Am 14. April 1905 gibt Friedenaus Amtsvorsteher Bernard Schnackenburg zur Kenntnis, daß die Straße 11 — Verbindungsstraße der Stubenrauch- und Wilhelmstraße — den Namen Eschenstraße erhalten hat.
Adreßbuch Eschenstraße zwischen 1906 und 1940
Eschenstraße Nr. 2
Das viergeschossige Mietswohnhaus Eschenstraße Nr. 2, das der Architekt Josef Becker (wie auch die Häuser Nr. 6 und 7) nach eigenen Plänen für sich selbst als Bauherr 1905 errichtet hat, zeigt in der Ecksituation auf der Nordseite der hier stumpfwinklig abknickenden Straße eine asymmetrische, dreizehnachsige Straßenfassade mit drei Risaliten. Der mittlere Risalit nimmt das straßenseitig gelegene Treppenhaus auf. Die Risalite werden von unterschiedlich ausgeführten Quergiebeln mit Fachwerk bekrönt, die dem steilen Schieferdach eine malerische Gliederung geben. Die gut erhaltene Stuckfassade zeigt eine Rustizierung des Erdgeschosses und eine Gliederung der Risalite mit rustizierten Pfeilervorlagen, die mit Frauenköpfen geschmückt sind. Die Brüstungen zwischen den Pfeilervorlagen sind mit Stuck-Kartuschen gefüllt. Das dritte Obergeschoss ist durchgehend mit kleinen Pilastern gegliedert. Die Jugendstil-Fassade des Hauses demonstriert die Qualität der neuen, nicht mehr historistisch orientierten Berliner Mietshausarchitektur. Der Vorgarten ist mit einem Jugendstilgitter zwischen Ziegelpfeilern eingefriedet. Topographie Friedenau, 2000
Eschenstraße Nr. 3
Paul Rosenhayn (1877-1929)
Kennen Sie Paul Rosenhayn? Wir kannten den Autor bisher auch nicht. Das scheint eine Bildungslücke zu sein, weil die 1915 veröffentlichten und nun wieder erhältlichen Detektivgeschichten für Krimifans eine echte Entdeckung sind. Sie gestehen allerdings ein, dass die Sprache manchmal etwas antiquiert wirkt, aber dies würde durch ausgefallene Plots und Bezüge auf das Zeitgeschehen wettgemacht.
Joe Jenkins ist der Held, ein amerikanischer Privatdetektiv, der sich nach seiner Ankunft in Berlin an angeblich unlösbare Fälle macht: Ein verschollener Geheimvertrag, ein geheimnisvolles grünes Licht, ein zurückgekehrter Toter, ein hinterhältiger Mord in der Theaterszene, ein rätselhafter Flugzeugabsturz. Joe Jenkins übernimmt jeden Fall, sofern die Polizei mit ihrer Weisheit am Ende ist, und sorgt mit seinem Verstand für Aufklärung und Gerechtigkeit.
Paul Rosenhayn wurde in Hamburg geboren, wuchs zunächst in England auf, reiste durch Europa und Amerika und schrieb für englische und deutsche Zeitungen. Die Sprachkenntnisse, das Verständnis für die beiden Milieus, öffneten ihm die Welt. 1921 ließ er sich in der Friedenauer Eschenstraße Nr. 3 nieder und schrieb Kriminalgeschichten. Der weltgewandte Journalist wusste, was er dem Publikum liefern musste. Er orientierte sich an Sherlock Holmes, lieferte auf 15 bis 25 Seiten spannende Geschichten und legte 1915 die Elf Abenteuer des Joe Jenkins vor:
Das grüne Licht: Über nur scheinbar gut versteckten Geheimpapieren leuchtet immer wieder ein unheimliches Licht / Wenn die Toten wiederkehren: Als die Gattin ihren verstorbenen Ehemann zu sichten glaubt, landet sie in der Zwangsjacke / Proszeniumsloge Nr. 1: Ausgerechnet ein Prominenten-Mord begleitet den erfolgreichen Start einer neuen Zeitung / Der Geldbrief: Der Raum war nachweislich fest verschlossen, trotzdem verschwand der titelgebende Brief / Ein Ruf in der Nacht: Nächtliche Telefonanrufe und mysteriöse Botschaften ängstigen einen Fabrikanten / Das Haus im Schatten: Was sein neuer Mieter in dem alten Gebäude treibt, dünkt den Besitzer so seltsam / Das Logenbillett: Der Einbruch scheint ein klarer Fall zu sein / Rauch im Westwind!: Die Elite der skandinavischen Flugpioniere wird durch eine Absturzserie dezimiert / Der Similischmuck: Dass die junge Frau vom einem Hausierer Schmuck erwarb, dessen Wert sich im sechsstelligen Bereich bewegt, kommt nicht nur dem Gatten verdächtig vor / Die Amati: Der Musikus fühlt sich von einem gespenstischen Doppelgänger verfolgt / Die Visitenkarte: Immer wieder werden dem reichen Geschäftsmann die Visitenkarten eines längst verstorbenen Zahnarztes zugeschickt.
Über Nacht wurde Rosenhayn berühmt. Die Filmindustrie griff zu. Zwischen 1917 und 1919 schrieb er Drehbücher für zwölf Spielfilme, die allesamt von der Zensur mit Jugendverbot belegt, aber Bestseller auch in England, Frankreich und den USA wurden. Rosenhayn war eine Größe der deutschen Unterhaltung. Eine Zukunft in Hollywood schien nahe, aber er starb 1929 im Alter von nur 52 Jahren in Berlin. Nun sind die Elf Abenteuer des Joe Jenkins wieder da – im Original von 1915. Das Projekt Gutenberg hat außerdem die Kriminalromane Der Ruf aus dem Aether, Der Schlittschuhläufer, Die drei aus Hollywood, Die Yacht der Sieben Sünden und Nachtanruf im Internet zur freien Verfügung gestellt.
Eschenstraße Nr. 6
Entwurf & Bauherr Architekt Josef Becker,
1905
Das Mietwohnhaus Eschenstraße Nr. 6 hat zwei Aufgänge und eine zwölfachsige, völlig symmetrische Fassade. Beiderseits der beiden straßenseitigen Treppenhäuser ist je ein Erker mit äußeren Balkonloggien angeordnet, in der vierachsigen Mitte befindet sich pro Geschoss je ein Doppelbalkon. Das Dach wird durch einen eingeschossigen Dachpavillon mit Atelier überhöht, in der Brüstung unter dem Atelierfenster befindet sich ein großes Rankenrelief mit Früchten und Vögeln. Die Erker sind im ersten und zweiten Obergeschoss durch korinthische Kolossalpilaster gegliedert, und ihr oberer gerader Abschluß ist mit seitlichen Voluten verziert. Die beiden Hauseingänge werden durch neoromanische Trichterportale mit Archivolten und Säulchen hervorgehoben. Dieses Haus ist noch mit historistischen Elementen gestaltet worden.
Topographie Friedenau, 2000
Eschenstraße Nr. 6
Heinrich Mißfeldt (1872-1945)
Bildhauer haben es nicht einfach. Das ist bei Richard Scheibe so, der 1937 das Symbol für die Bereitschaft der Luftwaffe und 1939 das Hoheitszeichen mit Adler und Hakenkreuz schuf und in der neuen Zeit 1953 das Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944 kreierte, das ist bei Heinrich Mißfeldt so, der 1916 die Skulpturengruppe Wein, Weib und Gesang für den Ratskeller im Rathaus Friedenau schuf und 1936 die Plaketten von Adolf Hitler und Hermann Göring in der Bildgießerei von Hermann Noack in Bronze gießen und von der Aluminium-Werke AG vereinfacht vervielfältigen ließ.
Mißfeldt, 1872 in Suchsdorf bei Kiel geboren, besuchte nach der Holzbildhauerlehre ab 1891 die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin und studierte dann an der Akademie für Bildende Künste. Die ersten Aufträge kamen aus seiner Heimat, Büste und Statuette des Schriftstellers Klaus Groth. 1898 hatte er eine Wohnung in der Schmargendorfer Hundekehlestraße Nr. 11.
Mit der Bronzestatuette Kugelspieler gelang Mißfeldt 1903 der künstlerische Durchbruch. 1906 gab es in Kiel die Hochzeit mit Bertha geb. Meyer, der Tochter des plattdeutschen Autors Johann Meyer. 1907 zog das Ehepaar in die Wohnung Eschenstraße Nr. 6 und er mietete gleich nebenan in der Wilhelmstraße Nr. 7 ein Atelier im Bildhauerhof von Valentino Casal. Dort entstanden Denkmale, Grabmale und Figuren aus Marmor. Als sich Bürgermeister Bernhard Schnackenburg von Friedenau verabschiedete, gab die Gemeinde 1909 bei Mißfeldt die Bronze Abschied in Auftrag – gegossen in der Bildgießerei Noack.
Mit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg verliert er sein Atelier, da das Anwesen des Italieners Valentino Casal konfisziert, in den Besitz des Bezirksamts Schöneberg kommt und schließlich abgerissen wird. Nach dem Ende des Kaiserreichs rettet er sich mit Kriegerdenkmalen und Grabmalen über die Runden. Die Wohnung in der Eschenstraße wurde aufgegeben. 1936 zogen die Mißfeldts in die Stierstraße Nr. 20.
Dokumentiert sind seine letzten Arbeiten: Reliefportrait Adolf Hitler, Bronze, Guss von H. Noack, sign. H. Mißfeldt, 7,8 x 8,2 cm, zwei Plaketten ‚Adolf Hitler und Hermann Göring‘, Aluminium poliert, Göring goldfarben eloxiert, Hitlerplakette zusätzlich datiert 1936, signiert Heinrich Mißfeldt, Maße H. 8 x B. 8 cm und Reliefbild (Kopf) Adolf Hitler, Sandguss, Aluminium, poliert), hergestellt in der Lehrgießerei der Vereinigte Aluminium-Werke AG Lauta nach einer Vorlage des Bildhauers Heinrich Mißfeldt von 1936.
1944 fallen Bomben auf die Wohnhäuser Stierstraße Nr. 16 bis Nr. 20. Die biographischen Angaben zu Heinrich Mißfeldt enden (bisher) mit: † 27. Oktober 1945 in Torgau. Das führt zu Spekulationen. Wie kam er nach Torgau? Dort hatte die sowjetische Geheimpolizei NKWD im August 1945 im Fort Zinna bei Torgau das Speziallager Nr. 8 eingerichtet, in dem feindliche Elemente in Gewahrsam zu halten waren. Bekannt ist, dass die Mehrzahl der Gefangenen der NSDAP oder NS-Organisationen angehörte. Heinrich Mißfeldt starb im Alter von 73 Jahren.
Eschenstraße Nr. 7
Hans Richter (1881-1976)
Das viergeschossige Haus Eschenstraße Nr. 7 wurde 1905 vom Maurermeister und Architekten Josef Becker mit zwei Aufgängen errichtet. Mittig im Bereich des Dachgeschosses befindet sich ein fünftes Geschoss mit vier schmalen Fenstern und darüber ein Atelierfenster. Damit entstanden auf zwei Ebenen Wohnung und Atelier.
Anfang Februar 2025 erreichte uns eine Mail von Jan Philip Müller: Letztens bin ich darüber gestolpert, dass der Künstler Hans Richter um die Jahre 1922-26 in der Eschenstr. 7 gewohnt hat oder sein Atelier hatte. Da Sie auf der Website einen Eintrag zur Eschenstraße 7 haben, dachte ich, das könnte Sie vielleicht interessieren.
Das war uns nicht bekannt, anderen vor uns wohl auch nicht, da Hans Richter in der Friedenau-Literatur der vergangenen Jahrzehnte mit keinem Wort erwähnt wird. Laut Geburtsurkunde Nr.304 wurde Hans Richter (Johannes Siegfried), mosaischer Religion, am 6. April 1888 als Sohn des Kaufmanns Moritz Richter und seiner Ehefrau Ida geborene Rothschild in deren Wohnung in Berlin Universitätsstraße Nr. 3b geboren. Auf der Urkunde finden sich zwei Stempel, der eine vom 19. Juni 1941: Auf Grund der Zweiten Verordnung vom 17. August 1938 zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamnen und Vornamen führt das nebenbezeichnete Kind zusätzlich den Vornamen ‚Israel' – der andere vom 18. November 1952: Mit Kontrollratsgesetz vom 20. September 1945 ist die Verordnung zur Durchführung des Namensänderungsgesetzes vom 17. August 1938 mit rückwirkender Kraft widerrufen worden. Der Randvermerk über den zusätzlich angenommenen Vornamen ist dadurch ungültig.
Dazwischen lag ein halbes Leben. Nach einer Lehre als Zimmermann und Tischler im väterlichen Betrieb studierte er an der Hochschule für Bildende Künste Berlin und an der Kunstakademie Weimar. 1914 wird er eingezogen und Monate später an der Ostfront schwer verwundet, teilweise gelähmt begibt er sich 1916 zur weiteren Behandlung nach Zürich. Dort trifft er auf die Dadaisten um Hugo Ball, Emmy Hennings, Hans Arp, Richard Huelsenbeck und Tristan Tzara. 1917 entwirft er das Plakat zur ersten Dada-Ausstellung. Ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs reiste Hans Richter im September 1919 von Zürich über München nach Berlin.
Hier reift die Erkenntnis, daß sich die Gesetze der Malerei nicht allgemein auf die des Filmemachens übertragen lassen. Während bei der Malerei das Element ‚Form‘ im Vordergrund steht, nimmt beim Film ‚Zeit‘ eine wichtigere Rolle ein. Das einfache Rechteck der Filmleinwand konnte leicht aufgeteilt und orchestriert werden, indem ich die Form der Filmleinwand als mein bildliches Blickfeld benutzte. Teile der Leinwand konnten gegeneinander bewegt werden. So wurde es auf dieser Filmleinwand möglich, sowohl durch Kontrast als auch durch Analogie die verschiedenen Bewegungen zueinander in Beziehung zu setzen. So konnte ich meine Papierrechtecke und Quadrate wachsen und verschwinden, springen und gleiten lassen in wohl artikulierten Zeiträumen und geplanten Rhythmen.
Die Kunsthistorikerin Marion von Hofacker schreibt 1982: Um Geld für seine Filmexperimente zu verdienen, dreht Richter 1921/22 kleine Werbefilme, beispielsweise für einen Blumenladen: Richter baut einen Projektor im Fenster seiner Wohnung im oberen Stockwerk auf und projiziert von dort aus einen Zeichentrickfilm auf den Bürgersteig unterhalb des Fensters. Die Menschen bleiben fasziniert stehen. In dieser Zeit entsteht der Film Rhythmus 21, für Richter auf 1 ½ Minuten Länge visuelle Bewegungskunst, ein Ballett schwarzer, weißer und weniger grauer geometerischer Flächen in einem einheitlichen durch das ganze Bild gehenden Rhythmus – heute für Cineasten ein Schlüsselfilm der Moderne.
Das wohl bedeutendste Dokument zum Atelierstudio in der Eschenstraße Nr. 7 wird im Archiv der Yal University Library New Haven aufbewahrt: Die erste Ausgabe von „G“ (Material für Grundbau) vom Juli 1923 – eine Publikation auf vierfach gefaltenem Zeitungspapier im Rheinischen Format: Herausgeber: Hans Richter. Redaktion: Graeff. Lissitzky. Richter. Redaktion und Vertrieb: Berlin-Friedenau, Eschenstr. 7 – Telefon Rheingau 9978.
Die Aufgabe dieser Zeitschrift Ist: Die allgemeine Situation der Kunst und des Lebens zu klären. Im Hinblick darauf wählen wir das Material, Artikel und Werke, die sich um Klarheit – nicht nur um Ausdruck – bemühen. Alles, was der schöpferischen Arbeit und dem schöpferischen Arbeiter nutzen kann (technisch, theoretisch, ideologisch, wirtschaftstechnisch, pädagogisch etc.) wird veröffentlicht. Wir bitten um Photos, Chlichees, Diagramme, um Kataloge, Reklamewerke, um Rezensions-Exemplare von Zeitschriften und Neuerscheinungen, um Fliegeraufnahmen usw. – soweit sie für unsere Arbeit von Bedeutung sein können. Zeitschriften, welche „G“ besprechen oder Nachdrucke bringen, werden um belegexemplare ersucht.
Werner Graeff (1901-1978), El Lissitzky (1890-1941) und Hans Richter (1881-1976) veröffentlichten in „G“ erstmals den zeichnerischen Entwurf eines dreieckigen 20-stöckigen Bürohochhauses am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin, die Haut- und Knochen-Architektur von Ludwig Mies van der Rohe, deren Hauptnutzungsflächen weitgehend variabel und die Fassade vollständig verglast daherkommt.
Hans Richter hat als Maler, Graphiker, Bildhauer, Regisseur, Produzent und Autor ein vielschichtiges Werk hinterlassen. Er gehört neben Hans Arp, Man Ray, Kurt Schwitters, Hanna Höch, Richard Huelsenbeck, Hugo Ball, Marcel Duchamp, Max Ernst, Tristan Tzara und Raoul Hausmann zu den wichtigen Künstlern des Dadaismus – Hans Richter war Pionier des abstrakten Kunst-Films. Langer Rede kurzer Sinn: Da diese Filme über YouTube abrufbar sind, stellen wir einige weiter unten vor.
Als die Nationalsozialisten 1933 die Herrschaft übernahmen, wurde der deutsche Film weltweit bewundert, darunter auch Pionierleistungen des Avantgarde-Films wie Hans Richters Inflation (1928). Dann kam 1937 im Haus der deutschen Kunst in München die Ausstellung Entartete Kunst. Im Obergeschoss 5. Raum hing Richters Farbenordnung, Tempera auf Papier 47,5 x 60 cm, NS-Inventar-Nr. 16071, erworben 1923 vom Landesmuseum Hannover, 30 RM. Aktueller Vermerk: Verbleib unbekannt. Eine weitere Arbeit, der Farbholzschnitt Tänzerin aus dem Museum Folkwang Essen wurde ebenfalls als entartet erklärt.
Am Beginn des Zweiten Weltkrieges befindet sich Richter in der Schweiz. Die Fremdenpolizei soll ihn aufgefordert haben, das Land zu verlassen. Mit Hilfe der Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society New York (HIAS) und Unterstützung des Guggenheim-Museums besteigt er am 5. April 1941 den Dampfer von Lissabon nach New York: Mein Herz war schwer im Anblick der sich entfernenden Silhouette Portugals, es wurde nicht leichter, als ich in New York ankam — die Stadt machte mir Angst Sodom und Gomorrah. Ich war verwirrt von der unglaublich kühnen Arroganz der Gebäude. Der Himmel war zu einem Accessoire der Stadt geworden und nicht umgekehrt, er war ein kleines Loch im Dach.
1942 wird Hans Richter Dozent am City College of New York und übernimmt die Leitung des Filminstitutes. 1946 wurde Richters erste Einzelausstellung in der Galerie von Peggy Guggenheim in New York eröffnet. 1947 präsentiert er Dreams That Money Can Buy. (Regie, Drehbuch, Idee, Co-Produzent), sein wohl berühmtestes Werk. Bei diesem Film wirkten unter anderem Marcel Duchamp, Max Ernst, Fernand Léger, Alexander Calder und Man Ray mit.
1956/57 entstand in Zusammenarbeit mit Marcel Duchamp und Jean Cocteau 8 x 8 - A Chess Sonata in 8 Movements, in dem er filmisch acht Schachpartien verarbeitete – prominent besetzt mit Marcel Duchamp (in der Rolle als weißer König), Hans Arp, Paul Bowles, Ceal Bryson, Alexander Calder, Jean Cocteau, Dorothea Ernst, Max Ernst, Richard Huelsenbeck, Friedrich Kiesler, Julien Lary, Julien Levy, Fernand Léger, Jaqueline Matisse, Darius Milhaud, Eugene Pellegrini, Man Ray, Dorothea Tanning, Yves Tanguy und Willem de Vogel. Die Künstler hatten auf dem Rasen von Richters Sommerhaus in Southbury (Connecticut) mit weißem Mehl ein riesiges Schachbrett gemalt, auf dem die Mitwirkenden ihre Gedanken und Phabtasien spielerisch darstellten. Der Film wurde am 7. März 1957 im Museum of Modern Art New York gezeigt.
1958 entscheiden sich Hans Richter und seine Ehefrau Frida Ruppel für die Rückkehr nach Europa. Sie ziehen in die Schweiz. Immerhin gelang der Berliner Akademie der Künste Berlin 1958 mit Hans Richter – Ein Leben für Bild und Film eine erste Einzel-Ausstellung. Nachdem 1965 bei DuMont Köln Richters Buch Dada-Kunst und Antikunst: Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts mit einem Nachwort von Kunstkritiker Werner Haftmann, dem Direktor der Neuen Nationalgalerie in West-Berlin von 1967-1974, erschienen war, entschloss sich die Akademie der Künste Berlin 1971, Hans Richter als Außerordentliches Mitglied der Sektion Bildende Kunst aufzunehmen. Fünf Jahre später verstarb Hans Richter am 1. Februar 1976 im Alter von 88 Jahren in Minusio (Tessin).
Im Rahmen der Berliner Festwochen 1977 gab es am Hanseatenweg im Tiergarten die Ausstellung Tendenzen der Zwanziger Jahre – Dada in Europa, Werke und Dokumente und im Arsenal in der Welserstraße Filme der Avantgarde, darunter nicht näher bezeichnete Kurze Filme von Hans Richter. Rückblickend war das zu wenig und auch beschämend. 1982 kommt es in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Zürich und der Galerie im Lenbachhaus München zu einer weiteren Ausstellung in Berlin. 2014 wurden im Martin-Gropius-Bau unter dem Titel Hans Richter: Begegnungen – Von Dada bis heute 150 seiner Arbeiten präsentiert. Dadurch, so hieß es, eröffnet sich ein neues Verständnis von der Vielfalt seines Schaffens. Reichlich spät.
Filme von Hans Richter
Nachtrag
Herr Jan Philip Müller hat uns zu neuen Recherchen über die Eschenstraße Nr. 7 veranlasst. Nun fanden wir heraus, daß im Haus Eschenstaße Nr. 7 zwischen 1906 und 1943 folgende Künstler gearbeitet haben:
Malerin Emmy Meyer (1906)
Bildhauer Max Ziegler (1907)
Maler M. Hübner (1908)
Malerin Alice Kownatzki (1911)
Maler Hans Richter (1922)
Photograph Walter Peterhans (1930)
Maler Ernst Oscar Albrecht (1935)
Weiteres in Vorbereitung