Plan von 1901

Am 25. Juni 1906 brachte Bürgermeister Bernhard Schnackenburg (1867-2914) zur öffentlichen Kenntnis, dass die Straßen und der Platz auf dem früheren Sportparkgelände wie folgt benannt worden sind: Platz G: Wagner-Platz; Straße A: Isoldestraße; Straße B zwischen Handjerystraße und Wagner-Platz: Evastraße; Zwischen Wagner-Platz und Kaiserallee: Sentastraße; Straße C von der Bismarckstraße bis zum Wagner-Platz: Elsastraße und vom Wagner-Platz bis Varziner Straße: Brünnhildestraße; Straße D: Kundrystraße; Straße E: Ortrudstraße; Straße F: Sieglindestraße.

 

Über die Benennung wurde zuvor viel diskutiert. Mit Blick auf das im Friedenauer Teil von Schöneberg entstandene Malerviertel, wo den Malern und Bildhauern in den Straßennamen eine Ehrung zuteil geworden, sollten hier Komponisten verewigt werden. Andere wollten die unerfreuliche Tatsache aus der Welt schaffen, dass keine Straße in Friedenaum einen weiblichen Vornamen hat. Das führte schließlich zu Richard Wagner (1813-1883) und seinen Opernheldinnen, darunter Senta, eine Figur aus Richard Wagners romantischer Oper „Der Fliegende Holländer“, wo das junge Mädchen Senta in der Spinnstube voller Leidenschaft ihr Johohoe! Johohoe! Hojohe! singt – eine Geschichte über einen Seemann, der einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, und so lange auf seinem Geisterschiff auf allen Weltmeeren umhersegeln muss, bis eine Frau ihm ewige Liebe und Treue bis zum Tod schwört.

 

Helene Stöcker

Sentastraße Nr. 5

Helene Stöcker (1869-1943)

 

Als Helene Stöcker 1896 in Berlin Literatur, Philosophie und Ökonomie studieren wollte, war das nur mit persönlicher Erlaubnis des Dozenten möglich. Als sie Professor Heinrich von Treitschke (1834-1896) darum bat, soll der Historiker geantwortet haben: Die deutschen Universitäten sind seit einem halben Jahrtausend für Männer bestimmt, und ich will nicht helfen, sie zu zerstören. Da ein Studienabschluss nicht möglich war, promovierte sie 1901 an der Universität Bern über die Kunstanschauungen der Romantik. Als Dr. phil. kehrte Helene Stöcker nach Berlin zurück, unterrichtete bis 1905 an der privaten Lessing-Hochschule in Dahlem und nahm sich 1909 eine Wohnung im Haus Sentastraße Nr. 5. Lange hielt es die Frauenrechtlerin in Friedenau nicht aus. 1912 zog sie in die Münchowstraße Nr. 1 in Nikolassee. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigriert sie im Februar 1933 nach Zürich. Aus einer Akte der Gestapo geht hervor, dass ihr im März 1938 die Reichszugehörigkeit und die Doktorwürde aberkannt wurden. 1940 übersiedelt sie nach Schweden und 1941 über die Sowjetunion in die Vereinigten Staaten. Dort arbeitet sie an ihrer Autobiografie, die sie nicht mehr vollenden kann. Helene Stöcker stirbt am 23. Februar 1943 in New York.

 

Dies nahmen der Lehrer Reinhold Lütgemeier-Davin und die Archivarin Kerstin Wolff zum Anlass, 2015 im Böhlau Verlag Köln Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Die unvollendete Autobiographie einer frauenbewegten Pazifistin herauszugeben. Unter der Überschrift Geistig sei die große Liebe und gut der Sex erschien am 1. Januar 2016 in der FAZ eine Buchbesprechung von Hedwig Richter, in der den Herausgebern bescheinigt wird, dass der Text sorgfältig ediert, mit einem Abriss von Leben und Werk der Aktivistin versehen ist und mit Briefen und Schriften ergänzt wurde. Dabei nennen die Autoren durchaus Kritisches beim Namen, etwa Helene Stöckers Intoleranz gegenüber anderen Frauenbewegten. Die Diskrepanz zwischen Stöckers gestelzten autobiographischen Aufzeichnungen, in denen sie sich mit viel bildungsbürgerlichem Zierrat ihr Denkmal für die Nachwelt setzen wollte, und den lebendigen, klugen, witzigen Briefen und Schriften ist bemerkenswert.

 

Wir zitieren in Auszügen: Die Frauenrechtlerin und Pazifistin Helene Stöcker erwartete alles vom Leben und vieles von der Gesellschaft. Sie galt vielen als ‚feinere Art von Sensation‘ – und verspottete die Frauenrechtlerinnen der ersten Stunde als verhärmte Nonnen. Helene Stöcker, geboren am 13. November 1869 in Elberfeld, wollte die Welt umkrempeln. Sie forderte die Öffnung aller Berufe für Frauen, engagierte sich für die Straffreiheit von Homosexualität, setzte sich für die Gleichberechtigung unehelicher Kinder, für Erziehungsgeld ein, wollte verantwortungsbewusste Väter, wollte die große, geistige Liebe mit einem Mann, guten Sex und einen erfüllenden Job.

 

Erstaunlich ist heute weniger, dass Helene Stöcker in Vergessenheit geraten ist, denn das widerfährt selbst prominenten Frauen nicht selten. Bemerkenswert erscheint vielmehr, dass sie in ihrer Zeit, dem Kaiserreich und der Weimarer Republik, keineswegs als skurrile Außenseiterin galt. Seit der Jahrhundertwende agierte die Intellektuelle bestens vernetzt, gründete und führte den einflussreichen ‚Bund für Mutterschutz und Sexualreform‘, gab die Zeitschrift ‚Neue Generation‘ heraus, hatte ihre Förderer im Reichstag und in Redaktionen und trat als geschätzte Rednerin im In- und Ausland auf. Zu ihrem sechzigsten Geburtstag im Jahr 1929 gratulierten ihr, was unter Linken und Liberalen Rang und Namen hatte: von Käthe Kollwitz über Magnus Hirschfeld bis hin zu Paul Löbe. Die ‚Vossische Zeitung‘ verband ihre Glückwünsche mit der Forderung, ihr den Friedensnobelpreis zu verleihen.

 

Dass sie auch vielen Angriffen ausgesetzt war, schüchterte Helene Stöcker keineswegs ein. Sie griff selber gerne an, und nicht selten schoss sie unter die Gürtellinie. Die Frauenrechtlerinnen der ersten Stunde verspottete Helene Stöcker als abgehärmte Kreaturen, die leider nichts von Erotik verstünden.

 

Über eine geschlechtergerechte Sprache, hatte sich Helene Stöcker nicht geäußert. Welche Form hätte sie gewählt? Liebe Leser, liebe Leserinnen und Leser, liebe Leser*Innen, liebe LeserInnen, liebe Leser/innen, liebe Leser_innen, liebe Leser:innen. Welch Glück, dass damals nicht ge-genderd wurde.

 

Sentastraße 6. Foto Hahn & Stich, 2017

Sentastraße Nr. 6

Baudenkmal Mietshaus

Entwurf Architekt Hugo Merckens

Bauherr Schlossermeister Johannes Eggert

1906

 

An der Ecke Sentastraße Nr. 6 und Bundesallee Nr. 138 hat der Architekt Hugo Merckens 1906 ein viergeschossiges Doppelmietwohnhaus erbaut, das über zwei Treppenaufgänge verfügt. Der Aufgang an der Bundesallee führt in das innenliegende Treppenhaus. Im Vestibül, von dem einige Stufen zum Treppenhaus führen, bestehen die Wände bis zur halben Höhe und der Fußboden aus Marmor. In der oberen Hälfte zeigen die Wände Jugendstil-Stukkaturen. Vom Treppenhaus mit einer dreiläufigen Treppe und einem Oberlicht werden pro Geschoss drei Wohnungen erschlossen, die zu den beiden Straßen und zum Hof orientiert sind. Der zweite Aufgang erschließt zwei Wohnungen je Geschoss. Die beiden Straßenfassaden sind asymmetrisch konzipiert: An der Bundesallee sind tiefe Loggien angeordnet, in der Mittelachse springt ein flacher Standerker vor, der von einem hohen Quergiebel bekrönt wird. Die Hausecke ist als Baukörperkante ohne Erker ausgeführt worden. An der längeren Fassade an der Sentastraße erhebt sich nahe der Ecke ein hoher Quergiebel, ein breiter Doppelerker mit dazwischenliegenden breiten Loggien springt asymmetrisch vor, die zum Teil als Veranden verglast sind. An dem Eckladen haben sich beiderseits des Eingangs zwei Jugendstil-Schaufenster erhalten. Die Fassaden waren - wie ältere Photographien zeigen - ursprünglich oberhalb eines Rustikasockels mit einer leichten Jugendstil-Dekoration bekleidet, die jedoch weitgehend verloren ist. Topographie Friedenau, 2000