Im Bebauungsplan von Friedenau ist die Straße 1874 als Carlsruher Straße eingezeichnet. 1884 wurde daraus die Bismarckstraße, die 1937 den Namen Jänischallee erhielt, benannt nach dem SS-Scharführer Erwin Jänisch, der bei einem Angriff auf den Reichsbanner-Wehrverband 1932 den Tod fand. Am 31. Juli 1947 bekam die Straße den Namen Sarrazinstraße, benannt nach dem Bauingenieur und Baubeamten Otto Sarrazin (1842-1921). Der Oberbaurat im Ministerium für öffentliche Aufgaben hatte zusammen mit Hermann Eggert 1881 die Redaktion des Centralblatt der Bauverwaltung übernommen. Die Zeitung erschien ein- bis zweimal pro Woche und veröffentlichte Texte, Abbildungen, Baupläne, Zeichnungen und Fotos über Neubauten von öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfe, Schulen, Kirchen, Kasernen, Rathäusern, Kanälen, Schleusen und Brücken, welche ihrer Art und ihrem Zwecke nach eine schnelle Veröffentlichung erfordern, darunter die Rapporte über den Stand der Staats-Bauausführungen.

 

Hausnummerierung: Linke Seite Nr. 1 (gehört zur Handjerystraße Nr. 14) bis Nr. 29 (gehört zum Friedrich-Wilhelm-Platz Nr. 17; rechte Seite Nr. 2 (f. a Evastraße Nr. 6) bis Nr. 28 (Friedrich-Wilhelm-Platz).

 

Otto Sarrazin. Centralblatt der Bauverwaltung, 1921

Otto Sarrazin (1842-1921)

 

Vorweg: Otto Sarrazin, um den es hier geht, und nach dem die Straße 1947 benannt wurde, ist der Urgroßonkel von Thilo Sarrazin, der 2010 Deutschland schafft sich ab veröffentlichte. Statt sich mit seinen Positionen wirklich auseinanderzusetzen, schloss ihn die SPD 2020 nach 47-jähriger Mitgliedschaft aus der Partei aus. Gewonnen wurde damit nichts. Berthold Kohler hatte es 2010 in seiner FAZ-Rezension geahnt: Die Botschaft für Sarrazin, aber auch andere potentielle Abweichler vom politischen Mainstream, ist klar: Wer solche Bücher schreibt, muss sich auf politische und gesellschaftliche Ächtung gefasst machen. Die Freiheit der Andersdenkenden war einmal.

 

 

 

 

 

 

 

Gewisse Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sarrazins sind nicht zu übersehen, wenn auch nur weit entfernt. Otto Sarrazin setzte sich vehement für die Reinhaltung der deutschen Sprache ein – durch Vermeidung unnötiger Fremdworte. Sein 1886 veröffentlichtes Verdeutschungs-Wörterbuch listet beispielsweise auf: Abteil statt Coupé, Bahnsteig statt Perron, Fahrkarte statt Billet, Rückfahrkarte statt Retourbillet, Bürgersteig statt Trottoir, Abort statt Water Closet. Anderes blieb auf der Stre>Einschreibebuch statt Album, Abgangsschüler statt Abiturient, Baumgang statt Allee, Lebensbeschreiber statt Biograph, Haarkünstler statt Friseur. Kaum vorstellbar, wie Otto Sarrazin auf den derzeitigen sprachlichen Genderisierungswahn reagieren würde.

 

Otto Sarrazin wurde am 22. Dezember 1842 in Bocholt geboren. Er war einer der neun Söhne des Fürstlich Salm-Salmschen Geheimen Rats Franz Sarrazin, die sämtlich das Königliche Paulinische Gymnasium in Münster absolvierten. 1862 legte er mit 19 ½ Jahren das Abitur ab und begann ein Studium an der Berliner Bauakademie. Nach dem 1. Staatsexamen wurde er Referendar in der preußischen Bauverwaltung. Unter Bauingenieur Ernst Dircksen wirkte er als Bauführer beim Bau der Berliner Ringbahn. Während des deutsch-französischen Krieges wurde er bei der Feldeisenbahn-Abteilung eingesetzt. 1872 legte er die Baumeisterprüfung ab und wurde Hilfsarbeiter im Handelsministerium bei der Technischen Abteilung für das Eisenbahnwesen. 1873 wurde er als Abtheilungs-Baumeister an die Eisenbahndirektion Wiesbaden zum Bau der Eisenbahnstrecke Oberlahnstein-Koblenz-Güls überwiesen. Er wohnte in der Löhr-Chaussee in Koblenz. Dort trat er auch in den Ehestand.

 

Als im Dezember 1879 in Schottland eine nagelneue Brücke zusammenbrach und einen Eisenbahnzug mit 75 Menschen in den Tod riss, in der Vossischen Zeitung Fontanes Ballade Die Brück‘ am Tay veröffentlicht wurde, wetterte Baumeister Otto Sarrazin in der Kölnischen Zeitung gegen dilettantische Baumeister und ihre nachlässige Ausbildung. Nachdem Albert von Maybach (1822-1904) das Ministerium der öffentlichen Arbeiten übernommen und mit der Neuorganisation des staatlichen Bauwesens in Preußen begonnen hatte, berief er den sachkundigen und wortgewandten Sarrazin 1881 als Schriftleiter der Fachzeitschrift Centralblatt der Bauverwaltung. Da Sarrazin die von der Ministerialbürokratie automatisch gelieferten Beiträge als unzureichend betrachtete, knüpfte er direkte Verbindungen mit Fachleuten und sorgte dafür, dass diese auch in ansprechender Form erschienen. So ist es erklärlich, dass das neue Blatt sich schnell den Beifall und die Wertschätzung nicht nur der deutschen Fachwelt, sondern ebenso des Auslandes errungen und dauernd bewahrt hat. Sarrazin machte die Zeitschrift weltoffen, weil er über den Tellerrand blickte und in Deutschland auch über das Wetteramt in den Vereinigten Staaten, die Arbeiter-Colonien in Holland, die Bahnhofsbauten in Chicago, die Themsebrücke in London und die Bebauungspläne von Florenz, Neapel und Rom berichten ließ. 1885 wurde ihm auch die Leitung der Zeitschrift für Bauwesen des Preußischen Finanzministeriums übertragen. Diese Doppelfunktion übte er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand am 30. Juni 1913 aus. Zu Recht sind wesentliche Ausgaben der Publikationen aus den Jahren 1851 bis 1931 digitalisiert worden.

 

1882 wohnen der Kgl. Bauinspektor Otto Sarrazin in Berlin W, Magdeburger Straße Nr. 30, und sein Bruder, der Landgerichtsassessor Dr. jur. Richard Sarrazin, in Berlin N, Ziegelstraße Nr.  2, III. Stock. Otto Sarrazin nahm offenbar 1881 die Eröffnung der Ringbahnstation Wilmersdorf-Friedenau zum Anlass, ein Grundstück in der damals noch unnummerierten Kaiserstraße zu erwerben: das Sarrazin’sche Haus. Das Durcheinander mit den beiden Sarrazins in Friedenau begann 1885 mit dem Zuzug von Dr. jur. Richard Sarrazin. 1888 wurde aus der Kaiserstraße die Kaiserallee. Richard war Eigentümer von Nr. 32, Otto von Nr. 82. Erst 1897 war der Adressbuchverlag in der Lage, beide Sarrazins korrekt einzuordnen. Obwohl Dr. jur. Richard Sarrazin, Direktor im Reichsversicherungsamt 1898 mit 71 Stimmen zum Friedenauer Gemeindevertreter gewählt wurde, brachte auch der Friedenauer Lokal-Anzeiger beide Sarrazins immer wieder durcheinander. Für Kommunalpolitik interessierte sich Otto Sarrazin nicht – bis auf einen Brief vom 4. Juli 1905 an Friedenaus Amtsvorsteher. Es ging um die Kaiserallee: Ich halte Schlackensteinpflaster gegenüber Asphaltpflaster für minderwertig — darüber besteht für mich als Techniker kein Zweifel. Und eine Straße mit Schlackensteinpflaster erscheint einer Straße mit Asphalt gegenüber in gewissem Sinne ebenfalls als minderwertig, zumal die Kaiserallee ihrer ganzen Lage nach als Verkehrsstraße eine Zukunftsstraße ersten Ranges sei, die bei einer auf Jahrzehnte berechneten Neupflasterung nicht mit einem minderwertigen Pflaster versehen werden darf.

 

Neben dem Beruf als „Blattmacher“ galt Otto Sarrazins Interesse vor allem der Sprachpflege. 1884 veröffentlichte er Das Fremdwort in der Amtssprache und in Baukunst und Bauwissenschaft, 1886 folgte das Verdeutschungs-Wörterbuch, 1887 Beiträge zur Fremdwortfrage, 1903 das Wörterbuch für eine deutsche Einheitsschreibung. Im Jahr 1900 war er zum Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins gewählt worden – und setzte zielbewusst und wenig maßvoll alle Hebel in Bewegung. Staatssekretär Graf von Bülow versicherte für das Auswärtige Amt, dass er es als wichtige Aufgabe erachte, die Wahrnehmung der deutschen Interessen im Auslande und in notwendigem Zusammenhange damit die Fürsorge für die Erhaltung des Deutschtums unter den in der Fremde lebenden Deutschen erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden.

 

Die Präsidenten der Eisenbahnbehörden wurden von Sarrazin gebeten, beigefügte Anmeldungslisten für den Beitritt zum Verein bei den Eisenbahnbeamten in Umlauf zu setzen. Die Ziele des Vereins sind auf die Pflege der Reinheit und Schönheit der deutschen Muttersprache gerichtet. Kaum ein Gebiet ist in dieser Richtung der Reinigung und Säuberung bedürftiger, als das der deutschen Eisenbahnsprache, in die sich infolge der zahlreichen Berührungen mit fremdsprachigen Ländern und der ganzen vielfach internationalen Natur des Eisenbahnbetriebes eine Unzahl von geschmacklosen, überflüssigen und durch gute deutsche Ausdrücke leicht ersetzbaren Fremdwörtern eingebürgert haben.

 

Und schließlich wurde die Sarrazinsche Sprachpflege auch zum Thema der Sitzung des Gemeinderats von Friedenau. Dort wurde begonnen, verschiedene Ausdrücke im Etat zu verdeutschen – was den Friedenauer Lokal-Anzeiger am 16. März 1900 zu einer Glosse veranlasste:

 

Es ist dies ein durchaus löbliches Bestreben, dem wir den besten Fortgang wünschen. Statt Titel wird es in Zukunft Abschnitt heißen, es deckt sich ja nicht ganz, aber es ist deutsch. Für Kriminalbureau wird Geschäftszimmer vorgeschlagen, auch das deckt sich nicht ganz, aber es ist abermals deutsch. Statt Bau-Bureau wird in Zukunft Bauabteilung gesetzt, auch dieses deckt sich nicht ganz, aber es ist entschieden deutsch, für Reparatur wird Unterhaltung genommen, auch das deckt sich nicht, ist aber ohne Zweifel deutsch. Es bleibt natürlich noch viel zu tun übrig und wir wollen versuchen, auch andere unangenehme Fremdwörter zu beseitigen. Da ist vor allem das Wort Etat, das doch mündlich so oft gebraucht wird, wollen wir doch wie es gedruckt stets lautet, Voranschlag sprechen. Es deckt sich zwar nicht ganz, ist aber jedenfalls deutsch. Dann finden wir noch das Wort Kapital in dem gedruckten Exemplar, Pardon, wir wollen sagen Beispielart. Für Kapital schlagen wir vor Hauptgeld. Für direkt und indirekt, wo es sich um Steuern handelt, wird entschieden eigenen gerecht und ungerecht. Die Gegensätze von Realsteuern und Personalsteuern werden ganz passend durch Hundesteuer und Menschensteuer ausgedrückt. Für Kanalisation eignet sich Sielung. Außerdem schlagen wir vor den Titel unseres verehrten Amtsvorstehers zu verdeutschen. Wir wissen, daß in der Zeit der Karolinger der Major domus eine hervorragende Rolle spielte, er wird Hausmeier übersetzt, domus heißt aber das Haus, also bleibt für Major Meier. Herr Bureauvorsteher Sudau hat die Verdeutschungsvorschläge nach Sarrazins Wörterbuch gemacht. Sarrazin ist aber ein ausländischer Name, den wir entschieden verdeutschen müssen. Sarras heißt auf Deutsch Schwert und zin ist jedenfalls aus ziehen entstanden, wir meinen daher die beste Übersetzung für Sarrazin sei Schwertzieher.

 

Als sich der 71-Jährige 1913 als Wirklicher Geheimer Oberbaurat vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten in den Ruhestand verabschiedete und die Schriftleitung von Centralblatt der Bauverwaltung und Zeitschrift für Bauwesen niederlegte, hatte es ihm an Anerkennung nicht gefehlt. Neben den üblichen Orden hatte ihn die Technische Hochschule Berlin mit dem Doktor-Ingenieur und die Universität Gießen mit dem Doktor der Philosophie geehrt.

 

Die Jahre danach waren von Schicksalsschlägen geprägt. Kaum hatte der Erste Weltkrieg begonnen und der deutsche Vormarsch an der Marne durch eine französisch-englische Gegenoffensive zum Erliegen gekommen, wurde der einzige Sohn des Ehepaars Otto und Maria Sarrazin, an die Lazarette Wesel und Emmerich beordert. Richard Sarrazin, der am 20. Juli 1882 in Friedenau geboren wurde, war Assistenzarzt und Leitender Chirurg am St. Johannes-Hospital in Bonn. 1909 veröffentlichte er in der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie einen Beitrag Zur Entstehung und Behandlung des Kalkaneusspornes. Nun erschien im Friedenauer Lokal-Anzeiger vom 6. November 1914 eine Todesanzeige: Den Tod für das Vaterland starb heute Morgen 5 Uhr nach kurzer, schwerer Krankheit, die er sich in seinem verantwortungsvollen Dienste als Kriegschirurg des Festungslazaretts Wesel und des Hilfslazaretts Emmerich zugezogen, mein innigsgeliebter Mann, der liebevolle Vater meines Kindes, unser guter Sohn, Schwiegersohn, Bruder und Schwager Dr. med. Richard Sarrazin im 32. Lebensjahre. Im Namen der tiefbetrübten Familie Klara Sarrazin geb. Niermann und Dr. Otto Sarrazin, Wirklicher Geheimer Oberbaurat. Emmerich, den 3. November 1914. Die Beerdigung findet statt am Sonntag, den 8. November nachmittags 3 ½ Uhr auf dem Friedhof in Friedenau. In aller Eile schuf die Friedhofsverwaltung auf dem hiesigen Friedhof einen Ehrenplatz für die für das Vaterland Gestorbenen -  Richard Sarrazin war der erste. Das Grab ist bis heute erhalten. Otto Sarrazin starb am 6. Juni 1921 und wurde im Grab seiner kurz zuvor verstorbenen Ehefrau Maria auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße beigesetzt. Die Grabstelle existiert nicht mehr.

 

Sarrazinstraße 4. Foto Hahn & Stich, 2021

Sarrazinstraße Nr. 4

Finanzamt Friedenau

 

Die offizielle Adresse des Finanzamts Friedenau lautet Sarrazinstraße Nr. 4. Das ist korrekt, weil sich der Eingang bei Nr. 4 befindet. Verschwiegen wird allerdings, dass sich die Bauten des Finanzamts auf den Grundstücken Sarrazinstraße Nr. 2 (Parkplatz) und Nr. 6 (Parkplatz) sowie auf den Grundstücken Evastraße Nr. 5 (Parkplatz) und Nr. 6 (Parkplatz) und Cosimaplatz Nr. 7 befinden.

 

Mit dem Aufbau der Reichsfinanzverwaltung in der Weimarer Republik wurde zum 1. Oktober 1919 das Finanzamt Schöneberg eingerichtet. 1922 wurde ein Teil der Zuständigkeit des Finanzamts Schöneberg auf das neu eingerichtete Finanzamt Friedenau in der Niedstraße 1-3 übertragen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Dienstgebäude zerstört, so dass ein Umzug in die Lauterstraße Nr. 20 erforderlich wurde.

 

 

 

Nachdem Weltkriegsbomben die Wohnhäuser im Bereich von Cosimaplatz, Evastraße und Sarrazinstraße ganz bzw. teilweise in Schutt und Asche gelegt hatten, kam der Senat Ende der 1950er Jahre auf die Idee, auf den Grundstücken Cosimaplatz 7, Evastraße 5 und 6 sowie Sarrazinstraße 2, 4 und 6 das neue Dienstgebäude für das Finanzamt Friedenau zu errichten.

 

Ab 1964 kümmerte sich das neu gebaute Finanzamt Friedenau dann um die Verwaltung der Vermögensabgabe und der Kreditgewinnabgabe für Friedenau, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf. Dieser Arbeitsbereich ist im Jahr 1975 auf die Verwaltung beider Abgaben für ganz Berlin erweitert worden. Mit der Auflösung des Finanzamts Friedenau wurde der Standort Sarrazinstraße 4 zum 1. April 1993 eine Außenstelle des Finanzamts Schöneberg und beherbergte ab diesem Zeitpunkt dessen Abteilungen Lohnsteuer, Bewertung / Grundsteuer und Betriebsprüfung.

 

Schließlich zog zusätzlich die für ganz Berlin zuständige Erbschaft- und Schenkungsteuerstelle am 2. September 2002 aus Berlin-Neukölln in Räume der Sarrazinstraße 4. Unter anderem wurde die ehemalige Kantine im Obergeschoss zu Büroräumen umgebaut, das Haus bekam eine Feuerschutztreppe. Diese Stelle blieb bis zum 30. Juni 2004 organisatorisch dem Finanzamt Neukölln-Nord zugeordnet. Erst am 1. Juli 2004, als das Finanzamt Neukölln-Nord aufgelöst und mit dem Finanzamt Neukölln-Süd zum Finanzamt Neukölln vereinigt wurde, gehörte sie offiziell zum Finanzamt Schöneberg.

 

Die Entwürfe für den Neubau Sarrazinstraße 4 stammen von Dipl.-Ing. Fritz Böger, der 1970/71 mit dem Stahlbetonskelettbau der Charles-Dickens-Grundschule ein weiteres Ungetüm in die Landschaft setzte. In Friedenau ließ er fünf- bis siebenstöckige Bauten errichten, die weit über die 1904 vereinbarte Traufhöhe für das Wagner-Viertel von 22 Metern hinausreichen. Negiert wurden auch die einst festgelegten Baufluchtlinien für Cosimaplatz, Eva- und Sarrazinstraße. Auf den Grundstücken Sarrazinstraße 2 und 6 sowie Evastraße 5 und 6 entstanden Parkplätze für die Bediensteten.

 

Als für die Betonkästen 2018 eine energetische Gebäudesanierung verkündet wurde, finanziert durch Europäische Union und Land Berlin im Rahmen des Programms für Nachhaltige Entwicklung, bestand auch die Hoffnung auf eine angemessene Korrektur der Bausünden von damals. Stattdessen wurden an die vormals helle Fassade weißgraue Schieferplättchen geklebt.

 

Sarrazinstraße Nr. 8. Foto Hahn & Stich, 2015

Sarrazinstraße Nr. 8

Marianne Frisch geb. Oellers

 

Max Frisch, ja doch, Stiller (1954), Homo faber (1957), Biedermann und die Brandstifter (1958), Andorra (1961), Mein Name sei Gantenbein (1964), aber Marianne Frisch? Als Übersetzerin aus dem Englischen war Marianne Frisch an den deutschen Ausgaben von Renata Adler, Donald Barthelme, Grace Paley, Susan Sontag, Rosmarie Waldrop und Virginia Woolf beteiligt. Sie studierte Germanistik und Romanistik, lebte in Rom, gehörte zum Freundeskreis von Tankred Dorst und lernte dort Max Frisch kennen. Sie 23, er 51. Sie wurden ein Paar und lebten zusammen. 1964 kaufte Frisch ein Haus in Berzona und ließ es für sich und Marianne umbauen. 1965 zogen sie ein. 1968 wurde geheiratet. Fortan hieß es Marianne Frisch geborene Oellers.

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Frühjahr 1972 hielt sich Marianne Frisch für Lektoratsarbeiten in Berlin auf. Sie wohnte bei der Familie Grass in der Niedstraße Nr. 13: Dort, bei Anna Grass in der Küche, saß oft ein trauriger junger Mensch, Wolfgang Werth. Der Redakteur wirkte immer bedrückt und endlich erzählte er, sie hätten sich mit dem Kauf einer Eigentumswohnung wohl übernommen. Die Kaution sei bezahlt, der Kaufpreis noch nicht. Marianne Frisch wollte die Wohnung sehen und Werth führte mich zur Sarrazinstraße Nr. 8, 2. Stock. Abends, beim Telefonat mit Max in Zürich, erzählte ich ihm von der Wohnung, die mir gefallen hatte und der ganzen traurigen Geschichte der Familie Werth drumherum. Und dann ging alles sehr schnell. Genauso eine Wohnung haben wir in Zürich immer gesucht, diese hohen Räume, hatte ich Max am Telefon gesagt, und er reagierte, ohne mir etwas zu sagen, sehr entschlossen, rief Anna Grass an, um sein Kommen wegen der Wohnung anzukündigen. Ich war zuerst entsetzt, bat Anna, Max das auszureden, aber eine Woche später war die Wohnung gekauft.

 

Max und Marianne Frisch zogen 1973 nach Berlin. In der Sarrazinstraße beginnt Frisch mit einem Tagebuch. Das geht an das Max-Frisch-Archiv in Zürich und darf erst 20 Jahre nach seinem Tod 1991 veröffentlicht werden. Es erscheint 2014 unter dem Titel Aus dem Berliner Journal bei Suhrkamp In vielerlei Hinsicht fragwürdig, da Frisch in Briefen betont hatte, dass es sich nicht um beiläufige Notizen handelt, sondern um ein ausgearbeitetes Werk handelt, aphoristischen Aufzeichnungen mit persönlichen Darstellungen seiner Ehe sowie zahlreicher Schriftsteller, die man auf keinen Fall auseinanderpflücken könne. Frischs Journal  ist auseiandergepflückt worden. Marianne Frisch, so wird berichtet, kenne nur die publizierten, also zusammengestrichenen Teile, die sie unter Aufsicht im Glaskasten des Max-Frisch-Archivs in Zürich lesen durfte. Die folgenden Auszüge beschränken sich auf das Wohnen in der Sarrazinstraße.

 

Am 6.2.1973 der erste Eintrag: Übernahme der Wohnung und Abend bei Grass. Nieren.

 

9.2.1973 Anna Grass leiht uns zwei Betten, wir wohnen noch nicht. Lieferfristen. Ein Arbeitstisch, von Uwe Johnson vorbestellt, ist da, dazu die erste Lampe. Die technischen Einrichtungen (Kühlschrank, Spiegel und Licht im Bad, Türschlösser usw.) sind im Anzug. Kein Telefon. M. findet einen schönen Tisch antik, ferner Gläser und etwas Geschirr. Noch kein Warmwasser. Der erste Stuhl. Jeder Schritt, jede Stimme hallt in den leeren weissen Räumen. Was braucht man.

Warten auf Handwerker, ich kann nicht einmal lesen, gehe in der leeren Wohnung auf und ab, Hall der Schritte; Musik aus dem Transistor, dazwischen Sprache der DDR. Ich bin froh. Ein Maurer will den Küchenschrank versetzen in der Mittagspause, Nebenverdienst, hat vor drei Tagen angefangen, kommt aber nie ganz, dazu, muss sich einen Bohrer ausleihen; dann wieder sehe ich ihn unten mit einer Karre, seine Mittagspause ist vorbei. Er gibt ein heimliches Zeichen, dass er komme, sobald es nur geht. Keine grosse Sache, eine halbe Stunde. Aber morgen, sagt er im Vorbeigehen, morgen schaffe er’s bestimmt. Sechs Schrauben mit Dübeln. Der elektrische Bohrer, Eigentum der Firma, wird heute anderswo gebraucht. Sein Zeichen mit der Hand: dass er sein Wort schon halten werde. Inzwischen nennt er mich: Herr Doktor. Heute, plötzlich, dröhnt der elektrische Bohrer In der Küche. Ein weiteres Loch, das dritte, bevor er gerufen wird; der Boss ist im Haus. Oder die Firma braucht die Wasserwaage, ebenfalls Eigentum der Firma. Sind Sie morgen auch hier, Herr Doktor? Später bohrt es wieder, aber im gleichen Augenblick sehe ich ihn unten mit der Karre voller Backsteine; er rennt mit der Karre. Der Malergeselle bohrt für ihn; er kommt nicht dazu. Als ich in die Küche gehe, ist wieder niemand da; es fehlt noch immer das letzte Loch. Er kommt nicht dazu. Er ist immer so gehetzt, Woyzeck als Maurer.

 

10.2.1973 Erste Einkäufe auf dem Wochenmarkt, der in Zukunft unser Markt sein soll, Breslauer Platz, eingeführt durch Günter Grass; Fischkunde.

 

11.2.1973 Morgen soll es warmes Wasser geben.

 

12.2.1973 Uwe Johnson bringt ein kleines gerahmtes Bild, verpackt, zum Einstand in der neuen Wohnung. Was mag es sein? Am 5.10.1972, als ich den Kaufvertrag unterzeichnet hatte, überreichte er mir eine Mappe, enthaltend: Plan von Friedenau, eine lexikalische Notiz über Sarrazin, dessen Name diese Strasse trägt, eine kurze Historie über Friedenau, ein Formular für Postcheck-Konto, ein Formular für Telefon-Anmeldung. Ob ich die Wohnung, kaum eine Viertelstunde lang besichtigt, denn im Gedächtnis habe, fragte er und nötigte mich, jetzt den Grundriss auf ein Blatt zu zeichnen Das geschenkte Bild heute: meine Grundriss-Skizze von damals, gerahmt, Zeichnung mit Filzstift, auf den ersten Blick wie eine inspirierte Handschrift, die ich nicht sofort erkenne; Fehler betreffend Vorraum und WC.

 

13.2.1973 Fernseh-Gerät als einziges Möbel in einem leeren weissen Zimmer. Nachmittags in die Stadt, um Geräte für die Küche einzukaufen; es ist ungefähr das siebente Mal, dass M. und ich eine Küche einrichten. Zweimal in Rom, Via Margutta; Berzona; zweimal in Zürich, Lochergut und Birkenweg. Ferner braucht man Kleiderbügel. Unsere Wohnung liegt in der Flugschneise zu Tempelhof, was ich aber gewusst habe; sie kommen von Westen und starten nach Westen. Dazwischen Stille, Friedenau, viele Rentner. Das schrille Dröhnen ist weniger störend als aufregend.

 

14.2.1973 Man braucht doch mehr als vermutet, zum Beispiel einen Lamellen-Vorhang wegen Morgensonne auf dem ganzen Arbeitstisch. Mit M. um den Schlachtensee gegangen. Wenn sie fröhlich ist, so scheint mir überhaupt nichts unlösbar.

 

15.2.1973 Ich schraube fünf Garderobenhaken an, damit man endlich die Mäntel aufhängen kann, und es ist eigentlich schon schade. Alle andern Wände sind weiss und leer. Braucht man denn wirklich ein Telefon? Eigentlich froh um die langen Lieferfristen. Noch vorgestern sagten wir: Ich gehe jett in die Wohnung. Heute sagen wir: Ich gehe jetzt nachhause. Eigentlich wohnen wir schon. Allerlei Pappschachteln benehmen sich wie Möbel; als stünden sie an ihrem Platz. Bestellt ist, was man für notwendig zu halten gewohnt ist: Büchergestell, eine Couch, ein alter Schrank, später kommt ein bequemer Sessel und irgendwann, wenn wir es finden, ein Sofa und so fort und so weiter, ein kleiner Staubsauger ist schon gekommen. Berlin ohne Zeitung von Rang.

 

17.2.1973 Die Rechnung andersherum. Eine Frau von 38 hat noch die volle Möglichkeit mit einem zweiten Partner. Das wäre m vier Jahren. Keine Ahnung, ob M. auch diese Rechnung anstellt; sie auch nur ein einziges Mal auszusprechen wäre lächerlich. Dabei liegt sie zwischen uns auf dem Küchentisch, während wir geniesen.

 

3.3.1973 Es geht uns gut miteinander. M. findet: besser als je zuvor. Solche Euphorien sind möglich.

 

17.5.1973 Betreffend Wohnen. Wieviel bestimmen die Möbel, ihre Stellung zu einander, ihre Erscheinung, ihre Brauchbarkeit. Dass sie bezahlt sind, macht auch etwas aus; eine Art von Erpressung, dass man sie benutzt, und schliesslich habe ich sie ja aus einem Bedürfnis erworben, z.B. aus dem Bedürfnis, nicht allzu unbequem mit zwei bis drei Zeitgenossen zu sitzen. Einer fragt: Welches ist Ihr Sessel? So eingewohnt sieht er uns schon. Und tatsächlich: schon sind Gewohnheiten eingezogen. Die Wege des geringsten Widerstandes sind unversehens gefunden. Gestern eine neue Lampe, eine alte, Jugendstil, billig erworben; sie hängt. Und sie wird bleiben. Ein Schrank, vor zwei Wochen von den Möbelträgern abgestellt nach den vagen Winken meiner Hand, ist so leicht nicht mehr wegzuwinken; er hat angefangen (und das finden auch Besucher, die sich noch umsehen) genau das rechte Stück am rechten Platz zu sein; ich bin ihm dankbar. Bald wird uns die Einrichtung überhaupt nicht mehr beschäftigen. Auch räumliche Verfügungen, die sich sofort als unpraktisch erweisen, werden sakrosankt, während und obschon man noch Veränderung erwägt, dank meiner Bequemlichkeit, die sich darin ausdrückt, dass ich mich an das Unbequeme gewöhne. Wir haben angefangen zu wohnen, wir sind schon gewohnt.

 

30.3.1973 Die Euphorie, man werde jünger dank eines Wohnortwechsels, dank Klima usw., nochmals etwas jünger.

Es fängt an, dass ich einen Kinderbesuch schwer ertrage, vorallem wenn die Mutter der Kinder sich so gar nicht stören lässt, sodass ich, der Alte, aufzupassen habe, und ein kleiner lustiger Hund ist auch noch dabei, mag nicht an die Leine gebunden sein, soll nicht an die Leine gebunden sein, soll die Speisen auf unserm Tisch nicht anschnuppern. Was mögen die Kinder, was gar nicht, was sollen sie trinken, wer darf einschenken oder nicht. Vorgesehen war ein später Lunch von zwei erwachsenen Paaren, die sich eine Zeit lang nicht sehen werden, vielleicht sprechen möchten mit einander. Da der Vater sich um fast eine Stunde verspätet, bleibt es Kindervisite; alle Türen offen, Kinder dürfen schliesslich in Schlafzimmer, Bad, Küche, Studio, desgleichen das lustige Hündchen. Dass mir einiges auf die Nerven [geht], ist meine Sache, meine Unartigkeit. Übrigens fehlt noch ein Sohn, kommt aber nach, es wird gegessen. Ohne Zwang, jedes Kind nimmt, was es will, versuchen will, mal kosten, die Mutter hat den Wachdienst abgetreten, ich schneide Brot und wieder Brot, höre zu, da inzwischen der Vater eingetroffen ist, giesse Wein ein und versuche zuzuhören. Die Leute haben einfach Nerven. Ich sehe nicht einmal ein, warum ich dieselben Nerven haben muss. Nichts sagen, um nicht Verärgerung durchblicken zu lassen, aber das ergibt ein graues Schweigen, unartig von mir, nur teilweise wettzumachen mit Aufmerksamkeit: wer möchte was. So beflissen, dass M. sich zu Recht vernachlässigt fühlt, allen habe ich eingeschenkt und ihr nicht, da die Flasche leer ist, und die nächste Flasche in der Hand versuche ich nochmals zuzuhören, statt zu entkorken. Entschuldige. Man hat es längst gemerkt. Aber was? Er, der Vater der Kinder, die jetzt nur noch mit Vanille-Eis über ihre Langweile zu retten sind, sagt nett: Du hast heute deinen Ernsten Tag, scheint mir. Also gehe ich mir, nachdem die Flasche entkorkt ist, sodass M. mich nicht weiter braucht, einen Ruck zur Kommunikation, nicke nicht nur ins Ungefähre, sondern sage etwas. Zum Thema, zu der Geschichte, die gerade aufliegt, ich war nämlich dabei; aber nicht bloss M., die ebenfalls dabei war, fällt mir sofort ins Wort und bei jedem neuen Anlauf sofort wieder. Warum sollen die Erwachsenen nicht dürfen, was die Kinder dürfen. Also habe ich heute meinen Ernsten Tag. Es bleibt noch der Witz, ins Gespräch einzuwerfen mit drei Wörtern. Ich wollte M. nicht verletzen. Der Vater der Kinder, dem es trotz seiner Verspätung schmeckt, findet uns ein komisches Paar, aber so komisch auch wieder nicht; die Frau eines Mannes, der so unartig ist, kann einem etwas leidtun. Wie weiter? Tatsächlich bin ich immer mehr im Unrecht; nach zwei Stunden sind die Kinder schon gar nicht mehr zu Besuch, der lustige Hund auch nicht, stattdessen der Sohn, der aber etwas zu berichten hat, und dass ich immer wieder einmal, so unauffällig wie möglich, einige Türen schliesse, ist eine Marotte von mir; ich bin der ungemütliche Kerl hier, der nur Cognac beitragen kann, nicht geradezu böse, nur nervös, dadurch unmöglich, und M. muss es wettmachen die ganze Zeit, ich kann ihr dabei nicht helfen, aber es wird ihr geholfen von der Mutter der Kinder, die grad wieder zurückgekommen sind, jetzt zur Ordnung gerufen; die Mutter, die ich herzlich schätze, scheint etwas gemerkt zu haben, sie sagt: Warum überhaupt habt Ihr den Hund nicht zuhause gelassen. Eine Auseinandersetzung, die auch einmal stattfinden muss. Später gefragt, was ich eben habe sagen wollen, weiss ich es tatsächlich nicht mehr. So wichtig wird es nicht gewesen sein. Ich zeige nicht nur wie vorher, dass ich zuhöre, sondern jetzt höre ich wirklich zu, aber es scheint, dass mein Ohr mittlerweile böse geworden ist; lauter Repetition, was ich höre, das Erwähnen von Kenntnissen ohne Einfall dazu, ich finde den kleinen Hund lebendiger. Das ist meine Schuld, ich weiss; es ist an mir, etwas Busse zu tun, nachher das Geschirr zu spülen, ein Alter, der sogar so reizvolle Kinder nicht mehr verträgt; noch am letzten Sonntag habe ich sie vertragen, mehr als vertragen.

 

31.3.1973 M. unglücklich über mein unmögliches Verhalten gestern, sie sagt: Wenn du Kinder von unsern Freunden nicht mehr verträgst, so können wir gleich ins Altersheim ziehen. Kurzdarauf unterläuft mir ein schwerer Fahrfehler, Nebenstrasse bei Rotlicht überquert.

 

5.5.1973 M., der es natürlich nicht entgeht, dass ich Tag für Tag an der Schreibmaschine sitze, findet es bedenklich, dass ich von Tag zu Tag notiere. Statt eine grosse Arbeit anzufangen oder darauf zu warten. Vielleicht hat sie recht.

 

15.5.1973 M. macht mir einen schönen und leichten Geburtstag.

 

27.5.1973 M. wie jeder Partner, der viele Jahre mit einem Partner lebt und fast alle Tage des Jahres, muss oft anhören, was sie schon kennt; kein Wunder, dass man sich häufig ins Wort fällt und selber gereizt wird, wenn der andere es ebenfalls tut. Sobald ich etwas erzähle, was M. auch noch nicht weiss, hört sie natürlich zu; nur scheint mein Vorrat manchmal erschöpft, und das macht mich schon selbst nervös. Zeitweise ist es unmöglich, aus diesen Fertig-Geschichtchen herauszuspringen, und plötzlich kommt es doch einmal dazu: irgendwo in der Türkei vor vierzig Jahren liegt noch ein bisschen unverbrauchte Erinnerung, Gott sei bedankt. Anderes hingegen, was mit einer früheren Frau zu tun hat, bleibt versiegelt, nicht weil es für die Fremden zu intim wäre, jedoch irritierend für den Partner, den man jetzt liebt und langweilt, indem man ihn kaum je überrascht. Dasselbe Phänomen beim andern Paar: Erzähl du das! und dann korrigiert man sich in Daten, Ortsnamen etc. bis zur Einigung auf ein Communique.

 

4.6.1973 Gestern Abend allein mit Uwe ... Als er für einen Augenblick hinausgeht, verkorke ich meine Flasche, um nicht weiter zu trinken, und stelle sie hinter den Fernseher; als er wieder hereinkommt, sagt er sofort: es fehlt eine Flasche. Ein Detektiv ersten Ranges. Als ich ein Streichholz in den Aschenbecher lege, wo ein Zigarettenstummel liegt, nimmt er den Stummel weg, sagt: Ich habe Sie nicht daran erinnern wollen, dass Marianne gegen Ihren Wunsch wieder raucht. Ich dachte etwas ganz anderes; aber er ist nicht abzubringen davon, dass er gesehen habe, woran ich im Augenblick gedacht habe. Er sagt: Sie haben den Kampf verloren. Welchen Kampf? Er sagt: Sie wollten nicht, dass Marianne wieder raucht, und haben einen Machtkampf daraus gemacht. Das nebenbei.

 

25.3.1974 Mit M. beim Einkäufen für mich: Hosen, Hemden, ein Regenmantel, Socken etc., damit ich in NY anständig dastehe. Was denkt sich die junge (schwangere) Verkäuferin, die sehr liebenswürdig und hilfreich ist, über unsere Beziehung? Meine Hast vor dem Spiegel; der zeigt mir meine groteske Unzumutbarkeit für M. Dieser verfettete Alte, der ich bin! Und eine halbe Stunde später habe ich es fast vergessen: Wind, eine übermütige Luft, das Licht, Augenblicke leichten Wohlbefindens.

 

Im März 1974 fliegt Max Frisch zu einer Lesereise in die USA. Er lernt die dreißigjährige Alice Locke-Carey (Lynn) kennen und verbringt mit ihr ein Wochenende in Montauk auf Long Island. 1975 erscheint die Erzählung Montauk. Die Veröffentlichung führt zu einem Streit zwischen den Eheleuten über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem. Ich habe nicht mit dir gelebt als literarisches Material, zitiert Max Frisch seine Ehefrau. Ich verbiete es, dass du über mich schreibst. 1979 wurde die Ehe geschieden. Marianne Frisch, die weithin gerühmte Köchin, wohnt noch immer in der Sarrazinstraße Nr. 8.

 

Sarrazinstraße Nr. 11-15, 1978

Sarrazinstraße Nr. 11-15

Teltower Kreiswerke GmbH

 

Das 40 Meter lange und viergeschossige Gebäude in der Sarrazinstraße Nr. 11-15 wurde 1939 nach Entwürfen der Architekten Fritz Fuß (1889-1945) und Cornelius van der Hoeven errichtet. Bauherr war die 1895 gegründete Firma Beton- und Monierbau AG, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg auf Rüstungsbauten spezialisierte.

 

Das Haus steht unter Denkmalschutz und gehört zu den seltenen Bauten aus der NS-Zeit in Friedenau. Hinter dem 10 Meter tiefen Bau befindet sich im Hof ein zweigeschossiges Gebäude mit Konferenzraum und zwei Wohnungseinheiten. Bemerkenswert ist das Portal an der Straßenfassade: Über einem Rahmen aus rotem Sandstein wurde ein überlebensgroßer Jünglingskopf als Schlußstein gesetzt. Dem Portal ist eine flache Freitreppe vorgelagert mit den für diese Zeit typischen flankierenden Standleuchten.

 

Die Geschichte des Hauses ist ungewöhnlich und – wie so oft in Friedenau – aus der Geschichte des Altkreises Teltow zu erklären, dessen Landrat Ernst von Stubenrauch (1853-1909) die Teltowkanal-Bauverwaltung gegründet hatte und den Bau des Teltowkanals mit dem Griebnitzkanal als direkte Verbindung zum Wannsee durchsetzte. Zur Unterhaltung der Wasserstraße, des Treidelbetriebs und zur Wartung der Lokomotiven wurden in Schönow Hafen, Werft, Bauhof und Kraftwerk errichtet. Der Bauhof gehörte zum Kreis Teltow und blieb auch nach der Eingemeindung Zehlendorfs nach Groß-Berlin 1920, obwohl auf Berliner Gebiet gelegen, im Eigentum des Brandenburger Kreises.

 

Mit der Weimarer Republik gingen die Wasserstraßen 1921 an das Reich. Die Teltowkanal-Bauverwaltung zog vor Gericht: Das Deutsche Reich blieb Kanaleigentümer und der Kreis Teltow durfte den Kanal betreiben und Nutzungsgebühren erheben. 1924 gründeten Deutsches Reich und Kreis Teltow die Teltowkanal AG – eingetragen im Handelsregister beim Amtsgericht Teltow. Treidelbetrieb, Werft, Bauhof und Personenschifffahrt verblieben im Alleineigentum des Landkreises Teltow bzw. der Teltowkanal AG. 1929 wurde die Teltower Kreiswerke GmbH gegründet. Nachdem die Spree-Havel-Dampfschifffahrts-Gesellschaft 1934 ihren Betrieb einstellen mußte, übernahm die Teltowkanal AG Schiffe und Anlegestellen für ihre Stern und Kreisschiffahrt. 1938 wurde das Kraftwerk Schönow Eigentum der Teltower Kreiswerke GmbH.

 

Nach dem Weltkrieg gehörte der Kreis Teltow zur Sowjetischen Besatzungszone. 1950 ließ die Teltowkanal AG den Eintrag im Teltower Handelsregister löschen und Monate später beim Amtsgericht Charlottenburg eintragen – mit einem Grundkapital von 750.000 DM und den Aktionären Bundesrepublik Deutschland (60 %), Land Berlin (33,3 %) und Lastenausgleichsbank Bad Godesberg (6,7 %) als Treuhänder für den ehemaligen Kreis Teltow. 1973 wurde der Geschäftsbetrieb der Lastenausgleichsbank in der Niederlassung Sarrazinstraße 11-15 aufgenommen – eingetragen im Grundbuch von Friedenau des Amtsgerichts Schöneberg, Blatt 1991, Flur 1, Flurstück 96/9).

 

Dabei ist es im Prinzip geblieben. Nach der Wiedervereinigung ist das von der Bank bisher treuhänderisch verwaltete Grundstück auf die Rechtsnachfolger des Altkreises Teltow übergegangen. Diese bestehen aus dem Landkreis Dahme-Spreewald (40,7 %), dem Landkreis Teltow-Fläming (39,5 %) und dem Landkreis Potsdam-Mittelmark (19,8 %). Sie bilden eine Eigentümergemeinschaft und haben die Teltower Kreiswerke GmbH mit Sitz in der Berliner Wallstraße mit der Verwaltung ihrer Liegenschaften beauftragt. Verwaltet werden u.a. die Liegenschaft am Zehlendorfer Stichkanal mit Gewerbeflächen und zwei Kleingartenanlagen und ein Anteil am Stölpchensee. Das Grundstück Sachtlebenstraße 64-66 mit dem ehemaligen (denkmalgeschützten) Kraftwerk Schönow befindet sich inzwischen im Eigentum der Teltower Kreiswerke GmbH.

 

Das Gelände der ehemaligen Teltowwerft in der Sachtlebenstraße hat im Prinzip zwei Eigentümer, die BEHALA und die Teltower Kreiswerke GmbH. Der vier bis fünf Meter breite Uferstreifen am Teltowkanal mit dem sogenannten Kaiser-Pavillon und den Widerlagern an der Hafeneinfahrt befindet sich im Eigentum der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Das gesamte Gelände fand in letzter Zeit das Interesse der Immobilienbranche. Nachdem es dem Bezirk Zehlendorf-Steglitz gelungen ist, das bisher als Industriegebiet ausgewiesene Gelände für eine allgemeine Wohnbebauung umzuwidmen, hat die BEHALA bzw. ihre Tochter B-Blus ihren Grundstücksanteil an einen Investor verkauft. Die Eigentümergemeinschaft Teltower Kreiswerke GmbH hat einer Bebauung unter bestimmten Auflagen zugestimmt. Über einen Verkauf ist bisher nichts bekannt. Das Verwaltungsgebäude in der Sarrazinstraße ist an diverse Steuer-und Wirtschaftsbüros und Rechtsanwälte vermietet.

 

Sarrazinstraße 19. Foto Hahn & Stich, 2021

Sarrazinstraße Nr. 19

Baudenkmal Landhaus

Datierung 1887

Entwurf Maurermeister & Zimmermannsmeister Max Tappe

Bauherr Erna Tappe

 

Das Landhaus Sarrazinstraße 19 ist als freistehender, zweigeschossiger, Rohziegelbau auf quadratischem Grundriss 1887 von Max Trappe erbaut worden. Im Obergeschoss ist an der Ecke von Straße und Bauwich ein Erker in Fachwerk mit Blick auf den Zugang zum Haus angeordnet. Das Dach ist ungewöhnlich: Es besteht aus einem Mansarddach mit ebener Dachterrasse und einem südlich anschließenden Satteldach mit Quergiebeln. Der Giebel des Satteldachs ist in Fachwerk ausgeführt. Der Bau gehört stilistisch noch zur Erstbebauung von Friedenau. Im Erdgeschoss ist dem Haus an der Straßenseite später ein eingeschossiger Anbau vorgesetzt worden. Das Gebäude dient seit den dreißiger Jahren dem Corps Teutonia als studentisches Verbindungshaus. Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

In den Bebauungsplänen der Gemarkung Friedenau von 1875 bis 1903 ist die Bismarckstraße nur auf der rechten Seite parzelliert. 1888 werden die ersten Eigentümer aufgeführt: Fieberg’sches Haus (Dr. phil. Ob. Lehrer), Tappe’sches Haus (Maurermeister) und Müller’sches Haus (Musikmeister). Ab 1889 werden Max und Erna Tappe nicht mehr erwähnt. Es erscheinen nun das Esken’sche Haus des Geheimen Bergrats und das Thiele’sche Haus von Robert Thiele, Buchdruckereibesitzer und Inhaber der Lithographischen Anstalt Handjerystraße Nr. 11. Eigentümerin des Hauses Nr. 25 ist die Privatiere Frl. Lina Thiele.

 

Nachdem Die Gemeinde Friedenau 1899 die Baufluchtlinie für die Bismarckstraße festgesetzt hatte, nahm die Bautätigkeit in dieser Gegend 1900 einen erfreulichen Fortschritt. Das unbebaute Grundstück Handjerystraße 14 Ecke Bismarckstraße, dem Kaufmann Hampe in Dresden gehörig, ist in den Besitz des Architekten Herrn Ruhemann übergegangen, welcher auf der Parzelle drei Wohngebäude zu erbauen beabsichtigt. Der Preis pro Ruthe hat 700 Mark betragen. Die neben dem obigen Grundstücke liegende Villa, Bismarckstraße 32, dem Professor Herrn Fieberg gehörig, ist von dem Bauunternehmer Herrn Metzger für den Preis von 33 000 Mark gekauft worden. Herr Metzger beabsichtigt auf dem Grundstück ein großes Wohnhaus zu erbauen.

 

Sarrazinstraße 21, 1951. Sammlung Staudt. Museum Schöneberg

Sarrazinstraße Nr. 21

 

 

In Vorbereitung

Sarrazinstraße 22, 1950. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Sarrazinstraße Nr.  22

 

 

In Vorbereitung

Sarrazinstraße 26, 1951. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Sarrazinstraße Nr. 26

 

 

 

In Vorbereitung