Wer war Walther Schreiber? Er war im Vergleich mit Ernst Reuter, Willy Brandt, Richard von Weizsäcker oder Klaus Wowereit der unauffälligste Regierende Bürgermeister von Berlin. 1950 entschloss sich Walther Schreiber (CDU) gegen Ernst Reuter (SPD) zu kandidieren. Es kam zu einem Patt. Er verzichtete zugunsten Reuters und wurde dessen Stellvertreter. Nach dem Tod Reuters brach die Allparteienkoalition auseinander. Schreiber setzte sich als Kandidat von CDU und FDP durch und wurde am 22. Oktober 1953 Regierender Bürgermeister. 1954 gewann die SPD die absolute Mehrheit zurück und Schreiber verlor nach 15 Monaten am 11. Januar 1955 sein Amt. Nach seinem Tod am 30. Juni 1958 beantragte das Bezirksamt Schöneberg bereits am 3. Juli 1958, dem bisher namenlosen Platz den Namen Walther-Schreiber-Platz zu geben. Am 5. Juli 1958 war der Akt besiegelt. Die Bezirksverordnetenversammlung stimmte am 20. August 1958 nachträglich zu.

 

Die Friedenau-Kennerin Sigrid Wiegand fasste ihre Beobachtungen 2003 unter dem Titel Walther-Schreiber-Platz - der Platz, den es nicht gab recht schonungslos zusammen: Er ist eine Erfindung der Nachkriegszeit. Die Einmündung der Kaiserallee in den Straßenzug Rheinstraße – Schloßstraße, dieses Triangel, wurde früher das „Rheineck“ genannt. Er war nie ein richtiger Platz und ist es heute erst recht nicht: kein Ruhepunkt, kein Verweilort, auf dem man „Platz nehmen“ kann. Aber wer wollte schon auf dem Walther-Schreiber-Platz verweilen? Einzig die Säule mit den Schildern, die seinen Namen verkünden, steht auf einem kleinen Inselchen mitten im Verkehrsgewühl, auf dem höchstens einige Tauben platznehmen können. Für Sigrid Wiegand ist der Zustand des Platzes eine Folge der autogerechten Stadtplanung. Wenn man von dort aus in die Schloßstraße gelangen will, so war und ist das eine aufwändige Angelegenheit.

 

Dabei, so Wiegand, ist der auf Friedenauer Gemarkung liegende Walther-Schreiber-Platz sozusagen der Abschluss der „Friedenauer Einkaufsmeile“ - oder das „Tor zur Schloßstraße“. War in den Jahren vor dem Krieg die Rheinstraße mit ihren Traditionsgeschäften die lebhaftere Einkaufstraße, während die Schloßstraße eher etwas verschlafen wirkte, so hat sich das seit den fünfziger/sechziger Jahren umgekehrt. Leineweber baute sein großes Geschäftshaus, die Warenhäuser entstanden, später das Forum Steglitz, und all das zog natürlich die Menschen und vor allem die Käufermassen an. Man könnte heute von einer verkaufsfördernden Stadtplanung sprechen, so lautet das einigermaßen versöhnliche Resümee der Friedenauer Autorin.

 

Friedenauer Lokal-Anzeiger, 1. juli 1908

Forum Steglitz

 

Unser Ort macht nirgends einen traurigeren Eindruck, wie an der Einmündung der Kaiserallee in die Rheinstraße, wo auch die Bornstraße einmündet. Zu diesem Ergebnis kam der Friedenauer Lokal-Anzeiger am 17. März 1905. Damals war beabsichtigt, dass die Gegend in nächster Zeit mit vornehmen Häusern bebaut werde und dass die dort befindlichen gewiss unschönen Schuppen und Lagerräume verschwinden. Eine Einigung zwischen den Anliegern und dem der Firma von Herrn Walter Metz gehörenden Grundstück kam wegen neuer unbilligen Forderungen allerdings nicht zustande. Damit ist die Bebauung natürlich wieder in die Weite geschoben.

 

Am 10. September 1905 sollte auf dem Metz'schen Grundstück Schloß-, Born- und Gutsmuthstraße eine Vogelwiese eröffnet werden – ein Steglitz-Friedenauer-Vergnügungspark. Gegen dieses Projekt hatte sich wohl auch der Lokal-Anzeiger ausgesprochen, denn nun besuchte uns auf Grund unserer Artikel der Pächter derselben, Herr Warlich (Berlin), und erklärte, dass das ganze Unternehmen einen feinen Anstrich erhalten soll und von einem Radauplatz keine Rede sei. Herr Warlich, der jahrelang den Vergnügungspark „Paradiesgarten“ in der Schönhauser Allee inne hatte, beabsichtigt für den Winter eine große moderne Eisbahn, für einige Wochen im Sommer bessere Schaustellungen, darunter ein Kinematograph, ein elegantes Karussell, eine Schießbude sowie ein Wachsfigurenkabinett und Panoptikum.

 

 

Der Erfrischungsraum, eine behagliche Restaurationshalle, wird von unserem Mitbürger Herrn Baumeister Oskar Haustein geschaffen. Auf dem Platz soll die größte Ruhe und Ordnung herrschen und eine Anzahl angestellter Kontrolleure ist streng angewiesen, dass unsaubere Elemente dem Vergnügungsplatz fernbleiben. Als unparteiische Zeitung, wie sich der Friedenauer Lokal-Anzeiger bezeichnet, lässt er auch gern den Interessenten zu Wort kommen, verschweigt allerdings, dass bei diesem Projekt auch Oskar Haustein sein Geschäft macht, der nicht nur unser Mitbürger, sondern vor allem seit 1898 ununterbrochen der Gemeindevertretung und auch verschiedenen Gemeindeausschüssen angehört. Schwamm drüber.

 

Drei Jahre später macht der Friedenauer Lokal-Anzeiger unter dem Titel Neuer Privatmarkt am 30. Juni 1908 bekannt, dass auf dem bisher als Rummelplatz bekannten Gelände, Schloßstraße Ecke Bornstraße, am Mittwoch, den 1. Juli ein Privatmarkt eröffnet wird, der jeden Mittwoch und Sonnabend Vormittag von 7 bis 1 Uhr stattfinden soll. Unternehmer ist ein Herr Albert Marks, der solche Privatmärkte in einigen östlichen Vororten eingerichtet hat.

 

Begeisterung klingt anders. Schon im Mai 1910 gab es Anlass zur Klage. Friedenaus Bürgermeister Erich Walger hatte dem Besitzer des Privatmarktes Herrn Marks aus gesundheitspolizeilichen und anderen Rücksichten die Abhaltung des Marktes untersagt. Marks beantragte vor dem Kreisausschuss die Aufhebung der Verfügung. In der am 10. Mai stattgefundenen Terminsitzung gab der Kreisausschuss der Klage des Herrn Marks statt. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger war entsetzt: Danach kann also der Privatmarkt an der Bornstraße — „leider" müssen wir sagen — weiter bestehen bleiben. Die Klagen der Anlieger über die geradezu unhaltbaren Zustände auf dem Markt- und Rummelplatz in der Bornstraße bleiben also — aus rechtlichen Gründen — unbeachtet. Sollte es wirklich nicht Mittel und Wege geben, um diesen hässlichsten Punkt Friedenaus so schnell als möglich zu beseitigen.

 

Der Friedenauer Lokal-Anzeiger beschränkte sich in den folgenden Jahren im Wesentlichen auf die Veröffentlichung von Leser-Zuschriften: Mit welchem Recht mutet es die Gemeindeverwaltung der Einwohnerschaft einer Straße zu, die hässlichen Begleiterscheinungen dieses Rummelplatzes an der Bornstraße monatelang allein zu genießen? (13.06.1919)

 

1926 kam dann die Wende: An der Ecke Schloßstraße Nr. 4-5 und Gutsmuthsstraße Nr. 28 stand ein 2664 m² großes Eckgrundstück zur Verfügung. Mit dem Verlauf von Schloß-, Rhein- und Hauptstraße bot sich eine städtebaulich exponierte Lage – kilometerweit sichtbar. Günstig war für die Architekten Ernst Schöffler, Carlo Schloenbach & Carl Jacobi, dass das gegenüberliegende Eckgrundstück an der Bornstraße als Rummelplatz und Wochenmarkt genutzt wurde und (vorerst) unbebaut blieb. Am 26. Januar 1928 wurde der Titania-Palast eröffnet – mit einer Frontlänge von 50,85 m an der Schloßstraße und 57,50 m Länge an der Gutsmuthsstraße, dazu der Eckturm mit 24 m Höhe und der Lichtturm mit 30 m Höhe.

 

Die waschechte Friedenauer „Spurensucherin“ Sigrid Wiegand, 1930 im Auguste-Viktoria-Krankenhaus geboren, aufgewachsen in der Rheinstraße, dann Kindergarten „Zum Guten Hirten“, später Volksschule, Königin-Luise-Schule, Höhere Wirtschaftsschule, hatte den Wochenmarkt an der Bornstraße an der Hand ihrer Mutter noch kennengelernt. Die Stände auf dem langgestreckten Rechteck zwischen Born- und Gutsmuthsstraße in Reih und Glied, daneben feste Buden, die mit ihren Dächern eine mehr oder weniger geschlossene Abdeckung bildeten und wo es etwas schummrig war. Freche Marktfrauen mit großer Klappe gab es, eine rief uns auf dem Bornmarkt wütend hinterher, als wir es ablehnten, ihren patentierten Kirschentkerner zu kaufen: „Na denn entkern' se keene!“, was jahrelang ein geflügeltes Wort in der Familie war, wenn jemand sich vor etwas drücken wollte.

 

So blieb es im Prinzip bis 1968. Als die Planungen für das Forum Steglitz begannen, war eine der Vorgaben an den Bauherrn, diesen traditionellen Wochenmarkt in das Einkaufszentrum zu integrieren. Dies wurde umgesetzt durch eine Verkaufsfläche im hinteren Teil des Erdgeschosses, auf der kleine Parzellen für Verkaufsstände und fest eingebaute Kioske von Händlern gemietet werden konnten. Mit der Eröffnung am 23. April 1970 war das Forum Steglitz mit einer Verkaufsfläche von rund 32.000 m² eines der ersten deutschen Einkaufszentren nach dem Shop-in-Shop-System mit damals etwa 60 Geschäften und Gastronomie sowie einem Parkhaus, das über die Born- bzw. Gutsmuthsstraße zu erreichen war.

 

Im Forum Steglitz wurde auch deutsch-deutsche Geschichte gemacht. Seit der Zusatzvereinbarung zum Vier-Mächte-Abkommen wurden ab 1972 auf Antrag gegen Vorlage des „behelfsmäßigen Berliner Personalausweises“ Berechtigungsscheine für ein Visum nach Ost-Berlin (Berlin-Hauptstadt der DDR) oder für die DDR ausgestellt. Zuständig für die Prüfung eines Visumantrags und die Visaerteilung, der sogenannten Ein- und Ausreisekarte, war die Arbeitsgruppe XVII – Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Berlin (West) des Ministeriums für Staatssicherheit. Diese unterhielt in West-Berlin fünf Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten, darunter bis zur Aufhebung des Visumzwangs 1989 auch im Obergeschoss des Forum Steglitz.

 

Von Mai 2005 bis Mai 2007 wurde das Forum Steglitz modernisiert. Der Wochenmarkt mit seinen Parzellen und Kiosken im hinteren Teil des Erdgeschosses wurde aufgegeben. Seit Februar 2019 wird das Forum erneut umgebaut, um es als Mixed-Used Immobilie neu zu positionieren. Was da demnächst zu erwarten ist, erklärte die Börsen-Zeitung am 5. Oktober 2019: Mixed-Used-Objekte bündeln verschiedene Funktionen und Lebensbereiche unter einem Dach. In Mischimmobilien wird gewohnt und gearbeitet, eingekauft und trainiert, sich fortgebildet und es werden Freizeitangebote wahrgenommen. Es gibt keine Pendelzeiten, zwischen Arbeit und Freizeit liegen nur wenige Etagen. Das ist effizient und ressourcensparend.

 

Hinzuzufügen ist, dass dieses ganzheitliche, autarke Quartier Forum Steglitz wohl demnächst neben Wohnen und Büro eine eigene infrastrukturelle Versorgung mit Nahversorgungszentrum und Freizeitangeboten offeriert. In Zeiten von Corona oder mit dem nächsten Virus eine beruhigende Lösung, da Ausgangsbeschränkung und Kontaktverbot in Zukunft einfacher zu händeln sind.

 

Titania-Palast, 1928

Titania-Palast

 

Die Grundstücks-Theater-Betriebs-GmbH der National Film AG konnte 1926 an der Ecke Schloßstraße Nr. 4-5 und Gutsmuthsstraße Nr. 28 ein 2664 qm großes Grundstück erwerben – aus städtebaulicher Sicht eine exponierte Lage, von Rhein- und Hauptstraße weithin sichtbar. Gleich daneben zur Bornstraße hin gab es ein ebenerdiges Gelände, das von Wochenmarkt und Rummelplatz genutzt wurde. Eine Bebauung war nicht zu befürchten.

 

Die National-Film-AG als Bauherr schrieb Ende 1926 einen Wettbewerb für den Bau eines Lichtspieltheaters aus. Es sollte auch als Konzerthaus genutzt werden und in den oberen Räumen mit Bar, Café und Wirtschaftsräumen aufwarten. Die Düsseldorfer Architektengruppe Ernst Schöffler, Carlo Schloenbach & Carl Jacobi ging als Sieger hervor. Mit ihrem Monumentalbau im Stil der Neuen Sachlichkeit schufen sie eine für sich werbende Architektur, deren nicht allzuglücklich abgewogene Massengruppierung schon damals kritisiert wurde.

 

Vorsorglich wurde im Bauantrag vom Februar 1927 sogleich Dispens wegen der beabsichtigten Überschreitung der Gebäudehöhen und der Mehrbebauung des Grundstücks beantragt. Die Behörden sperrten sich: Wir sind gegen die Errichtung des Baus, der nur unter Gewährung verschiedener Dispense genehmigt werden kann, weil durch den Bau der in der Schloßstraße schon jetzt herrschende starke Wagen- und Autoverkehr eine erhebliche, kaum zu bewältigende Zunahme erfahren wird. Wir haben umso weniger Veranlassung hier Entgegenkommen zu zeigen, weil die Eigentümer sich noch weigern, das in der Schloßstraße liegende Straßenland unentgeltlich an die Stadt abzutreten. Ein Antrag kann daher keineswegs befürwortet werden.

 

Der Bauherr hielt entgegen: Wir bitten noch zu berücksichtigen, dass wir an dem Grundstück die Fläche des früheren Vorgartens in der Schloßstraße von rund 366 qm, die beim Erwerb des Grundstücks mitbezahlt werden musste, der Stadt übereignen müssen. Eine Einschränkung der für den Bau in Anspruch genommenen Fläche ist nicht möglich. Bei Nichtgewährung des hierfür erbetenen Dispenses müsste von dem Bau abgesehen werden. Die Baupolizei lenkte ein: Das geplante Uraufführungstheater sei als privater Monumentalbau zu behandeln. Der Entwurf konnte nahezu unverändert realisiert werden. Am 26. Januar 1928 wurde der Titania-Palast eröffnet – mit einer Frontlänge von 50,85 m an der Schloßstraße und 57,50 m Länge an der Gutsmuthsstraße sowie Eckturm mit 24 m Höhe und Lichtturm mit 30 m Höhe.

 

Da der Titania-Palast den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden hatte, avancierte er in den Nachkriegsjahren zum kulturellen Zentrum. Am 26. Mai 1945 gaben die Berliner Philharmoniker ein erstes Konzert. Der RIAS Berlin übertrug Auftritte der Insulaner. Am 4. Dezember 1948 wurde im Haus die Freie Universität Berlin gegründet. Am 6. Juni 1951 wurde die erste Berlinale eröffnet.

 

Am 3. Mai 1960 musste mindestens eine Hundertschaft der Polizei die An- und Abfahrt von Marlene Dietrichs schützen. Noch fast eine Stunde nach Schluss der Vorstellung schwenkten propre Mädchen und sehr aufrechte Jünglinge unverdrossen ihre Pappkartons mit dem aufgemalten „Marlene, go home“. Ein Team der Allertapfersten schnaubte vor sich hin, dass sie „sich doch nur raustrauen solle, man werde es der Verräterin schon zeigen“. Die vom Tagesspiegel geschilderten Umstände des ersten Auftritts der Dietrich vor Berliner Publikum nach dem Krieg waren wenig erfreulich. Erst 25 Jahre später äußerte sich Marlene Dietrich im Gespräch mit Maximilian Schell über diesen Tag: War ja scheußlich. Die haben mir da Bomben reingetan ins Theater, die wollten ja nichts von mir, die waren mir doch beese. Das ist Hassliebe, ja? Die haben gesagt, die ist von uns weggegangen, die wollte uns nicht. Die liebten mich und hassten mich. Alles zur selben Zeit.

 

Nach dem Mauerbau und mit dem Fernsehen ging es mit dem Titania-Palast bergab. Im Dezember 1965 wurde der letzte Film gezeigt. 1966 pachtete die Bewag einen Teil des Gebäudes. Einzelhandelsgeschäfte zogen ein. Schiller-Theater und Schloßpark-Theater hatten hier von 1972 bis 1994 ihre Probebühnen. Mitte der 1990er Jahre kam ein neues Nutzungskonzept. Kurz vor der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin konnte das Landesdenkmalamt 1984 nur noch die Fassade unter Denkmalschutz stellen. Das Gebäude wurde entkernt. Mit dem Umbau veränderte sich der Charakter des Hauses. Die alte Pracht mit dem beeindruckenden Saal war verloren. Erhalten ist an den Fassaden von Schloß- und Gutsmuthstraße immerhin noch der Schriftzug Titania-Palast von 1928.

 

Ab 24. Mai 1995 wurden wieder Filme gezeigt – jetzt unter Verzicht auf das Wort Palast mit dem Namen Cineplex Titania. Im früheren Entrée an der Ecke Schloßstraße wird nun Damenmode angeboten, dahinter kommen ALDI und die Türen zum Blockbuster-Kino mit seinen sieben Sälen von 85 bis 395 Plätzen in den Obergeschossen.

 

Der Kunsthistoriker Peter Boeger veröffentlichte 1993 im Verlag Willmuth Arenhövel Berlin ein Buch über die Architektur der Lichtspieltheater in Berlin. Bauten und Projekte 1919-1930. Einige dieser Lichtspiele wurden abgerissen, andere wurden Denkmale oder Hutschachtelkinos – wie der Titania-Palast, der als Gesamtgebäude nur noch schwer erlebbar ist. Peter Boeger macht den Verlust deutlich. Wir veröffentlichen seinen Beitrag im Original.

 

Peter Boeger: Titania-Palast

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1906 Restaurant Rheineck Rheinstraße Ecke Kaiserallee

Vom Konfektionshaus zum Ärztehaus

 

Die Bebauung des attraktiv gelegenen Grundstücks an der Kaiserallee Ecke Rheinstraße Nr. 39 & 39 A hatte sich lang hingezogen. 1895 waren die Grundstücke Nr. 38 bis 40 als Baustellen ausgewiesen. 1905 steht ein Mietswohnhaus mit Läden im Erdgeschoss, Gemüse, Friseur, Weißwaren sowie Café & Restauration von Piater & Co. Gelaufen ist es wohl nicht gut, obwohl Gastwirt Franz Piater jeden Donnerstag und Sonnabend Abend bei freiem Eintritt ein großes Künstlerkonzert offerierte. 1906 meldete der Friedenauer Lokal-Anzeiger, dass im Wege der Zwangsvollstreckung das auf den Namen des Baumeisters Franz Piater eingetragene Grundstück am 14. August 1906 versteigert werden soll. Mit dem neuen Eigentümer zog 1914 Traiteur Jean Schätzler mit Weinhandlung ein, aus der 1919 das Rhein-Eck wurde. Geworben wurde neben vorzüglichem Mittags- und Abendtisch mit gepflegten Bieren, Siphon- und Kannenbierversand frei Haus und der Übernahme ganzer Diners außer dem Hause auch mit Lieferung von Silber, Wäsche, Porzellan, Glas usw.

 

1933 war es aus mit dem Rhein-Eck. Das größte und feinste Familien-Restaurant von Friedenau war Geschichte. Auf dem Dach wurde die Leuchtreklame für Pilsator durch Dresdner Bank ersetzt. Eingezogen war die Depositenkasse 84 als Filiale der Dresdner Bank. Mit den Bombenangriffen der Alliierten im Februar und August 1943 wurde neben den Häusern in der Schloß-, Holsteinischen-, Feuerbach- und Lepsiusstraße auch das Eckhaus Kaiserallee und Rheinstraße zerstört. Die Erben von Rudolph Hertzog, der 1839 das Manufakturwarengeschäft in der Breiten Straße Nr. 13 gegründet hatte, ließen nach dem Krieg auf dem Eckgrundstück einen Flachbau für den Verkauf ihrer Konfektion errichten. Dann trat Willi Ebbinghaus (1914-2006) auf den Plan.

 

Er stammte aus Wuppertal, arbeitete als Angestellter von Bekleidungshäusern in Dortmund, Essen, Kiel, München und war 1945 mit seiner Frau Helga nach Berlin gezogen. Offensichtlich war er über das tragische Ende von Leo und Klara Bry informiert. Der Kaufmann Leo Bry hatte 1907 eine Firma gegründet und von Uhrenfabrikant Franz Ludwig Löbner (1836-1921) in dessen Haus Lauterstraße Nr. 12-13 Geschäftsräume gepachtet. Dort eröffnete er 1908 das Kaufhaus Bry mit dem bekannten Werbespruch Für Friedenau ein wahrer Schatz ist Kaufhaus Bry am Lauterplatz. Noch am 23. September 1938 warb er in Annoncen für Betten, Wäsche, Aussteuern, Gardinen und die Aufarbeitung für Daunendecken. Zwei Wochen später feierten die Nationalsozialisten die Pogromnacht. Die Waren wurden geplündert, der Laden demoliert und geschlossen. Im Handelsregister von 1939 steht Liq. – die Liquidation. Über das Ende von Leo und Klara Bry berichten wir unter Lauterstraße.

 

Willi Ebbinghaus pachtete den Laden von den Löbner’schen Erben und eröffnete 1952 dort sein Haus für gute Kleidung. Schon 1961 bis 1962 ließ sich die Ebbinghaus KG als Bauherr vom Architekten Hans Schaefers (1907-1991) am sogenannten Rheineck das Konfektionshaus Ebbinghaus errichten. Das Haus besteht aus einem eingeschossigen Flachbau, einem Luftgeschoss mit Parkdeck und einem aufgeständerten, dreigeschossigen, winkelförmigen Kopfbau, der nach Süden mit hohen Fensterbändern geöffnet und mit weit auskragenden horizontalen Sonnenblenden geschützt ist. Bei dem Bauwerk handelt es sich um einen Stahlbetonskelettbau mit fünfeckigen Stützen, der verglast und mit emaillierten Blechtafeln verkleidet ist. Der bescheiden dimensionierte, aber die Strukturlinien der stadträumlichen Situation elegant umsetzende Bau ist zu einer Landmarke an der südlichen Einfahrt nach Friedenau geworden, vergleichbar mit der Wirkung des Rathauses Friedenau am Breslauer Platz als Orientierungspunkt weiter im Norden. (Topographie Friedenau, 2000).

 

Kurze Zeit später gab es die Läden Auf der Tauentzien und Im Kranzler-Eck, Ebbinghaus avancierte zum größten inhabergeführten Einzelhandelsfilialist der Stadt. Mit dem Fall der Mauer kamen harte Zeiten. Das „Haus für gute Kleidung“ versuchte mitzuhalten, verjüngte das Konzept, aber eigentlich hielt der Patriarch Bluejeans für eine amerikanische Geschmacksverirrung, die seine ganze Branche durcheinandergebracht hatte. 2003 meldete die Firma Insolvenz an. Das Modehaus am Rheineck blieb bis 2006 erhalten. Willi Ebbinghaus starb am 20. September 2006.

 

Danach erfolgte ein Umbau zu Ärztehaus und Biomarkt. Obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz stand, wurde der Abriss von Parkdeck und Rampe mit Zustimmung des Bezirksamts Schöneberg genehmigt – eine nicht nachvollziehbare Entscheidung mit einem erheblichen Denkmalverlust.

 

Kaufhaus HELD mit Straßenbahn-Linie 78, 1952

Vom Kaufhaus Held über Hertie zum SSC

 

Zum Grundstück Bornstraße Nr. 1 gehörten über fünf Jahrzehnte auch die Anwesen Kaiserallee Nr. 103 und Nr. 103a. Eigentümer waren u. a. der Charlottenburger Bauverein (1905), die Westliche Baugesellschaft mbH Berlin (1921) und schließlich die Deutsche Lloyd Lebensversicherung AG Leipzig (1939), die seit 1845 unter dem Dach der Assicurazioni Generali in Deutschland tätig war. Über die Hintergründe der Wechsel lässt sich nur spekulieren.

 

Der Häuserblock brannte 1942 nach einem alliierten Luftangriff aus. 1953 wurde darauf das Kaufhaus Held nach einem Entwurf von Paul Schwebes errichtet. Da auf dem Dach die überdimensionierte Leuchtreklame Deutscher Lloyd Lebensversicherung prangte, kann davon ausgegangen werden, dass das Grundstück auch nach dem Zusammenbruch im Besitz der Versicherung war.

 

 

Paul Schwebes (1902-1978) war in den Wiederaufbaujahren ein viel beschäftigter Architekt. Aufgefallen war er 1951/1952 mit dem Kempinski Hotel Bristol. Später entstanden in Bürogemeinschaft mit Hans Schoszberger Zentrum am Zoo und Bikini-Haus (1957). Berlin Hilton (1958) und Telefunken-Hochhaus (1960). Beim Bau des fünfgeschossigen Kaufhauses Held orientierte sich Schwebes an der Traufhöhe der Nachbargebäude. Die gesamte Front war großflächig verkleidet, die Brüstungsbänder in einem Wechsel von hellen Platten und dunklen Fensterflächen. Anziehend waren die 17 Schaufenster mit den Markisen. Im Innern beeindruckte die ovale Treppenanlage, die alle Etagen verband.

 

1960 wurde das Kaufhaus HELD von Hertie übernommen. 1973 verschwand der Name HELD. Es kam Hertie, ein Name, der sich aus den Anfangsbuchstaben des Firmengründers Hermann Tietz zusammensetzt. Er hatte 1882 in Gera das Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz eröffnet – ein beispielloser Erfolg bis hin zum KaDeWe, das Tietz 1926 übernahm: Qualität bedeutet, dass der Kunde und nicht die Ware zurückkommt.

 

Hertie steht allerdings auch für das schlimme Kapitel der Warenhäuser: 1952 übernahm Hertie Wertheim. 1993 wurde Hertie zu Karstadt und betrieb ab 1994 in der Schloßstraße Karstadt, Karstadt Sport im Forum Steglitz, Wertheim und Hertie. 1999 fusionierte Karstadt mit Quelle. Die restlichen Hertie-Filialen wurden in Karstadt umbenannt, geschlossen oder verkauft – das Hertie am Walther-Schreiber-Platz 2003 geschlossen und 2005 abgerissen.

 

Da waren die Weichen längst gestellt: Wenn der Standort überzeugt und eine Projektidee umsetzbar ist, fügen wir das Kapital hinzu. Der neue Eigentümer war nun MIB AG Berlin zusammen mit dem irischen Investor CMC Capital, hinter dem sich China Media Capital mit Hauptsitz Shanghai, Volksrepublik China, verbirgt – eine Capital-Gesellschaft, die sich auf Wachstumskapital, Unternehmensumstrukturierungen sowie Fusionen und Übernahmen spezialisiert hat.

 

Die Architekten Aukett + Heese GmbH Berlin legten dem zuständigen Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg Entwürfe für eine Mischnutzung aus Handel und Dienstleistung vor. Zur Erweiterung der Grundfläche wurden für den Bau von Zufahrten für das Parkhaus mit 365 Stellplätzen der Abriss der 1905/1910 errichteten Mietswohnhäuser Bundesallee Nr. 96 und Lefèvrestraße Nr. 29 genehmigt und einer Änderung der Baufluchtlinie zugestimmt. Zugesagt wurden die Umgestaltung von Walther-Schreiber-Platz mit Vorplätzen, Bus-Endhaltestelle mit Wendemöglichkeit für Gelenkbusse sowie die direkte Verbindung des Einkaufszentrums vom Tiefgeschoss zur Verteilerebene der U-Bahn-Station.

 

Noch vor Beginn der (längst zur Farce gewordenen) Bürgerbeteiligungen zum Bebauungsplan XI-1-1 im August 2005 erfolgte – wie in Schöneberg üblich – im Juni 2005 der Spatenstich. Das als Shop-in-Shop konzipierte Schloss-Straßen-Center (SSC) mit einer Verkaufsfläche von 16.200 m² wurde am 29. März 2007 eröffnet. Es lief von Anfang an nicht gut. Wie nebenan im Forum Steglitz konnten nicht alle Läden vermietet werden. 2011 wanderten Geschäfte zum Boulevard Berlin ab. Das SSC wurde umgebaut, bekam noch mehr Verkaufsfläche und eröffnete im Juli 2012 die erste Berlin-Filiale der irischen Modekette Primark. Der Coup gelang. Ungeachtet der Kritik an den in Billiglohnländern unter unsäglichen Lohn- und Produktionsbedingungen produzierten Textilien wurde Primark laut Eigenwerbung zum Shopping-Paradies für Fashionistas und preisbewusste Modeliebhaber, die mit den neuesten Trends mithalten möchten, ohne dabei ihr Konto zu strapazieren.

 

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ob Schloss-Straßen-Center, Forum Steglitz oder Boulevard Berlin – die Einkaufmeile Schloßstraße will nicht mehr so recht funktionieren. In den Gebäuden sind auffällig viele Verkaufsflächen dicht. Man hätte es wissen können. Schon 1906 sprach Herr Redakteur Doering vom Friedenauer Lokal-Anzeiger über das Thema Steglitz—Friedenau und die Berliner Warenhäuser und forderte deutscher Mittelstand auf die Schanzen. Der Redner wies in seinen interessanten Ausführungen auf die Gefahren hin, die die großen Warenhäuser wie Wertheim, Jandorf, Tietz usw. für den Mittelstand bzw. kleineren Geschäftsleuten bedeuten. Er verurteilte, dass sich das Publikum durch allerhand Verblendungen in die Warenhäuser locken lasse, wo man schlechter und teurer kaufe als in den Spezialgeschäften des Ortes. Auch hier müsse gegen die Etablierung großer Warenhäuser energisch gekämpft werden, denn kämen solche hierher, dann sähe das schöne Geschäftsbild in der Rheinstraße nach 5 bis 6 Jahren wohl anders aus.

 

Es kamen zwei Weltkriege und dauerte etwas länger. Das wurde in den letzten fünf Jahrzehnten doppelt und dreifach nachgeholt. Der Bezirk Steglitz setzte auf Einkaufszentren: Das Schloss, Naturkaufhaus, SportScheck, C & A, Schloßstraße 109/110, Boulevard Berlin, Galeria Karstadt Kaufhof, Peek & Cloppenburg, Forum Steglitz. Der Bezirk Schöneberg machte es mit dem Schloss-Straßen-Center nach. Gewerbesteuern bestimmen Stadtentwicklung.

 

Die Bauten haben mit dem Kiez nichts gemein. Sie schotten sich ab – sind allesamt nach innen ausgerichtet – ein gravierender Fehler. Die mickrigen Freiflächen vor ihren Gebäuden sind zum Verweilen nicht geeignet. Nach Ladenschluss verwaist die Schloßstraße. Oft genug schließen die wenigen Restaurants und Cafés noch vor Kaufhausschluss. Cineplex Titania als einzig verbliebene Kulturstätte kann das bei obendrein schwindender Besucherzahl nicht ausgleichen. Die Zahlen sprechen für sich: Waren es 2013 noch 10225 Passanten je Stunde, so sind es 2016 je Stunde nur noch 5595 Passanten. Auch das Schloss-Straßen-Center musste Federn lassen: 2009 bis 2013 gab es 5094 Passanten. Mit der Eröffnung von Primark kamen 5121, aber 2018 nur 3810 Passanten.

 

Herrn Redakteur Doering vom Friedenauer Lokal-Anzeiger dürfte es freuen. Die altehrwürdige Rheinstraße ist beileibe nicht mehr das, was sie mal war, aber ein gewisser Mittelstand mit kleineren Geschäftsleuten ist geblieben.

 

 

U-Bahnhof Walther-Schreiber-Platz

 

Das Online-Magazin moderne-regional kümmert sich um die Baukunst des 20. Jahrhunderts. Diese Berichte wurden 2018 mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichnet. Zuvor hatten die Macher unter dem Titel Berlin: Trauerspiel im Untergrund wissen lassen, dass die Aufträge für die Neugestaltungen der U-Bahnhöfe von der BVG nach eigenen Angaben ohne Ausschreibung vergeben werden, also direkt und unter der Hand.

 

Als die BVG sich daran machte, die in die Jahre gekommenen U-Bahnhöfe zu sanieren, weil mangelnder Brandschutz, asbesthaltige Platten, fehlende Aufzüge und ein notwendiger zweiter Ausgang dies erforderten, betrachtete der Bauchef der BVG die Stationen als Architektur in Anführungsstrichen. Da er dort einen Gestaltungswillen nicht erkennen konnte, wurde die weitgehend erhaltene Originalsubstanz aus diversen Stationen komplett entfernt.

 

Beim U-Bahnhof Walther-Schreiber-Platz (1971) waren die beiden Zugangsgeschosse gelb-grün gefliest, die Stützen auf dem Mittelbahnsteig mit silbergrauem Aluminium verkleidet und die Hintergleiswände mit blauen Eternit-Platten ausgeführt, unterbrochen auf der gesamten Bahnsteiglänge von einem gelben Streifen, in dem der Stationsname gut sichtbar und lesbar eingearbeitet war. Welcher Gestalter dort auch immer von der BVG ohne Ausschreibung und direkt und unter der Hand (?) den Auftrag erhalten hat, er hat das Prinzip einer Benennung nicht verstanden. Gerade bei U-Bahnhöfen hat sich weltweit bewährt, dass der Fahrgast aus dem Zug und in Augenhöhe auf beiden Seiten den Stationsnamen lesen kann. Nicht so am U-Bahnhof Walther-Schreiber-Platz. In überdimensionierten einzelnen Versalien wurden wiederum auf einzelnen Schrifttafeln von 1 x 2 Metern über die Länge von mindestens zwei U-Bahnwagen der Schriftzug Walther-Schreiber-Platz ausgedehnt. Aus dem Fenster ist dann jeweils nur ein Buchstabe – also L, H, R oder Z zu erkennen. Damit wird nichts ins Bewusstsein gerufen.

 

Der Fahrgast erfährt nicht, ob er die Station Walther-Schreiber-Platz erreicht hat, die, das sei hier mitgeteilt, ganz anders gedacht war. Unter dem Platz sollten die Linien U10 und U9 aufeinandertreffen und einen Umsteigebahnhof ermöglichen: U10 von Weißensee über Potsdamer Platz, Innsbrucker Platz (mit Übergang zur U4 und Ringbahn), Rathaus Friedenau, Kaisereiche zum Walther-Schreiber-Platz (Übergang zur U9) und weiter über Rathaus Steglitz (mit Übergang zur Wannseebahn) bis zur Drakestraße in Lichterfelde. Die Linie U9 von Pankow über Zoologischer Garten, Bundesplatz (mit Übergang zur Ringbahn), Friedrich-Wilhelm-Platz, Walther-Schreiber-Platz und weiter über Rathaus Steglitz bis nach Lankwitz (mit Übergang zur S-Bahn). Dafür wurden in den 1960er und 1970er Jahren einige Bauvorleistungen getroffen: Am Innsbrucker Platz unter der Stadtautobahn ein Bahnsteig für die U10 mit einer Verteilerebene für den Umsteigeverkehr zu U4 und Ringbahn. Unter dem Walther-Schreiber-Platz ein V-förmiger Umsteigebahnhof mit einem (angedachten) Bahnsteig unter der Rheinstraße. Da die Schloßstraße zwischen Walther-Schreiber-Platz und Rathaus Steglitz keine andere Möglichkeit zuließ, wurde für U9 und U10 als Gemeinschaftsbauwerk ein zweigeschossiger Tunnel gebaut – oben U9, unten U10.

 

Wie schon so oft, haben weder Senatsbaudirektorin noch Landesdenkmalamt diese Veränderungen mitbekommen. Erst als Wissenschaftler der vier Berliner Universitäten in einem Offenen Brief ein Neudenken im Umgang mit der Berliner U-Bahnarchitektur der 1960er bis 1970er Jahre forderten, stellte das Landesdenkmalamt 2018 weitere U-Bahnhöfe unter Schutz, so dass an diesen Stationen Totalumbauten nicht mehr möglich sind. Die Architekturhistoriker vermissen die Wertschätzung und Sorgfalt im Umgang mit ausdrucksstarken, charakteristischen Wahrzeichen der Stadt. Sie bezeichnen die BVG-Maßnahmen nicht nur als unsachgemäß, sondern als geradezu lieblos der Stadt und ihrer Geschichte gegenüber. Mit der Umgestaltung sei Berlins einzigartiges baukulturelles Erbe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zerstört worden. Der bisherigen BVG-Chefin Sigrid Nikutta kann das nun egal sein. Sie bastelte an ihrer Karriere, kratzte die Kurve und heuerte als Vorstand bei der DB an.

 

Erinnert sei daran, dass der U-Bahn-Bau in Berlin in drei Etappen vonstatten ging: Vor dem Ersten Weltkrieg, in den zwanziger Jahren und nach dem Mauerbau. Nach der Wiedervereinigung der beiden Stadthälften hat der Senat das Nachdenken über U-Bahn (und auch S-Bahn) im Prinzip aufgegeben. Ab Mitte der 1960er Jahre gestaltete Senatsbaudirektor Rainer G. Rümmler (1929-2004) annähernd alle neuen U-Bahnhöfe. Rümmler strebte – wie Alfred Grenander (1863-1931) in der zweiten Epoche der Berliner Hoch- und Untergrundbahn – ebenfalls ein einheitliches Erscheinungsbild an.

 

Die U-Bahnhöfe der Linie 9, Bundesplatz, Friedrich-Wilhelm-Platz, Walther-Schreiber-Platz, Rathaus Steglitz (auch der vom Architektenbüro Schüler & Witte gestaltete U-Bahnhof Schloßstraße), zeichnen sich bei aller Differenzierung durch eine erkennbare einheitliche Gestaltung aus. Die mag man mögen oder auch nicht, aber sie gehören nun einmal zur Nachkriegsgeschichte der Stadt.

 

Beim U-Bahnhof Bundesplatz (1971) ist die ursprüngliche Gestaltung nicht mehr erhalten. Die Wände auf dem Bahnsteig waren weiß, die Wände hinter den Gleisen blau verfliest. Der Stationsname war ursprünglich in metallenen Buchstaben in einem weißen, waagerecht verlaufenden Fliesenband angebracht. Inzwischen erhielten die Wände auf dem Bahnsteig größere Fliesen, die Wände im Gleisbereich wurden durch Emaille-Platten verkleidet, Richtung Rathaus Steglitz in Blautönen, Richtung Osloer Straße in Brauntönen. Die Vorhallen wurden in blau, braun und weiß gefliest. Wandbilder zeigen frühere Ansichten des Bundesplatzes.

 

Auf dem U-Bahnhof Friedrich-Wilhelm-Platz (1971) waren die Hintergleiswände olivgrün gefliest, wobei auf Augenhöhe ein Fliesenstreifen weiß war, auf dem der Bahnhofsname in schwarzen Lettern angebracht war. Die Decke, früher grün, heute weiß gestrichen. Die quer zur Bahnsteigkante an rot lackierten Stahlauslegern angebrachte Beleuchtung erinnerte an Berliner Gaslaternen. Nun ist dort Heimatstil eingezogen. Rümmlers Farben sind verschwunden. Der Modus von hellen und dunklen Kontrasten bildet die Grundeinheit des Designs. Für das rot-grüne Verlautbarungsorgan Stadtteilzeitung von Schöneberg macht das nicht nur einen eleganten Eindruck, das entspricht auch den schwarz-weißen Farben Preußens in der Regierungszeit des Namenspatrons. Wie bitte? Doch damit nicht genug. Der U-Bahnhof Friedrich-Wilhelm-Platz wurde vom Ingenieurbüro Vössing (ohne Ausschreibung, direkt und unter der Hand?) mit großflächigen Fotografien dekoriert. Gezeigt werden Aufnahmen von Kronprinz Friedrich Wilhelm (1831-1888), der dem Platz den Namen gab und als 99-Tage-Kaiser Friedrich III. in die Geschichte einging, sowie Bilder vom alten Friedenau, mit denen unterirdisch an die oberirdische Schönheit von anno dunnemals erinnert werden soll. Oben kommt dann das graue Erwachen.

 

Den U-Bahnhof Schloßstraße (1974) haben die Architekten Ursulina Schüler-Witte (geb. 1933) und Ralf Schüler (1930-2011) gestaltet. Die Station verfügt über drei Ebenen – eine Verteilerebene sowie zwei Bahnsteigebenen –, die untereinander jeweils durch Treppen und Rolltreppen miteinander verbunden sind. Die Gestaltung ist typisch für die siebziger Jahre: In den Bahnsteighallen finden sich blaue, gelbe und orange-rote Wandelemente. Die Decken sind überwiegend in Sichtbeton ausgeführt; die Verteilerebene sowie die Treppenschächte sind in dunklem blau-grün gehalten bzw. gekachelt.

 

Den U-Bahnhof Rathaus Steglitz (1974) gestaltete Rümmler mit großen Wandelementen in Rot und Silber, der Bahnhofsschriftzug „Rathaus Steglitz“ dominiert die Gestaltung. An der Decke befinden sich überdimensionale – dem Stil der 1970er Jahre entsprechende – Kreiselemente, die als Abdeckung für die Bahnhofslampen dienen. In der Fußgängerpasserelle wacht eine große Stahlblechskulptur des aus der griechisch-römischen Mythologie stammenden Höllenhundes Zerberus, der von Waldemar Grzimek entworfen wurde. Darüber hinaus findet sich an der Nordostwand eine Installation mit den Schriftzügen aller Weltmetropolen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Bahnhofs im Jahr 1974 eine U-Bahn besaßen. Im Jahr 2005 wurden Teile des U-Bahnhofs renoviert und im März 2006 das Einkaufszentrum Das Schloss eröffnet. Es entstand neben dem alten Steglitzer Rathaus und besitzt direkte Zugangswege zum U-Bahnhof.