Ernst Ludwig Kirchner, Straßenbahn und Eisenbahn, 1914. Museum Behnhaus Drägerhaus Lübeck.

 

Bekannt wurde die Brücke 1914 durch Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938), der im Oktober 1913 von der Durlacher Straße Nr. 14 in Wilmersdorf an das Bahngelände gezogen war. Von seinem Atelierfenster in der Körnerstraße Nr. 45 hatte er einen freien Blick auf die Gleise von Wannsee- und Stammbahn und die Brandmauern der schon zu Friedenau gehörenden Häuser in der Saarstraße. Die Aussicht hat den Maler fasziniert. Das Motiv gibt es in mehreren Varianten, in Öl auf Leinwand, als Zeichnung und als Holzschnitt. Das hier veröffentlichte Gemälde Straßenbahn und Eisenbahn wurde 1971 von der Possehl-Stiftung für das Museum Behnhaus Drägerhaus erworben und uns von Herrn Dr. Alexander Bastek, dem Leiter des Lübecker Hauses, zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen unter https://sammlung.museum-behnhaus-draegerhaus.de/

 

An der Friedenauer Brücke treffen die Gemarkungen von Friedenau (Saarstraße), Schöneberg (Rembrandtstraße) und Steglitz (Körnerstraße) aufeinander. Die Saarstraße war bis 1898 eine Sackgasse und endete vor den Trassen von Stammbahn und Wannseebahn. Einig waren sich die Gemeinden von Friedenau und Schöneberg schon im Dezember 1894, dass eine Brücke sowohl für jenen im Entstehen begriffenen östlichen Schöneberger Stadtteil als auch für die weitere Entwicklung von Friedenau wünschenswert wäre, und eine durch die Saar- und Kirchstraße (heute Schmiljanstraße) führende Straßenbahnverbindung der Linie Kaiserallee – Zoologischer Garten nur eine Frage der Zeit sein dürfte.

 

Es vergingen Jahre. Nachdem der Schöneberger Haus- und Grundbesitzerverein gefordert hatte, die Überbrückung der Bahn im Zuge der Saarstraße bei der Eisenbahn-Verwaltung erneut in Antrag zu bringen, ist der Brückenbau über die Gleise der Wannsee- und Potsdamer Fernbahn 1898 in Angriff genommen worden: Die Ausschachtungsarbeiten für die Pfeilerfundamente sind in vollem Gange, und es soll baldigst die Anfuhr des Baumaterials und der Eisenkonstruktionsteile stattfinden.

 

Am 13.08.1898 war der Bau der Saarstraßenbrücke bereits recht weit vorgeschritten. Von dem östlichen Bahndamm aus ist schon bis fast zur Mitte der breiten Strecke die Eisenkonstruktion der Brücke montiert, die eine Spannung von 90 Metern erhält, für den Fußgänger wie jeglichen Wagenverkehr bestimmt ist. Die Verkehrsfreigabe verzögerte sich, weil namentlich in der zur Brücke führenden Beckerstraße und den in diese einmündenden Straßen bedeutende Erdarbeiten auszuführen sind. Mittels einer Feldbahn werden aus einer an der Menzelstraße belegenen Baustelle größere Erdmassen herbeigeschafft, mit denen die Anrampungen zur Brücke in der Beckerstraße, der Rembrandt- und der Körnerstraße hergestellt werden. In der Beckerstraße hat sich infolge Höherlegung des Straßendammes auch eine Höherlegung der Vorgärten und der Hauseingänge als nötig erwiesen. Die Souterrainwohnungen in einigen Häusern, deren Fenster früher mit dem Erdboden abschlossen, liegen jetzt bis zur Hälfte unter der Erde, so dass eine Vormauerung notwendig war.

 

Die Saarstraßenbrücke ist am 16.2.1899 dem öffentlichen Verkehr übergeben worden, nachdem die in Anwesenheit von Vertretern der Regierung, des Kreisausschusses sowie des Magistrats die landespolizeiliche Abnahme erfolgte. Im Friedenauer Lokal-Anzeiger taucht dafür erstmals der Name  Friedenauer Brücke auf – ab 1906 steht er in den offiziellen Ortsplänen..

 

Kirchner, Selbstporträt im Atelier Körnerstraße, 1913-1915. Museum Davos

 

Körnerstraße Nr. 45

Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938)

 

Ernst Ludwig Kirchner kam 1911 nach Berlin, wohnte zunächst in Wilmersdorf, Durlacher Straße Nr. 14, dann ab 1913 in der Körnerstraße Nr. 45 – unmittelbar an der Gemarkungsgrenze, wo die Häuser Nr. 1 bis 45 politisch zu Steglitz, aber (damals) postalisch zu Friedenau gehören.

 

Kirchner, der am 6. Mai 1880 in Aschaffenburg geboren wurde, hatte 1905 in Dresden mit Erich Heckel, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff, Autodidakten wie er selbst, die Künstlergemeinschaft Brücke gegründet, der sich ein Jahr später auch Emil Nolde und Max Pechstein anschlossen. 1911 nahmen sie an einer Ausstellung der Neuen Secession in Berlin teil – Titel Zurückgewiesene der Secession Berlin 1910. Während der vierten Ausstellung Ende 1911 kam es zum Bruch. Während der Vorstandswahlen wurde Gründungspräsident Max Pechstein nicht mehr in den Vorstand gewählt. Als Konsequenz verließen fast alle Brücke-Mitglieder die Neue Secession. Im Dezember 1911 gründeten Kirchner und Pechstein die Malschule MUIM (Moderner Unterricht in Malerei), der allerdings kein Erfolg beschieden war. 1913 verfasste Kirchner eine Chronik über die Künstlergruppe Brücke, in der er seine Bedeutung überbetonte. Es kam zum Streit. Kirchner trat aus. Die Gruppe wurde aufgelöst.

 

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich Kirchner als Freiwilliger bei einem Artillerieregiment. Nach einem nervlichen Zusammenbruch erfolgte im November 1915 seine Beurlaubung. Da er nun von Medikamenten abhängig war, fand er sich im Sanatorium Kohnstamm Königstein wieder – neben den Patienten Henry van de Velde, Gerdt von Bassewitz und Carl Sternheim. 1917 zog er nach Davos. Während er in der Schweiz von Medikamenten loskam, legte seine Lebensgefährtin Erna Schilling in Berlin durch Verkäufe die Grundlage für seine finanzielle Unabhängigkeit. Obwohl seine Kunst zunehmend Anerkennung fand, fühlte er sich von der Kunstkritik nicht hinreichend gewürdigt. Unter dem Pseudonym Louis de Marsalle verfasste er Aufsätze über seine Kunst und vergab die Rechte zur kostenlosen Reproduktion seiner Bilder nur an jene Kunstkritiker, deren Texte er vor Druck genehmigte. Sein Misstrauen grenzte ans Pathologische. Genehmigungen für Ausstellungen gab es nur mit fast unannehmbaren Verträgen.

 

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten blieb er noch Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, wurde aber im Juli 1937 endgültig ausgeschlossen. Im selben Monat wurden in Deutschland 639 Werke Kirchners aus den Museen entfernt und beschlagnahmt, 32 davon in der Ausstellung Entartete Kunst gezeigt, darunter das in der Körnerstraße entstandene Gemälde Gelbe Tänzerin, das von den Nazis mit der Bemerkung Die Dirne wird zum sittlichen Ideal erhoben! abgetan wurde. Am 10. Mai 1938 beantragte er bei der Gemeinde Davos das Aufgebot für die Eheschließung mit Erna Schilling und zog es am 12. Juni wieder zurück. Am 15. Juni nach sich Ernst Ludwig Kirchner in Davos das Leben. Über das Motiv der Selbsttötung wird spekuliert: Die Sekundärliteratur schreibt über die tiefe Enttäuschung des Künstlers wegen der Diffamierung seiner Werke in Deutschland. Aus Kirchners Schriftwechsel mit seinem Arzt geht allerdings hervor, dass er seit 1932 wieder morphiumsüchtig war. Kirchners Grabstein befindet sich auf dem Waldfriedhof Davos Frauenkirch, daneben der Stein von Erna Schilling, beschriftet mit Erna Kirchner.

 

Erna Schilling schickte ab Januar 1919 erste Sendungen von Berlin nach Davos, darunter die Druckerpresse und einige Teppiche. So ist dort nahezu sein gesamtes Frühwerk überliefert und blieb vor Nationalsozialisten und Weltkriegsbomben verschont. 1922 löste sie Wohnung und Atelier in Berlin auf.

 

 

Das Gemälde Blick aus dem Fenster (120,7 x 90,8 cm), eine Variante ohne Züge, aber mit den beiden Brandmauern, hatte die Hamburger Kunsthalle 1920 erworben. Am 21. August 1937 wurde es als entartet beschlagnahmt. 1941 ging das Bild an den Kunsthändler Ferdinand Möller, der neben Karl Buchholz, Hildebrand Gurlitt und Bernhard A. Böhmer von der Verwertungskommission beauftragt worden war, die konfiszierten Werke auf dem internationalen Kunstmarkt loszuschlagen. Möller verkaufte 1941 das Gemälde an den Sammler Kurt Feldhäusser (1905-1945). Die Sammlung erbte seine Mutter Marie Luise (1876-1967), die über die Weyhe Gallery New York u. a. 16 Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner zum Verkauf anbot, darunter Blick aus dem Fenster an Morton D. May (1914-1983), der das Bild mit seinem Tod 1983 dem Saint Louis Art Museum (Nr. 902/1983) vermachte.

 

In Deutschland populär geworden ist hingegen das 79 x 100 cm große Ölgemälde Die Eisenbahnüberführung, wo sich unter der Brücke augenblicklich zwei Dampfzüge begegnen: Ein schlichter Vorortzug vom Berliner Potsdamer Bahnhof nach Wannsee und ein eleganter Bankierszug von Potsdam nach Berlin. Das Bild, mitunter von Friedenauern etwas anheimelnd auch Friedenauer Brücke genannt, gehört zu jenen Gemälden, die der Kölner Jurist und Kunstsammler Josef Haubrich (1889-1961) nach 1938 erwerben und am 2. Mai 1946 der Stadt Köln als Schenkung für die Sammlung Haubrich des heutigen Museums Ludwig überlassen konnte. Weniger bekannt sind die 43 x 34,5 Zentimeter große Handzeichnung mit der Tuschfeder mit dem Titel Eisenbahnüberführung aus der Sammlung der Stiftung Stadtmuseum, und der 19,7 x 30 cm große Holzschnitt Überführungsbrücke der Wannseebahn.

 

Eine weitere – auch aus ortsgeschichtlicher Sicht – höchst interessante Ansicht der Saarbrücke liefert das 71 x 81 cm große Ölgemälde Straßenbahn und Eisenbahn (1914), das heute zur Sammlung des Lübecker Museums Behnhaus Drägerhaus gehört: Unter der Brücke wiederum Vorort- und Fernzug, diesmal ohne Dampf, dafür aber auf der Brücke eine Straßenbahn. Das Gemälde wurde im Jahr 1971 von der Lübecker Possehl-Stiftung für die Sammlung des Lübecker Museums (Inv.-Nr. 1971/100) aus dem Schweizer Kunsthandel Ketterer erworben.

 

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Aus der Foto-Sammlung des Museums in Davos:

Aufnahmen aus dem Atelier von Ernst Ludwig Kirchner in der Körnerstraße Nr. 45. Dort kreierte er eine nur der Kunst verpflichtete Welt, darunter ein Foto mit  dem nackten Tänzer Hugo Biallowons (1879-1916) sowie Werner Gothein (1890-1968), ein Schüler Kirchners und Erna Schilling (1884-1945), mit der Kirchner zusammen lebte, und eine unbekannte, weiß gekleidete Frau. Im Hintergrund Kirchners Gemälde Dodo mit großem Fächer von 1910.

 

Linie 88 auf der Friedenauer Brücke, 1905. Sammlung Hilkenbach

 

Linie 88

 

Die Linie 88 der elektrischen Straßenbahn wird nunmehr doch in der anfänglich beabsichtigten Weise über die Friedenauer Brücke durch die Saarstraße durchgeführt, nachdem die Königl. Regierung in Potsdam den seinerzeit erhobenen Einspruch nach Anhörung der beteiligten Gemeinden zurückgezogen hat. Die Arbeiten sollen so gefördert werden, dass die Strecke bereits am 1. August 1905 dem Verkehr übergeben werden kann. (16.05.1905)

 

Am 6. Juni 1905 meldet der Friedenauer Lokal-Anzeiger, dass Friedenau allerdings zwei neue Straßenbahnlinien erhalten soll, die mit dem Innern Berlins verbinden. Durch ein Schreiben vom 3. Juni übereichte die Direktion der Westlichen Berliner Vorortbahn unserem Gemeindevorstand einen Vertrag betreffend den Ausbau der Linien 61 und 88, dem die Gemeindevertretung ihre Zustimmung nicht geben konnte. Nun wurde ein neuer Vertrag vorgelegt, der in einer geheimen Gemeindevertreter-Sitzung angenommen wurde. Die Direktion bemerkt in einem Begleitschreiben, dass sie eine Verpflichtung bezüglich der Linien und ihrer Fahrpreise in den abzuschließenden Vertrag nicht aufnehmen könne, dass aber beabsichtigt sei, bis auf weiteres die beiden Linien Nr. 61 und Nr. 88 in Abständen von 15 Minuten bei einem 10 Pfennig-Tarif über die Rheinstraße durch die Saarstraße bis zum Städtischen Krankenhaus im Schöneberger Ortsteil durchzuführen.

 

Die wesentlichen Punkte des vorliegenden Vertrages lauten: Die Westliche Berliner Vorortbahn beabsichtigt die Herstellung einer Straßenbahn von der Rheinstraße in Friedenau ab im Anschluss an ihre dort bereits vorhandenen Bahn- und Oberleitungsanlagen durch die Saarstraße bis zur Weichbildgrenze der Stadt Schöneberg, anschließend an die dort im Friedenauer Ortsteil Schönebergs von der Großen Berliner Straßenbahn geplanten Bahn- und Oberleitungsanlagen. Die Landgemeinde Friedenau als Wegeeigentümerin und als Wegeunterhaltungspflichtige erteilt der Westlichen Berliner Vorortbahn ihre Zustimmung auf Grund des Kleinbahn-Gesetzes vom 28. Juli 1892 zur Ausführung der nach dem am 25. August 1904 eingereichten Entwürfe geplanten Bahn- und Oberleitungsanlagen bis zum 31. Dezember 1937. Die Unterhaltung des Bahnkörpers in einer Breite 40 cm auf beiden Seiten jeder Schiene übernimmt die Bahn.

 

Interessant beim Abschluss dieses Vertrages erscheint, dass derselbe mit der Westlichen Berliner Vorortbahn abgeschlossen wird, während die Wagen, die durchgeführt werden, doch solche der Großen Berliner Straßenbahn sind. Nun schließlich sind ja beide auch eins und die Hauptsache bleibt, dass Friedenau eine direkte Verbindung mit dem Innern Berlins erhält.

 

 

Nach dem Weltkrieg wurde ab Juni 1946 eine Linie 66 von der Belziger Straße über den Innsbrucker Platz in die Rubensstraße zur Thorwaldsenstraße geführt und bis Mai 1963 betrieben. Nach dem Mauerbau entstand parallel zur Trasse von Stamm- und Wannseebahn die Westtangente. Für den Zubringer musste die Saarstraße verbreitert werden. Die Eckhäuser Fregestraße Nr. 56 und Saarstraße Nr. 12 wurden abgerissen. Sowohl an der Saarstraße als an der Rembrandtstraße entstanden Treppenhäuser. Sie führten von der Brücke hinunter zur Autobahn. Ab 1. Oktober 1969 gab es beidseitig die Haltestellenbuchten Friedenauer Brücke der Buslinie A84. Mit Wiederinbetriebnahme von Wannseebahn und den S-Bahnhöfen Friedenau und Feuerbachstraße wurde die Linie 1985 eingestellt. 2010/11 wurde die Friedenauer Brücke saniert und die überflüssig gewordenen Treppenhäuser der Bushaltestelle abgebrochen.

 

Friedenauer Brücke, 1968. Ansicht von der Körnerstraße. Links im Bau Treppenhaus und Bushaltestelle unter der Autobahnabfahrt. Archiv Heimatverein Steglitz