Jeanne Mammen (1890-1976)

 

Es war am 6. September 1977 im Renaissance-Theater. Die erfolgreichste (und umstrittenste) Grotesktänzerin Valeska Gert plauderte über die Zwanziger Jahre und eine Sitzung im Atelier von Jeanne Mammen: Ich hatte mich auffallend gekleidet. Ich trug die Mode von morgen. Ich hatte ein Gefühl für das, was kommen wird. Meine Kleider waren weiß, brennend rot, orange oder ganz schwarz und immer exzentrisch geschnitten. Mund und Kinn verbarg ich hinter einem dichten Schleier. Ich puderte mich kalkweß, die Lippen strich ich blutrot an. Ich sah beunruhigend aus, ein Plakat des Lasters.

 

Man hatte eine Ahnung von diesem Ölgemälde auf Leinwand. Mehr nicht. Das Bildnis ohne Datum war vor 1929 entstanden und erst nach dem Tod von Jeanne Mammen in ihrer Atelierwohnung im IV. Stock des Hinterhauses Kurfürstendamm Nr. 29 entdeckt worden. Nachdem es von der Berlinischen Galerie erworben und öffentlich gemacht worden war, wurden die Erinnerungen von Valeska Gert nach fast 50 Jahren bestätigt.

 

Seien wir ehrlich. Das Werk von Jeanne Mammen wurde bis dahin nur einem engen Kreis von Freunden bekannt. Sechs Wochen mach dem Tod von Jeanne Mammen am 22. April 1976 erfolgte am 9. Juni 1976 die Gründung der Jeanne-Mammen-Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe machte, ihr ehemaliges Wohnatelier als Museum weitgehend im Originalzustand zu erhalten. Im Juli 2003 wurde die Gesellschaft in eine Jeanne-Mammen-Stiftung umgewandelt. Erst 2016 gelang dem Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung die umfangreiche Dokumentation Jeanne Mammen – Paris, Bruxelles, Berlin. Aber erst die Retrospektive im Herbst 2017 in der Berlinischen Galerie dürfte Jeanne Mammen in die Riege der bedeutenden Großstadtmaler gerückt haben.

 

Leider, wie so oft in Berlin, konnte ihr Werk nicht unter einem Museumsdach zusammengehalten werden. Zeichnungen und Grafiken befinden sich im Stadtmuseum Berlin, in der Berlinischen Galerie und in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin. Die Jeanne-Mammen-Stiftung ging in die Stiftung Stadtmuseum Berlin ein. 2018 wurden der Kunstbestand und der Nachlass im ehemaligen Wohnatelier aus sicherheitstechnischen und konservatorischen Gründen in das Depot der Jeanne-Mammen-Stiftung überführt. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat das ehemalige Wohnatelier der Künstlerin am Kurfürstendamm 29 übernommen.

 

Als wir uns im Frühjahr 2016 zum Aufbau der Webseite www.friedenau-aktuell.de entschlossen, wagten wir uns auch in das vergammelte Untergeschoss des Columbariums auf dem Friedhof Stubenrauchstraße. In der Urnennische C 45-97 entdeckten wir eine kleine weiße Tafel mit der Inschrift Jeanne Mammen 1890-1976 – versehen mit einem blauen Zettel. Auf Nachfrage erfuhren wir: Nutzungsrecht abgelaufen. Bitte in der Friedhofsverwaltung vorsprechen.

 

Es kam noch schlimmer. Nachdem sich der Senat 42 Jahre nach dem Tod von Jeanne Mammen endlich am 6. Nvovember 2018 entschlossen hatte, das unwürdige Urnengrab zur Ehrengrabstelle des Landes Berlin zu erheben, wurden die umliegenden Urnennischen leergeräumt. Um Nr. 97 als Ehrengrabstätte kenntlich zu machen, wurde darüber in die Nische Nr. 71 der bekannte rote Ehrengedenkstein gelegt.

 

Am 26. Januar 2023 wurde die Urne von Jeanne Mammen auf dem Friedhof Stubenrauchstraße von Nr. C 45-97 in die Abteilung 034 Grabnummer 0008 umgesetzt. Auf Anfrage teilte uns die zuständige Friedhofsverwaltung von Tempelhof-Schöneberg mit: Es ist richtig, dass die Stiftung Stadtmuseum Berlin, welches das Nutzungsrecht an dem Ehrengrab besitzt, Jeanne Mammen hat umbetten lassen. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin erlaubt es, dass Sie Ihre Website aktualisieren mit Nennung als Inhaber des Nutzungsrechtes. Ob die Stiftung Stadtmuseum mit der Umbettung in die Abteilung 034 eine gute Entscheidung getroffen hat, wird sich noch herausstellen. Wer bisher hierher kam, interessierte sich für die Gräber von Marlene Dietrich und Helmut Newton. Zu befürchten ist, daß es dabei bleiben wird.

 

Kurt Tucholsky schrieb am 6. August 1929: Die zarten duftigen Aquarelle, die sie in Magazinen und Witzblättern veröffentlicht, überragen das undisziplinierte Geschmier der meisten ihrer Zunftkollegen derart, dass man ihnen eine kleine Liebeserklärung schuldig ist. Ihre Figuren fassen sich sauber an, sie sind anmutig und herb dabei, und sie springen mit Haut und Haaren aus dem Papier. Es hat lange gedauert, bis Berlin wenigstens diesen Ansatz von Jeanne Mammen erkannt hat.