Kaum war 1889 die Schöneberg-Friedenauer Terraingesellschaft gegründet, war das 26 ha große Gelände hinter der Wannseebahn parzelliert. Am Dürerplatz Nr. 1 hatte die Terraingesellschaft ein Verkaufsbüro eingerichtet. Geworben wurde mit Gesunde Lage, vorzügliche Verbindung nach Berlin durch Wannseebahn (fast durchweg 10-Minuten-Verkehr, Fahrtzeit 9 Minuten). Ringbahn, Dampfbahn, Pferdebahn, fertige Straßen-, Kanalisations-, Gas- und Wasseranlagen.
1892 machte die Stadt Schöneberg daraus das Malerviertel, versehen mit Namen von Malern, die keinerlei Bezug zu Schöneberg hatten:Beckerstraße (vorher Straße 7), Begasstraße (Straße 6), Canovastraße und Cranachstraße (Straße 9), Menzelstraße (Straße 3), Rembrandtstraße (Straße 5), Rubensstraße (Straße 1), Peter Vischer Straße (Straße 8), Knaussstraße (Straße 46). Später kamen Semperstraße und Thorwaldsenstraße hinzu. Im Adreßbuch von 1894 tauchen die Straßen unter Vororten von Berlin erstmals auf, mal Gehört zu Schöneberg, mal Siehe Friedenau – bis zur Einigung Gehört postalisch zu Friedenau, politisch zu Schöneberg.
Von Anfang an wurde die geschlossene Bauart kritisiert. An öffentlichen Plätzen mit Schmuckanlagen gebricht es in diesem Stadtteil gänzlich. Selbst in den zumeist noch unbebauten aber bereits gepflasterten Straßen ist eine solche nicht vorgesehen. Um wie viel mehr würde sich dieser Stadtteil entwickelt haben, wenn mit Hergabe von Schmuckplätzen nicht so gegeizt worden wäre.
Beckerstraße Nr. 2
Die Grundstücke Beckerstraße Nr. 1 bis Nr. 3 waren 1900 im Besitz der Schöneberg-Friedenauer Terraingesellschaft und im Adreßbuch als Baustellen deklariert. Nach Recherchen von Frau Dr. Elisabeth Ziemer vom Verein Denk mal an Berlin ergeben sich aus den Schöneberger Bauakten folgende Details: Der Bauunternehmer Moritz Stöckel stellte für das Grundstück Nr. 2 am 11. Juni 1902 den Bauantrag. Die Fertigstellung des Hauses mit Seitenflügel und Gartenhaus erfolgte am 25. Juli 1903. Am 28. November 1903 wurde das Haus verkauft.
Prominentester Bewohner war der Musikwissenschaftler Johannes Wolf (1869-1947), der 1915 die Leitung der Musiksammlung an der Preußischen Staatsbibliothek übernommen hatte. Noch vor seinem Einzug erschien am 25. Mai 1919 im Friedenauer Lokal-Anzeiger eine Anzeige: Zu kaufen gesucht: Verstellbarer Notenständer, Zinkzober und Wanne, Balkonmarkise, gut erhaltenen Klubsessel. Wolf, Beckerstraße 2, III. Stock.
Wolf war kein Unbekannter. In den Jahren von 1913 bis 1919 veröffentlichte er das Handbuch der Notationskunde, ein Alphabet der Musik, mit dem er den Notenblättern vergangener Zeiten das Rätselhafte nahm – und den Einblick in das musikalische Denken von Epochen ermöglichte. Zum Markstein der Bach-Forschung wurde seine Entschlüsselung der Bach’schen Notenschrift vom jungen Johann Sebastian Bach bis hin zu den letzten Musikaufzeichnungen des mehr und mehr erblindenden Komponisten. Wolfs Handbuch gehört zu den Standardwerken der Musikwissenschaft.
Beckerstraße Nr. 3
Die Grundstücke Beckerstraße Nr. 1 bis Nr. 3 waren 1900 im Besitz der Schöneberg-Friedenauer Terraingesellschaft und im Adreßbuch als Baustellen deklariert. Am 11. Juni 1902 stellte der Bauunternehmer Moritz Stöckel (1862-1910) für das Grundstück Nr. 3 den Bauantrag. Die Baugenehmigung wurde am 23. Juli 1902 erteilt. Am 13. August 1903 war der Bau mit zwei Seitenflügeln errichtet. Am 24. Oktober 1903 wurde das Haus verkauft – laut Adreßbuch an den Kaufmann F. Schowe. Als Eigentümerin wurde allerdings seine Ehefrau M. Schowe eingetragen.
In der Bauakte entdeckte Frau Dr. Elisabeth Ziemer vom Verein Denk mal an Berlin den Entwurf der Fassade mit dem Stempel Atelier für Architektur und Bauausführungen James Ruhemann. Unklar bleibt, in welchem Ausmaß Ruhemann an dem Stöckelschen Bauprojekt beteiligt war. Erstmals wird allerdings deutlich, daß Stöckel nicht nur unbekannte Maurer, Zimmerer, Dachdecker, Installateure und Stuckateure beschäftigte, sondern mit Ruhemann einen ausgewiesenen Baufachmann, nach dessen Entwürfen in Friedenau und Schöneberg bereits einige Wohnhäuser entstanden waren: Albestraße Nr. 19 & Nr. 20 (1893), Handjerystraße Nr. 65 (1893), Wielandstraße Nr. 9 & Nr. 11 (1893), Wielandstraße Nr. 12 & Nr. 36 (1896), Handjerystraße Nr. 72 (1896) und Rheinstraße Nr. 55 (1896).
Nach der Zusammenarbeit mit Moritz Stöckel setzte James Ruhemann seine eigene Bautätigkeit fort. Es entstanden die Häuser Roennebergstraße Nr. 4 (1901/02), Nr. 6 (1895/96) und Nr. 14 (1897), Rubensstraße Nr. 70 (1907/08), Wielandstraße Nr. 9 bis Nr. 11 (1892/93), Nr. 12 und Nr. 36 (1895/96) sowie Kaiserallee (Bundesallee) Nr. 114 (1906/07), in Steglitz Muthesiusstraße Nr. 6 (1904-06), Schloßstraße Nr. 27 Ecke Zimmermannstraße Nr. 39 (1900-01), Zimmermannstraße Nr. 2-4 (1902/03) und Nr. 5-7 (1903/04).
James Ruhemann (1865-1931) war – wie Moritz Stöckel (1862.1910) – Sohn jüdischer Eltern. Er absolvierte eine Lehre als Maurer und eröffnete nach der Meisterprüfung 1892 in der Handjerystraße Nr. 74 das Atelier für Architektur und Bauausführungen. Der ledige Ruhemann wohnte von 1908 bis zu seinem Tod im Hause Kaiserallee Nr. 114, dessen Eigentümer er bis 1925 war. Im Alter von 66 Jahren starb James Ruhemann am 12. September 1931 im Krankenhaus Lichterfelde. James Ruhemann wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Das Grab ist erhalten.
Im Archiv des Museums Schöneberg ist eine Aufnahme des Fotografen Jürgen Henschel (1923-2012) vom 7. Mai 1980 erhalten. Henschel war der Pressefotograf für Die Wahrheit, Tageszeitung der SEW. Er dokumentierte für die Tageszeitung der SEW Die Wahrhei Ereignisse in West-Berlin, Bürgerproteste, Kunst, Kultur und Alltag. Im Vordergrund stand die Veränderung der Halbstadt durch Zerfall, Neubau und Instandbesetzung.
Beckerstraße Nr. 4
Margarethe Bruch (1882-1963)
Die prominenteste Bewohnerin des Hauses Beckerstraße Nr. 4 war Margarethe Bruch – die Tochter des Komponisten Max Bruch (1838-1920). Sie wurde am 29. August 1882 in Liverpool geboren, wo der Vater die Leitung der Royal Philharmonic Society übernommen hatte. 1883 übernahm Max Bruch als Dirigent den Orchesterverein in Breslau. Dort wurden ihre Brüder Max Felix (1884-1943), Hans (1887-1913) und Ewald (1890-1974) geboren. Mit dem Ruf des Komponisten an die Königliche Akademie der Künste in Berlin fanden die Bruchs endlich eine Heimat. Die Familie zog 1890 in den 1. Stock der Albestraße Nr. 3 in Friedenau.
Nach dem Besuch der Roennebergschen Mädchenschule in Friedenau und des Jungmädchenheims in Remagen war sie von 1911 bis 1913 als Gesellschafterin und Reisebegleiterin in Italien, Schottland, Island und Skandinavien unterwegs. Danach kehrte sie zurück und wurde Sekretärin ihres Vaters. Dem Friedenauer Lokal-Anzeiger ist zu entnehmen, daß sich die Familie rege am gesellschaftlichen Leben der Gemeinde beteiligte. Max Bruch begleitete im Dezember 1894 im Hohenzollernsaal am Klavier vier Lieder, die seine Ehefrau Clara geborene Tuczek (Alt) vortrug. Sohn Max Felix entzückte im Januar 1908 mit dem Klarinetten-Konzert von Mozart. Margarethe publizierte 1910 erste Gedichte. Nach dem Tod von Bruder Hans fand sie in der Wohnung 16 Aquarelle über Tuschfeder und geschriebenem Text in Bleistift, die der angehende Maler druckfertig hinterlassen hatte. Unter dem Titel Märchenritt. Wer kommt mit? von Hans und Margarethe Bruch erschien diese Arbeit 1913 im Franz Schneider Verlag Schöneberg. In der Werkliste von Max Bruch finden sich – nach Texten von Margarethe Bruch – Der Gärtner als Ulan, op. 90, Wiegenlied im Chiemgau zur Kriegzeit 1914, op. 90, Vor dem Fenster mir, op. 97, Sechs Lieder für gemischten Chor a capella, op. 86, Heldenfeier - Bedenk, o deutsche Seele! für sechsstimmigen Chor, Orchester und Orgel op. 89.
Nach dem Tod von Mutter Clara (1919) und Vater Max (1920) zog Margarethe Bruch 1929 als Schriftstellerin in die Beckerstraße Nr. 4. Hinterlassen hat sie Im Monatsreigen. Zwölf Märchen (mit Emma Böhmer, 1921), Liebeswunder. Sechs Novellen (1922), Rosenlegendchen. Schlesisches Maienhaus (1926), Schön ist der Mutter liebliche Hoheit (mit Toska Lettow, 1935). Engelbert Humperdinck vertonte 1921 das Schlafliedchen im Sommer aus den Kinderliedern von Margarethe Bruch.
Laut Todesurkunde ist Margaretha Clara Mathilde Adolphine Bruch am 27. Januar 1963 in ihrer Wohnung Beckerstraße Nr 4 verstorben. Sie wurde im Grab von Max und Clara Bruch auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg bestattet.
Beckerstraße Nr. 6 & 6a
1900
Entwurf & Bauherr Architekt Otto Haustein
Die beiden nahezu identisch gestalteten Mietshäuser Beckerstraße 6 und 6A entstanden unter der Regie des Bauunternehmers Oskar Haustein. Die viergeschossigen Vorderhäuser mit Souterrain und Berliner Dach mit abgetreppten Giebeln an den Brandmauern besitzen jeweils zwei Seitenflügel. Die in sich symmetrisch gegliederten Straßenfassaden sind durch den Kontrast von Putz- und Stuckelementen mit rot geklinkerten Wandflächen bestimmt: Die Mittelachse mit Eingangsportal und Tür zum Untergeschoss wird jeweils flankiert von zwei Standerkern mit dekorierten Dreiecksgiebeln darüber; in den Außenachsen sind Loggien mit schmiedeeisernen Gitterbrüstungen an allen Wohngeschossen angeordnet. Souterrain und Erdgeschoss sind mit Putzquaderung als Sockel zusammengefasst, Fensterrahmungen und Erker sowie ein breites Gesims über dem Erdgeschoss sind ebenfalls geputzt und mit feinen Stuckornamenten geschmückt. Sowohl die Eingänge mit ihren rundbogigen Gewändeportalen und feinen Kielbogenblenden wie auch der Dekor an Fenstern und Erkern ist in gotisierenden Formen gestaltet. Im Hof des Hauses Beckerstraße 6 sind ein Brunnen und Teile der alten Gartengestaltung, in Vestibül und Treppenhaus Malereien und Stuckdekor erhalten.
Topographie Friedenau, 2000
Beckerstraße Nr. 8
Gotisierender Schmuck in origineller Kombination zeichnet auch die beiden Häuser an der Ecke Becker- und Menzelstraße aus, die Mitte der 1890er Jahre vom Friedenauer Architekten Richard Draeger in eigener Bauherrschaft errichtet wurden. Das Eckgebäude Beckerstraße 8, Menzelstraße 29, mit hohem Souterrain, vier Wohngeschossen und einem steilen schiefergedeckten Dach wurde 1896-97 ausgeführt. Zwei- und dreiachsige Standerker, die risalitartig vor die Flucht des Hauses treten und von Dacherkern mit Dreiecksgiebeln überfangen sind, gliedern die beiden mit feiner Putzquaderung überzogenen Straßenfronten; seitlich und zwischen den Erkern sind Balkone, zum Teil mit filigranen Eisengittern, angeordnet. Die teils reich mit floralen Motiven, teils mit Spitzbögen, Konsolen und Maßwerk geschmückten Fensterverdachungen, Giebel- und Brüstungsfelder, vor allem aber der spitze Turmhelm auf der Gebäudeecke verleihen dem Haus seine ungewöhnliche Wirkung. Landesdenkmalamt Berlin, 2018. Das Grab der Familie Draeger befindet sich auf dem Friedhof Stubenrauchstraße.
Beckerstraße Nr. 11
Der Bauunternehmer Carl Walter aus Berlin, Bülowstraße Nr. 37, hatte 1894 einen Neubau eintragen lassen. Am 16. Januar 1895 erfolgte die Zwangsversteigerung: Das im Grundbuche zu Schöneberg, Band 35, Blatt 1352 auf den Namen des Bauunternehmers Carl Walter zu Friedenau eingetragene, zu Schöneberg, Beckerstraße 11, belegene Grundstück. Fläche 6,32 Ar. Mindestgebot 92986 M. Für das Meistgebot von 93000 M, wurde der Amts-Maurermeister Gustav Koch zu Schöneberg, Kyffhäuserstraße 9, Ersteher. Koch baute und schon ein Jahr später waren die Mietwohnungen bezogen. 1905 verkaufte er das Anwesen. Das Haus hat – mit wechselnden Eigentümern – den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden.
Beckerstraße Nr. 19 & 19a
Bauherr Bauunternehmer Moritz Stöckel
Bauantrag 7.9.1905
Baugenehmigung 2.11.1905
Fertigstellung Juli 1906
Verkauf 5.1.1907
Fotografie von Trümmern auf dem Gelände der Beckerstraße 19, aufgenommen von Herwarth Staudt am 3. Juli 1951 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg.
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