Es war Otto von Bismarck, der 1884 den Bau einer Gasanstalt an der Ringbahnstation Wilmersdorf-Friedenau untersagte, da diese dem besonderen Charakter des Vorortes Friedenau als Villenanlage und als ein für Sommerwohnungen gesuchter Ort nicht zulasse. 1897 entstand auf dem Gelände der Sportpark Friedenau. Anfangs fuhren die Züge auf der Ringbahn nachmittags nach Bedarf, sonntags regelmäßig, an anderen Tagen nur, wenn im Sportpark irgendetwas los war, also nur selten. Das Ende war eingeläutet. Inzwischen plädierten Gemeindevertreter für eine Bebauung mit Wohnhäusern. 1904 verkaufte die Gemeinde Friedenau das Gelände an den Kaufmann Georg Haberland und seine Berlinische Boden-Gesellschaft, der zuvor dafür gesorgt hatte, daß Friedenau die Berliner Traufhöhe von 22 Metern für den Bebauungsplan übernahm.

 

Zwischen Kaiserallee, Bismarckstraße, Handjerystraße und der Ringbahntrasse im Norden entstand das Wagner-Viertel mit dem quadratischen Wagnerplatz, in dessem Inneren ein Rondell mit Fontäne angelegt wurde. Die vier Seiten des Platzes wurden jeweils von zwei Wohnhäusern dominiert: Nr. 1 & Nr.2 zwischen Elsa- und Sentastraße, Nr. 3 & Nr. 4 zwischen Senta- und Brünnhildestraße, Nr. 5 & Nr. 6 zwischen Brünnhilde- und Evastraße, Nr. 7 & Nr. 8 zwischen Eva- und Elsastraße.

 

Über die Benennung der Straßen wurde viel diskutiert: Patrioten, Militär, Altgermanen. Andere wollten die unerfreuliche Tatsache aus der Welt schaffen, dass keine Straße in Friedenau einen weiblichen Vornamen hat. Am 25. Juni 1906 brachte Amtsvorsteher Schnackenburg zur öffentlichen Kenntnis, daß die Straßen und der Platz auf dem früheren Sportparkgelände wie folgt benannt worden sind: Platz G: Wagner-Platz; Straße A: Isoldestraße; Straße B zwischen Handjerystraße und Wagner-Platz: Evastraße; zwischen Wagner-Platz und Kaiser-Allee: Sentastraße: Straße C von der Bismarckstraße bis zum Wagner-Platz: Elsastraße und vom Wagner-Platz bis Varziner Straße: Brünnhildestraße; Straße D: Kundrystraße; Straße E: Ortrudstraße; Straße F: Sieglindestraße. Am 4. Oktober 1906 waren die Parzellierung mit Nummerierung der Grundstücke abgeschlossen.

 

Noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges war das Viertel mit durchweg viergeschossigen Mietshäusern und Satteldächern errichtet. Entstanden waren bis zu 6-Zimmer-Wohnungen mit gehobenem Standard. Die Entwürfe stammten von verschiedenen Architekten, darunter das Atelier für Architectur und Bauausführungen von Wilhelm Mixius & Heinrich Förstchen mit drei Bauten sowie die Baumeister Albert Beyer, Theodor Jaretzki, Bruno Schneidereit, Fritz Schönknecht, Willy Steinwirker.  

 

Da Umbenennungen von Straßen und Plätzen derzeit en vogue sind, sei daran erinnert, daß der Wagnerplatz 1935 in Cosimaplatz umbenannt wurde. Zu befürchten ist, daß demnächst eine weitere Umbenennung ansteht. Dem Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn liegt seit 2021 ein Dossier der Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen vor, erstellt in seinem Auftrag vom Politikwissenschafler Felix Sassmannshausen. Für Wilhelm-Hauff-Straße, Görresstraße und Friedrich-Wilhelm-Platz schlägt er Kontextualisierungen vor. Bei den Ceciliengärten ist er unentschlossen. Zum Cosimaplatz schreibt er: Benannt nach der Musikerin und Leiterin der Bayreuther Festspiele Cosima Wagner. Sie vertrat, wie auch ihr Ehemann Richard Wagner, ein offen antisemitistisches Weltbild. Handlungsempfehlung: Umbenennung. Das aber wäre Aktionismus pur und eine ideologische Verengung. Von den selbsternannten Umbenennungs-Experten muss man eine differenziertere Auseinandersetzung verlangen dürfen.

 

Bekanntmachung vom 4. Oktober 1906

 

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Wagnerplatz Ecke Elsastraße 1910, Restaurant Zum Wagnerplatz

Cosimaplatz Nr. 1

 

Das Atelier für Architectur und Bauausführungen Wilhelm Mixius & Heinrich Förstchen erwarb 1907 von der Berlinischen Boden-Gesellschaft die baureife Parzelle Wagnerplatz 1 Ecke Elsastraße 3. Das Grundstück blieb bis in die 1930er Jahre im Besitz von Wilhelm Mixius. Im Erdgeschoss entstand das Restaurant Zum Wagnerplatz, in das Pächter August Huhn für Sonnabend, 26. September 1908, abends 8 Uhr, zu einem Abendtisch einlud. Für vorzügliche Speisen und beste Getränke wird gesorgt, ebenso soll gute Unterhaltung geboten werden. Offensichtlich sollten mit diesem Abendtisch erste Akzente für das Etablissement gesetzt werden.

 

Nächster Höhepunkt war das Konzert, verbunden mit einem 5 Uhr Nachmittagstee, des ‚Gesanglich-musikalischen Klubs‘, geleitet von der bestens bekannten Gattin des Kgl. Rat Dr. Kuhut-Manstein, Hofopernsängerin und Gesangsmeisterin und Frau Dr. Hanni Krämer Konzertsängerin und Gesangsmeisterin. Hervorragende Sänger, Instrumentalisten und Rezitatoren wirken mit, so dass ein hoher künstlerischer Genuss zu erwarten steht. Der Klub, der die besten Kreise der Gesellschaft zu seinen Mitgliedern zählt, ist bekannt durch seine gediegenen und exklusiven Leistungen.

 

1914 gab Restaurateur August Huhn auf. Inhaber wurde Gustav Radtke, der die Lokalität zuerst als Weinhandlung und später bis in die Weltkriegsjahre als Weinrestaurant Wagner-Casino führte. Daraus wurde 1966 das Bulgaria-Casino, eine Lokalität, die von den Militärs der Westalliierten bevorzugt worden sein soll. Das Restaurant mit Terrasse zum Platz ist seit langem geschlossen. Da wir dort vor Jahren einmal von einer privaten Gesellschaft zu einem Vortrag über das Wagner-Viertel eingeladen waren, können wir berichten, daß dieses Etablissement doch ab und an gebucht werden kann.

 

 

Rudi Dutschke beim Einkaufen. Foto Thomas Hesterberg, 1968

Cosimaplatz Nr. 2

Rudi Dutschke (1940-1979)

 

Am 19. Februar 1967 besetzten neun Männer und Frauen und ein Kleinkind das Haus von Hans Magnus Enzensberger in der Fregestraße Nr. 19, wenig später auch Atelier- und Familienwohnung von Uwe Johnson in der Niedstraße Nr. 14 und der Stierstraße Nr. 3 – die Kommune I. Rudi Dutschke ist in keine dieser Wohnungen eingezogen. Im Sommer 1964 hatte er im Café am Steinplatz in Charlottenburg die Theologiestudentin Gretchen Klotz kennengelernt. Sie wollten zusammenleben, was von den Kommunarden abgelehnt wurde. Feste Bindungen waren verpönt. Im Dezember 1965 bezogen Gretchen Klotz und Rudi Dutschke eine Wohnung am Cosimaplatz Nr. 2, im März 1966 wurde geheiratet, im Januar 1968 Sohn Hosea-Che Dutschke geboren.

 

 

 

 

 

Alfred Willi Rudolf Dutschke wurde 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde geboren. Die Jugendjahre in der DDR prägten ihn. Er war in der evangelischen Jungen Gemeinde, betrieb Leistungssport, wollte Sportjournalistik studieren und Sportreporter werden. 1956 trat er in die FDJ ein. Nachdem er sich 1957 als religiöser Sozialist an der Oberschule gegen den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee ausgesprochen hatte, rügte der Schulleiter dessen falsch verstandenen Pazifismus. Dutschke zitierte daraufhin pazifistische Gedichte aus Schulbüchern, die kurz zuvor noch Lehrstoff waren, und betonte, nicht er, sondern die Schulleitung habe sich geändert. Damit hatte er sich den direkten Weg zum Studium verbaut. Der Versuch, nach der Ausbildung zum Industriekaufmann doch noch zum Studium zugelassen zu werden, scheiterte.

 

Um dennoch studieren zu können, pendelte er von Oktober 1960 bis Juni 1961 zwischen Luckenwalde und Westberlin, absolvierte am Askanischen Gymnasium in Tempelhof einen Abiturkurs und zog am 10. August 1961 in den Westen – seine Flucht aus der DDR. Als drei Tage später die Berliner Mauer gebaut wurde, ließ er sich im Notaufnahmelager Marienfelde als politischer Flüchtling registrieren. Das Sportreporterstudium war passè. Er studierte an der Freien Universität Soziologie und wurde zur Symbolfigur der Studentenbewegung.

 

Der Journalist Günter Gauß bemühte sich mit einem Interview in der ARD am 3. Dezember 1967, den Blick vom bösen Geist der 68er auf Leben und Denken von Dutschke in Ost und West zu lenken. Bewirkt hat es bei den Bundesrepublikanern nichts. In den Hausflur Cosimaplatz Nr. 2 wurde das Graffiti Vergast Dutschke! gesprüht, Rauchbomben in den Eingang geworfen, Kot vor seine Tür gelegt. Ein Bundestagsabgeordneter aus Bayern bezeichnete Rudi Dutschke im Februar 1968 als ungewaschene, verlauste und verdreckte Kreatur.

 

Im Januar 1968 startet Wolfgang Venohr für stern-tv mit den Dreharbeiten für Rudi Dutschke – Sein jüngstes Portrait. Das Filmporträt beginnt mit einer Straßenumfrage: Dutschke?Verbrennen müsste man so was! Vergasen! Det wär’ richtig! -– Na ja, er sollte man richtig n Arsch vollkriegen, auf Deutsch gesagt, damit det, wat sein Vater versäumt hat, noch nachgeholt werden könnte.Na Gott, tja, Abschaum der Menschheit, nicht, Randalierer ersten Grades.Er geht nach der Zersetzung der Demokratie, also für mich ist klar, der wird vom Osten bezahlt.Tja, den sollt man in ’n Sack stecken und über die Mauer schmeißen. Venohr fragt Dutschke, ob er sich wegen solcher Schmierereien nicht bedroht fühle. Ich fühle mich persönlich überhaupt nicht bedroht. Es gebe zwar pogromartige Ansätze, doch die seien ganz normal. Venohr hakte nach: Haben Sie nicht manchmal Angst, dass Ihnen einer über ’n Kopf haut? Dutschke schloss nicht aus, dass irgend ’n Neurotiker oder Wahnsinniger mal ’ne Kurzschlusshandlung durchführen könnte.

 

Noch bevor der Film fertiggestellt war, feuerte der Hilfsarbeiter Josef Bachmann am 11. April 1968 vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Stundenbundes am Kurfürstendamm Nr. 140 drei Schüsse auf Rudi Dutschke ab. Nach einer mehrstündigen Operation prognostizierten die Ärzte, dass er sich über eine langwierige Therapie wieder mühsam Sprache und Gedächtnis aneignen könnte. Im Juni 1968 entschloss sich die Familie, die Bundesrepublik zu verlassen. Nach Aufenthalten in der Schweiz, Italien und Großbritannien folgte 1971 Dänemark, wo er Dozent an der Universität Aarhus wurde. 1973 promovierte er an der FU Berlin im Fach Soziologie. Rudi Dutschke starb am 24. Dezember 1979 im Alter von 39 Jahren in Aarhus – elf Jahre nach dem Anschlag.

 

Günter Gaus im Gespräch mit Rudi Dutschke (1967)

https://www.youtube.com/watch?v=SeIsyuoNfOg

 

Rudi Dutschke – Sein jüngstes Portrait. Filmportrait von Wolfgang Venohr (1968)

https://www.youtube.com/watch?v=SIuz9XLyLD4 Venohr Dutschke

 

 

Rudi Dutschke – Sein jüngstes Portrait. Filmportrait von Wolfgang Venohr (1968)

Cosimaplatz 3 & 4, Blick in die Brünnhildestraße um 1920

Cosimaplatz Nr. 3

 

Das Grundstück Wagnerplatz Nr. 3 erwarben 1907/08 Alwin und Carl Würzbach, damals wohnhaft Friedenau, Wiesbadener Straße Nr. 6, von der Berlinischen Bodengesellschaft. Zwei Jahre später kam das Wagnerplatz Nr. 3 Ecke Sentastraße Nr. 4 belegene, im Grundbuche von Friedenau, Band 26, Blatt Nr. 1265 zur Zeit der Eintragung des Versteigerungsvermerkes auf den Namen 1. des Steuersekretärs Alwin Würzbach, 2. des Architekten Carl Würzbach, beide zu Lankwitz bei Groß-Lichterfelde, Luisenstraße 26, eingetragene Grundstück zur Zwangsversteigerung.

 

Das Grundstück, ein Eckwohnhaus mit 2 Seitenflügeln und Hofraum, Kartenblatt 7 Parzelle 2822/67 ist 11 ar 93 qm groß und mit 12.600 Mark jährlichem Nutzungswert zur Gebäudesteuer veranlagt, ging an den  Kaufmann Otto Heise.

 

 

 

Ab 1925 wohnte in diesem Haus der Geologe Rudolf Cramer (1882-1949), der als Mitglied der Preußischen Geologischen Landesanstalt (PGLA) 1940 zum Regierungsgeologen ernannt wurde. 1938 zog Gauamtsleiter und SS-Obersturmführer Gustav-Adolf Schulte-Schomburg ein, der zum Leiter der Parteiverbindungsstelle beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren ernannt wurde.

 

Cosimaplatz 4, Blick in die Brünnhildestraße

Cosimaplatz Nr. 4

 

Für das Haus Cosimaplatz Nr. 4 Ecke Brünnhildestraße mit zwei Seitenflügeln und einem Gartenhaus werden die Architekten Fuchs & Frieser aus Wilmersdorf genannt. Kaum war der Bau 1910 bezogen, übernahm die Konstant Grundstücks Verwertungsgesellschaft als Eigentümer das Anwesen. Der Besitz wechselte laufend, zuletzt 1943 eingetragen B. Forstensen (Norwegen). Über die weitere Geschichte ist nichts bekannt.

Cosimaplatz 5 & 6. Foto Jürgen Henschel, 1978. Museum Schöneberg

Cosimaplatz Nr. 5

 

Das viergeschossige Mietswohnhaus Nr. 5 wurde 1909/10 nach einem Entwurf von Architekt Willy Steinwirker errichtet. In den Adressbüchern taucht sein Name erstmals 1900 in Berlin NW, Stendaler Straße 21 auf. Nachdem die Berlinische Boden-Gesellschaft 1900 mit dem Bau des Bayerischen Viertels begonnen hatte, firmierte er unter Architekt u. Maurermeister, Baugeschäft GmbH, begr. 1902, Berlin W35, Genthiner Straße 7, Wohnung Schöneberg, Grunewaldstraße 98/98a. Nach der Parzellierung des Wagner-Viertels 1906 durch die Berlinische Boden-Gesellschaft ist er wieder dabei. Er errichtet das Haus Isoldestraße Nr. 3, wird Eigentümer und zieht in die erste Etage. Offensichtlich hatte er sich übernommen.

 

 

 

 

 

 

Am 30. November 1909 stand für Wagnerplatz Nr. 5 Ecke Brünnhildestraße Nr. 5 die Zwangsversteigerung an. Das Eckwohnhaus mit zwei Seitenflügeln, Quergebäude und Hofraum war zur Zeit der Eintragung des Versteigerungsvermerkes auf den Namen des Architekten Willy Steinwirker eingetragen: 11 ar 93 qm groß und mit 14.400 M. jährlichem Nutzungswert zur Gebäudesteuer veranlagt. Mit dem Gebot von 242.100 M. Hypothekenübernahme blieb der Rentier Dr. Oskar Koeberlin in Friedenau, Südwestkorso 76, Meistbietender. 1925 ging das Anwesen an die Koeberlin’schen Erben.

 

Cosimaplatz 5 & 6. Foto Hahn & Stich, 2021

Cosimaplatz Nr. 6

 

Cosimaplatz Nr. 6 Ecke Evastraße Nr. 4 war 1910 von einem bisher unbekannten Architekten errichtet worden. Eigentümer war der Kaufmann Fritz Galisch. 1943 sind die Gebrüder Bolck als Eigentümer eingetragen.

 

Die Bomben der Alliierten, die für den Güterbahnhof Wilmersdorf-Friedenau gedacht waren, machten während des Zweiten Weltkriegs aus den Wohnhäusern Cosimaplatz 5, 6 & 7, Evastraße 1, 2, 3 & 6, Bismarckstraße (Sarrazinstraße) 2, 4 & 6 Ruinen. Über das Weitere gibt eine Aufnahme des Fotografen Jürgen Henschel vom 30. Oktober 1979 Auskunft. Auf den Grundstücken Cosimaplatz Nr. 5 und Nr. 6 war ein fünfgeschossiger schlichter Wohnblock mit Balkons und Flachdach entstanden.

 

 

 

Vier Jahrzehnte später wurden die Bauten aufgepeppt. Das Satteldach kam wieder und mit ihm protzige zweigeschossige Dachwohnungen. Um dieser Gentrifizierung etwas entgegen zu setzen, wurden wohl am 5. Oktober 2014 vor Nr. 5 Stolpersteine verlegt – im Zentrum Friedrich Friedemann, der 1933 unter Wagnerplatz Nr. 5 (Cosimaplatz) eine Buchhandlung eröffnet hatte. Im Adressbuch von 1929 taucht sein Name erstmals in Friedenau auf: Friedemann, F., Buchhalter, Brünnhildestraße Nr. 1, IV. Etage (Postscheckkonto 106 144). Was die Stolperstein-Aktivisten über ihn zusammengeschrieben haben, basiert wohl wesentlich auf dem Entschädigungsantrag, den seine 1939 nach England ausgewanderte Tochter Ursula Friedemann nach der NS-Zeit gestellt hatte. Friedrich Friedemann bleibt dennoch ein Unbekannter. Vor allem stellt sich die Frage, warum er nach dem Ersten Weltkrieg seine Chancen nicht nutzte – und offensichtlich auf die Mitgift seiner Ehefrau Else geborene Marcuse setzte. Am 2. April 1942 wurden Else und Friedrich Friedemann in das Warschauer Ghetto überführt. Der Zeitpunkt ihres Todes ist unbekannt. Im Adressbuch von 1943 steht unter Cosimaplatz Nr. 5 dennoch Friedemann, F. Buchhandlung. Das ist unheimlich.

 

Schadenskarte von 1947

Cosimaplatz Nr. 7

 

Das Haus Cosimaplatz Nr. 7 (Wagnerplatz) Ecke Evastraße Nr. 5 wurde 1910/11 nach Plänen des Architekten und Magistratsbaurats Josef Reuters (1871-1937) errichtet. Nach diversen Besitzern ging das Anwesen 1936 an die Abraham-Joseph’schen Erben (Ausland). 1940 wird als Eigentümer die Wohlfahrtskasse des Deutschen Herold in Berlin SW 68, Friedrichstraße 219/220 genannt.

 

Auf der Schadenskarte von 1947 werden die Häuser Cosimaplatz 7 und Evastraße 5 als total zerstört (Rot) eingestuft. Für die Häuser Evastraße 6 und Sarrazinstraße 2, 4 und 6 (Blau) ist der Abbruch empfehlenswert. Ende der 1950er Jahre hielt es der Senat für vorrangig, auf diesen Grundstücken ein Finanzamt zu errichten. 1964 wurde Finanzamt Schöneberg für Erbschafts-, Schenkungs- und Grundsteuer eröffnet. Entstanden waren fünf- bis siebenstöckige Bauten, die weit über der Traufhöhe von 22 Meter lagen. Negiert wurden auch die festgelegten Baufluchtlinien für Cosimaplatz, Eva- und Sarrazinstraße. Ein Fremdkörper in einer traditionellen Wohngegend.

 

Als 2018 eine energetische Gebäudesanierung verkündet wurde, finanziert durch Europäische Union und Land Berlin im Rahmen des Programms für Nachhaltige Entwicklung, bestand die Hoffnung auf eine angemessene Korrektur dieser Bausünden. Weit gefehlt. Das von der Berliner Immobilienmanagement GmbH mit der Sanierung beauftragte Architekturbüro von Dipl. Ing. Felix Neubronner Berlin kleidete die vormals helle Fassade mit weißgrauen Schieferplättchen ein. In der Baubeschreibung wurde formuliert: Durch die Gleichbehandlung der Fassade aus vorgehängten Faserbetonplatten bilden die Gebäudeteile eine Einheit, die den Eindruck eines ‚herausgeschnittenen Blocks‘ betonen. Baukosten 3,70 Mio. Euro.

 

 

Cosimaplatz 8. Entwurf Architekt Bruno Schneidereit. Quelle Bauarchiv Schöneberg

Cosimaplatz Nr. 8

Eine Entdeckung: Dekorationen von Max Pechstein

 

Am 21. Januar 1909 reichte der Architekt Bruno Schneidereit bei der Gemeinde Friedenau ein Projekt für einen Neubau in Friedenau, Wagnerplatz Ecke Elsastraße, Herrn Kaufmann Paul Viering, Friedenau, Roennebergstraße 16 gehörig, ein. Am 17. März 1909 wurde der Bau duch Gemeindebaurat Hans Altmann genehmigt. Am 1. Oktober 1909 erfolgte die Gebrauchsabnahme.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Friedenauer Lokal-Anzeiger erschien eine Annonce: Wagnerplatz 8 Ecke Elsastraße, 2 Min. vom Stadt-Ringbahnhof Wilmersdorf-Friedenau sind gediegen u. praktisch ausgestattete Wohnungen von 5, 4 u. 3 Zimmern, große, helle, schöne Räume mit allem Komfort per 1. Oktober 1909 zu vermieten. Kein Durchgangszimmer im Hause, keine Läden, nur Vorderwohnungen, moderne Oefen, Warmwasserversorgung für Küche, Bad u. ein Schlafz., elektr. Station, Vakuumanlage, 2 Toiletten, Mädchenbad, Rollkammer, reichliches Nebengelaß. Prominenter Mieter war von 1924 bis 1928 der Kapellmeister und Komponist Franz Doelle (1883-1965), der 1928 mit dem Text von Fritz Rotter den Schlager Wenn der weiße Flieder wieder blüht kreierte.

 

Am 7. September 1939 erfolgte eine erste Eigentumsänderung: Das Anwesen ging an Fräulein Ilse Viering, wohnhaft in Berlin-Wannsee, Am Wildgatter 43. Laut Veräußerungsmitteilung vom 1. Mai 1954 wurde das Haus von Ilse Viering durch eine Barzahlung von 130.000 DM an die Pensionskasse der BEWAG verkauft. 1962 zogen in dieses Haus Karl König (1910-1979), Wirtschaftssenator unter Brandt, Albertz und Schütz, und seine (zweite) Ehefrau, die Theaterfotografin Ruth Wilhelmi (1904-1977), bekannt durch ihre Szenenfotos für die Modellbücher des Berliner Ensembles zu Mutter Courage und ihre Kinder.

 

Am 21 Mai 1992 ging ein Fax vom Architekturbüro Hans-Jürgen Klotz, Preußenallee 40, 1000 Berlin 19, an Herrn Martin Pechstein, Dürerstraße 25 A, 1000 Berlin 45, den Enkel von Max Pechstein: Sehr geehrter Herr Pechstein, bei Instandsetzungsarbeiten in der Wohnanlage Cosimaplatz 8 in Berlin-Friedenau (Eigentümerin die Pensionskasse der Bewag) wurde im ersten Hauptpodest des Treppenhauses eine ornamentale Wand- und Deckenausmalung freigelegt. Nachforschungen haben ergeben, daß es sich hierbei um eine Arbeit von Hermann Max Pechstein handelt Im Auftrag der Eigentümerin, der Pensionskasse der bewag, wurde die Restaurierung der Wand- und Deckenausmalung veranlaßt. Sehr geehrter Herr Pechstein, wir würden uns freuen, Sie zu der Präsentation der restaurierten Arbeit von Max Pechstein begrüßen zu können. Mit freundlichem Gruß Hans-Jürgen Klotz.

 

Die Dokumentation dieser Restaurierung befindet sich seit 1992 im Archiv der Max Pechstein Stiftung Hamburg – und wäre nach den Innenraum-Dekorationen in den Häusern Offenbacher Straße Nr. 1 & Nr. 8 eine dritte bisher unbekannte Arbeit von Max Pechstein in seinen Friedenauer Jahren zwischen Aprl 1912 und August 1918. Auf unsere Bitte, das Dokument veröffentlichen zu dürfen, schrieb uns Enkelin Julia Pechstein: Das Einverständnis von Seiten der Max Pechstein Stiftung kann ich so nicht geben, da die Urheberschaft bei dem Architekten Klotz liegt.

 

Wir machten uns an die Arbeit. Für die Architektenkammer Berlin gibt es keine Hinweise auf eine Zusammenarbeit von Klotz mit einem anderen Büro oder einen eventuellen Rechtsnachfolger. Die Restauratorin Elke Renner ließ uns wissen, daß unsere restauratorischen Arbeiten damals unter der Leitung von Diplomrestaurator Jochen Hochsieder liefen. Von ihm, der seit Jahren in Rheinsberg lebt und noch 2024 für die Stiftung Denkmalschutz tätig war, erhielten wir keine Antwort. Der Bauakte Cosimaplatz 8 im Bauarchiv Rathaus Schöneberg waren bis auf Bombenschäden am Haus während des Weltkrieges keine Hinweise auf die Gestaltung von Innenräumen zu entnehmen. Der Kunsthistorikerin Aya Soika, die 2011 im Pechstein-Werkverzeichnis ausführlich in Text und Bild über Pechsteins Friedenauer Arbeiten berichtete, ging auf  die Klotz’sche Dokumentation nicht ein.

 

Da es letztendlich um ein Stück Friedenauer Geschichte geht, haben wir uns auch mit Zustimmung der Max Pechstein Stiftung Hamburg entschlossen, die Dokumentation der Restaurierung zu veröffentlichen. Wir zitieren:

 

Vorbemerkung: Bei Instandsetzungsarbeiten in der Wohnanlage Cosimaplatz 8 in Berlin-Friedenau (Eigentümerin, die Pensionskasse der Bewag) wurde im. ersten Hauptpodest des Treppenhauses eine ornamentale Wand- und Deckenausmalung freigelegt. Nachforschungen haben ergeben, daß es sich hierbei um eine Arbeit von Hermann Max Pechstein handelt, der um 1912 in der Nähe gelegenen Offenbacher Straße gewohnt haben soll

 

Raumbeschreibung: Das erste Hauptpodest ist über eine achtstufige Treppenanlage vom Hauseingang zu erreichen. Das Hauptpodest ist 2,54 m breit, 3,32 m lang und die Raumhöhe beträgt 3,50 m. Die Deckenfläche ist glatt geputzt. Die seitlichen Wände sind jeweilig in zv/ei tieferliegande Wandspiegel mit darüberliegenden supraportenähnlichen Flächen gegliedert. In die hinteren Wandspiegel ist jeweils eine Wohnungseingangstür integriert. Die Stirnwand ist mit einem großen Wandspiegel mit seitlich liegenden schmalen Spiegelflächen gestaltet. Die Wandspiegel sind mit hölzernen Profilen und breiten Vorlagen gerahmt. Den Abschluß des Podestes zu den Treppenläen bildet ein kassetierter Unterzug mit Mittelstütze. Den oberen Wandabschluß bildet ein breites einfach gearbeitetes Gesims mit Kymaornamentik aus Stuck, Der I'ußboden ist gedielt.

 

Befundbeschreibung: Insgesamt sind vier Farbfassungen nachzuweisen. Alle Farbgebungen über der Originalfassung sind monochrom. Es gibt lediglich Absetzungen an den Rahmungen der Wandspiegel. In dar Originalfassung ist die Gestaltung des Hauptpodestes von der übrigen Treppenhausausmalung farblich abgesatzt. Den Grundfonds der Wandspiegel bildet ein kühles Rot von wechselnder Intensität, auf dem eine abstrakt florale Ornamentik in überwiegend gelben Farbtönen aufgetragen ist. Das Ganze ist in sehr malerischer Technik ausgeführt. So wird die Farbwirkung u.a. durch lasierend aufgetragene Farbschichten erzielt, Die Grundformen der Ornamente scheinen in Schablonentechnik aufgetragen worden zu sein. Die Rahmung der Wandspiegel und alle weiteren gestaltenden Elemente wie Mittelstütze, Türen und Fußboden sind mit einem schwarzen lasierenden Anstrich gefaßt. Die Decke ist in der Originalfassung ebenfalls ornamental gestaltet.

 

Restaurierung: Die Restaurierung der Ausmalung an den Wandspiegeln wurde in folgenden Schritten ausgeführt; Freilegung der Erstfassung auf den Wandspiegelbereichen; Überarbeitung späterer Verputzung; Schließung der Fehlstellen im Untergrund; Festigung und Reinigung der Erstfassung; Retusche der Fehlstellen in Fond und Ornamentik; Schlußüberzug. Die Rahmungen der Wandspiegel wurden nach Befund der Erstfassung neu gefaßt. Die Freilegung des Deckenbereiches wäre nur unter starken Verlusten der originalen Malschicht möglich gewesen, da die Decke vor dem Aufträgen der nächsten Farbfassung mit einer Sperrschicht versehen wurde. Diese Schicht hatte sich fest mit der originalen Malschicht verbunden, so daß ein Trennen der beiden Schichten mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln nur mit Verlusten der originalen Ausmalung möglich gewesen wäre.

 

Da sich auf der Sperrschicht die Abdrücke der Ausmalung markierten, erfolgte die Rekonstruktion der Deckenausmalung. Um die tatsächliche Farbigkeit der Ausmalung feststellen zu können wurden kleine Freilegungafenster angelegt, die anschließend ebenfalls mit einem SchutzUberzug versehen wurden und in die rekonstruierte Deckenfassung eingegliedert sind. Diese rekonstruierte Deckenfassung bietet gleichzeitig die Möglichkeit der Restaurierung der originalen Deckenausmalung zu einem späteren Zeitpunkt. Restaurierung der originalen Ausmalung des ersten Hauptpodestes im Treppenhaus: Bearbeiter:Elke Renner, Katrin Drabner, Katrin Pöhland, Fotographische Aufnahmen; Jochen Hochsieder. Architekturbüro Klotz.

 

***

 

Offen bleiben Fragen zum Haus Taunusstraße Nr. 23. Im Oktober 1910 veröffentlichte die Zeitschrift Deusche Kunst und Dekoration eine Farbzeichnung: Wohnhaus. Friedenau. Taunusstraße. Architekt: Bruno Schneidereit, Friedenau. Maler: Max Pechstein, Berlin. Es kann davon ausgegangen werden, daß Max Pechstein etwas mit diesem Bau zu tun hatte. Schließlich nahm er damals jede Arbeit an und strich Fassaden, nur um etwas zusammenzusparen. Schneidereit hatte das Grundstück vom Berlin-Charlottenburger Bauverein erworben. Bis 1911 waren die Grundstücke Taunusstraße Nr. 20 bis Nr. 23 als Baustellen eingetragen und unterlagen offensichtlich der Landhausbaubeschränkung. Nachdem diese zur Bauklasse 1 erklärt wurden, wurde der Bau eines viergeschossigen Mietswohnhaus möglich. Ende 1912 war das Haus nach einem Entwurf von Architekt Bruno Schneidereit errichtet und komplett bezogen. Bauherr und Eigentümer war Bruno Schneidereit.

 

Eile war auch geboten. Am 8. Mai 1913 erschienen vor dem Standesamt Berlin zum Zwecke der Eheschließung erstens der Architekt der deutschen freien Architektenschaft Bruno Julius Hermann Schneidereit, evangelischer Religion, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Taunusstraße Nr. 23, und zweitens die Karolina Wilhelmine Margarete Fielitz, evangelischer Religion, geboren am 25. April 1887 zu Berlin, wohnhaft in Berlin, Brunnenstraße Nr. 191, Tochter des verstorbenen Fabrikbesitzers August Karl Gustav Adolf Fielitz, zuletzt wohnhaft in Berlin und seiner Ehefrau Pauline Wilhelmine geborene Wasewitz, wohnhaft in Berlin. Als Zeugen waren erschienen: Der Kaufmann Friedrich  Fielitz, 23 Jahre alt, wohnhaft in Berlin, Brunnenstraße 191, der Leutnant Fritz Ohmke, 22 Jahre alt, wohnhaft in Gnesen, Stadtkreis.

 

Das Haus Taunusstraße Nr. 23 müsste für das Ehepaar Schneidereit eine besondere Bedeutung gehabt haben. Sie wohnten zuerst III. Stock. Nach dem Verkauf des Anwesens 1921 an den Eisenbahnsekretär B. Tesch aus Steglitz blieben Schneidereits als Mieter im IV. Stock. 1930 wurde Oberingenieur Frichel Eigentümer. 1936 zog das Ehepaar in die Mietwohnung Nikolsburger Platz Nr. 2 in Wilmersdorf. In dieser Wohnung verstarb Bruno Schneidereit am 7. März 1939. Todesursache war Herzaderverkalkung. Witwe Margarethe Schneidereit wohnte noch bis mindestens 1943 am Nikolsburger Platz Nr. 2. Weitere Urkunden zu Bruno und Margarethe Schneidereit liegen nicht vor.

 

Mehr zu Bruno Schneidereit finden Sie unter Baumeister sowie zu den Häusern Offenbacher Straße Nr. 1 & Nr. 8.

 

Die Entdeckung:

Innendekorationen von Max Pechstein im Haus Cosimaplatz Nr. 8

 

Restaurationsbericht Architekturbüro Klotz, 1992
Restaurationsbericht Architekturbüro Klo[...]
PDF-Dokument [15.3 MB]

 

Es geht wieder um Millionen

 

Noch bevor wir die Dokumentation zum Cosimaplatz Nr. 10 vor dem 1. Advent 2025 online stellen konnten, überraschte uns die F:A.Z. unter dem Titel Es geht wieder um Millionen mit einer Versteigerung: Das Auktionshaus Ketterer Kunst München offeriert am 5. und 6. Dezemberr 2025 ein lange verborgenes Bild von Hermann Max Pechstein  – eine Kuriosität mit Vorder und Rückseite, die Alfred Eisenlohr (1875-1952), Mitinhaber des Piper-Verlages, um/vor 1915 erworben hatte und bis 1986 im Familienbesitz war.

 

Im Pechstein-Werkverzeichnis von Aya Soika 2011 wurden die Bilder erstmals betitelt als Inder und Frauenakt (1910/54) und Früchte (1910/3) und jeweils unter eigener Nummer registriert. Unstrittig ist wohl, daß die Gemälde 1910 in Pechsteins provisorischem Dachatelier in der Offenbacher Straße Nr. 1 entstanden sein dürften.

 

Nun tut das Auktionshaus kund, daß Pechstein wohl aus Leinwandmangel noch im selben Jahr mit einem Früchtestillleben die Rückseite des Aktgemäldes mit Leimfarbe überstrich. Erst bei deren Entfernung 1889 kam die Vorderseite mit dem Aktbild von Pechsteins späterer Frau Charlotte Lotte Kaprolat zum Vorschein. Eigentümer Alfred Eisenlohr hatte wohl davon keine Kenntnis.

 

Weitere Angaben aus dem Katalog von Ketterer Kunst München:

 

Hermann Max Pechstein

Inder und Frauenakt (Vorderseite) / Früchte (Rückseite), 1910

Schätzpreis 2.000.000 €

Öl auf Leinwand, beidseitig bemalt

Das Stillleben „Früchte II“ rechts unten monogrammiert (ligiert) und datiert

71,5 x 82,5 cm (28,1 x 32,4 In) 

 

Aufrufzeit: 05.12.2025 – ca. 17.44 h ± 20 Min.

€ 2.000.000 – 3.000.000 (R7/F)

$ 2,320,000 – 3,480,000