Georg Roenneberg

Dieser 200 Meter lange Weg hat in wenigen Jahren mehrfache Umbenennungen erlebt. Von 1885 bis 1890 war es die Neue Straße. Als dann die Verbindung von der Rheinstraße zur Handjerystraße und weiter zur Kaiserallee (Bundesallee) ausgebaut wurde, wurde dieser Abschnitt 1890 Teil der Ringstraße (Dickhardtstraße). Am 21. September 1892 wurde daraus die Roennebergstraße. Anlass war, dass Friedenaus erster ehrenamtlicher Gemeindevorsteher Georg Roenneberg (1834-1895) nach fast zwei Jahrzehnten gab er sein Amt auf, und dafür sorgte, dass sein Bruder Major a. D. Albert Roenneberg (1842-1906) hauptamtlicher Gemeindevorsteher wurde.

 

Der Geh. Exped. Secretar im Ministerium für öffentliche Arbeiten hatte 1873 noch vor Gründung der Landhauskolonie Grundstücke erworben und gehörte damit zu den ersten Kolonisten. Da Friedenau damals noch keine selbstständige politische Gemeinde bildete, sondern zu Wilmersdorf gehörte, gründeten die wenigen Angesessenen zur Wahrnehmung ihrer Interessen einen Verein, zu dessen erstem Vorsitzenden Herr Roenneberg gewählt wurde. Seinen energischen Bemühungen gelang es, die Lostrennung der Villenkolonie Friedenau von Wilmersdorf durchzusetzen. Die Einwohnerschaft war daher überzeugt, auch für die Leitung der neuen Gemeinde keinen Besseren finden zu können, als Herrn Roenneberg. Und so wurde denn derselbe 1875 einstimmig zum ersten ehrenamtlichen Gemeindevorsteher erwählt.

 

Zu seinem Gefolge gehörten die Brüder Eduard (1837-1888) und Albert (1842-1906) sowie seine Schwestern Hedwig (1836-1906), Franziska (1844-1915), Melida (1848-1926) und Henriette (1849-1915). Die Fräuleins, die sich bisher mit Handarbeiten und Klavierspiel beschäftigt hatten, gründeten 1873 im Roennebergschen Wohnhaus Moselstraße 5 eine Schule für Knaben und Mädchen, in dem es auch eine Amtsstube gab, in der von 4 ½ bis 5 ½ Sprechstunden des Gemeindevorstehers abgehalten wurden. Nachdem der Lehrer am Dorotheenstädtischen Realgymnasium Dr. phil. Carl Lorenz in der Schmargendorfer Straße 1883 eine Knabenschule eröffnet hatte, mussten die Schwestern ihr Institut 1897 in die Roennebergsche Höhere Töchterschule umwandeln.

 

 

1902 trat Major a. D. Albert Roenneberg aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt als Gemeindevorsteher zurück. 1903 kam Bernhard Schnackenburg (1867-1924) als erster hauptamtlicher Bürgermeister. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger kommentierte: Lange Jahre stand unsere Gemeinde unter Leitung der Dynastie Roenneberg, als diese abtrat, kam Bürgermeister Schnackenburg, der in kluger Weise  unsere Gemeinde vorwärts brachte.

 

***

 

Der Denkmalbereich Roennebergstraße umfaßt neun Häuser auf der Nord- und der Südseite der Straße, die Nummern 4, 5, 5A, 6 und 12-16, jedoch ist nur das Haus Nr. 4 ein Baudenkmal, die übrigen acht Häuser sind konstituierende Bestandteile des Ensembles. Drei davon stammen von dem Architekten James Ruhemann. Diese Häuser bilden einen zwischen 1895 und 1902 gewachsenen Denkmalbereich, ein geschlossenes Ensemble von Mietwohnhäusern mit weitgehend intakten Fassaden des Historismus und des Jugendstils, die zusammen die hohe gestalterische Qualität des Wohnungsbaus um 1900 in Friedenau dokumentieren.

 

Roennebergstraße 4, Foto Topographie Friedenau, 1999

Roennebergstraße Nr. 4

Baudenkmal Mietshaus

Datierung 1901-1902

Entwurf Architekt James Ruhemann

 

Die symmetrisch angelegte Straßenfassade des Hauses zeigt beiderseits der Mittelachse je einen Erker mit seitlichen Balkons. Die Erker sind vor wenigen Jahren in der Dachzone aufgestockt und mit Turmhelmen versehen worden. Das Erdgeschoß weist bis zur Mitte des ersten Obergeschosses rotes Sichtziegelmauerwerk auf, darüber ist die Fassade glatt verputzt. Die Fenstergewände zeigen einfache neogotische Formen. Der breite Hauseingang öffnet sich zu einer Durchfahrt mit seitlicher Wechselpodesttreppe, die das Vorderhaus erschließt. Die Durchfahrt ist mit Boden- und Wandfliesen des Jugendstils ausgestattet. Die kurzen Seitenflügel mit freistehendem Quergebäude ermöglichen einen großen, gemeinsamen Hof mit dem Nachbarhaus Nr. 5. Topographie Friedenau, 2000

 

***

James Ruhemann (1865-1931) hat für Friedenau und Schöneberg einige Häuser entworfen, darunter den Fuhrhof Pählchen in der Görresstraße Nr. 23, dessen Wertigkeit das Landesamt für Denkmalpflege erst 2019 kurz vor dem geplanten Abriss erkannte. In der Roennebergstraße sind drei Bauten erhalten, weitere befinden sich in der Albestraße 19 & 20, Handjerystraße 65 & 72, Rheinstraße 55 und Wielandstraße 9 & 11 & 12. Der gelernte Maurer eröffnete 1892 in der Handjerystraße das Atelier für Architektur und Bauausführungen. Er wird Mitglied der Baugewerksinnung von Steglitz, Friedenau, Schöneberg, Groß-Lichterfelde, Zehlendorf und Mariendorf und begrüßt die neue Bauordnung für die Vororte von Berlin, als den Wünschen der Baumeister und Architekten mehr entgegenkommend. James Ruhemann stirbt 1931 im Vinzenz Krankenhaus Lichterfelde, das für die Bekämpfung von Krebs und Tbc gegründet worden war. Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee.

 

Roennebergstraße 5-5A. Foto 1999, Topographie Friedenau

Roennebergstraße Nr. 5

 

Das viergeschossige, zehnachsige Nachbarhaus Roennebergstraße 5 ist von einem unbekannten Architekten um 1900 gebaut worden. Bauakten fehlen für dieses und das benachbarte Grundstück Nr. 5A. Auch diese Putz-Fassade ist symmetrisch angelegt: Beiderseits der Mittelachse sind Erker mit seitlichen Balkons angeordnet, in der Mitte befinden sich der Hauseingang und ein Laden, deren Öffnungen mit je einem Korbbogen überwölbt sind. Darüber befinden sich im zweiten und dritten Obergeschoß Balkons mit floralen Jugendstilgittern. Über den Fenstern im Erdgeschoß sind florale Jugendstilmotive in Stuck ausgeführt. Der breite Hauseingang öffnet sich zu einer Durchfahrt mit seitlicher Wechselpodesttreppe, die das Vorderhaus erschließt. Die Durchfahrt zeigt die gleichen Boden- und Wandfliesen wie die des Hauses Nr. 4, mit dem es eine Hofgemeinschaft bildet. Topographie Friedenau, 2000

 

Roennebergstraße 5-5A. Foto 1999, Topographie Friedenau

Roennebergstraße Nr. 5A

 

Das viergeschossige, fünfachsige Wohnhaus Roennebergstraße 5 A auf schmaler Parzelle ist um 1895 von einem unbekannten Architekten als Zweispänner errichtet worden. Die Fassade des Hauses wurde entdekoriert. Das Haus zeigt einen zweiachsigen, kräftig vorspringenden Mittelrisalit. Beiderseits des Eingangs sind in späterer Zeit kleine Reliefs mit Szenen aus dem Leben des heiligen Franziskus angebracht worden. Topographie Friedenau, 2000

 

Roennebergstraße 6

Roennebergstraße Nr. 6

 

Das viergeschossige, fünfachsige Mietshaus Roennebergstraße 6 wurde 1895-96 als Zweispänner durch den Architekten James Ruhemann für den Maurermeister und Bauunternehmer F. Wemick erbaut. Die Mittelachse der Fassade ist durch einen kräftig vorspringenden, einachsigen Trep­penhausrisalit betont. Das Säulenportal des Hauseingangs trägt eine Kartusche mit dem Monogramm »FW« für den Namen des Bauherrn. Die Treppenhausfenster sind farbig verglast. Seitlich vom Treppenhaus sind vor den äußeren Fensterachsen jeweils Balkons angeordnet. Das Erdgeschoß und das erste Obergeschoß sind mit Putzquaderung versehen, die Geschosse darüber glatt verputzt. Die Fenstergewände zeigen Formen der deutschen Renaissance. Auch die Häuser auf der Südseite der Roennebergstraße zeigen abwechselnd Fassaden des späten Historismus und des Jugendstils. Topographie Friedenau, 2000

 

Roennebergstraße 12. Foto LDA, 2004

Roennebergstraße Nr. 12

 

Das viergeschossige, zehnachsige Mietwohnhaus Roennebergstraße 12 wurde 1895-96 von Adolf Förster entworfen und zeigt eine asymmetrisch konzipierte Fassade mit einem ausmittig angeordneten Risalit mit Quergiebel. Das Souterrain und das Erdgeschoß weisen Putzquaderung auf, darüber ist die Fassade mit weißen Verblendklinkem verkleidet. Die Fenster werden von Putzgewänden in schweren floralen Jugendstilformen gerahmt, die Brüstungsfelder des Erdge­schosses zeigen Jugendstilgirlanden. Das Haus ist ein frühes Beispiel für die Gestaltung einer Fassade in Jugendstilformen. Topographie Friedenau, 2000

 

Roennebergstraße 13. Foto Hahn & Stich, 2021

Roennebergstraße Nr. 13

 

Das viergeschossige, neunachsige Haus Roennebergstraße 13 ist um 1900 von einem unbekannten Architekten geplant worden. Es zeigt wie das Nachbarhaus Nr. 12 ebenfalls eine asymmetrisch konzipierte Fassade mit entsprechend ange­ordneten Erkern sowie Balkons und Loggien in den äußeren Achsen der Fassade. Die Fassade wird akzentuiert von einem durchlaufenden Stuck-Fries mit Kastanienblättern und spielenden Eichhörnchen. Über dem Eingangsportal ist ein weiteres florales Relief angeordnet mit einem Drei- Schilde-Wappen, das drei Künste symbolisiert. Vom dritten Obergeschoß an ist die Straßenfassade mit einem Scheinfachwerk aus Stuck dekoriert, ebenso der asymmetrische Erkergiebel. Topographie Friedenau, 2000

Roennebergstraße 14. Foto Hahn & Stich, 2021

Roennebergstraße Nr. 14

 

Das Mietwohnhaus Roennebergstraße 14 von 1897 stammt von James Ruhemann. Das Haus ist viergeschossig und hat eine streng symmetrische, elfachsige Straßenfassade. Die Mittelachse wird durch einen breiten dreiachsigen Mittelerker betont; außen sind Loggien angeordnet. Die Fassade ist in schweren Formen der Neorenaissance gestaltet. Das Erdgeschoß weist eine Rusti­kagliederung und in der Mittelachse ein Doppelportal mit Rundbögen für den Hauseingang und die Durchfahrt auf. Das erste Obergeschoß zeigt eine Putzquaderung mit Bossen an den Fenstergewänden. Im Erker sind in den drei Obergeschossen die Fenster durch einen flachen Segmentbogen zusammengefasst, im Bogenfeld sind Reliefs mit Ranken und Wappen ausgeführt. Topographie Friedenau, 2000

 

 

Roennebergstraße 15. Foto Hahn & Stich, 2021

Roennebergstraße Nr. 15

 

Das viergeschossige, siebenachsige Mietshaus Roennebergstraße 15 wurde 1902 von dem Friedenauer Architekten Richard Draeger gebaut. Das Baujahr und der Architekt des Hauses sind über dem spitzbogigen Hauseingang inschriftlich bezeichnet: »Erbaut A. D. 1902 - Rieh. Draeger Archi­tekt«. Die symmetrische Fassade des Hauses ist trotz des Baujahrs 1902 in den Formen der Neogotik gestaltet. Beiderseits der Mittelachse springen Erker vor, in deren Brüstungsfeldem die Initialen »W D.« und »E. D.« (wohl für die Bauherren) auf Inschriftbändern erscheinen. Seitlich der Erker sind Balkons angeordnet, deren Brüstungen erneuert sind. Über dem zweiten Obergeschoß sind auf beiden Erkern zwei große Reliefs mit zwei sitzenden, nackten Frauenfiguren im Rankenwerk ausgeführt. Die Erker werden von Quergiebeln mit flachen Maßwerkdekorationen im Relief bekrönt. Die historistische Fassade des Hauses wirkt überzeugend, weil sie sich mit ihrer Dekoration den benachbarten Jugendstilfassaden annähert. Topographie Friedenau, 2000

 

Roennebergstraße 16. Foto Hahn & Stich, 2021

Roennebergstraße Nr. 16

 

Das viergeschossige Mietshaus Roennebergstraße 16 wurde 1902 nach den Plänen der Architekten Eckert und Danneberg errichtet. Die neunachsige symmetrische Fassade zeigt im Erdgeschoß eine kräftige Putznutung, im ersten und zweiten Obergeschoß eine feine Putzquaderung. Zwei Standerker sind beiderseits der Mittelachse mit seitlich angegliederten Loggienbalkons angeordnet. Jugendstilornamente schmücken die Brüstungsfelder der Balkons und Fenster. Auf der Mittelachse ruht auf Konsolen - am oberen Ende des zweiten Obergeschosses - ein flacher Schweifgiebel mit einem Frauenkopf. Der Mittelbau des Flauses mit den Erkern wird durch ein erhöhtes Pavillondach bekrönt. Die Fassade ist kürzlich bei einer Renovierung in einzelnen Teilen vereinfacht worden. Topographie Friedenau, 2000

 

Roennebergstraße Nr. 17

Ecke Rheinstraße 28-29

 

Bevor der Flachbau Rheinstraße Nr. 28-29 und das dachlose Haus Roennebergstraße Nr. 17 einem Neubau weichen, sei daran erinnert, dass in Nr. 17 einst der Schriftsteller Hermann Essig (1878-1918) lebte. Von ihm erfuhren wir, als sich das deutsche Feuilleton im Juli 2021 darüber erregte, dass Berlin das Grab des Dichters Oskar Loerke (1884-1941) als Ehrengrabstätte nicht verlängert, da ein fortlebendes Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit nicht mehr erkennbar ist. Unter dem Stichwort Kleist-Preis fanden wir heraus, dass Oskar Loerke und Hermann Essig 1913 gemeinsam der Kleist-Preis verliehen wurde. Hermann Essig erhielt den Preis 1914 ein zweites Mal, nun zusammen mit Fritz von Unruh (1885-1970) – auf Vorschlag von Arthur Eloesser. Er kann also nicht so ganz unbedeutend gewesen sein.

 

Seine ersten Werke veröffentlichte er im Selbstverlag. Vom S. Fischer Verlag wurden seine Arbeiten als noch zu unreif abgewiesen, aber für den Verlag von Bruno Cassirer (1872-1941) seien sie genügend meschugge. Cassirers Lektoren fanden in der Tat, dass ein Geniefunken unter dem Wust kraftgenialischen Wirrwarr glomm. Das Interesse, das wir an der Arbeit genommen haben, ist von eigentümlicher Art: wir wissen uns über den Keim und den formenden Willen in Ihrer Arbeit keine Rechenschaft zu geben. Während wir in einem Zustand höchster Unorientiertheit die Arbeit lasen, sind uns aber viele Einzelheiten von wirklicher, höchst frappierender Kraft aufgestoßen und wir hätten den Wunsch, mit Ihnen einmal über dieses Werk und andere Pläne von Ihnen zu sprechen.

 

So kam Essig zu Cassirer, später zum Sturm von Herwarth Walden, dem Förderer der Avantgarde, und schließlich zu Kurt Wolff, dem wichtigsten Verlag für expressionistische Literatur. Der Kritiker Alfred Kerr nannte Essig einen keimvollen Schluderer, bei dem Borsdorfer (Äpfel) neben Pferdeäpfel liegen, brachte in der Zeitschrift Pan seine derbgewachsenen Humorstücke heraus, wo man beim Lesen brüllend und zuckend nach Luft pfiff wie eine Maus. Hermann Essigs gleitende, überraschende (und auch reizvolle) Grenzüberschreitung wurde im Kaiserreich wegen sexuell anstößiger Stellen immer wieder von der Zensur attackiert. Der Dramatiker, Erzähler und Lyriker verstarb am 21. Juni 1918. Sein Grab auf dem Parkfriedhof Lichterfelde existiert nicht mehr.

 

Das bringt uns zurück zum noch existierenden Grab von Oskar Loerke: In der FAZ stellte Herausgeber Jürgen Kaube die Frage, ob Oskar Loerke ein fortlebendes Andenken durch die Berliner Stadtbewohner erfährt. Die Frage kann nur sein, ob er ein solches Andenken verdient. Das gilt aber doch wohl auch für Hermann Essig. Im Fall Loerke revidierte nach dem öffentlichen Protest der Senat seine Entscheidung und übernimmt nun die staatliche Grabpflege für weitere 20 Jahre. Ein Pyrrhussieg! In einigen Monaten muss über die Verlängerung der Ehrengräber von Erwin Barth, Gottfried Benn, Valeska Gert, Hannah Höch, Max Pechstein, Fritz Schaper, Richard Scheibe, Ludwig Tieck und Paul Zech entschieden werden. Was blüht uns da?

 

So geht es in Berlin seit Jahren. Die Gräber des Fotopioniers Ottomar Anschütz auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße und des Bildhauers Gustav Eberlein auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof waren bis 2009 bzw. 2014 Ehrengräber. Nach heftigen Protesten, an denen sich das Feuilleton leider nicht beteiligte, sind sie seit November 2018 wieder Ehrengräber. In den vergangenen Jahren wurde hingenommen, dass die Ehrengrabstätten für Georg Graf von Arco, Carl Blechen, Hugo Conwentz, Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, Johannes Otzen, Karl Ludwig Schleich sowie diversen Gräbern der Familie Mendelssohn Bartholdy gelöscht wurden.

 

FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube stellt in seinem Kommentar vom 24. Juli 2021 Fragen: Hat die Kulturverwaltung ein Verhältnis zur Kultur? Liest sie? Traut sie sich Urteile zu, die sie nicht den Massenmedien entnimmt? Auf den entscheidenden Punkt kommt er nicht: Wer entscheidet? Diverse Senatsverwaltungen, Senatskanzlei oder Rat der Bezirksbürgermeister?

 

Um was geht es? Um die Frage, ob bei den zu ehrenden Persönlichkeiten ein fortlebendes Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit erkennbar ist, oder geht es letztendlich nur um die jährlichen Kosten von 180 bis 350 Euro für die gärtnerische Pflege? Das lässt sich nicht sagen, denn diese Entscheidungen werden im Hinterzimmer getroffen. Der Recherche sind dabei enge Grenzen gesetzt. Denn nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz (IFG) wird eine Akteneinsicht versagt, wenn sich der Inhalt der Akten auf den Prozess der Willensbildung innerhalb von Behörden bezieht. Diese Auskunft erhielten wir bereits 2016, als wir wissen wollten, wie die Entscheidungen zu Ehrengräbern zu Stande kamen.

 

Die Absage wurde wortreich begründet: Diese Vorschrift schützt dauerhaft den Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung. Das umfasst die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung aller für die Entscheidungsfindung erheblichen Umstände. Dabei erstreckt sich der Versagungsgrund auf sämtliche Informationen, welche unmittelbar mit dem Willensbildungsprozess verbunden sind und diesen dokumentieren. Bei der Stellungnahme der zuständigen Senatsverwaltung handelt es sich um eine wertende Zuarbeit im Rahmen der behördeninternen Entscheidungsfindung. Die in der Stellungnahme vorgenommene Einschätzung stellt eine unmittelbar mit dem Entscheidungsprozess über die Ehrengrabstätte verbundene Beurteilung und Abwägung dar, welche sich nicht von dem Vorgang der behördlichen Willensbildung trennen lässt. Auch soweit hierin Sachinformationen zur Grundlage der Entscheidungsfindung gemacht und dementsprechend aufbereitet werden, handelt es sich bei dieser Darstellung um eine dem Willensbildungsprozess zuzurechnende Information, da hierin jedenfalls durch Auswahl und Hervorhebung die wertende Betrachtung der zuständigen Senatsverwaltung im Verhältnis zu der in Bezug genommenen Entscheidung zum Ausdruck kommt

 

Man könnte es auch kürzer fassen: Bei der Entscheidung zu den Ehrengräbern im Land Berlin ist Transparenz nicht erwünscht, noch weniger sind es unbequeme Diskussionen in der Öffentlichkeit. Geschützt wird der Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung, wo es doch in erster Linie um den Schutz des kulturellen Erbes dieser Stadt gehen sollte. Ein Armutszeugnis!

 

Der punktuelle Empörungsjournalismus in den Feuilletons, wenn wieder einmal die eine oder andere Persönlichkeit auf die Streichliste des Senats gerät, hilft da nicht weiter. Es fehlt an einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Thema – leider auch in der FAZ. Bei allem Respekt, es bleibt ein Unding, dass Entscheidungen zu Ehrengräbern als verwaltungstechnischer Vorgang behandelt werden. Das gehört in die Hände einer wirklichen Expertenkommission, die ihre Urteile transparent begründen muss und die, um Jürgen Kaube noch einmal zu zitieren, ein Verhältnis zur Kultur hat und sich diese Urteile auch zutraut.