Dreh- und Angelpunkt war in der Familie wohl Siegmund Stöckels Frau Elise Felicitas geb. Hollaender.

 

Moritz und Siegmund Stöckel prägten mit ihrer Bauherrentätigkeit wesentliche Straßen von Friedenau und Schöneberg. Das ist bislang wenig gewürdigt worden. Es mag daran liegen, dass die Erinnerung an die in Friedenau einst hochgeachtete jüdische Familie Stöckel die Zeit des Nationalsozialismus nicht überdauert hat. Zwei Dutzend Häuser wurden von den Stöckels gebaut. Die meisten davon haben den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. In der Landesdenkmalliste gibt es immerhin einen vagen Hinweis: Fregestraße 7 + 7A, Datierung 1910-1911, Ausführung Wilhelm Tillack (Bauunternehmer), Bauherr M und S. Stöckel (Baubüro). Das vier-, teilweise fünfgeschossige Wohnhaus in der Fregestraße 7-7 A wurde 1910 nach Plänen des Architekten Wilhelm Tillack erbaut. Es ist ein außergewöhnliches Haus mit zwei Eingängen, also ein Doppel-Mietwohnhaus. Es zeigt eine ungemein lebhaft gegliederte, asymmetrische Straßenfassade, in der im unteren Bereich sogar versetzte Geschosse sichtbar werden. Die Eingänge liegen auf verschiedenen Niveaus. Die Fassade wird strukturiert durch zwei unterschiedliche Erker mit seitlichen, offenen Loggien und Balkons; die Erker werden von einem Walm- beziehungsweise einem Turmdach abgeschlossen. In der Fassadenmitte herrscht eine vertikale Gliederung durch schmale, hochrechteckige Fenster vor, die durch Bay-Window-Brüstungen in ihrer Vertikalität betont werden. Die Brüstungen zeigen kleine Medaillons als Schmuck. Ansonsten ist die Fassade glatt verputzt. Im Hochparterre fällt in der Mitte der Fassade ein vorspringender Balkon mit einem Dach auf zierlichen Holzstützen auf. Dadurch werden die verspringenden Niveaus ausgeglichen. Die beiden Hauseingänge öffnen sich in schmale, holzvertäfelte Vestibüle mit Terrazzofußboden. Das Haus Nr. 7 ist ein Ein-, Nr. 7 A ein Zweispänner. Das Doppelhaus zählt zu den Meisterwerken des Reformmietshausbaus in Friedenau.

 

Das andere erhaltene Stöckel-Haus Lauterstraße Nr. 38 Ecke Hähnelstraße Nr. 1 wird nicht erwähnt, obwohl es doch genügend Hinweise gibt, dass Siegmund Stöckel diesen Eckbau gebaut hat. Bleibt die Frage: Entwurf, Ausführung oder Bauherr? Die unzulängliche Recherche des Landesdenkmalamtes Berlin könnte zu einer Fehleinschützung durch die Untere Denkmalschutzbehörde Schöneberg führen. So war es im Herbst 2018 im Fall des Pählchen‘schen Anwesens in der Görresstraße Nr. 21-23 geschehen. Der Bauwert AG war (fast schon) der Abriss freigegeben. Erst nach Protesten der Anwohner wurde der Fall vom Landesdenkmalamt überprüft und das Anwesen im Mai 2019 in Eile zum Denkmal erklärt und damit gerettet.

 

Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde das Baugeschäft von Siegmund Stöckel arisiert, die finanzielle Lage der Familie verschlechterte sich rapide. Siegmund Stöckel wurde wegen seiner Herkunft von den Nazis als polnischer Jude eingestuft und Ende 1938 nach Polen abgeschoben. Er starb am 10. Januar 1939 in Warschau.

 

Die ausführliche Geschichte der Familie Stöckel finden Sie unter dem Menüpunkt Fregestraße:

https://www.friedenau-aktuell.de/stra%C3%9Fen-pl%C3%A4tze/fregestra%C3%9Fe/

 

Lauterstraße 39, 1905. Blick vom Sportpark Friedenau

Lauterstraße Nr. 39

Ecke Bennigsenstraße Nr. 1

 

Von diesem Haus existiert eine Aufnahme von 1905, aufgenommen vom Sportpark Friedenau. Ein viergeschossiges Mietwohnhaus mit Walmdach, Giebel, Türmchen, ein Putzbau, dessen viertes Geschoss mit Holzfachwerk errichtet wurde. Der Grund für dieses doch ziemlich dekorative Element ist im Verhältnis zum üblichen Mauerwerk nur mit dem geringeren Eigengewicht von Holz zu erklären. Waren für diese Bauweise statische Probleme ausschlaggebend? Eigentümer des Hauses – und wohl auch Baumeister – war Ernst Haak, über den die Bauwelt kein Wort verliert. Auffallend ist, dass sein Name immer dort auftaucht, wo Geschäfte zu machren sind, bei der Schöneberg-Friedenauer Terrain-Gesellschaft in der Cranachstraße Nr. 45 (1903) und Nr. 24 (1904), in der Lauterstraße Nr. 39 (1905), in der Taunusstraße Nr. 5, wo das neue Haus des Herrn Architekt Ernst Haak 1905 in andere Hände übergegangen.ist, in der Elsastraße Nr. 3, dass die Architekten Mixius & Förstchen übernahmen (1907), in der Rubensstraße Nr. 19, dass an den Zahnarzt Gehrke verkauft wurde und in dem Haak ab 1908 als Privatier wohnte.

 

 

Bereits 1905 verkaufte Haak Lauterstraße Nr. 39 an den Kaufmann M. Dobert, der alsbald beim Haus- und Grundbesitzerverein darüber klagte, dass er mit dem Vermieten von Wohnungen ziemliche Schwierigkeiten habe, da die Anwohner unter dem Spielplatz zu leiden haben. Von früh bis abends dringt das Schreien und Johlen der Kinder vom Spielplatz in die Wohnungen. So schlimm kann es nicht gewesen sein. 1922 verkauft Dobert das Anwesen an den im Ausland ansässigen Meshandro de Vita. So blieb es bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie es danach mit dem Eigentum weiterging, entzieht sich unserer Kenntnis. Die in den Wirtschaftswunderjahren einsetzende Entdekorisierung blieb dem Haus erspart, da an Stuck kaum etwas vorhanden war. Walmdach, Türmchen und Attika sind verschwunden. Mit den Balkonen, den Kastenfenstern und dem Vorgarten ist ein Stückchen vom idyllischen Friedenau geblieben.

 

Lauterstraße 40 Ecke Bennigsenstraße 27. Foto Hahn & Stich, 2019

Lauterstraße Nr. 40

Ecke Bennigsenstraße Nr. 27

 

Es muß seinen Grund gehabt haben, dass das Stückchen Land in der Lauterstraße zwischen Bennigsenstraße und Bahndamm viele Jahre unbebaut blieb. Die Lauterstraße hieß bis 1875 Grenzstraße und war tatsächlich die Grenze zwischen den Gemarkungen Friedenau und Schöneberg. Der Name Lauterstraße taucht 1878 auf. 1900 wird der Turn- und Spielplatz des Männer-Turn-Vereins Friedenau erwähnt. 1905 waren in der Lauterstraße zwischen Hähnel- und Bennigsenstraße die Neubauten Nr. 38 (Eigentümer Baugeschäft Siegmund Stöckel) und Nr. 39 (Architekt E. Haak) errichtet. 1909 erscheint im Adreßbuch erstmals das Grundstück Lauterstraße Nr 40 als Lagerplatz, gehört zu Bennigsenstraße Nr. 27. Ein Jahr später ist das Eckhaus Lauterstraße Nr 40 und Bennigsenstraße Nr. 27 errichtet und von rund zwei Dutzend Mietparteien bezogen. Eigentümer, Bauherr und wohl auch Architekt war der Dachdeckermeister Rudolf Gutsche.

 

 

113 Jahre später war es für die heutigen Wohnungseigentümer des Eckhauses Lauterstraße Nr. 40 und Bennigsenstraße Nr. 27 ein Schock, als sie erfahren hatten, daß uns die Vorgärten und Zuwegungen nicht gehören. Herausgefunden hat das ein Miteigentümer, der sich eine Anschlußfinanzierung bei der Bank besorgen wollte, die mit Blick auf die Flurkarte unklare Besitzverhältnisse feststellte. Vom Grundbuchamt beim Amtsgericht Schöneberg sind danach tatsächlich voneinander abweichende Flurbezeichnungen bestätigt worden. Unklar bleibt, wann dieser Fehler gemacht wurde.

 

Eine Klärung wird schwierig. Nach dem Tod von Rudolf Gutsche 1915 ging das Anwesen an die Gutsche’schen Erben. 1925 ist als Eigentümer der Kaufmann Elia Behar, Wilmersdorf, Landhausstraße Nr. 38 genannt, dessen Familienangehörige im Jüdischen Adreßbuch von 1931/32 aufgeführt sind, darunter in der Landhausstraße Nr. 38 Uriel Behar und in der Brabanter Straße Nr. 22 Emilie und Nesim Behar. 1935 wird aus dem Unternehmen von Elia Behar die Brabant’sche Grundstücksverwaltung. Ab 1940 heißt es Eigentümer Elia Behar (Pisa), Verwaltung Königstadt AG für Grundstück und Industrie, Behrenstraße 55. Nach dem Ende des NS-Staates folgte die sogenannte Wiedergutmachung. Herausgefunden wurde, dass das Eckgrundstück später neue Besitzer fand. 1998 wurden die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt.

 

Es könnte natürlich sein, dass der Fehler bereits am 5. Juli 1906 gemacht wurde, als die Gemeinde Friedenau den Vertrag mit der Königl. Eisenbahn-Direktion Berlin wegen Bepflanzung der Bahnböschung unterzeichnete: Wir haben zum Abschluß des Turn- und Spielplatzes gegen die Lauterstraße und das Gymnasialgrundstück Grenzzäune auf der Bahnböschung bis zum Grenzzaun der Eisenbahn errichten lassen und beabsichtigen, die Bahnböschung zwischen Handjerystraße und Lauterstraße und einige Meter über letztere hinaus mit Anpflanzungen zu versehen, um den unschönen Anblick des Güterbahnhofs tunlichst zu verdecken. Im Vertrag wurde u. a. vereinbart:

 

§ 1. Die Eisenbahnverwaltung gestattet der Gemeinde Friedenau unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs a) auf der der Eisenbahn-Verwaltung gehörigen, am Güterbahnhof Wilmersdorf–Friedenau zwischen Handjerystraße und Lauterstraße belegenen Böschung des Bahnkörpers Zäune zu errichten. Die Stellung der Zäune ist auf dem angehängten Lageplan durch grüne gerissene Doppellinien gekennzeichnet, b) die zu a bezeichnete und auf dem Lageplan rot angelegte Böschungsfläche mit Bäumen und Sträuchern zu bepflanzen. § 3. Die Unterhaltung der Zäune und der Anpflanzungen ist Sache der Gemeinde Friedenau. § 4. Die Gemeinde Friedenau verpflichtet sich ferner, die im § 1 zu a bezeichneten Zäune nach Auflösung dieses Vertrages sofort und auf ihre Kosten zu beseitigen, widrigenfalls die Eisenbahnverwaltung berechtigt sein soll, die Entfernung der Zäune aut Kosten der Gemeinde Friedenau zu bewirken. Die auf Grund des § 1 zu b gepflanzten Bäume und Sträucher dürfen seitens der Gemeinde Friedenau nicht wieder entfernt werden und gehen nach erfolgter Vertragsauflösung in das Eigentum der Eisenbahnverwaltung über. § 5. Die Gemeinde Friedenau verpflichtet sich, der Eisenbahn-Verwaltung für alle Nachteile, Schäden und Kosten irgendwelcher Art, die aus der Ausübung der eingeräumten Benutzung entstehen können oder mit ihr zusammenhängen, Ersatz zu leisten.

 

Drei Jahre später berichtete der Friedenauer Lokal-Anzeiger am 20. Oktober 1909, dass die nördliche Hälfte des Straßenlandes zur Bennigsenstraße noch nicht an die Gemeinde aufgelassen worden ist. Der jetzige Eigentümer, Herr Dachdeckermeister Gutsche, hat sich mit der Uebereignung einverstanden erklärt. Das Straßenland trägt die Grundbuchzeichnung Band XXVIII Blatt 1301 Parzelle Nr. 2942/50, Größe 398 Quadratmeter. Obersekretär Borck wurde zur Entgegennahme der Auflassung bevollmächtigt.

 

Bei der Auflassung handelt es sich letztlich um eine Einigung zwischen Verkäufer und Käufer über den Übergang des Eigentums. Nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags beim Notar, ist der Verkäufer immer noch der Eigentümer der Immobilie, denn er ist im Grundbuch eingetragen. In der Tat erschien noch im Sommer 1910 folgende Anzeige: Billige Läden mit Wohnung, 3 u. 2 Zimmer Whng. und Bad, Balk. Zubeh. z. 1.10. zu erfragen bei Gutsche, Lauterstr. 40. Zwei Jahre später zog die Familie Gutsche nach Lichterfelde West, Unter den Eichen 54-55, wo Rudolf Gutsche im April 1915 im Alter von 56 Jahren stirbt.

 

Die Angelegenheit ist brisant, da das Wohnghetto Friedenauer Höhe bisher nur über die Zugänge von Haupt- und Handjerystraße zu erreichen ist. Da von einer Untertunnelung der Bahngleise zur Wexstraße und zum S-Bahnhof Innsbrucker Platz als dritter Zugang bisher nichts bekannt ist, rückt die seit langem geplante Verbindung von der Lauterstraße hinauf auf den sieben Meter hohen Bahndamm in den Blickpunkt. Diese braucht Platz, da sie behindertengerecht und obendrein für Kinderwagen, E-Scooter und Radfahrer nutzbar sein soll. Es könnte sein, dass die gegenwärtig heimatlosen Vorgärten und Zuwegungen demnächst Verhandlungsmasse werden.
 

Alte Turnhalle, Lauterstraße 41. Foto Hahn & Stich, 2023

Lauterstraße Nr. 41

Alte Turnhalle

 

Im Adreßbuch von 1900 wird erstmals an der Lauterstraße zwischen Hähnelstraße und Ringbahn der Turn- und Spielplatz des Männer-Turn-Vereins Friedenau erwähnt, der auf dem unbebauten Gelände die Freifläche für Turnen und Spiele nutzen konnte. Mit dem Bau des Gymnasiums am Maybachplatz entstand an der Nordwestecke des Geländes an der Handjerystraße eine Turnhalle, die sich in den äußeren Architekturformen dem Hauptgebäude anschloss, und besonders große Abmessungen erhalten hatte. Sie ist 25 m lang und 13 m breit; die in den Dachstuhl hineinreichende gebrochene Decke schafft eine ansprechende Raumwirkung Eine große Galerie mit Zugang unmittelbar von der Straße ist für die Zuschauer beim Schauturnen des die Turnhalle mit benutzenden Friedenauer Turnvereins vorgesehen.

 

 

Die Bauausführung wurde im Frühjahr 1901 begonnen. Die Einweihung erfolgte im März 1904. Am 25. Juli 1948 war die Turnhalle eine Ruine. Vor dem Haus Handjerystraße Nr. 2 stürzten die US-amerikanischen Piloten Robert W. Stuber und Charles H. King mit ihrer Douglas C-47 Skytrain ab und starben.

 

Erst 1960 entstand auf dem bisher noch unbebauten Schulgelände unmittelbar an der nördlichen Grenze des Perelsplatzes an der Lauterstraße eine neue Turnhalle, die tagsüber von der Schule und abends vom Friedenauer TSC 1886 genutzt wurde. Der Bau besteht aus zwei miteinander verschachtelten Teilen. Im verklinkerten Flachbau sind Umkleidekabinen, Duschen und Toiletten untergebracht. Die eigentliche Turnhalle mit Parkettboden beindet sich in einem zweigeschossigen Hochbau, dessen Außenwände mit Glasbausteinen gemauert wurden, so dass ausreichend Tageslicht geischert ist.

 

2011 wurde auf dem Schulgelände entlang des Bahndamms eine Mehrzweckhalle mit Mensa und Freizeiträumen im Erdgeschoss und eine Turnhalle im Obergeschoss gebaut, die tagsüber für den Schulsport und abends vom Friedenauer TSC 1886 genutzt wird. Ziemlich viel Streit gab es in den vergangenen Jahren zwischen Schule, Bezirksstadtrat für Bildung und Sport, TSC Friedenau und Verein SC Kiezmove (Sport für Kids) – über Nutzung und Trainingszeiten des Sportplatzes. Das ging soweit, dass der TSC den Kids die Tore abräumte.

 

Als 2019 bekannt wurde, dass auf diesem Freizeitsportplatz eine Wettkampfsporthalle mit einer Spielfeldfläche von 22x45m nebst Tribüne für 60 Zuschauer gebaut werden soll, auch mitgeteilt wurde, dass die Alte Sporthalle nicht saniert werden kann und nach Fertigstellung der Wettkampfsporthalle abgerissen werden soll, formierte sich eine Bürgerinitiative: Friedenau ist der dichtbesiedelste Ortsteil Berlins: Mit dem Bau von 1500 Wohnungen auf der Friedenauer Höhe wird weiter zugebaut. Das Klimakonzept der Friedenauer Höhe ging von einer unbebauten Sportplatzfläche zur Belüftung des Neubaugebiets aus. Bei der Planung der Friedenauer Höhe wurde keine Sporthalle vorgesehen.

 

Am 27. Januar 2023 wurde bekannt, dass das Ausschreibungsverfahren der Senatsbauverwaltung für neue standardisierte Typensporthallen (Modell TSH 60) von der Vergabekammer des Landes gestoppt worden ist, darunter die zweigeschossige Wettkampfsporthalle am Perelsplatz. Der Bezirksstadtrat wies darauf hin, dass die Schule nun auf nicht absehbare Zeit ohne eine neue Halle auskommen muss. Auswirkungen sieht er auch für den Vereinssport – und läßt damit die Katze aus dem Sack. Die Friedrich-Bergius-Schule hat seit 2011 eine moderne und funktionstüchtige Mehrzweckhalle.

 

Jetzt, wo die Karten neu gemischt werden, sollte das (wahrscheinlich von der Politik zwischenzeitlich zum Schweigen gebrachte) Landesdenkmalamt prüfen, ob die Turnhalle aus dem Jahr 1960 mit Freizeitsportplatz, Weitprunganlage, 100-Meter-Laufbahn und Volleyballplatz nicht doch unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. Diverse Baumerkmale weisen daraufhin.