Name seit dem 22. Oktober 1875. Mit dem Friede von Frankfurt wurden Elsass und Lothringen 1871 Deutschland angegliedert. Friedenau würdigte das Ereignis mit der Umbenennung der bisherigen Querstraße III in Niedstraße, benannt nach dem grenzüberschreitenden Fluss Nied zwischen Lothringen und dem Saarland.. Die Niedstraße verläuft von der Hauptstraße Ecke Breslauer Platz bis zum Friedrich-Wilhelm-Platz (Nr. 1-22) und zurück von Nr. 23-41.

 

 

Niedstraße Nr. 1-2

Rathaus Friedenau

 

Über die Geschichte des Rathauses von Friedenau konnten wir viel Material zusammentragen. Es schien uns wegen der Übersichtlichkeit angemessen, unter Niedstraße Nr. 1-2 fünf Aufnahmen vom Rathaus Friedenau zu stellen, die die Entwicklung von 1917 bis 2020 dokumentieren. Unter Exkurs Rathaus finden Sie einen ausführlichen Beitrag mit Dokumenten, Entwürfen und Fotos.

 

Niedstraße 4. Aufnahme von 1996. Topographie Friedenau

Niedstraße Nr. 4

Baudenkmal Mietshaus

1899

Entwurf Architekt R. Lange

Bauherr Hans Löbner

 

Das viergeschossige, siebenachsige Mietswohnhaus wurde 1899 nach Plänen des Architekten R. Lange erbaut. In jedem Geschoss befindet sich nur eine geräumige 7-Zimmer-Wohnung. Das Souterrain ist in Sichtziegelmauerwerk ausgeführt, darüber ist die Fassade verputzt. In ihrer Mitte ist ein zweiachsiger Erker angeordnet, der über dem Hochparterre auf Drachenkonsolen auskragt. Der Erker wird von einem Quergiebel mit Krüppelwalm bekrönt. Westlich weist die Fassade tiefe Loggien auf, östlich über dem Hauseingang jeweils zwei Fenster. Die Fassade zeigt eine originelle Dekoration: Zwischen den beiden Erkerfenstern im zweiten Obergeschoss ist die Halbfigur eines Mönchs in Kutte und Kapuze dargestellt, der ehemals einen Trinkbecher in die Höhe streckte. Die Bauplastik stammt von Hermann Noack. Das Dach wird von zwei Schleppgauben beiderseits des Quergiebels belebt.

Topographie Friedenau, 2000

Radiofrequenz GmbH, Niedstraße 5, 1923. Quelle Radio-Museum

Niedstraße Nr. 5

 

Auf dem Grundstück Niedstraße Nr. 5 stand seit 1880 ein eingeschossiges Landhaus, dass sich Colmar Freiherr von der Goltz (1843-1916) hatte errichten lassen, nachdem er als Lehrer für Kriegsgeschichte an die preußische Kriegsakademie berufen wurde. Da Goltz 1883 vom Kaiser nach Istanbul beordert wurde, um dort die Reorganisation der Osmanischen Armee voranzutreiben, wo er auch am Völkermord an den Armeniern beteiligt war, verkaufte er das Anwesen an den Geheimen Sekretär Pfuhle.

 

1893 entstand im Hinterhof die Marmorwerkstatt Banelli & Co. 1899 ist die Firma H. Denecke & Co. und als deren Inhaber der Techniker Hermann Denecke eingetragen. Denecke betreibt eine Fabrik für Bierdruck-Apparate und Kühlanlagen für Fleisch-, Bier- und Weinschranke. Zwischenzeitlich gibt es auch die Firma Kopania & Co mit Gelegenheitskäufen und Möbelspeicher sowie die Friedenauer Gepäckfahrt Kopania & Co.

 

1923 pachten die Brüder Siegmund und David Loewe das Landhaus – schon eingerahmt von den Brandmauern der vierstöckigen Mietshäuser Nr. 4 und Nr. 6. Am 22. Januar gründen sie die Radiofrequenz GmbH – die Geburt von Loewe Opta. 1930 wird daraus die Radioaktiengesellschaft D.S. Loewe mit Sitz in Steglitz. Das Grundstück bleibt im Besitz der Familie Denecke. Verpachtet wird zwischendurch an die Reparaturwerkstatt Dietzmann, die zur Opel Automobil Verkaufs GmbH umgewandelt wird.

 

Niedstraße 5. Foto Hahn & Stich, 2015

Niedstraße Nr. 5

Elfriede Mechnig & Erich Kästner

 

Heinrich Denecke lässt das Landhaus abreißen und sich 1934/35 vom Archiekten Hermann Mohr ein fünfgeschossiges Mietswohnhaus errichten. Die Topographie Friedenau merkt im Jahr 2000 an: Außergewöhnlich an diesem Haus ist - neben der Tiefgarage - vor allem die Grundrisslösung: Die vier Wohnungen pro Geschoss im Vorderhaus und in den kurzen Seitenflügeln werden durch zwei separate Treppenhäuser erschlossen; die eine Treppe erschließt die beiden Wohnungen in der Westhälfte des Hauses (im Vorderhaus und im kurzen Seitenflügel), die andere die beiden Wohnungen in der Osthälfte. Der Architekt versuchte, in seinem Grundriss das Konzept des Berliner Mietshauses mit Vorderhaus und Seitenflügeln durch zwei Treppen anstelle des ‚Berliner Zimmers‘ neu zu lösen. Das Wohnhaus zeigt über dem Rustika-Sockelgeschoss eine schlichte, wirkungsvolle Fassade. Seitlich befinden sich tiefe Loggien mit leicht vorspringenden gerundeten Brüstungen und zwischen ihnen drei breite, dreiflügelige Fenster pro Geschoss, die bündig in die Fassade eingefügt sind. Die Öffnungen - Loggien und Fenster - sind alle gleich groß. Die Fassade zeigt die Eleganz der Neuen Sachlichkeit. 1939 wohnten in diesem Haus 19 Parteien, darunter der Städtische Oberinspektor Arthur Mechnig. Bevor er einzog, lebte er seit 1926 mit Ehefrau Bianka und Tochter Elfriede in der Sponholzstraße Nr. 26. Im Jahr 1943 übernahm Elfriede Mechnig (1901-1986) die Wohnung – die Sekretärin von Erich Kästner (1899-1974). Das Bewerbungsgespräch fand 1928 auf der Terrasse des Café Carlton in der Nürnberger Straße statt und begann mit Kästners Frage, ob sie ihm helfen wolle, berühmt zu werden. Mit einem überzeugten JA wurde Elfriede Mechnig sein ‚Compagnon‘, jene ‚& Co‘, die später oft in seinen Briefen auftaucht, wenn es darum geht, sich verlassen zu können.

 

Am 1. Oktober 1928 nahm sie den Dienst auf. Die treue Mechnig, wie Kästner sie nannte, blieb an seiner Seite, zuerst als Sekretärin, später als Leiterin seines Vertriebsbüros. Sie tippte das Manuskript zu Emil und die Detektive, hielt den Kontakt zu Walter Trier (1890-1951), der mit seinen Illustrationen viel zu Kästners Erfolg als Kinderbuchautor beitrug. Von da an schrieb sie seine sämtlichen Werke auf der Maschine. Auch wenn ihr Herz und ihre Seele eigentlich am Klavierspiel hingen und nicht beim Tippen. Er war 45 Jahre lang ihr Chef und sie half ihm, in der wahren Bedeutung des Wortes, berühmt zu werden. Ihr Gehalt regelte sich im Verlauf der Zusammenarbeit, anfangs 150 Reichsmark für Halbtagsarbeit, später erheblich mehr. Kästner richtete bald, neben seinen Verlagsverbindungen, mit Unterstützung seiner Sekretärin ein eigenes Vertriebsbüro für die gemeinsame deutsche, österreichische und schweizer Presse ein, an die Elfriede regelmäßig Gedichte und andere Arbeiten versandte. Mit ihrer Stellung bei Herrn Dr. phil. Kästner war Elfriede Mechnig vollauf beschäftigt.

 

Als Elfriede Mechnig am 22. August 1986 starb, oblag es dem Verleger Helwig Hassenpflug, sich der Dinge anzunehmen, die sie in ihrem 50 Jahre lang benutzten Arbeitszimmer angesammelt hatte. Was ihr gehörte, sollte an die Akademie der Künste gehen. So weit, so gut. Ich konnte also all die Korrespondenz mit den Literaten außer Kästner an die Akademie geben, habe sicher auch in ihrem Sinne gehandelt, als ich auch die Bibliothek mit zahlreichen ihr gewidmeten Erstausgaben der betreuten Schriftsteller einbezog. Am Hauseingang das Klingelschild DR. KÄSTNER/MECHNIG. Elfriede Mechnig betrieb eine Art Agentur, in der sie nicht nur die Abdruck- und Aufführungsrechte der Werke ihres ‚Meisters‘ vertrat, sondern auch noch die anderer Schriftsteller.

 

Wenn es um Kästner ging, ließ sie jedermann und alles stehen und liegen und folgte der Stimme, dem Wunsche ihres Herrn. Mich hat diese Verbundenheit, dieser Einsatz, ja diese Hingabe an das Werk (sie hat immer wieder geschworen, dass es nur das Werk gewesen sei) sehr beeindruckt. Eigentlich gab es für sie nur erst einmal EK, dann kam wieder EK, dann folgte EK und dann gab es noch die Oper, die PhiIharmonie, den Flügel in der Wohnstube, Reisen vor allem an das Meer, und einige enge und für sie wichtige Freunde, die für sie da waren und sich um sie kümmerten bis hin zu ihrem schweren Ende ... Da war nämlich ein Problem ihrer Versorgung zurückgeblieben. Helwig Hassenpflug führte mit dem gerade neu bestellten Testamentsvollstrecker in München lange und mühevolle Verhandlungen um eine kleine Rente für Elfriede Mechnig. Der Preis war für sie unvorstellbar hoch: Sie sollte sich von einem Teil von Erich Kästner trennen, nämlich die Agenturtätigkeit, also die Verwaltung der ‚kleinen Rechte‘ an den Werken Kästners einstellen. Und einige der Unterlagen zu Kästner sollte sie schon jetzt nach München geben, andere sollten ihr zwar lebenslang bleiben, dann aber auch nach München gehen. In langen Gesprächen machte ich den unglaublich schweren Versuch, ihr klarzumachen, dass die Kästner-Unterlagen doch nicht ihr Privateigentum seien. Schließlich ergab sie sich in die Situation, hat es aber wohl nie so recht verwunden ...

 

Es gab ja eben auch noch etwas von Kästner. Der Ordner mit der Korrespondenz mit ihm wurde ausgesondert, mancherlei Offensichtlichkeiten ebenso. Diese Arbeiten haben mich im Herbst des vergangenen Jahres manchen Abend und einige Wochenenden in der leeren Wohnung in Anspruch genommen. Dann aber ging es daran, die Ecken zu untersuchen, die Kartons auf dem Schrank, im Schrank, unter den Tischen, die Stapel auf dem Sofa, auf den unbenutzten Stühlen, auf der Heizung, auf dem Fensterbrett, den Inhalt des verschlossenen Schreibtisches – vielleicht habe ich einen Platz vergessen. Es war wohl das dritte Wochenende, das ich dort zu brachte. Ich fand in Rama-Kartons Papiervorräte, Kohlepapier für eine Ewigkeit, Zeitungsausschnitte in großen Mengen, ein ganzes Leben an Erinnerungen. In einem Persil-Karton aus den fünfziger Jahren lag zwischen den Theaterprogrammen, zwischen vielen der Zettelchen mit Notizen zu allem und jedem, ein Kästchen, abgegriffen, unansehnlich. Ich vermutete Briefe darin. Bei näherem Hinsehen entdeckte ich Kästners mir nun wohlbekannte Handschrift – seiner VERSCHWUNDENEN MINIATUR. Ich  fand nacheinander noch die Handschriften der ersten Fassung des DOPPELTEN LOTTCHEN, in einer Schublade voller Kram einen alten, grünen, billigen Briefumschlag mit ihrer Handschrift EMIL IM STENOGRAMM. Schließlich aber hielt ich diesen Karton in den Händen, die Handschrift von EMIL UND DIE DETEKTIVE ...

 

Der Euphorie folgte dann eine Phase des Nachdenkens, des Verhandelns, der Klärung. Der Beratung. Ich hatte das Problem zu lösen, auf diese Weise in den treuhänderischen Besitz unschätzbarer Werte gelangt zu sein, deren Eigentums- und Besitzerrechte gar nicht einfach zu klären waren. Wenn Frau Mechnig als die Sekretärin von EK etwas in Besitz hatte: Verwahrte sie es für ihn oder gehörte es ihr? Zudem waren alle Manuskripte mit einem Widmungsblatt versehen, das zeigte, dass er sie jeweils seinem ‚Muttchen‘ geschenkt hatte. Hier bei EMIL heißt es etwa: ‚Für meine Mutter, Weihnachten 1929, von ihrem Jungen.‘ Und ich wusste, dass EM nach dem Tode der Mutter, Ida Kästner, für den Sohn den Haushalt in Dresden aufgelöst und bei dieser Gelegenheit diese Autographen wieder zurückgeholt hatte. Aus den Verhandlungen mit dem Vertreter des Nachlasses EK ergab sich dann ein Kompromiss. Ich konnte nicht nachweisen, dass die Handschriften Frau Mechnig zu persönlichem Eigentum gehörten, ich musste davon ausgehen, dass sie sie in ihrer Eigenschaft als Sekretärin von EK nur für Kästner verwahrt hatte. Dennoch war ja auch darin ein Schuss Unsicherheit, so dass ich mit dem Testamentsvollstrecker schließlich dahin übereinkam, dass das Berlinischste der Bücher in Berlin bleiben sollte, die Handschrift von EMIL UND DIE DETEKTIVE.

 

Helwig Hassenpflug hat uns das Dokument aus dem Archiv von Elfriede Mechnig zur Verfügung gestellt. Wir danken ihm  – und Elfriede Mechnig.

 

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Max Halbe, 1900

Niedstraße Nr. 10

Max Halbe (1865-1944)

 

Als am 23. April 1893 mein Liebesdrama ‚Jugend‘ zum erstenmal über die Bretter des Theaters in der Berliner Blumenstraße in der Stralauer Vorstadt ging, hätte mir der Himmel wohl voller Geigen hängen können. Der Erfolg des Stückes – umso schlagender je überraschender er für alle Welt kam – ließ füglich keine Umdeutungen oder Falschmeldungen durch Übelgesinnte zu. Jetzt stand ich als Träger eines unbestrittenen Sieges im Licht der breitesten Öffentlichkeit. An diesem Tag wurde Max Halbe zum wichtigen Exponenten des deutschen Naturalismus erhoben.

 

Vergessen waren die schwersten Fehlschläge und schlimmsten Enttäuschungen, wo er mit Fug und Recht sagen konnte, dass ‚Jugend‘ eines der abgelehntesten Stücke aller Zeiten gewesen ist, dem einst bescheinigt wurde, dass ein Bühnenerfolg nahezu ausgeschlossen sei. Jugend wurde neben Hauptmanns Weber zum erfolgreichsten naturalistischen Drama. Bereits 1922 wird sein Drama Vorlage für den Stummfilm Der Strom mit Eduard von Winterstein, Hermann Thimig und Rosa Valetti. 1938 präsentiert Regisseur Veit Harlan im Gloria-Palast am Kurfürstendamm eine Version mit Kristina Söderbaum, Eugen Klöpfer, Werner Hinz, Elisabeth Flickenschildt und 1942 gab es unter dem Titel Der Sturm die dritte Verfilmung mit Friedrich Kayßler, Paul Bildt, Wilhelm Borchert und Hans Söhnker. Keines seiner weiteren Stücke konnte allerdings an die Wirkung von Jugend anschließen.

 

 

 

 

Max Halbe, der in Berlin nie heimisch wurde, zwischen 1885 und 1895, meist unangemeldet als Untermieter lebte, Rosenthaler Straße, Brunnenstraße und Lützowstraße, trug sich, nachdem er 1888 zum Dr. phil. promoviert worden war, mit dem Plan, meine bisherige freie Verbindung mit Luise Heck (1867-1957) auch äußerlich zu einer rechtsgültigen und dauernden zu machen. Nach der Hochzeit im Standesamt Genthiner Straße 1890 zog das Paar in das Erdgeschoss im Hinterhaus Kulmer Straße Nr. 30 mit Ausblick auf einen kleinen Hof mit Pferdestall und die Geleise der Potsdamer Bahn dahinter, auf denen fast ununterbrochen Züge dahinrollten. Dann folgte eine hübsche zweizimmrige Mansardenwohnung, also diesmal hoch oben und mit prächtiger Aussicht über die Dächerwelt die Handjerystraße Nr. 86 und schließlich die Niedstraße Nr. 10.

 

Dort hatte ich im Januar 1892 hatte einen Besuch von Wilhelm Arent, dem Herausgeber der Zeitschrift Moderne Dichtercharaktere, der mich aufforderte, für den bevorstehenden hundertjährigen Todestag von Jakob Michael Reinhold Lenz einen größeren Aufsatz zu schreiben. Von diesem geradezu leidenschaftlichen Trieb in stärkster Weise durchdrungen, saß ich in meinem Arbeitszimmer zu Friedenau am Schreibtisch. Ein allererstes Vorfrühlingsahnen lag in der Luft. Der dramatische Entwurf war in Kürze da. Zum ersten Akt brauchte ich vier Wochen, zum zweiten Akt waren acht Tage, zum dritten Akt gar nur drei Tage nötig – angefüllt mit ausführlichen Regieanweisungen zu Personen, Kleidung, Gefühle, Bewegungen, Umgebung, Witterung und Milieu. Die Geburtsstunde von Jugend, einem Liebesdrama in drei Aufzügen.

 

In das Atelier von Walter Leistikow in der Lützowstraße lud ich ein paar von meinen Freunden zur Vorlesung meines Dramas ein. Der Kritiker und Bühnendichter Oscar Blumenthal (1852-1917) gab mir das Werk zurück mit einem handschriftlichen Begleitbrief, worin unter anderem zu lesen stand, daß ein Bühnenerfolg nahezu ausgeschlossen sei.

 

Durch Mittelsmänner gelangte Jugend in das Residenztheater. Ende Januar 1893  erhielt ich einen Brief, worin mir in kurzen Worten mitgeteilt wurde, daß mein Stück gelesen und zur Aufführung angenommen worden sei. Über das Wann und Wie werde mir noch Bescheid gegeben werden. Ich glaube mich zu entsinnen, daß ich im Februar und März 1893 ein halbes dutzendmal von Friedenau nach dem Residenztheater im Berliner Osten gepilgert bin, ohne einen Schritt weiterzukommen. Eines Tages las ich in den Berliner Zeitungen eine Notiz: Meine Premiere sei für Sonntagmittag angesetzt. Proben von Jugend hätten schon stattgefunden, die letzten Proben würden Freitag und Sonnabend sein. Am Donnerstagnachmittag erwarte man mich zur Probe im Residenztheater.

 

Auf der Generalprobe stellte sich heraus, daß der Regisseur sich im Tempo, besonders der Aktschlüsse, vergriffen, alles etwas zu schwer, zu langsam genommen hatte. Es fehlte das Brio, die Verve, der fortreißende Schwung. Hier griff der Direktor ein. Er warf mit wenigen Andeutungen die beiden ersten Aktschlüsse um, formte sie regiemäßig neu, brachte Tempo und Leidenschaft hinein und erwies sich als überragender Theaterstratege. Denn was eben noch flau und matt gewirkt, hatte plötzlich Blut und Farbe gewonnen, erklang mit der hinreißenden Musik der Leidenschaft. Der Sonntag war da. Um zwölf Uhr sollte die Vorstellung beginnen. Als wir ins Residenztheater kamen, sah ich mit Erstaunen ein zahlreiches Publikum hineinströmen. Das ganze literarische Berlin war versammelt. Die ersten Kritiker der Tageszeitungen waren da, darunter Paul Schlenther (Vossische Zeitung), Otto Brahm (Freie Bühne), Isidor Landau (Berliner Börsen-Courier), Otto Neumann-Hofer (Berliner Tageblatt).

 

1895 übersiedelt Halbe nach München, gründet das Intime Theater für dramatische Experimente und erwirbt ein Gut im oberbayerischen Neuötting. Nach dem Ersten Weltkrieg nimmt das Interesse an Max Halbes Werken ab. Da immer weniger Tantiemen eingehen, verkauft er schließlich das Gemälde Frühstück in Max Halbes Garten (1899) seines Freundes Lovis Corinth. Seine beiden letzten Schauspiele erscheinen in Schreibmaschinenschrift nur noch als unverkäufliche Bühnenmanuskripte beim Verlag Deutscher Bühnenschriftsteller.

 

1933 erscheint seine Autobiographie Geschichte meines Lebens – ein bemerkenswerter Bericht über die politische, wirtschaftliche und soziale Situation im späten 19. Jahrhundert und das literarische Geschehen jener Zeit. Max Halbe beschreibt den in Vergessenheit geratenen Friedrichshagener Dichterkreis um Richard Dehmel und Erich Mühsam, in den kurzzeitig auch August Strindberg eindringt, ein damals noch mehr Schrecken als Bewunderung erregendes nordisches Meteor, um den sich in der allem Neueren und Neuesten heftig zugetanen Stadt bereits eine Strindberg-Gemeinde gebildet hatte, die mit echt jüngerhafter Unduldsamkeit nichts als Strindberg kannte, keine andern Götter neben ihm duldete. In den esoterischen Tees des damaligen alten Berliner Westens traten Parteien an, die sich unter dem Schlachtruf ‚Hie Ibsen – hie Strindberg!‘ aufs heftigste bekämpften. Es war ja erst wenige Jahre, daß Ibsen sich in Deutschland, auch in Berlin, durchgesetzt hatte. Ibsen und Strindberg. Der Symbolist und der Naturalist. Der Kritiker und Analytiker der Gesellschaftsseele und der Bekenner der Ich-Seele. Welche weltweiten Gegensätze! Ließe sich nicht fast alles, was hier von dem einen ausgesagt ist, in vielleicht paradoxer und doch begreiflicher Antithese auch von dem andern aussagen und umgekehrt?

 

Zum Friedrichshagener Dichterkreis gehörte auch John Henry Mackay (1864-1933). Die Lebenstragödie dieses vornehmen und bedeutenden Menschen hatte damals, wenigstens im äußerlichen Sinne, noch nicht begonnen. In seinem inneren Wesen war freilich schon alles auf die tragische Grundstimmung und den düstern Ablauf vorbereitet und angelegt. Für jedermann bedeutet es ja einen tragischen Bruch in seinem Leben, wenn er seiner eigensten Natur untreu wird und ein fremdes Gesetz in sich aufnimmt, dem er dann folgt. Aber die meisten Menschen kommen über solche geheimen Brüche und Sprünge im seelischen Räderwerk hinweg, ohne besonderen Schaden zu nehmen. Das Leben ist für sie nicht viel mehr als eine gröbliche Farce, als ein sehr handgreifliches Possenspiel, mit dessen Püffen und Stößen sie sich abfinden wie der dumme August mit den seinigen. Eine Tragödie wird erst daraus, wenn es dem vornehmen, dem feinnervigen, dem zartbesaiteten Menschen widerfährt. Dies war der Fall John Henry Mackays, der sich seiner homosexuell-päderastischen Neigung bewusst wurde. Er ist, wenn ich sein Schicksal richtig deute, an der Aufnahme eines ihm gänzlich wesensfremden Elements gescheitert. Der deutschschottische Dichter und Kavalier (denn er war es), von dessen Harfe in jungen Tagen Klänge einer geheimnisvoll ergreifenden Schwermut und einziger sprachlicher Schönheit ertönten. Zu jener Zeit freilich, von der ich hier berichte, lag das alles noch im Schoß einer näheren oder ferneren Zukunft. Mackay kam öfters von Berlin nach Friedrichshagen und zeigte sich in der gemeinsamen Runde, wenn ihn die Laune anwandelte, von der fidelsten Seite. Er hatte genug, um ohne Sorgen leben und sich seiner dichterischen und auch manchen andern Passionen widmen zu können. In Mackays Behausung in der Charlottenburger Berliner Straße 166, bei einer seiner kleinen, feierlichen Schmausereien und Trinkereien, hatte ich damals einen jungen Musiker kennengelernt, der eben von München gekommen war und einige von Mackays Liedern in Töne gesetzt hatte. Sie wurden an jenem Abend gesungen, die vier Lieder für hohe Singstimme und Klavier op. 27, 3,4, darunter Heimliche Aufforderung und Morgen. Ihr Wohllaut schmeichelte den Sinnen und griff in die Seele. Der junge Musikus hieß Richard Strauß. Der Dichter, in Bitternis und Elend gestorben, ein Beiseitegeschobener, Übergangener, Unzeitgemäßer ruht in irgendeinem Winkel irgendeines Berliner Friedhofs, und wenige kennen noch seinen Namen, geschweige sein Werk. So verschieden sind uns Sterblichen die Lose hiernieden zugeteilt.

 

Das Grab von John Henry Mackay existiert noch immer und befindet sich auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof in Stahnsdorf (Abteilung E III - UW 12).

 

Niedstraße 13. Aufnahme 1999. Topographier Friedenau

Niedstraße Nr. 13

Hans Bohrdt (1856-1945)

 

Die bisher publizierten Angaben zur Niedstraße Nr. 13 brauchen eine Korrektur. Das Haus wurde 1882 nach einem Entwurf von Baumeister Max Nagel für den Bauherrn Kupferstecher Otto Grunert errichtet – ein zweigeschossiges, dreiachsiges Landhaus aus weißgrauen Ziegeln mit roten Ziegelbändern und Ziegelornamenten. Die malerische Wirkung des Landhauses wird noch verstärkt durch die Rundbogen- und Segmentbogenfenster, die Terrasse vor dem Altbau sowie das steile Krüppelwalmdach des Altbaus mit Schleppgauben. Der Vorgarten wird von einem original erhaltenen Maschendrahtzaun eingefriedet (Topographie Friedenau, 2000).

 

1891 ging es in den Besitz von Dr. phil. Gustav van Muyden (1837-1893), Bibliothekar des Kgl. Patentamts, der seit 1883 Eigentümer des Hauses Niedstraße Nr. 10 war. Nach dem Tod ihres Ehemannes meldete der Friedenauer Lokal-Anzeiger am 13. Juli 1895, dass das Grundstück der (verwitweten) Frau Dr. van Muyden in der Niedstraße für den Preis von 33.000 M. an einen Maler gegangen ist. Das war der Marinemaler Hans Bohrdt (1856-1945), dem am 16. Mai 1896 von Se. Majestät der Kronenorden 4. Klasse verliehen wurde.

 

Am 7. März 1899 erschien im Friedenauer Lokal-Anzeiger eine Annonce: Suche wegen Umbau meines Hauses eine Wohnung — Pt. oder I. Et. mindestens 4 Zimmer — auf 6 Monate zu miethen. Professor H. Bohrdt, Niedstr. 13. Mit dem Entwurf für einen zweigeschossigen und zurückgesetzten Anbau wurde der Architekt Otto Hoffmann betraut. In diesem Teil befand sich das Bohrdtsche Atelier.

 

 

 

Mit unzähligen Illustrationen für Bücher, Zeitungen, Magazine, Postkarten und Plakaten hatte er das Flottenbauprogramm von Kaiser Wilhelm II. populär gemacht. Zum Dank erhielt Bohrdt eine Einladung als Badegast, wie Wilhelm die zu seinen Nordlandreisen geladenen Landratten nannte, für die Hohenzollern. Am 7. Juli 1901 ging es in Swinemünde los. An Bord der Vertraute des Kaisers Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertefeld (1847-1921), der die Eindrücke dieser Reise in einem Tagebuch zu verewigen hatte, und erst lange danach 1931 unter dem Titel Mit dem Kaiser als Staatsmann und Freund auf Nordlandreisen veröffentlicht wurden.

 

Auf dem Schiff herrschte größte Albernheit. Generalintendant Georg von Hülsen inszenierte Graf Görtz als dressierten Pudel, langer Behang aus schwarzer oder weißer Wolle, hinten unter dem echten Pudelschwanz eine markierte Darmöffnung und, sobald Sie ‚schön machen’, vorne ein Feigenblatt. Denken Sie wie herrlich, wenn Sie bellen oder zur Musik heulen. Beim höchst dramatisch akzentuierten Pas d’action glitt Görtz allerdings unglücklich aus und landete mit Donnergepolter unter dem Tisch. Wilhelm liebte diese kindlichen Spiele in männlicher Gesellschaft. Bei den Freiübungen gab er den betagten Militärs mit Rippenstößen Nachhilfe, beim Turnen schnitt er dem General die Hosenträger durch und die Skatrunde der Exzellenzen trieb er mit Schüssen aus der Wasserpistole auseinander. Nach dem Spektakel jagte er die Herren schreiend und lachend durch die Gänge in ihre Betten.

 

Eulenburg konnte des Kaisers Vorlieben für Marine und Natur nur bis zu einem gewissen Grade nachvollziehen. Bei Dünung wurde ihm so matt und übel, daß er sich in der Kabine pflegen ließ. Windstärke 7 bis 8 liebte er auch nicht. Gehirnleere und Mattigkeit treten auf und umschleiern den Begriff Vergnügungsreise mit melancholischen Bildern.

 

Auf der Fahrt durch den Geirangerfjord notierte er am 22. Juli 1901: Beim Frühstück wendete sich die Unterhaltung dem Orient entgegen. Maler Bohrdt, der sich stets gerne in die Nähe den Kaiser setzt und über alles redet, tat so viel Fragen über den Orient, dass diese Unterhaltung zwei Stunden währte. Die Erzählungen und Bemerkungen des Kaisers waren immer interessant. Aber Bohrdts Fragen trugen einen anderen Charakter. Wenn jemand sich auf ein Gebiet wagt, das er nicht kennt, und macht eine verunglückte Bemerkung, so zieht er sich klug zurück. Von dieser Taktik scheint Bohrdt nicht viel zu halten. Dafür machte er aber, als wir das göttliche Felseneiland Hornelen passierten, mit einer an Wunder grenzenden Geschwindigkeit eine großartige Skizze davon.

 

 

Hans Bohrdt, Der letzte Mann, 1915

Hans Bohrdt hatte in Kaiser Wilhelm II. seinen größten Förderer. Das zahlte sich aus. 1906 verließ er das Landhaus in der Niedstraße Nr. 13 und zog in die Villa in der Altensteinstraße 15 in Dahlem. Es kamen der Erste Weltkrieg und das Seegefecht zwischen dem deutschen Ostasiengeschwader und der britischen Royal Navy am 8. Dezember 1914 bei den Falklandinseln. Nach fünf Stunden war die Niederlage besiegelt: Die Kreuzer Scharnhorst, Gneisenau, Leipzig und Nürnberg waren versenkt, von der 2.200 Mann starken Besatzung fanden 1.985 den Tod.

 

Hans Bohrdt, der ganz sicher nicht an Bord eines der Kriegsschiffe war, nahm das „Ereignis“ als Motiv für eines der bekanntesten Propagandabilder des Ersten Weltkrieges. Im seinem Dahlemer Atelier entstand 1915 Der letzte Mann: Es zeigt einen die deutsche Fahne schwenkenden Matrosen, der, obwohl sein Schiff schon sank, es vorzog, mit der Fahne in der Hand unterzugehen. Bohrdt hatte ihn öffentlich als Besatzungsmitglied des Kreuzers Leipzig ausgegeben.

 

Der Marine war dies nicht geheuer, zumal im Admiralstabswerk nachzulesen war, dass die Leipzig mit Schlagseite rasch nach Backbord vorne über den Bug sank, so dass die Steuerbordschraube hoch aus dem Wasser kam. Somit hätte hier dem letzten Mann die notwendige Standfläche gefehlt. Es wird eingeräumt, dass Bohrdt diese Szene nicht zutreffend wiedergegeben habe; sie müsse der Nürnberg zugeschrieben werden. Als 1933 nachgefragt wurde, wie denn der Matrose auf dem Kiel der sinkenden Leipzig geheißen habe, musste die Marineleitung am 26. April 1934 mitteilen: Der Vorgang konnte auch jetzt nicht restlos geklärt werden.

 

Günter Grass. Foto Dietmar Bührer

Niedstraße Nr. 13

Günter Grass (1927-2015)

 

Bohrdt verkaufte das Haus, zuerst 1908 an Direktor Rehbein. 1915 ging es an den Theaterdirektor Carl Weiß (1850-1911), der 1898 das Ostend-Theater in der Großen Frankfurter Straße in Friedrichshain eröffnete, aus dem 1906 das Rose-Theater wurde. Von 1936 bis 1962 werden als Eigentümer Heinrich und Franz Stadtmüller genannt. 1963 fand Nachbar Uwe Johnson aus Nr. 14 in der Zeitung ein Inserat.

 

Wir rissen es aus und banden es auf dem Flugplatz einem Ankömmling an, der manchmal aussieht wie ein brasilianischer Kaffeegrosshändler, manchmal wie ein spanischer Viehhändler, manchmal wie ein Zigeuner aus der Kaschubei. In einer dieser Gestalten, von einer in Lederjacke begleitet, besichtigte er das Haus und verblüffte den Makler mit der Ankündigung er sei interessiert dafür sechzigtausend auf den Tisch zu legen. Der Makler musste sich aber erst noch vergewissern und fand zu seiner weiteren Verwirrung Leute, die leichthin mit jeder Summe für dies bärtige Individuum gutsagen wollten. Darauf ging das Individuum fort. Gestern wieder wurde es in der Niedstrasse vor dem Haus gesehen, auf einem Klappstuhl, wie es das Haus zeichnete. Kinder standen umher und waren bemüht, sich nicht zu wundern. Der Mann mit dem Bart, leicht zu zeichnen für Kinder: Schwarz für das Gewächs unter der Nase, schwarz für die Augen, schwarz für das schwarze Band um den zerknautschten Hut, so ging er aufs Postamt und schickte die Zeichnungen express in die Schweiz. Aus der Schweiz traf Zustimmung ein, und heute wird das Haus verkauft.

 

 

 

Kennst Du, erinnerst Du das Haus Nummer 13 in der Niedstrasse? Den Bau aus bunten Klinkern mit leicht verförstertem Dach? In dem Vordergarten hinter dem gehäkelten grünen Zaun spielten immer die amerikanischen Kinder und sagten Hi. Ein indischer Student ging würdevoll zum Briefkasten der im gemauerten Gartentürpfosten angebracht ist. Auf der Strasse standen mit Militärkennzeichen die drei Wagen der Familie. Alle sind jetzt ausgezogen. Das leere Haus hat zwei Dreizimmerwohnungen mit jeweils Bad und Küche im vorstehenden Hauptblock, im zurückgesetzten Block, der früher Kutscherwohnung bei Kommerzienrats war, übereinander zwei Einzimmerwohnungen. Die schmalen Rundbogenfenster sind von innen grösser als aussen. Die Räume sind niedrig aber menschlich geschnitten. Unter dem steilen Dach, dem man von vorn nur die Sucht des Architekten nach neugotischen Schnörkeln ansieht, ist in Wirklichkeit und nach hinten offen ein Atelier so hoch, dass ein Elefant nicht anstösst. Nach hinten zwischen den Brandmauern von Nummer 14 und der Bäckerei, von der Albestrasse aber nicht ganz zugestellt, sind noch einmal 500 qm Garten mit Apfelbäumen. Du entsinnst Dich vielleicht dass ich Günter Grass von Anfang zuredete ein Telefon zu mieten. Unermüdlich hat er Jahre lang Berlin erpresst mit dem Telefon, an das man ihn nicht holen konnte. Auf diesem Umweg habe ich ihn doch hereingelegt, denn in dem Haus steht schon ein Telefon, das kann er übernehmen. Im Dezember werden nun seine Zwillinge hinter dem Haus stehen und unermüdlich mich anspucken, wenn ich ins Haus daneben steige unters Dach ... (Aus: Uwe Johnson, Die Katze Erinnerung)

 

***

Am Nachmittag Stille. Es sei denn, es kommt Ecke Handjery-Niedstraße zu jenem trockenen Knall, den Franz und Raoul ähnlich trocken bestimmen: Mensch, Klasse! Wieder zwei vw. (In Raouls Zimmer entsteht ein Ersatzteillager: Scheibenwischer, Radnaben, Lenkräder, das Gekröse ausgeweideter Totalschäden.) Jetzt, Ende Juni, ist der Flieder in unserem Vorgarten nur noch Erinnerung wert.

 

Wenn wir am Sonnabend auf unseren Friedenauer Wochenmarkt gehen, dann kaufen wir Dill und Gurken, Havelaal und Heilbutt, Birnen und Pfifferlinge, Hasenläufe und Vierländer Mastenten wo wir wollen und lustig sind. Niemand stellt uns mit nacktem Finger zur Rede: Warum bei der? Wissen Sie nicht, daß die? Bei der und auch bei dem da soll, darf man nicht einkaufen. Verstanden! Wir kaufen ein, wo uns Aal und Dill, Hasenläufe und Preiselbeeren auf den Geschmack bringen. Auch gefallen Anna und mir einige Marktfrauen besonders: etwa unser selbst bei frostigem Ostwind immer noch lachlustiges Heringsmädchen.

 

Vor ein paar Wochen stand ich im Bundeseck am Tresen und spielte mit Bierdeckeln. Einige noch junge Schriftsteller näherten sich vorsichtig, wie auf Abruf. Sie redeten gütig. (Das sei ja sicherlich wichtig, mein Engagement, aber ob nicht das Schreiben darunter leide.) Sie sprachen von ihren Talenten ängstlich, als müsse man sie vor Zugluft schützen. Soeben noch besorgt um mich, wurden sie aggressiv, als ich meinen Alltag mit zwei Bierdeckeln demonstrierte: Der hier ist die politische Arbeit, mache ich als Sozialdemokrat und Bürger; der ist mein Manuskript, mein Beruf, mein Weißnichtwas. Ich ließ zwischen den Bierdeckeln Distanz wachsen, näherte beide einander, stellte sie, sich stützend gegeneinander, verdeckte mit dem einen den anderen (dann mit dem anderen den einen) und sagte: Manchmal schwierig, aber es geht. Sie sollten sich weniger Sorgen machen. Doch die noch jungen Schriftsteller bestanden darauf, um mich besorgt zu sein und erwarteten, daß ich den einen oder den anderen Bierdeckel vom Tresen schnippte. Richtig böse sind sie geworden, weil ich mir zwei Bierdeckel leiste. (Aus Günter Grass, Tagebuch einer Schnecke)

Karl & Luise Kautsky, 1902

Niedstraße Nr. 14

Luise Kautsky (1864-1944)

Karl Kautsky (1854-1938)

 

Nachdem der Erfurter Parteitag das von Kautsky, Bebel und Bernstein erarbeitete Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgesegnet hatte, zog das Ehepaar Karl und Luise Kautsky 1891 mit den Söhnen Karl (1891-1938), Felix (1892-1953) und Benedikt (1894-1960) nach Friedenau, zuerst Saarstraße Nr. 19, dann ab 1908 in die Niedstraße Nr. 14.

 

Um unter den Fahnen der deutschen Sozialdemokratie arbeiten zu können, ging Rosa Luxemburg 1898 in Zürich eine Scheinehe mit dem Deutschen Gustav Lübeck ein. Mit der so erhaltenen deutschen Staatsbürgerschaft übersiedelte sie als Dr. jur. Rosa Lübeck-Luxemburg nach Berlin. Auf die Wohnung in Tiergarten, Cuxhavener Straße Nr. 2 (1998) folgte Friedenau, Wielandstraße Nr. 23 (1899) und schließlich Cranachstraße Nr. 53 (1902).

 

Zurückgelassen hatte sie in Zürich den Revolutionär Leo Jogiches (1867-1919). Sie betrachtete sich als seine Frau, wollte ein Kind, eine Familie. Er sah die Beziehung etwas anders, empfand ihre variationsreichen Kosenamen einengend und klammernd. Sie litt: Du hast mich dahin gebracht, dass ich mich geniere, Dir Persönliches zu schreiben, von meinen Gefühlen und Eindrücken. Es scheint mir, dass es etwas Schlechtes ist, wenn man nicht von der Sache schreibt. Obwohl das Verhältnis zu Leo Jogiches nicht mehr das allerbeste war, beharrte sie darauf, dass auch er nach Berlin kommt. Im 2. Stock der Cranachstraße Nr. 5, zwei Zimmer und Balkon, lebten sie erstmals gemeinsam in einer Wohnung, sie als Lübeck-Luxemburg, er unter dem Namen Grosovski. Dass er Rosas Mann war, sollte niemand wissen. Ihre Beziehung blieb ein Geheimnis – vor den Genossen und auch vor Karl und Luise Kautsky.

 

1905 reisten Luxemburg und Jogiches nach Warschau, um die russische Revolution zu unterstützen. Beide werden verhaftet. Er wird zu acht Jahren Zwangsarbeit in Weißrussland verurteilt, sie kehrt 1906 nach Friedenau zurück. Bei ihrer Ankunft in Friedenau trifft die inzwischen 35-jährige Rosa Luxemburg einen jungen Mann, den sie seit seinem dreizehnten Lebensjahr kannte: Konstantin Zetkin, Kostja genannt. Er war jetzt einundzwanzig Jahre alt, ein schmaler, dunkeläugiger Mensch, hübsch, in sich gekehrt und sehr melancholisch. Der Sohn ihrer Freundin Clara Zetkin war zum Studium nach Berlin gekommen und zog auf Bitten seiner Mutter als Untermieter in das ungenutzte Zimmer von Jogiches. Beide liebten es, Mond und Sonne zu betrachten, Spaziergänge zu machen, Musik zu hören, Romane zu lesen. Kostja suchte ihren Rat. Sie gibt ihn. Die Begegnung hatte Folgen.

 

Im März 1907 deutete Rosa Luxemburg einen Konflikt an, der ihre Liebesbeziehung zu Kostja Zetkin beeinträchtigen würde. Jogiches war die Flucht aus dem Gefängnis gelungen und kam nach Berlin zurück. Obwohl sie sich offiziell getrennt hatten, zog Jogiches wieder in die Cranachstraße ein, überwachte ihr Leben und öffnete ihre Briefe. Kostja konnte nicht mehr bei ihr wohnen, wurde zur Untermiete in der Peschkestraße Nr. 14 untergebracht. Anfang April 1908 eskalierte es: Jogiches stürzte plötzlich in die Wohnung und in mein Zimmer. Ich wurde, wie immer, eisig ruhig dabei, blieb auf meinem Platz und antwortete kein Wort. Das machte ihn noch rabiater, und er stürzte zu Dir, wobei er von mir die Adresse verlangte (ich antwortete natürlich nichts) und sich von Gertrud beide Schlüssel geben ließ.

 

Rosa Luxemburg begab sich zu Kautskys in die Niedstraße Nr. 14 und blieb dort über Nacht. Am anderen Morgen ging ich mit den Buben (Karl, Felix und Benedikt) in die Wohnung Cranachstraße Nr. 53, um nach Briefen zu sehen, traf ihn auf der Straße, schaute mich natürlich nicht um und ging rauf. Oben lagen meine Briefe geöffnet, und wie ich runter ging, war er wieder vor dem Hause und ging neben mir her. Er war bei Dir. Frau Großmann hätte ihm ‚alle Informationen gegeben, der Vogel sei herausgeflogen‘, aber er werde ihn schon erreichen; ferner dürfe ich keinen Schritt aus Berlin tun, ich solle es versprechen, sonst schlägt er mich sofort tot. Und er griff schon in die Tasche. Ich blieb ruhig und eisig, wandte nicht einmal den Kopf um, darauf ging er. Ich war aber innerlich von den Mißhandlungen so furchtbar aufgeregt und so unglücklich, daß ich wieder zu K. mußte und nicht nach Hause durfte (das Haus wurde mir zum Greuel, seit er die Schlüssel nahm),

 

Rosa Luxemburg glaubte, dass man persönliches Glück erreichen kann, ohne auf öffentliches Leben zu verzichten. Zu spät hat sie erkannt, dass das, wonach sie suchte, so nicht zu erreichen war. Inwieweit das alles die Freundschaft mit Karl und Luise Kautsky beeinträchtigte, lässt sich aus dem Briefwechsel nicht erschließen.

 

Karl Schmidt-Rottluff, Entwurf für einen Reichsadler. Quelle DHM

Niedstraße Nr. 14

Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976)

 

Kaum hatte die Weimarer Nationalversammlung am 23. Juni 1919 mit 257 gegen 138 Stimmen für die Annahme des Vertrags von Versailles gestimmt, ließ die zum Schutz von Regierung und Nationalversammlung in Weimar postierte Garde-Kavallerie-Division mitteilen, dass sie gegen die Annahme des Vertrages sei und beschlossen haben, nach Hause zu gehen. Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) musste handeln, und schickte seinen Büroleiter Rudolf Nadolny (1873-1953) zum Musikmeister: Ob er die Melodie von ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ spielen könne. Auf seine bejahende Antwort hatte ich ihm gesagt, der Präsident werde mit einem Hoch auf Deutschland schließen, dann solle er gleich einfallen und ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ spielen. So geschah es. Die ganze Truppe sang begeistert mit, und es ertönte so zum ersten Mal das Lied, das der Präsident später zum deutschen Nationalhymnus erklärte.

 

Nicht  ganz so einfach verlief die Diskussion über die Flagge: Schwarz-Weiß-Rot des norddeutschen Bundes oder Schwarz-Rot-Gold der Frankfurter Nationalversammlung. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden: Die Reichsfarben und damit die Nationalflagge Schwarz-Rot-Gold, aber die Handelsflagge Schwarz-Weiß-Rot mit den Reichsfarben in der oberen inneren Ecke. So hatte das Reich vorerst zwei Flaggen – bis 1933, als es hieß: Schwarz-Weiß-Rot bis in den Tod!

 

 

 

 

 

Mit dem Streit um die Symbole ging es weiter. Nachdem die Weimarer Republik eine erste Regierung hatte, wurde auf der Kabinettssitzung vom 1. September 1919 beschlossen, als Reichswappen den einfachen schwarzen Adler mit roten Fängen und rotem Schnabel auf goldenem Schilde nach Maßgabe des Entwurfs IV a zu nehmen. Der Reichsminister des Innern wird das Weitere veranlassen, auch dem Reichsminister der Finanzen wunschgemäß alsbald eine Zeichnung zugehen lassen“.

 

Die Maßgaben für die Gestaltung waren bewusst weit gefasst. Der neue republikanische Geist sollte sich auch in einem geänderten Kunstverständnis niederschlagen. Dafür wurde sogar das Amt eines Reichskunstwartes geschaffen – verantwortlich für Erscheinungsbild und Symbole der Republik. Erster und einziger Amtsinhaber war der Kunsthistoriker Edwin Redslob (1884-1973), der dieses Amt von 1920 bis 1933 innehatte. Er beauftragte Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) und war von dessen Entwurf angetan: Er ist von eindringlicher Geschlossenheit, zeigt nicht die abgemagerte Körperform des alten Adlers und hat vor allen Dingen den Vorzug innerer Belebtheit, der durch die energische Haltung zustande kommt und durch die seitliche Haltung des Kopfes im Gesamtausdruck eine bestimmte Umrisslinie ergibt, die dem ganzen Kraft und Haltung verleiht.

 

Der Außenminister Hermann Müller (1876-1931) ging in die Offensive: Die Wahl des Wahrzeichens für ein ganzes Volk gehört zu den schwierigsten Aufgaben, denen sich ein Künstler gegenüber sehen kann. Der neue Geist heischt neue Form. Aber je mehr man hiervon durchdrungen ist, umso weniger wird man sich der Forderung entziehen können, daß die Vorbereitung der endgültigen Entscheidung gerade in so zugespitzter Formfrage in die Hand nur der größten Künstler im Reiche gelegt werden sollte, die nach ihrem Können und nach ihrer überragenden Persönlichkeit berufen sein könnten, das Sprachrohr des deutschen Volkes in Geschmack und Stilempfindung zu sein.“

 

Absichtsvolle Primitivität, die die Ideenarmut verhüllen solle, warf der Kunstkritiker Karl Scheffler (1869-1951) Schmidt-Rottluff vor, und bemängelte das Bemühen des Staates, eine neue Kultur gleichsam aus dem Boden stampfen zu wollen. Für die Vossische Zeitung vom 11. Juni 1920 erinnerte der Entwurf an einen erschrockenen Papagei. Zwar dürfe die Kunst ziemlich freie Bahnen wandeln, aber auch vom Künstler verlange man, dass er gegen die Anatomie nicht geradezu ankämpfe. Das sei ein ‚zoologischer Unsinn‘. Durch die übertriebene Größe des Schnabels setze sich das Tier von vornherein darüber hinweg, für einen Adler gehalten zu werden. Auch seien Flügel und Schwanz derart gebildet, dass dies allen Gesetzen der Anatomie widerspreche.

 

Auch Schatzminister Gustav Bauer (1870-1944) konnte sich keinesfalls für diesen Entwurf erwärmen, da dieser der Würde des Deutschen Reiches und den Forderungen an Schönheit und künstlerischem Empfinden, die in diesem Zeichen ihren Ausdruck finden sollen, widerspricht. Er wirkt wie eine Karikatur. Am 1. Juni 1920 beschloss das Kabinett, die Beratung des vorgelegten Entwurfs auszusetzen. Es dauerte mehrere Jahre, bis eine Lösung für den Reichsadler gefunden und akzeptiert wurde. Der Holzschnitt von Karl Schmidt-Rottluff wurde bei der endgültigen Auswahl nicht berücksichtigt und ist nicht offiziell verwendet worden.

 

Günter Grass, Elisabeth und Uwe Johnson vor dem Haus Niedstraße 13

Niedstraße Nr. 14

Uwe Johnson (1934-1984)

 

Uwe Johnson, geboren 1934 in Pommern, 1945 Flucht der Familie nach Mecklenburg, Verhaftung des Vaters, Sowjetisches Speziallager, Deportation in die Sowjetunion, 1946 Tod. Die Mutter zieht mit Sohn und Tochter nach Güstrow. Johnson studiert von 1952 bis 1956 Germanistik in Rostock und Leipzig. 1956 ziehen Mutter und Schwester nach Westberlin. Uwe bleibt. 1959 erscheinen der Blechtrommel von Günter Grass und das Romanmanuskript Mutmaßungen über Jakob von Uwe Johnson, in dem er die Probleme der Menschen im geteilten Deutschland thematisiert. Auf der Frankfurter Buchmesse lernen sich Grass und Johnson kennen – der Anfang einer lebenslangen gegenseitigen Wertschätzung und einer zeitweiligen Freundschaft. 1959 übersiedelt Uwe Johnson nach Westberlin. Im Oktober 1959 wird ihm die Atelierwohnung in der Niedstraße Nr. 14 zugewiesen. 1962 glückt seiner Freundin Elisabeth Schmidt die Flucht aus der DDR. Es wurde geheiratet, Tochter Katharina geboren und zusätzlich die Familienwohnung in der Stierstraße Nr. 3 gemietet.

 

 

 

 

 

 

Am 28. Januar 1963 schreibt Uwe Johnson einen Brief an seinen ehemaligen Englischlehrer Wilhelm Müller an der John-Brinckman-Oberschule in Güstrow: In diesem Haus wohnen wir ganz oben und haben alles bezahlt. Aber ein paar Strassen weiter sitzt die Hausbesitzerin und addiert genussvoll was für Heizkosten nachzuzahlen ist; Krampfadern hat sie auch. Friedenau ist ein Dorf, es steht auch voller Bäume, meistens Kastanien, da war wohl mal ein Stadtbaumeister. In den Geschäften kaufen wir nun schon drei Jahre, das merken die sich: Einen guten Rutsch, der Herr! Auf der Straße liegt der Schnee hoch aufgeschaufelt am Rinnstein, aber die kleinen Vögel werden schon übermütig. Auf dem Balkon sitzt schweigend ein dicker, schwarzer, es ist der uns immer besucht, aber wir kennen seinen Vornamen nicht, so kann man schlecht ins Gespräch kommen. Das Kind schreit und möchte vielleicht mit dem Alphabet spielen, das kann es aber noch nicht haben bei seinem Alter; man hört auch die leere Stadtbahn traurig halten, trübe weiterrollen, Flugzeuge wie die Ewigkeit über dem Dachfirst, und aus dem Treppenhaus den Mieter unter uns, er glaubt nicht, dass er schwerhörig ist und probiert öfter am Tag seine Klingel aus: ob sie geht hören aber nur die andern. Der Himmel müsste mal gewaschen werden.

 

1964 ziehen Anna und Günter Grass in das Nachbarhaus Niedstraße Nr. 13. Ab 1966 leben die Johnsons in New York, behalten allerdings ihre Wohnungen Niedstraße Nr. 14 und Stierstraße Nr. 3. Am 8. Januar 1967 teilt Dagrun Enzensberger Johnson mit, dass Hans Magnus und ich uns für einige Zeit trennen werden, und fragt an, ob ich Eure Stierstraßen-Wohnung für eine kürzere Zeit mieten könnte. Liebe Dagrun, natürlich, ja. Brief folgt. Auf Bitten von Dagrun und Enzensbergers Bruder Ulrich wird ihnen auch die Wohnung Niedstraße Nr. 14 überlassen. Am 3. Februar 1967 teilt Dagrun Johnson mit: Wir machen eine Kommune – mit dabei Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel und Rainer Langhans. In der Wohnung wurde das Pudding-Attentat auf US-Vizepräsident Hubert H. Humphrey geplant. Bevor es dazu kam, wurden sie verhaftet. Johnson las darüber in der New York Times und schickte Günter Grass umgehend eine Vollmacht:

 

Ich, Uwe Johnson, gegenwärtig wohnhaft 243 Riverside Drive, Apt. 204, New York, N.Y. erteile hiermit Herrn Günter Grass, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Niedstraße 13, Vollmacht, mich in allen Angelegenheiten zu vertreten, welche meine Vier-Zimmer-Wohnung in Berlin-Friedenau, Stierstraße 3, 2 Treppen rechts und/oder mein Atelier im Hause Berlin-Friedenau, Niedstraße 14 betreffen, insbesondere die Räumung der Wohnung und des Studios von meinen früheren Gästen, Herrn Ulrich Enzensberger und Frau Dagrun Enzensberger, sowie von allen Personen, die sich sonst dort aufhalten, zu betreiben ... Der Bevollmächtigte ist insbesondere ermächtigt, Untervollmächten zu erteilen und zu widerrufen und alle Maßnahmen zu treffen, die er für erforderlich hält, um die Befreiung meiner vorerwähnten Räume von der Benutzung durch andere Personen durchzusetzen und diese Wohnungen gegenüber jedem Eindringen solcher Personen zu schützen. Uwe Johnson.

 

Nachbar Günter Grass ließ die Wohnungen von der Polizei räumen. Die Tage der Kommune in Friedenau waren am 5. April 1967 beendet. Im August 1968 kehrt Johnson mit seiner Familie zurück. 1974 ziehen die Johnsons nach in Sheerness on Sea auf der Themse-Insel Sheppey in Kent. 1978 trennte sich Elisabeth Johnson von ihrem Ehemann. Am 13. März 1984 wird Uwe Johnson in seinem Haus in Sheerness tot aufgefunden.

 

Kommune 1

Niedstraße Nr. 14

Kommune I

 

Der Schriftsteller Ulrich Enzensberger, 1967 Mitbegründer der Kommune I, veröffentlichte 2004 seine Erinnerungen an Die Jahre der Kommune I. Wir haben uns auf Grund der Authentizität des Berichts zu einem Auszug entschlossen, bei dem wir auf Zitate nicht verzichten konnten.

 

Die Geschichte beginnt im Frühjahr 1966. Uwe Johnson zieht mit Frau und Kind nach New York und vermietet seine Atelierwohnung in der Niedstraße Nr. 14 an Ulrich Enzensberger– ein Raum von normaler Zimmergröße mit Atelierfenster und zwei kleinen Kammern – eine Untervermietung auf Zeit, da Johnson nach Westberlin zurückkommen wollte.

 

 

 

Am 1. Januar 1967 wurde die Kommune I gegründet. Am 19. Februar zogen die Kommunarden Hans Joachim Hameister, Dorothea Ridder, Volker Gebbert, Dagrun Enzensberger mit ihrer Tochter Tanaquil und Ulrich Enzensberger in das leerstehende Haus des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger in der Fregestraße Nr. 19 ein. Nach dessen Rückkehr zogen sie – ohne Einverständnis von Uwe Johnson – am 6. März in Johnsons Familienwohnung Stierstraße Nr. 3. Dieter Kunzelmann, Dagmar Seehuber, Fritz Teufel und Detlef Michel quartierten sich in Johnsons Atelierwohnung in der Niedstraße Nr. 14 ein.

 

Am 26. März ging die Kommune I beim Ostermarsch zur Aktion über – der erste Ostermarsch in Westberlin überhaupt, an dem zur allgemeinen Überraschung sofort Tausende teilnahmen. Hier tauchte zum erstenmal die Idee einer ‚Bombe‘ auf. Am 2. April verzeichnet das Kommune-Protokoll: Humphrey-Aktion: Martin-Luther-Str. oder Rathaus. Rote Rauchbomben, möglichst viele. Zum Auto laufen, Superbälle werfen. Sachen werfen (Schlagsahne etc. oder tutti frutti). Wenn das Auto angehalten ist, Lieder singen (Hoch soll er leben backe backe Kuchen Berlin ist eine Reise wert), PUDDING Superbälle, genaue Lagebesprechung, kleine Superbälle kaufen.

 

Am 4. April, zwei Tage vor dem Besuch des US-Vizepräsidenten Humphrey, wurde dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz bekannt, dass eine Personengruppe, die sich aus sog. Gammlern, Atomwaffengegnern und Maoisten zusammensetzt, beabsichtige, den Besuchsablauf zu stören. Die Zusammenkünfte der genannten Gruppe fänden in der Wohnung eines Uwe Johnson statt. Nach den Mitteilungen eines Vertrauensmannes bestand die Absicht, Bomben mit unbekannten Chemikalien, Stinkbomben, Steine und Wurfbehälter mit Farbstoffen zu werfen. Am 5. April wurde das Bundeskriminalamt in Bad Godesberg informiert.

 

Auch wenn alle Hinweise auf unsere Observation aus der Akte getilgt wurden, so ist es ganz undenkbar, dass Dieter bei seinem erfolglosen Versuch, am Vormittag des 5. April in der ‚Werkstätte für Chemie und Foto‘ am Salzufer in Charlottenburg 2 x 250 g Kaliumchlorat, 500 g Sudan III, 500 g Natriumperoxyd, 1 kg Lactose, 100 g Kieselgur und 500 g Ammoniumchlorid einzukaufen, nicht beschattet wurde. Wann freilich der Chemiestudent Wulf Krause, der in unserem Auftrag dann am späteren Vormittag im ‚Institut für anorganische Chemie‘ der FU 200 g Kaliumchlorat angeblich zur Unkrautvertilgung erwarb und damit in die Niedstraße fuhr, ins Visier der Fahnder geriet, ist unklar.

 

Indessen hatten wir in der Niedstraße mit Hilfe eines Besenstiels begonnen, Papphülsen zu drehen. Wulf Krause half uns, Zündschnüre herzustellen, Dochte, die wir mit einer Kaliumchloratlösung tränkten. Wir fabrizierten 17 Hülsen und füllten zunächst fünf davon mit einem weißen und eine mit einem roten Gemisch. Dazu verwendeten wir 100 g Ammoniumchlorid (einen für Rauchbomben typischen Stoff), 60 g Kaliumchlorat und 20 g Milchzucker (eine explosive Mischung) sowie 10 g Kieselgur. Bei den roten Bomben fügten wir noch 25 g Sudan III hinzu. Mit der ersten weißen Rauchbombe fuhren Dorothea, Hameister, Fritz, Dagrun und Dagmar in den Grunewald. Der Rauchsatz funktionierte, er entwickelte starken Qualm.

 

Wir anderen arbeiteten fieberhaft weiter, bis es gegen 18.20 Uhr an die Tür klopfte. Wir schoben die Küchenwaage unter das Bett und öffneten. Ein Schwarm ziviler Beamter stürmte herein. In Handschellen wurden wir in zivilen Pkws zur Politischen Polizei im Tempelhofer Flughafen-Komplex gebracht. Fritz und die anderen wurden in Nikolassee auf dem Weg zur S-Bahn festgenommen.

 

Noch in den Nachtstunden des 5. April wurden wir erkennungsdienstlich behandelt. Ein Beamter ergriff meine Finger, schwärzte sie auf einem Kissen und rollte sie an einem hohen Pult auf Papier ab. Zur Fotografie musste man damals noch auf einem Drehstuhl Platz nehmen. Eine Nummer wurde einem um den Hals gehängt, dann ruckte der Stuhl jeweils um 45 Grad, und bei jedem Halt leuchtete das Blitzlicht auf. Angehörige durften wir nicht benachrichtigen. Die Vorführungsverfügung verfügte Einzelhaft und ordnete an: ‚Streng getrennt zu halten von Tatgenossen.

 

Am 6. April erschien die Welt mit der Überschrift: Anschlag auf Humphrey geplant? Der Tagesspiegel titelte: Elf Personen von der Polizei festgenommen und sprach von Polizeiangaben, nach denen die elf unter verschwörerischen Umständen zusammengekommen sind und hierbei Anschläge gegen das Leben oder die Gesundheit des amerikanischen Vizepräsidenten Humphrey geplant hätten. Die Berliner Morgenpost erschien mit dem Aufmacher: Attentat auf Humphrey von Kripo vereitelt - FU-Studenten fertigten Bomben mit Sprengstoff aus Peking und schrieb: Die Polizei überraschte mehrere kommunistisch orientierte Westberliner Studenten beim Abwiegen von Sprengstoff in behelfsmäßige kleine Granathülsen. Die BZ berichtete: Studenten planten Attentat auf Humphrey und meinte: Diese Schande -ohne uns! Wenn sich dieser schwere Verdacht bestätigt, dann kann es sich nur um das Vorhaben einiger politisch Geisteskranker handeln. Der Abend meldete: Maos Botschaft in Ost-Berlin lieferte die Bomben gegen Vizepräsident Humphrey.

 

BILD schoss den Vogel ab: Geplant: Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten Humphrey. Elf Verschwörer gefasst. Mit Bomben und hochexplosiven Chemikalien, mit Sprengstoff gefüllten Plastikbeuteln - von den Terroristen ‚Mao-Cocktail‘ genannt - und Steinen haben Berliner Extremisten einen Anschlag auf den Gast unserer Stadt vorbereitet. 18 Stunden vor Eintreffen des US-Vizepräsidenten hat Berlins Politische Polizei gestern Abend elf der Verschwörer in Gewahrsam genommen.

 

Inzwischen wurden die Räume der Niedstraße durchsucht. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl. Wir wurden beschuldigt, eine Explosion durch Sprengstoff vorsätzlich herbeizuführen verabredet, und dadurch Leib und Leben eines anderen sowie fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet und zugleich den Sprengstoff und die zur Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen hergestellt bzw. sich oder einem andern verschafft zu haben. Der kriminaltechnische Sachverständige erklärte allerdings: Die mir vorgehaltene Mischung war ungeeignet, Explosivkraft herbeizuführen; sie war sogar ungeeignet zur Zündung von Rauchbomben..

 

Die Kommunarden wurden am nächsten Tag aus der U-Haft freigelassen und gaben ihre erste Pressekonferenz. Sie stellten sich vor der Haustür Niedstraße Nr. 14 zu einem Gruppenfoto auf - mit Koffern: Dagmar in ihrem Hosenanzug, Hameister mit schwarzem Herrenhut, Dieter in seiner geklauten Felljacke und breiter Popkrawatte, Fritz mit Pfeife, Volker mit über der Hose hängendem Hemd, Dorothea in elegantem dunklen Mantel und Rainer in Pose. Nachmittags warfen wir für die Fernsehkamera im Grunewald noch einmal Mehl.

 

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Günter Grass und Uwe Johnson. Sammlung Maria Rama, Archiv Akademie der Künste

Exkurs

 

Uwe Johnson hatte in der New York Times über das Attentat gelesen und rief gegen 22 Uhr bei Anna und Günter Grass an. Mit Datum vom 6. April 1967 folgte ein Brief: Dagrun Enzensberger muss die Wohnung in der Stierstrasse sofort verlassen und die Schlüssel der Hauswartfrau, Frau Fucker, übergeben. Ulrich Enzensberger soll in unsere Wohnung in der Niedstrasse nicht mehr gelassen werden. Woran uns am meisten liegt, ist den Verlust der Wohnung in der Niedstrasse zu vermeiden. Wenn die angerichteten Schäden nicht gefährlich sind, schliesst die Wohnungen einfach zu. Einer von uns wird im Juni kommen, sich die Bescherung anzusehen.

 

Anlage: Vollmacht für Günter Grass

 

Ich, Uwe Johnson, gegenwärtig wohnhaft 243 Riverside Drive, Apt. 204, New York, N.Y. erteile hiermit Herrn Günter Grass, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Nied-Strasse 13, Vollmacht, mich in allen Angelegenheiten zu vertreten, welche meine Vier-Zimmer-Wohnung in Berlin-Friedenau, Stier-Strasse 3, 2 Treppen rechts und/oder mein Atelier im Hause Berlin-Friedenau, Nied-Strasse 14 betreffen, insbesondere die Räumung der Wohnung und des Studios von meinen früheren Gästen, Herrn Ulrich Enzensberger und Frau Dagrun Enzensberger, sowie von allen Personen, die sich sonst dort aufhalten, zu betreiben, Verhandlungen in meinem Namen zu führen, gerichtliche Verfahren einzuleiten und durchzuführen, Abkommen zu treffen und mich gegenüber den Hauseigentümern, Frau Ursula Grunke wegen Stierstrasse und der Gesellschaft für Handel und Grundbesitz wegen Niedstrasse zu vertreten. Der Bevollmächtigte ist insbesondere ermächtigt, Untervollmächten zu erteilen und zu widerrufen und alle Massnahmen zu treffen, die er für erforderlich hält, um die Befreiung meiner vorerwähnten Räume von der Benutzung durch andere Personen durchzusetzen und diese Wohnungen gegenüber jedem Eindringen solcher Personen zu schützen. Uwe Johnson. Vor mir, dem unterzeichneten Notar, erschien heute, den 6. April 1967, von Person bekannt, Herr Uwe Johnson, und unterzeichnete obige Erklärung. Joseph Kaskell, Notary Public, State of New York

 

Uwe Johnson an Günter Grass, 7. April, 1967

Lieber Günter, wenn unsere Wohnung in der Niedstrasse tatsächlich nicht verloren ist, würden wir dich gern um noch eines bitten, nämlich die Reparatur des Atelierfensters zu beaufsichtigen, und wir hoffen sehr dass dir das Ansinnen nicht vorkommt wie das Staubkorn zuviel. Wir wissen zwar nicht in welchem Zustand es ist. Im vorigen April hat mir Ulrich Enzensberger versprochen die Reparatur in die Wege zu leiten, aber seinen ungenauen Angaben entnehme ich dass er das bisher nicht getan hat. Zwar hat er mir geschrieben, er habe einen Vorschuss von achthundert Mark für ein neues Fenster gezahlt, und ich habe ihm dies Geld überwiesen; aber ich weiss nicht wo es gelandet ist. Unter diesen Umständen hat mich das Angebot der Firma Werner, das ich beilege, erst nach einem Monat erreicht, und da ich nicht weiss, was vorgefallen ist, kann ich den Leuten nicht gut Erklärungen machen. Könntest du mit unserer Vollmacht die Ausführung dieses Angebots bestellen und mit der Firma die Zeiten verabreden, zu denen die Monteure die Schlüssel bei euch abholen können? Wenn du die Arbeit dann für gut abnimmst und mir die Rechnung schickst, werde ich den restlichen Betrag (oder was immer zu zahlen bleibt) binnen einer Woche überweisen. Es ist mir ziemlich klar, dass man diese Bitte eine Zumutung nennen könnte, und ich erwähne sie nur, weil Dagrun Enzensberger in Andeutungen von durchlaufendem Regen gesprochen hat. Wir möchten diese Wohnung recht gern behalten und erhalten, weil sie seit fast acht Jahren zu unserem Leben gehört hat und nicht wenig dazu beigetragen hat dass ihr unsere Nachbarn wurdet. Mit herzlichen Grüssen, Uwe.

 

Anna Grass an Uwe Johnson, Berlin, 9.4.67

Lieber Uwe, deine Vollmacht haben wir, deine Schlüssel auch. Sie wurden am Samstag morgen von Ulrich Enzensberger abgeliefert, als er mit seiner Kommune die Koffer packte, nachdem die Polizei die Tür entsiegelte, dies alles geschah im Beisein von Günter. Auf der Treppe drängten Journalisten, die die Kommune herbeizitiert hatte. Günter konnte sie nur mit seiner Schulterbreite und Zureden daran hindern, deine Wohnung zu fotografieren. Nun werden am Anfang nächster Woche noch die Matrazen und die Möbel von U. E. abgeholt, ich werde ihnen aufschliessen und dabeistehen. In keiner der Wohnungen wohnt jemand. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie ungern ich das tue. Die Leute sind nämlich manchmal fast etwas zum Fürchten. Aber U. E. war bis jetzt jedenfalls höflich zu mir. Mit der Stierstrasse wird es ebenso geschehen. Nach Günters Augenschein sollen die Wohnungen nach Lager, aber sonst (oberflächlich besehen) unbeschädigt aussehen. Von deinen Schriften fehle nichts, bestätigte die Polizei Günter. Nur ein Chemiebuch hätten sie beschlagnahmt (von dir), was bei den Arbeiten daneben und aufgeschlagen gelegen hätte. Du kriegst es zurück. Morgen werde ich auch nochmals den Verwalter versuchen zu erreichen und die Besitzerin und für dich reden. Glaub mir, dass ich das, so gut ich kann, tun werde - schliesslich würden wir dich als Nachbar ebenso vermissen wie du dein Atelier. Es grüsst euch sehr, Anna.

 

Niedstraße 17. Foto Hahn & Stich, 2016

Niedstraße Nr. 17

Baudenkmal Landhaus

Datierung 1884

Entwurf & Bauherr Max Nagel

 

Das Haus wurde als zweigeschossiger, vierachsiger und kompakter würfelförmiger gelber Sichtziegelbau mit roten Ziegelstreifen auf hohem Souterrain errichtet; es ist mit einem Zeltdach gedeckt. Das Haus weist einen Vierfelder-Grundriss mit seitlicher Erschließung und eingeschobenem Treppenhaus auf. An der Gartenseite ist ein Loggienvorbau mit Altan im Obergeschoss angebaut, im westlichen Bauwich ein Anbau eingeschoben worden. Das originale Lanzengitter der Einfriedung ist erhalten. Topographie Friedenau, 2000

Niedstraße 18. Foto Hahn & Stich, 2006

Niedstraße Nr. 18

Baudenkmal Landhaus

Datierung 1885

Entwurf Max Nagel

Umbau 1898

Entwurf Otto Haustein

 

 

 

 

 

 

 

Das Haus eingeschossige, vierachsige Landhaus in rotem Sichtziegelmauerwerk mit Quergiebel und ausgebautem Dachgeschoss entstand 1885 und wurde 1898 von Oskar Haustein nach Osten und nach Westen zu beiden Bauwichen hin um je zwei Achsen erweitert, so dass ein breit gelagertes Landhaus entstand. Der ursprüngliche vierachsige Bau besaß einen Vierfelder-Grundriss und einen seitlichen Hauseingang. Im Zuge der Erweiterungen wurden im Osten der Hauseingang mit einer hölzernen Vorlaube, ein großes repräsentatives Treppenhaus und eine Küche angelegt, im Westen entstanden zwei weitere Wohnräume. Die alte Treppe wurde entfernt. Dem Haus ist zum Garten hin eine kleine Veranda mit einer Treppe vorgelagert. Die Quergiebel des Hauses zur Straße und zum Garten zeigen Rundbogendoppelfenster und darüber ein Ziersprengwerk. Topographie Friedenau, 2000

 

Niedstraße 20. Foto Hahn & Stich

Niedstraße Nr. 20

Baudenkmal Landhaus

1886

Entwurf & Ausführung Architekt Robert Hoffmann

Bauherr Hahn

 

Das zweigeschossige, fünfachsige Haus auf der Nordseite der Straße wurde als neobarocker Putzbau auf hohem Souterrain gebaut und ist eher eine Villa als ein Landhaus. Das Haus weist an der Straßenseite in der Mittelachse einen Loggiavorbau mit einem Altan im ersten Obergeschoss auf. Das Souterrain ist in schwerer Rustika in Putz ausgeführt und die Geschosse darüber zeigen eine feine Putznutung. Im Hochparterre sind die Fenster von Putzquadern gerahmt, im Obergeschoss von aufwendigen Putzfaschen. Ungewöhnlich sind auch die Treppengiebel im Osten und im Westen. Das Haus wird seitlich vom Bauwich her erschlossen und besitzt einen typischen Vierfelder-Grundriss mit eingeschobenem Treppenhaus. Es verfügt über je eine Wohnung pro Geschoss. Im Garten befindet sich ein Stall- und Remisengebäude. Die originale Einfriedung ist erhalten.

Topographie Friedenau, 2000

Niedstraße 24. Foto Hahn & Stich, 2019

Niedstraße Nr. 24

Baudenkmal Landhaus

Datierung 1890

Entwurf Max Nagel

Bauherr Apotheker Fritz Kunowski

 

Umbau 1905

Entwurf F. P. Siebert

Bauherr F. Krüger

 

 

 

 

 

Das Haus wurde als vierachsiges, eingeschossiges Landhaus mit einem Quergiebel 1890 von Max Nagel errichtet und 1905 von F. P. Siebert nach Westen hin mit einem zweigeschossigen Anbau erweitert. Der ursprüngliche Bau besaß einen Vierfelder-Grundriss mit eingeschobenem Treppenflur. Das Haus ist ein gelber Sichtziegelbau mit roten und blauen Ziegelornamenten. An der Gartenseite ist dem Haus eine Veranda vorgelagert, an der Straßenseite eine verglaste Holzveranda. Der Anbau, in dem sich der Hauseingang und die Geschoßtreppe befinden, ist als Putzbau ausgeführt worden. Vor wenigen Jahren wurde der östliche Bauwich durch einen eingeschossigen Anbau mit Dachterrasse geschlossen. Topographie Friedenau, 2000

 

Günther Weisenborn, 1946

Niedstraße Nr. 25

Günther Weisenborn (1902-1969)

 

Das Neue Deutschland beharrte bei der Trauerfeier darauf, dass die DDR der wahre Sachwalter von Günther Weisenborn ist. Nach Wilmersdorf ließ sie allerdings nur die alten Herren reisen. Unter großer Anteilnahme von Freunden und Verwandten, Verlegern, Schriftstellern und Künstlern aus der DDR, Westdeutschland und Westberlin fand am Mittwochnachmittag im Westberliner Krematorium Wilmersdorf die Trauerfeier für den am 26. März verstorbenen Schriftsteller Günther Weisenborn statt. Mehr als 150 Trauergäste. Aus der DDR waren unter anderem Prof. Dr. Kamnitzer, Stephan Hermlin, Prof. Henselmann, Dr. Voigt und Ernst Busch gekommen, der zu Ehren des Toten sang. Prof. Wieland Herzfelde sprach als Vertreter der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin und des PEN-Zentrums der DDR. Aus Westberlin nahmen unter anderem der Intendant des Schillertheaters, Prof. Barlog, der Theaterkritiker Herbert Ihering sowie Vertreter der VVN Westberlin und der demokratischen Aktion an der Feier teil.

 

Die Tatsache, dass er sowohl im Westen wie auch im Osten publizierte, stempelte ihn zum Kommunisten. So einfach ist es nicht. Günther Weisenborn ist es immer wieder gelungen, eine Nische zu finden. Behauptet wird, dass seine Bücher von den Nationalsozialisten verboten wurden. Belege dafür gibt es nicht. 1936 ging er nach Argentinien, dann als Reporter nach New York. 1937 kehrte er zurück. Unter dem Pseudonym Christian Munk erschienen im Heyne-Verlag Die einsame Herde (1937) sowie Traum und Tarantel (1938) – mal in Leinen, mal in Pappe. Nachdem sich Heinrich George mit dem Propagandafilm Hitlerjunge Quex positioniert hatte und zum Intendanten des Schiller-Theaters berufen wurde, war Weisenborn Theaterdramaturg und Autor beim Grossdeutschen Rundfunk. Er arbeitete für den nationalsozialistischen Kulturbetriebs und sympathisierte mit der Roten Kapelle von Schulze-Boysen. 1942 wurde er verhaftet und wegen Nichtanzeige eines Verbrechens zu einer dreijährigen Haft verurteilt. Im April 1945 befreite ihn die Rote Armee.

 

Am 21. März 1946 gab es im Hebbel-Theater die Uraufführung seines Dramas Die Illegalen. 1947 strengte er 1947 gemeinsam mit Adolf Grimme und Greta Kuckhoff einen Prozess gegen den Chefankläger der Roten Kapelle an. Günther Weisenborn wurde ein Hans Dampf in allen Gassen. Noch bevor er im Oktober 1947 mit dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses beschäftigt war, konstituierte sich im März 1947 das Kuratorium der Deutschen Dichterstiftung. Zweck der Stiftung war es, Gut Wiepersdorf in das Schriftstellerheim Bettina und Ludwig Achim von Arnim umzuwandeln, in dem Dichtern und Schriftstellern, deren künstlerische Leistung eine Förderung verdient, auf vorübergehende Zeit eine Stätte ungestörter und sorgenfreier Arbeit geboten wird.

 

Im Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 2006 führt der Historiker Jürgen Stich im Abschnitt Die Herrschaft Wiepersdorf nach 1945 und die ‚Deutsche Dichterstiftung‘ u. a. aus: Zum Kuratorium gehörten neben Werner Schendell vom Schutzverband Deutscher Autoren (SDA), dem Vorläufers des Schriftstellerverbandes, der Schriftsteller und Kritiker Friedrich Luft, die Lektorin des Aufbau-Verlages Elisabeth Kessel, Fritz Rücker, Minister für Volksbildung, Wissenschaft und Kunst des Landes Brandenburg, Hans Helling, Leiter der Abteilung Landwirtschaft und Forsten, Herbert Volkmann, Leiter der Abteilung Kunst und Kultur in der Zentralverwaltung für Volksbildung, Johannes R. Becher, Präsident des Kulturbundes, und wichtigster Kulturfunktionär im Nachkriegs-Berlin der Schriftsteller Günther Weisenborn. Werner Schendell und ‚sein‘ SDA gerieten in den Jahren 1947 und 1948 in immer stärkeren Gegensatz zur Politik des Kulturbunds. Schendell, der das Büro der Deutschen Dichterstiftung bis zur Gründung der DDR im britischen Sektor Berlins führte, hielt Wiepersdorf für Schriftsteller aus allen Besatzungszonen offen. Eine Politisierung lehnte Schendell, der nicht Mitglied der SED war, ab. Mit ihm an der Spitze war die Deutsche Dichterstiftung für die Sowjets auf Dauer nicht tragbar.

 

1948 zog Günther Weisenborn mit Ehefrau Margarete geborene Schnabel (1914-2004) und den Söhnen Sebastian (1946) und Christian (1947) an den Bodensee, drei Jahre später nach Hamburg und 1964 schließlich nach Friedenau in das Haus Niedstraße Nr. 25. In den folgenden Jahren hielt er Vorträge in Paris, Prag, Warschau, London, Moskau, Burma, China und Indien.Bereits 1956 hatte Weisenborn in Aragone im Tessin ein Haus gekauft. Nach der Trauerfeier am 2. April 1969 im Krematorium Wilmersdorf fand er auf eigenem Wunsch in einem Urnengrab auf dem Friedhof von Aragone die letzte Ruhe. Sein Nachlass ging an die Akademie der Künste in Berlin und ruht seit langem im Günther-Weisenborn-Archiv am Robert-Koch-Platz. Insofern passt auch das von Marcel Reich-Ranicki abgewandelte Zitat aus dem Epilog von Der gute Mensch von Sezuan dazu: Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

 

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Friedrich Luft, Stimme der Kritik
Zur Uraufführung von Günther Weisenborns Die Illegalen im Hebbel-Theater
RIAS Berlin, 23. März 1946:


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Niedstraße 30. Foto Hahn & Stich, 2018

Niedstraße Nr. 30

Baudenkmal Landhaus & Remise

1882

Entwurf J. Mehmel

Bauherr Golitz

 

Das Haus wurde 1882 von J. Mehmel als eingeschossiges Landhaus auf hohem Souterrain erbaut, zeigt ein hohes, schiefergedecktes Mansardwalmdach mit gemauerten Gauben. Der Hauseingang mit Treppe ist an der Straßenseite neben einem kleinen hölzernen und verglasten Verandavorbau angelegt worden. Der rote Sichtziegelbau wird durch weiße Putzfaschen und Eckquader belebt. Im Hof erhebt sich an der südlichen Grundstücksgrenze ein zweigeschossiges Remisengebäude aus Ziegelmauerwerk, das heute zu Gewerbezwecken genutzt wird. Topographie Friedenau, 2000

 

 

Leonhard Sandrock, 1912

Leonhard Sandrock (1867-1945)

Wohnung Niedstraße Nr. 31

Atelier Wilhelmstraße Nr. 16 (Görresstraße)

 

Das Schicksal meinte es mit Leonhard Sandrock nicht gut. Als die Mutter 1875 starb, war er acht und sein Bruder Martin fünf. Die Jungen kamen zu Pflegeeltern nach Schweidnitz. Dort besuchten sie das Gymnasium. 1887 legte der Erstgeborene das Abitur ab. Obwohl er eine Vorliebe fürs Zeichnen und Malen hatte, wählte er die sichere Zukunft beim Militär und tritt beim Grenadier-Regiment des Königs Friedrich Wilhelm II. in Breslau ein. 1891 wird er nach Verden ins Feldartillerieregiment 26 versetzt. Mit Blick auf eine erfolgreiche Militärkarriere lassen sich die Brüder 1894 in Kavallerie-Uniform mit Degen ablichten. Kurze Zeit später überschlägt sich Leonhard Sandrock mit seinem Pferd. Für den fortan gehbehinderten Mann ist die militärische Laufbahn beendet. Sein Bruder Martin, inzwischen Oberleutnant in der Kaiserlichen Schutztruppe in Kamerun, fällt 1905 während des Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika.

 

Leonhard Sandrock steht vor einer Neuorientierung. Der Sek. Lieutenant a.D. zieht mit seiner sieben Jahre jüngeren Ehefrau Ellen geb. Schmidt nach Berlin in die Bülowstraße Nr. 59 – und studiert Malerei. Wohl geblendet vom Erfolg der Marinemaler Carl Saltzmann (1847-1923) und Hans Bordt (1857-1945) sucht sich Sandrock ausgerechnet den hochbetagten konservativen Vertreter dieses Genres Hermann Eschke (1823-1900) als Lehrer aus. Sechs Jahre später bedachte Sandrock die Große Berliner Kunstausstellung 1900 zum ersten Male mit einem wirklich einwandfreien Hochseebilde. Gemeint waren offensichtlich die Gemälde Sägemühle bei Zaandam und Vor der Elbe zur Winterzeit – gut platziert zwischen Saltzmanns Am Eingang des Holandfjord Norwegen und Bordts S.M. Linienschiff Kaiser Wilhelm II.

 

 

 

1907 zog das Ehepaar Sandrock in die Wohnung Stubenrauchstraße Nr. 58. Ab 1909 mietete Leonhard Sandrock ein Atelier im Atelierhaus in der Wilhelmstraße Nr. 16, in dem bereits der Bildhauer Johannes Hoffart (1851-1921) und der Geschichtsmaler E Vital Schmitt (1858-1935) arbeiteten. Sandrock musste sich nun um öffentliche Anerkennung bemühen. Er wusste um den Einfluss der Zeitungen. Am 28. Juni 1911 schreibt er an den Redakteur der illustrierten Tageszeitung DER TAG:

 

Sehr geehrter Herr Ganske, Sie wollten mich doch immer einmal in meinem Atelier besuchen. Ich habe augenblicklich eine größere Zahl an Bildern da, so daß ich Ihnen doch wenigstens etwas zeigen kann. Passt es Ihnen an einem der kommenden Nachmittage (nur Donnerstag geht nicht)? Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen. Mein Atelier liegt Friedenau, Wilhelmstraße 16 in derselben Straße, wo die Ateliers von Götz und Casal liegen. Vielleicht ist es am einfachsten, Sie telefonieren mich einmal an (Amt Pfalzburg 8401). Ich bin mit ziemlicher Sicherheit morgens bis 9 Uhr und dann nachmittags von 2½ bis 4 Uhr zu Hause zu erreichen. Mit freundlichem Gruß Ihr sehr ergebener L. Sandrock.

 

Ein Jahr später entdeckte Max Osborn (1870-1946) auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1912 Sandrocks Gemälde Lokomotivschuppen. Der Kunstkritiker der Vossischen Zeitung bezeichnete ihn als eins der stärksten und hoffnungsvollsten Talente der Berliner Malerzunft, von dem noch Vieles und Gutes zu erwarten ist. Er steht vor uns als ein Künstler von fest umrissener Eigenart, der sich aus reifer Anschauung eine besondere Welt geschaffen hat, und der doch, unaufhörlich an sich arbeitend, von dem lebendigen Strom der vorwärtstreibenden Entwicklung getragen wird.

 

Sandrock brachte seine Impressionen direkt und in schneller Abfolge aufs Papier. Wenn beispielsweise eine Gewitterbö heraufzog, dann malte ich sie in mehreren Phasen ihrer Erscheinung hintereinander, etwa vier kleine Farbenskizzen auf ein Blatt. Erst die am Horizont aufziehende Wolkenwand mit dem im Vordergrund noch im Sonnenschein grün leuchtenden Wasser. Auf der zweiten Skizze war die Wolkenwand heraufgekommen, die ganze Luft drohend schwarzblau mit ein paar grauen Wolkenfetzen davor und dem schwarzgrünen Wasser mit den ersten Schaumkämmen darunter. Dann der Moment, wo unter dem niederpeitschenden Regen alles grau in grau erscheint, und als vierte Skizze das Aufklaren nach der Bö mit dem blaugrünen Luftdurchbruch über gelblichen Wolkenbänken am Horizont und dem wieder grün werdenden Wasser darunter. Die Hunderte von Studien, die ich gemacht habe, waren die Vokabeln einer Sprache, die ich lernen musste, um die Sprache sprechen zu können.

 

Diese Arbeitsweise trifft wohl auf alle seiner Gemälde zu, ob Meerbilder, Hafenansichten, Landschaften, Lokomotiven oder die Stahlwerke. Sandrock reist viel. Aus den Titeln seiner Bilder lassen sich die Orte ausmachen: Zaandam, Hamburg, Cuxhaven, Emden, Genua, Nieuport, Flensburg, Danzig, Stettin, Athen, Venedig und immer wieder Hamburg – bis zum Ende des Kaiserreichs. Die erste Seereise, die ich mir nach Krieg und Inflation wieder leisten konnte, ging nach den Lofoten und dem Nordkap. Sie brachte mir wieder zum Bewusstsein, daß das Meer doch die größten Eindrücke zu bieten vermag. Als die ‚Monte Cervantes‘ südlich der Lofoten in den Nordatlantik hinaussteuerte und in der Abenddämmerung die Küste außer Sicht kam, da hörte man vielfach die Äußerung: ‚Jetzt kann man hineingehen, es gibt doch nichts mehr zu sehen.‘ Und da gab’s gerade das Schönste der ganzen Reise zu sehen, die weite rollende Wasserfläche, auf der unser Schiff einsam dahinzog.

 

Die Weimarer Republik bringt auch für Sandrock manche Veränderung. Am 21. März 1923 schreibt er: Die heutige Zeit des Umsturzes des bisher Bestehenden ist ja einer ruhigen Fortentwicklung in der Kunst nicht günstig. Wenn einer nicht von Jahr zu Jahr als gänzlich Neuerer sich präsentiert, geht man über ihn zur Tagesordnung über, obwohl man doch auch ein Kind seiner Zeit sein kann, wenn man für die Besonderheiten derselben Empfindung hat. 1919 war das kinderlose Ehepaar in das viergeschossige Mietswohnhaus Niedstraße Nr. 31 gezogen. Um diese Zeit muss das einzig erhaltene Foto von Leonhard und Ellen Sandrock entstanden sein: Sie sitzen auf einer Parkbank im Birkenwäldchen auf dem Maybachplatz.

 

Anfang der 1920er Jahre erhält er den Auftrag, in Schlesien und Westfalen Stahlwerke zu malen. Mit den Gemälden „Zwischen den Hochöfen“, „Im Thomaswerk“, „Martinswerk“, „Hüttenwerk“, „Bandstahlwerk“, „Hüttenkokerei“ oder „Im Stahlwerk“ entstanden die Industriebilder, neben den Meerbildern ein beträchtlicher Teil seines Werkes. Die Nationalsozialisten vereinnahmen in später als Maler der Arbeitsschönheit. 1937 schreibt er: Beruflich konnte ich mit den letzten Jahren zufrieden sein. Gerade die heutige Zeit hat ja für eines meiner Stoffgebiete, die Industrie und die Arbeit, besonderes Interesse.

 

Sandrock gehörte ab 1898 dem Verein Berliner Künstler an. Als nach der Bildung von Groß-Berlin 1920 der Verwaltungsbezirk 11 entstand, wurde er Mitglied des „Künstlerbund Schöneberg-Friedenau“, der gemeinsam mit der Bezirks-Kunstdeputation Berlin-Schöneberg vom 18. August bis 1. September 1923 im Schöneberger Rathaus die „Graphische Ausstellung eines Schöneberger Sammlers“ präsentierte – die Sammlung von Sebastian Malz (1873-1945), der seit 1908 eine auf Lithographie und Algraphie spezialisierte Druckerei in Friedenau betrieb – darunter auch die Farblithographie mit dem Titel Beim Ausbessern und der mit Bleistift eingetragenen Anmerkung Herrn Malz z. fr. Er. Leonhard Sandrock.

 

Leonhard Sandrock beteiligte sich von 1900 regelmäßig an den Großen Berliner Kunst-Ausstellungen, 1942 letztmalig mit den Ölbildern Hüttenkokerei und Kreuzer Emden in der Elbmündung. Er starb am 30. Oktober 1945, seine Frau Ellen am 8. Dezember 1946. Die Umstände sind bis heute nicht geklärt. Nicht bekannt ist, wo die beiden begraben wurden. Da die Ehe kinderlos blieb, bleibt die Frage nach dem Nachlass weitgehend undurchsichtig. Etwa fünfzig Gemälde, Zeichnungen, Lithographien, Radierungen und Skizzenbücher sollen schon zu Lebzeiten in den Besitz des Sohnes der Cousine von Ellen Sandrock übergegangen sein. In den 1930er Jahren hatte der Berliner Kaufmann Heinrich König eine größere Anzahl an Gemälden erworben. Während des Weltkriegs zog er in den Spreewald, nach der Währungsreform in den Rheingau. Seiner Tochter gelang es, die Bilder aus der SBZ zuerst nach West-Berlin und dann nach Westdeutschland zu bringen. 1994 wurde der Sandrocksche Nachlass mit über 300 Bildern dem Kunsthändler Eduard Sabatier in Verden angeboten.

 

Der vergessene Maler des Impressionismus wird vom Kunstmarkt inzwischen als Geheimtipp propagiert.

 

Niedstraße 32. LDA 2005

Niedstraße 32

Mietshaus

1890

Entwurf & Bauherr Ewald Götze

 

Das schmale, viergeschossige Mehrfamilienwohnhaus wurde 1890 von Ewald Götze erbaut. Der fünfachsige Putzbau hat einen dreigeschossigen, zweiachsigen, offenen Loggiavorbau, auf dem sich im dritten Obergeschoss ein Altan befindet. Es besitzt nur eine Wohnung pro Geschoss. Das Erdgeschoss zeigt eine schwere Rustika, das erste Obergeschoss Rauh-, die weiteren Obergeschosse Glattputz. Die Fenster sind durch Faschen und phantasievolle Ädikulä mit Kartuschen ausgezeichnet. Topographie Friedenau, 2000

Niedstraße 39. Foto Hahn & Stich

Niedstraße Nr. 39

Baudenkmal Landhaus

Datierung 1889

Entwurf Max Nagel

Bauherr Carl Wolff

 

Das Haus mit einer Grundfläche von 20 x 13 Metern weist in jedem Geschoss nur eine großzügige Wohnung auf. Es wird im Erdgeschoss durch eine seitliche Durchfahrt zum Hof erschlossen, neben der der Treppenantritt für die Wechselpodesttreppe beginnt, die dann über der Durchfahrt ins erste und zweite Obergeschoß und ins Dachgeschoß führt. Die Straßenfassade ist reich gestaltet: Die Rundbogen-Durchfahrt mit flankierenden ionischen Säulen und Architrav wird von einer Kartusche mit dem Monogramm ‚CW‘ (Carl Wolff) bekrönt. Das Souterrain und das Hochparterre sind rustiziert, die beiden Obergeschosse als Rohziegelfassade ausgeführt und die Fenstergewände und der Mittelerker reich stuckiert. Der Erker trägt im zweiten Obergeschoss einen Altan mit einem Glasdach. Das Haus zeigt deutlich den Übergang vom Land- zum Mietshausbau nach dem Inkrafttreten der Bauordnung von 1887. Topographie Friedenau, 2000