In deutschen Landen

 

Die schönen Tage von Ahrenshoop

Man kommt schwer hin und geht traurig weg

Sommerfrische an der Ostsee

Frankfurter Allgemeine, 11.07.1991

 

Zuerst ist besetzt. Dann soll man warten. Und schließlich ist der junge Mann mit der Nummer 1188 frustriert. Sein Gerät zeigt keine Reaktion. Auf die Stichworte Kurverwaltung, Verkehrsamt, Zimmernachweis, Touristinformation, sprechen weder er noch sein Computer an. Achtzehn Monate nach dem Fall der Mauer muß man im schnell vereinten Deutschland immer noch sehr einfallsreich sein, um an Informationen über einen Ort in Ostdeutschland zu kommen ...

 

 

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Erinnerungen eines aufsehenden Erklärers

Die Dornburger Schlösser

Frankfurter Allgemeine, 25.04.1996

 

Der Freitag war ein Ritual. Nach der Vorlesung wurden Lebensmittel gekauft und die Klamotten zusammengepackt. Mit kleinem Gepäck ging es zum Jenaer Saalbahnhof. Dort wartete man auf den Personenzug aus Saalfeld. Manchmal kam er, oft genug auch nicht. Was einst zweigleisig war und später auf ein Gleis demontiert wurde, forderte Tribut. Elf Kilometer wollte man nur fahren, und das dauerte in der Regel zwanzig Minuten. Dass es dabei nur flussabwärts ging, interessierte die Dampflok der Reichsbahn wenig. Heute hat jede Richtung wieder ihr Gleis. Was früher aus dem thüringischen Saalfeld kam und bis nach Leipzig fuhr, kommt heute aus dem fränkischen Lichtenfels und fährt durch Sachsen-Anhalt, Brandenburg bis nach Berlin ...

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Dresden, betrachtet vom Dresdner Balkon

Frankfurter Allgemeine, 16.01.1992

 

Hier oben ist der Thron von Dresden. Hier erreicht die Straße von Dresden und Loschwitz die Höhe des Berges. Hier ist Dresden-Bad Weißer Hirsch. Hier sind der Stechgrund und die Stechgrundstraße. Hier ist man am Anfang am schlimmen Ende und am Ende vielleicht am guten Anfang. Hier steht man in einer untergegangenen Welt. Hier ist alles verkommen und verlassen ...

 

 

 

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Weil hier alles ganz langsam geht

Die Krakower Seen in Mecklenburg

Ferien auf dem Bauerhof oder Ferien auf dem Lande

Frankfurter Allgemeine, 09.09.1993

 

Wer in Mecklenburg Ferien auf dem Bauernhof machen will, bekommt nur Ferien auf dem Lande. Herr Lambrecht von der Waren-Müritz-Information belehrt, dass das, was sich bei Ihnen ,Ferien auf dem Bauernhof' nennt, hier ,Ferien auf dem Lande' heißt, weil es bei uns keine Bauernhöfe gab. Weil man das nicht so stehen lassen kann, denn schließlich wurden den zwangsvereinigten LPG-Mitgliedern nur die Flächen, nicht aber die kleinen Höfe, Häuser und Ställe genommen, kommt der Dienstleistungsmann mit seiner Dienstanweisung, wonach Auskünfte nur vom Amtsleiter gegeben werden können. Da aber Amtsleiter Rhein nicht da ist und daher keine Auskünfte geben kann, Herr Lambrecht aber nicht befugt ist, Auskünfte zu geben, könne man es ja mal bei der Mecklenburgischen Tourismuszentrale Waren-Müritz versuchen ....

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Draußen vor dem Tore

Nichts als ein Vorort: Reinbek bei Hamburg

Frankfurter Allgemeine, 19.05.1993

 

Wenn Orte als das äußerste Ende einer Spitze angesehen werden, dann können Vororte doch nur am Anfang des äußersten Endes einer Spitze liegen. Wenn Orte der Platz sind, die Stelle, der Punkt, das Zentrum, dann haben Vororte etwas Zweitklassiges. Wer will sich denn schon von anderen sagen lassen, dass Vororte für denjenigen geschaffen sind, der die Ruhe ebenso braucht, wie er Kultur entbehren kann? Wer will schon gerne zugeben, dass Vororte einander gleichen wie ein Ei dem andern ...

 

 

 

 

 

 

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Das Erbe der früheren Welthauptstadt des Spielzeugs

Eine deutsch-deutsche Geschichte

Sonneberg im Grenzland zwischen Thüringen und Franken

Frankfurter Allgemeine, 05.03.1998

 

Endlich erfüllte sich Dorothea Merz ihren Traum und stieg mit ihren beiden Söhnen auf den Chimborazo. Sie hatte den Freunden in Grünitz jenseits der Grenze geschrieben, dass sie abends um neun oben auf dem Gipfel ein Feuer machen wolle, um die Zurückgebliebenen zu grüßen. Drüben standen sie am Fenster und malten sich aus, was die enteignete Fabrikantenfamilie im Westen erreicht hatte ...

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Tankred Dorst ist tot

 

Wenn er noch a wenig geward häd … höchstens amol ohm an seim Fenster hast na gseng, wennst vorbei ganga bist. Ausm Haus isser des gansa letzda Jahr nimmer.

Aus: Dorothea Merz (Beerdigungstag)

 

Seine deutsche Trilogie folgt der eigenen Lebensspur. Seine Theaterstücke Auf dem Chimborazo (1975), Die Villa (1980) und Heinrich oder die Schmerzen der Phantasie (1985), aber auch der fragmentarische Roman Dorothea Merz (1976) erzählen Familiengeschichte. Tankred Dorst war einer der meistgespielten Autoren des deutschen Gegenwartstheaters. Nun ist er am 1. Juni 2017 mit 91 Jahren in Berlin gestorben.

 

 

 

 

 

Geboren wurde er am 19. Dezember 1925 im Sonneberger Ortsteil Oberlind. Großvater Georg hatte dort 1860 eine Fabrik gegründet, die Maschinen zur Fertigung von keramischen Kleinteilen für die damals blühende Welthautstadt des Spielzeugs fertigte. Als Oberschüler wurde er 1943 zum Reichsarbeitsdienst und zur Wehrmacht einberufen. Das Kriegsende erlebte er in Gefangenenlagern in England und den USA. Als er 1947 entlassen wurde, gehörten Oberlind und Sonneberg zur sowjetischen Besatzungszone. Die Familie war nach Oberbayern geflohen, die Fabrik enteignet worden und nannte sich nun VEB Thuringia Sonneberg. Tankred Dorst holte das Abitur nach und studierte ab 1950 in München Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. Mit seinen „deutschen“ Stücken und Texten hat er dem nordöstlichen Teil des alten Frankenreiches ein literarisches Denkmal gesetzt. Was er in den siebziger Jahren an realistischen Bildern aus der damaligen deutschen Gegenwart fixierte, ist inzwischen Geschichte. Die ist allerdings mit einer bezwingenden Kenntnis der Menschen und ihres Denkens erzählt.

 

Seine Stücke charakterisieren das Land und seine Bewohner treffend und pointiert, bis hin zu ihrem eigenwilligen Sprachgemisch aus wenig Thüringisch und viel Fränkisch. Dafür habe ich, ein geborener Sonneberger, den Sonneberger Tankred Dorst immer bewundert. Ich werde ihn vermissen. Tankred Dorst ist nicht mehr. Geblieben sind seine Texte und seine Schauplätze. Da ist Sonneberg, was er Grünitz nennt, das ist der Chimborazo, mit dem er den fünfhundertfünfzehn Meter hohen Mupperg meint und der schon im Fränkischen liegt, und da ist die elterliche Villa in der Lutherstraße, die wiederum zum Thüringischen gehört. Als Tankred Dorst 1990 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, sagte der kongeniale Theaterkritiker Georg Hensel in seiner Laudatio: In unseren Dezennien hat kein anderer deutscher Stückeschreiber so viele Tonarten, eine solche Orgelbreite: sentimental, treuherzig, tolpatschig, gefühlvoll, humorvoll, ironisch, sarkastisch, zynisch-ordinär, hundsgemein - und immer taghell.

 

Zu Ente mit Klößen Wein von Saale und Unstrut

In der Winzerstadt Freyburg in Sachsen-Anhalt

Die Strasse der Romanik

Frankfurter Allgemeine, 30.09.1993

 

Als das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Kongress über den Städtebaulichen Denkmalschutz in den neuen Ländern bat, schlugen die Bonner die Stadt Naumburg kurzerhand dem Land Thüringen zu. Als Bundesministerin Irmgard Schwaetzer dann auch noch von der Straße der Romantik im Land Sachsen-Anhalt sprach, war im Saal nur noch Gelächter. Der Landkreis Naumburg gehört zum südlichsten Zipfel des Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Die Täler von Saale und Unstrut prägen die Landschaft. An den Muschelkalk- und Buntsandsteinhängen wird seit jeher am Großjenaer Blütengrund der Silvaner und am Freyburger Schweigenberg der Müller-Thurgau angebaut. Die Winzerstadt Freyburg ist das Zentrum der nördlichsten europäischen Weinregion. Romantisch ist es schon, aber im Hinblick auf die über der Stadt aufragende Neuenburg spricht man in dieser Gegend besser von romanisch ...

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Katharinas weiter Weg zurück nach Hause

In Zerbst hat die Geschichte immer nur Gastspiele gegeben

Frankfurter Allgemeine, 23.01.1997

 

Zerbst hat es nicht leicht. Ihr Gesicht verlor die Stadt, die vor gut fünfzig Jahren noch als das anhaltinische Rothenburg ob der Tauber gepriesen wurde, in den letzten Kriegstagen. Weil ein SA-Mann dem Führer bis zuletzt die Treue halten und den Amerikanern vor den Stadttoren keine weiße Fahne zeigen wollte, versank alles Schöne in Schutt und Asche. Geblieben sind nur Puzzlesteine vom früheren Charme, vereinzelte Fachwerkbauten, ein paar malerische Winkel und enge Gassen. Ein Rundgang unter dem Motto sympathisch, gastlich und tausend Jahre alt, den die örtlichen Tourismusverantwortlichen den Besuchern empfehlen, führt zu diesen Resten der Geschichte - für aufregendere Vokabeln taugen sie nicht ...

 

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Von Kopf bis Fuß auf Militär eingestellt

Das märkische Jüterbog sucht nach einer Zukunft ohne Exerzierplatz

Frankfurter Allgemeine, 13.05.1993

 

Diese Stadt hat man einfach vergessen. Sie passte seit langem nicht in die Zeit: an ihre Tradition wollte man sich nicht erinnern, und als Sitz einer Besatzungsmacht wurde sie erst recht verdrängt. Erst in den letzten Jahren und nach dem Fall der Mauer kam der Ort wieder ins Gespräch - meistens falsch, denn fast immer wurde ihm ein zweites r zugefügt, was ihm einfach nicht zustand: Jüterborg heißt Jüterbog. Über diesen rätselhaften Namen haben sich bereits Generationen von Sprachwissenschaftlern den Kopf zerbrochen. Fest steht, dass der Ort mit "Burg" und Borg überhaupt nichts zu tun hat. Am einleuchtendsten ist die Deutung, die davon ausgeht, dass diese Gegend einst unter dem Einfluß der Slawen stand. Im Slawischen heisst jutro soviel wie Morgen oder Osten und boc gleich Flanke oder Seite. Wenn man die Geschichte und die Lage der Stadt betrachtet, dann ist der Ort Jüterbog mit an der Ostflanke oder an der Morgenseite gelegen nicht schlecht beschrieben ...

 

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700 Jahre Wittenberg

Frankfurter Allgemeine, 01.07.1993

Von Peter Hahn

 

Er ist dreiundzwanzig und gelernter Förster. Kaum war er mit der Lehre fertig, wurde er entlassen. Jetzt ist er nebenberuflich Küster in der Schlosskirche zu Wittenberg. Seine protestantische Mutter hat in einem katholischen Altersheim Arbeit gefunden. Der Vater ist Planungsingenieur und seit zwei Jahren arbeitslos. Seine Bewerbungen kommen zurück, weil er überqualifiziert sei. Solange es das Wetter zulässt und der Vater den Schrebergarten versorgen kann, ist das Familienklima erträglich. Immer wenn der Herbst kommt, Mutter und Sohn arbeiten gehen, bricht eine Welt zusammen ...

 

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