Otto Wesche (1840-1914)
Wilhelmstraße Nr. 16 (heute Görresstraße Nr. 21)
Kaum hatte Kaiser Wilhelm II. 1895 den Bau einer Siegesallee im Tiergarten mit 32 Marmor-Standbildern der Fürsten Brandenburgs und Preußens nach Entwürfen von Bildhauern des Kaiserreichs verkündet, machte sich der Steinmetz Otto Wesche (1840-1914) von Zwickau auf den Weg nach Berlin. Der 55-jährige Mitinhaber der Zwickauer Firma Wesche & Ramcke Bildhauerei und Stuckgeschäft, Kunststeinfabrik, Grabdenkmäler nahm Wohnung in der Charlottenburger Schillerstraße Nr. 47 und eröffnete ein Atelier in der Brückenallee Nr. 31 in Tiergarten. Als Bildhauer war er mit dem Engel am Westportal des Zwickauer Doms und einem Relief für das Familiengrab Wesche bekannt geworden. Nun witterte er ein Geschäft. 1900 erwarb er von der Fuhrunternehmerin Johanna Pählchen einen Teil des Grundstücks Wilhelmstraße Nr. 15. Fortan adressierte ihr Fuhrhof unter Nr. 15 und das Landhaus unter Nr. 16. Auf einem zusätzlich erworbenen 6 m breiten Landstreifen ließ sich Wesche vom Architekten Otto Rehnig (1864-1925) am hinteren linken Grundstücksrand ein Atelierhaus errichten.
Im EG sind zwei gut 6 m hohe Bildhauerateliers, im OG darüber zwei Malerateliers mit knapp 5 m Höhe. Die große Fensterfront ist exakt nach Norden ausgerichtet. Durch das geschickte Einfügen in das spitzwinklige hintere Grundstückseck um einen kleinen Hof ergibt sich ein reizvoller Grundriss mit geräumigem freizügigem Treppenhaus im Inneren, das die Ateliers in den Hauptebenen und die Nebenräume der Ateliers in den Zwischenebenen erschließt, die in Höhe der Galerien der Ateliers liegen“. Wenig später entsteht ein „Schuppen im dahinterliegendem kleinem Hof an der linken Grundstücksgrenze „zur Unterstellung von Eisengerüsten, welche beim Modellieren in Ton als Kern für die Modelle verwendet werden, ferner zur Unterbringung von Abgüssen der von den Künstlern geschaffenen Modelle und des Modelliertons (Landesdenkmalamt Berlin, 2019).
Von diesem Zeitpunkt an wurden die Räume zeitweise an Bildhauer und Maler vermietet. Es war ein Kommen und Gehen, darunter Franz Rosse (1858-1900), Franz Metzner (1870-1919), Johann Bossard (1874-1950), Max Levi (1863-1912), Paul Hamann (1891-1973), Johannes Hoffart (1851-1921), Edmund Gomansky (1854-1930), Totila Albert (1892-1967). Der Maler E. Vital Schmitt (1858-1935) arbeitete dort von 1906 bis 1925. Dauermieter von 1909 bis 1945 wurde der Oberleutnant a. D. und Maler Leonhard Sandrock (1867-1945).
Otto Wesche starb 1914 und wurde im Zwickauer Erbbegräbnis beigesetzt. Nach seinem Tod ist ab 1916 als Eigentümerin von Wilhelmstraße Nr. 16 Witwe Henriette Wesche geb. Sommer eingetragen. Nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau ging der Besitz an Fräulein M. Wesche – nach Umbenennung und Neunummerierung 1939 in Golzheimer Straße nun mit Nr. 21.
Um 1950 übernahm das Grundstück der Fliesenhändler Paul Gielsdorf. 1954 entstand an der hinteren Grundstücksgrenze eine Garage. Dadurch wurde die Tür des hinteren EG-Ateliers verstellt. Die beiden Ateliers im Erdgeschoss wurden zu einem zusammengelegt. Aus den Ateliers im Obergeschoss wurden Wohnungen. Statt des schrägen Oberlichts zu der im OG um 2 m rückspringenden Atelierfassade ließ Gielsdorf 1951 vom Architekten Finger die EG Fassade senkrecht höherführen bis auf Ebene des OG Fußbodens. Der Vorsprung dient heute als Terrasse für die oberen Atelierwohnungen (Landesdenkmalamt Berlin, 2019).
Die weitere Nutzung des nun großen Ateliers im Erdgeschoss bleibt unklar. Es heißt, dass der Bildhauer Otmar Alt (geb. 1910), der von 1964 bis 1966 Meisterschüler an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin war, zusammen mit Waldemar Grzimek (1918-1984) ein Atelier in der Görresstraße bezog, das zuvor dem Bildhauer Richard Scheibe (1879-1964) gehört hatte. Das liegt nahe, da Scheibe sein Atelier in der Hardenbergstraße nach 1945 aufgeben musste, eine Wohnung in der Deidesheimer Straße Nr. 23 bezog und das in der Nähe liegende Atelier Görresstraße Nr. 23 nutzte. Bestätigt könnten dies wohl auch die Bildserien Richard Scheibe im Atelier des Fotografen Fritz Eschen (1900-1964), die zwischen 1948/49 entstanden.
Irgendwie gab es zwischen der Berliner Hochschule der Künste und dem Atelier immer wieder Verbindungen. Eine nicht unbedeutende Rolle könnte auch Günter Grass (1927-2015) gespielt haben. Er hatte an der Hochschule studiert, war mit dem damaligen Direktor Ludwig Gabriel Schrieber (1907-1975) befreundet und hatte diesem ein Kapitel in seinem Roman Der Butt gewidmet. Schriebers Nachfolger wurde 1997 der Steinbildhauer Michael Schoenholtz (1937-2019), der 2005 emeritiert wurde – der bisher letzte Nutzer des Ateliers.