Übersichtsplan Stadt Schöneberg, 1909. BA TS

Nachdem Schönebergs Stadtbaurat Friedrich Gerlach (1856-1938) das Bayerische Viertel, den Stadtpark und die U-Bahn zwischen Innsbrucker- und Nollendorfplatz realisiert hatte, veröffentlichte er 1909 den Übersichtsplan der Stadt Schöneberg mit dem Hinweis, dass der für das Südgelände festgestellte Bebauungsplan einer durchgreifenden Neubearbeitung unterzogen wird. Sein Nachfolger Paul Wolf (1879-1957) nahm sich vor, nahe der Friedenauer Ostgrenze auf dem früheren Willmannschen Gelände zwischen Haupt-, Sponholz-, Rubensstraße und Wannsee- und Ringbahn ein nach ganz neuen Grundsätzen aufgestelltes Wohnviertel entstehen zu lassen.

 

 

 

 

 

Bei der Planung wurden offensichtlich frühere festgesetzte Baufluchtlinien übersehen. Die Stadtgemeinde Berlin-Schöneberg stritt mit den Willmannschen Erben um das ihnen gehörende Straßenland zwischen Rubens- und Sponholzstraße. Der Streit wurde erst 1913 mit einem Vergleich beigelegt und kostete Schöneberg 17.982 M. Zwischenzeitlich hatte die Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord an der bisher unbebauten Straße O ein Grundstück erworben und 1911 einen Bauantrag für ein Mietshaus eingereicht. Für den Magistrat galt es, die Veränderungen des Bebauungsplanes so einzurichten, dass berechtigte wirtschaftliche Interessen der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord nicht geschädigt wurden. 1912 erhielt die Straße O den Namen Traegerstraße – benannt nach dem Parlamentarier und Schriftsteller Albert Traeger (1830-1912).

 

Im Sommer 1914 konnte mit dem Bau des Mietshauses (damals Traegerstraße Nr. 2) nach einem Entwurf des Architekturbüros Rosin & Sternberg begonnen werden. Wolfs Entwürfen ist zu entnehmen, dass dieses Haus seinen eigenen architektonischen Ambitionen im Wege stand. Als der Bau nach dem Ersten Weltkrieg noch immer nicht fertig gestellt war und der Wohnungsmangel immer gravierender wurde, wünschte der Magistrat am 16. Juni 1920 eine schleunige Fertigstellung des Hauses. Für den weiteren Ausbau musste Schöneberg 1 ¾ Millionen Mark bereitstellen.

 

1920 wurden Schöneberg und Friedenau 11. Verwaltungsbezirk von Groß-Berlin. 1921 wurde Heinrich Lassen (1864-1953) Stadtbaurat. Im Prinzip übernahm er den Wolfschen Plan und realisierte in abgeänderter Form zwischen 1923 und 1927 für die Gemeinnützige Heimstättenbau-Gesellschaft der Berliner Straßenbahn die Siedlung Ceciliengärten. Die heutige Traegerstraße entstand in Etappen. Von 1912 bis 1920 gab es nur das unbebaute Stückchen zwischen Haupt- und Rubensstraße. 1923 ist neben Baustelle In den Ceciliengärten nur das Haus Nr. 2 eingetragen. 1928 heißt es: Nr. 1 gehört zur Ceciliengärten Nr. 1. Die Häuser Nr. 2 und Nr. 3 sind bezogen. Bis 1930 entstehen an der Traegerstraße die Bauten zwischen Rubens-, Otzen- und Eisackstraße.

 

Albert Traeger. Datenbank der Reichstagsabgeordneten

Albert Traeger (1830-1912)

 

Die bisherige Straße O erhielt 1912 den Namen Traegerstraße – benannt nach dem Parlamentarier und Schriftsteller Albert Traeger (1830-1912). Er studierte Jura, eröffnete 1862 eine Kanzlei und trat der Deutschen Fortschrittspartei (DFP) bei. 1874 zog er für den Wahlkreis 2 Oldenburg Jever-Westerstede in den Reichstag ein. 1891 wurde er Justizrat beim Berliner Landgericht. Am 7. Februar 1912 eröffnete er als Alterspräsident den neuen Reichstag. Am 26. März 1912 verstarb er. Im Nachruf heißt es: Traeger hatte wohl politische Gegner, niemals aber einen persönlichen Feind gehabt.

 

Bekannt wird er als Lyriker der Gartenlaube, dem Illustrirten Familienblatt des Kaiserreichs. 1882 erscheinen seine 208 Gedichte in fünfzehnter Auflage. Die Literaturkritiker Heinrich und Julius Hart bezeichnen ihn als After-Dichter, dessen Lyrik ein maßloses Überwuchern von Mittelmäßigkeit und Dilettantismus sei. Den Leidenden und Bedrückten gibt Albert Traeger Trost:

 

Halt aus: es ist kein Mensch so arm,

Daß er nicht endlich sterben könnte.

 

 

 

 

 

 

Architekturbüro Rosin & Sterneberg, 1910

Rosin & Sternberg

 

Ludwig Rosin (1878-1918) und Hans Sternberg (1880-1936) gehören zu den vergessenen Architekten von Berlin. Sie studierten an der Königlich Technischen Hochschule Berlin. Im TU-Architekturmuseum sind bemerkenswerte Entwürfe ihrer Seminararbeiten archiviert: Von Rosin der Querschnitt zu einem Museum und die Ansicht einer Kirche im romanischen Stil, von Sternberg Grundriss und Ansicht zu einem Büro eines Hafenarbeiters.

 

Während Rosin nach dem Studium 1904 als Architekt, Joachimsthaler Straße Nr. 25, firmiert, und ein Jahr später mit der Adresse Berlin W 50, Geisbergstraße Nr. 25-26, aufwartet, entscheidet sich Sternberg für den höheren bautechnischen Verwaltungsdienst. Er wird Regierungsbauführer und reicht 1906 eine häusliche Probearbeit für die Staatsprüfung zum Regierungsbaumeister des Hochbaufaches ein. Kaum hatte er die 2. Staatsprüfung abgelegt, bittet er 1908 um die Entlassung aus dem Staatsdienst. 1910 erscheint im Adressbuch unter Berlin W 50, Geisbergstraße Nr. 25-26, erstmals das Architekturbüro Ludwig Rosin & Hans Sternberg. 1910/11 entsteht in der Güntzelstraße Nr. 54 ihr erster Bau – ein viergeschossiges Mietshaus mit zwei Seitenflügeln – alles in einer Hand, Entwurf, Ausführung, Bauherr und Eigentümer. Das Haus ist in der Berliner Denkmaldatenbank unter Nr. 09011446 eingetragen.

 

Noch bevor bekannt wurde, dass die Stadt Schöneberg nahe der Friedenauer Ostgrenze auf dem früheren Willmannschen Gelände zwischen Haupt-, Sponholz-, Rubensstraße und Wannsee- und Ringbahn ein nach ganz neuen Grundsätzen aufgestelltes Wohnviertel errichten möchte, hatte die Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord an der bisher unbebauten Straße O ein Grundstück erworben und 1911 einen Bauantrag für ein Mietshaus nach einem Entwurf des Architekturbüros Rosin & Sternberg eingereicht. Anhängig war aber bereits ein Streit zwischen der Stadtgemeinde Berlin-Schöneberg mit den Willmannschen Erben um das ihnen gehörende Straßenland zwischen Rubens- und Sponholzstraße, der 1913 mit einem Vergleich beigelegt wurde und Schöneberg 17.982 M. kostete. Dazu kamen umfangreiche juristische und verwaltungstechnische Verhandlungen, wobei der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord das Verdienst gebührt, dem Plan Unterstützung und Verständnis entgegengebracht zu haben.

 

Vom Architekten der Gesellschaft ging auch der Vorschlag zur Anlage von Bauwichen bei einzelnen Baublöcken, sowie zur Aufstellung von allgemeinen Entwürfen für die Fassaden der einzelnen Straßenstrecken durch besondere Architekten aus. Die Ausführung der Fassaden der einzelnen Straßenstrecken erfolgt nach Plänen der Architekten Derda, Rosin und Sternberg, unter der amtlichen Oberleitung Wolfs. Kritisiert wurden seinerzeit allerdings unnötig breite Straßen und überfrachtete Hausbauten. Für den Magistrat galt es, die Veränderungen des Bebauungsplanes so einzurichten, dass berechtigte wirtschaftliche Interessen der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord nicht geschädigt wurden. Nach den Bestimmungen der Bauklasse I für Bauten außerhalb der Ringbahn war eine viergeschosige geschlossene Bauweise mit Mittel-, Seiten- und Quergebäude bis 18 Meter Höhe möglich.

 

Am 29. März 1912 erhielt die Straße O den Namen Traegerstraße. Im Sommer 1914 konnte mit dem Bau des Mietshauses Traegerstraße Nr. 2 begonnen werden. Wolfs Entwürfen ist deutlich zu entnehmen, dass der Bau von Rosin & Sternberg seinen eigenen architektonischen Ambitionen im Wege stand.

 

Rosin & Sternberg nutzten die Zeit für Entwurf & Ausführung der Villa des Wirkl. Geh. Oberbergrats Dr. Fürst in der Klaus-Groth-Straße Nr. 8. Der Bau wurde 1914 in der Zeitschrift Berliner Architekturwelt gewürdigt und steht heute unter Denkmalschutz.

 

Als nach dem Ersten Weltkrieg der Wohnungsmangel immer deutlicher wurde, wünschte der Magistrat am 16. Juni 1920 eine schleunige Fertigstellung des Hauses. Für den weiteren Ausbau musste Schöneberg 1 ¾ Millionen Mark bereitstellen. Kurz danach wurden Schöneberg und Friedenau zum 11. Verwaltungsbezirk von Groß-Berlin und die Stadt Berlin Eigentümerin von Traegerstraße Nr. 2. Zu den Erstbeziehern gehörten Landwirtschaftsminister Hugo Wendorff (1864-1945) und Arnold Ebel (1883-1963), Organist der Schöneberger Paul-Gerhardt-Kirche.

 

Noch vor ihrem Einzug meldete das Centralblatt der Bauverwaltung am 11. Januar 1919: Der Architekt Ludwig Rosin ist auf dem Felde der Ehre gefallen. Das Haus Güntzelstraße Nr. 54, bisher im Eigentum von Rosin und Sternberg, ging 1920 in den Besitz von Witwe Jenny Rosin. Nicht bekannt ist der weitere Lebensweg des damals 40-jährigen Sternberg. Laut Adressbuch wohnte er 1920 in der Kaiserallee Nr. 142 in Friedenau, zog 1930 in die Livländische Straße Nr. 2 in Wilmersdorf und 1935 als Regierungsbaumeister im Ruhestand in die Charlottenburger Frankenallee Nr. 11, wo er vermutlich 1936/37 verstorben ist.

 

***

Die beiden Eingangshäuser zu den Ceciliengärten an der Traegerstraße, rechts Rosin & Sternberg, links Lassen, machen die unterschiedlichen Auffassungen der Architekten deutlich. Mit dem Haus von Rosin & Sternberg tut sich das Landesdenkmalamt Berlin schwer. Die zwischen 1922 und 1927 entstandene Wohnsiedlung Ceciliengärten wurde 1995 in die Denkmalliste aufgenommen, nicht aber der zwischen 1914 und 1921 errichtete Bau von Rosin & Sternberg. Das ist nicht zu verstehen, zumal ihre Bauten Güntzelstraße Nr. 54 (1910/11) und Klaus-Groth-Straße Nr. 8 (1912/13) in der Denkmalliste aufgeführt sind.

 

Nun, da auf dem Grundstück Hauptstraße Nr. 90 ein Bürohaus hochgezogen wurde, und abzusehen ist, dass die Shell-Tankstelle Hauptstraße Nr. 91 demnächst verschwindet und die Ecke zur Traegerstraße auch bebaut werden wird, wäre es an der Zeit, das Haus von Rosin & Sternberg in die Landesdenkmalliste aufzunehmen – damit sich für das LDA die peinliche Sache mit der Görresstraße nicht wiederholt. Nachdem das Bezirksamt Schöneberg die Bauten auf dem Grundstück Görresstraße Nr. 21-23 (fast) schon für Abriss und Neubau freigegeben hatte, musste das Landesdenkmalamt Berlin eingestehen, dass bei der letzten Überprüfung im Rahmen der üblichen strengen Priorisierung das Pählchensche Anwesen keine Berücksichtigung fand und daher weitere Forschungen zum geschichtlichen Hintergrund verborgen blieben. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion zwischen März und Mai 2019 wurden Fuhrhof, Landhaus und Ateliergebäude in der Görresstraße in die Denkmalliste ausgenommen.

 

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Ludwig Rosin, Querschnitt Museum. TU Architekturmuseum

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Ludwig Rosin, Kirche im romanischen Stil. TU Architekturmuseum

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Hans Sternberg, Büro eines Hafenarbeiters. TU Architekturmuseum

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Hugo Wendorff, 1921

Traegerstraße

Hugo Wendorff (1864-1945)

 

Auf der allerletzten Sitzung der (noch) selbstständigen Gemeinde Friedenau machte Bürgermeister Erich Walger (1867-1945) bekannt, dass die vorhandenen unbebauten Grundstücke mit Wohnhäusern zur Schaffung von Kleinwohnungen zu bebauen sind. Die Gemeindevertreter warnten und erinnerten an das abschreckende Beispiel des Wohnhauses Traegerstraße Nr. 2., für dessen Ausbau die Stadt Schöneberg 1 ¾ Millionen Mark der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord als Bauherrn bereitstellen musste. Der Bau dieses Mietshaus war nach einem Entwurf der Architekten Ludwig Rosin und Hans Sternberg im Sommer 1914 begonnen, aber nach jahrelangen Streitigkeiten zwischen der Boden-Aktiengesellschaft Berlin-Nord und den Willmanschen Erben mit der Stadt Schöneberg über Fluchtlinien, Bauwiche und Gestaltung erst 1920 fertig gestellt worden.

 

Zu den ersten Mietern gehörte Hugo Wendorff (1864-1945), der nach einer landwirtschaftlichen Lehre Landwirtschaft und Nationalökonomie studierte und 1890 an der Universität Halle mit seiner Dissertation Zwei Jahrhunderte landwirtschaftlicher Entwicklung auf drei gräflichen Stolberg-Wernigeroder Domänen promoviert wurde. 1917 verkaufte er das väterliche Gut Toitz bei Nossendorf und widmete sich während des Kaiserreichs als Mitglied der Fortschrittlichen Volkspartei (FVP) der Politik.

 

Nach der Novemberrevolution trat er in die Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein, wurde Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und des Preußischen Landtages. Vom 7. November 1921 bis zum 18. Februar 1925 amtierte er als Staatsminister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten in der von Ministerpräsident Otto Braun geführten Regierung.

 

Nach dem Ende der Regierung Braun wurde Wendorff 1926 Vorstandsmitglied der IG Kommunale Elektrizitätswerke Berlin. Als letzte Wohnadresse findet sich für Dr. phil. Staatsminister a. D. Hugo Wendorff Lichterfelde Weddingenweg Nr. 38. Dort beging er am 25. April 1945 Suizid.

 

 

Arnold Ebel, Symphonische Ouvertüre

Traegerstraße

Arnold Ebel (1883-1963)

 

Arnold Ebel studierte ab 1906 an der Königlichen akademischen Hochschule für Musik in Berlin. Von 1909 bis 1911 war er Meisterschüler von Max Bruch. 1911 heiratete er die Konzert- und Oratoriensängerin Minna Wilde (1890-1975). 1920 wird er zum Vorsitzenden des Berliner Tonkünstler-Vereins gewählt. 1921 ist er Organist der Paul-Gerhardt-Kirche in Schöneberg und zieht mit Frau und Tochter in das neue Mietshaus Traegerstraße Nr. 2, dass von der Stadt Schöneberg errichtet wurde, aber nach der Bildung von Groß Berlin in das Eigentum der Stadt Berlin übergeht.

 

Für das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung der Weimarer Republik gibt Ebel 1925 die Schrift Privatunterricht in der Musik heraus, dem 1928 Der Spielmann folgte, ein Liederbuch für die deutsche Schule. 1930 wird er Lehrer am Institut für Kirchenmusik.

 

Geschrieben wird, dass er sich in der Zeit des Nationalsozialismus dem Regime anpasste. Als Beispiele werden aufgeführt Lieder der Zeit op. 47 (1941) und Vorspiel zu einem Fest. Heitere Ouvertüre. Originalkomposition für Luftwaffenmusik (1942). Nachdem NSDAP-Mitglied Herbert von Karajan als Generalmusikdirektor in Aachen neben diversen Propagandawerken von Otto Siegl, Bruno Stürmer und Richard Trunk auch Arnold Ebels Symphonische Ouverture (Apassionata) für großes Orchester op. 13 dirigierte, sah Ebel 1937 die Zeit für einen Parteieintritt gekommen. Das zahlte sich aus. Er wurde Musikreferent des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), komponierte für den Musikzug Märsche und wurde 1930 zum Professor ernannt.

 

Nach dem Ende des Dritten Reichs zog sich Ebel zunächst zurück. Von 1946 bis 1950 hatte er den Entnazifizierungsvorgang für Kunstschaffende zu überstehen. Kaum war das erledigt und er 1953 zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Heide ernannt, wollten die übrig gebliebenen Aktiven der Generation des Aufbaus an die Zeit von 1922 wieder anknüpfen.

 

1951 wurde der einstige Reichsverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer wieder gegründet. Arnold Ebel wurde Vorsitzender und obendrein in den Vorstand des Deutschen Musikrats gewählt.