Ringstraße 48, Villa Lichtheim, 1898. Archiv Rüdiger Barasch

Für die Bebauung des Wilmersdorfer Oberfelds wurde 1871 der Landerwerb- und Bauverein auf Aktien gegründet. Auf dem höher gelegenen Areal östlich der Provinzialchaussee von Berlin nach Potsdam entstanden 1872 die ersten verputzten Landhäuser in der Ahornstraße, Bahnstraße und Kastanienstraße, die 1875 in Mosel-, Saar- und Illstraße umbenannt wurden. Auf Grund ihres markanten ringförmigen Verlaufs wurde der Name Ringstraße beibehalten. Sie gehört zu den ersten Straßen der Kolonie Friedenau. Erst 1962 wurde aus der Ringstraße die Dickhardtstraße, benannt nach dem Schöneberger Bürgermeister Konrad Dickhardt (1899-1961). Über seine Verdienste ist bekannt, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg in Schöneberg die SPD aufbaute, und als Finanzstadtrat wohl dafür sorgte, dass die Schöneberger Sängerknaben für ihre erste Chorreise nach Westdeutschland mit weißen Kniestrümpfen, kurzen schwarzen Hosen und dunkler Weste mit dem Berliner-Bären-Emblem auf der Brust ausgestattet wurden. Wohl auch dafür wurde ihm 1962 ein Ehrengrab des Landes Berlin auf dem kommunalen Friedhof Eythstraße bewilligt, das 1990 und noch einmal 2018 um weitere 20 Jahre verlängert wurde.

 

Die älteste noch verfügbare Aufnahme von der einstigen (allerdings schon zweiten) Bebauung der Ringstraße stammt von 1898 und zeigt die Villa des Lotterieeinnehmers und Gemeindeschöffen Gustav Lichtheim.

Dickhardtstraße 2. Aufnahme von 1988, Topographie Friedenau

Dickhardtstraße Nr. 2

 

Das viergeschossige Mietshaus Dickhardtstraße 2 wurde 1909-10 von Oscar Haustein erbaut. Das Haus zeigt eine symmetrisch angelegte Jugendstilfassade über dem Souterrain. In der Mittelachse befindet sich der Hauseingang mit dem Treppenhaus, das den Zweispänner erschließt. Das Treppenhaus wird durch verschiedene Fenster belichtet: durch drei kleine gereihte Fenster,  darüber durch ein hohes Fensterfeld über zwei Geschosse mit einer Vielzahl kleiner Fenster (mit Farbverglasung und - abschließend - wieder durch drei kleine gereihte Fenster. Beiderseits der Mittelachse springen Erker mit seitlichen Balkons vor, die im ersten und dritten Obergeschoss geschweifte Kupferblechbrüstungen zeigen. Im dritten Obergeschoss treten an die Stelle der seitlichen Balkons jeweils Loggien. Die Erker werden von Kupferblechhauben bekrönt. In der Mittelachse erhebt sich ein steiler Quergiebel mit Kartusche. Das Haus besitzt noch sein Jugendstil-Vorgartengitter mit geometrischen Motiven. Topographie Friedenau, 200

 

Eingangstür DIckhardtstraße 3. Archiv Tomas Pollack

Dickhardtstraße Nr. 3

 

Der Vorort Friedenau wird im Berliner Adressbuch für das Jahr 1874 erstmals erwähnt, darunter eine Ringstraße, die mit den Eigentümern Fuhrherr Rockel (Nr. 1-2) und Geheimer Secretär Sotteck (Nr. 3) beginnt und bei Nr. 52 endet. 1880 gehört Nr. 1-2 zur Rheinstraße Nr. 52. Nr. 3 geht 1885 an den Geheimen Registrator Grohn, der das Grundstück schon 1886 an den Baumeister Weiß verkauft. So bleibt es, bis 1910 für Nr. 3 unter dem neuen Eigentümer Gottfried Bierhan ein Neubau angekündigt wird, dessen Fertigstellung Bierhan selbst nicht mehr erlebt, da er 1910 stirbt und seine Witwe Agnes Bierhan geborene Drescher das Haus mit 10 Mietparteien übernimmt. 1925 wird das Anwesen an den Kaufmann E. Schmidt (Stockholm) verkauft, dem als Eigentümer Direktor Dr. H. Heinrichs (1936) und Rechtsanwalt K. Janssen (1941) folgen.

 

Die Fassade des Hauses ist – typisch für die Erbauung im Jahr 1910/1911 – gegenüber den älteren Nachbargebäuden in ihrer Dekoration reduzierter und im Original erhalten. Die heutigen Eigentümer beauftragten 2018 die Restaurierungswerkstatt Malerei und Denkmalpflege Thomas Pollack mit der Rekonstruktion der bauzeitlichen Ausmalung für Entrée und Treppenhaus.

 

Die Eigentümer haben uns im Juni 2024 weitere Dokumente zeitnah angekündigt. Wir hoffen, daß wir demnächst auf dieser Webseite mehr zur Geschichte dieses Hauses präsentieren können.

 

 

 

 

 

 

Dickharrdtstraße 4-5. Aufnahme von 1999, Topographie Friedenau

Dickhardtstraße Nr. 4

 

Das viergeschossige Mietshaus Dickhardtstraße 4 wurde 1902-03 von Gustav Grassmann entworfen. Es weist eine asymmetrische Neorenaissancefassade auf. Das Souterrain und das Erdgeschoss sind in Sichtziegelmauerwerk ausgeführt, die Geschosse darüber verdutzt. Zwei unterschiedliche Standerker - ein rechteckiger und ein abgeschrägter - sind beiderseits der Mittelachse zugeordnet. Der rechteckige Erker ist übergiebelt, der andere mit einem Turmhelm bekrönt. Die Erkerpfeiler sind im dritten Obergeschoss mit männlichen Hermen geschmückt, die Fensterpfeiler zwischen den Erkern mit weiblichen Hermen als Gebälkträger. Die Brüstungen im dritten Obergeschoss sind mit Balustern besetzt. Das Portal des Eingangs ist ebenfalls in strengen Neorenaissanceformen ausgeführt, Im Vestibül führt eine Marmortreppe mit schmiedeeisernem Geländer und Lampenträger auf das Niveau des Erdgeschosses. Die Wände zeigen ein flaches Stuckrelief, die Decke wird durch ein Sterngewölbe gebildet. Der ´Vorgarten ist durch ein Jugendstilgitter eingefriedet. Topographie Friedenau, 2000

 

Dickhardtstraße 5. Foto Hahn & Stich, 2020

Dickhardtstraße Nr. 5

 

Das viergeschossige Mietshaus Dickhardtstraße 5 wurde 1902-03 von Oscar Haustein errichtet. Eine Inschrift seitlich des Eingangs lautet: ‚Oscar Haustein Architekt - Erbaut 1902‘. Die asymmetrische Straßenfassade zeigt im Souterrain und im Erdgeschoßs Rohziegelmauerwerk, darüber Putzquaderung. Beiderseits der Mittelachse sind zwei unterschiedliche Erker angeordnet: im Süden ein rechteckiger mit Quergiebel, im Norden ein abgeschrägter mit Turmhaube. Auf beiden Erkern sind Relief-Medaillons - der Kopf eines jungen Mannes und der einer jungen Frau - angebracht. Die Brüstungsfelder schmückt Jugendstil-Dekor (Kastanienblätter) und auch das Eingangsportal zeigt Jugendstil-Motive. Die Rundbögen der Loggien sind mit Drachenköpfen und Masken verziert. Topographie Friedenau, 2000

 

 

 

 

Das Haus gehört heute einer Eigentümergemeinschaft und wurde 2014 restauriert. Die Rekonstruktion der bauzeitlichen Ausmalung für Entrée und Treppenhaus übernahm die Restaurierungswerkstatt Malerei und Denkmalpflege von Thomas Pollack.

 

Paul Francke. Quelle Karin von Zakarias

Dickhardtstraße Nr. 5

Paul Francke (1883-1957)

 

Wenn Nachfahren Vorfahren ins rechte Licht setzen, gerät der Versuch oft genug in Schieflage. So auch bei Prof. Dr. Ing. Paul Francke, der 1937 mit Ehefrau Gertrud geb. Stocks und Tochter Brigitte nach Friedenau gezogen war – zuerst in die Handjerystraße Nr. 14, dann 1943 in die Ringstraße Nr. 5 (heute Dickhardtstraße). Nun wurde er herausgestellt als jüngster Professor (1928) und Gründungsmitglied der Fraunhofer-Gesellschaft (1949). Und dazwischen?

 

Drei Monate nach der Machtergreifung trat der Professor an der Bergakademie Clausthal-Zellerfeld am 1. Mai 1933 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 3.556.425). Schon 1936 war er im Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe in Berlin tätig, und kümmerte sich u. a. für die synthetische Produktion von Benzin und Gummi. Nicht ohne Grund wurde Francke 1939 als Professor an die Technische Hochschule Berlin berufen.

 

1944 brachte er Ehefrau und Tochter vor den Bomben im Erzgebirge in Sicherheit. Er blieb noch bis kurz vor Kriegsende in Friedenau, um seine Sammlung wertvoller Schriften und Partituren in Sicherheit zu bringen. Als die Luftangriffe der Alliierten auf Berlin zunahmen, floh auch er aus der Hauptstadt und überließ die Bibliothek einer im Hause wohnenden Apothekerin, die mit der Hinterlassenschaft Franckes nach dem Krieg ein Antiquariat eröffnete. Wir konnten bisher weder Apothekerin noch ihr Antiquariat ausfindig machen. Bereits 1946 ist er Mitarbeiter beim Landesamt für Rohstoffwirtschaft in Göttingen. Als 1949 in München die Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft stattfand, war Francke dabei. Als Geschäftsführer der Gesellschaft konnte er 1950 mitteilen, dass die Fraunhofer Gesellschaft in das ERP-Forschungsprogramm eingeschaltet ist. Paul Francke war wieder dabei.

 

Dickhardtstraße 6. Sammlung Staudt, 1953. Museum Schöneberg

Dickhardtstraße Nr. 6

 

Das Haus Dickhardtstraße Nr. 6 entstand nach dem Abriss eines Landhauses 1898/99 nach einem Entwurf des Bauherrn und Baumeister A. Höhne aus Groß Lichterfelde. 1900 verkaufte er das für 12 Parteien errichtete Mietshaus an Fräulein H. Dammert. Das Haus mit zwei Seitenflügeln hat den Zweiten Weltkrieg nichtüberlebt. Auf der Schadenskarte von 1947 wurde vermerkt: vielleicht wieder herstellbar. Die Fotografien des zerstörten Hauses in der Ringstraße 6 (heute Dickhardtstraße 6), aufgenommen von Herwarth Staudt am 26. Januar 1952 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg, machen deutlich, daß das Vorderhaus nicht mehr zu retten war. Auf dem Grunstück entstand 1975 ein Neubau mit einer Durchfahrt zum Hof.

 

Dickhardtstraße 7-8. LDA 1999

Dickhardtstraße Nr. 7-8

 

Das Eckhaus Dickhardtstraße 7-8/Moselstraße 7-8 von 1895-96 ist dagegen schon ein „klassisches“ viergeschossiges Mietwohnhaus von Oscar Haustein, der seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts all Landhaus-Architekt bekannt geworden war. Es hat einen Eingang an der Mosel- und einen an der Dickhardtstraße, von denen jeder einen Zweispänner erschließt. Das Haus zeichnet sich durch rötlich-gelbe Klinkerfassaden an den beiden Straßenfronten und einen vorspringenden Erker an der Hausecke aus. Die schmalere Fassade an der Moselstraße wird durch einen Erker über dem Hauseingang betont, die längere an der Dickhardtstraße dagegen durch zwei Erker beiderseits des Hauseingangs. Zwischen dienen Erkern befinden sich in den Obergeschossen lange Balkons. Beide Hauseingänge sind jeweils mit einem Rundbogen überwölbt, der von zwei kurzen Säulen getragen wird. Topographie Friedenau, 2000

 

Dickhardtstraße 11-13. Foto Hahn & Stich 2018

Dickhardtstraße Nr. 11-13

Datierung 1890-1891

Entwurf und Bauherr Architekt H. Franzke

 

Eine in Berlin seltene Form des städtischen Einfamilienhauses repräsentieren die drei zweigeschossigen Reihenhäuser Dickhardtstraße 11-13, die 1890-91 von H. Franzke gebaut wurden. Sie bilden einen kleinen Denkmalbereich; Nr. 11 und 13 stehen als Baudenkmale unter Schutz, das veränderte mittlere Haus Nr. 12 ist Bestandteil der Gesamtanlage. Die Häuser befinden sich auf einer Parzelle, die für den Bau der drei Reihenhäuser dreigeteilt wurde, so daß jedes Reihenhaus einen Grundstücksstreifen von neun Metern Breite erhielt. Die Häuser haben eine Tiefe von zwölf Metern und weisen einen Vierfelder-Grundriss auf: Ein schmaler Bereich nimmt den Eingang mit der dahinterliegenden Flurzone und Küche auf, ein breiter Bereich den bis zum Garten durchgehenden Wohnbereich. Das Obergeschoss ist ähnlich organisiert; über dem Hauseingang befindet sich ein Altan mit Balustrade. Das ausgebaute Dachgeschoss zeigt über dem Altan ein Steildach mit Gaube, der breitere Bereich einen steilen Dachpavillon mit hohem Quergiebel, der zwei gekoppelte Rundbogenfenster und einen Okulus aufweist. Die Fassaden der beiden äußeren Reihenhäuser sind weiß verputzt und durch rote Klinkerornamente, vor allem an den Fenstern, Ecken und am Hauseingang, geschmückt.

 

Das mittlere Reihenhaus ist heute grau verputzt und der Quergiebel verändert. Diese Reihenhäuser stellen offensichtlich einen Versuch dar, vor dem Übergang zur neuen Bauordnung von 1892 die Möglichkeit zur Rettung der Landhausbebauung Friedenaus durch dichtere Bebauung auszuprobieren. Die Reihenhauslösung konnte aber den Geschosswohnungsbau nicht aufhalten. Topographie Friedenau, 2000

 

Kaiser Wilhelm II. in Friedenau. Foto Adolf Alexander Freiherr von Freyberg, 1908. Familienarchiv Johannes Götz, Ursula Mennerich

 

 

Dickhardtstraße Nr. 22

vorher Ringstraße Nr. 22

Adolf Alexander Freiherr von Freyberg (1878-1940)

Porträtmaler & Photograph

 

So hatten sich Mutter Helene Freifrau von Freyberg und Sohn Adolf Alexander Freiherr von Freyberg ihren Auftritt in Friedenau nicht vorgestellt. Kaum hatten sie 1904 von Clara Schenck, Witwe des Königl. Hauptmann a. D. Gustav Schenk, das um 1874 errichtete Landhaus Ringstraße Nr. 22 erworben, informierte der Friedenauer Lokal-Anzeiger am 2. Oktober 1905 über ein Liebesverhältnis des 26-jährigen Sohnes mit der Tochter eines Kaufmannes, welche gerne  Freifrau geworden wäre. Als die freiherrliche Liebe scheiterte, begann ein Alimentations-Prozess, bei dem der Vater der abgeblitzten Freiherrn-Braut ein Urteil erstritten hatte. Da eine Zwangsvollstreckung fruchtlos auslief, kam es zu einer zwangsweise erfolgten Ableistung eines Offenbarungseides, bei dem der Angeklagte beschuldigt wurde, Bestandteile seines Vermögens zuvor beiseite geschafft zu haben. Das Schöffengericht bestätigte dessen Schuld und verurteilte ihn zu 4 Monaten Gefängnis.

 

Das Verfahren gegen den Sohn war noch nicht abgeschlossen, da wurde Helene Freifrau von Freyberg geborene Winkler 1906 durch den Friedenauer Amtsvorsteher Bernhard Schnackenburg eine Strafanzeige des Königlichen Heroldsamtes angedroht, falls sie und ihr Sohn den Freiherrntitel weiterführen würden, da schon ihrem verstorbenen Gatten vom Heroldsamt bedeutet worden war, daß er nicht dem Freiherrnstande angehöre.

 

Freifrau von Freyberg Helene ging in die Offensive: Da in Friedenau leicht die Vermutung aufkommen könnte, daß wir uns der Urkundenfälschung durch Führung eines nicht zustehenden Titels schuldig gemacht haben könnten, und keine Irrtümer oder Mißverständnisse der Leser entstehen können, unsere Achtung zu verlieren, bat sie im Friedenauer Lokal-Anzeiger vom 8. Mai 1906 die Sache bekannt zu geben. Wir werden uns unsere Familien- und gesetzlich erworbenen Rechte nicht entziehen lassen. Nach unserer Familienchronik, den Adelsbüchern und dem Allgemeinen Landrecht § 620 Titel S, Teil I und § 19 Titel 9 Teil II, sind wir in unserem Recht und kann uns der Titel nicht streitig gemacht werden.

 

Es folgte ein Urteil des Landgerichts, das sich auf eine Erkenntnis des Zweiten Strafsenats des Reichsgerichts vom 19. November 1909 berief. Dieser hatte sich auf den Standpunkt gestellt, daß im Gebiete des Allgemeinen Landrechts das Strafgericht an die Entscheidung des Heroldamtes über die Nichtberechtigung zur Führung eines preußischen Adelsprädikats gebunden sei. Auf die Revision der Frau v. F. hat der zweite Strafsenat des Kammergerichts dieses Urteil aufgehoben: Soweit Gesetze nicht das Gegenteil bestimmen, hat der Strafrichter über alle Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes zu befinden. Die Entscheidungen und Verfügungen anderer Behörden haben für ihn keine feststellende Bedeutung. Dabei blieb es.

 

Helene war die Tochter von Rudolf Winkler, Besitzer des Freigutes Authausen bei Düben. Mit der Heirat 1877 von Helene Winkler (1854-1934) und Louis Burchard von Freyberg (1829-1896) wurden die Grundstücke in Authausen verkauft und das Freigut aufgelöst.  Am 8. Mai 1878 wurde Sohn Adolf Alexander Freiherr von Freyberg geboren. Nachdem Ehemann Burchard 1896 in Reinsdorf (Kreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt) verstorben war, zog die 50-jährige Witwe mit ihrem ledigen 26-jährigen Sohn Adolf Alexander nach Friedenau. 1904 erwarben die Freybergs von der Hauptmannswitwe Clara Schenck das um 1874 errichtete Landhaus Ringstraße Nr. 22. Eigentümer wurden Sohn Alexander Freiherr, Porträtmaler und Helene, geb. Winkler, Freifrau, vw. Rittergutsbesitzerin, Hochparterre.

 

Während Mutter Helene um Historie und Titel rang, ihren Aufstieg von der Bauerstochter zur Freifrau, erkannte Sohn Alexander von Freyberg, daß seine Porträtmalerei mit zunehmender Perfektionierung der Photographie an Bedeutung verlieren würde. Mit einer Goerz-Taschenkamera machte er Aufnahmen der nach einem Wolkenbruch überfluteten Straßen und präsentierte diese durchaus eindrucksvollen atmosphärischen Momentbilder 1905 im Schaufenster des Friedenauer Lokal-Anzeiger in der Rheinstraße Nr. 15.

 

Inzwischen war bekannt geworden, daß Kaiser Wilhelm II. 1907 die Sommerresidenz von Kaiserin Elisabeth Achilleion auf Korfu erworben hatte – und dem sterbenden Achill der Sisi-Zeit einen siegreichen Achill der wilhelminischen Ära gegenüberstellen wollte. Damit hatte er den Bildhauer Johannes Götz (1865-1934) beauftragt, der 1906 in die Wilhelmstraße gezogen war. Der Künstler hatte mehrere Entwürfe gefertigt, von denen der Kaiser am 15. Oktober 1908 einen genehmigt hatte: Achill zum Kampfe bereit, mit der Rechten an die Lanze gelehnt, in der Linken den Rundschild. Die Statue wird in hellpatinierter Bronze ausgeführt, und einzelne Teile wie Lanze, Schild und Helmbusch sollen durch leichte Vergoldung belebt werden. Die Höhe der Figur wird ungefähr 5 bis 6 Meter betragen; die endgültige Größe soll erst an Ort und Stelle auf Korfu festgesetzt werden.

 

Am Nachmittag des 18. Februar 1909 trafen gegen 3 Uhr in 3 Automobilen das Kaiserpaar, Prinzessin Viktoria Luise und Gefolge vor der Wohnung des Bildhauers Herrn Prof. Johannes Götz, Wilhelmstraße Nr. 6 ein. Die hohen Herrschaften wurden von dem Künstler und seiner Gemahlin am Wagenschlag empfangen und zum Atelier geleitet. Auch diesmal galt der Besuch den Bildwerken für Korfu.

 

In seinen Erinnerungen schreibt Kaiser Wilhelm: Der von mir Anfang Mai 1909 nach Korfu berufene Bildhauer war im Nu unter dem Zauber des Achilleion, gehoben in dem Gedanken, an dieser Stelle ein Werk von sich aufstellen zu dürfen. Nach der Rückkehr ging die Arbeit in Friedenau weiter. Götz war bestrebt, der Wilhelminischen Skizze von dem martialisch und grimmig ausschauenden Achill der Skulptur ein antik wirkendes Bildwerk zu schaffen, als ob es in Pompeji ausgegraben worden wäre.

 

Am 14. März 1910 besuchte das Kaiserpaar die Bildgießerei Gladenbeck in Friedrichshagen, wo aus dem Gipsmodell inzwischen die bronzene Achillesstatue gegossen worden war. Danach wurde die Riesenfigur in einzelne Teile zerlegt, in Kisten verpackt, nach Triest transportiert und vom Schulschiff S.M.S. Victoria Luise nach Korfu gebracht. Unter Aufsicht von Johannes Götz und Monteuren der Bildgießerei Gladenbeck wurde Achilles im September 1910 innerhalb einer Woche aufgestellt

 

Einiges von dem, was sich in der Wilhelmstraße zwischen 1908 und 1909 tat, wird aus dem bis heute bewahrten Götz’schen Nachlass deutlich, darunter die Fotografien von Alexander von Freyberg mit einer Goerz-Anschütz-Patent-Camera. Die Aufnahmen strahlen ein treffsicheres Gespür für Atmosphäre und den gewissen Moment aus: Der Auftritt des hereinstürmenden Kaisers, der Blick aus dem dunklen Atelier auf die Schienen im Garten, wo auf einer Lore das Götz’sche Gipsmodell des siegreichen Achilles für Korfu präsentiert wurde. Zum Teil wurden die Fotos auf Pappe aufgezogen und zum Preis von 1,50 Mark beim Lokal-Anzeiger verkauft.

 

In diesem Familienarchiv befinden sich zwei weitere Aufnahmen, vermutlich vom Fotografen Hermann Brasch (1861-1924). Er hatte nach dem Tod seines Vaters das Atelier Carl Brasch Hof-Photograph u. Portraitmaler übernommen. 1905 war er in den zweiten Stock des Hauses Wilhelmstraße Nr. 19 gezogen, mit Blick auf das gegenüberliegende Grundstück von Johannes Götz, rechts das Wohnhaus, links davon der über sechs Meter hohe Bau des Ateliers. Von seinem Fenster aus fotografierte er (am Vormittag des 15. Oktober 1908) die Ankunft der kaiserlichen Automobile vor dem Götz’schen Anwesen – und lieferte damit schließlich Zeugnisse einer Bebauung, die bis Mitte der 1930er Jahre Bestand hatte.

 

Nach Berichten des Friedenauer Lokal-Anzeiger soll Adolf Alexander Freiherr von Freyberg in den folgenden Jahren auch Aufnahmen von der Einweihung des Erikabrunnen am Südwestkorso (1911), von Kaiser Wilhelm beim Alte-Herren-Essen im Hotel Esplanade Berlin (1912) und im Dienste der Wohltätigkeit vom Reservelazarett in der Offenbacher Straße (1915) gemacht haben. Im Stadtmuseum Berlin existiert das Foto einer Bronzetafel, mit der an den Großen Kurfürsten und seine Gemahlin, die Stifter der 1965 abgebrochenen Dorotheenstädtischen Kirche, erinnert wird. Der Entwurf stammt von Ernst Waegener und wurde 1912 in der Bildgießerei Noack gefertigt. Dokumente liegen uns leider nicht vor.

 

Alexander von Freyberg heiratete am 9. Dezember 1905 Olga Wanda Lottig und zog in die Fregestraße Nr. 34. Die Ehe wurde 1907 geschieden. 1908 folgte die Heirat mit Ottilie Sophie Henriette Luise Brandt. Scheidung 1909 und Heirat mit Margarethe Martha Charlotte Beger. 1929 folgte die vierte Ehe mit Charlotte Erna Frieda Gipser. Mutter Helene Freifrau von Freyberg verstarb am 28. November 1934 in der Charité. Sohn Adolf Alexander Freiherr von Freyberg verstarb am 30. März 1940 im Haus Ringstraße Nr. 22. Während des Zweiten Weltkrieges fielen die Bomben. Auf der Schadenskarte von 1947 ist ein Teil des Hauses als total beschädigt, ein anderer als vielleicht wieder herstellbar eingetragen. Das Freybergsche Grundstück wurde nach 1970 für den Bau der Fläming-Schule in der Illstraße einbezogen.

 

Dokumentation

 

Hier wohnte Eduard Jürgensen von 1903 bis 1910. Foto Hahn & Stich, 2020

Dickhardtstraße Nr. 25

Eduard Jürgensen (1847-1910)

 

Eduard Jürgensen war in Rendsburg geboren worden und damit Holsteiner. Der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 und der Kampf bei den Düppeler Schanzen war ebenso gegenwärtig wie 1867 die Bildung der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Mit 18 Jahren verließ er die Gegend und suchte sein Glück in Amerika. Im Sommer 1870 kehrte er zurück und zog als Freiwilliger für Deutschlands Ehre gegen den Erbfeind in den Krieg. 1874 heiratete der Obergefreite die aus dem Harz stammende Agnes geb. Rühl. Sein Schwiegervater machte ihn 1876 zum Inhaber eines Geschäfts für Farben und technische Drogen in der Großen Frankfurter Straße Nr. 103, was später um Kolonialwaren, Leim und Schellack erweitert wurde. 1881 kam das Aus. Jürgensen entschied sich für die Schriftstellerei und zog mit Ehefrau Agnes auf ein Gut bei Oranienburg.

 

Eduard Jürgensen ist im Friedenauer Adressbuch zuerst unter Ringstraße Nr. 21-28 (1886) eingetragen. Es folgten Niedstraße Nr. 21 (1887/88), Rheinstraße Nr. 45 (1890), Handjerystraße Nr. 80 (1896-1899) und von 1903 bis zu seinem Tod 1910 Ringstraße Nr. 25 (Dickhardtstraße). Er nannte sich Schriftsteller, war 1891 mit Münchhausen der Jüngste und andere Lügenden im Buchhandel vertreten und mit Plattdütsche Burenleeder wohl einigermaßen erfolgreich.

 

 

 

Der Aufstieg von Eduard Jürgensen zum Lokalpoeten wäre ohne den Friedenauer Lokal-Anzeiger nicht denkbar. Der Druckereibesitzer Leo Schultz brauchte für sein Blatt neben Nachrichten aus Nah und Fern auch Humoriges. Jürgensen bekam eine Chance mit der Veröffentlichung seiner Gedichte Gröne Ostern (17.4.1895) und Pfingsten (1.6.1895) in plattdeutscher Mundart. So ganz entsprach das wohl nicht den Vorstellungen des Verlegers. Schultz wollte Lokales. Jürgensen reagierte und dichtete zum 80. Geburtstag des hochverehrten Mitbürgers und Komponisten Wilhelm Heiser (15.4.1896). Zum Winter 1897 erarbeitete er eine Friedenau-Biographie, die 1898 durch eine Ortschronik mit anderen Autoren ersetzt wurde.

 

Mit dem Gedicht Das goldene Rad von Friedenau (21.5.1898) zum Rennen im Sportpark schwenkte Jürgensen um. Begebenheiten wurden zu Ereignissen. Er verfasste Gedichte zum 60. Geburtstag von Kreistierarzt Dr. Schäfer, zum Gedenken an den Kommunalpolitiker Willy Retzdorff, zum Abschied von Bürgermeister Schnackenburg, hielt Dialektvorträge und profilierte sich 1908 mit einem Lichtbildervortrag als Kenner der Geschichte und Entwicklung Friedenaus. Leben konnte er vom Friedenauer Lokal-Anzeiger nicht. 1902 versuchte er sich sogar als Badedirektor in Lakolk auf der dänischen Insel Rømø. Er schickte seine Texte an Schorers Familienblatt, Dorfbarbier, Humoristische Blätter, Lustige Blätter, Feierstunden, Weinkenner sowie an die plattdeutschen Blätter De Eekboom und Sünndagsbladd. Es reichte nicht, so dass er auch als Vertreter der Versicherungsgesellschaft Deutschland tätig wurde. 1909 legte sich das Ehepaar Eduard und Agnes Jürgensen das Landgut Etenhall zu, einen Kleingarten in der Gartenkolonie an der Laubacher Straße. Dort wurde der neue Landwirt vom Verein der Gartenfreunde für sein erstes Erzeugnis gefeiert – eine Erdbeere.

 

Dickhardtstraße 30, 1981. Sammlung Jürgen Henschel, Museum Schöneberg

Dickhardtstraße Nr. 30

 

In der Dickhardtstraße 30 steht ein elegantes dreigeschossiges, neoklassizistisches Mietwohnhaus, das 1904-05 von dem Architekten Hans Bernoulli (1876-1959) erbaut wurde. Das vornehme, villenartige Wohnhaus besteht aus einem fünfachsigen Kopfbau auf einem Souterrain, an den sich zwei zurücktretende seitliche Flügel anschließen: der westliche bildet mit dem Nachbarhaus Nr. 28-29 einen kleinen Straßenhof, der östliche findet auf dem Nachbargrundstück Nr. 31 keinen Anschluss, da dort das älteste erhaltene, allerdings sehr veränderte Friedenauer Landhaus von 1874 dreiseitig frei steht. Der Kopfbau weist im Hochparterre zwei Erker beiderseits der Mittelachse auf. Im westlichen Erker befindet sich der Hauseingang mit einer Freitreppe, die von schmiedeeisernen Gittern gerahmt ist. In der Mittelachse über dem Hochparterre ist das Haus inschriftlich mit dem Baujahr 1904 bezeichnet. Auf den Erkern sind im ersten Obergeschoss zwei Altane mit schmiedeeisernen Gittern angelegt. Die Sohlbänke der breiten Fenster ruhen auf klassizistischen Konsolen. Die Fenster im Erdgeschoss sind mit einem Eierstab-Fries umrahmt. Ein Gurtgesims mit Zahnschnitt gliedert die Fassade. Ein weiterer Hauseingang mit Freitreppe befindet sich im Straßenhof an der Westseite des Hauses, der die Wohnungen im westlichen Flügel erschließt. Topographie Friedenau, 2000

 

Das Grundstück hat hinsichtlich der Besitzverhältnisse und der Architektur eine interessante Geschichte. Eigentümer ist 1875 der Königliche Mundkoch Albert Ritter, der 1880 zum Vorsteher der Königlichen Hof-Küche ernannt wird. Nach seiner Pensionierung verkauft er das Anwesen 1895 an den Bäckermeister Alfred Gartz aus Berlin. Es ist davon auszugehen, dass das bisherige Landhaus abgerissen wurde, da das Grundstück Ringstraße Nr. 28-30 über viele Jahre als Baustelle bezeichnet wird. 1905 findet sich der Eintrag Neubau Eigentümer Gartz‘sche Erben.

 

Der Entwurf des Hauses stammt von dem in Basel geborenen Architekten Hans Bernoulli (1876-1959). Nach einer Lehre als Bauzeichner studierte er an den Technischen Hochschulen in München und Karlsruhe und volontierte danach bei verschiedenen Architekten in Darmstadt und Berlin. 1902 liess er sich als Architekt in Berlin W 9, Linkstraße 32, III. Stock, nieder. 1903 führt er zusammen mit Louis Rinkel ein eigenes Architekturbüro und wirkt als Dozent an der Technischen Hochschule Charlottenburg und an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums. 1904/05 entstand die Villa Haus Gartz nach einem Entwurf von Hans Bernoulli in der Dickhardtstraße Nr. 30 (vormals Ringstraße) – ein frühes Beispiel für den Weg zur neuen Baukunst. Von Bedeutung ist die Einfachheit des Ganzen, der weitgehende Verzicht auf Dekor. Hier tritt das Gebäude deutlich als körperhaftes Gebilde in Erscheinung, nicht als ein Dekorationsträger. 1906 sind außer der Familie Gartz‘sche Erben drei Parteien (Reg. Assessor M. v. Ritter-Záhony, Gen. Ob. Arzt a. D. H. Rothe und Geh. Ob. Baurat R. Sarze) eingezogen. Das Anwesen bleibt bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Eigentum der Gartz‘schen Erben. In den 1970er Jahren ist das Haus im Innern ganz und gar verändert worden; ein Haus mit Kleinwohnungen ist daraus geworden; immerhin ist das äußere Erscheinungsbild weitgehend erhalten.

 

1928 Ringstraße 40, Hugenberg, Abgeordneter (Außerhalb)

Dickhardtstraße Nr. 40

Alfred Hugenberg (1865-1951)

 

Ein Jahr nach der Gründung von Friedenau hatte sich der Königliche Mundkoch Adalbert Ritter und spätere Vorsteher der Kgl. Hofküche 1876 in der Ringstraße Nr. 39 bis 40 ein Wohnhaus errichten lassen. Nach seinem Tod ging das Anwesen zuerst an die Witwe und schließlich 1909 an die Ritter’schen Erben. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger meldete am 26. April 1910: Der Spitzhacke fällt wiederum ein schöner Naturgarten zum Opfer. Die den Ritter‘schen Erben bisher gehörigen Grundstücke Ringestraße, neben den ehemals Moeller’schen Grundstücken, sind in den Besitz des Tischlermeisters Herrn Paul Stahl übergegangen. Es ist bereits mit dem Abriss der dort stehenden Villa begonnen worden. Auf dem Grundstück sollen moderne Mietshäuser, mit allem Komfort ausgestattet, entstehen.

 

1915 waren zwei unabhängige Mietshäuser mit jeweils großen Seitenflügeln errichtet und von jeweils bis zu 18 Mietparteien bezogen. Beide Häuser erlebten einige Eigentümer. 1927 ging Nr. 40 in den Besitz der Deutschen Gewerbehaus AG. Nachdem am 20. Oktober 1928 der auf Gut Rohbraken ansässige Geheime Finanzrat Dr. Alfred Ernst Christian Alexander Hugenberg zum Vorsitzenden der Deutschnationalen Volkspartei DNVP gewählt worden war, erwarb der Abgeordnete von außerhalb, Wahlkreis 17, Westfalen Nord 1929 das Mietshaus Ringstraße Nr. 40. Offen bleibt die Frage, ob Hugenberg dort auch gewohnt hat. Er könnte aus praktischen Gründen ob seiner politischen und beruflichen Tätigkeiten auch in dem 1928 entstandenen 14-geschossigen neuen Scherl-Bau in der Jerusalemer Straße Quartier genommen haben.

 

Alfred Hugenberg (1865-1951), der Mann im Dunkeln, wie ihn die Vossische Zeitung beschrieb, hatte 1916 den Scherl-Verlag übernommen und vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die NS-Zeit zu einem Medienkonzern entwickelt, der schließlich über seine Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Illustrierten, Buchverlage und UFA Deutschland beherrschte. Sein Zentralbüro für die deutsche Presse GmbH versorgte die Provinzblätter kostenfrei mit druckfertigen Text- und Bildbeiträgen. Das Gemisch aus halbseidener Information und einfältiger Unterhaltung kam an. Bevor nach Reichstagsbrand und Notverordnung am 5. März 1933 die Reichstagswahlen anstanden, erschien im Berliner Tageblatt des Mosse-Verlages ein Leitartikel von Chefredakteur Theodor Wolff (1868-1943), in dem er die Deutschen zur Zivilcourage aufrief: Wenn der Nationalsozialismus triumphiert, dann werden die letzten Reste von Freiheit und Bürgerrechte zerschlagen und das Volk zu dumpfem Gehorsam und schweigender Unterwerfung gezwungen.

 

1939 Ringstraße 40, Eigentümer Gescwister Hugenberg

Am 23. Mai 1943 wurde Theodor Wolff in seiner Wohnung in Nizza Promenade des Anglais 63 von italienischen Zivilbeamten verhaftet und der Gestapo übergeben. Über das Marseiller Gefängnis und das Sammellager Drancy kam er ins Gefängnis Moabit. Am 20. September 1943 wurde er in das Berliner Jüdische Krankenhaus verlegt. Dort starb er am. 23. September 1943.

 

Das Haus Ringstraße Nr 40 ging 1939 an die Geschwister Hugenberg. Die Hausverwaltung übernahm die Deutsche Gewerbehaus GmbH. So blieb es bis 1943. Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Häuser Ringstraße Nr. 39 und Nr. 40 von Bomben stark beschädigt. Auf der Schadenskarte von 1947 wurde der Abriss empfohlen. Auf dem Areal entstand später ein schlichter Neubau. Bauherr und Eigentümer sind nicht bekannt.

 

Von 1946 bis 1951 befand sich Hugenberg in britischer Internierung. Es begann ein mehrjähriger Rechtsstreit um seine Entnazifizierung. In mehreren Verfahren erfolgte nacheinander die Einstufung in Minderbelastete (1948), Mitläufer (1949) und schließlich Entlastete (1950). 1951 starb Hugenberg. Nach der Wiedervereinigung forderten seine Nachkommen eine Entschädigung für das 1945 von den Sowjets enteignete Gut Uhsmannsdorf in der Oberlausitz. Am 17. März 2005 urteilte das Bundesverwaltungsgericht, daß Hugenberg dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat und verweigerte einen Anspruch auf Entschädigung.

 

Blandine Ebinger & Friedrich Hollaender, um 1920. Archiv Helwig Hassenpflug

Dickhardtstraße Nr. 44

Blandine Ebinger & Friedrich Hollaender

 

Das Grundstück Ringstraße Nr. 35 (später Nr. 44) hatte 1874 der Lederwarenfabrikant A. Kiegel aus Berlin, Sebastianstraße Nr. 5, erworben und dort ein Haus für fünf Mietparteien errichten lassen. Die Familie Kiegel zog in die Parterrewohnung. 1900 verkaufte er das Anwesen an den Bauunternehmer Moritz Stöckel (1862-1910), der am 11. Juni 1901 den Antrag auf Abriss und Neubau stellte. Die Genehmigung erfolgte am 27. Juli 1901. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger kommentierte am 27. September 1901: Mit dem Abholzen des schönen Baumbestandes ist seit einigen Tagen begonnen worden. Mit dem Abbruch verliert Friedenau wieder ein altes Idyll. Die Bauausführung übernahm Maurermeister Johannes Ständer. Am 27. November 1902 war das Haus fertiggestellt, bezogen und kurze Zeit später in den Besitz von Ingenieur E. Grüder übergegangen.

 

So weit so gut. Am 20. November 1919 erschienen im Standesamt Berlin-Schmargendorf zum Zwecke der Eheschließung: 1. der Kapellmeister und Komponist Friedrich Maurice Hollaender, Dissident, geboren am 18. Oktober 1896 zu London, wohnhaft in Berlin-Schmargendorf, Kaulsbacher Straße 1, Sohn des Komponisten Viktor Hollaender und seiner Ehefrau Rosa Hollaender, geborene Perl, beide wohnhaft in Berlin-Schmargendorf, 2. die Schauspielerin Blandine Franzisca Löser, evangelischer Religion, geboren am 4. November 1899 zu Zehlendorf, Kreis Teltow, wohnhaft in Berlin-Friedenau, Ringstraße 44, Tochter des Pianisten Gustav Hermann Theodor August Löser, wohnhaft in Berlin, und seiner geschiedenen Ehefrau Elise Margarethe Löser, geborenen Wezel, wiederverehelichten Ebinger, wohnhaft in Straußberg bei Berlin. Als Zeugen waren zugezogen und erschienen: 3. der Kapellmeister Victor Hollaender, 53 Jahre alt, wohnhaft in Berlin-Schmargendorf, Kaulsbacher Straße 1, 4. der Kapellmeister Erich Hollaender, 36 Jahre alt, wohnhaft in Charlottenburg, Meinekestraße 9.

 

 

Keine nachvollziehbare Erklärung findet sich dafür, daß die Schauspielerin Blandine Franzisca Löser zum Zeitpunkt der Eheschließung 1919 bereits in der Ringstraße Nr. 44 wohnte – offensichtlich mit Friedrich Hollaender. In diesem Haus soll, wie Blandine Ebinger in ihren 1985 erschienenen Erinnerungen (Arche Verlag Zürich) schrieb im Jahr 1920 das Chanson Jonny, wenn du Geburtstag hast entstanden sein:

 

Wir wollten in Humperdincks Oper Hänsel und Gretel gehen. Hollaender war Meisterschüler von Humperdinck gewesen und verehrte seinen Lehrer sehr. Ich wollte ein taftseidenes Kleid anziehen, das vorn mit mindestens 100 taftbezogenen Knöpfchen geschlossen wurde, die in Schlingen zu knöpfen waren. Den unteren Teil konnte man zugeknöpft lassen. Ich begann in der Mitte weiter zu knöpfen, aber als ich oben angelangt war, hatte ich mich verknöpft. Eine Schlinge blieb übrig, so daß der Kragen schief war. Hollaender kam herein. Bist du fertig? Sofort. Wieso, der Kragen ist schief! Das sieht unmöglich aus. Hilf mir lieber. Er half mir, kniete auf dem Boden, weil nun - von oben angefangen - noch die Mitte zu schaffen war. Jetzt war allerdings die Beule in der Mitte. Er resignierte: Ich kann es nicht, so etwas kann man nur selbst. Bitte beeil dich, wir haben nur noch wenig Zeit. Verärgert setzte er sich an den Flügel, spielte. Ich knöpfte wieder auf, knöpfte wieder zu, vergebens. Schließlich klappte er den Klavierdeckel zu. Es ist genug! Wir müssen los. Nimm ein anderes Kleid. Ich hatte gerade die richtige Reihenfolge geschafft. Ich bin fertig, sagte ich, das Thema eben war sehr hübsch! Nein, entgegnete er, es war nicht hübsch, und wir kommen zu spät. Er warf das Blatt mit den hingeworfenen Noten in den Papierkorb. Ich holte das zerknüllte Papier heraus. Das war ‚Jonny‘.

 

Die Komposition stammt zweifellos von Friedrich Hollaender. Der Text wurde vermutlich von beiden geschaffen: Wir arbeiteten lange an diesem Chanson. In Wirklichkeit wurde aus Jonny endlich mein Sarotti-Mohr. Jonny, der weiße Mädchen verführte und sitzen ließ. Er war nicht aus Schokolade, er war nur lecker wie Schokolade. Es hatte seine Premiere im ‚Größenwahn‘.

 

Die Geschichte vom schwarzen Jazzmusiker wurde sofort populär. 1921 erschien die Schellackplatte mit dem Orchester Marek Weber. 1923 griff Claire Waldoff zu. 1933 präsentierte Marlene Dietrich in dem Paramount-Film The Song of Songs in Englisch – wie später alle Diven – die erste Strophe und garnierte sie mit Wiederholungen des Refrains. Lange Zeit trug Blandine Ebinger Jonny nicht vor, weil das Lied durch Marlene einen falschen Zungenschlag bekommen hatte, die daraus eine Sex-Episode machte. Glücklich war auch Hollaender nicht. Sein Kommentar: Von Marlene Dietrich in einen amerikanischen Film verpflanzt.

 

Am 25. Februar 1924 wurde Tochter Philine Hollaender geboren. Durch das am 2. Oktober 1926 rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts III in Berlin ist die Ehe zwischen dem Friedrich Maurice Hollaender und der Blandine Franzisca Hollaender geborenen Löser geschieden worden.

 

Friedrich Hollaender emigrierte Anfang 1933 in die USA. Bevor die Ehe mit Hollaender und das Schicksal der gemeinsamen Tochter Philine (1924-2005) in der NS-Zeit zu einem Fall werden würde, nahm Blandines Stiefvater, der Spezialarzt Doktor der Medizin Ernst Ebinger, wohnhaft in Straußberg II, die geschiedene Frau Blandine Hollaender geborene Löser am 29. Juni 1933 an Kindesstatt an. Gründe dafür waren vorerst nicht ersichtlich, da Blandine Ebinger zwischen 1933 und 1937 jedes Jahr mindestens mit einer Filmrolle bedacht wurde, vom Kleiner Mann – was nun? (1933) bis Der Berg ruft mit Luis Trenker (1937) und obendrein 1937 unter der Intendanz von Heinz Hilpert am Deutschen Theater in Der erste Frühlingstag auf der Bühne stand. Nachdem sie von Friedrich Hollaender Fahrkarten für den Dampfer erhalten hatte, setzten sich Blandine Ebinger und ihre Tochter Philine in den Zug nach Kopenhagen und emigrierten 1937 in die USA.1946 kehrte die in Hollywood erfolglose Schauspielerin nach Europa zurück, zuerst nach Zürich, dann 1948 nach Berlin, wo sie vor allem mit ihren Chansonabenden die Erinnerung an das Kabarettlied der 1920er-Jahre wach hielt. Jonny geriet – wie neuerdings Udo Lindenbergs Oberindianer aus dem Sonderzug nach Pankow von 1963 – unter die Räder, auch, weil Friedrich Hollaender und Blandine Ebinger im vorauseilenden Gehorsam dem Zeitgeist entgegen kamen: Aus Neger wurde Geiger, aus brauner Haut blasse, aus schwarzem Haar schönes und auf die Pointe mit dem verlassenen schwangeren Liebchen wurde ganz und gar verzichtet: Es ist ein Glücksfall, daß Blandine Ebinger den originalen Jonny von 1920 auf Tonträgern bewahrte.

 

Hans Christoph Buch. LCB, 1975

Dickhardtstraße Nr. 48

Hans Christoph Buch

 

Hans Christoph Buch, geboren am 13. April 1944, ist Schriftsteller, Romanautor und Reporter, Erzähler und Essayist. Nach dem Abitur begann er 1963 an der Universität Bonn ein Studium der Germanistik und Slawistik, das er ab 1964 in Berlin fortsetzte. 1972 promovierte er an der Technischen Universität Berlin bei Walter Höllerer zum Doktor der Philosophie. Als wir im Sommer 2016 auf dieser Webseite über Hans Christoph Buch berichten wollten, schrieb er: Ich wohnte in der Dickhardtstraße 48 im selben Haus mit Nicolas Born um die Ecke von Enzensberger (Fregestr.), den wir manchmal trafen, ebenso wie Johnson und Grass. Wenn Sie das interessiert, könnte ich Ihnen mehr darüber erzählen, aber einen speziellen Text zum Thema Friedenau gibt es von mir nicht. Grüße aus Berlin-Tiergarten - Hans Christoph Buch. Wir haben diese Chance leider nicht genutzt.

 

 

 

Der Literaturkritiker Gregor Dotzauer veröffentlichte am 12. April 2024 im Tagesspiegel einen differenzierten Artikel über den vielseitig wirkenden Schriftsteller, den wir mit Erlaubnis von Autor und Verlag hier im Original wiedergeben.

 

Der Weltliterat - Hans Christoph Buch wird 80 Jahre alt

Von Gregor Dotzauer

 

Die ersten Abrechnungen hat man ihm früh präsentiert. Er habe, musste sich Hans Christoph Buch schon in den 1970er Jahren vorhalten lassen, seine schriftstellerischen Begabungen an das literarische Funktionärswesen verschleudert. Seine eigenen Texte würden dem, was er anderen ins poetologische Stammbuch schreibe, nicht annähernd standhalten.

Noch 1988, so erinnert er sich selbst an die Worte eines Intimfeinds, der dem niederländischen Romancier Harry Mulisch erklären sollte, wer denn ein Jahr vor der Wende im Haus der Kulturen der Welt zusammen mit seinem Freund Peter Schneider und György Konrád die Tagung „Ein Traum von Europa“ ausgerichtet habe: „Das ist der Buch, ein großes Talent, das 1968 vor die Hunde ging.“

Was war geschehen? Nach einer fulminanten Initiation im Jahr 1963, die dem 19-Jährigen eine Lesung vor den Allgewaltigen der Gruppe 47 bescherte, die Publikation in einer von Martin Walser eingeführten Suhrkamp-Anthologie und ein Stipendium des von seinem späteren Doktorvater Walter Hollerer frisch gegründeten Literarischen Colloquiums Berlin, folgte 1966 zwar mit sechs „Unerhörten Begebenheiten“ sein makaber-groteskes Debüt. Dann aber dauerte es geschlagene 18 Jahre, bis er sich mit einem ersten Roman in ein Erzählen zurückschrieb, das er von Anfang an angestrebt hatte.

 

Großvater in Haiti

„Die Hochzeit von Port-au-Prince“ (1984) war der Auftakt zu einer Haiti-Trilogie, mit der er unter Rückgriff auf die Familiengeschichte sein großes Thema fand. Der Apotheker Louis Buch, sein Großvater, war in das karibische Land ausgewandert und hatte dort eine Einheimische geheiratet.

Die bittere Bilanz seiner Wege und Umwege hat er zu seinem 80. Geburtstag am kommenden Samstag aber nun ganz allein gezogen. In einem autobiografischen Essay, der sich in „Der Flug um die Lampe“, einem der beiden Bände zum Jubiläum findet, heißt es unmissverständlich: „Ich will von mir selbst erzählen, von einer verpfuschten Karriere, in der alles schieflief, was schieflaufen konnte, obwohl ich Glück im Unglück hatte.“

In einer Mischung aus trotzigem Selbstbewusstsein und Selbstmitleid, das „Altersdiskriminierung im Literaturbetrieb“ beklagt, heißt es: „Anknüpfend an die Tradition der Frankfurter Schule, verstand ich mich als westlicher Marxist und redete mir ein, den Etikettenschwindel durchschaut zu haben - der Augenschein vor Ort in Moskau und Ostberlin hatte mich eines Besseren belehrt. Aber statt auf Pseudogewissheiten zu verzichten und mich zur Literatur, großgeschrieben, zu bekennen, wurde ich zum Chefideologen einer undogmatischen Ästhetik, die bei Licht betrachtet selbst wieder dogmatisch war, und brach den Stab über schreibende Kollegen, die sich nicht zu meiner Sicht der Dinge aufschwingen konnten oder wollten.“

Der Polemiker Hans Christoph Buch hat es damit weder sich noch anderen leicht gemacht. Ein Jahr, nachdem er sich 1966 mit Peter Handke während der legendären Tagung der Gruppe 47 in Prineeton ein Doppelbett im Holiday Inn hatte teilen müssen, verriss er dessen ersten Roman „Der Hausierer“ im „Spiegel“ nach Strich und Faden. Keine ästhetische Geste könne „die Widersprüche der außerliterarischen Welt“ aufheben, monierte er. Die Einbildung, im „Nirwana der reinen Kunst über den Parteien zu stehen“ stehe ganz „im Dienst der herrschenden Ideologie“.

 

Mitten im Tagesgeschehen

Zehn Jahre später zeigte er sich gegenüber dem „Gewicht der Welt“, dem ersten der berühmten Handke-Journale, in Anbetracht der sprachlichen Dichte und Schönheit der Einträge, zwar nachsichtiger, hielt aber an einem entscheidenden Vorwurf fest: „All das, was seinen Zeitgenossen täglich unter den Nägeln brennt, wird von Handke nicht nur ausgespart, sondern geradezu wütend negiert.“

Mit seinem mehr oder weniger parallel geführten „Gorlebener Tagebuch“ war Buch, der sich ausdrücklich zur täglichen Zeitungslektüre bekannte, der Gegenentwurf zu Handke - nicht zuletzt in der Kunstlosigkeit, mit der er die Kämpfe der Anti-AKW-Bewegung dokumentierte. Der Reporter und der Erzähler, der Engagierte und der Nachdenkliche, der Faktenversessene und der Fiktionsverliebte, liegen bei ihm seit jeher im Widerstreit.

Die Behauptung, dass sich beide widerspruchslos versöhnen lassen, wird von jedem seiner Bücher von Neuem auf die Probe gestellt. Das gilt auch für die heterogenen, zwischen allen Genres changie­renden Essays „Vom Bärenkult zum Stalinkult“, in denen der studierte Slawist seine Geschichte mal offen autobiografisch verhandelt, mal als Erste-Person-Spiegelung von Gestalten wie Alexander Puschkin, Friedo Lampe oder Pierre Radványi, dem Sohn von Anna Seghers.

Die Kunstautonomie, die Buch verteidigt, besteht in der Weigerung, sich vor einen theoretischen Karren spannen zu lassen. Damit hat er sich nach der marxistischen Neuen Linken auch die woke Linke zum Feind gemacht. Sein Interesse für koloniale Gemengelagen, die eines Postkolonialen avant la lettre, leugnet kein Unrecht, sieht aber auch die Ambivalenzen der Geschichte.

Was die Romane und Erzählungen vielschichtig, vielstimmig und farbig entfalten, klingt in der späten Rechtfertigung, wie sie der nach einem afrikanischen Sprichwort benannte Essay „Jeder Greis ist eine Bibliothek“ übt, leider sehr viel holzschnittartiger, und die jammernde Aufzählung der Neider und Konkurrenten, die seine Karriere in eine Sackgasse führten, schwächt Buchs Verdienste unnötig.

 

Reporter im Bürgerkrieg

Tatsächlich gibt es keinen zweiten deutschen Schriftsteller seiner Generation, der die Welt nach allen Richtungen ausgiebiger bereist und mehr zuvor unbekannte Namen und Geschichten mitgebracht hätte. Einen eigenen Schwerpunkt bilden die in „Blut im Schuh“ gesammelten Kriegsreportagen aus Kambodscha, dem Kosovo oder Ruanda. Es sind von Mut, manchmal auch einer Portion leichtsinnigem Selbsterfahrungsheroismus zeugende Texte über die „Schlächter und Voyeure an den Fronten des Weltbürgerkriegs“, wie man sie sonst nur in der angelsächsischen Literatur findet.

Seine über 50 Bücher, die journalistischen Arbeiten, die auch im Tagesspiegel zu lesen waren, die Lehraufträge zwischen China und den USA, die Tätigkeiten als Lektor des „neuen buchs“ im Rowohlt Verlag und als Kurator: All diese Aktivitäten haben Hans Christoph Buch nicht den Erfolg eingebracht, von dem er träumte. In der Summe aber sind sie ein Sieg über die Widrigkeiten eines Berufs, dessen Klippen sich heute wesentlich schlechter umschiffen lassen als vor einigen Jahren.

 

Nicolas Born 1972 in Friedenau. Quelle: Irmgard Born

Dickhardtstraße Nr. 48

Nicolas Born (1937-1979)

 

Den 31. Dezember 2017 wird er nicht erleben. Mit 39 Jahren hat ihn der Lungenkrebs besiegt. Nun wäre er achtzig geworden.

 

Nicolas Born zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der Nachkriegszeit. In den siebziger Jahren erreichte er mit seiner Lyrik eine bis dahin ungekannte öffentliche Aufmerksamkeit. Bekannt wurde er aber 1979 vor allem durch seinen Roman „Die Fälschung“ geworden. Davon erzählt der Film von Volker Schlöndorff: Der Journalist Georg Laschen kommt in den Libanon, um über den Bürgerkrieg zu berichten. Die Zweifel an seinem Beruf wachsen. Er weiß, wie gut sich die bebilderte Story verkaufen würde. Aber es geht nicht um den Krieg, sondern um den Mann, dem nicht klar wird, wer gegen wen warum kämpft und doch darüber berichten soll.

 

Borns Blick richtete sich stets gegen die Erstarrung, gegen alles, was Staat und Gesellschaft heißt und auf Vernichtung des Individuellen aus ist: „Der Staat erließ ja unentwegt Gesetze zu seinem Schutz, so dass wir uns bald in seinem Schutz nicht mehr bewegen können. Das Recht hatte sich in den Staat eingepuppt wie ein Vorrat vom Besten, an dem man sich nicht vergreifen konnte, ohne ein Rechtsbrecher zu sein.“ Nicolas Born fehlt.

 

Ich gebe zu, daß ich schöne Gedichte schreiben wollte, und einige sind zu meiner größten Überraschung schön geworden. Nicolas Born

 

 

 

Die ersten Gedichte von Nicolas Born erschienen 1960-1962 in den Zeitschriften „Fliegende Blätter“ und „Neues Rheinland“. Unmittelbar nach der Gründung des „Literarischen Colloquiums Berlin“ lud dessen Initiator, der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Walter Höllerer (1922-2003), Nicolas Born 1963 in die Arbeitsstätte für Autoren am Wannsee ein. Dort entstand 1965 „Das Gästehaus“, ein Gemeinschaftsroman von Peter Bichsel, Walter Höllerer, Klaus Stiller, Peter Heyer, Hubert Fichte, Wolf Simeret, Elfriede Gerstl, Jan Huber, Hans Christoph Buch, Wolf D. Rogosky, Martin Doehlemann, Corinna Schnabel, Nicolas Born, Joachim Neugröschel und Hermann Peter Piwitt.

 

In den folgenden Jahren lebte Nicolas Born in der Souterrain-Wohnung in der Fredericiastraße in Charlottenburg (1966), in der Wohnung von Peter O. Chotjewitz in der Leibnizstraße (1967), in Nürtingen bei Stuttgart (1968) und in Gailingen bei Konstanz (1970). 1971 zog er in die Friedenauer Dickhardtstraße Nr. 48. Nach einem Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom zieht er sich ins niedersächsische Wendland zurück. Dort stirbt er am 7. Dezember 1979.

 

Nicolas Born, Gedichte. Wallstein Verlag

Drei Wünsche

Sind Tatsachen nicht quälend und langweilig?

Ist es nicht besser drei Wünsche zu haben

unter der Bedingung daß sie allen erfüllt werden?

Ich wünsche ein Leben ohne große Pausen

in denen die Wände nach Projektilen abgesucht werden

ein Leben daß nicht heruntergeblättert wird

             von Kassieren

Ich wünsche Briefe zu schreiben in denen ich

             ganz enthalten bin-.

Ich wünsche ein Buch in das ihr alle vorn hineingehen

             und hinten herauskommen könnt.

Und ich möchte nicht vergessen daß es schöner ist

dich zu lieben als dich nicht zu lieben

Eine zu Tode erschrockene Gesellschaft

 

 

 

 

Schraubstollenfabrik Gebr. Dähne, 1896

Dickhardtstraße Nr. 51

Schraubstollenfabrik Gebr. Dähne

 

Im Jahre 1873 verlegten die Gebrüder Wilhelm und Carl Dähne ihre Schraubstollen-Fabrik von der Kreuzbergstraße in Berlin nach Friedenau in die Ringstraße Nr. 42. Als der Journalist Christoph Joseph Cremer 1896 in der Publikation „Das gewerbliche Leben im Kreise Teltow“ ein Firmenporträt präsentierte, titelte er Gebrüder Dähne, Schraubstollen-Fabrik. Friedenau, Ring-Straße Nr. 51. Die Gemeinde Friedenau hatte inzwischen eine neue Hausnumerierung festgelegt: Nr. 42 wurde Nr. 51. Nachdem aus der Ringstraße 1962 die Dickhardtstraße wurde, blieb diese Numerierung weitgehend erhalten.

 

Das Dähnesche Etablissement, im Friedenauer Adressbuch 1874 Schmiede genannt, welches auf dem eigenen Grund und Boden der Inhaber erbaut ist, nimmt auf dem Hofraum als einstöckiges Gebäude 80 Quadratmeter Fläche ein. Der Raum zur ebenen Erde enthält die Essen, zwei Friktionshämmer und die sechspferdige Dampfmaschine. Im oberen Stock stehen die Fräs- und Gewindeschneidmaschinen.

 

 

Christoph Joseph Cremer lässt seine Leser wissen, dass die Inhaber den Betrieb immer mehr erweiterten, die Zahl der Arbeiter aber stetig einschränkten. Sie schafften sich nämlich Maschinen an, deren Hilfe die Menschenkraft bis zu einem gewissen Grade entbehrlich machte. Die fertige Ware kostet gegenwärtig kaum so viel, wie früher an Arbeitslohn für Herstellung derselben ausgegeben wurde. Dieser Umstand kann als Fingerzeig für die Wege gelten, welche die Industrie zu wandeln hat. Zugleich aber liegt darin die sehr deutliche Erklärung eines der wesentlichsten Gründe für die sogenannte soziale Frage.

 

Was geschah im Hof der Ringstraße? Die im Querschnitt quadratischen Stahlstäbe, aus denen die Stollen angefertigt werden, kommen in den Stärken, in denen sie zur Verwendung gelangen sollen, fertig vom Eisenwerk, meist aus Westfalen. Unter dem Friktionshammer, der bei drei Viertelmeter Fallhöhe mit einem Zentner Bärgewicht arbeitet, werden stets paarweise erst die Zapfen, dann die Schärfen in Gesenken warm geschmiedet und darauf die Teilung vorgenommen. Der im Rohen fertige Stollen gelangt in die Fräsmaschine, welche den Zapfen zum Einschneiden des Schraubengewindes vorrichtet. Nachdem Letzteres auf der Maschine geschnitten ist, werden die Stollen in der Reinmachetrommel von Fett und Anhängsel befreit. Die fertigen Stollen werden zu 500 Stück in Säcke gepackt und in Kisten verschickt. Die Firma fertigt 24 Sorten von Schraubstollen an. Von der kleinsten Sorte wiegen 1000 Stück 15 Kilo, von den größten 1000 Stück 100 Kilo. Der Form nach werden ganz scharfe, halbscharfe, flachscharfe, stumpfe und spitze (pyramidenförmige) unterschieden. Jahr aus Jahr ein kommen in der Fabrik der Gebrüder Dähne an 1000 Zentner Stahl zur Verarbeitung.

 

Seit dem Tod der Firmengründer führen zwei Söhne von Wilhelm Dähne das Geschäft mit sechs Gesellen weiter – jeden Tag 10.000 Stück Stollen. 1943 heißt der Eigentümer des Anwesens Ringstraße Nr. 51 Dähnesche Erben. Im Haus wohnen Frau M. Dähne und Frau H. Dähne, Monteur W. Gladosch, Propagandistin F. Gründel und Laborant K. Titze. Das Haus Nr. 51 hat den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt. Es entstand ein Neubau.

 

Nachzutragen ist, dass Herr Julius Koch und seine Ehefrau Marie geb. Feske am 7. Januar 1908 das Fest der silbernen Hochzeit feierten: Seit Oktober 1873 ist Herr Koch ununterbrochen in Friedenau und seit dieser Zeit bei der Firma Dähne in der Ringstraße beschäftigt. 34 Jahre hat der Jubilar im Hause der Gebrüder Dähne, Ringstr. 51, gewohnt, seit dem vorigen Jahre wohnt er Kaiser-Allee 90. Wie Herr Koch dem Orte, seinem Arbeitgeber, vor allem seiner lieben Frau viele, viele Jahre treu blieb, so spricht er auch gern davon, dass er Abonnent unseres ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger‘ von der ersten Nummer an ist.

 

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Schraubstollen-Fabrik der Gebrüder Wilhelm und Carl Dähne
Firmenportrait von Christoph Joseph Cremer, 1896
aus „Das gewerbliche Leben im Kreise Teltow“

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Dickhardstraße 54, Ringstraße, 1951. Sammlung Staudt, Museum Schöneberg

Dickhardtstraße Nr. 54

 

Die Fotografie des zerstörten Hauses in der Ringstraße Nr. 54 (heute Dickhardtstraße Nr. 54), aufgenommen von Herwarth Staudt am 15. Dezember 1951 im Auftrag des Baulenkungsamtes Schöneberg, weist daraufhin, dass sich einst hinter dem Wohnhaus im Hinterhof Garagen und Tankstelle befanden. Die Anlage müsste 1925 entstanden sein, da August Müller das Anwesen erwarb und dort ein Automobilhaus eröffnete. Bereits 1935 wurde das Automobilhaus in Groß-Garagen A. Müller umgewandelt. Nachdem das Vorderhaus im Weltkrieg zerstört worden war, ging auf dem Hof das Geschäft weiter – bis 1960/61 unter Garagen und Tankstelle Auguste Müller Ringstraße Nr. 54, danach unter der Adresse Berlin 41, Dickhardtstraße 54. Im Telefonbuch 1970/71 ist Auguste Müller nur noch mit der Wohnanschrift Berlin 62, Martin-Luther-Straße Nr. 124 eingetragen. Es ist davon auszugehen, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt auf dem Grundstück ein fünfgeschossiger Neubau mit einer Durchfahrt zum Innenhof entstand.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dickhardtstraße 56. Aufnahme von 1988. Topographie Friedenau

Dickhardtstraße Nr. 56

 

Das viergeschossige Mietshaus Dickhardtstraße 56 wurde 1904-05 von Maurermeister August Colosser geplant. Die neobarocke Fassade des Hauses (mit Jugendstilanklängen) zeigt einen asymmetrisch angeordneten zweiachsigen Standerker mit seitlichen Balkons. Daneben befindet sich der Hauseingang, der von einem Pfeilerportal mit Sprenggiebel gerahmt wird. Der Standerker ist in den einzelnen Geschossen um die Fenster mit aufwendigen Architekturrahmungen ausgestattet, so im Erdgeschoß mit Pfeilern und einem Sprenggiebel, in dem ein Putto in Halbfigur Girlanden hält. Die Fenster in den Geschossen darüber sind entsprechend gestaltet. Im dritten Obergeschoß schließt ein großer Schweifgiebel mit Kartusche und Frauenkopf im Giebelfeld den Erker ab. Das originale Jugendstilgitter (mit Kastanienblatt-Motiv) friedet den Vorgarten ein. Topographie Friedenau, 2000

 

Die Grundsteinlegung der Sarkamm'schen Villa in der Ringstraße Nr. 56 (seit 1962 Dickhardtstraße) erfolgte am 16. Dezember 1904. Der Friedenauer Lokal-Anzeiger war dabei:

 

In dem zur Vermauerung gekommenen Kästchen waren enthalten: 1. Die von Herrn Baumeister Strauß verfaßte Denkschrift über die geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung unserer Gemeinde, von den vier Geschwistern in allen Punkten gelesen, genehmigt und unterschrieben, sowie auch vom Bauausführenden Herrn August Colosser (1856-1938) und dessen Sohn Otto Colosser (1878-1948) und dem Mauerpolier Schombel unterzeichnet. 2. Sechs Photographien von Familienangehörigen, zwei Kranzatlasschleifen, eine von der Gemeinde Friedenau, die andere vom Verein ‚Schlesvigia‘ des verstorbenen Rentier Gustav Sarkamm (1844-1902), eine Zeitschrift: ‚Sport in Wort‘, enthaltend einige von Otto Colosser selbst verfasste Artikel zum 30jahrigen Bestehens der Gemeinde Friedenau, ‚Jungfrau Friedenau‘, Lied von Eduard Jürgensen. 3. Festfolge zur Feier des 30jährigen Bestehens der Gemeinde Friedenau. Die Zeitungen ‚Friedenauer Lokal-Anzeiger vom 9. bis 11. November und 14. Dezember. 4. ‚Das Grundeigentum‘ Nr. 50, ‚Die Welt am Montag‘ Nr. 50. Die ‚Baugewerkszeitung‘ Nr. 100, der ‚Berliner Lokalanzeiger‘ Nr. 587, ‚Die Flamme‘ Nr. 306 und ‚Nimm mich mit für 5 Pfg.‘ Nr. 13. 5. Ein verschlossenes Briefkuvert, enthaltend: verschiedene statistische Daten über den Bau und über das Mitwirken des Stadtverordneten und Maurermeisters August Colossers an der Entwickelung Friedenaus und des Schöneberger Ortsteils, ferner einige Sprüche von Sohn Otto Colosser. 6. Von Fräulein Gertrud Sarkamm und Herrn Otto Colosser Geldmünzen, von Herrn Strauß Visitenkarten.

 

Hierauf gaben, nachdem die Sandsteinplatte vom Herrn Maurermeister Herrn August Colosser in Cementmörtel kunstgerecht und gut schließend über die den versenkten Kasten in sich liegende Öffnung eigenhändig verlegt und vermauert war, alle Anwesenden der Reihenfolge nach die üblichen drei Hammerschläge auf die Sandsteinplatte ab. Während Herr Maurermeister August Colosser die Sandsteindeckplatte mit den Worten ‚Denn im Namen Gottes‘ vermauerte und festlegte, sprach Herr Strauß unter Ausübung seiner drei Hammerschläge nachfolgende Worte: ‚Wie fein und lieblich ist es, wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen!‘ Herr Colosser jun.: ‚Einig, einig, einig!‘ Der Mauerpolier Schombel: ‚Mit Gottes Segen!‘ Damit war die Feier auf der Baustelle beendet, während sich in der Bauherren-Wohnung eine kleine Nachfeier zum Zwecke des Begießens des verlegten Grundsteines mit einigen Gläsern Sekt anschloß..

 

Wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen – gemeint sind damit Meta, Willy, Gertrud und Bruno, die Kinder von Kaufmann Gustav Sarkamm (1844-1902). Er hatte 1884 in der Ringstraße ein Grundstück mit einem Landhaus erworben und war mit der Familie von Berlin NW Heidestraße Nr. 53a in den Vorort gezogen. Ab 1893 war Sarkamm in der Gemeinde-Verwaltung als Schöffe und Vorsitzender des Armen-Ausschusses tätig.

 

Im Januar 1896 gab es die Heirat seiner Tochter Meta mit Dr. med. Bernhard Hartleib, der seit 1891 eine Praxis in der Handjerystraße Nr. 77 führte. Das Ehepaar wohnte in der Schmargendorfer Straße Nr. 11. Am 22. März 1896 starb nach langer Krankheit im Alter von 48 Jahren Sarkamms Ehefrau Clara geb. Oertel. Tochter Meta brachte im Dezember 1896 eine Tochter und im März 1898 ein Sohn zur Welt. Am 3. Juni 1898 starb an einer hochgradigen Lungenentzündung im Alter von 33 Jahren ihr Ehemann Bernhard Hartleib. Zurück blieben Vater Gustav Sarkamm, seine unverheirateten Kinder Willy, Bruno und Gertrud sowie Witwe Meta Hartleib mit den beiden Kindern.

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass nun der Bau eines größeren Wohnauses für die Familie auf dem Grundstück Ringstraße Nr. 56 geplant wurde. Zurate gezogen wurde August Colosser (1856-1938), Baugewerksmeister und Inhaber eines Baugeschäfts in Friedenau, der sich durch seine Mehrfamilienhäuser in der Wielandstraße einen Namen gemacht hatte. Bauherr Gustav Sarkamm erlebte weder die Grundsteinlegung der Sarkamm'schen Villa noch den Einzug seiner Kinder in das Haus. Nach seinem Tod am 12. März 1902 ging das Anwesen an die Sarkammschen Erben. Eingezogen sind Witwe Meta Hartleib geb. Sarkamm mit den Kindern, die Brüder cand. jur. Willy Sarkamm und stud. jur. Bruno Sarkamm sowie Malerin Gertrud Sarkamm. Bis 1923 sind alle Sarkamms in der Ringstraße Nr. 56 ausgezogen. Das Anwesen bleibt bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz der Sarkammschen Erbengemeinschaft.